Dokumentation Fachtag 2011
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Dokumentation Fachtag „Frauen und Mädchen in der populären Musik - (k)ein Genderthema?!
Gelsenkirchen 26.11.2011
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Mädchen und junge Frauen sind auch heute noch in den meisten Bereichen der populären Musik stark unterrep-
räsentiert.
Dies gilt sowohl für den Bereich der Jugendbands als auch für den professionellen Musikmarkt. In den 90er-
Jahren gab es mit der Gründung von Frauen-und Mädchenbands und der Auseinandersetzung mit Genderthe-
men z.B. in der Riot Grrrl- Bewegung einige Schritte nach vorne, die noch heute nachwirken. Wie aber sieht es
heute aus? Gehören Mädchen und junge Frauen selbstverständlich zur semiprofessionellen und professionellen
Szene in den unterschiedlichen Sparten der populären Musik?
Haben sich die strukturellen Bedingungen für Musikerinnen verändert, welche Möglichkeiten haben Frauen und
Mädchen, die in der populären Musik Fuß fassen wollen? Wie sind die Rahmenbedingungen, wenn sie sich als
Musikerin, als Produktionsleiterin, als DJane etablieren wollen? Wo und wie findet heute ein Diskurs zu Gender
in der populären Musik statt?
Künstlerinnen, die über langjährige Praxiserfahrung verfügen, als auch Mädchen und junge Frauen, die als Musi-
kerinnen aktiv sind, wurden in den Diskurs des Fachtages einbezogen.
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Am 26. November 2011 fand in Gelsenkirchen der Fachtag Frauen und Mädchen in der Populärmusik -
(k)ein Genderthema?! statt. Das Mädchenzentrum Gelsenkirchen lud hierzu aktive Frauen und Mädchen und
auch Männer aus verschieden Musikbereichen ein, sich mit diesem Thema auseinander zusetzten, auszutau-
schen und ein Netzwerk zu gründen.
Zielsetzung des breiten Netzwerktreffens war eine Bestandsaufnahme der Situation von Mädchen und Frauen
in der Popmusik sowie die Entwicklung weiterführender Handlungsansätze .
Dazu fanden nicht nur Inputs und Diskusse auf fachlicher und musikalischer Ebene statt, die Thematik wurde
gleichzeitig verknüpft mit historischen Einblicken und empirischen Analysen zu der Frauenmusikgeschichte. In
der folgenden Dokumentation werden wichtige Erkenntnisse des Fachtages aufgezeigt und durch Ausschnitte
der Diskussion in Form von Zitaten und Impressionen in Form von Bildern ergänzt.
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Zentrale Themen und Fragestellungen des Fachtages
Popmusik ist ein großer Bestandteil der Alltagskultur. Warum wird sie dann von Mädchen und Frauen
in geringerem Umfang mitgestaltet, als von Jungen und Männern?
Was ist aus den vergangenen Bewegungen geworden? Sind sie gescheitert, arriviert, von der Kulturin-
dustrie vereinnahmt worden?
Was passiert mit den Mädchen, die man an Musikschulen in Bands antrifft? Warum gibt es so viel
mehr Jungen- und Männerbands als Mädchen- und Frauenbands?
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Sind bestimmte Instrumente, Musikstile und performative Ausdrucksweisen als besonders unfeminin
oder nicht annehmbar konnotiert; können diese deshalb nicht als Option auf eigenen Ausdruck wahrge-
nommen werden?
Vorbilder/ Role-Models für Frauen sind: Sängerinnen, Singer/ Songwriterinnen, vereinzelt Instrumenta-
listinnen (Saxophon, Flöten, Geige, Cello, Piano, eventuell noch Bass). Unter welchen Rahmbedingungen
werden Mädchen z.B. viel eher Sängerinnen als Schlagzeugerinnen?
„Klingt ja gar nicht schlecht für Mädchen!“ –
„Für Mädchen spielen die ja ganz gut!“
Was machen solche Aussagen mit Mädchen und
Frauen?
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Das Mädchenzentrum Gelsenkirchen und Mädchen in der Populärmusik
Die Arbeit des Mädchenzentrums zum Thema des Fachtages begann während der Fußball WM in Deutsch-
land 2006. Das Mädchenzentrum organisierte das Projekt „KICK“ als ein Fußball-Theater-Musikevent für
Mädchen. Es stellte sich schnell heraus, dass die Themen Fußball und Popmusik, überwiegend Männerdo-
mänen waren und sind. Die weitere Arbeit konzentrierte sich dann aber zunächst auf das Thema Popmusik.
Hierzu hat das Mädchenzentrum Workshops angeboten. Daraus hat sich schlussendlich eine eigenständige
und mittlerweile recht erfolgreiche Mädchenband entwickelt. Diese wurde vom Mädchenzentrum unter-
stützt und einige Jahre begleitet. 2011 hat sich die Band verselbstständigt.
Während dieser Arbeit hat sich aber eindeutig gezeigt, dass Mäd-
chen bei Bandwettbewerben und in Proberäumen/ -zentren immer
unterrepräsentiert sind. Das Mädchenzentrum will weiter
„Mädchen und junge Frauen in der Populären Musik unterstützen,
fördern und etablieren. Aber auch die längst überfälligen Diskussio-
nen über Gender in der Popmusik in Gangsetzen und voran trei-
ben“, so Claudia Gertz-Rybarski, Leiterin des Mädchenzentrums
Gelsenkirchen e.V. , Veranstalterin des Fachtages.
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Theoretisches
Mädchen und junge Frauen sind in vielen Musikbereichen vertreten, doch besonders in der populären Musik
wird das Bild einer alleine entscheidungsunfähigen Frau bzw. Mädchen gezeichnet. Grund hierfür sind vor
allem gesellschaftliche Konventionen. Eigentlich sollte die Popmusik, die in den letzten Jahren auch Sprach-
rohr einer sich verändernden Welt war und ist, das Mädchen- und Frauenbild in der Gesellschaft unterstüt-
zen und fördern. Dies ist aber nicht der Fall. Die populäre Musik ist in vielen ihrer Ausdrucksformen männ-
lich geprägt und verhindert so oft eine weiterführende weibliche Identitäts-, Lebens-, und Klangentwürfe.
Selbstverständlich existieren Ausnahmen, die allerdings vom Mainstream nicht wahrgenommen oder margi-
nalisiert werden. Überdies gilt diese Muster auch geschlechterübergreifend für Jungen und Männer, die die-
se Strukturen musikalisch und inhaltlich nicht teilen, sondern eigene Vorstellungen verwirklichen und, eben-
so wie kritische Mädchen und Frauen, den Status Quo als reaktionär ansehen und in Frage stellen. Eine neue
Betrachtung der Gender Relations ist notwendig, denn eigentlich überkommene Rollenvorstellungen drän-
gen sich mit Definitionsmacht, über medial vermittelte Bilder und Töne wieder in die Gesellschaft hinein.
Dies wird Auswirkungen zeitigen, die bereits jetzt teilweise zu spüren sind: Ratgeber, die behaupten, Frauen
seien SO und Männer seien SO, erleben eine Renaissance, Themen werden, nach männlich und weiblich ge-
ordnet, von Kindheit an über populäre mediale Kanäle transportiert; das Verhalten ihrer Konsumenten in
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dem Maße beeinflussend, in dem eine schützende, reflektierte und hinterfragende Medienkompetenz noch
nicht ausgeprägt ist oder überhaupt sein kann. In unserer modernen Gesellschaft ist der Feminismus bzw.
die Geschlechtergleichheit bei weitem nicht so stark in allen Bereichen vertreten, wie es eigentlich sein
müsste. So muss sich eine neue Diskussion einstellen. Die Popmusik ist daher divergent zu betrachten. So
repräsentiert sie eine Fülle von möglichen Freiheitstendenzen und postuliert doch den Rückschritt in „alte“
Gesellschaftsformen und Geschlechterungleichheiten, die nicht auf medialer Ebene verbleiben werden. Pop-
musik hat das Potential, als Massenmedium auch Gegenentwürfe und neue Ideen zu transportieren und
Sprachrohr von Entwicklungen zu sein. Dafür müssen ihre Inhalte kritisch reflektiert, der produktive Zugang
zu ihr erleichtert und ihre Möglichkeiten aufgezeigt werden. Insbesondere für Mädchen und junge Frauen.
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Eingangsworte...
Heike Gebhard, MdL NRW:
Die Popmusik sollte Genderthema sein. In jeder Fachdisziplin
muss nach Genderthemen geschaut werden. Leider sind die
Verantwortlichkeiten hier nicht klar definiert.
Die Frage ist auch, wie kriegt man so etwas finanziert. Das Mi-
nisterium muss alle Themen zusammenbinden und bei der Fi-
nanzierung helfen.
Renate Janßen, Fachstelle Interkulturelle Mädchenarbeit NRW:
Die Fachstelle wollte von Anfang an Kooperationspartnerin sein und stellte sich
die Frage: wie ist es bei Mädchen mit Migrationshintergrund in diesem Bereich?
Müssen wir etwas Besonderes beachten? Welche Bedarfe gibt es heute?
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Gabriele Preuß, Bürgermeisterin Gelsenkirchen:
Die erste Mädchenband, die vom Mädchenzentrum be-
gleitet wurde, „ElektriXouls“, ist gut und eigenständig,
solche Projekte sind empfehlenswert. Da zeigt sich die
Nachhaltigkeit solcher Unterstützung. Wir müssen die
Mädchen stärken, ihr Interesse wecken und die Förde-
rung noch weiter verstärken.
Cornelia Benninghoven, Moderatorin:
Genderthemen sind nicht nur Frauen-
themen.
Meine Erfahrungen zeigen auch, dass
das Genderthema in der Kultur kaum
diskutiert wird. Frauen werden gar
nicht erst als unterrepräsentiert wahr-
genommen. Vor allem im Musikbe-
reich vermittelt die Presse mit State-
ments, wie „Die Popmusik ist ein Frau-
engeschäft“, den Eindruck, hier gäbe
es keinen Handlungsbedarf.
Claudia Keuchel, Kulturreferentin Gelsenkirchen:
In den 90-er Jahren gab es eine Menge an Frauenkultur- und
-musikfestivals. Es stellt sich für mich die Frage, warum das
irgendwann aufgehört hat. Gleichzeitig bin ich erfreut, die
alten Ansätze jetzt erneut aufzugreifen und weiterzuentwi-
ckeln. Das Mädchenzentrum ist an dieser Stelle eine enga-
gierte Partnerin.
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Die Literaturwissenschaftlerin Dr. Maren Volkmann, analysiert in ihrem Referat die Entwicklung der Frauen-
erwerbstätigkeit im Hinblick auf den Bergbaustandort Ruhrgebiet zu Beginn des 19. Jh. sowie dessen Struk-
turwandel in den 60er Jahren. Sie zieht Parallelen zu der musikalischen Ebene, wo sich besonders „…
Bandfotos, auf denen langhaarige, lederbehoste Schwermetaller nach schätzungsweise 48 Stunden Schlaf-
entzug und einem anscheinend nicht so gut gelaufenen Tag vor Stahlrohren, Hochöfen und Förderbändern
posieren…“ manifestiert haben. So stellt sich für Frau Volkmann die Frage, warum „…immer noch ziemlich
wenig in Hinblick auf Frauenbands und -netzwerke passiert…“.
Nach ihrer Recherche liegt es sowohl an der Musikrichtung die ein Mäd-
chen wählt, als auch an der Förderung, die besonders durch geschlechts-
spezifische Maßnahmen Erfolg verspricht- hier sieht sie besonders die För-
derung von Frauen/Mädchen durch Frauen/Mädchen als den Schlüssel.
Aus der Diskussion: Dr. Judith Krafczyk:
„Jungen fragen Männer, Mädchen fragen auch Männer, aber Frauen
wird im Allgemeinen das technische Verständnis nicht zugetraut.“
Referate
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Zudem setzt sie sich mit der Geschichte der Frauenmusik rock sie! auseinander, sie schreibt:
„Es ist kein Geld mehr da für das Thema Frau und Popularmusik.“
Neben der mangelnden Finanzierung solcher und anderer Projekte ist der Aufbau einer Frauenmusikstruk-
tur nicht nur im Ruhrgebet besonders schwierig. Es fehlt somit an gezielter Förderung von Anlaufstellen.
Es gibt im Ruhrgebiet weniger kulturelle Ausprägungen, als es zum Beispiel in den Städten Hamburg und
Berlin der Fall ist. Die geringere kulturelle Infrastruktur impliziert stärkere Konkurrenz unter Kulturschaffen-
den und bedingt damit eine stark erhöhte Benachteiligung von Frauen die an kulturschaffenden Berufen
interessiert sind.
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Frau Bernasconi, Musikerin und Redakteurin, referiert über verschiedene
Projekte des Frauenmusikbüros Fankfurt, mit dem Schwerpunktthema
„Musik als integrativer Faktor“. In ihrer Analyse geht sie besonders auf die
Notwendigkeit der kulturellen Sensibilität in Zusammenhang mit der Un-
terrichtung und Arbeit mit Mädchen mit Zuwanderungsgeschichte bzw.
Mädchen mit Migrationshintergrund ein. Projekte die besonders diese
Zielgruppe betreffen sollen, müssen Gegebenheiten schaffen, in denen
sich die Mädchen frei bewegen und lernen können. So sieht sie vor allem
die Notwendigkeit darin, dass Mädchen mit Migrationshintergrund aus-
schließlich von Frauen unterrichtet werden und dies in einem geschützten
Raum.
Aus der Diskussion: F. Hofmann :
„Es gibt viele Initiativen Musik in
Schulen zu bringen, meine Erfahrun-
gen sind, dass dort Mädchen eher dar-
auf anspringen als Jungen.“
Aus der Diskussion: Pyranja:
„Mädchen brauchen von Be-
ginn an einen geschützten
Raum.“
Das Frauenmusikbüro stand vor dem Problem, dass der geeignete
Nachwuchs für Projekte ausblieb. Die Frauen begannen damit an
der Basis „zu suchen“ und dort Mädchen aufzunehmen und zu för-
dern. Als Basis bzw. Anlaufstelle beschreibt Frau Bernasconi die Ar-
beit an Schulen.
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„Bei unseren Mädchenprojekten handelt es sich durchgängig um niederschwellige Angebote für Anfänge-
rinnen oder Mädchen mit geringen Vorkenntnissen. Dabei eignet sich entweder Trommeln in Verbindung
mit Tanzen und Singen, aber auch Bandarbeit. Ein wichtiger Bestandteil der Konzepte ist, an den Wün-
schen und Bedürfnissen der Mädchen anzusetzen.“
Die Mädchen werden besonders durch ihre Vorbilder aus der Popmusik geprägt (Madonna etc.) und wol-
len daher zuerst einmal singen und tanzen. Laut ihren Erfahrungen interessieren sie sich weniger für die
Musik aus ihrem Heimatland.
„Bei allen Mädchen, egal welchen Alters und mit welchem kulturellen Hintergrund, sind Vorbilder imma-
nent wichtig! Indem die Mädchen von Profimusikerinnen unterrichtet werden, lernen sie reale Musikerin-
nen kennen.“
Aus der Diskussion: G. Sadder:
„Ich bin von Haus aus Leihenmusikerin. Man muss sein
Wissen und Kenntnisse an Mädchen weitergeben. Man
muss nicht immer auf eine professionelle Bühne, Mäd-
chen sollen sich ausprobieren, den Spaßaspekt mehr
heraus heben.“
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Die Rapperin Anja Käckenmeister, alias Pyranja, Rapperin und Produzentin stellte
in ihrem Referat ihre Karriere und ihren Weg ins Musikbusiness dar. Sie begann
schon mit 15 Jahren eigenen Songs zu schreiben. Sie zeigt auf, dass das Genre
der Rapmusiker, hier besondere für Mädchen und junge Frauen, durch viele
Schwierigkeiten geprägt ist. So gibt es gerade in diesem Bereich festgefahrene
Rollenbilder, die sowohl
einschränken, als aber auch die Möglichkeit geben, neue Rollen zu definieren.
Hip-Hop war immer schon eine Möglichkeit, sich auch politisch zu positionieren,
Kritik zu äußern und auf Ungerechtigkeiten hin zu weisen. So sind die Themen in
Rapsongs von Frauen sehr unterschiedlich, je nachdem, mit welchen Themen
sich die Frauen aktuell auseinandersetzen müssen. In muslimischen Ländern
müssen sich Frauen bspw. stärker gegen konservative Rollenbilder und Klischees
durchsetzten, wodurch dies hier stärker in ihren Texten verarbeitet wird. Aber
auch in Deutschland ist es in diesem Genre für Mädchen und junge Frauen
schwierig sich zu behaupten. Obwohl es hier schon relativ viele Rapperinnen
gibt, sind nur wenige bekannt. Dies liegt z.T. daran, dass sich diese Frauen nur
Aus der Diskussion:
Pyranja:
„Es fehlen Weiblich-
keitsbilder zur Identi-
fikation!“
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wenig in der Öffentlichkeit zeigen, weil sie häufig „...noch warten wollen bis sie perfekt sind“, erklärt
Anja Käckenmeister.
Ein weiteres Problem sei in dieser Szene vor allem das Fehlen von Weiblichkeitsbildern, mit welchen
sich Mädchen und junge Frauen identifizieren können.
„Der Hip-Hop bietet ihnen lediglich zwei Frauenbilder: die Heilige und die Bitch“.
Groupies bestätigen zusätzlich die Männer in ihrem Frauenbild. Diese Bilder werden durch einen
männlich dominierten Musikjournalismus verfestigt. In den einschlägigen Hip-Hop-Magazinen sind
Rapperinnen meist eine Sonderkategorie. Anja Käckenmeister kann aus ihrer persönlichen Erfahrung
bestätigen, dass es als rappende Frau sehr lange dauert, vor allem von Magazinen, ernst genommen
zu werden. Besonders schwierig wird es dann, wenn man sich nicht ausschließlich auf die Klischeerolle
der Sängerin festlegen möchte, sondern auch mehr in über die Technik oder aber die Produktionsart
wissen möchte.
„Da heißt es oft: Du mach mal Rap, üb mal singen, ich mach das schon mit der Technik…“
Obwohl das Produzieren von eigenen Songs über den PC Zuhause heute sehr günstig und jedem ein-
fach zugänglich ist, bildet sich auch hier wieder eine Jungendomäne heraus.
Eine der Hauptschwierigkeiten für Mädchen und junge Frauen scheint das selbstständige Finden von
Vorbildern, so auch erfolgreichen Frauen mit eigenem Tonstudio.
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Die Jazzmusikerin Angelika Niescier, Saxophonistin und Jazzmusikerin stellt schon zu Beginn ihres Referats dar,
wie wichtig die Vorbildfunktion ist, so sollten gerade auch in Musikschulen die Kollegien mit mehr Frauen/
Musikerinnen besetzt werden. Vor allem im Bereich der improvisierten Musik ist es schwierig, da Musikrollen-
bilder dort sehr gefestigt sind. Lehrerinnen können nicht nur den Mädchenanteil in dieser Musikrichtung stei-
gern, sondern gleichzeitig die Instrumentenwahl beeinflussen. In den Studiengängen sind zwar viele Instrumen-
talistinnen vertreten, jedoch sind hier vor allem Bassistinnen sowie Schlagzeugerinnen sehr rar.
Aus der Diskussion: F. Hoffmann:
„Man hört immer, Mädchen üben viel mehr als Jungen, bevor sie
auftreten...“
Viele Mädchen und junge Frauen wagen sich nicht auf die Bühne, weil sie
sich noch nicht perfekt finden oder noch zu unsicher sind. Live- improvi-
sierte Musik bildet hier eine Sonderkategorie. Sie ist immer nur halbfer-
tig, d.h. weiter zu proben macht irgendwann keinen Sinn mehr. Die Mäd-
chen müssen sich einfach überwinden und sich auf die Bühne wagen.
„Deswegen sollte bei Musikworkshops immer ein Konzert als Ziel stehen.“
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Angelika Niescier vermutet, dass die jungen Frauen an den Hochschulen nicht ausreichend auf die selbststän-
dige Arbeit in der Musikbranche vorbereitet werden. „Sie sitzen während des Studiums in ihrem Elfenbein-
turm. Wenn sie dann aufwachen, erkennen sie, dass es harte Arbeit ist und es besonders mit Jazz kaum Mög-
lichkeiten gibt Geld zuverdienen.“
Aus der Diskussion: C. Gertz:
„Wo bleiben die ganzen Studentinnen? In
welche Löcher verschwinden sie?“
Aus der Diskussion: A. Niescier:
„Selbst Studentinnen wissen nicht,
was als selbstständige Musikerin nach dem Studium
auf sie zu kommt.“
Obwohl das Musikstudium von jungen Frauen ganz gut
besucht wird, ist unklar, warum davon nur so wenige in
der Musikbranche bleiben. „Es scheint, als verschwinden
sie in irgendwelche schwarzen Löcher.“
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Dr. Judith Krafczyk ist Projektleiterin von „Create.Music.OWL“ beim Kultursekretariat Gütersloh. Dieses Projekt
vernetzt KünstlerInnen, Institutionen und Einrichtungen, freiberuflich Tätige sowie kleine, mittelständische
und große Unternehmen der Musikwirtschaft und organisiert Konzertreihen in der Region. Durch diese Tätig-
keit hat sie besonders gute Einblicke in die Situation von Frauen in dieser Branche.
Aus der Diskussion:
S. Majer:
„Warum gibt es denn kaum
Mädchenbands?“
Sie berichtet auf der Tagung von einem minimalen Anteil von Frauen in
Bands und einer noch geringeren Anzahl von reinen Frauenbands bei
Konzerten. Warum das so ist, ist nicht ganz klar, aber es sind eindeutig
männlich dominierte Strukturen. Dies macht sich schon an Kleinigkei-
ten fest. „Das schlimmste, was ich mal gesehen habe als Ausschreibung
für einen Wettbewerb war: <<Ey, Musiker, seid ihr cool? Wollt ihr Grou-
pies?>> ...also Bitte!“ Es wird auch von solchen Veranstaltern z.T. über-
haupt nicht daran gedacht, auch Musikerinnen anzusprechen. Dies
spiegelt sich auch in der Frauenquote bei Gremien und Jurys wieder.
Auch hier sind nur wenig Frauen vertreten.
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Da es ja im Jugendalter hinreichend Einzelinstrumentalistinnen gibt, stellt sich die Frage, warum diese sich sel-
ten zu Bands zusammenschließen.
2010 wurde in OWL ein erstes Förderprojekt nur für Mädchen und junge Frauen, „Create a Woman Song“, ini-
tiiert. Ein Bandwettbewerb, bei welchem die Musikerinnen im Banddurchschnitt nicht älter als 25 Jahre sein
dürften.
Frauen und Mädchen mit gezielten Vorstellungen können im Musikbusiness weiterkommen, denn vor allem
die Qualität ihrer Musik ist nicht das Problem. Es fehlt allerdings an Förderung, Austausch und Vernetzung.
Aus der Diskussion: C. Gertz:
„Mädchen muss man den Raum
schaffen. Räume in denen sie sich
wohlfühlen. Es gibt zwar Räume, aber
da sind Jungen oft zu dominant.“
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Mane Stelzer stellt als Vertreterin des Frauenmusikbüros Frankfurt, eine 2010 erhobene Befragung von Musike-
rinnen zu ihrer Musiklaufbahn und ihren Erfahrungen vor. Bei dieser Erhebung wurden bislang 32 Frauen be-
fragt. Das Alter der Frauen liegt zwischen 23 und 54 Jahren (Ø 41 J.). Von der Rockmusikerin über die vielbe-
schäftige Jazzmusikerin mit 5 Bands bis zur gelegentlich musizierenden Hobbymusikerin sind alle Bandbreiten
vertreten. Es sind Frauen aus sogenannten "all female"-Bands, Musikerinnen, die in gemischten Combos spielen
und singen oder auch Songwriterinnen, die solo auftreten.
Eine auch für den Fachtag interessante Frage der Untersuchung ist: „Hast Du gute Bedingungen vorgefunden,
die Dir ermöglichten, Musik zu machen bzw. Deine Musik zu verwirklichen? Was war hilfreich?“ Die Antworten
hierzu sind sehr unterschiedlich. Als unterstützender Faktor wird am häufigsten
die Familie genannt, aber auch die KommilitonInnen , FreundInnen, BandkollegInnen,
LehrerInnen oder das "Netzwerk" und die Frauenmusikszene. „Kränkende Kommen-
tare nach Konzerten (z.B. „Für 'ne Frauenband ward ihr ja richtig gut!“) werden zum
Glück weniger, kommen aber immer noch vor, besonders bei all female bands.“
Sie zeigen, dass Frauen auch heute noch auf der Bühne nicht viel zugetraut wird.
Zwei weitere Vorurteile scheinen sich immer noch hartnäckig zu halten: dass Frauen
keine Ahnung von Technik hätten und keine kompetenten Ansprechpartner bei Ga-
genverhandlungen seien.
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Da wird einer Profi-Schlagzeugerin vom Techniker gesagt, wie sie ihr Instrument zu
stimmen habe und der Sängerin, wie sie ihre Mikrofone bedienen soll.
Der geringe Anteil an professionellen Musikerinnen wird in der Untersuchung auch
behandelt. Die Befragten sind überwiegend der Ansicht, „...dass Mädchen und Frau-
en in der Regel mehr Selbstzweifel haben und denken, sie wären nicht gut genug.“ Sie
selbst können mit Fehlern nicht so gut umgehen, sind sehr perfektionistisch. Dies ist
für die meisten befragten Musikerinnen ein wichtiger Grund, warum es mitunter
sehr lange dauert, bis sich Frauen trauen, auf die Bühne zu gehen.
Als weiterer entscheidender Faktor, für die geringe Musikerinnenzahl, scheint ihnen auch das Fehlen von
Role Models. Die befragten Musikerinnen beklagen, dass es in Schule, Musikunterricht, Hochschule und auf
der Bühne noch zu wenige Vorbilder gäbe und dass der Alltag immer noch sehr männlich geprägt sei. Die
Ausnahme bilden sicherlich Sängerinnen und Songwriterinnen, sowie Dozentinnen für Gesang, denn hier
finden sich viele Vorbilder, die jedoch meist wieder den gängigen Rollenerwartungen entsprechen. Netz-
werke von Frauen und spezifische Angebote für Mädchen und Frauen werden von allen befragten Musike-
rinnen begrüßt. Gerade bei Mädchen und jungen Frauen wird immer wieder bestätigt, dass sie sich in sol-
chen Zusammenhängen eher an für sie „fremdere“ Instrumente wagen und von einem klassisch-
„weiblichen“ Instrument z.B. auf Schlagzeug, E-Gitarre oder Bass umschwenken.
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Katrin Remmert, freiberufliche Popmusikerin, stellt in ihrem Referat ihre Entwicklung zur freiberuflichen Pop-
musikerin vor. Sie ist als Selbstständige tätig. Durch ihre Eltern, hat Frau Remmert glücklicherweise schon eine
Menge an Know-How mit auf den Weg bekommen. Besonders Bereiche wie Selbstorganisation, Businesswesen
und Management waren ihr dadurch schon früh ein Begriff und sie konnte Bekanntes auf ihre Selbstständigkeit
anwenden. Betriebswirtschaft und Projektmanagement sind für sie selbstverständliche und wichtige Bestandtei-
le ihrer täglichen Arbeit.
„Kompetenzen zur freiberuflichen Karriere sind ganz besonders wichtige Aspekte, wenn man erfolgreich sein
möchte.“
Ihre Erfahrungen zeigen aber, dass sich Mädchen und junge Frauen in der
Regel eher wenig für den Managementbereich von Musik interessieren. Dies
kann sehr wohl daran liegen, dass ihnen die Wichtigkeit dieser Aspekte nie
eindeutig vermittelt wurde. Im Musikstudium seinen allerdings Vorlesungen
wie „Management“ auch nur rar besucht. Wichtig ist daher kompetente und
frühzeitige Aufklärung zu diesem Themenbereich.
Aus der Diskussion: H. Bernasconi:
„Musikinitiativen helfen immerhin bei
Vermarktungsfragen etc.“
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Neben ihrer eigenen Tätigkeit in verschiedenen Musikprojekten, unterrichtet sie verschiedene Instrumente. Sie
stellt fest, dass es innerhalb ihrer Gruppen sehr wenig Mädchen bzw. junge Frauen gibt, die ein Instrument er-
lernen wollen.
Aus der Diskussion: A. Mirac:
„Es gibt zu wenig Vorbilder! Wir Frau-
en machen häufig das, was die Mutter
macht, simple Nachahmung.“
Frau Remmert hat selbst als Jugendliche in einer Band gespielt.
Auf die Frage, was aus dieser geworden sie, muss sie zugeben,
dass ihre Mitspielerinnen die Band wohl weniger ernst nahmen
als sie selbst.
Aus der Diskussion: M. Stelzer:
„Gerade wegen der genannten Problematik des
„sich-nicht-Trauens“ haben Frauen- und Mäd-
chenprojekte eine Schlüsselfunktion: sie sind
sinnvoll für den Einstieg, weil sie Raum zum
Ausprobieren und „Fehler- machen“ lassen und
das Selbstvertrauen stärken.“
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Die Musikerin Danja Mathari steigt mit dem direkten Dialog mit der Moderatorin in den Fachtag ein.
Sie tritt unter dem Namen Danja Atari auf. Die Band versteht sich gemeinsam mit weiteren Künstlern aus den
verschiedensten Bereichen als Kollektiv. Dadurch haben die einzelnen Künstler mehr Rückendeckung und kön-
nen sich gegenseitig unterstützen. Danja ist hier die einzige beteiligte Frau.
Sie ist selbst als Sängerin in dem Kollektiv tätig und hat sich eigentlich nie Ge-
danken über Rollenbilder und Klischees gemacht. Aber sie ist auch von Haus
aus immer sehr selbstbewusst erzogen worden und so waren Rollenklischees
nie ein Thema. Sie konnte sie selbst sein und das tun wozu sie Lust hat. Dabei
hatte sie nie direkte Vorbilder. Sie fühlt sich aber von verschiedenen Personen
positiv beeinflusst und inspiriert.
„Ich mach es einfach, ich habe mich nie auf ein Rollenbild
festgelegt, ich war immer sehr selbstbewusst.“
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Aus der Diskussion: K. Remmert:
„Oft kennen sich die SängerInnen auch nicht
mit den Instrumenten oder der Technik aus.
Das kann zu Schwierigkeiten führen.“
Sie schreibt ihre Texte selbst. Viele Mädchen trauen sich nicht, ihre Texte zu veröffentlichen. Mädchen
schreiben gut und gerne. Allerdings unterscheiden sich die Themen der Lieder häufig stark von denen der
Jungen.
„Generell ist es als KünstlerIn wichtig, dass man selbst-
bewusst seine Meinung, Wünsche und die eigenen
Vorstellungen artikulieren und durchsetzen kann.“
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Musikalischer Input:
Das Bandprojekt „toGEther“ des Mädchenzentrums Gelsenkirchen wurde im
Herbst 2011 gegründet. Es ist bereits die zweite toGEther-Formation des Mäd-
chenzentrums. In den wöchentlichen Workshops lernen die Mädchen, als
Band zusammen zu spielen. Sie erlernen den Gesang ebenso wie die techni-
sche Grundlagen des Bandspiels und des Equipments. Darüber hinaus erfah-
ren sie, wie sie sich bekannte Songs durch neue Arrangements zu eigen ma-
chen können und wie man selbst Songs schreibt.
Angeleitet wird die Band durch den Musiker und Musikwissen-
schaftler Julian Rybarski in Assistenz durch Denise Mäckenstock.
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Hinter dem Namen Danja Atari steckt ein Musikerkollektiv um die Köl-
ner Sängerin und Künstlerin Danja Mathari, die auch gern mit Illustrati-
onen, Installationen und Klängen experimentiert. Danja wuchs als
Tochter einer deutschen Mutter und eines tunesisch-französischen
Vaters in Berlin Schöneberg auf, ehe sie in noch jungen Jahren mit ih-
rer Mutter ins Ruhrgebiet zog. Dort lernte sie die Musiker und Produ-
zenten des Künstlerkollektivs Tengu Basement kennen und im Jahr
2005 gründete man nach ersten gemeinsamen Arbeiten offiziell das
Projekt Danja Atari.
Danja Atari ist ambitionierte elektronische Popmusik, die sich bisweilen im Trip Hop, im
Drum ‚n‘ Bass und im klassischen Techno bedient. Auf Englisch und auf Französisch singt Danja über
Leben, Trauer, Glück sowie über Unhaltbares, Liebe und das große Ganze.
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Ausblick:
Aus der Diskussion: S. Mejer: „Naja, wenn die Mädels keine Bands
gründen, haben sie vielleicht einfach keinen Bock drauf.“
Den Gedanken, dass die niedrige Anzahl von Mädchenbands und Mädchen in
gemischten Bands daran liegen könnte, dass es einfach nicht im Interesse der
Mädchen liegt, kann keiner der anwesenden Fachleute bestätigen. Alle Erfah-
rungen weisen das Gegenteil auf, die Mädchen wollen, wissen nur nicht wie
es gemacht wird oder trauen sich nicht.
Die aktuellen Genderrollen und Frauenbilder in der Popmusik stellen keine ge-
eigneten Vorbilder dar. Den Mädchen und jungen Frauen muss vermittelt wer-
den, dass sie es auch auf ihre Art machen können. Darum müssen Räume ge-
schaffen werden, in denen sie sich kreativ entwickeln können.
Mädchenprojekte müssen durch Künstlerinnen begleitet werden. Dazu muss die
Landes- und die Kommunalpolitik stärker in den gesamten Prozess „Gender in
der Popmusik!“ mit einbezogen werden.
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Zusammenfassend sehen die TeilnehmerInnen vor allem Handlungsbedarf in den strukturellen Rahmenbedin-
gungen sowie der individuellen Förderung der Mädchen.
Ein Diskussionsprozess von „Gender in der Popmusik“ in dem es durch die veränderte Rolle von Jungen und
Männern geht, muss angestoßen werden.
Den Mädchen fehlt es an alternativen Rollenbildern, diese müssen geschaffen und ihnen aufgezeigt werden.
Gleichzeitig müssen geschützte Räume geschaffen werden, damit die Mädchen sich trauen, ihre Kreativität frei
zu entfalten und neue Ideen zu entwickeln. Nur so kann ein Nährboden zur freien Entwicklung der Mädchen
entstehen und nachhaltig wirken. Dem Phänomen der „Schwarzen Löcher“, in die ambitionierte Mädchen, aber
auch talentierte Musikerinnen nach dem Studium verschwinden, sollte entgegengewirkt werden. Neben einer
Stärkung des Selbstbewusstseins durch individuelle Unterstützung, wäre hier sicherlich ein fachlicher Input zum
Thema Management und Selbstständigkeit sinnvoll, um die Mädchen auf den Berufsalltag als Musikerin besser
vorbereiten. Ebenso hilfreich ist eine Vertiefung der Themen Musik– und Aufnahmetechnik und Produktion.
Diese Bereiche interessieren auch Mädchen obwohl ihnen das kaum zugetraut wird. Wenn den Mädchen erst
einmal auch dieser Bereich zugestanden und zugetraut wird, ist es für sie nur noch ein kleiner Schritt, die eige-
nen Musik am zu Hause zu produzieren. Der Fachtag als erster Einstieg in die Problematik zeigt, die Bedarfe sind
sehr vielschichtig. Daher ist eine weitere dynamische Diskussion und insbesondere die Vernetzung, auch bun-
desweit, sehr wichtig. Das Thema muss– und wird– weiter behandelt werden!
Weitere Infos unter:
Mädchenzentrum e.V.
Liboriusstr. 40 45881 Gelsenkirchen
Tel: 0209-30253 maedchenzentrum-ge@
t-online.de
Die Dokumentation des Fachtages wurde mit freundlicher Unterstützung von Jullian Rybarski, Anna Janßen und Kira Fink erstellt.
Gelsenkirchen, März 2012
gefördert durch:
Unterstützt durch die Mitarbeit: