Digitale Geschäftsprozesse sind nur der Anfang

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FÜR MENSCHEN DIE ETWAS UNTERNEHMEN www.wirtschaftsmagazin.ch Chancen und Gefahren: DIGITALE MARKETING- UND GESCHÄFTSPROZESSE MONEYCAB Digitale Geschäftsprozesse – Trends und Treiber der Wertschöpfung LYRECO AG Internet und E-Commerce-Plattformen schaffen nutzerfreundliche Vertriebsmodelle N ˚ 23

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F Ü R M E N S C H E N D I E E T W A S U N T E R N E H M E N

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Chancen und Gefahren:

DIGITALE MARKETING- UND GESCHÄFTSPROZESSEMONEYCAB

Digitale Geschäftsprozesse – Trends und Treiber der Wertschöpfung

LYRECO AGInternet und E-Commerce-Plattformen schaffen

nutzerfreundliche Vertriebsmodelle

N ˚23

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D I G I T A L E G E S C H Ä F T S P R O Z E S S E

S I N D NUR DER ANFANG

Wir leben in einer vernetztenGesellschaft und es stellt sich

zunehmend die Frage, wie Unternehmen unter den verän-

derten Vorzeichen in einer Welt, die global agiert, in der vieles scheinbar kostenlos oder zum Gegenwert der eigenen Daten zu haben ist, Wert generieren

können. Die Digitalisierung von Geschäftsprozessen ist nur eine

Antwort auf diese Frage. Eine weiterführende, aber ungleich

tiefergreifende Antwort liegt in einer neuen Kultur der Organi-

sation selbst.

Dabei lohnt sich ein Blick auf die Netzwerke, in denen wir

uns bewegen, denn es sind die Netzwerke mit ihrer eigenen

Dynamik und ihren ganz eigenen Normen, die den Blueprint

bilden für erfolgreiche Geschäftsmodelle und deren zugrun-

deliegende Unternehmenskultur. Ich möchte deshalb im

Folgenden den Blick auf ein paar Netzwerknormen richten

und an ein paar Beispielen verdeutlichen, wie diese sich auf

Unternehmen auswirken.

KONNEKTIVITÄT UND FLOWDie ersten zwei Netzwerknormen sind Konnektivität und Flow.

Sie bedeuten so viel wie «vernetze dich und lass Informationen

fl iessen». Wir sind in der Tat «connected»: In der Schweiz sind

durchschnittlich 85% der Gesamtbevölkerung im Internet.

Rund drei viertel davon sind in mindestens einem sozialen

Netzwerk angemeldet. 70% sind aktive Nutzer. Fast 2,9 Mio.

Schweizerinnen und Schweizer – rund 37% der Bevölkerung,

nutzten Ende 2012 Facebook. Bei den unter 30-Jährigen sind

sogar 96% Mitglied in einem sozialen Netzwerk.

Konnektivität bedeutet: Wir haben über Netzwerke Zugang zu

allen Wissensressourcen der Welt. Erfolg hat, wer – als Person

oder Unternehmen – die Kompetenz besitzt, sich an diese Netz-

werke anzudocken und sich zu vernetzen.

Das Prinzip des Flow bedeutet, dass

alles in Bewegung ist, dass z. B. Infor-

mationsflüsse nicht vollständig iden-

tifizierbar oder nachvollziehbar sind.

Man muss sich als Unternehmen darauf

einlassen, dass permanent Interaktionen

und Kräfte zur Wirkung kommen, die

sich nicht nach den Organisationsmus-

tern der Hierarchie richten. Das kann zur

Folge haben, dass z. B. Mitarbeitende und

Kunden über mehr Information oder bes-

seren Zugang zu Ressourcen verfügen

als die Unternehmensleitung. Netzwerke

haben eine fl iessende Dynamik und ken-

nen keine Grenzziehungen. Die Grenzen

einer Organisation werden längst blog-

gend und twitternd unterwandert.

W I S S E N S C H A F T P R O F . D R . A N D R E A B E L L I G E R

Der Mobiltechnologietrend ist dem Flow-

Prinzip zuzuordnen. Kein ICT-Trend hat

sich rasanter etabliert. Auch Geschäfts-

prozesse bedienen sich zunehmend mo-

biler Technologien und werden zuneh-

mend «seamless», d. h. über verschiedene

Orte, Zeiten, Technologien und soziale

Settings, formell oder informell hinweg-

gestaltet.

Das Prinzip des «Flow» bezieht sich aber

nicht nur auf Organisationen, sondern ist

auch ein personaler Wert: Wir sind heute

nicht mehr ein Job. Wir sind nicht Infor-

matikerinnen, Ärzte, Betriebsökonomen,

Verkäufer oder Bauleiter. Wir sind eine

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PROF. DR.ANDREA BELLIGER

forscht, lehrt und berät Or-

ganisationen zu Fragen von

Trends und Veränderungen

im gesellschaftlichen Kom-

munikationsverhalten, ins-

besondere in den Bereichen

Bildung, Verwaltung und

Gesundheit. Sie konzipiert

Weiterbildungsmassnah-

men, entwickelt Lehrpläne

und Curricula, unterstützt

Organisationen bei Entwick-

lungsarbeiten, hält Vorträge,

Inputs und inhouse-Schu-

lungen in Organisationen

ganz unterschiedlicher Art.

Themenschwerpunkte sind:

Kommunikationswissen-

schaft – verändertes Kommu-

nikationsverhalten; Digital

Society; Bildung und Neue

W W W . W I R T S C H A F T S M A G A Z I N . C H

Ansammlung von Kompetenzen und

müssen uns in einem ganzheitlichen

Sinne darüber klar werden, welche

Kombination von Kompetenzen wir

morgen über die fachlichen Kompeten-

zen hinaus benötigen, um erfolgreich zu

bleiben.

KOMMUNIKATIONNetzwerke verlangen eine offene Form der

Kommunikation, so genannte «naked con-

versation». Kommunikation muss selbst-

kritisch, respektvoll und ehrlich sein.

Sie erinnern sich vielleicht an das

Dell-Debakel 2005, das als «Dell-Hell» in

die Geschichte einging. Damals schrieb

der US-Professor und Blogger Jeff Jarvis

Medien – eLearning;

Umgang mit Wissen

und Wissensarbeitenden

– Knowledge Manage-

ment/Wissensmana-

gement; Management

von Netzwerken –

Network Management

– Future Values in

Unternehmen; Zukunft

der Verwaltung –

eGovernment; Gesund-

heit digital – eHealth;

Social Media

Sie ist Prorektorin

Dienstleistungen der

Pädagogischen Hoch-

schule Luzern und

Co-Leiterin des Instituts

für Kommunikation &

Führung IKF in Luzern.

www.phlu.ch

seinen Frust über den Kundenservice und die Produkte von Dell

in seinem Blog nieder. Dell hat ihn belächelt und ignoriert. Doch

viele andere teilten sein Schicksal, waren wütend auf Dell und

wollten Gerechtigkeit. Die Sache wurde viral und das Debakel war

perfekt. Dell musste ein hohes Lehrgeld bezahlen. Die Verkäufe

und die Aktienkurse sanken, das Image war angeschlagen und als

Folge davon übernahm Michael Dell wieder die Unternehmens-

führung. Solche Shitstorms – Empörungskampagnen – werden

jedes Mal durch die mangelhafte Kommunikation ausgelöst. In

Netzwerken ist Einweg-Kommunikation nicht mehr möglich.

TRANSPARENZTransparenz ist zu einer Grundnorm der Netzwerkgesellschaft

geworden. Wer als Unternehmen oder Person nicht transparent

ist, ist suspekt. Transparenz ist heute nicht nur bei Produkten und

Dienstleistungen gefordert, sondern auch im Umgang mit Daten.

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F A Z I T

Netzwerke als vorherrschende

Organisationsform unserer

Zeit verändern unser Leben

und die Art und Weise, wie

wir als Unternehmen tätig

sind. Netzwerke haben ihre

eigenen Normen: Konnekti-

vität, Flow, Kommunikation,

Transparenz, Partizipation,

Authentizität, Menschlichkeit,

Variabilität und Heterogeni-

tät. Diese Netzwerknormen

sind mehr als Schlagworte.

Sie sind eine Realität des

gegenwärtigen Zeitalters. An

ihnen werden Unternehmen,

CEOs, Dienstleistungen,

Produkte und Konversationen

gemessen. Sich in Netzwerken

zu bewegen, verändert Per-

sonen wie Unternehmen und

befähigt dazu, Wertemuster

in Bewegung zu versetzen.

Wenn man sich in seinem

Alltag wirklich auf die neuen

Möglichkeiten einlässt, ändert

sich der Arbeitsstil, und nach

einiger Zeit ändern sich auch

die Einstellungen.

Interessant ist, dass wir als Konsumenten, Bürger oder Patienten in den letzten Jahren

unsere ganz eigene Meinung zu diesem Thema gebildet haben. Wir haben einerseits

keine grundsätzlichen Ängste in Bezug auf die Digitalisierung unserer Daten. Wir

erheben unsere eigenen Daten und sind bereit, auch persönlichste Daten mit andern

zu teilen. Wir fordern aber auf der andern Seite berechtigterweise die volle Kontrolle

und Verwaltung unserer eigenen Daten und wollen eigenständig je nach Verwen-

dungszweck über den Datenzugang entscheiden.

PARTIZIPATIONDas Credo der Social Media lautet: Nicht Wissen und Informationen hüten, sondern

Wissen und Informationen teilen führt zu neuem Wissen. Wir teilen übrigens aus

guten Gründen – nicht weil wir naiv oder exhibitionistisch wären. Wir teilen, weil

wir einen Vorteil darin sehen. Teilen ist eine soziale Handlung: sie verbindet uns,

stellt Beziehungen, bildet Vertrauen, Fremde werden zu Freunden, Zusammenarbeit

ist möglich und sie befähigt uns zu selbstgesteuertem Handeln.

Partizipation bedeutet auch, dass tradierte Laien-Experten-Rollen, wie etwa die

klassische Arbeitsteilung zwischen Kunde und Verkäufer, aufbrechen. Kunden sehen

sich zunehmend weniger als passive Empfänger von Dienstleistungen, sondern als

aktive und selbstbestimmte Kommunikationspartner.

AUTHENTIZITÄTIn den 50er Jahren hat Erving Goffman, ein amerikanischer Soziologe, viel über Au-

thentizität, Identität und «Rollen» geschrieben und dass unser menschliches Verhal-

ten eine Inszenierung ist. Es gibt in unserem Verhalten einen «Frontstage»-Bereich,

das von mir erwartete und erwünschte Verhalten, und einen «Backstage-Bereich»,

das wahre Selbst. Quasi Online- und Offl ine-Identität. Psychologische Studien an der

Universität Texas haben nun aber gezeigt, dass soziale Netzwerke keine Fluchtorte

vor der Realität sind, sondern viel eher eine Ausweitung des bestehenden sozialen

Kosmos und eine Erweiterung des Offl ine-Verhaltens, wobei sich die Offl ine- mit

den Online-Charakteristika einer Person weitgehend decken. Auch für Unternehmen

gilt: Ansehen und (Online-)Reputation hat mit Authentizität zu tun. Und es ist das

Netzwerk, das einem jede Position gibt, wenn die Kompetenz stimmt. Sie aber auch

genauso schnell wieder nimmt, wenn das nicht der Fall ist.

MENSCHLICHKEITAuch wenn es oft anders scheint: Mensch-

lichkeit ist in der vernetzten Welt ein

Wert. Ein Beispiel: Ein junger Mann baute

2005 sämtliche Möbel für seine Wohnung

aus FedEX-Boxen, fotografi erte sie und

postete die Bilder online. Das Unterneh-

men FedEX fand das gar nicht lustig und

verklagte ihn. Das ganze wurde online

und in den traditionellen Medien publik.

David gegen Goliath. FedEX trug einen

immensen Reputationsschaden davon.

Was wäre wohl gewesen, wenn FedEx den Mann unterstützt

und einfach ein paar neue Schachteln geschickt oder ihn einfach

menschlich behandelt hätte? Fazit: Ohne Wirtschaftlichkeit geht

es nicht, aber ohne Menschlichkeit geht gar nichts.

VARIABILITÄT UND HETEROGENITÄTDie Norm der Variabilität und Heterogenität besagt so viel wie:

Mach dein Netzwerk so komplex und heterogen wie möglich.

Eröffne Möglichkeitsräume. Denn Netzwerke sind smart und

innovativ, wenn sie heterogen sind. Der Soziologie Granovet-

ter hat in den 70er Jahren Studien zu Weak und Strong Ties in

sozialen Netzwerken durchgeführt. Seine Einsicht: Weak Ties,

lose und schwache Netzwerkverbindungen, dienen als wich-

tige Brücken, damit Information fl iessen kann; je mehr Weak

Ties, umso schneller verbreitet sich Information in entfernte

Netzwerke. Strong Ties hingegen, also enge, verbindliche und

gefestigte Verbindungen, lassen Information nur in lokalen

engen Netzen zirkulieren. Sie führen zu Redundanz. Für

Unternehmen gilt: Je mehr ich die Variabilität meiner Verhal-

tensmöglichkeiten erhöhe, desto eher bin ich in der Lage, mich

unterschiedlichen Bedingungen anzupassen.