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DKKV Publikationenreihe Risiko 2.0 Neuer Umgang mit alten Naturgefahren Dokumentation 11. Forum Katastrophenvorsorge 18. - 19. Januar 2011, Potsdam Herausgeber: Deutsches Komitee Katastrophenvorsorge e.V. (DKKV) Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ 45

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Dokumentation11. Forum Katastrophenvorsorge18. - 19. Januar 2011, Potsdam

H e ra u s g e b e r :

Deutsches Komitee Katastrophenvorsorge e.V. (DKKV)

Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ

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Vorworte

4 Reinhard Hüttl, Wissenschaftlicher Vorstand des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ

5 Irmgard Schwaetzer, Vorsitzende des Deutschen Komitees Katastrophenvorsorge

7 Klaus-Dieter Fritsche, Staatssekretär im Bundesministerium des Innern

Session I: Keine Konsequenzen aus Katastrophen?Convener: Thorsten Klose (Deutsches Rotes Kreuz), Alexander Küsel (Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft)

8 Keynote: Katastrophenvorsorge – Bilanz und Perspektiven aus Sicht der Humanitären Hilfe | Volker Erhard, Auswärtiges Amt

10 Die Kosten von Naturgefahren: Modellierung direkter ökonomischer Schäden | Heidi Kreibich und Philip Bubeck, Deutsches

GeoForschungsZentrum GFZ

11 Katastrophenvorsorge als Instrument zur Anpassung an den Klimawandel | Jörn Birkmann und Dunja Krause, UN University –

Institute for Environment and Human Security (EHS)

13 Risikoanalyse von Grundhochwasserschadenspotenzialen an privaten Wohngebäuden in Dresden | Sebastian Meyer,

Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ

14 Die Kosten historischer Erdbeben: Ökonomische Analyse der weltweiten Erdbebenschäden seit 1900 | James E. Daniell,

Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology (CEDIM)

Session II: Anpassung beginnt vor OrtConvener: Uwe Schneidewind (Wuppertal Institut), Torsten Schlurmann (Leibniz-Universität Hannover)

16 Frühwarnung und Gesellschaft – Herausforderungen bei der Implementierung eines integrativen Frühwarnsystems |

Julia Mayer, Universität Bonn

17 Alternative Strategien im Küstenschutz für die Anpassung an den Klimawandel | Hanz-Dieter Niemeyer, NLWKN-Forschungs-

stelle Küste, Norden-Norderney

19 Hochwasserschutzmaßnahmen: weniger Deichbrüche, geringeres Hochwasserrisiko | Sergiy Vorogushyn, Deutsches

GeoForschungsZentrum GFZ

20 Audit „Hochwasser – wie gut sind wir vorbereitet?" | Britta Wöllecke, Düsseldorf

21 Eine strukturierte Wissensbasis für lokale Anpassung | Dominik E. Reusser, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)

22 Soziale Fähigkeiten im Umgang mit Naturgefahren in Europa. Befunde und Forschungsbedarf | Annett Steinführer, Johann

Heinrich von Thünen-Institut, Braunschweig

24 Neue Wege in der Bewertung von Naturgefahren und Risiken | Manfred Strecker, Universität Potsdam

Session III: Komplexe Gefahren und kaskadierende EffekteConvener: Uwe Ulbrich (Freie Universität Berlin), Wolfram Geier (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK))

26 Keynote: Flugsicherheit und Wetter: Bekannte Gefahren werden zu neuen Herausforderungen | Ilias Maragakis, European

Aviation Safety Agency (EASA)

27 Risikoanalyse und kaskadierende Effekte | Joachim Post, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)

28 Kritische Infrastrukturen und Systemanalyse: Intelligente Netzwerke für mehr Sicherheit |

Stefan Pickl, Universität der Bundeswehr München

29 Wie kritisch sind Infrastrukturen? Schutz- und Vorsorgeziele im Bevölkerungsschutz | Alexander Fekete, Bundesamt für

Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BKK)

30 Stresstests für die Auswirkung von extremen Naturkatastrophen | Friedemann Wenzel, Karlsruher Institut für Technologie (KIT),

Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology (CEDIM)

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Session IV: Wissenschaft und Entwicklungszusammenarbeit – getrennte Welten?Convener: Friedemann Wenzel (Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Center for Disaster Management and Risk Reduction

Technology (CEDIM)), Michael Siebert (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ))

32 Gelungene Kooperation bei Georisiken in Zentralamerika | Dirk Balzer, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR)

33 Tsunami-Frühwarnsystem – Spagat zwischen Wissenschaft, Technik und Humanitärer Hilfe | Jörn Lauterjung, Deutsches GeoFor-

schungsZentrum GFZ

35 Podiumsdiskussion: Zwei Welten wachsen zusammen |

Teilnehmer: Christoph Beier, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Kerstin Faehrmann, Bundesministerium für

wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Karsten Hess, Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Reinhard

Hüttl, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ und Torsten Schlurmann, Leibniz-Universität Hannover

Moderation: Volker Angres, ZDF

Session V: Veränderliche Risiken und VorsorgeConvener: Bruno Merz (Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ), Henning Goersch (Universität Kiel)

38 Keynote: Anpassung an neue Risiken für Infrastrukturen |

Jim Hall, Tyndall Centre for Climate Change Research, Newcastle University, UK

39 Anpassungsstrategien für zukünftige Überschwemmungsrisiken am Rhein | Philip Bubeck, Vrije Universiteit Amsterdam

40 Verändertes Wintersturm-Risiko – welche Schäden sind zu erwarten? | Gregor Leckebusch, Freie Universität Berlin

42 Vulnerabilitätsdynamik in der Küstenzone: eine agentenbasierte Simulation zur Bedeutung individueller

Selbstschutzpräferenzen | Cilli Sobiech, Helmholtz Zentrum Geesthacht

43 Waldbrände in Deutschland seit 1975 | Klaus-Peter Wittich, Deutscher Wetterdienst (DWD)

44 Immer perfekterer Schutz gegen Hochwasser? | Uwe Grünewald, BTU Cottbus

Preisverleihung

46 Ein Preis für den Nachwuchs

47 Impressum

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Das Forum Katastrophenvorsorge ist 2011 zu Gast beimDeutschen GeoForschungsZentrum GFZ in Potsdam,einem für die Erkundung der Erde historischen Ort. Dort,wo 1889 der Wissenschaftler Ernst von Rebeur-Paschwitzerstmalig ein fernes Erdbeben aufzeichnete, nutzt dasGFZ heute die ganze Vielfalt moderner Geowissen-schaften. Es fliegt eigene Satelliten und ist an vielen Erderkundungsmissionen federführend beteiligt.

Ein für die Arbeit im DKKV wichtiger Schwerpunkt amGFZ ist die Erdbebenforschung. Mit seinen globalenseismischen Beobachtungen kann das GFZ immer genauerkennen, wo auf der Welt ein Erdbeben stattfindet. Aufdiesem Automatischen Globalen Erdbebenbeobach-tungssystem GEOFON baut auch die vom GFZ maßgeb-lich entwickelte Tsunami-Frühwarnung auf. Bereits dreiWochen nach dem schweren Tsunami im Dezember2004 beauftragte die deutsche Bundesregierung dieHelmholtz-Gemeinschaft unter Federführung des GFZmit dem Aufbau eines Tsunami-Frühwarnsystems fürden Indischen Ozean. Das System läuft seit November2008 im Optimierungsbetrieb und hat seine Funktions-fähigkeit bereits mehrfach unter Beweis gestellt.

Mit seinen Plattenrand-Observatorien in Chile und inder Türkei kann das GFZ seismische Aktivitäten vor, wäh-rend und nach einem Erdbeben messen und zukünftig

verbesserte Aussagen über deren Eintreten machen. DasGFZ beteiligt sich zudem an vielen weiteren Forschungs-vorhaben zur Erkundung von Erdbeben, zum Beispiel anBohrungen in bis zu 4.500 Metern Tiefe, um Prozesse imInneren der Erde besser zu verstehen.

Auch im Forschungsbereich Hochwasser und Vulkanis-mus sind die Mitarbeiter des GFZ aktiv.

Die Geowissenschaften dürfen heute den Faktor Menschnicht außer Acht lassen. Er beeinflusst das System Erde –zum Beispiel mit der Emission von CO2. Das DeutscheGeoForschungsZentrum untersucht viele Teilaspektedes Klimawandels, zum Beispiel die Veränderungen desWasserhaushalts, die zu Trockenheit oder Hochwasserführen können.

Das GFZ ist überzeugt, dass wir uns um die Vermeidungklimaschädlicher Einflüsse genauso kümmern müssenwie um die Möglichkeiten, wie wir uns diesen Verände-rungen am besten anpassen können – damit wir dieHerausforderungen des Systems Erde-Mensch gutmeistern. „Wir“ sind in diesem Fall alle, die von extremenNaturereignissen betroffen sind oder sich mit der Vor-sorge hierfür beschäftigen. Es ist dem GFZ ein wichtigesAnliegen, unsere Erkenntnisse zur Katastrophenvor-sorge in Trainingsmaßnahmen an alle weiterzugeben,die dazu beitragen, das Risiko von Naturgefahren für Le-bewesen und Sachwerte zu reduzieren.

Reinhard Hüttl

Wissenschaftlicher Vorstand

Reinhard Hüttl Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ

V o r w o r t e

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Hochwasserereignisse wie die hohen Pegelstände anvielen deutschen Flüssen beherrschen derzeit dieSchlagzeilen. Besonders erschüttert uns aber die Lagein Australien. Die Dimension des Hochwassers dort istkaum vorstellbar. Allerdings müssen wir auch bedenken,dass die Pegelstände in Brisbane unter jenen der großenÜberschwemmungen von 1974 liegen. Die australischeMinisterpräsidentin hat daher zu Recht darauf hingewie-sen, dass die Stadt inzwischen viel größer und dichter be-siedelt sei und Teile von Brisbane 2011 überschwemmtworden seien, die 1974 noch gar nicht existierten. Wir kön-nen nur hoffen, dass Australien die nötigen Lehren ziehtund nach der Katastrophe einen Wiederaufbau beginnt,der Risiken berücksichtigt und Katastrophenvorsorge alszentrale Komponente aufnimmt.

Pakistan, Haiti und Chile

Die massiven Überschwemmungen in Pakistan, die dasLand um viele Jahre in seiner Entwicklung zurückge-worfen haben, sind bereits wieder aus den Schlagzei-len verschwunden. Dennoch sind die Folgen derÜberflutungen für die Betroffenen allgegenwärtig undeinige Mitglieder des DKKV helfen den Menschen vorOrt und setzen Vorsorgemaßnahmen um.

Am 12. Januar 2011 jährte sich das Erdbeben in Haitizum ersten Mal. Der Wiederaufbau steht dort immernoch in den Anfängen. Besonders betroffen macht diezeitliche Nähe des Bebens in Haiti mit mehr als 220.000Toten und des Erdbebens in Chile, das – obwohl vongrößerer Stärke – wesentlich weniger Menschenlebenforderte und weniger Sachwerte zerstörte. Dies zeigt,wie eng die Verletzbarkeit einer Gesellschaft mit Armut,aber auch mit Regierungsführung und Regierungs-strukturen zusammenhängt – auch im Wiederaufbau.

Neues Engagement in Brüssel

Die Europäische Union nimmt sich mehr und mehr derPrävention und des Bevölkerungsschutzes an. Dieszeigt eine Vielzahl von Kommunikationen zum Europäi-schen Freiwilligenkorps, zur Stärkung des europäischen

Katastrophenschutzes, zum europäischen Konsenszur humanitären Hilfe und zahlreiche Projektaus-schreibungen in diesen Bereichen. Auch wenn Nach-richten aus Brüssel an den Ausruf des trojanischenPriesters Laokon „Traut nicht dem Pferd“ erinnern,müssen wir doch konstruktiv die Möglichkeiten Europaserschließen.

Klimawandel

Wir können heute nicht über Katastrophenvorsorgereden, ohne das Thema Klimawandel zu berühren. DieErgebnisse der letzten Vertragsstaatenkonferenz inMexiko Ende 2010 haben erstmalig die Anpassung andie negativen Auswirkungen des Klimawandels alsebenso wichtig wie die Minderung der CO2-Emissionenanerkannt. Aber immer noch unterschätzen viele denBeitrag, den die Katastrophenvorsorge in der Anpas-sung an den Klimawandel leisten kann. Das in Cancunbeschlossene Arbeitsprogramm und das Anpassungs-komitee bieten wichtige Ansatzpunkte für eine weitereEinbindung der Katastrophensorge, die das DKKV be-reits aktiv nutzt.

Diese Beispiele zeigen: besser hätte der Titel der heuti-gen Veranstaltung nicht gewählt werden können. Erstellt eine dringende Forderung dar: Neuer Umgangmit alten Naturgefahren! Das ist die notwendige Her-ausforderung der Katastrophenvorsorge für Gesell-schaft, Politik, Wissenschaft, Katastrophenschutz undKatastrophenhilfe, der wir uns stellen müssen. Nur ge-meinsam über die Grenzen von Disziplinen und Zu-ständigkeiten hinweg kann dies gelingen. Aus diesemGrund freue ich mich besonders, dass vier Ressorts derBundesregierung an dieser Veranstaltung teilnehmen.

Irmgard Schwaetzer Deutsches Komitee Katastrophenvorsorge DKKV

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V o r w o r t e

Nach 2002 findet das Forum des DKKV 2011 zum zwei-ten Mal beim Deutschen GeoForschungsZentrum GFZin Potsdam statt, mit dem das DKKV eine enge undsehr konstruktive Zusammenarbeit verbindet. Ich be-danke mich sehr für die Gastfreundschaft des GFZwährend des Forums und danke zudem den Conve-nern der fünf Sessions, die ein breit gefächertes Pro-gramm zusammengestellt haben, das den neuenUmgang mit alten Naturgefahren aus vielen unter-schiedlichen Perspektiven beleuchtet.

Des Weiteren gilt mein Dank dem Gesamtverband derdeutschen Versicherungswirtschaft, der auch in diesemJahr wieder einen Preis für die besten Beiträge vonNachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlernbeim DKKV-Forum gestiftet hat. Diese Auszeichnungerhielten James E. Daniell vom Karlsruher Institut fürTechnologie (KIT) und Sergiy Vorogushyn vom Deut-

schen GeoForschungsZentrum GFZ. Gratulation!

Mit dem DKKV-Forum 2011 beendete ich nach zehnJahren mein ehrenamtliches Engagement als DKKV-Vorsitzende. Ich werde der Katastrophenvorsorge wei-terhin verbunden sein und wünsche dem DKKV undmeinem Nachfolger Gerold Reichenbach alles Gute fürdie große Aufgabe, die noch vor Ihnen liegt.

Irmgard Schwaetzer

Vorsitzende (2001 - 2011)

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Die großen Katastrophen der jüngsten Vergangenheitführen uns vor Augen, dass wir uns immer wieder fragenmüssen: „Sind wir ausreichend vorbereitet? Können Na-tionalstaaten und die internationale Staatengemein-schaft Katastrophen angemessen bewältigen?“ InDeutschland ist der Bevölkerungsschutz mit dem Techni-schen Hilfswerk und dem Bundesamt für Bevölkerungs-schutz gut aufgestellt. Dies darf aber nicht dazu

verleiten, auf diesem Schutzniveau zu verweilen – auchin Deutschland steht der Bevölkerungsschutz immer wieder vor neuen Herausforderungen. So bewirkt etwader Klimawandel in unseren Breitengraden bislang unge-kannte Wetterextreme mit Stürmen und Hochwasser -ereignissen.

Die Sicherheitsrisiken für Industriegesellschaften sindkomplex und diffus. So können extreme Wetterbedin-gungen schnell die Verletzlichkeit unserer Gesellschafterhöhen, zum Beispiel wenn sie moderne Verkehrs -systeme wie die Bahn oder den Flugverkehr stören oderzu massiven Stromausfällen führen, wie im November2005 im Münsterland geschehen.

Es steht außer Frage, dass der Staat sowohl national alsauch international Ressourcen für den Schutz vor extre-men Wetterereignissen bereitstellen muss. Gleichzeitig giltes, die Bevölkerung auf mögliche Risiken vorzubereitenund sie davon zu überzeugen, dass auch sie ihren Beitragzur Vorsorge leisten muss, denn eine ausschließlich staat-liche Vorsorge greift zu kurz! Wir sind mit einer Situation

konfrontiert, in der das Risikobewusstsein der Menschengenerell viel zu gering ist. Zwar informieren sie sich inden Medien über Katastrophenereignisse, beziehen dieRisiken aber meist nicht auf sich selbst und treffen daherkeine ausreichenden Vorkehrungen für den Fall eines Extremereignisses.

Wenn wir die Gesellschaft auf den Umgang mit Kata-strophen vorbereiten, geht es im Kern darum, sie über Ri-siken zu informieren. Dabei ist das Spektrum an Gefahrenbreit und schließt Naturgefahren ebenso ein wie men-schengemachte Katastrophen und Störungen kritischerInfrastruktur. Das wichtigste Instrument zur Abschät-zung dieser Risiken ist und bleibt die Risikoanalyse. DieSchutzkommission beim Bundesministerium des Innernlegt der Bundesregierung regelmäßig eine umfassendeRisikoanalyse in Form eines Gefahrenberichts vor. Dieserbeinhaltet eine transparente Analyse der Eintrittswahr-scheinlichkeit und des Schadensausmaßes und stelltdamit eine belastbare Entscheidungsgrundlage.

Der Bevölkerungsschutz ist kein rein nationales Anliegen;er kann nur in bi- und multilateraler Zusammenarbeitsein umfassendes Mandat erfüllen. Entsprechend hat erauf europäischer Ebene erheblich an Bedeutung gewon-nen. Deutschland als ein Land in der Mitte Europas setztsich intensiv für europäische Schutzstandards und füreinen umfassenden Erfahrungsaustausch ein. So plantbeispielsweise das Bundesministerium des Innern ge-meinsam mit der EU-Kommission einen Workshop zu„Risikoabschätzung und Kartierung für den Bevölke-rungsschutz“, dessen Ergebnisse in die Richtlinien derEU zur Risikokartierung einfließen werden.

Aber auch national gilt es, Akteure aus Bund und Ländernmiteinander zu vernetzen. Im Katastrophenfall mussschnell erkennbar sein, welcher Akteur welche Fähig-keiten und welches Material in welchem Zeitraum be-reitstellen kann. Nur so kann Gefahrenabwehr gelingen.

Klaus-Dieter FritscheStaatssekretär

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Klaus-Dieter Fritsche Bundesministerium des Innern

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Die Großkatastrophen des Jahres 2010 in Haiti und Pa-kistan brachten die internationale Humanitäre Hilfe anihre Grenzen: Die finanziellen Ressourcen waren baldausgeschöpft, so dass die (staatlichen) Geber ihre Bud-gets überziehen mussten. Die Hilfskräfte der VereintenNationen und der Nichtregierungsorganisationen warenim (Dauer-)Einsatz, ohne alle Hilfsbedürftigen erreichenzu können. Und für UN-OCHA, das UN-Amt für die Koor-dinierung humanitärer Angelegenheiten, wurde klar,dass es das vor einigen Jahren selbst gesetzte Ziel, zweiGroßereignisse gleichzeitig bewältigen zu können, nurmit Mühe und unter Aufbietung aller Kräfte erreichte.

Gleichzeitig führten die Erfahrungen des Jahres 2010 zuder (eigentlich nicht neuen) Erkenntnis, wie notwendigKatastrophenvorsorge ist: Sie wird immer mehr als In-vestition gesehen, die das Ausmaß einer Katastrophe re-duzieren kann und dadurch den Bedarf an Nothilfevermindert. Diese Einsicht ist prinzipiell eine gute Ent-wicklung. Aber wie können wir die wachsende Zustim-mung zur Katastrophenvorsorge in politisches Handelnumsetzen? Dabei gilt es, zwischen der internationalenEbene, den von Naturereignissen betroffen Ländern undden Geberstaaten zu unterscheiden:

International treten immer mehr Akteure für die Kata-strophenvorsorge ein; der Ruf nach einem effektiverenWiederaufbau („Building back better“) mit integrierterKatastrophenvorsorge war 2010 auf diversen internatio-

nalen Konferenzen unüberhörbar. Die United NationsInternational Strategy for Disaster Reduction (UNISDR)startete ein Parlamentarierprogramm, das Abgeordnete,die sich der Katastrophenvorsorge verbunden fühlen,länderübergreifend zusammenbringt. Gleichzeitig för-dert UNISDR den Aufbau Nationaler Plattformen für Ka-tastrophenvorsorge in gefährdeten Ländern, zum Teilgefördert vom Auswärtigen Amt und unter aktiver Mit-hilfe des DKKV. Die Plattformen sollen helfen, dass dievon extremen Naturereignissen betroffenen Länder ver-mehrt in eigener Verantwortung Katastrophenvorsorgebetreiben und weniger darauf angewiesen sind, dassder Norden sie finanziell und fachlich unterstützt.

In den Geberländern kommt es insbesondere daraufan, mit innovativen Projekten zu überzeugen. Waruminnovative Projekte? Katastrophenvorsorge hat einKommunikationsproblem, wie das Auswärtige Amtimmer wieder feststellen muss: Es erhält viel positivesFeedback auf seine typischen gemeindebasierten Pro-jekte, die eine große Zahl von Menschen erreichen undgrundlegend in Hilfe zur Selbsthilfe schulen. Aberdiese Erfolge sind medial wenig attraktiv im Gegensatzzu Projekten mit eher technisch spektakulären Kompo-nenten wie etwas das Projekt zum Erosionsschutz aufdem Arno-Atoll.

Für das Auswärtige Amt ist es eine gute Investition, zehnProzent seines Etats für Humanitäre Hilfe für die Kata-

Session I: Keine Konsequenzen aus Katastrophen?Convener: Thorsten Klose (Deutsches Rotes Kreuz), Alexander Küsel (Gesamtverband der Deutschen Versiche-rungswirtschaft)

Erdbeben in Haiti mit über 220.000 Toten, Hochwasser in Europa, Feuersbrunst in Russland und Überschwemmungen in Pa-

kistan mit Millionen betroffenen Menschen. Diese Extremereignisse innerhalb kurzer Zeit drängen die Frage auf, wie be-

herrschbar extreme Naturereignisse sind. Welche Konsequenzen für die Vorsorge zogen zum Beispiel die Verantwortlichen aus

der Elbeflut 2002, dem Tsunami 2004 oder dem Hurrikan Kathrina 2005? Berücksichtigen die Planungen zum Wiederaufbau in

Haiti Vorsorgeaspekte? Welche Rolle spielen der Klimawandel und die Klimaanpassung in der Katastrophenvorsorge? Was

müssen wir dringend tun, damit der Katastrophenrückblick im Jahr 2020 weniger dramatisch ausfällt als im Jahr 2010?

Keynote: Katastrophenvorsorge – Bilanz und Perspektiven aus Sicht derHumanitären Hilfe> Volker Erhard (Auswärtiges Amt)

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strophenvorsorge zu reservieren. Dabei hat der Arbeits-stab Humanitäre Hilfe für 2011 Erdbebenprojekte zueinem Schwerpunkt seiner Projektförderung in der Kata-strophenvorsorge erklärt, der die beiden anderen Kern-bereiche Afghanistan und gefährdete Küstenregionenergänzt. Wir müssen uns zum Beispiel fragen, ob ein ver-stärkter Einsatz von Frühwarntechnik in Haiti Menschen-leben gerettet hätte. Die Technik ist vorhanden, bezahlbarund wurde auch schon angewandt.

Die Flutkatastrophe in Pakistan warf die Frage nach derRolle der Frühwarnung in Bezug auf den Klimawandelauf. Es hat sich gezeigt, dass die Frühwarnung sich vonder Fixierung auf Kurzfristereignisse, die noch ein Erbedes Tsunamis von 2004 ist, lösen muss. Dies war einwichtiges Ergebnis einer Studie und eines Symposiums,das das DKKV im September 2010 im Auftrag vonUNISDR in Bonn durchführte.

Um die Katastrophenvorsorge nachhaltig zu stärken, bedarf es Initiativen, die sich einsetzen für

> ein effizienteres ISDR-System mit gestärkter Autoritätder Sonderbeauftragten des UN-Generalsekretärs,

> eine engere Abstimmung zwischen Regierungsstellen,> einen verstärkten Kapazitäts- und Kompetenzaufbau

bei Projektimplementierern und Nichtregierungsor-ganisationen und

> eine stärkere Partizipation privater Akteure.

Spenden nach Naturkatastrophen

Die Spendenbereitschaft der Deutschen fürKatastrophen im Ausland ist sehr hoch. NachErdbeben, bei denen die Fernsehzuschauer un-mittelbar Bilder des Schreckens sehen, fließenin der Regel schneller Spenden als etwa bei derFlutkatastrophe in Pakistan, wo sich das dra-matische Ausmaß des Ereignisses erst nachund nach zeigte. Die deutschen Hilfsorgani-sationen haben bislang etwa 30 Prozent der2010 eingeworbenen Mittel ausgegeben. Diesliegt unter anderem an den begrenzten Kapa-zitäten der Partner vor Ort. Auch halten dieHilfsorganisationen einen Teil der Spenden fürdie längerfristige Katastrophenvorsorge undfür Wiederaufbau- und Entwicklungsprojektezurück.

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Die Schadensbilanz von extremen Naturereignissen inden vergangenen Jahrzehnten lässt darauf schließen,dass auch in Zukunft die Schäden weiter steigen wer-den. Hierzu tragen maßgeblich die sozio-ökonomischeEntwicklung sowie der prognostizierte Klimawandel bei.Um Schäden dennoch zu mindern, bedarf es signifikantverbesserter Risikoanalysen. Während in den vergange-nen Jahrzehnten die Gefahren, die von den extremenNaturereignissen ausgehen, immer genauer analysiertund modelliert werden konnten, sind für eine flächen-deckende und verlässliche Abschätzung von Schädenimmer noch erhebliche Forschungsanstrengungen er-forderlich. Eine derartige Schadensmodellierung ist aberdringend notwendig, zum Beispiel um

> die Schadensanfälligkeit etwa von Wohngebäuden zubeurteilen,

> über kosteneffiziente Schutz- und Vorsorgemaßnah-men zu entscheiden,

> das Risiko unterschiedlicher Naturereignisse wie Hoch-wasser oder Erdbeben vergleichen zu können und

> die Höhe von Schäden für Entschädigungszahlungenund Wiederaufbauhilfe zu taxieren.

Das EU-Projekt Costs of Natural Hazards (ConHaz;http://conhaz.org) verspricht hier Fortschritte: Es stelltMethoden, Datenquellen und die Terminologie zurAbschätzung von Schäden durch Naturkatastrophenzusammen, systematisiert diese und zeigt Gemeinsam-keiten und Unterschiede zwischen dem Vorgehen beiHochwasser, Dürre, alpinen Naturgefahren und Sturm-fluten auf. Zudem soll es „vorbildliche Verfahren“ebenso erfassen wie Wissenslücken und den weiterenForschungsbedarf.

Die Modellierung von Schäden ist auf eine solide Daten-basis angewiesen. In Deutschland erhoben Wissenschaft,Verwaltung und Versicherer in der Vergangenheit zu we-nige und nicht ausreichend detaillierte Schadensdaten,sodass die Datengrundlage für die Modellierung vonHochwasserschäden bislang schlecht war. Abhilfe schafftnun beispielsweise die internetbasierte DatenbankHOWAS 21 (http://nadine.helmholtz-eos.de/HOWAS21.html),die bereits mehr als 5.900 Schadensfälle durch Hoch-wasser enthält.

Um Schadensmodelle entwickeln zu können, ist es zudemerforderlich, dass die Daten aussagekräftig sind. Es reichtnicht aus, die Lage, die Höhe und den Zeitpunkt einesSchadens zu dokumentieren, entscheidend ist die zusätz-liche Erhebung schadenbeeinflussender Faktoren. BeiHochwasser sind dies beispielsweise die Einwirkungs-faktoren Wassertiefe, Dauer, Fließgeschwindigkeit undKontaminationen sowie die Widerstandsparameter Ge-bäudetyp, Qualität, Bauweise, Vorsorgemaßnahmen undFrühwarnung. Das Fehlen wichtiger Daten ist auch mitdafür verantwortlich, dass Schadensmodellierungen mitgroßen Unsicherheiten behaftet sind – und nur seltenwerden die Ergebnisse validiert. Die Fälle, in denen eineValidierung stattfand, zeigen, dass jene Modelle bessereSchätzungen von Schäden liefern, die mehrere Faktorenin die Berechnung einbeziehen.

Die Kosten von Naturgefahren: Modellierung direkter ökonomischer Schäden> Heidi Kreibich, Philip Bubeck (Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ)

Heidi Kreibich

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Ob und wie Katastrophenvorsorge zur Anpassung anden Klimawandel beitragen kann, wird in der Forschungderzeit viel diskutiert. Fest steht, dass eine zentrale Auf-gabe bei der Anpassung an den Klimawandel auchdarin besteht, die Vulnerabilität von Gesellschaftengegenüber möglichen oder bereits spürbaren Klima-veränderungen und sogenannten Extremereignissenzu reduzieren.

Dabei kann die Klimaforschung viel von den etabliertenMethoden und Instrumenten der Katastrophenvorsorgelernen: zum Beispiel müssen Risikoanalysen sowie dieFrühwarnung – beides Kernelemente der Katastrophen-vorsorge – fundamentale Bestandteile von Anpassungs-strategien sein. Auf der anderen Seite zeigt sich deutlichfür die Katastrophenvorsorge: Risikomanagement kannzukünftig nicht mehr funktionieren, wenn es den Klima-wandel nicht berücksichtigt.

Katastrophenvorsorge übernimmt Aufgaben der Anpas-sung, wenn sie lokale Kapazitäten stärkt, damit kleinereEreignisse, die durch den Klimawandel ausgelöst werden,vor Ort bewältigt werden können. Zudem bieten dieKatastrophenvorsorge und ihre Strukturen (wie nationalePlattformen, in denen zahlreiche unterschiedliche Akteureund Institutionen miteinander verbunden sind), wich-tige Ansatzpunkte und Hinweise für den Aufbau entspre-chender Strukturen für die Klimaanpassung. Des

Weiteren sind auch die Verknüpfung und die Entwick-lung von Synergien zwischen Katastrophenvorsorgeund Klimawandelanpassung im Bereich internationalerAbkommen wichtig. Beispielsweise sollten Abkommenauf internationaler und nationaler Ebene konkrete In-strumente und Strategien benennen, die die Synergienund Kooperation zwischen Katastrophenvorsorge undKlimawandelanpassung stärken.

Katastrophenvorsorge als Instrument zur Anpassung an den Klimawandel > Jörn Birkmann und Dunja Krause (United Nations University, Institute for Environment and Human Security)

Kurzfristige Warnung versus langfristige Vorsorge, um Schäden zu minimieren

Studien haben gezeigt, dass langfristige Maßnahmenzum Beispiel in der Bauvorsorge Schäden an Gebäudenund Inventar deutlich stärker reduzieren können als Früh-warnungen zum Beispiel vor nahenden Stürmen oderHochwasserereignissen. Kurzfristige Warnungen sindtrotzdem extrem wichtig, da sie helfen, Menschen in Si-cherheit zu bringen.

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Vieles spricht für eine engere Verknüp-fung von Katastrophenvorsorge und An-passung, aber es existieren auch diverseProbleme. Diese sind erstens räumlicherNatur, weil Katastrophenvorsorge primärlokal und ereignisbezogen agiert (z.B. imHinblick auf konkrete Hochwasserereig-nisse), während die Anpassung an denKlimawandel einen vornehmlich globa-len oder nationalen Fokus hat (globaleKlimamodelle, nationale Anpassungspro-gramme). Zeitlich weisen die beidenThemen unterschiedliche Horizonte auf:Anpassungsstrategien beziehen sich viel-fach auf längerfristige Zeithorizonte undProblemphänomene – mit entsprechen-den Unsicherheiten, wohingegen das Ka-tastrophenmanagement in der Tendenzeher auf aktuelle Ereignisse und Gefahrenund somit auf kurz- und mittelfristige Zeit-horizonte ausgerichtet ist. Es fällt zudemauf, dass die Katastrophenvorsorge institutionell vielfachim Bevölkerungsschutz verankert ist, der Klimawandelhingegen im Umweltbereich. Dies führte bisher nationalsowie international zu deutlichen Herausforderungen inder Koordination von Programmen und Aktivitäten. Des-halb ist es notwendig, dass Politik und Wissenschaft ausbeiden Bereichen stärker kooperieren und ihre Erkennt-nisse besser der anderen Seite vermitteln. Konkretkönnte eine bessere Zusammenarbeit bei der Datener-hebung, dem Informationsaustausch und der Sensibili-sierung der Bevölkerung stattfinden, beispielsweise inBezug auf Vulnerabilitäts-Assessments, Trainings, loka-len Resilienzprogramme und bei der Frühwarnung.

Für eine tatsächliche Integration müssen Katastrophen-vorsorge und Anpassung unter anderem folgende Kri-terien erfüllen:

> Erarbeitung eines integrativen und skalenübergreifen-den Rahmenkonzepts,

> gemeinsame Finanzierungsmechanismen,> nationale Strategien in besonders vulnerablen Ent-

wicklungsländern, die auf einem gemeinsamen Rah-menkonzept und auf guter Regierungsführungbasieren,

> Modifikation und Erweiterung von Risikoanalysen(Szenarien) und

> Multi-Hazard-Ansätze für Frühwarnsysteme.

Katastrophenvorsorge und Anpassung im UN-System

Auch wenn sich die Effektivität von Anpassungsmaßnahmen aufgrund ihrer Langfristigkeit kaum messen lässt, hatsie in den Klima-Kreisen eine wachsende Lobby. Lag der Fokus dort früher ausschließlich auf der Reduzierung desCO2-Ausstoßes, hat sich der inhaltliche Schwerpunkt inzwischen verschoben.

Während das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) international viel Beachtung findet, führt die International Strategy for Disaster Reduction (ISDR) bei den Vereinten Nationen eher ein Schattendasein.

Ein Hurrikan zerstört ein ganzes Dorf.

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Hohe Grundwasserstände stellen weltweit in vielenStädten ein großes Problem dar. Weil sie unsichtbarsind, ist ihr Gefahrenpotenzial nicht so offensichtlichwie jenes von Flusshochwassern. Zudem breiten siesich weiter aus und wirken immer noch, wenn diePegel der Flüsse schon längst wieder ihr normalesNiveau erreicht haben. Dennoch gibt es bislang nurwenige wissenschaftliche Untersuchungen überGrundhochwasser und die mit ihnen verbundenenSchäden. Die Folge: Grundhochwasserrisiken könnenoft nicht richtig eingeschätzt, notwendige Präventiv-maßnahmen nicht ergriffen werden. Es ist daher erfor-derlich, auch unterirdische Gefahrenpotentiale imRahmen von Risikoanalysen verlässlich abzuschätzen.

In Dresden hat das Hochwasser von 2002 die großflä-chigen Gefahren hoher Grundwasserspiegel als Teilder Hochwassergefahr offengelegt. Deshalb hat diesächsische Landeshauptstadt Dresden das ProjektMULTISURE initiiert. Es zielt darauf ab, Modelle zurAbschätzung von unterirdischen Risiken infolgeschnell steigenden Grundwassers am Beispiel vonDresden zu entwickeln. Unter anderem wurde dasam GFZ entwickelte HochwasserschadensmodellFLEMOps (Flood Loss Estimation MOdel for the pri-vate sector) an den Grundhochwasserfall angepasst.FLEMOps basiert auf empirischen Hochwasserscha-densdaten privater Haushalte, die im Nachgang desHochwasserereignisses von 2002 in den Einzugsge-bieten der Elbe und Donau erhoben wurden. Das re-gelbasierte Modell nutzt neben der Wassertiefe undden Vermögenswerten von Wohngebäuden, die proQuadratmeter vorliegen, zusätzliche Faktoren, dieden Schaden beeinflussen und nach denen innerhalbdes Schadensmodells differenziert wird. Darunterfällt zum Beispiel die Unterteilung in drei unter-schiedliche Gebäudetypen (Einfamilienhaus, Reihen-/Doppelhaus, Mehrfamilienhaus) sowie in zweiGebäudequalitätsstufen („schlechte bis mittlere“ und„sehr gute bis exklusive Ausstattung“). Die im MULTI-SURE-Projekt tätigen Wissenschaftler modellieren dieGrundhochwasserschäden an Wohngebäuden sowohl

für das Hochwasser von 2002 als auch für sechsGrundhochwasserszenarien (bezogen auf ein 100-jähr-liches Hochwasser am Elbe-Pegel Dresden).

Die validierten Ergebnisse dieser Modellierung zeigen,dass Grundhochwasserrisiken mit Schadenshöhenzwischen 5 und 65 Millionen Euro für die Stadt Dresdeneinen erheblichen Anteil am gesamten Hochwasser-schaden ausmachen können. Diese Situation verschärftsich durch die Tatsache, dass Elementarschadensversi-cherungen gegen Hochwasser jene durch Grundhoch-wasser verursachte Schäden nicht abdecken. Das Fazitdieser Modellierung: Es ist notwendig, Grundhoch-wasser in das Management von Hochwasserrisiken zuintegrieren.

Risikoanalyse von Grundhochwasserschadenspotenzialen an privatenWohngebäuden in Dresden > Sebastian Meyer (Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ)

Sebastian Meyer

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Angefangen vom großen Kanto-Erdbeben in Japan von1923 über das Beben von Northridge in Kalifornien(1994) bis zum Newcastle-Beben in Australien (1989):Wie lassen sich historische Erdbebenschäden so be-trachten, dass sie auch für heutige Erdbebenrisiken öko-nomisch belastbare Informationen liefern können?

Wenn wir die wirtschaftlichen Schäden vergangener Erd-beben in historischer Relation betrachten, wird ersichtlich,ob die Schäden durch Erdbeben tatsächlich kontinuierlichzunehmen oder ob sich lediglich die Wahrnehmung ver-ändert. Der Beantwortung dieser Frage dient unter ande-rem die Datenbank CATDAT. Sie betitelt die direkten undindirekten wirtschaftlichen Schäden von mehr als 6.500Erdbeben auf der ganzen Welt seit dem Jahr 1900, vondenen viele bislang in keiner Datenbank verfügbar waren.

Die Informationen über Schäden sind sehr häufig lücken-haft und weichen je nach Quelle erheblich voneinanderab, was ihre Bewertung erschwert: So beziffern die Quel-len zum Kanto-Beben von 1923 die Höhe der wirtschaft-lichen Schäden auf 600 bis 4.600 Millionen US-Dollar

(Werte für 1923). Die greifbaren Schäden wie zerstörteGebäude und Infrastruktur oder Ernteausfälle sind dabeinoch vergleichsweise einfach zu bemessen – bei dennicht-materiellen Schäden wie gesundheitliche Folgenoder kulturelle Wertverluste gestaltet es sich nochschwieriger, diese zu quantifizieren.

Um die Schäden vergleichbar zu machen, geht die Da-tenbank weit darüber hinaus, historische Schäden ledig-lich in heutige Währungen umzurechnen; stattdessenbemisst sie für 244 Länder die historischen Werte inBezug auf Einkommen, Baukosten, Produktivität der Ar-beitnehmer und andere Parameter zum Zeitpunkt desjeweiligen Bebens und generiert mit Hilfe dieses hybri-den Indexes einen Vergleichswert in heutigen US-Dollar.Die Datenbank stellt eindeutig klar, dass eine Anpas-sung historischer Daten basierend nur auf Inflation undVerbraucherpreis-Index die wirtschaftlichen Auswirkun-gen historischer Erdbeben erheblich unterschätzt.

Die Auswertung der Datenbank zeigt, dass das Spitak-Beben in Armenien 1988 die höchsten ökonomischen

Die Kosten historischer Erdbeben:Ökonomische Analyse der weltweiten Erdbebenschäden seit 1900> James E. Daniell (Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Center for Disaster Management and Risk Reduction

Technology (CEDIM))

Übertragbarkeit von Daten

Mit den im Rahmen des MULTISURE-Projekts ent-wickelten Modellen, gegebenenfalls mit entspre-chenden Anpassungen, können nun auch andereStädte und Regionen ihre individuellen Risikendurch Grundhochwasser abschätzen. Es muss je-doch berücksichtigt werden, dass eine Übertrag-barkeit der Modelle auf andere Regionen nicht ohneweiteres möglich ist und jeweils entsprechend gete-stet werden muss. Dies ist insbesondere der Fall, dadie der Modellierung zugrundeliegenden Daten vomElbehochwasser 2002 stammen.

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Durch Vorsorge langfristig Schäden reduzieren

Ist Katastrophenvorsorge fest in die Entwicklungszusammenarbeit integriert, haben auch die Länder des Südens miteinem Erdbebenrisiko eine langfristige Chance, die Schäden durch Erdbeben in ihrem Land zu reduzieren. Vorsorgekann nur national und lokal geschehen – zum Beispiel durch Verordnungen, die eine erdbebensichere Bauweise sicherstellen.

Schäden bezogen auf das nominale Bruttoinlandspro-dukt (BIP) hatte, die wirtschaftlichen Verluste beliefensich auf über 300 Prozent des BIP. Absolut betrachtetverursachte das Kanto-Beben von 1923 mit 204 Milliar-den US-Dollar (Werte für 2010) die höchsten Schäden.

Insgesamt verzeichnet CATDAT für die Zeit seit 1900 nureinen leichten Anstieg der globalen Erdbebenschädenpro Jahr und widerspricht somit gängigen Behauptungen,dass die Schäden durch Erdbeben in den vergangenenJahrzehnten dramatisch gestiegen seien.

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Erdbeben in Haiti (2010), Kanto (1923), Northridge (1994) und Pakistan (2005)

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Frühwarnsysteme gehören zu den effektivsten Metho-den der modernen Katastrophenvorsorge. Sie beobach-ten einerseits die Naturphänomene, von denen eineGefahr ausgehen kann (Monitoring), modellieren mögli-che Gefährdungsszenarien und beinhalten schließlichtechnische und praktische Verfahren, die konkrete War-nungen auslösen und Schutzmaßnahmen wie eine Eva-kuierung einleiten (Implementierung).

Das Projekt ILEWS (ILEWS = Integrative Landslide EarlyWarning Systems) entwickelt und implementiert ein sol-ches System derzeit für gravitative Massenbewegungenan einem gefährdeten Hang auf der Schwäbischen Alb.Integrativ heißt dabei, dass neben diversen Naturwissen-schaften auch Ingenieurs-, Sozial- und Gesellschafts-wissenschaften an der Entwicklung des Systemsbeteiligt sind. „Vom Sensor bis zur Handlungsempfeh-lung“ ist der wesentliche Leitgedanke und gleichzeitigdie zentrale Herausforderung des Projekts.

Trotz eines optimalen Einsatzes technischer Systeme istFrühwarnung häufig nicht erfolgreich. Eine Ursachehierfür: ihre gesellschaftliche Dimension wird zu oft ver-nachlässigt. Dies macht sich besonders bei der Imple-mentierung bemerkbar. Deshalb fasst das ILEWS-Projekt

die wichtigsten Inhalte einer erfolgreichen Implemen-tierung in Handlungsempfehlungen zusammen.

Für eine wirksame Implementierung ist demnach not-wendig, dass

> die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die be-teiligten Akteure, deren Wechselwirkungen und Be-dürfnisse und ihre unterschiedlichen Anforderungenbekannt sind,

> klare Verantwortlichkeiten existieren, > Frühwarnung in bestehende Rahmenbedingungen

eingebettet ist, und dass> Frühwarnung immer begleitend angelegt ist, also von

vornherein parallel zur technischen Entwicklung kon-zipiert wird.

Das ILEWS-Frühwarnsystem ist als Expertensystemkonstruiert, das menschliche Entscheidungen zwischendie Technik und das Auslösen des Alarms schaltet. ImZentrum des Systems steht eine Warnampel. Bei Über-schreiten eines festgeschriebenen (mit den beteiligtenAkteuren abgestimmten) Schwellenwertes schaltet dieAmpel von Grün auf Gelb. Die Experten erhalten per Tele-fon, SMS, Fax oder E-Mail diese Information und müssen

Session II: Anpassung beginnt vor OrtConvener: Uwe Schneidewind (Wuppertal-Institut), Torsten Schlurmann (Leibniz-Universität Hannover)

Die Anpassung an den Klimawandel erfordert komplexe Antworten von Wissenschaft, Politik und Praxis und stellt diese vor

große Herausforderungen. Für die Katastrophenvorsorge gilt es zum Beispiel, die Erkenntnisse unterschiedlicher Disziplinen

zu bündeln und sie dafür zu nutzen, umsetzbare und richtungssichere Entscheidungen zu treffen. Dieser Transfer zwischen

Wissenschaft und Praxis benötigt innovative Ansätze, damit aktuelle natur-, wirtschafts‐ und sozialwissenschaftliche

Erkenntnisse in den politischen Prozess einfließen können. Technologien der Katastrophenvorsorge finden ihre Anwendung

immer vor Ort, weshalb ein Transfer „nur mit Betriebsanleitung“ nicht der richtige Weg sein kann. Ohne Governance-Struk-

turen, Ownership und Wissen vor Ort kann der notwendige Bottom-up-Ansatz des Risikomanagements nicht funktionieren.

Wie stellt sich daher die Implementierung von Anpassungsmöglichkeiten vor Ort dar? Wie lassen sich die mit Unsicherheiten

behafteten Ergebnisse und Perspektiven unterschiedlicher Disziplinen zusammenbringen und so formulieren, dass sie im

politischen Prozess verwendet werden können? Wie treffen die Akteure vor Ort ihre Entscheidungen und welche Informa-

tionen benötigen sie hierzu?

Frühwarnung und Gesellschaft – Herausforderungen bei der Implementierung eines integrativen Frühwarnsystems> Julia Mayer (Universität Bonn)

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den Systemstatus überprüfen. In ihrer Hand liegt es,einen Fehlalarm festzustellen und das System auf Grünzurückzusetzen oder alternativ mit einer Schaltung aufRot den Alarm auszulösen. Im Falle der Schaltung aufRot erhalten sie weitere Handlungsanweisungen, bei-spielsweise das Aufrufen des Katastrophenschutzplans.

Ob eine Frühwarnung erfolgreich ist oder nicht, hängtwesentlich davon ab, wie die Entscheidung getroffenwird, den Alarm auszulösen. Wichtig ist dabei, dass esklare Entscheidungsstrukturen gibt: Wer hat welche Auf-gabe und Verantwortung im Entscheidungsprozess?Genau hier liegt beim Fallbeispiel auf der SchwäbischenAlb das Problem: Es ist nicht eindeutig, wer die zuständi-gen Experten sind und wer damit die Entscheidung überdie Warnung trifft. Für die verschiedenen Phasen derFrühwarnung existieren unterschiedliche Zuständigkei-ten: Für die Vorsorgephase, in die die Gestaltung desFrühwarnsystems fällt, gibt es keine klar definierten Zu-ständigkeiten. Der Einsatz des Systems fällt hingegen indie Vorbereitungsphase und damit in die Verantwortungdes Katastrophenschutzes mit eindeutigen Kommunika-tionswegen und Pflichten.

Solange es keine institutionalisierten Rahmenbedingun-gen gibt, gilt es, vor Ort immer wieder eine für die lokaleSituation passende Lösung zu finden, denn lokale Risiko-

kulturen sowie Entscheidungs- und Verantwortungs-strukturen sind nicht von einer Gemeinde auf die andereübertragbar. Unter Umständen muss an dieser Stelle einklassischer Projektablauf umgekehrt werden: den Fokusnicht nur auf den Aufbau von Frühwarnsystemen rich-ten, sondern an der politischen Gestaltung von institu-tionellen und rechtlichen Strukturen mitwirken.

Alternative Strategien im Küstenschutz für die Anpassung an denKlimawandel> Hanz-Dieter Niemeyer (NLWKN-Forschungsstelle Küste, Norden-Norderney)

Die deutschen Küsten schützen wir heute traditionell lini-enhaft mit Deichen. Der prognostizierte Klimawandeldrängt aber die Frage auf, ob es hierzu Alternativen gibt,die den Szenarien eines Klimawandels in Projektionenzum Beispiel für 2030, 2070 und 2100 besser gewachsensind. Derartige Alternativen für die Ems-Dollart-Regionuntersucht im KLIFF-Programm des NiedersächsischenMinisteriums für Wissenschaft und Kultur das ProgrammA-KÜST mit einer Gruppe von Forschungsinstitutionen.

Der Intergovernmetal Panel on Climate Change (IPCC)prognostiziert, dass bis zum Jahr 2100 der Meeresspie-

gel zwischen 200 und 600 Millimeter ansteigen wird.Diese große Unsicherheit macht es notwendig, dasProblem in unterschiedlichen Szenarien anzugehen.Dass sich Anpassung lohnen wird, hat die EU-Kommis-sion 2007 berechnet: Die Gesamtkosten, die mit demAnstieg des Meeresspiegels verbunden sind, werdensehr viel höher ausfallen, wenn keine Anpassung statt-findet. Anpassungsstrategien dürfen sich aber nicht alleinauf die Höhe des Meeresspiegels konzentrieren – auchandere Belastungsänderungen durch den Klimawandelgilt es zu beachten: Zum Beispiel ist zu erwarten, dasses zu stärkeren Seegangsbelastungen und zu höheren

Der ILEWS-Untersuchungshang auf der Schwäbischen Alb

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Wellenüberläufen an den Deichen kommt, die wiederumRutschungen der Deichbinnenböschungen zur Folgehaben können.

Der Meeresspiegel steigt langsam an, weshalb keinschneller und wohlmöglich unüberlegter Aktionismusnotwendig ist. Um sich auf einen Anstieg vorzubereiten,stehen – abhängig von der Anstiegsrate – mehrere Jahr-zehnte zur Verfügung. Aber auch Anpassung benötigtZeit!

Im Programm A-KÜST regionalisieren Wissenschaftlerdie Ergebnisse von Klimamodellen für die Nordsee undspeisen sie in Wind-, Tide- und Seegangsmodelle ein.Nach weiterer Verarbeitung steht schließlich eine wirk-lichkeitsgerechte Datengrundlage für die unterschied-lichen Zeitrahmen und Szenarien zur Verfügung, umfolgende strategische Alternativen auf ihre Eignungzum linienhaften Schutz der Küste hin zu untersuchen:

> Rückzug

> Anpassung

> Schutz-Rückdeichung

> Schutz-Anpassung

Weil alle Strategien wirklichkeitsnah geplant und fürdie gleichen Sturmflut- und Seegangsszenarien unter-sucht werden, liefert das Programm eine gute Grundlage,um die Strategien dahingehend zu bewerten, ob siegrundsätzlich eine geeignete Alternative sind und wiesich ihr potenzieller wirtschaftlicher Aufwand darstellt.

Bislang hat das Programm alle wesentlichen Fragen zuden Auswirkungen von Klimaänderungen auf den Küs-tenschutz identifiziert und in konkrete, zielgerichteteForschungsansätze transferiert. Es hat sich bereits ge-zeigt, dass bisherige Untersuchungen mit einemhohen Abstraktionsgrad für die Problemstellung deskonkreten Insel- und Küstenschutzes unzureichendsind und sogar zu falschen Schlussfolgerungen bei derWahl der richtigen Strategie führen.

Die Forschungsergebnisse werden in Zukunft belast-bare und aussagekräftige Planungsgrundlagen für denKüstenschutz liefern, die die Wissenschaftler mit denBetroffenen eingehend diskutieren und abgleichenwerden.

Föderalismus und Küstenschutz

Niedersachsen und Schleswig-Holstein gehen un-terschiedlich mit der Bemessung von Küsten-schutzanlagen um. Während Schleswig-Holsteineine wahrscheinlichkeitstheoretische Wieder-kehrperiode von 200 Jahren für Sturmflutereig-nisse einplant, entspricht die deterministischeBerechnung in Niedersachsen einem Wiederkehr-intervall von 4000 Jahren für die Ausbildung- undPrüfungsvorschrift. Bereits heute haben Nieder-sachsen und Bremen das Vorsorgemaß bei derHöhe von Deichen auf 50 Zentimeter erhöht. Nie-dersachsen, Hamburg und Schleswig-Holsteinüberprüfen die Sicherheit ihrer Küstenschutzwerkealle zehn Jahre.

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Rückzug

Anpassung

Schutz-Rückdeichung

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Bei extremen Hochwasserereignissen helfen Polder, diedurch hohe Wasserstände verursachten Schäden zubegrenzen. Polder sind ausgewiesene Gebiete, die beiBedarf geflutet werden, was den Wasserstand einesFlusses reduziert. Bei der Planung und Ausweisung vonPolderflächen ist in der Regel ausschlaggebend, wie sieden Wasserstand des Flusses verringern können. Dabeiwird aber übersehen, dass insbesondere auch die Sta-bilität der Deiche im Unterlauf eine entscheidendeRolle im System der Fluss-Deich-Überflutungsflächenspielen kann. Es ist daher nur möglich, die Effizienzeines Polders richtig zu beurteilen, wenn man Verände-rungen des Gesamtrisikos für die Flussstrecke berück-sichtigt.

Deichbrüche sind nicht vorhersehbar. Aber es ist not-wendig, das Wissen über ihren Ablauf in Risikoanalyseneinzubeziehen. Nach dem Elbe-Hochwasser 2002 mitdramatischen Deichbrüchen sind an der mittleren Elbediverse neue Polder geplant. Mit Hilfe eines komplexenprobabilistisch-deterministischen Modells untersuchtedas Deutsche GeoForschungsZentrum beispielhaft dieEffizienz eines der geplanten Polder für extreme Szena-rien (von 100- bis 1000-jährlichem Hochwasser). DerFokus der Analyse lag auf den Änderungen der Bruch-wahrscheinlichkeiten von Deichen nach dem Einsatzvon Poldern sowie auf den Veränderungen in denÜberflutungsflächen. Dafür wurden für jede Jährlich-keit über 500 Karten mit Überflutungsmustern erstellt,die durch verschiedene Hochwasserwellen und räum-liche Verteilung simulierter Deichbrüche zustandekamen. Diese Überflutungsmuster wurden zusammen-gefasst und mit Wahrscheinlichkeiten des Auftretensversehen.

In einem nächsten Schritt schätzte das Forschungsteamdie Schäden bei Privathaushalten und bei der Landwirt-schaft mit Hilfe verschiedener Schadensmodelle ab undverglich systematisch die Unsicherheiten bei der Ab-schätzung von Gefährdungen und Schäden. Für denausgewählten Polder zeigte sich trotz erheblicher Un-

sicherheiten: Er reduziert die Schäden der privaten Haus-halte wesentlich mehr als er mit der Flutung von Flächenzusätzliche Schäden für die Landwirtschaft schafft.Dies spricht eindeutig für die Effizienz des Polders.

Der Nutzen dieser Untersuchung geht aber weit überden eigentlich untersuchten Polder hinaus: Die hierangewandte Methodik lässt sich gut auch für andereeingedeichte Flussstrecken anwenden und ermöglichtes dort, potenzielle Hochwasserschutzmaßnahmen zubewerten.

Hochwasserschutzmaßnahmen: weniger Deichbrüche, geringeres Hochwasserrisiko

> Sergiy Vorogushyn (Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ)

Sergiy Vorogushyn

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Technischer Hochwasserschutz hat seine Grenzen. Daherherrscht theoretisch ein breiter Konsens, dass weiterge-hende Vorsorge vor Hochwasser notwendig ist. Dochbeim nächsten Hochwasserereignis sind die Betroffenenwieder von der Gewalt und dem Ausmaß der Flutenüberrascht, und es zeigt sich, dass die nicht-technischeHochwasservorsorge immer noch zu häufig vernach-lässigt wird. Teils fehlt es am lokalen Verantwortungsbe-wusstsein, teils an erprobten Lösungen und Strategien.

Hier setzt das Hochwasser-Audit an: Es zeigt für konkreteRäume den Status der ergänzenden nicht-baulichen

Hochwasservorsorge auf und gibt damit den Beteiligtendie Möglichkeit, hierüber Rechenschaft abzulegen undfach- und zuständigkeitsübergreifend Konsequenzen zuziehen – ohne dass vorher ein Schadenshochwasser dieDefizite aufgezeigt hat. Das Audit lebt von der Initiativeund der Erfahrung aller Mitwirkenden, den Auditoren,den Entscheidungsträgern und den von Hochwasser tat-sächlich oder potenziell Betroffenen selbst.

Das Audit wendet sich an kommunale Gebietskörper-schaften, Wasserverbände oder andere regional abge-grenzte Verantwortungsgemeinschaften. Es beschränktsich auf die vorbereitende Auseinandersetzung mit denFolgen von Flusshochwasser und Sturzfluten. Überregio-nale Schutzkonzepte und die Folgen von Küstenhoch-wasser werden nicht bewertet. Insbesondere Risiken ausSturzfluten, verursacht durch extreme räumlich eng be-grenzte Starkregenereignisse, sind bisher kaum in dieörtliche Risikodiskussion eingegangen, obwohl die lang-jährige Erfahrung der deutschen Versicherungswirtschaftbelegt, dass die Hälfte der Hochwasserschäden aus der-artigen lokalen Extremhochwassern herrührt. EbenfallsTeil der Bewertung sind die Auswirkungen des Druckan-stieges im Grundwasser infolge von Hochwasser.

Inhaltlich konzentriert sich das Audit darauf, lokal zu ver-antwortende Maßnahmen der nicht-technischen Hoch-wasservorsorge zu bewerten – gegliedert nach den vonder Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA)

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Daten als Grundlage, um das Risiko eines Deichbruchs zu minimieren

Weil jeder Fluss mit seinen Deichen und Poldern ein individuelles System darstellt, sind Daten über jeden einzelnenDeich notwendig, will man das Modell in anderen Regionen anwenden. So liegen den Fragilitätskurven zumDeichbruch etwa Informationen zur Deichgeometrie und Werte zur Durchlässigkeit der Deiche zugrunde. Im Gegen-satz zu Großbritannien existiert in Deutschland keine zentrale Datenbank, in der Informationen zu Deichen gesam-melt werden. Die Daten lagern in unterschiedlichen Institutionen und sind häufig nur als analoge Zeichnungenverfügbar.

Audit „Hochwasser – wie gut sind wir vorbereitet?“> Britta Wöllecke (Düsseldorf)

Technischer Hochwasserschutz hat seine Grenzen

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definierten Bereichen Flächenvorsorge, natürlicherWasserrückhalt, Bauvorsorge, Risikovorsorge, örtlicheGefahrenabwehr, Verhaltensvorsorge und Informations-vorsorge.

Das Audit „Hochwasser – wie gut sind wir vorbereitet“ istein Angebot der Deutschen Vereinigung für Wasserwirt-schaft, Abwasser und Abfall e.V. (DWA). In der Verant-wortung der DWA liegt auch die Auswahl, Schulung undAkkreditierung der Auditoren. Sie sind Experten aus derIngenieurspraxis, aus Verbänden, Verwaltung und vonHochschulen, die auf gemeinsame Bewertungsmaßstäbeverpflichtet werden.

Ein derartiges Audit-Angebot benötigt Zeit, um im Be-wusstsein der Akteure den Stellenwert zu erhalten, dersie zur Annahme eines solchen Angebots veranlasst.Die Vorteile, an diesem Audit teilzunehmen, liegendarin, dass sich Mittel gezielter einsetzen lassen undvielfach mit bescheidenem Aufwand deutliche Ver-besserungen im Vorsorgestatus einstellen. „WirksameSchadenminderung durch verbesserte Hochwasser-vorsorge“ ist das beste Argument für einen bezahlbarenVersicherungsschutz und letztlich kann eine erfolg-reiche Auditierung ein positives Standortmerkmal dar-stellen.

Die Auftraggeber eines Audits

Die Haushaltslage der meisten Kommunen ist angespannt und bietet oft kaum Möglichkeiten, Mittel für ein Hoch-wasser-Audit bereitzustellen. Dennoch haben viele kommunale Ämter ein großes Interesse am Audit: Sie versprechensich davon, dass Vorsorgemängel deutlich angeprangert werden und sie so den politischen Druck für eine verbesserteVorsorge erhöhen können.

Es ist sinnvoll, das Audit über Kommunen- und Kreisgrenzen hinaus zu beauftragen, weil somit Vorsorgemaßnahmen,die über diese Verwaltungsgrenzen hinausgehen, auch berücksichtigt werden können. Dennoch ist das Audit für klei-nere Gewässerabschnitte ausgelegt und eignet sich nicht für die Untersuchung langer Flussverläufe.

Eine strukturierte Wissensbasis für lokale Anpassung> Dominik E. Reusser (Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK))

Mit den Strategien zur Anpassung an den Klimawandelbefassen sich in der Regel primär die nationale und in-ternationale Politik. Die Folgen und Risiken des Klima-wandels sind aber regional und lokal spürbar, weshalbeffiziente Anpassungsstrategien auf dieser Ebene an-setzen müssen.

Weltweit gibt es unzählige Anpassungsprojekte mit zumTeil sehr kreativen und innovativen Ansätzen, die fürandere Projekte nachahmenswert wären. Um in derKlimaanpassung voneinander lernen zu können, gilt es,Informationen und Wissen zu sammeln, zu interpretierenund in einen passenden Kontext einzubinden. Eine

strukturierte Wissensplattform für Anpassungsmaßnah-men ist somit hilfreich, um die Diskussionen und regio-nalen Entscheidungen zu fördern. Neben einigen anderenPlattformen ist es Ziel der internetbasierten und interakti-ven Plattform ci:grasp, Anpassungsprojekte systematischzu katalogisieren und sie in einem klimarelevanten undgeografischen Kontext darzustellen. Wichtig ist dabei,Verbindungen und Ähnlichkeiten von Projekten aufzu-zeigen und die Informationen für regionale Entschei-dungsträger zu vereinfachen und zu visualisieren.

Ci:grasp basiert sowohl auf einem bottom-up als auch aufeinem top-down-Ansatz, damit Wissenschaft und Praxis

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voneinander profitieren können. Eine Schlüsselkompo-nente von ci:grasp sind Wirkungsketten, an deren Anfangein klimatischer Stimulus steht, der sich durch ein ganzesSystem weiter fortentwickelt. So führt etwa ein Anstiegdes Meeresspiegels zum Verlust von Feuchtgebieten,was wiederum eine Reduzierung landwirtschaftlicherProduktion zur Folge hat. Diese kann wiederum die Er-nährungsgrundlage der Bevölkerung beeinträchtigenoder gar gefährden. Derartige Ketten besitzen eine glo-bale Gültigkeit, solange der Kontext vergleichbar ist. Aufder anderen Seite zielen lokale Anpassungsmaßnahmenauf bestimmte Wirkungen im System, die Wirkungskettenkonkret darstellen können. Ein Klassifikationssystem er-möglicht es dem System, Ansätze zur Anpassung voneinem Projekt auf andere zu transferieren.

Ein interaktiver Kartenservice stellt über 1.000 Karten zuKlimastimuli, Wirkungen und Emissionen zur Verfügung.

Dominik E. Reusser

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Ownership und Qualitätssicherung

Derzeit werden mehr Projekte aus dem Süden in ci:grasp eingespeist als aus dem Norden. Hierzu trägt die intensive Ko-operation mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) bei, die durch ihre entwicklungs-politischen Aktivitäten über viele Zugänge zu Projektverantwortlichen verfügt. Nachdem ein Projekt in die Datenbankeingetragen wurde, erfolgt erst eine Prüfung der Informationen, bevor der Eintrag freigeschaltet wird.

Soziale Fähigkeiten im Umgang mit Naturrisiken in Europa: Befunde und Forschungsbedarf> Annett Steinführer (Johann Heinrich von Thünen-Institut, Braunschweig)

Capacity Building ist ein Konzept, das vorwiegend in derinternationalen Entwicklungszusammenarbeit genutztwird. Es dient dazu, die Fähigkeiten von Menschen undOrganisationen so zu stärken, dass sie ihre eigenen Ent-wicklungsmöglichkeiten verbessern können. Für denUmgang mit Naturrisiken in Europa spielt Capacity Buil-ding bislang kaum eine Rolle: Welche und wessen Fähig-keiten und Potenziale notwendig sind, um angemessenmit Naturgefahren und ihren negativen Konsequenzenumzugehen, bleibt zu häufig unklar und wird zu wenig

wissenschaftlich untersucht. Das EU-finanzierte ProjektCapHaz-Net (Social Capacity Building for Natural Hazards.Toward More Resilient Societies) will hier Abhilfe schaffen.Es verwendet bewusst das Konzept Social Capacity Buil-ding, um auf die sozialen und gesellschaftlichen Di-mensionen des Prozesses aufmerksam zu machen.CapHaz-Nets explizites Forschungsinteresse liegt imeuropäischen Raum, wo die Entwicklung individuellerund institutioneller Fähigkeiten im Umgang mit Natur-risiken an bestehende Prozesse des Risikomanagements,

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der Bewusstseinsbildung sowie der Vor- und Nachsorgeanzubinden ist und somit in einer anderen Tradition alsin der Entwicklungszusammenarbeit steht.

Die Notwendigkeit, soziale Fähigkeiten im Umgang mitNaturrisiken aufzubauen und weiterzuentwickeln, zeigtsich am deutlichsten im mangelnden Risikobewusstseinder Bevölkerung, in fehlenden individuellen und institu-tionellen Kompetenzen in der Risikokommunikation,unklaren und sich ändernden Verantwortlichkeiten imZuge einer neuen Risikogovernance, in Defiziten bei derUmweltbildung sowie in der sozialen Verwundbarkeitvon Individuen, Organisationen, Gemeinden und sozia-len Gruppen.

Social Capacity Building für den Umgang mit Naturrisiken– ein langfristiger, kontinuierlicher und skalenübergrei-fender Lernprozess – muss sich mit folgenden Kernkom-petenzen befassen:

> Informationen und Wissen über allgemeine und konkrete lokale Naturrisiken,

> die Motivation, sich mit dem Thema zu befassen und es als relevant anzusehen,

> soziales Kapital in Form von Netzwerken und Vertrauen,

> ökonomisches Kapital,> prozessbezogene Fähigkeiten, um das Wissen in die

richtigen Aktivitäten umzusetzen und> institutionelle Kapazitäten wie

Partizipation und Fairness.

Die breite Literatursichtung, die vomCapHaz-Net-Konsortium bislang vorge-nommen wurde, ergab, dass im europäi-schen Risikomanagement ein klarerSchwerpunkt auf der Informations- undWissensvermittlung liegt. Doch insbeson-dere das nachweisbare Bedürfnis nachVertrauen, Einbindung und kontinuierli-cher Information verlangt, dass alle betei-ligten Akteure kognitive, emotionale undprozessbezogene Kompetenzen entwi-ckeln, über die sie bislang nicht verfügen.Daher ist es notwendig, dass die zahlrei-chen Akteure des Risikomanagements mitihren unterschiedlichen Fähigkeiten,

Machtpotenzialen und Interessen intensiv beachtet undin ihren Interaktionen untersucht werden. Sie sind eineheterogene Gruppe von privaten, individuellen Akteureneinerseits und von korporativen Akteuren (wie öffentli-chen und privaten Organisationen) andererseits, diealle – bewusst oder unbewusst – dasselbe Ziel verfol-gen: die negativen Folgen von Naturereignissen für dieMenschen zu reduzieren.

Social Capacity Building ist ein Lernprozess in vierSchritten:

1. Definition der Defizite (z. B. in Bezug auf soziale Verwundbarkeit und Risikowahrnehmung),

2. Zieldefinition (z. B. soziale Resilienz), 3. Klärung der zu beteiligenden Akteure und der Pro-

zessregeln (im Sinne von Risiko-Governance), sowie 4. eine Einigung über den Weg und die Mittel zur Zieler-

reichung (wie sie beispielsweise Umweltbildung undRisikokommunikation darstellen).

Das Projekt, an dem auch das DKKV aktiv beteiligt ist,setzt sich in seiner aktuellen zweiten Phase, die bis Mai2012 dauert, mit dem Social Capacity Buildung für regio-nale Naturgefahren (Hitzewellen, Dürren, Waldbrände,alpine Naturgefahren und Flusshochwasser) in konkreteneuropäischen Beispielregionen auseinander.

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Annett Steinführer

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In Potsdam etablierten 2009 einige wissenschaftlicheEinrichtungen im Rahmen des Programms „Spitzenfor-schung und Innovation in den Neuen Ländern" einenneuen Forschungs- und Technologieverbund für Natur-gefahren, Klimawandel und Nachhaltigkeit (PROGRESS).Das Ziel: mit neuen Technologien und Methoden Natur-gefahren wie Erdbeben, Überschwemmungen oder Tsunamis schneller erkennen und besser einschätzenkönnen. Das Projekt nutzt die Möglichkeiten der Daten-aufbereitung und Wissenskommunikation, damit der In-formationstransfer in Richtung Politik und Gesellschaftnoch intelligenter funktioniert – denn hier befinden sichdie Entscheidungsträger für Katastrophenvorsorge undKatastrophenschutz.

Die bisherige Erfahrung hat immer wieder gezeigt: Esreicht nicht, das Interesse primär auf technische Aspektewie hochauflösende Aufnahmesysteme (z.B. Fernerkun-dung oder Seismologie) zu richten – Vorhersagemodelleund Antworten auf Naturkatastrophen müssen auch Er-kenntnisse der Sozialwissenschaften mit berücksichtigen,zum Beispiel die Regierungsstrukturen in gefährdeten

Ländern betrachten oder in ausgewählten Regionen klä-ren, welche Vulnerabilitäten für Gesellschaft und Natur-raum bestehen, wie Gesellschaften Risiken wahrnehmenund wie für betroffene Systeme Resilienz hergestellt

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Neue Wege in der Bewertung von Naturgefahren und Risiken> Manfred Strecker (Universität Potsdam)

Manfred Strecker

Die Menschen mit ihrer Gefährdung konfrontieren

Insbesondere bei der Katastrophenvorsorge ist essinnvoll, die von Naturgefahren bedrohten Men-schen mit den Gefahren zu konfrontieren. Zwarhaben sie viele andere Ängste und Sorgen, könnenaber mit recht wenig Aufwand ihr Risiko gegenüberNaturgefahren reduzieren, zumindest in gewissemMaße. Es besteht allerdings die Gefahr, die Bevöl-kerung zu sehr in die Pflicht zu nehmen, weil die öffentliche Hand ihrer Schutzverpflichtung nichtnachkommen kann. Auf der anderen Seite müssensich die Menschen von der unrealistischen Vorstel-lung verabschieden, der Staat könne sie vor jed -weder Gefahr schützen.

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werden kann. Die Aufgaben von PROGRESS liegen daherim Geomonitoring ebenso wie in Gefährdungs- und Risi-koanalysen und schließen auch die weiteren Schritte inRichtung Informationstransfer und Prävention mit ein:PROGRESS bereitet Ergebnisse geowissenschaftlicherForschung so auf, dass sie für die Beratung und Weiter-bildung politischer und administrativer Entscheidungs-träger gut nutzbar sind.

Wiederkehrende räumlich-zeitliche Prozessmuster, diemit Naturgefahren einhergehen und unsere Umweltund Lebensverhältnisse nachhaltig beeinflussen, ver-langen von der Forschung erheblich mehr Aufmerk-samkeit. Dabei sind Entwicklungen wie der Klimawandellangfristig, während zum Beispiel Vulkane zu einembestimmten Zeitpunkt ausbrechen, was aber immerwieder in bestimmten Zeitabständen geschehen kann.Die Verbesserung von Gefährdungsanalysen ist nebendem Verständnis der Wahrscheinlichkeiten des Auftre-tens eine der wesentlichen Herausforderungen. Wennwir extreme Naturereignisse unter zeitlichen Aspektengenauer untersuchen und zum Beispiel die genaueLokalisierung und Bruchausbreitung starker Erdbebenbesser erforschen, können wir Rückschlüsse auf denSpannungszustand an benachbarten Störungssystemenziehen sowie zukünftige mögliche Nachbeben bewer-ten. Zudem ist es zwingend notwendig, Prozesse vordem Hintergrund langer Zeitskalen (historische Ereig-nisse und Zeitskalen von mehreren 103 Jahren) daraufhin zu untersuchen, welche Folgerungen wir aus ihremVerlauf für heutige Extremereignisse ziehen können.

Das Erdbeben von Chile im Jahr 2010 ist hier besondersinteressant, weil über rezente Messungen und historischeAufzeichnungen des großen Erdbebens von Concepcíonim Jahre 1835 durch Charles Darwin ein vollständigerErdbebenzyklus dokumentiert ist. In Zukunft wird esdaher wichtig sein, diesen Beobachtungszeitraum zuvergrößern.

Satellitengestützte Analyseverfahren atmosphärischerParameter werden in Potsdam weiterentwickelt, umetwa die Niederschlagsverteilung in sensiblen Gebirgs-regionen zu bestimmen. Aus den gewonnenen Datenlassen sich Rückschlüsse auf die Variabilität und Intensi-tät von Starkregenereignissen und deren Konsequenzenziehen, wie mögliche Überflutungen oder Erdrutsche.Auch hier wird an der Untersuchungsregion Himalaja/Zentralasien versucht, den Zeitraum instrumentellerAufzeichnungen über Geländebefunde (z.B. Bergsturz-ablagerungen) und radiometrische Datierungen zuerweitern und auf diese Weise mögliche Wechselwir-kungen und Telekonnektionen zwischen Veränderungenin den Zirkulationssystemen und damit verbundenenNiederschlagsänderungen (El Niño/Southern Oscillation(ENSO) und Indischer Sommermonsun) zu ergründen.

Als erste Ergebnisse hat der Forschungsverbund integra-tive Untersuchungsmethoden zum Gletscherverhaltenin Hochgebirgen Zentral- und Südostasiens etabliertund neue Trainings- und Ausbildungsmodule für zu-künftige Entscheidungsträger am Potsdam Center for Politics and Management (PCPM) entwickelt.

Die Herausforderungen der Interdisziplinarität

Es steht außer Frage, dass eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine ganzheitliche Katastrophenvorsorge dieVernetzung unterschiedlicher Disziplinen darstellt. Dies gilt für die Forschung ebenso wie für die Umsetzung. Doch inder Forschungspraxis funktioniert die Kooperation von Erd- und Sozialwissenschaften nicht immer reibungslos: Angefangen bei unterschiedlichen Gepflogenheiten des Publizierens bis zu verschiedenen Kommunikationsstilen reichen die Konfliktpotenziale. Und wenn noch die Praktiker der Umsetzung mit in ein Projekt aufgenommen werden,gestaltet sich die Zusammenarbeit noch schwieriger. Und doch gelingt die Kooperation, weil alle dasselbe Ziel vorAugen haben: Die Menschen in gefährdeten Regionen auf den Weg der Anpassung bringen und damit Risiken redu-zieren und Schäden vermeiden.

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In der Vergangenheit führten verschiedene Wetterphäno-mene immer wieder zu Unfällen in der zivilen Luftfahrt.Die Lehren aus diesen Unglücken sind gezogen, die Luft-fahrttechnologien entwickeln sich kontinuierlich weiter.Und trotzdem sind die Wettergefahren für die Luftfahrtnicht zu unterschätzen.

Flugzeuge sind so konstruiert und entsprechend zertifi-ziert, dass sie unter extremen Wetterbedingungen fliegenkönnen. Testflüge unter solch extremen Bedingungengeben zum Beispiel Aufschluss über den Stand der Sicher-heit und Anhaltspunkte für technische Verbesserungen.Insgesamt zeichnet sich die Flugsicherheit in Europadurch sehr hohe Sicherheitsstandards aus. Und dennocharbeiten Industrie, Wissenschaft und Regulatoren engzusammen, um diesen Standard zu halten und zu verbes-sern, denn der weltweite Flugverkehr nimmt ständig zuund steht immer wieder vor neuen Herausforderungen.

Flugzeuge sind grundsätzlich nicht immun gegen extremeWetterphänomene wie Eis, Regen, Hagel, Turbulenzen,Wind und Temperaturextreme. Kommt es zu Unfällen,liegen die Ursachen häufig außerhalb der Einflussmöglich-keiten der Crews. Es passieren nach wie vor Unfälle, weiletwa die konkreten Wetterverhältnisse oder die zertifizier-ten technischen Grenzen der Maschine im Cockpit nicht

bekannt sind, keine korrekten Wetterdaten vorliegen oderdiese nicht rechtzeitig kommuniziert werden.

Die konkreten Wettergefahren für die Luftfahrt sind viel-fältig: Während Eis etwa auf den Tragflächen zum Kontroll-verlust über die Maschine führen kann, mindert Regennicht nur die Sicht der Piloten, sondern erhöht auch dieGefahr, von der Landebahn abzukommen. Etwa 40 Pro-zent aller Zwischenfälle, bei denen ein Flugzeug von derStart- und Landebahn abkommt, geschehen bei nassemoder verschmutzen Untergrund.

Hagel kann die Außenhaut und vor allem auch die Wind-schutzscheibe von Flugzeugen schwer beschädigen. DasGefährliche an Turbulenzen ist, dass sie nicht im Vorauserkennbar sind und unvermittelt Crew und Passagiereverletzen können. Etwa zwanzig Mal pro Jahr kommt esweltweit zu Verletzungen aufgrund von Turbulenzen –sie sind für die meisten Verletzungen in der zivilen Luft-fahrt verantwortlich.

Extreme oder plötzliche Winde können dazu führen, dassdas Flugzeug von der Start- oder Landebahn abkommtoder dass die Piloten in der Luft die Kontrolle über dieMaschine verlieren. Wenn die Außentemperatur überoder unter die zertifizierten Werte steigt oder sinkt, birgt

Session III: Komplexe Gefahren und kaskadierende Effekte

Convener: Uwe Ulbrich (Freie Universität Berlin), Wolfram Geier (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe)

Komplexe technische, ökonomische, politische und soziale Abhängigkeiten sind ein Kennzeichen moderner Gesellschaften.

Trifft ein extremes Naturereignis einen Aspekt der vernetzten Gesellschaft, können diese Abhängigkeiten schnell dazu führen,

dass das Naturereignis auch schwerwiegende Auswirkungen auf andere Bereiche hat – ein typischer Domino- oder Kaska-

deneffekt entsteht. Wandelt sich das komplexe natürliche oder gesellschaftlich-politische Umfeld auch nur schleichend und

werden die veränderten Wirkungen in diesem Abhängigkeitsgefüge nicht erkannt, kommt es schnell zu Fehleinschätzungen

von Gefahren. Gleiches gilt für komplexe Ereignisse, bei denen das Katastrophenpotenzial eines einzelnen Faktors gering erscheint.

Wirken jedoch mehrere Faktoren zusammen oder lösen einander aus, dann kann die Gesamtwirkung schnell eine wesentlich

gefährlichere Dimension erreichen als es die einzelnen Faktoren für sich gesehen vermuten lassen. Was ist zu tun, um krisen-

hafte Prozesse und Risiken früh zu erkennen und wie können wir rechtzeitig eine effektive Abwehrstrategie entwickeln?

Keynote: Flugsicherheit und Wetter:Bekannte Gefahren werden zu neuen Herausforderungen> Ilias Maragakis (European Aviation Safety Agency, EASA)

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dies unbekannte Gefahren. Wird die Sicht der Pilotenbehindert, kann das Flugzeug zwar auch im Automatik-modus geflogen werden, doch erhöhen sich hierdurchder Arbeitsaufwand und Stress im Cockpit und die Er-fassung von Gefahren kann eingeschränkt sein.

Für die Zukunft ist zu fragen, ob der Klimawandel zuWetteränderungen führt, die für die Luftfahrt neue Ge-fahren mit sich bringen. Sollte dies der Fall sein, gilt es,Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, mit derenHilfe sich die negativen Folgen dieser Veränderungenfür die Luftfahrt eindämmen lassen.

Wetterdaten und Restrisiken

Eine engere Kooperation von Luftfahrt und Wetterdiensten könnte in Zukunft die Sicherheit in der Luft erhöhen, wenndie heute schon verfügbaren Wetterdaten vermehrt auch im Cockpit zur Verfügung stehen.

Damit die Gefahren durch das Flugzeug selbst so gering wie möglich ausfallen, werden Technik und Materialständig in Stresstests überprüft. Dabei stehen die Techniker vor der Herausforderung, wo sie Grenzwerte zum Beispielfür die Temperaturbelastbarkeit des Materials festlegen.

Trotz aller Untersuchungen im Zuge der Zertifizierung eines Flugzeugtyps bleiben viele Gefahren bestehen, weil sichjedes Flugunglück vor dem Hintergrund einmaliger Bedingungen ereignet und sich nicht alle Faktoren in ihren un-endlichen Kombinationen theoretisch durchspielen lassen.

Die extremen Naturereignisse, die zur Gefahr für Men-schen und deren Lebensraum werden können, sind inder Regel kein in sich geschlossenes System – oft lösteine Gefahr eine weitere Gefahr aus; es kommt zu kaska-dierenden Effekten. Aber wie gestalten sich diese Kaska-den, wie funktionieren die Auslösemechanismen und inwelcher Abhängigkeit stehen die Risiken zueinander?

Um Antworten auf diese Fragen zu erhalten, müssenRisikoanalysen grundsätzlich den kaskadierenden Effek-ten mehr Beachtung schenken.

Eine Möglichkeit, um die konkreten Gefahren abzu-schätzen, ist zunächst die Analyse einzelner Risiken.Sie weist die Wirkungen für einzelne Gefahren auf undfasst diese zu einer Multi-Hazard-Anfälligkeitsanalysezusammen. In Indonesien hat das Deutsche Zentrumfür Luft- und Raumfahrt zum Beispiel gemeinsam mitder Technischen Universität Darmstadt das PhänomenNiederschlag mit seinen Folgen Flut und Hangrutschun-gen sowie das Phänomen Seebeben mit den folgendenTsunamis zunächst einzeln untersucht und die Gefah-ren in Anfälligkeitskarten dargestellt. Dann legten dieWissenschaftler die Karten übereinander und es zeigtesich die akkumulierte Anfälligkeit für bestimmte Natur-gefahren in einer Region.

Risikoanalyse und kaskadierende Effekte> Joachim Post (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR)

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Niederschlag

Hangrutschung

Erdbeben

Flut

Infrastruktur

+ Integrierte Multi-

Risikoabschätzung

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Tote, Ökon. Verluste Multi-Risiko

Krankheiten

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Kaskaden implizieren eine noch komplexere Gefahrenkommunikation

Wenn die Gefahrenkommunikation mehrere Risiken berücksichtigen muss, wird sie noch komplexer als sie ohnehinschon ist. Der Impuls für die Untersuchung der Kaskaden in Indonesien kam von vor Ort. Die Nutzer von Risikoanalysenwünschten sich ein Gesamtbild – und nahmen hierfür die zusätzliche Komplexität in Kauf.

Die Kaskaden werden in Szenarien simuliert. Das hilft den Verantwortlichen, trotz der hohen Komplexität die besteEntscheidung zu treffen. Inwieweit Schutzziele für kritische Infrastruktur definiert werden sollen, ist schwierig, weiles hier zwischen der Erkenntnis und dem politischen Umsetzungswillen durchaus Differenzen geben kann.

Kritische Infrastrukturen und Systemanalyse: Intelligente Netzwerke für mehr Sicherheit> Stefan Pickl (Universität der Bundeswehr München)

Die Forschung weiß heute noch zu wenig über dieSchnittstellen zwischen Technik und menschlichem Ver-halten in kritischen Situationen, aber genau hier ist dasoptimale Zusammenspiel von Mensch und Technik vonentscheidender Bedeutung: Es ist daher das Ziel, mithilfevon neuartigen interdisziplinären Experimenten, die Plan-barkeit und die Entscheidungsfindungen in kritischenSituationen besser zu verstehen, zu analysieren und zuoptimieren. Durch die zusätzliche Integration von moder-nen IT-Systemen in diese Entscheidungsunterstützung

können durch systemtheoretische Planungsmodellierun-gen und Simulationen neue Wege aufgezeigt werden, dieinsgesamt ein höheres Sicherheitsmaß im Bereich kriti-scher Infrastrukturen garantieren. Beispiele hierfür sindetwa die Beratung von Energieversorgern in Fragen derNetzsicherheit: Welche kaskadierenden Effekte sind zumBeispiel zu erwarten, wenn ein Strommast umstürzt oderein Gebiet durch ein Erdbeben beeinträchtigt ist? Nachdem Love Parade-Unglück im Sommer 2010 wurde gene-rell viel über die Vorhersagbarkeit menschlichen Verhal-

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Die zweite Variante schätzt das Risiko von Gefahrenkas-kaden ab, bei denen die Risiken jeweils voneinander ab-hängen: Ein Seebeben kann einen Tsunami zur Folgehaben. Der Tsunami kann eine Evakuierung zur Folgehaben. Das Epizentrum und die Magnitude des Bebensbestimmen den Ort und die Intensität der Tsunami-Flut-welle. Die Flutwelle wiederum führt zu Warnungen undEvakuierungen, die ihrerseits mit Risiken behaftet sind:Sind die Evakuierungsrouten zerstört, ist die Stromver-sorgung unterbrochen und welche Auswirkungen hatdas auf die elektronische Verbreitung einer Warnung?Von all diesen Effekten hängt schließlich ab, wie vieleMenschen von dem Seebeben betroffen sind. Eine Unter-suchung in Indonesien hat gezeigt, wie unterschiedlichhoch die Anzahl der betroffenen Menschen sein kann –je nach Verlauf der kaskadierenden Effekte „Warnung“und „Evakuierung“: Je besser Warnung und Evakuierungverlaufen, desto weniger Menschen trifft die Flutwelle.

Es ist jedoch ein äußerst komplexes Unterfangen, die je-weiligen Auslösemechanismen zu identifizieren und dieAbhängigkeiten aufzuzeigen. Zum Beispiel ist es notwen-dig, Schwellenwerte festzusetzen, ab welchem Schädi-gungsgrad Brücken nicht mehr für die Evakuierungnutzbar sind.

Das Early Warning and Mitigation Centre

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tens diskutiert. Es ist oft schwer einzusehen, dass geradedurch den Vorbau von Hindernissen eine sogenannteTraubenbildung verhindert werden kann. Wie geht jedochein Mensch in einer Paniksituation mit möglichen Hinweis-pfaden und -systemen um? Und was noch viel entschei-dender ist, wie kann man solches Verhalten antizipieren?Auch bei anderen Großereignissen (Public Viewing: Waswäre, wenn plötzlich ein Gewitter ausbricht und die Men-schen in Panik über die mitgebrachten Fahnen stolpern…)ist noch viel offener Forschungsbedarf. Die agentenba-sierte Simulation steht hier erst noch am Anfang.

Ziel des Forschungszentrums COMTESSA (CompetenceCenter for Operations Research, Management of IntelligentEngineered Secure Systems & Algorithms) ist es gerade,solche Situationen zu modellieren und dabei nebentechnischen Rahmenbedingungen auch den sogenann-ten Human Factors Aspekt zu berücksichtigen. Operati-

ons Research wird nicht auf mathematische Methodenverengt, sondern im Rahmen einer ganzheit lichen Risiko-analyse als komfortables Werkzeug zur Katastrophenvor-sorge angewendet. Als Beispiel für eine solche Analyseund Optimierung der Vorsorge kann die Bekämpfungeines Waldbrands angesehen werden. Mathematischwerden hier Sensoren und Feuerwehrleute in unter-schiedlichen Konstellationen platziert und verschiedeneSzenarien durchgespielt. Auch hier kommt der Kopplungvon technischen Analysemöglichkeiten und optimalerEinsatzplanung eine besondere Bedeutung zu. Im Rah-men einer internationalen Kooperation wird innerhalbdes CENETIX Forschungsverbundes (Center for Network Innovation and Experimentation) gemeinsam ein solchesSzenario derzeit erstmals entwickelt. Besonders die Ein-bindung modernster Informationstechnologie ist beidiesem Experiment zur netzwerkzentrierten Operations- führung beeindruckend.

Sicherheit erhöhen – trotz irrationalen Verhaltens der Menschen

Insbesondere bei Großveranstaltungen können kleine Störungen verheerende Wirkungen haben, zum Beispiel wennsich nur einige wenige auf Fluchtwegen kontraproduktiv verhalten. Neue Sicherheitsinstrumente wie etwa die Inte-gration von Smartphones können heute adaptiv eingebunden werden und kritische Situationen damit entschärfen.

Obwohl diese Systeme immer effizienter werden, ist wichtig zu betonen, dass Menschen gerade in Krisensituationennicht immer rational agieren. Gerade psychologische Aspekte spielen bei der Entwicklung von Entscheidungsunter-stützungssystemen eine wichtige Rolle.

Wie kritisch sind Infrastrukturen? Schutz- und Vorsorgeziele im Bevölkerungsschutz > Alexander Fekete (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, BBK)

Der Bevölkerungsschutz steht in einer globalisierten,vernetzten Welt mit sich ständig verändernden Gefah-ren vor der Frage, inwiefern ein Schutz der Bevölkerungzum Beispiel vor Ausfällen der Infrastrukturen überhauptmöglich ist. Bei überregionalen und sogar global vernetz-ten Infrastrukturen können normale Unfälle, aber auchVerkettungen von unglücklichen Umständen zu kaska-

dierenden und zeitlich wie räumlich nicht mehr eingrenz-baren Risiken führen. Es stellt sich die Frage der Grenzenvon Schutz, Vorhersage, Krisenreaktion und Vorsorge.

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophen-hilfe entwickelt gegenwärtig Kriterien, um die Relevanzund Brisanz von Infrastrukturen für die Versorgung der

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Bevölkerung festzulegen. Mittelfristig lassen sich aufdieser Grundlage, die im Projekt KritisKAT von 2009 bis2012 entwickelt wird, Schutz- oder Vorsorgeziele formu-lieren. Der Ruf nach Schutzzielen ist nicht neu. Dennochsind etwa bei der Frage nach Anpassungsoptionen anden Klimawandel Schutzziele häufig noch nicht festge-legt oder kaum strukturiert. Andere Länder wie dieSchweiz haben bereits Grundlagen zur gesellschaftli-chen Diskussion um Schutzziele geschaffen.

Schutzziele enthalten Angaben zu folgenden Kernfragen:1. Was soll geschützt werden? 2. Bis zu welchem Grad soll geschützt werden? 3. Wie soll dieser Schutz erreicht werden?

Das, was geschützt werden soll, sind die sogenanntenSchutzgüter. Neben dem reinen Schutzobjekt bestehtein Schutzziel aber auch noch aus Normen und Werten.Die Frage, bis zu welchem Grad geschützt werden soll,enthält Aspekte eines Schutzniveaus, einer Zielerrei-chungsgröße. Häufig werden derartige Zielgrößen eher

plakativ und als anregende Größe festgelegt, die viel-leicht nie erreicht wird. Beispiele hierfür sind das Ziel,den weltweiten Temperaturanstieg auf unter zwei Gradzu halten, und das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung,das eher als Verhaltensrichtlinie zu verstehen ist.

Infrastrukturen sind für den Bevölkerungsschutz beson-ders interessant, da sie sowohl im Alltagsfall (zum Bei-spiel im Notfall- und Rettungswesen) als auch imKrisenfall relevant sind. Damit schlägt das Thema eineBrücke zwischen vielen unterschiedlichen Akteuren:vom Rettungswesen, der Wirtschaft, diversen staatlichenBehörden bis hin zur Bevölkerung selbst.

Wesentliches Merkmal der Kritikalität ist, wie relevanteine bestimmte Infrastruktur oder ein Bestandteil vonihr für die Versorgung der Bevölkerung ist. Zum anderengilt es, wenn man die Kritikalität einer Infrastruktur be-stimmt, Schwellenwerte festzustellen, also die kritischenZeitpunkte oder die Anzahl von ausfallenden Knoten-punkten, ab denen etwas kritisch wird.

S e s s i o n I I I

Neue Dimensionen des Schutzes

Der Wintersturm im Münsterland im Jahr 2005 schnitt etwa 65.000 Menschen drei Tage lang von der Stromversor-gung ab. Diese Situation warf die Frage auf, ob der Schutz vor einem derartigen Ausfall kritischer Infrastrukturneue Wege gehen muss: Zum Beispiel ist es technisch möglich, Stromleitungen zu heizen. Ob eine solche Maßnahmejedoch umgesetzt und als die richtige Option erachtet wird, hängt von Schutzniveaus und Umsetzungsstrategien ab.

Wichtig ist bei der Definition von Schutzzielen, einen Ansatz zu verfolgen, der alle Akteure auf den verschiedenenEbenen einschließt: Behörden in Kommunen, Ländern und Bund, die Privatwirtschaft von Großkonzernen bis zu kleinenund mittleren Unternehmen, alle Einheiten des Notfall- und Rettungswesens, die Wissenschaft und nicht zuletzt dieBevölkerung selbst.

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Stresstests für die Auswirkung von extremen Naturkatastrophen > Friedemann Wenzel (Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Center for Disaster Management and Risk

Reduction Technology (CEDIM))

Extreme Naturkatastrophen: Dies sind Naturereignisse, dienur selten wiederkehren und sehr große Schäden und un-erwartet hohe Auswirkungen auf Wirtschaft, Ökologie,

menschliche Sicherheit und Gesellschaft zur Folge haben.Ein weiteres Merkmal: Es ist äußerst unsicher, wie häufig,wie stark und wo sie auftreten. Das lässt bereits erahnen,

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dass Extremereignisse nicht mit Standardmethoden derVorsorge und des Risikomanagements adressiert werdenkönnen. Vielmehr werfen sie zunächst einige Fragen auf:> Wie lassen sich Extremereignisse quantifizieren und

prognostizieren, wenn ihr Auftreten so unsicher ist?> Ist die Vergangenheit im Hinblick auf Extremverhältnisse

noch der Schlüssel für die Zukunft?> Hat der Klimawandel neue Typen von Katastrophen zur

Folge und können diese vorhergesehen werden?> Inwieweit können eine intensivere Forschung und eine

breitere Datenbasis diese Unsicherheit reduzieren?> Führt eine 'bessere Wissenschaft' zwangsläufig zu bes-

seren Entscheidungen, wenn die Unsicherheiten sehrgroß sind?

> Kann und soll man vorsorgen? Oder sind Investitionenbei extrem unsicheren Ereignissen nicht sinnvoll?

Auch für die Bundesrepublik Deutschland sind solche Extremereignisse durchaus denkbar – zum Beispiel wennman sich rein hypothetisch eine Kombination der OrkaneLothar (16.12.1999) und Kyrill (18.1.2007) vorstellt. Lotharhatte ein vergleichsweise kleines Sturmfeld und Schadens-gebiet, wies aber extrem hohe Böengeschwindigkeitenauf. Kyrill zeichnete sich durch geringere Böengeschwin-digkeiten aus, erfasste allerdings ein wesentlich größeresSturmfeld über ganz Deutschland und Nordwesteuropa.Ein Sturm, der die räumliche Ausdehnung von Kyrill undgleichzeitig die extreme Böengeschwindigkeit von Lotharhätte, würde sicherlich ein extremes Ereignis darstellen.

Erdbeben mit Magnituden über 6,0 sind selten im NordenEuropas, haben sich in der Vergangenheit aber schon er-eignet. Neuere Untersuchungen sagen für ein Ereignis derMagnitude 5,8 – was etwa einer Wiederkehrperiode von1.200 Jahren entspricht – direkte Schäden von 25 bis 100Milliarden Euro voraus.

Unterschätzt wird in Deutschland auch die Gefahr eineserneuten Ausbruchs zum Beispiel des Laacher See-Vul-kans. Er brach zuletzt vor 12.900 Jahren aus und lagerte

auf einer Fläche von über 300 Quadratkilometern eineüber einen Meter hohe Schicht Ignimbrite ab; vulkanischeNiederschlagsprodukte stauten den Rhein auf, was späterzu unkontrollierten Hochwassern im Unterlauf führte. DerLaacher See-Vulkanismus ist nicht erloschen, allerdingszurzeit nicht aktiv. Szenarien über Auswirkungen einesAusbruchs, über Möglichkeiten und Notwendigkeitenvon Schutzmaßnahmen existieren nicht.

Der Klimawandel kann am Rhein zu bislang ungekanntenHochwasserphänomenen führen, wenn die jetzt zeitlichgetrennten Winter- und Sommerhochwasser weiter zu-sammenrücken, weil die alpine Schneeschmelze mit zu-nehmender Erwärmung des Klimas früher eintritt. Dies istein Beispiel dafür, dass die historische Bewertung vonPegelständen allein nicht mehr ausreicht, um zukünftigeGefährdungen zu erfassen.

Die üblichen Konzepte des Katastrophenmanagementskönnen nicht einfach auf die oben genannten Beispiele er-weitert werden. Wir benötigen einen neuen Ansatz, dereinzelne Sektoren der Gesellschaft, aber auch diese insge-samt, Stresstests unterzieht. Dafür ist es notwendig, Szena-rien zu entwickeln, die wissenschaftlich vertretbar sindund gleichzeitig eine ganze Bandbreite von Möglichkeitenbeinhalten. Diese Szenarien dienen dann dem gesell-schaftlichen Diskurs und der Diskussion über Möglichkei-ten und Notwendigkeiten, Risiken zu reduzieren.

Ansätze für solche Szenarien finden sich bereits in den „Län-derübergreifenden Krisenmanagement-Übungen/EXercise“(LÜKEX) des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Ka-tastrophenhilfe. Diese beinhalteten 2004 das Szenarioeines weitgehenden Stromausfalls in Süddeutschland und2007 die Annahme einer Pandemie in Norddeutschland miteiner Erkrankungsrate von 33 Prozent, 100.000 Toten und400.000 Krankenhauseinweisungen. Das Grünbuch desZukunftsforums Öffentliche Sicherheit entwickelt denSzenarien-Ansatz für Gefahren wie Stromausfall, Seuchen,Terrorismus und Internetkriminalität.

Stresstests dienen der Sensibilisierung

In vielen Kommunen werden die Gefahren durch extreme Naturereignisse häufig verdrängt und es fehlt somit am not-wendigen Risikobewusstsein. Hier bieten Stresstests eine gute Möglichkeit, Kommunen für ihre konkreten Gefährdun-gen zu sensibilisieren.

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Session IV: Wissenschaft und Entwicklungszusammenarbeit – getrennte Welten?Convener: Friedemann Wenzel (Karlsruher Institut für Technologie, KIT, Center for Disaster Management and RiskReduction Technology, CEDIM), Michael Siebert (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, GIZ)

Vielfach arbeiten Wissenschaftler und Experten sowie Institutionen in der Entwicklungszusammenarbeit schonheute hervorragend zusammen – dabei gilt die Kooperation nach der Tsunami-Katastrophe im Indischen Ozeanim Jahr 2004 wohl als Paradebeispiel. Die Zeit ist nun reif, sich mit der Frage der verstetigten Zusammenarbeitgrundlegend und strategisch zu befassen: Lassen sich beide Felder systematisch und kontinuierlich verknüpfen?Können sie mehr voneinander lernen als bisher und sich gegenseitig befruchten? Wo liegen die Potenziale füreine win-win-Situation für diese Partner und die sich entwickelnde Welt – und wie lassen sich diese realisieren?

Gelungene Kooperation bei Georisiken in Zentralamerika > Dirk Balzer (Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, BGR)

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Naturkatastrophen sind keine Seltenheit in Zentral-amerika: Immer wieder treffen Erdbeben, Vulkanaus-brüche, jährlich wiederkehrende Überschwemmungenund Hangrutschungen die Region. Sie haben nicht nurdirekte Folgen für die Bewohner, sondern auch enormenegative Auswirkungen auf die regionale wirtschaftlicheEntwicklung und die damit verbundene Bekämpfungvon Armut.

Will man Georisiken nachhaltig mindern und Katastro-phen vorbeugen, sind ganzheitliche und interdiszipli-

näre Arbeitsweisen notwendig. Dazu gehören aus geo-wissenschaftlicher Sicht neben der wissenschaftlich-technischen Beratung auch verstärkt Aktivitäten, die diewissenschaftlichen Ergebnisse praktisch umsetzen undderen Anwendung in einem integrierten Risikomanage-ment ermöglichen.

Mit dem regionalen Kooperationsprojekt „Verminderungvon Georisiken in Zentralamerika“ unterstützte die BGRin Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Inter-nationale Zusammenarbeit (GIZ) El Salvador, Guatemala,

Honduras und Nicaragua dabei, geogeneBedrohungen zu erfassen, zu bewerten, zubeobachten und in Georisiko-Analysen um-zusetzen. Das Projekt hat sich einem ganz-heitlichen Ansatz verpflichtet: So trägt esdazu bei, dass sich in den vier Ländern einsoziales und politisches Bewusstsein für dieKatastrophenrisiken entwickelt. Außerdemzielt es darauf ab, die Betrachtung von Geo-risiken in die regionale Raum- und Entwick-lungsplanung und die Katastrophenvorsorgezu integrieren.

Erdbeben, vulkanischer Aschenfall oder Hur-rikane kennen keine Landesgrenzen. Deshalbbenötigt Zentralamerika transnationale Pla-nungsinstrumente und Mitigationsstrategien.Am Krater des Massaya-Vulkans in Nicaragua

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BGR und GIZ beraten deshalb auch Institutionen von derKommune bis zu regionalen Zusammenschlüssen.

Eine spezielle Anwendung, das Central American RiskAnalysis-GIS (CARA-GIS) ermöglicht die Analyse, Kartie-rung und Visualisierung der Risikoexposition für Erdbe-ben, Vulkaneruptionen (Aschefall), Hangrutschungenund Überschwemmungen im nationalen und transna-tionalen Maßstab. Das System kann aber auch Multi- Gefahren analysieren, also Eintrittsszenarien gleichzeitigauftretender Bedrohungen, wie zum Beispiel Über-schwemmungen und Hangrutschungen im Zusammen-hang mit Starkniederschlägen. Damit ist ein zentralesInstrument für die vorbeugende Raumplanung geschaffen,

das auch in der Lage ist, das raumbezogene Naturgefah-ren-Risiko zu verringern.

Mit CARA-GIS existiert heute ein regionaler Standard zurAnalyse der Georisikoexposition, den auch andere Län-der Mittelamerikas anwenden können. Die deutschenExperten haben inzwischen die CARA-GIS Anwendungmitsamt den erarbeiteten Produkten den Partnern vorOrt übergeben und deren GIS-Experten und Landesplaneram System geschult. Verschiedene wissenschaftlich-technische Behörden und die Raumplanungs- und Kata-strophenschutzbehörden können somit die Karten undStatistiken nutzen, die übrigens auf der Projekt-Websiteauch der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.

Welche Sicherheit zu welchem Preis?

Das Projekt ist ein Beispiel dafür, wie eine entwicklungspolitische Maßnahme einen naturwissenschaftlich fundiertenBeitrag im Naturkatastrophenmanagement realisiert. Die Bedingungen hierfür sind aber in Zentralamerika nochnicht optimal: Der Paradigmenwechsel von der Gefahrenabwehr („Wie schützen wir uns?“) zu einer Risikokultur („Wel-che Sicherheit zu welchem Preis?“) ist hier noch nicht vollzogen.

Tsunami-Frühwarnsystem – Spagat zwischen Wissenschaft, Technik undHumanitärer Hilfe > Jörn Lauterjung (Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ)

Unmittelbar nach dem verheerenden Tsunami im Indi-schen Ozean am 26. Dezember 2004 begann die deut-sche GITEWS-Initiative (German Indonesian EarlyWarning System), ein Tsunami-Frühwarnsystem für Indonesien und Kernregionen im Indischen Ozean auf-zubauen. Erste Messstationen waren bereits im Herbst2005 installiert. Das Gesamtsystem ist hochkomplexund besteht aus Erdbeben- und GPS-Stationen, Küsten-pegeln, GPS-Bojen, Ozeanboden-Instrumenten, einemSimulations- und einem Entscheidungsunterstützungs-system. Schon im September 2007 kam es mit derBengkulu-Erdbebenserie zum ersten Praxistest. Unddas Ergebnis war positiv, die Frühwarnung funktio-nierte: Der indonesische Dienst für Meteorologie, Klima-tologie und Geophysik löste bereits nach 4 Minuten 40Sekunden eine eigenständige Tsunamiwarnung aus.

Neben der technischen Entwicklung verfolgte GITEWSintensiv auch die Ziele,

> Expertise zum selbständigen Betrieb des Systems undzur dessen Weiterentwicklung aufzubauen,

> das Frühwarnsystem in der nationalen Strategie zuverankern und organisatorische sowie rechtliche Rahmenbedingungen vor Ort zu schaffen und

> Akzeptanz bei der Bevölkerung zu generieren und dasFrühwarnsystem in lokale Planungen wie zum Beispieldie Stadtplanung zu integrieren.

In der gesamten Aufbauphase fanden bereits akademi-sche Fortbildungen und technische Trainingskurse statt.Dieses Capacity Building und Capacity Developmentreichte von einem Doktorandenprogramm in Deutsch-

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land über institutionelle Beratung vor Ort auf lokaler,regionaler und nationaler Ebene bis zum Wissenstrans-fer zu Gemeindeverwaltungen in den drei Pilotregio-nen Padang auf Sumatra, Cilacap auf Java und Kuta inBali.

Mehr als fünf Jahre nach Beginn der GITEWS-Initiativeblicken wir auf viele Veranstaltungen, Tagungspräsenta-tionen, peer-reviewed Publikationen und eine interna-

tionale Begutachtung zurück. Aber es gibt immer nocheinige Aufgaben zu erfüllen, zum Beispiel das System indie indonesische Verantwortung zu übergeben. DiesenProzess wird eine Servicegesellschaft begleiten, in dersich sowohl deutsche als auch indonesische Einrichtun-gen engagieren werden. Dieser Transfer muss gelingen,denn die Tsunamigefahr für Indonesiens Küsten bleibtbestehen, auch wenn die Programmförderung durch dieBundesregierung im März 2011 ausläuft.

S e s s i o n I V

Lehren des GITEWS-Projekts

Beim Aufbau des Frühwarnsystems für Indonesien hat sich deutlich gezeigt, dass bei einem derartigen VorhabenWissenschaft und Entwicklungszusammenarbeit eng kooperieren müssen, insbesondere im Hinblick auf gute Regierungsführung im Partnerland. Gesellschaftliche Aspekte wie das kulturelle Umfeld, urbane oder ländlicheStrukturen sowie die Organisation der Gesellschaft haben großen Einfluss auf die praktische Umsetzung eines Früh-warnsystems. Besondere Beachtung erfordert die „letzte Meile“ der Warnung: Wenn die Menschen die technischenWarnungen nicht in eine schnelle Evakuierung umsetzen können, sind alle technischen Vorkehrungen nutzlos. D

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Volker Angres: Viele Projekte derKatastrophenvorsorge vermittelnden Eindruck, dass Wissenschaftund Entwicklungszusammenar-beit nach wie vor zwei klar vonei-nander getrennte Welten sind.Haben diese Beispiele Systemoder hinterlässt die Notwendig-keit zur Zusammenarbeit dochschon Spuren in der Projektpra-xis? Die Herausforderungen sindimmens und lassen sich nur ge-meinsam angehen. Für diese Ein-sicht reicht schon die aktuelleMeldung, dass das Jahr 2010neue Temperaturrekorde aufge-stellt hat: 53 °C in Pakistan, 45 °Cin Los Angeles und 38 °C in Mos-kau. Auch in den ständig wach-senden Megacities wird klar: Wissenschaftlich-technischeKatastrophenvorsorge kann dort nur in die Raumpla-nung einfließen, wenn überhaupt eine Raumplanungexistiert.

Reinhard Hüttl: Auf dem Potsdamer Telegrafenbergwird schon lange Grundlagenforschung betrieben.Doch unsere Welt hat sich zu einem System Erde-Mensch verändert – wir nutzen die Erde intensiver,mehr Menschen leben in katastrophenanfälligen Re-gionen, der Klimawandel bringt eine neue Situation fürErde und Menschen mit sich. Deshalb müssen wir dieGrundlagenforschung enger mit der Praxis verzahnen,denn die Geoforschung kann zum Beispiel mit ihremWissen über die Nutzung der Erdoberfläche wichtigeHinweise für die Anpassung an den Klimawandel liefern.

Wie sehr wir auf eine Kooperation mit der Entwick-lungszusammenarbeit angewiesen sind, zeigen unsereErfahrungen in Indonesien: Das gesellschaftliche Ver-

ständnis der Hindus auf Bali erfordert ein ganz anderesKonzept für die „letzte Meile“ bei der Frühwarnung alsjenes im muslimisch geprägte Java und Sumatra.

Christoph Beier: Getrennte Welten zwischen Wissen-schaft und Entwicklungszusammenarbeit sehe ichnicht – die GIZ pflegt schon lange ein intensives Ver-hältnis zur Wissenschaft, das für den Erfolg vieler Vor-haben essenziell ist. Dabei setzt sich die GIZ für eineanwendungsbezogene Forschung ein und trägt vieleAnwendungsfragen in die Forschung hinein.

Die gemeinsamen Erfahrungen der GIZ und des GFZbeim Tsunami-Frühwarnprojekt widerlegen die Exis-tenz zweier getrennter Welten. Ein solches Produktmuss vor Ort sozial und politisch eingebettet werden,und hier kennt sich die GIZ gut aus. Es ist eine Illusionzu glauben, für eine nachhaltige Umsetzung einesForschungsprodukts reiche ein reiner Technologie-transfer.

Podiumsdiskussion: Zwei Welten wachsen zusammen> Christoph Beier, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)> Kerstin Faehrmann, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)> Karsten Hess, Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)> Reinhard Hüttl, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ> Torsten Schlurmann, Leibniz-Universität Hannover> Moderation: Volker Angres, ZDF

Podiumsdiskussion

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Verbesserungsbedarf sehe ich bei der Wissenschafts-förderung: Wir sollten die entwicklungspolitische Rele-vanz von BMBF-Projekten noch genauer unter die Lupenehmen und dafür sorgen, dass ein angemessenesFollow-up stattfindet. Entwicklungszusammenarbeitmuss dort ansetzen, wo Wissenschaftsförderung endetund die wissenschaftlichen Ergebnisse langfristig inlokale Strukturen einbinden.

Kerstin Faehrmann: Katastrophenvorsorge zielt darauf,die Folgen eines künftigen extremen Naturereignisseszu mindern und die entwicklungsorientierte Not- undÜbergangshilfe trägt dazu bei, die Folgen von Natur-katastrophen zu überwinden. Für beide Ansätze ist dasexakte naturwissenschaftliche Wissen über das einge-tretene oder erwartete Ereignis unverzichtbar, wie dergroße Tsunami im Indischen Ozean unmissverständlichgezeigt hat. Der wissenschaftliche Sachverstand, denwir für unsere praktische Arbeit benötigen, betrifftviele unterschiedliche entwicklungspolitische Fachge-biete und unsere Schnittstellen zur Wissenschaft sindnicht nur national, sondern vor allem auch internatio-nal zu verorten.

Mit dem BMBF führen wir einen permanenten Dialog,zum Beispiel über die geplanten BMBF-Regionalzen-tren in Afrika zur Klimawandel-Forschung. Wann immerunsere Arbeit mit unseren Partnerländern auf neueTechnologien ausgerichtet ist, beteiligen wir das BMBFmit seiner forschungspolitischen Expertise. Die Zeiten,in den nur bestehende Technologien in die Entwick-lungszusammenarbeit einflossen, sind vorbei – heutewollen wir mit und für unsere Partnerländer innovativeLösungen finden.

Beier: Wissenschaftliche Kooperationen und Abkommendes BMBF mit Partnerländern der deutschen Entwick-lungszusammenarbeit sind nicht immer zwangsläufigauch entwicklungsorientiert. Ein Beispiel hierfür ist dieWeiterentwicklung von Nano-Technologien mit indi-schen Forschern. Gute Beispiele für eine Forschung, diekonstruktiv in die Entwicklungszusammenarbeit ein-fließen kann, sind dagegen Untersuchungen zu denimmer weiter wachsenden Megacities.

Torsten Schlurmann: Für viele war die Zusammenarbeitvon Wissenschaft und Entwicklungszusammenarbeit

Kooperationen intensivieren

Wissenschaft und Entwicklungszusammenarbeit haben heute den Mehrwert einer verstärkten Kooperation in derKatastrophenvorsorge erkannt. Dazu beigetragen hat das erfolgreiche und international sichtbare Leuchtturmpro-jekt zur Entwicklung und Implementierung eines Tsunamifrühwarnsystems im Indischen Ozean (GITEWS), das vieleFortschritte im Denken der beteiligten Akteure angeregt hat. Die Wissenschaftsförderung ist nach wie vor einSchwachpunkt in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Und auch bei der Nachhaltigkeit von Projekten gibtes noch einigen Aufholbedarf.

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beim Tsunami-Projekt anfangs ein Clash ofCultures. Trotz der komplexen Herausforde-rungen haben sich beide Seiten im Laufedes Projekts aber gegenseitig befruchtet.Zum Beispiel hatte die Wissenschaft vorge-schlagen, Risiko- und Vulnerabilitätsanalysenmit einem probabilistischen Ansatz der Ge-fährdungen durchzuführen. Auf Grundlageder richtigen Einschätzung der Kollegen ausder Entwicklungszusammenarbeit hättendiese vor Ort nie eine ausreichende Akzep-tanz gefunden. Deshalb haben wir das ad-hoc Projekt umorganisiert und Studien miteinem deterministischen Ansatz mit deut-lich größerem Aufwand und mit bedingt reduzierten Unsicherheiten durchgeführt,die allerdings lokal mit den Kollegen ausder Entwicklungszusammenarbeit kommu-niziert werden konnten. Diese Art der Kooperation sollte unser Leitbild für die Zukunft sein. Hier kann meines Erachtensdas DKKV als interdisziplinäres und unab-hängiges Kompetenzzentrum mit einemwissenschaftlichen und einem operationellen Profilsehr viele Hilfestellungen geben.

Hüttl: Im GFZ stellten wir uns bereits die Frage, ob wirsozialwissenschaftliche Disziplinen in unser Zentrumaufnehmen sollten. Wir haben uns dagegen entschie-den, stattdessen aber mit Geo.X eine Kooperations-plattform mit Universtäten aus der Region ins Lebengerufen, innerhalb derer Sozialwissenschaftler Geo-Themen aus ihrer Perspektive untersuchen.

Karsten Hess: Eine solche Initiative kann das BMBF nurunterstützen. Wissenschaftliche Einrichtungen solltensich Partner suchen, mit denen Kooperationen erfolg-versprechend sind! Dabei darf es aber nicht bei Lip-penbekenntnissen bleiben, sondern die konkreteUmsetzung der Forschungskooperationen gilt es, mitLeben zu füllen.

Faehrmann: Die Bundesregierung hat sich vorgenom-men, die Forschung in Deutschland entschlossen wei-ter ausbauen; dabei hat das BMZ ein starkes Interessedaran, dass die entwicklungspolitische Forschung aus-reichend Berücksichtigung findet. Bei der Auswahl der

entwicklungspolitischen Forschungsansätze konkur-riert die Katastrophenvorsorge mit vielen anderenThemen wie Armutsbekämpfung, Gesundheitsförde-rung oder Wirtschaftsentwicklung. Eines haben dieseThemen aber alle gemein: Sie erfordern einen inter dis-ziplinären Ansatz.

Beier: Die Entwicklungszusammenarbeit setzt immeram konkreten Anwendungsfall an – aus dieser Rich-tung kommend erkennen wir oft schnell, dass wir fürdie Lösung des Problems einen interdisziplinären An-satz benötigen. Interdisziplinarität ist deshalb für unsoft eine entscheidende Voraussetzung für erfolgreicheZusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis.

Faehrmann: Weil unsere Ressourcen beschränkt sindund wir mit unseren Katastrophenvorsorgeprogram-men nicht nur in Indonesien, sondern weltweit aktivsind, nimmt die internationale Arbeitsteilung bei unseinen hohen Stellenwert ein. So ist es für uns auch garkein Problem, wenn andere Geber in Indonesien nachdem GITEWS-Projekt den Ball aufnehmen und sichetwa beim Bau von Schutzräumen engagieren.

Die Nothilfe unterstützt Dorfbewohner in Guatemala, sich vorErdrutschen zu schützen

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S e s s i o n V

Session V: Veränderliche Risiken und VorsorgeConvener: Bruno Merz (Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ) und Henning Goersch (Universität Kiel)

Risiken, die aus Naturereignissen resultieren, sind nie statisch – sie verändern sich im Laufe der Zeit, teilweisesogar dramatisch. So treten extreme Naturereignisse mal mehr oder weniger häufig auf oder verfügen über unter-schiedlich hohe Magnituden. Aber auch die Anfälligkeit und das Schadenspotenzial der Gesellschaften verändernsich über die Jahre. Wir benötigen somit neue Ansätze, die diese Risikodynamik quantifizieren und aufzeigen, wiewir mit den veränderlichen Risiken umgehen sollen. Wie gestalten wir beispielsweise bauliche Schutzmaßnahmenmit Lebensdauern von Jahrzehnten, wenn wir zwar wissen, dass sich das Risiko zukünftig stark verändern wird,aber nicht zuverlässig diese Änderungen vorhersagen können? Wie lässt sich darüber hinaus die Konzeptionvon Katastrophenvorsorge und Bevölkerungsschutz auf diese langfristigen Veränderungsprozesse ausrichten?

Keynote: Anpassung an neue Risiken für Infrastrukturen> Jim Hall (Tyndall Centre for Climate Change Research, Newcastle University)

Heute steht bereits fest, dass die Infrastruktursystemeetwa für Energie, Transport, Wasserversorgung undHochwasserschutz in der Zukunft mit bislang unge-kannten Risiken konfrontiert sein werden. Verantwort-lich hierfür sind sozio-ökonomische Veränderungensowie der erwartete Klimawandel. Für diejenigen, dieInfrastrukturen planen und gestalten, bringt dies großeHerausforderungen mit sich – in Zeiten, in denen staat-liche Mittel für die Anpassung nur sehr begrenzt ver-fügbar sind. Zukünftige Infrastrukturen können nichtam Reißbrett für die zukünftigen Risiken neu entwi-ckelt werden; wir müssen die bestehenden Systeme alsAusgangspunkt nehmen und überlegen, wie wir dieseSysteme am besten gestalten, damit sie den zukünftigenRisiken standhalten und gleichzeitig finanzierbar sind.

In Großbritannien haben wir bereits erkannt, dass sichKlimaveränderungen in vielfacher Weise auf die Infra-strukturen auswirken können: Überflutungen beein-trächtigen die Stromversorgung, machen Straßen undEisenbahntrassen unpassierbar. Bei einer großen Über-schwemmung 2007 gab es für etwa 130.000 Menschenzwei Wochen lang kein Trinkwasser. Starke Winde be-schädigen viele Infrastrukturen und führen an den Küs-ten zu Sturmfluten. Und selbst Wasserknappheit undHitze werden auf den britischen Inseln ein Thema sein,trotz ihrer Lage im nordwestlichen Europa.

Mit Hilfe der seit 2009 existierenden probabilistischenKlimaszenarien (UKCP09) ist es heute möglich, in einerAuflösung von 25x25 Kilometern Projektionen für dieZeit von 2010 bis 2099 in jeweils sieben überlappendenZeitfenstern von 30 Jahren zu erstellen (i.e. 2010 bis2039, 2020 bis 2049, etc. bis 2070 bis 2099). Die Projek-tionen weisen unterschiedliche Eintrittswahrscheinlich-keiten aus und enthalten drei Emissionsszenarios für

Jim Hall

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Treibhausgase. Somit lassen sich die Klimarisiken fürGroßbritannien detailliert und anschaulich sowohl invergleichenden Karten, aber auch als umfassende Wahr-scheinlichkeitsdichtefunktionen mit differenziertenSchaubildern darstellen. Auch ist es mithilfe der Szena-rien möglich, überschneidende Eintrittswahrschein-lichkeiten aufzuzeigen, etwa für extreme Hitze undNiederschläge. Trotz dieser Möglichkeiten darf mannicht übersehen, dass große Unsicherheiten die An-passung an den Klimawandel und die entsprechendenpolitischen Entscheidungsprozesse prägen.

Großbritannien ist einen ersten wichtigen Schritt inRichtung Anpassung gegangen. Nun gilt es, diese guten

Vorsätze auch in die Tat umzusetzen – und zwar miteinem integrativen Ansatz, der alle beteiligten Akteurefür Adaption und Mitigation einschließt. Die britischeRegierung hat ein Programm zur Anpassung an den Kli-mawandel aufgelegt. Es basiert auf einer umfassendenDatensammlung über die Auswirkungen und Konse-quenzen des Klimawandels für Großbritannien. DieseFakten dienen auch dazu, allen Beteiligten und Betroffe-nen klar zu machen, dass sie und andere heute konkrethandeln müssen, um die Risiken der Zukunft zu reduzie-ren. Das Programm ist so angelegt, dass es Erfolgemessen kann und eine effektive Umsetzung der Maß-nahmen ermöglicht.

Infrastrukturen und das Verhalten der Menschen

Infrastrukturen sind nicht nur klimatischen Risiken und wetterbedingten Gefahren ausgesetzt, auch menschen-gemachte Gefahren wie Terrorismus oder menschliches Versagen spielen eine wichtige Rolle. Entscheidend ist beiall diesen Risiken die Widerstandsfähigkeit der Infrastrukturen.

Auch die Menschen selbst müssen sich an den Klimawandel anpassen und ihren gewohnten Umgang mit Infra-strukturen wie Transport, Energie und Wasserverbrauch überdenken. Wenn wir die Gefährdung von Infrastrukturenim Hinblick auf den Klimawandel untersuchen, müssen wir dieses menschliche Umdenken immer parallel mit be-rücksichtigen.

Anpassungsstrategien für zukünftige Überschwemmungsrisiken am Rhein> Philip Bubeck (Vrije Universiteit Amsterdam)

Extremes Hochwasser am Rhein: Dies kann potenziellmehr als zehn Millionen Menschen betreffen, so dieSchätzungen der Internationalen Kommission zumSchutz des Rheins (IKSR). Allein bei den Hochwassernvon 1993 und 1995 wurden Hunderttausende in denNiederlanden evakuiert. Die Forschung geht davon aus,dass das Hochwasserrisiko in Zukunft steigen wird, ver-antwortlich dafür sind sozio-ökonomische Entwicklun-gen sowie die Auswirkungen des Klimawandels. Dievage Aussage, dass das Risiko allgemein steigt, gilt esjedoch zu präzisieren; nur so können wir Anpassungs-

strategien so gestalten, dass diese möglichst optimaldas Risiko adressieren.

Ein Forschungsprojekt an der Freien Universität Amster-dam hat sich daher zum Ziel gesetzt, die Entwicklungdes Hochwasserrisikos entlang des Rheins bis 2030abzuschätzen. Das hierfür erstellte Hochwasserrisiko-Modell dient auch dazu, verschiedene Anpassungs-strategien wie etwa den Aktionsplan Hochwasser derInternationalen Kommission zum Schutz des Rheins zubewerten.

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Das Projekt untersucht das derzeitige und zukünftigeHochwasserrisiko am Rhein, indem es sowohl klimatischeals auch sozio-ökonomische Veränderungen berücksich-tigt. Das Ergebnis für das aktuelle Hochwasserrisiko,basierend auf Daten zur Landnutzung, zu möglichenÜberflutungsflächen, zu Schadensfunktionen sowie zumHochwasserschutzniveau: Dort, wo das Flussbett breiterwird und wo das Schutzniveau niedriger ist, sind diehöchsten Schäden zu erwarten. Interessant ist dabei dieRolle des Schutzniveaus: Zwar ist das Schadenspotenzialim Rheindelta besonders hoch, doch die hohen Schutz-standards führen dazu, dass dort nicht so hohe Schädenerwartet werden wie beispielsweise am deutschen Ab-schnitt des Niederrheins.

Um zukünftige Risiken abzuschätzen, nutzt das Projektverschiedene Szenarien (Landnutzung und Klima), wiezum Beispiel eines stark oder schwach ausgeprägtenKlimawandels. Die Berechnungen zeigen, dass im Jahr2030 die Hochwasserschäden am Rhein um 53 bis 230

Prozent höher sein können im Vergleich zu heutigenHochwasserereignissen. Etwa 75 Prozent dieses Zu-wachses geht auf die Auswirkungen des Klimawandelszurück, die Landnutzung spielt dagegen eine unterge-ordnete Rolle.

Wenn wir zukünftige Risiken abschätzen, so dürfen wirnie vergessen, dass wir die Jährlichkeiten von extremenEreignissen immer nur mit großen Unsicherheiten fest-setzen können. Dies zeigt sich unter anderem, wenn wirdie Effektivität von Maßnahmen bewerten, die den Was-serstand senken sollen oder die begleitend dazu dienen,den Schaden zu mindern.

Noch ist diese Methode zur Abschätzung von Hochwas-serrisiken nicht ganz ausgereift. So bedürfen die Über-flutungskarten der Optimierung und die Schätzung derJährlichkeiten und Schäden muss noch verbessert undergänzt werden.

S e s s i o n V

Abstimmung mit anderen Projekten zu Hochwasserrisiken der Zukunft

Das Modell ist ein niederländisches Projekt, das mit der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins abge-stimmt ist. Erkenntnisse des KLIWAS-Forschungsprogramms des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadt-entwicklung flossen nicht in das Projekt ein, gleichwohl auch dieses die Auswirkungen des Klimawandels aufWasserstraßen und Schifffahrt thematisiert und Anpassungsoptionen entwickelt.

Verändertes Wintersturm-Risiko – welche Schäden sind zu erwarten?> Gregor C. Leckebusch (Freie Universität Berlin)

Winterstürme gehören in Mitteleuropa zu jenen Natur-ereignissen, die neben Hochwasser die höchsten Schä-den verursachen. Betroffen sind in der Regel sowohlversicherte wie unversicherte Werte und oft kommt esbei einem Sturmereignis in einem Haushalt zu unter-schiedlichen Schäden, sei es an Dachziegeln, an Fahr-zeugen oder Mobiliar.

Eine Studie der Freien Universität Berlin untersucht dasRisiko von Sturmschäden unter heutigen und zukünfti-gen Klimabedingungen für Deutschland. Sie verwendet

dafür meteorologische und versicherungstechnischeDaten. Der Grund für die Wahl dieser Datenbasis ist, dassdie meteorologische Gefahr, also die Stärke und Häufig-keit der Sturmereignisse, im Wesentlichen die Höhe derSchäden bestimmt.

Beim einzelnen Sturmereignis kommt es darauf an,welche maximale Geschwindigkeit der Sturm erreicht.Ebenso ist die Stärke des Sturms relativ zu den normaler-weise in einer Region auftretenden Windgeschwindig-keiten von zentraler Bedeutung. So wird ein absolut

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gesehen gleichstarker Sturm in einer Region, die Stür-men häufiger ausgesetzt ist, weniger Schäden verursa-chen als in einer Region, in der sehr selten Stürme dieserStärke auftreten. Dieser Adaption trägt die Nutzungeines Schwellwerts Rechnung, der erst überschrittenwerden muss, bevor Schäden auftreten: so finden sicherst dann Schäden, wenn die Windgeschwindigkeit zuden oberen zwei Prozent der lokal auftretenden Wind-geschwindigkeiten gehört. Darüber steigen die Schädenstärker als linear an. Bleibt der Sturm über einen länge-ren Zeitraum in einer bestimmten Region, können dieSchäden ebenfalls ansteigen.

Ein Sturmschadenmodell, welches diese Faktoren be-rücksichtigt, wird auf Modell-Simulationen angewendet,die heutige und zukünftige Klimabedingungen reprä-sentieren. Solche Klimasimulationen geben Auskunftüber pozentielle Änderungen der meteorologischen Ge-fährdung. Die meteorologischen Unsicherheiten werdendurch die Betrachtung eines Ensembles von Klimasimu-lationen untersucht. Darüber hinaus beeinflussen An-nahmen hinsichtlich der Sensitivität der Schäden undder Werteverteilung das Ergebnis.

Erfolgreich waren die bisherigen Validationen des Mo-dells: Simulationen von vergangenen Sturmereignissen(zum Beispiel Kyrill, Lothar, Jeanett und Anna) weiseneine gute Übereinstimmung mit den real gemessenenWerten auf.

Wenn man davon ausgeht, dass die aktuellen Zusam-menhänge zwischen Wind, Schaden und heutiger ver-sicherter Werte weiter fortbestehen, dann würde sichdas Potenzial von Sturmschäden bis zum Ende des 21.Jahrhunderts im Mittel um durchschnittlich 80 Prozenterhöhen. Dieser Berechnung liegt die Annahme derklimatischen Entwicklung gemäß dem IPCC SRES A1B-Szenarium zugrunde. Dabei zeigt sich ein großer Unter-

schied zwischen den einzelnen Klima-Realisierungen(+26 Prozent bis +140 Prozent).

Passt man allerdings den Schwellenwert für das Auftretenvon Stürmen an die zukünftige Extremwind-Klimatologiean, zeigt sich eine deutlich verringerte Zunahme voneinem Ensemble-Mittel von lediglich plus 28 Prozent.Eine Adaption lokaler Strukturen an potenziell geänderteWindverteilungen führt also zu deutlich reduziertenSchadenzunahmen.

Die Entwicklungen der versicherten Werte sind für dieZukunft schwierig abzuschätzen. Die Verwendung derWerteverteilung der vergangenen zwanzig Jahre zeigtaber, dass sich die deutschlandweiten Schäden für ein-zelne Sturmereignisse bei Variation dieser Modell-An-nahme um bis zum Faktor 2 unterscheiden können. Wirmüssen davon ausgehen, dass sich die mittleren Jahres-schäden erhöhen und die Wiederkehrperioden extremerStürme verkürzen werden.

Änderungen von Baunormen verändern das Schadenspotenzial

Die Änderungen von Normen zum Beispiel im Bauwesen spielen bei der Abschätzung zukünftiger Risiken eine wich-tige Rolle. Diese Normen können die Sturmschäden trotz gleicher Windintensität deutlich reduzieren und flie-ßen auch in die Berechnung mit ein. Damit relativieren sie die Aussage früherer Schadensereignisse für die Zukunft.Allerdings ist es nicht möglich, sie vollständig zu erfassen.

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S e s s i o n V

Vulnerabilitätsdynamik in der Küstenzone: eine agentenbasierte Simuation zur Bedeutung individueller Selbstschutzpräferenzen> Cilli Sobiech (Helmholtz-Zentrum Geesthacht)

Die Deutschen haben in aktuellen Studien eine geringeMotivation gezeigt, persönlich Katastrophenvorsorge zubetreiben und sich durch Selbstschutz besser vorzube-reiten. Dieser Zustand wirft die Frage auf, wie sich derUmgang der Gesellschaft mit Risiken verändern muss,um für zukünftige Risiken gewappnet zu sein. Ein Disser-tationsprojekt am Helmholtz-Zentrum Geesthacht testetderzeit eine agentenbasierte Simulationsmethode, umindividuelle Selbstschutzpräferenzen in der Bevölkerungals einen wesentlichen Aspekt der Vulnerabilitätsdyna-mik zu untersuchen.

Vulnerabilität bedeutet mehr als in einem hochwasser-gefährdeten Gebiet zu leben. Vulnerabilität kennzeich-net eine Kombination von Eigenschaften einer Personund ihrer Situation, die es ihr ermöglichen, katastro-phale Auswirkungen von Ereignissen zu mindern oderzu bewältigen. Die agentenbasierte Simulation setzt alsanalytische Methode an der sozialen Dimension von Vul-nerabilität an, um soziale Dynamik und Konsequenzenzu verstehen. Bisher fand diese Methode eher bei derVorbereitung auf Katastrophenfälle Beachtung (z.B. fürEvakuierungsstrategien), nicht aber bei individuellenVorsorgeaspekten.

Die Methode kann einerseits zu einem besseren Ver-ständnis der Interaktion zwischen Mensch und Umweltführen. Deshalb bezieht das Modell auch subjektive As-pekte zum Beispiel der Risikowahrnehmung mit ein, dieneben weiteren Vulnerabilitätsmerkmalen und Selbst-

schutzpräferenzen der Haushalte in der empirischenStudie an der Nordseeküste erörtert wurden. So wurdenin der Projektregion die Menschen u.a. befragt, welcheSelbstschutzstrategien sie präferieren: Informationsver-anstaltungen, Versicherungsschutz, Migration etc. Dabeizeigte sich zum Beispiel, dass die Bereitschaft zumSelbstschutz niedriger ist, wenn die Agenten großes Ver-trauen in das staatliche Risikomanagement haben. An-dersherum offenbarte sich auch, dass die Vulnerabilitätim Modellverlauf abnimmt, je aktiver die Agenten sichpersönlich mit dem Risiko auseinandersetzen.

Bei der Simulation interessierte andererseits, wie sichdas Verhalten des einzelnen auf Mikroebene auf das Ver-halten des betrachteten Systems auf Makroebene aus-wirkt. Die Simulation soll aber nicht der Vorhersagedienen, sondern dazu beitragen, soziale Zusammen-hänge und Trends in der Dynamik zu erkennen.

Die Szenarien legen dar, wie individuelles Verhalten undEinstellungen, aber auch deren Interaktion miteinanderzu veränderten Vulnerabilitätskurven im Modellverlaufführen. Welche Rolle dabei der räumliche und gesell-schaftliche Kontext der Individuen spielt, zeigt sich inden Szenarien an den unterschiedlichen Entwicklungender Vulnerabilität auf Makroebene. Ausgehend vom er-mittelten Stand der Vulnerabilität in der untersuchtenKüstenzone lassen sich somit alternative Vulnerabilitäts-entwicklungen als mögliche Veränderungsprozessedurch besseren Selbstschutz in der Gesellschaft zeigen.

Selbstschutz von Privathaushalten

Bei der Untersuchung der Dynamik von Vulnerabilität stellen ausschließlich Privathaushalte die Agenten dar, derenSelbstschutzpräferenzen im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen. Das modellierte Verhalten dieser Agentenbasiert dabei auf statistischen Daten und Analysen. Eine Validierung der Szenarien anhand realer verbesserter Selbst-schutzkapazitäten war bislang nicht möglich.

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Waldbrände in Deutschland seit 1975> Klaus-Peter Wittich (Deutscher Wetterdienst, DWD)

Waldbrände spielen in Deutschland im Vergleich zu Süd-europa und zu den großen Waldbrandländern USA, Ka-nada, Australien und Russland eine unbedeutende Rolle.Dennoch sind Katastrophenbrände auch hier nicht aus-geschlossen; das bekannteste Beispiel hierfür ist derdeutsche „Jahrhundertwaldbrand“, der im August 1975in der Lüneburger Heide eine Fläche von etwa 8000Hektar Wald vernichtete und sieben Menschenlebenforderte. Trotz rascher Alarmierung gelang es nicht, dievermutlich durch Brandstiftung ausgelösten Groß-brände in ihren Anfangsstadien zu bekämpfen.

Die Katastrophe hatte Konsequenzen: Die Erfahrung von1975 führte dazu, dass die politisch und fachlich Verant-wortlichen zum Beispiel

> die Führungs- und Organisationsstrukturen neu gestalteten,

> die Ausbildung in der Waldbrandbekämpfung verbesserten,

> die Feuerwehren besser ausstatteten,> bessere Kommunikationstechnologien einführten,> Waldbrand-Einsatzkarten für die Feuerwehr erstellten,> Löschwasserentnahmestellen in der Lüneburger

Heide einrichten ließen,> Gesetzte und Verordnungen novellierten sowie> den Waldumbau einleiteten.

Diese Maßnahmen, die teilweise auch in anderen Bundes- ländern umgesetzt wurden, hatten Erfolg: Die ab 1977erstellte Bundesstatistik weist einen Rückgang der Wald-brände auf, obwohl zunehmende trocken-warme Witte-rungsperioden die Waldbrandgefahr erhöht haben.

Betrachtet man die weitere Gefährdungsentwicklunganhand einer Klimaprojektion für die Zeit von 2021 bis2050, so zeigt sich, dass drei der vier deutschen Regional-modelle, die den für die Folgenabschätzung verwende-ten kanadischen Fire Weather Index mit Daten versorgen,eine Verschärfung der Waldbrandgefahr in Deutschlandprognostizieren (CLM, STAR, WETTREG), während ledig-lich das vierte Modell (REMO) eine regionale Entschär-fung vorhersagt.

Neben dem Klimawandel könnten sich strukturelleVeränderungen bei der Bundeswehr (Rückzug aus derFläche, Verzicht auf die Wehrpflicht) und Nachwuchs-mangel bei den Freiwilligen Feuerwehren nachteiligauf das zukünftige Waldbrandgeschehen auswirken.Ferner sind viele nachteilige Effekte durch den generel-len Personalabbau zum Beispiel bei Forstverwaltungensowie durch generelle Sparzwänge der öffentlichenHand zu befürchten. Bereits heute nutzt die Brandab-wehr das Angebot ziviler oder privatrechtlicher Anbie-ter (z.B. HeliAlert und @fire), um den Verlust eigenerFähigkeiten auszugleichen.

Folgende Maßnahmen können die Waldbrandgefahrentschärfen:

> Investitionen in die Früherkennung von Waldbrändenbeispielsweise in den Ausbau des kameragestütztenautomatischen FireWatch-Systems,

> Investitionen in neue Ausrüstung, zum Beispiel in dieBeschaffung geländegängiger speziell für die Wald-brandbekämpfung ausgestatteter Tanklöschfahrzeuge,

> Steigerung der Qualität der Waldbrandbekämpfungetwa durch neue Ausbildungskonzepte und

> Fortführung des Waldumbaus mit einer Abkehr vonKiefern-Monokulturen hin zu Mischbeständen.

Klaus-Peter Wittich

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Der Deutsche Wetterdienst sieht seine Rolle in Zukunftvor allem darin, dass er seine Frühwarnung verbessertund seine Wetterprognose- und Waldbrandgefahren-

modelle zielgerichtet weiterentwickelt. Ferner werdenKlimaprojektionen der Waldbrandgefahr einen nochbreiteren Raum einnehmen.

S e s s i o n V

Waldbrand als Prävention?

Es ist immer wieder zu hören, dass Waldbrände einen positiven Effekt auf die Entwicklung eines Waldes hätten. DieseAussage beschränkt sich jedoch primär auf ökologische Aspekte feuerangepasster Waldlandschaften. Zum Beispielwerden in den USA Feuer kontrolliert gelegt (prescribed burning), um der Akkumulation von brennbarem Materialentgegenzuwirken und damit zukünftigen Wildfeuern die Nahrung zu entziehen. Da in Deutschland die Waldkulturennicht dem Feuer angepasst sind, ist die sofortige Brandbekämpfung die Regel. Präventives Brennen wird nur in Aus-nahmefällen auf Freiflächen erlaubt.

Immer perfekterer Schutz gegen Hochwasser?> Uwe Grünewald (Brandenburgische Technische Universität Cottbus)

Im Sommer 2010 – fast gleichzeitig zur Katastrophe inPakistan – kam es in Sachsen und Brandenburg zu gro-ßen Hochwasserereignissen. Auslöser waren extremeRegenfälle. Im sächsischen Bertsdorf-Hörnitz wurdenbeispielsweise Niederschläge mit Wiederkehrzeitenvon über 100 Jahren gemessen. In Sachsen bezifferte

man die Gesamtschadensumme auf „deutlich über 900Millionen Euro“. In Brandenburg werden die Schäden inder Landwirtschaft und im Gartenbau im zweistelligenMillionenbereich, die Kosten für die Deichsanierung ander Schwarzen Elster auf zwischen 30 und 50 MillionenEuro geschätzt.

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In den vergangenen Jahren häuften sich extreme Nie-derschlags- und Abflussereignisse an den Flüssen Ost-deutschlands. Dies passt gut in das Bild der beobachtetenZunahmen von „Trog-Mitteleuropa-Wetterlagen“, diegenau solche Niederschläge mit sich bringen. Offen-sichtlich muss sich die Gesellschaft heute auf eine zu-nehmende Gefahr durch Hochwasser so einstellen, wiesie es bereits Ende des 18. bis Mitte des 19. Jahrhundertsin dieser Region schon einmal tun musste.

Die Politik verspricht den Bürgern immer wieder einenbesseren Schutz vor Hochwasser und so haben die Bür-ger mit der Zeit immer höhere Ansprüche auf Hoch-wasserschutz gegenüber den staatlichen Behördenentwickelt. Doch schon nach dem Elbe-Hochwasser2002 mahnte das DKKV an, dass eine Risikokultur dieseeinseitige Fixierung auf den Schutz ablösen muss. Zuoft reagiert der Hochwasserschutz primär auf Scha-densereignisse. Mit der Zeit gerät dieses Ereignis inVergessenheit und damit auch die Notwendigkeit desSchutzes. In einer Risikokultur betrachtet man hinge-gen zunächst in Risikoanalysen, was überhaupt passie-ren kann. Daraufhin bewertet man das Risiko und fragt:„Was darf nicht passieren?“ und „Welche Sicherheit fürwelchen Preis?“ Aus den Antworten resultiert dann dieSuche nach möglichen Gegenmaßnahmen: „Wie kön-nen wir mit dem Risiko best-möglich umgehen?“ ImFrühjahr 2010 gab schließlich auch die Bund-Länderar-beitsgemeinschaft Wasser (LAWA) Empfehlungen, wiePläne zum Hochwasserrisiko-Management entspre-chend den neuen Gesetzlichkeiten aufzustellen sind.

In Sachsen und Brandenburg hat ein solches Risikoma-nagement noch nicht ausreichend Eingang gefunden.Es herrscht dort trotz der Hochwasser-Erfahrungenkeine Klarheit darüber, was passieren kann und wieman mit diesen Gefahren umgehen will. Eine Aus-nahme stellt dabei der Plan Hochwasservorsorge derStadt Dresden dar, der vielen anderen Kommunen undLändern als Vorbild dienen kann.

Es ist an der Zeit, dass Kommunen und Länder eine ex-terne Risikokommunikation einführen und dabei derÖffentlichkeit die Risiken offenlegen. Sie müssen dieBedrohungen und deren Auswirkungen darlegensowie die Möglichkeiten der Vorsorge mit den Men-

schen transparent diskutieren. Aber nicht nur nachaußen, auch nach innen in Richtung Politik und Verwal-tung muss ein neues Risikobewusstsein wachsen: AlleAkteure der Vorsorge und des Katastrophenschutzesmüssen eng zusammenarbeiten, um den Paradigmen-wechsel vom Sicherheitsdenken zu einer Risikokulturerfolgreich zu vollziehen. Dabei ersetzen sie ihre bishe-rige Konzentration auf die Beherrschbarkeit von Hoch-wasser durch neue Strategien zum Umgang mit demHochwasser. Ein effektives Hochwasserrisikomanage-ment ist eine Querschnittsaufgabe, die einzelne Sekto-ren nicht allein bewältigen können. Nur in eineminterdisziplinären Ansatz lässt sich der Kreislauf vonHochwasservorsorge und –bewältigung meistern.

Bei Hochwasser scheint es so wie mit dem Alter zu sein:Vor Alter kann man sich nicht schützen, man sollte Vor-sorge betreiben und wenn es dann kommt, die Risikenmöglichst in Gemeinschaft zu bewältigen versuchen.

Uwe Grünewald

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Ein Preis für den Nachwuchs

Sie ist schon fast eine Tradition bei den jährlichenForen Katastrophenvorsorge des DKKV: die Verleihungeines Preises für Nachwuchswissenschaftler. 2011überreichte der Vorsitzende des WissenschaftlichenBeirats des DKKV, Gerd Tetzlaff, den Preis, den auch indiesem Jahr wieder der Gesamtverband der deut-schen Versicherungswirtschaft gespendet hatte.

Zwei Wissenschaftler erhielten zu gleichen Teilen dieAuszeichnung:

James E. Daniell vom Karlsruher Institut für Technolo-gie (KIT), Center for Disaster Management and RiskReduction Technology (CEDIM) bekam die Auszeich-

nung für seinen Vortrag über die ökonomische Analysehistorischer Erdbeben seit 1900.

Sergiy Vorogushyn vom Deutschen GeoForschungs-zentrum GFZ hatte die Jury mit seiner Arbeit über dieEffizienz von Hochwasserschutzmaßnahmen für dieMinderung von Deichbruchwahrscheinlichkeiten undHochwasserrisiken überzeugt.

Die Jury sah in den Präsentationen beider Preisträgerinnovative Ansätze, mit denen komplexe Fragestellun-gen untersucht wurden. Die angewandten Modellekönnten auch in anderen Arbeiten weiterentwickeltwerden.

E i n P r e i s f ü r d e n N a c h w u c h s

Alexander Küsel (Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft) überreicht die Urkunde an Sergiy Vorogushyn.

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H e r a u s g e b e r :

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Tel.: 03 31 / 228-1040 | Fax: 03 31 / 228-1044

E-Mail: [email protected] | Internet: gfz-potsdam.de

R e d a k t i o n :

Verantwortlich: DKKV, Birgit zum Kley-Fiquet | GFZ, Alexander Rudloff

Text: to the point communication, Susanne Reiff

Gestaltung: F R E U D E ! design, Rendel Freude

Druck: AMK GmbH, Wesseling

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Bildnachweis: Titel, S. 28, 34: GITEWS, S. 4, 7, 9 oben, 10, 11 unten, 13, 19, 22, 23, 24 unten,

35, 36, 38, 43, 45 und 46: Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ/Elisabeth

Gantz, S. 5: DKKV, S. 9 unten: ECHO/Susana Perez Diaz, S. 11 oben: Martina

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ISBN: 978-3-933181-53-4

Die Website des DKKV enthält die Präsentationen zu den einzelnen Vorträgen

sowie Extended Abstracts:

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