Dossier der Katholischen Sozialakademie Österreichs · nehmend von Seiten der Politik wie auch der...

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Dossier 01/2017 der Katholischen Sozialakademie Österreichs Sozial-ökologische Transformation >> Care Solidarität Nachhaltigkeit Utopien Demokratie Kulturelle Revolution Systemwechsel Gutes Leben für alle Katholische Sozialakademie Österreichs

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Dossier 01/2017der Katholischen Sozialakademie Österreichs

Sozial-ökologische Transformation

>>

Care

Solidarität

Nachhaltigkeit

Utopien

Demokratie

Kulturelle Revolution

Systemwechsel

Gutes Leben für alle

KatholischeSozialakademieÖsterreichs

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Inhalt

03

Eine sozial-ökologische Transformation ist nötig! 05Die Art und Weise wie wir wirtschaften und politisch handeln, muss verändert werden, um nicht auf Kosten anderer und der Natur zu leben. Sichtweisen auf die Transformation und Orte, wo diese angestrebt wird, sind Teil des vorliegenden Dossiers.

Sozial-ökologische Transformation _Christina Plank 06Die Intensivierung sozial-ökologischer Konflikte und sozialer Ungleichheit verdeutlicht die Notwendigkeit einer Transformation. Wo verlaufen jedoch die Grenzen ihrer Gestaltbarkeit? Und wie und von wem kann sie vorangetrieben werden?

Globale Trends der Ressourcennutzung und -verteilung_Stefan Giljum 08 Der weltweite Verbrauch natürlicher Ressourcen wächst rasant an und führt zu ökologischen und sozialenProblemen. Globalisierung in ihrer derzeitigen Form verstärkt dabei die gobalen Ungleichheiten. Eine Trendwende ist dringend notwendig.

Care als sozial-ökologisches Transformationsprinzip_Sarah Hackfort 11Multiple Krisen haben das Nachdenken über soziale und ökologische Fragen wieder oben auf die Agenda gesetzt. Zentrale Erkenntnisse aus der feministischen Theorie und Praxis werden in den Krisendiagnosen jedoch nicht berücksichtigt. Dabei lässt sich von den Ansätzen lernen, die Care als sozial-ökologisches Transformationsprinzip begreifen.

Sozialethische Perspektive auf die sozial-ökologische Transformation_Ingeborg Gabriel 14Unser westlicher Lebensstil ist weltweit nicht verallgemeinbar. Neben dem Wandel der polit-ökonomischen Strukturen und des individuellen Verhaltens ist daher die Herausbildung eines sozial-ökologischen Bewusstseins für eine kulturelle Revolution nötig.

Sozial-ökologische Transformation

Sichtweisen

Einleitendes

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InhaltDossier

Göttlicher Glanz – Schatten der Ausbeutung: Gold als Konfliktmineral_A. Herzig, H. Wasserbauer 17Die Faszination von Gold ist ungebrochen. Der Abbau boomt, Wohlstand wird versprochen. Doch der Glanz desGoldes ist getrübt. PartnerInnenorganisationen der Dreikönigsaktion berichten, dass die Menschen vor Ort nicht vom Gold profitieren. Im Gegenteil: ihre Lebensgrundlagen werden zerstört.

Wie wir solidarisch handlungsfähig werden_AktivistInnen der Sezionieri-Kampagne 19Was ist die Sezonieri-Kampagne und was will sie? Angesichts welcher Arbeits- und Lebensrealitäten von LandarbeiterInnen ist sie notwendig geworden?

Ein gutes Leben für alle heißt... die Frage nach einer anderen Globalisierung zu stellen_Alexandra Strickner 21Kosmopolitismus, globale Demokratie und globale soziale Rechte sind mit deregulierten globalen Märkten nicht möglich. Die Utopie des guten Lebens für alle ist das Gegenkonzept dazu.

System Change, not Climate Change!_Magdalena Heuwieser 23Die Bewegung für Klimagerechtigkeit zeigt, dass Klimawandel nur verhindert werden kann, wenn sich unser Wirtschaften und Leben verändert und die Förderung umweltschädlicher Sektoren wie der Luftfahrt endlich endet.

Wie werden wir konsumieren?_Nina Tröger 27Der Vorstoß der EU in Richtung Kreislaufwirtschaft ist ein Zeichen für einen Wandel in unserem Konsum- verhalten. Auch in der Gesellschaft ist der Wunsch nach anderen Komsumweisen, die nicht nur auf baldigem Wegwerfen beruhen, spürbar.

Vom Gemüse zum Gemüsegarten_Julia Hofer, Samuel Wintereder 29Bereits seit zehn Jahren verbreitet sich das Konzept der FoodCoops in Österreich. Wie haben sie sich seitherentwickelt und welchen Beitrag leisten sie zur sozial-ökologischen Transformation?

Solidarische Landwirtschaft – wir wachsen zusammen_Christina Plank, Stephan Pabst 31Christina Plank im Gespräch mit Stephan Pabst über Community Supported Agriculture (CSA) in Österreichund die Entstehung eines österreichischen Netzwerks für Solidarische Landwirtschaft.

Orte

Bildnachweis: Titelbild, S. 3, 5, 7, 12, 15 www.flickr.com/creative commons license; S. 8, 9, 10: Stefan Giljum; S. 17: Seifert/Reisenberger,

S. 20: PRO-GE, S. 22: Michael Stern, S. 23-26: System Change, not Climate Change!, S. 29-30: IG FoodCoops, S. 31: Sophie Frey, S. 32: Nina

Rath, S. 34: Stephan Pabst

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05Sozial-ökologische Transformation

Einleitendes

Aus Klimaschutzgründen darf die dritte Piste am Flughafen Schwechat nicht gebaut werden. Die Verhinde-rung des Ausbaus stellt einen Erfolg dar. Denn es wird ein positives Exempel statuiert, das Gewohnhei-ten des billigen Fliegens als Mobili-tätsmuster hinterfragt. Ebenso werden gän-gige Produktionswei-sen, die sich am Wirt-schaftswachstum orientieren, auf den Prüfstand gestellt.

Wir wechseln den Ort zu den Soja-Planta-gen in Brasilien. Soja wird dort angepflanzt, um als billiges Futter an Schweine, Rinder und Geflügel in Europa verfüttert zu werden. Durch den Anbau der genmanipu-lierten Saat in Monokulturen werden indigene Völker verdrängt und loka-le Kleinbäuerinnen und Kleinbauern ihrer Lebensgrundlage beraubt. Der Einsatz von Pestiziden ruft zudem im Umfeld der Plantagen Krankeiten bei Menschen und Tieren hervor und macht den Boden unfruchtbar. Die beiden Bilder stehen exempla-risch dafür, dass es wie gehabt nicht weitergehen kann – es braucht eine sozial-ökologischen Transformation. Wir müssen die Art und Weise, wie wir wirtschaften und politisch han-deln, verändern, um nicht auf Kosten anderer Menschen und der Natur zu leben. Das vorliegende Heft legt dar, welche Utopien, aber auch konkre-te Handlungen und Rahmenbedin-gungen für eine sozial-ökologische

Eine sozial-ökologische Transformation ist nötig!

Transformation notwendig sind und welche Barrieren bestehen. Anhand verschiedener Orte wird beleuchtet, wie unterschiedliche Initiativen eine sozial-ökologische Transformation bereits heute vorantreiben.

Beiträge

In den Sichtweisen werden zunächst die Hindernisse einer sozial-ökologi-schen Transformation wie auch wei-tere Konturen für deren Gestaltung aufgezeigt. Die ungleiche weltweite Ressourcenverteilung und –nutzung ist eine der großen Herausforderun-gen, die es dabei zu bewältigen gilt. Außerdem zeigt sich, dass ein ganz-heitliches Verständnis von Wirtschaf-ten, sowie die Entwicklung eines solidarischen und nachhaltigen Be-wusstseins für eine Transformation wichtig ist. Dabei muss auch die Sorgearbeit berücksichtigt werden.

Gegenstand des zweiten Teils des Dossiers sind zahlreiche Orte, an denen nachhaltige Produktions- und Lebensweisen praktiziert werden wie

auch Konflikte und Kämpfe, die um herrschende Verhältnisse geführt werden. Auseinandersetzungen um das Konfliktmineral Gold machen die Nord-Süd-Ungleichheiten deutlich. Die Sezonieri-Kampagne zeigt, dass eine Verbindung von gewerkschaftli-

cher Arbeit und Land-wirtschaft notwendig ist, um faire Arbeits-verhältnisse für Ernte- arbeiterInnen zu schaf-fen. Dass Diskussions-räume wichtig sind, veranschaulicht ein Beitrag zum „Guten Leben für alle“-Kon-gress, der im Februar dieses Jahres in Wien zum 2. Mal stattge-funden hat. Wie „System Change, not Climate Change!“

schon im Titel erkennen lässt, impli-ziert eine sozial-ökologische Trans-formation darüber hinaus einen Systemwechsel, der von der Klima- gerechtigkeitsbewegung vorange-trieben wird. Daneben stehen neue Konsummuster zur Diskussion, die sich auch in Form von Lebensmittel- kooperativen, besser bekannt als FoodCoops, in den letzten Jahren rasant in Österreich verbreitet haben. Schließlich werden Entwick- lungen der solidarischen Landwirt-schaft in Österreich beleuchtet.

-red-

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SichtweisenDossier

Autorin:Christina Plank ist Schasching-Fellow der ksoe 2016/2017 und Lehrende am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.

Sozial-ökologische Transformation

Der weltweit steigende Ressourcenverbrauch trägt zur Intensivierung sozial-ökologischer Konflikte bei und vertieft soziale Ungleichheiten. Eine Transformation wird daher von verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren eingefordert. Wo verlaufen jedoch die Grenzen ihrer Gestaltbarkeit? Und wie und von wem kann eine sozial-ökologische Transformation vorangetrieben werden?

Ein sich verschärfender Klimwan-del, steigende – auch zwischen den Geschlechtern – soziale Ungleich-heit und zunehmende Verteilungs-konflikte im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise sind Ausdruck der Vielfachkrise. Dass eine Transforma-tion notwendig ist, wird daher zu-nehmend von Seiten der Politik wie auch der Wissenschaft proklamiert. Dabei steht in Anbetracht der welt-weit herrschenden sozial-ökologi-schen Schieflage ein bewusst normativ gewählter Zugang im Zentrum. Ziel ist es, eine radikale, tiefgreifende Transformation aktiv zu gestalten, ohne dabei in lähmende Katastrophenszenarien zu verfallen. Die Vorstellungen, wie eine solche Transformation vonstatten gehen soll, welche AkteurInnen maßgeblich den Gestaltungsprozess vorantreiben können und worin die Barrieren von Transformation bestehen, verlaufen jedoch äußerst unterschiedlich.

Im deutschsprachigen Raum ist der Begriff der Transformation durch den Wissenschaftlichen Beirat der Bun-desregierung Globale Umweltverän-derungen (WBGU) in Deutschland bekannt geworden. Dieser spricht in Anlehnung an Karl Polanyi, der in seinem Buch „The Great Transfor-mation“ die Industrialisierung Eng-lands im 19. und 20. Jahrhundert und die damit einhergehenden ge-sellschaftlichen Veränderungen ana-lysiert, von einer „großen Transfor-mation“. Diese soll eingeleitet wer-

den, um einen sozial-ökologischen Wandel mittels Gesellschaftsverträ-gen voranzutreiben.

Die Notwendigkeit einer Krisenanalyse

Um jedoch eine sozial-ökologische Transformation gestalten zu kön-nen, ist es von Bedeutung, die ka-pitalistischen Krisendynamiken und die damit verbundenen Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu ver-stehen. Denn ohne deren Analyse bleibt es bei einem Festhalten am kapitalistischen Wachstum und der damit einhergehenden Logik der Profitmaximierung. Dieses führt, dem Credo der Wettbewerbsfähig-keit folgend, zu einem „weiter wie bisher“ bzw. zu einer Verschärfung der aktuellen Vielfachkrise. Dazu gehört auch die Analyse der insti-tutionellen Strukturen.

Die Bedingung einer Krisenanalyse besteht nicht zuletzt in der Dring-lichkeit, den Verbrauch natürlicher Ressourcen einzuschränken. Klima-forscherInnen wie Will Steffen und KollegInnen zeigen mit dem Begriff der „great acceleration“, der „großen Beschleunigung“, dass seit den 1950ern der Ressourcen-verbrauch steil nach oben stieg. Dieser materiell-stoffliche Ver-brauch hat Klima- und Umwelt-probleme zugespitzt und Fragen von Verteilungsgerechtigkeit in-tensiviert. Er geht einher mit der

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Sichtweisen

Ganzheitliche ÖkologieSichtweisen

07Sozial-ökologische Transformation

Verbreitung des westlichen Wohl-standsmodells, das in immer größe-rem Ausmaß als attraktive Lebens-weise durch die besitzende Klasse der Schwellenländer übernommen wird. Die damit verbundene Exter-nalisierung der Kosten auf Mensch und Natur anderorts wird von den Politikwissenschaftlern Ulrich Brand und Markus Wissen als „imperiale Lebensweise“ bezeichnet.

Die bereits spürbaren Auswirkun-gen des Klimawandels zeigen, dass ein Umstieg von fossilen Energie-trägern auf erneuerbare Energi-en notwendig ist. Aktuelle domi-nante Lösungsvorschläge folgen je-doch einem technologisch moder-nisierungstheoretischen Paradigma und stellen eine „Green Economy“ in den Vordergrund. Vermeint-lich grüne Lösungen bspw. in Mo-bilitätsfragen, wie der Umstieg auf Agrartreibstoffe oder Elektromobili-tät, verstärken die Externalisierung der Kosten und äußern sich in Land Grabbing, Konflikten im Bergbau beim Abbau seltener Erden und so-genannter Konfliktmineralien. Wie kann jedoch ein, Systemwech-sel, weg vom fossilen Kapitalismus, gelingen?

Utopien

Utopien sind ein zentrales Element für eine sozial-ökologische Transfor-mation. Wie der Wirtschaftswissen- schaftler Andreas Novy in seinen „fünf Thesen, wie wir zum guten

Leben für alle kommen“ schreibt, wurden Errungenschaften wie die Menschenrechte zunächst als utopisch eingestuft. Utopien sind je-doch wichtig, um Leitgedanken arti-kulieren und verfolgen zu können.

Alltagserfahrungen und Konflikte

Soziale Bewegungen für Umwelt- und Klimagerechtigkeit oder Ernäh-rungssouveränität setzen sich für eine demokratische Veränderung der herrschenden Verhältnisse ein. Sie treten, ebenso wie die Postwachs-tums- oder Degrowthbewegung, für sozial-ökologische Gerechtigkeit sowie solidarische und nachhaltige Produktions- und Lebensweisen ein. Dabei geht es darum, wie das „Gu-

tes Leben für alle“ besagt, so zu le-ben, dass dieses für alle weltweit ver-allgemeinerbar ist. Vielfältige Praktiken der Bewegungen, wie z.B. der solidarischen Landwirtschaft zei-gen, dass anhand diverser Alltags-erfahrungen, und den damit einher-gehenden Konflikten, Möglichkei-ten zur Veränderung geschaffen wer-den. Wenngleich diese Praktiken mo-mentan nischenhaft sind, gelten sie als wichtige Suchprozesse, die als Lern- und Experimentierfelder eine sozial-ökologische Transformation vorantreiben.

Institutionelle Durchsetzung und Absicherung

Um nicht in der Nische zu verharren, ist es unabdingbar, zu fragen, wie diese nachhaltigen Lebens- und Pro-duktionsweisen durch die Bereitstel-lung von Infrastrukturen unterstützt, verallgemeinert und institutionell ab-gesichert werden können. Eben-so wichtig ist es, zu thematisieren, in welcher Form ein demokratischer Systemwechsel denkbar wäre. Zentrale Auseinandersetzungen lau-fen hierbei über das Verständnis und die Ausgestaltung von Arbeit. Ein ganzheitliches Wirtschaftsverständ-nis, das die Anerkennung von Sorge-arbeit inkludiert und nicht zu Lasten anderer und der Natur geht, ist da-für nötig.

Weiterführende Literatur:

Brand, U., 2016.“Transformation” as a New Critical Orthodoxy. The Strategic Use of the Term “Transformation” Does Not Prevent Multiple Crises. GAIA 25 (1), 23-27.Görg, C., 2016. Zwischen Tagesgeschäft und Erdgeschichte. Die unterschiedlichen Zeitskalen in der Debatte um das Antropo-zän. GAIA 25 (1), 9-13.Novy, A., 2017. Fünf Thesen, wie wir zum Guten Leben für alle kommen. http://mosaik-blog.at/gutes-leben-fuer-alle-kongress-buen-vivir-thesen/

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SichtweisenDossier

Globale Trends der Ressourcennutzung und -verteilung

Autor:Stefan Giljum leitet die Forschungsgrup-pe „Nachhaltige Ressourcen- nutzung“ am Institute for Ecological Economics der Wirtschaftsuniversität Wien und forscht zu Themen der globalen Ressourcennutzung und Ressourceneffizienz.

Der weltweite Verbrauch natürlicher Ressourcen wächst rasant an und führt zu ökologischen und sozialen Problemen, wie etwa dem Klimawandel oder Umweltkonflikten. Globalisierung in ihrer derzeitigen Form verstärkt dabei globale Ungleichheiten im Pro-Kopf-Konsum. Eine Trendwende ist dringend notwendig.

Natürliche Ressourcen, wie Rohstof-fe, Wasser, produktive Böden und funktionierende Ökosysteme bilden die physische Grundlage für alles Leben auf unserem Planeten. Pflanzen, Tiere und auch wir Men-schen können nur überleben, wenn

wir kontinuierlich natürliche Res-sourcen (etwa in Form von Nah-rung) nutzen. Diese Form des stoff-lichen Austausches mit der Natur kann auch auf unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem übertragen werden. Denn wirtschaftliche Akti-vitäten können nur aufrechterhalten werden, wenn wir ständig Roh- stoffe, Energie oder Wasser für unsere Produktions- und Konsum- zwecke zuführen.

Wachsender Rohstoffhunger der Weltwirtschaft

Der weltweite Verbrauch natürlicher Ressourcen ist in den letzten 30 Jah-ren enorm angewachsen. Dies hat mehrere Gründe. Einerseits ist der Pro-Kopf Verbrauch an Ressourcen in den entwickelten Ländern sehr hoch. Andererseits findet in vielen Schwellenländern eine rasante Industrialisierung statt, welche die Nachfrage nach Ressourcen anhebt. Die mit der Ressourcennutzung ein-hergehenden Umweltbelastungen steigen somit ebenfalls rasant an. Prominentestes Beispiel ist der Kli-mawandel, der eng mit unserer Nut-zung fossiler Energieträger sowie mit Aspekten der Landnutzung und Tier-haltung zusammenhängt. Aber auch viele andere Umweltprobleme sind direkt oder indirekt mit der Nutzung natürlicher Ressourcen verbunden, so etwa Wasserknappheit, der Ver-lust der Artenvielfalt oder die Ver-schmutzung von Luft, Böden oder Meeren. Aus Sicht einer nachhalti-gen Entwicklung ist es daher drin-gend notwendig, Produktions- und Lebensstile zu entwickeln, welche mit deutlich weniger Ressourcenver-brauch auskommen.

Doch werfen wir zu Beginn einen Blick auf die Trends der letzten 30 Jahre. Abbildung 1 zeigt den

Abbildung 1: Globale Entnahme von Rohstoffen, 1980-2013 (Quelle: www.materialflows.net)

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Sichtweisen

9Sozial-ökologische Transformation

weltweiten Verbrauch an Rohstof-fen, untergliedert in die vier Haupt-kategorien der Biomasse (aus Land- und Forstwirtschaft), der minerali-schen Rohstoffe für Bau- und Indus-triezwecke, der fossilen Energieträger sowie der Metalle.

Die Abbildung zeigt, dass sich die globale Rohstoffent-nahme in den letzten 30 Jahren mehr als verdoppelt hat, von etwa 36 Milliarden Tonnen in 1980 auf 85 Milliarden Tonnen im Jahr 2013. Ab-schätzungen zeigen, dass der aktuelle Ver-brauch bereits über 90 Milliarden Tonnen liegen dürfte. Um sich diese riesige Zahl bes-ser vorstellen zu kön-nen, ist es hilfreich, diese auf die Rohstoffentnahme pro Sekunde herunterzurechnen. Heute werden demnach jede Sekunde (!) weltweit Rohstoffe in das Wirtschaftssystem eingespeist, die etwa der Ladung von 100 LKWs entsprechen. 27 dieser LKWs sind mit Produkten aus der Land- und Forstwirtschaft beladen, 17 LKWs mit fossilen Energieträgern, wie Koh-le, Öl oder Erdgas, 46 LKWs mit mineralischen Rohstoffen (v.a. Bau-stoffe wie Sand, Schotter und Kies) sowie 10 LKWs mit metallischen Rohstoffen.

Zunehmende Bedeutung von Schwellenländern

Betrachtet man den Verlauf der weltweiten Entwicklung in Abbil-dung 1, so kann man feststellen, dass das Wachstum des Ressourcen-verbrauchs in der Periode 1980 bis 2002 mit 1,8% pro Jahr relativ mo-derat war. Beginnend mit dem Jahr 2003 zeigte sich jedoch eine deutli-che Beschleunigung des Wachstums,

auf über 4% pro Jahr. Hauptgrund für diese Entwicklung war der rasante Aufstieg großer Schwellen-länder in Asien, insbesondere von China. Dies führte auch zu einer starken Verschiebung der Bedeutung verschiedener Weltregionen in der Weltwirtschaft, wie Abbildung 2 zeigt.

Der Anteil Asiens an der globalen Rohstoffentnahme hat in den letzten 30 Jahren, aber insbesondere nach dem Jahrtausendwechsel stark zuge-nommen. 2013 waren bereits 61% aller weltweit entnommenen Roh-stoffe asiatischen Ursprungs mit ei-nem deutlich ansteigenden Trend. Im Vergleich dazu sank der relati-ve Anteil der entwickelten Länder stark ab. Wurden in Europa im Jahr 1980 noch knapp 20% der weltwei-ten Rohstoffe abgebaut, sank dieser Anteil bis zum Jahr 2013 auf 8%. Auch der Anteil von Nordamerika (USA und Kanada) ging dramatisch zurück.

Die in Asien abgebauten Rohstof-fe werden einerseits für die Herstel-lung von Produkten verwendet, die in asiatischen Ländern selbst kon-sumiert werden. Länder wie China haben sich in den letzten Jahren je-doch auch zu den weltweit wichtigs-ten Exportnationen für eine große

Anzahl von Produkten entwickelt, so etwa für Elektronik- und Haushalts-produkte, Textilien und Spielwaren. Diese Produkte werden zum Groß-teil in entwickelte Regionen wie Eu-ropa oder Nordamerika exportiert. Diese beiden Kontinente sind da-her auch jene Weltregionen, wel-che die höchste Importabhängigkeit

aus dem Ausland auf-weisen. Etwa ein Drit-tel aller Rohstoffe, die in Europa in Form von Produkten konsumiert werden, wurden im Ausland gewonnen. In Österreich ist die Ab-hängigkeit von Roh-stoffen aus dem Aus-land für manche Kate-gorien sehr ausgeprägt. Etwa 90% der metal-lischen Rohstoffe, die in Österreich verarbei-tet oder konsumiert werden, stammen aus

ausländischem Bergbau. Bei fossilen Energieträgern liegt die Importab-hängigkeit bei fast 100%.

Faktor 10 Unterschiede im Pro-Kopf-Konsum

Der Pro-Kopf-Verbrauch an natür-lichen Ressourcen, auch „Material-fußabdruck“ genannt, zeigt große Unterschiede zwischen den verschie-denen Weltregionen (siehe Abbil-dung 3 für Ergebnisse ausgewählter Länder). Australien war 2011 eines jener Länder mit dem höchsten Pro-Kopf Konsum (knapp 45 Tonnen). Dies ist einerseits durch das hohe Einkommen zu erklären, anderer-seits durch die große Fläche Austra-liens pro EinwohnerIn, welche einen ressourcenintensiven Lebensstil be-günstigt, etwa in Form großer Ein-familienhäuser und einer hohen An-zahl an PKWs pro Haushalt. Öster-reichs Materialfußabdruck lag 2011 bei etwa 26 Tonnen, etwa gleichauf

Abbildung 2: Anteile der Weltregionen an der globalen Rohstoffentnahme, 1980-2013; (Quelle: www.materialflows.net)

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SichtweisenDossier

mit dem Verbrauch der USA. Dies mag verwundern, da Österreich als ein umweltschonendes Land be-kannt ist. Jedoch besitzt Österreich einen auch im europäischen Ver-gleich starken Bausektor, welcher mit seiner großen Nachfrage nach Mineralien und Metallen zu einem hohen Pro-Kopf-Ver-brauch beiträgt. Japan als sehr dichtbesiedel-tes Land hat hingegen einen deutlich geringe-ren Materialfußabdruck (knapp 15 Tonnen in 2011).

Die enorme Wachs-tumsdynamik in man-chen asiatischen Län-dern lässt sich insbe-sondere am Bei-spiel Chinas gut zeigen. Der Ma-terialfußabdruck einer Einwohne-rIn Chinas verdreifachte sich in etwa zwischen 1995 und 2011 und liegt heute bereits über dem Pro-Kopf-Verbrauch Japans. Allerdings ist es wichtig zu erwähnen, dass ein gro-ßer Teil dieser Rohstoffe nicht für den privaten oder öffentlichen Kon-sum aufgewendet wird, sondern für den Aufbau von Infrastruktur (etwa Kraftwerke, Straßen, Flughäfen, Ge-bäude). Länder wie Indien haben hingegen einen Materialfußabdruck von unter 5 Tonnen pro Jahr. In Af-rika lag der Materialfußabdruck pro Kopf im Jahr 2011 sogar bei unter 3 Tonnen.

Weiterführende Literatur:

Tukker, A., Bulavskaya, T., Giljum, S., de Koning, A., Lutter, S., Simas, M., Stadler, K., Wood, R., 2014. The Global Resource Footprint of Nations. Leiden/Delft/Vienna/Trondheim.www.truthstudio.com/content/CREEA_Global_Resource_Footprint_of_Nations.pdf

Dittrich, M., Giljum, S., Lutter, S., Polzin, C., 2012. Green economies around the world? Implications of resource use for de-velopment and the environment. SERI, Vienna. https://www.boell.de/sites/default/ files/201207_green_economies_ around_the_world.pdf Online-Portal für globale Daten zu Materialflüssen und Ressourcenverbrauch: www.materialflows.net:

Der Ressourcenverbrauch ist somit weltweit gesehen sehr ungleich ver-teilt und der internationale Handel führt dazu, dass diese Ungleichheit weiter steigt. Denn es sind oft jene Länder im globalen Süden, welche selbst einen geringen Verbrauch auf-weisen, jedoch gleichzeitig die größ-

ten Mengen an Rohstoffen in die reichen Länder exportieren.

Wandel aller gesellschaftlichen Akteure

Im Sinne einer nachhaltigen Ent-wicklung hat Europa daher eine be-sondere globale Verantwortung, da mit der Produktion und dem Kon-sum von Produkten und Dienstleis-tungen weltweite ökologische und soziale Konsequenzen einhergehen. Um die negativen Folgen zu mini-mieren, sollte beim Kauf von Pro-dukten daher möglichst auf die Her-kunft geachtet und versucht wer-

den, Produkte mit hohen sozialen und ökologischen Standards sowie mit kurzen Transportwegen zu er-werben. Im Bereich der Lebensmit-tel existiert bereits eine Reihe von Produktkennzeichnungen, welche als Orientierung dienen können. In vielen anderen Branchen, wie etwa

bei Elektronikprodukten, steht diese Entwicklung jedoch erst am Anfang.

Klar ist auch, dass Kon-sumentInnen alleine den notwendigen Wandel in Richtung Nachhaltigkeit nicht bewerkstelligen können. Es geht gleicher- maßen auch um eine Umorientierung von Unternehmen in Rich-tung ressourcenschonen-der und sozial gerechter Produktion sowie um die

Veränderung von politischen Rah-menbedingungen, um nachhaltiges Handeln zu fördern. Beispiele hierfür wären etwa eine sozial-ökologische Steuerreform in den reichen Ländern oder die Verbesserung der sozialen und ökologischen Bedingungen in den Produktionsländern des globa-len Südens.

Abbildung 3: Pro-Kopf Konsum an Rohstoffen ausgewählter Länder,

1995 und 2011; (Quelle: www.materialflows.net)

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Sichtweisen

11Sozial-ökologische Transformation

Care als sozial-ökologisches Transformationsprinzip

Multiple Krisen haben das Nachdenken über soziale und ökologische Fragen wieder oben auf die Agenda gesetzt. Zentrale Erkenntnisse aus der feministischen Theorie und Praxis werden in den Krisendiagnosen jedoch nicht berücksichtigt. Dabei lässt sich von den Ansätzen lernen, die Care als sozial-ökologisches Transformationsprinzip begreifen.

Transformation ist in Deutschland derzeit in aller Munde. Krisen wie der Klimawandel, der Verlust von Biodiversität und die Knappheit von Ressourcen, aber auch die Finanz-krise haben in Politik und Gesell-schaft wie auch in manchen Unter-nehmen das Nachdenken über sozi-ale und ökologische Fragen wieder ganz oben auf die Agenda gesetzt. So verfasste 2011 das zentrale um-weltpolitische Beratungsgremium der Bundesregierung in Deutschland (der Wissenschaftliche Beirat Globa-le Umweltveränderungen, WBGU) ein vielbeachtetes Gutachten zum Thema „Welt im Wandel – Gesell-schaftsvertrag für eine Große Trans-formation.“ Auch das Bundesfor-schungsministerium (BMBF) fördert Transformationsforschung, zum Bei-spiel für eine sozial- und umweltver-trägliche Transformation der Ener-giesysteme oder zur nachhaltigen Transformation urbaner Räume.

Aber nicht nur in der Politik und For-schungspolitik, auch in der Wissen-schaft sorgt der Begriff für Bewe-gung. Auch WissenschaftlerInnen streiten über die Ansprüche und Legitimationen einer transformativen Wissenschaft, die sich explizit in den Dienst einer normativen Sache stellt. Dabei gibt es VertreterInnen, die für eine sozial-ökologische Trans-formation einen grundlegenden öko-nomischen Systemwechsel fordern.

Verschiedene WissenschaftlerInnen wie soziale Bewegungen an der Schnittstelle zur Forschung (zum Beispiel Degrowth, Postwachstums-bewegung, solidarische Ökonomie) fordern eine Abkehr vom kapitalisti- schen Wachstumsimperativ, sei er noch so grün. Diese radikaleren Transformationsansätze bewegen sich jedoch noch in der Nische. Wesentlich wirkungsmächtiger ist derzeit das Konzept der „Green Economy“, das in weiten Teilen an die wachstumsdominierten Nachhal-tigkeitskonzepte der 1990er Jahre anknüpft.

Green Economy als dominantes Narrativ der Transformation

Die Green Economy wurde auf der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung 1992 und im Vorfeld vom Umweltpro-gramm der Vereinten Nationen als ein Konzept präsentiert, das einen ökonomischen Paradigmenwech-sel einleiten und materiellen Wohl-stand ohne Umweltrisiken und so-ziale Ungleichheiten bieten könne. Dies versucht sie vor allem durch die Entwicklung sauberer Technologi-en und durch mehr Effizienz in der Nutzung natürlicher Ressourcen. Die Green Economy setzt auf Wachstum als Imperativ von Wirtschaft und nachhaltiger Entwicklung. Indem je-

Autorin:

Sarah Hackfort ist Politikwissenschaft- lerin am IZT – Institut für Zukunfts- studien und Technologiebewertung - in Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Klima-, Energie- und Ressourcenpolitik und in der feministi-schen Theorie.

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SichtweisenDossier

und eine Doppelkrise diagnostiziert. Denn die unterbewerteten Sorgetä-tigkeiten brauchen Zeit und Ressourcen, die im aktuellen neoli-beral ausgerichteten Wirtschaftssys-tem mit häufig prekären Lohn- arbeitsverhältnissen nicht ausrei-chend bereit gestellt werden. Statt-dessen wird die staatliche Förderung im Bereich der Bildung, Gesundheit, Pflege und sozialen Dienste zuneh-mend reduziert und privatisiert. Analog dazu wird Natur als ver-meintlich unendlich zur Verfügung stehende Ressource ausgebeu-tet und durch ökonomische Prozes-se vereinnahmt: Die Aneignung und Nutzung natürlicher Ressourcen, von Wasser, Energie und Rohstoffen, kostet wenig, die negativen Effek-

te ökologischer Ausbeutung, also die Verursachung von Umweltbelastun-gen, werden externalisiert.

Der Gedanke der Gleichursprüng-lichkeit von sozialen und öko- logischen Krisen findet sich Ende der 1970er bzw. Anfang der 1980er be-reits in den Arbeiten der Subsistenz-theoretikerinnen Mies, von Werlhof und Bennholdt-Thomsen. Mit ihrem Subsistenzansatz verwiesen sie auf die gesellschaftliche und ökonomi-

sche Bedeutung der (vornehmlich von Frauen geleisteten) Hausarbeit sowie der Eigenarbeit und der klein-bäuerlichen Produktion. Zentrales Anliegen war es, Subsistenz als un-sichtbare Basis kapitalistischer Pro-duktion und Grundlage aller Tätig-keiten zur Herstellung und Erhal-tung des Lebens sichtbar zu ma-chen. Damit verbinden sie die Kri-tik an der Ausbeutung von Frauen-arbeit weltweit mit der Kritik an der Ausbeutung von Menschen in Län-dern des globalen Südens und der ökologischen Ressourcen.

Die feministischen Ökonominnen Biesecker und von Winterfeldt er-kennen hier als Ursache für diese Doppelkrise eine zugrunde liegende

Struktur der Externa-lisierung: „Externa-lisierung als Prinzip bedeutet zunächst, dass etwas zum Au-ßen gemacht wer-den muss, das dann als Abgespaltenes angeeignet werden kann. (…) Es findet sich überall dort, wo Menschen als nicht Zugehörige be- und vernutzt und wo Na-tur als ‚frei‘ verfüg-bare, dem Wertvol-len äußere Ressource verbraucht wird.“

Das Unsichtbare sichtbar zu machen, das Abgespal-tene, Externalisierte und Selbstver-ständliche wieder ins Zentrum zu rücken, die sozialen und ökologi-schen Grundlagen allen Wirtschaf-tens erhaltend zu gestalten – diese Anliegen verfolgen verschiedene fe-ministische Netzwerke (wie das Vor-sorgende Wirtschaften) und The-orierichtungen (wie der Subsisten-zansatz, ökofeministische Ansätze oder die feministische ökologische Ökonomik).

doch die ökologische Krise vorrangig als Effizienz-, Management- oder Modernisierungsproblem verstan-den wird, geraten die gesellschaft-lichen Verhältnisse aus dem Blick. Das führt dazu, dass Krisendiagno-sen und Lösungsstrategien weitge-hend geschlechterblind sind: Analy-sen von Genderaspekten in relevan-ten Handlungsfeldern oder zentrale Erkenntnisse aus der feministischen Theorie und Praxis werden nicht berücksichtigt.

Kritik der feministischen, sozial-ökologischen Ökonomik an der Green Economy

Feministische ÖkonomInnen kritisie-ren seit Jahren die Trennung und Hierarchisierung der formellen Erwerbsarbeit (Produktionsar-beit) einerseits und der gesell-schaftlich notwen-digen Sorgearbei-ten (Reproduk-tionsarbeit, Eng-lisch: Care Work) andererseits. Sie thematisieren die Marginalisierung der Sorgearbeit und betonen die gesellschaftliche Bedeutung der Sorge füreinander – also die Famili-en- und Hausarbeit, die Pflege alter und kranker Menschen, die Kinder-betreuung sowie auch die zivilgesell-schaftliche und politische Arbeit für das Gemeinwohl als unabdingbar für die individuelle und gesamtgesell-schaftliche Erhaltung.

Der Begriff Care bezog sich in sei-nen Ursprüngen auf das Sorgen in zwischenmenschlichen Beziehungen. Erst später wurde die Sorge für die nicht-menschliche Natur einbezogen

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Sichtweisen

13Sozial-ökologische Transformation

Ganzheitliches Verständnis von Ökonomie

Ein ganzheitliches Wirtschaftsver-ständnis im Sinne einer sozial- ökologischen Transformation beinhal-tet eine Abkehr von dem Externalisie-rungsprinzip. Um dem nicht-nachhal-tigen Umgang mit den sozialen und ökologischen Grundlagen zu begeg-nen, muss das Ganze der Ökonomie und der Arbeit in den Blick genom-men werden. Dabei, so betonen fe-ministische Autorinnen, darf es je-doch nicht einfach um Internalisie-rung, Inklusion und Aufwertung in-nerhalb und in die wachstumsgetrie-bene Warenökonomie hinein gehen. Zwar würde die Internalisierung von ökologischen Kosten zu einer ökolo-gisch gerechteren Preisbildung füh-ren. Ohne die gleichzeitige Transfor-mation sozialer Ungleichheitsstruk-turen allerdings, könnten sich soziale Ungleichheiten dadurch weiter ver-schärfen. Ebenso transformiert auch die bloße Bezahlung von informeller Care-Arbeit die geschlechtshierarchi-sche Arbeitsteilung kaum. Statt sol-cher vereinzelter Maßnahmen muss es also um einen tiefgreifenden Wan-del gehen, der sich an Care als so-zial-ökologischem Transformations-prinzip orientiert.

Das Konzept der Green Economy hat bisher (wenn überhaupt) nur die ökologische nicht aber die sozi-ale Transformationsdimensionen im Blick. Nimmt man die diagnostizier-te Doppelkrise als Ausgangspunkt für die Suche nach Lösungsstrategien, wird deutlich, dass eine sozial- ökologische Transformation nicht

nur einen ökonomischen, sondern auch einen politischen Paradigmen-wechsel erfordert, der das Vorsorgen (Caring) für Mensch und Natur ins Zentrum der Gesellschaft rückt.

Vorsorge, Kooperation und Orientierung am für das gute Leben Notwendigen

Perspektivisch geht es damit nicht nur um eine Erweiterung des en-gen, nur auf die Marktökonomie beschränkten Ökonomie-Begriffs, sondern um eine Veränderung von Ökonomie insgesamt: Die Markt-ökonomie mit ihren Handlungsprin-zipien (Konkurrenz, Orientierung an Wachstum und Profit) soll durch Care-ökonomische Prinzipien der Vorsorge, Kooperation und Orien-tierung am für das gute Leben Not-wendigen sowie an Suffizienz verän-dert werden.

Die sozial-ökologische Transfor- mation erfordert mehr als nur ein „Ergrünen“ der Wirtschaft. Es er-fordert umfassende und strukturel-le ökonomische und politische Ver-änderungen einschließlich einer Um-verteilung aller Arbeiten und Res-sourcen. Denkt man Nachhaltigkeit und Geschlechtergerechtigkeit zu-sammen, dann geht es eben neben der Aufhebung von (vergeschlecht-lichter) Arbeitsteilung und der Neu-verteilung von Arbeit auch um die Sichtbarmachung der Zusammen-hänge von ökonomischer (kapitalis-tischer) Ausbeutung, Natur und sozialen Ungleichheiten insge-samt, also den Dynamiken der Externalisierungsgesellschaften.

Weiterführende Literatur:

Gottschlich D., Roth S., Härtel A., Röhr U., Hackfort S., Segebart D., König C., 2014. Nachhaltiges Wirtschaften im Span-nungsfeld von Gender, Care und Green Economy. Debatten – Schnittstellen – blinde Flecken. Berlin. Biesecker A., von Winterfeld U., 2014. Extern? Weshalb und inwiefern moderne Gesellschaften Externalisierung brauchen und erzeugen. Working Paper 2/2014 der DFG-KollegforscherInnengruppe Postwachstumsgesellschaften. Jena.

Wider die Externalisierung als Prinzip und für eine vorsorgende Demokratie

Alternative Konzepte von Transfor-mation müssen den an Nutzenma-ximierung orientierten homo oeconomicus hinter sich lassen und stattdessen den Mensch als sozial- ökologisches Wesen verstehen, das fähig ist, für sich und andere, für zukünftige Generationen und die nichtmenschliche Natur zu sorgen. Für eine (vor)sorgende Ökonomie als Teil einer (vor)sorgenden Demokratie fehlen jedoch bisher noch unterstützende Strukturen und Prinzipien. Auch die Green Economy hat den Beweis noch nicht erbracht, dass sie eine echte Alter-native zum derzeitig herrschenden Wachstumsmodell darstellt. Viel-mehr wird hier diese gängige Tren-nungsstruktur ökonomischen Den-kens fortgeführt, die Externalisie-rung und Unterbewertung von Sor-ge-Arbeiten und Natur wird nicht in Frage gestellt oder zum Gegenstand des Strukturwandels erklärt.Hier gilt es alternative Strategien zur sozial-ökologische Transformati-on entwickeln, in denen es auch um eine umfassende Veränderung der kapitalistischen Produktions- und imperialen Lebensweise sowie der vorherrschenden Zeitregime und der Organisation von Arbeit geht. Der Umbau der Wirtschaft durch eine Orientierung an Care als vor-sorgendem, sozial-ökologischen Transformationsprinzip ist damit auch eine Frage der Demokratie, wie wir sie wollen.

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Autorin:

Ingeborg Gabriel ist Ordinaria für Sozialethik an der Katholisch-Theologi-schen Fakultät der Universität Wien und Vize-Präsidentin der Vereinigung der Iustitia et pax Kommissionen in Europa.

Sozialethische Perspektive auf die sozial-ökologische Transformation

Die Situation, in der wir leben, ist eigenartig und auch beunruhi-gend. Wiewohl die Armut an den Rändern unserer Gesellschaften wächst, gibt es einen nie zuvor ge-kannten materiellen Massenwohl-stand. Zugleich wissen wir längst, dass seine sozial-ökologischen Fun-damente fragil sind.

Dies hat nicht zuletzt mit den ideellen Fundamenten zu tun, auf denen jede Gesellschaft aufruht und die Zukunft ebenso bestim-men wie die vorhandenen Instituti-onen und die vertretenen Inter- essen. Diese ethischen Grundla-gen müssen an neue Situationen immer wieder angepasst werden, wenn das Fundament und die so-ziale Kohäsion Bestand haben sol-len. Dies gilt insbesondere heute und soll anhand der zentralen Leit-begriffe Solidarität und Nachhal-tigkeit erläutert werden. Sie müss-ten im Zentrum jener „mutigen kulturellen Revolution“ stehen, die Papst Franziskus in seiner Enzykli-ka Laudato si‘ vom Mai 2015 ge-fordert hat. Diese Aufgabe, Ge-sellschaft und Politik hin auf mehr sozial-ökologische Gerechtigkeit zu transformieren, stellt sich da-bei national, wie europäisch und global. Der entschiedene Umbau der Strukturen muss dabei von ei-nem Wandel des individuellen Be-wusstseins komplementiert wer-

den. Groß-Transformationen, wie sie heute anstehen, können weder al-lein durch Strukturveränderungen hervor gebracht werden noch durch einen Wandel des individuellen Ver-haltens. Vielmehr müssen Instituti-onen- und Gesinnungsreform – so die Diktion der traditionellen katholi-schen Soziallehre – zusammen kom-men, und den Kirchen kommt hier eine beachtliche Aufgabe zu. Ge-genwärtige Reform-Konzepte setzen im Allgemeinen bei den Strukturen an, also bei der Verbesserung von Institutionen, Regeln und Gesetzen. Doch jede Reform bleibt darauf an-gewiesen, dass die Menschen mit-ziehen, sie akzeptieren und sich mit ihnen identifizieren und daher auch bereit sind, ihr eigenes Verhalten zu ändern. Regulatorischer Zwang al-lein genügt nicht und auch institu-tionelle Anreize können die Bereit-schaft nicht ersetzen, sich selbst zu engagieren.

Eine neue Sichtweise

Was die gegenwärtigen Situation betrifft, vorweg eine Vorbemer-kung. Der in der Debatte dominie-rende Begriff der Werte stammt ur-sprünglich aus der Ökonomie und hat zudem eine Art platonischen Touch. Werte existieren. Sie sollen „hochgehalten“ und gegebenenfalls „verteidigt“ werden. Was das kon-kret heißt, bleibt jedoch eher unklar.

Unser westlicher Lebensstil ist weltweit nicht verallgemeinbar. Neben dem Wandel der polit-ökonomischen Strukturen und des individuellen Verhaltens ist daher die Herausbildung eines sozial-ökologischen Bewusstseins für eine kulturelle Revolution nötig.

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Sichtweisen

15Sozial-ökologische Transformation

Denn um ein Mehr an sozial-ökolo-gischer Gerechtigkeit zu verwirkli-chen, braucht es offenbar um vieles mehr. Hier geht es um grundlegen-de und vorausschauende Analysen gesellschaftlicher Zusammenhän-ge, einen wachen Sinn für Gerechtig-keit, eine gut ent-wickelte Empathie gegenüber schwä-cheren Mitgliedern der Gesellschaft so-wie um individuel-len Willen und den Mut, das alltägliche Handeln danach zu gestalten. Kurz: es braucht eine klare Vorstellung der ethi-schen Herausforde-rungen, vor denen unsere Gesellschaft im politischen und ökonomischen Be-reich steht. Gefragt ist nichts mehr und nichts weniger als eine neue Sicht des Lebens und aus dieser Vision heraus die Entwicklung neuer Lebensformen mit Kreativität. Den Religionen kommt hier eine zentrale Bedeutung zu.

Solidarität

Was die Solidarität betrifft: das Leid an den Rändern der Gesellschaft be-trifft immer die Situation Einzelner und von Gruppen, deren Bedürfnisse höchst unterschiedlich sind. Zwangs-prostituierte, psychisch Kranke, die dem Alltag nicht mehr gewachsen sind, Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlicher Kultur und Religion, allein erziehende Müt-ter, Obdachlose u. a. m. Die christli-che „Option für die Armen“, die im Zentrum des katholischen Sozial- denkens steht, muss gerade auch angesichts der Individualisierung von Notlagen heute unterschiedliche Formen annehmen. Die individuelle

Kreativität besteht dabei nicht zuletzt darin herauszufinden, in welchem Bereich man sich selbst am besten einbringen kann. Niemand kann al-les. Doch wächst durch jede spezifi-sche Form kirchlich-karitativen und

zivilgesellschaftlichen Engagements die Solidarität und Empathie mit al-len. Dieser Einsatz hilft anderen kon-kret, aber er bildet zugleich das so-ziale Bewusstsein. Die Solidaritäts-ressourcen in unseren Gesellschaften kommen jedoch auch aus strukturel-len Gründen unter Druck: verbreite-te Korruption und das „Absahnen“ unglaublich hoher Summen durch die vor allem internationalen Hauptge-winnerInnen der Globalisierung, die die Gesetze der Nationalstaaten um-gehen können, wirken sich sozial ne-gativ aus, weil Menschen, die ihr Le-ben lang hart arbeiten, mit keines-wegs üppigen und stagnierenden oder gar fallenden Einkommen, de-motiviert werden. Ebenso wirkt ein neoliberales überzogenes Konkur-renzdenken sich negativ aus, da es den Menschen als homo oeconomi-cus gleichsam normativ darauf ver-pflichtet, ohne Rücksicht auf Andere seinen eigenen Nutzen zu verfolgen. Ein derartiges Menschenbild ist zu-

tiefst inhuman. Es schließt Solidarität aus, ja diese wird vielfach zu einer Form des Eigeninteresses (Helfer- Innensyndrom) umdefiniert. Der Grundwasserspiegel an Empathie wird gegenwärtig noch durch viele

Einzelne, zivilgesell-schaftliche wie kirch-liche Gruppen, auf verhältnismäßig hohem Niveau auf-rechterhalten. Doch die Gründe für den Solidaritätsverlust im lebensweltlichen Alltag, in Unterneh-men und anderen Institutionen sind klar beim Namen zu nennen, um Kaltschnäuzigkeit, Rücksichtslosigkeit u.Ä.m. zu entlarven und hoffentlich zu-rück zu drängen.

Nachhaltigkeit

Im Hinblick auf die Nachhaltigkeit liegt das Problem etwas anders: es ist seit Jahrzehnten bekannt, dass der Ressourcenverbrauch des westlichen Lebensstils global nicht universalisier-bar ist. Der weit verbreitete Trend ei-ner nachholenden Entwicklung ba-siert jedoch auf diesem Lebensstil und bewirkt so eine Globalisierung der Nicht-Nachhaltigkeit. 7,5 Mrd Menschen können nicht so leben wie wir jetzt. Das resultierende Ge-rechtigkeitsdilemma verdoppelt sich durch die Umweltschäden. Vor allem der Klimawandel trifft am här-testen jene Regionen, die am we-nigsten konsumieren und daher kaum CO2 Emissionen verursachen. Ihre Bevölkerungen werden so dop-pelt zu Opfern. Diese „ökologische Schuld“ belastet unser Gewissen, ob wir es wollen oder nicht, und erzeugt Unbehagen.

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Das Bedrückende ist darüber hinaus, dass der Konsum zudem persönlich immer weniger befriedigt. Was be-deutet es für unser Leben, dass jede/r Europäer/in im Durchschnitt 10 000 Gegenstände besitzen soll. Man ist an das Wort des Hl. Basileus erinnert: Arm ist, wer viele Bedürfnisse hat. Dieser Überkonsum führt nicht nur in soziale und ökologische Aporien. Er macht auch nicht mehr froh. Papst Franziskus spricht zu Recht in Evan-gelii gaudium von einer „individua-listischen Traurigkeit“ in reichen Ge-sellschaften, einem Mangel an Freude aufgrund der fehlenden Wert-Balan-ce. Die Rede von der Life-Work- Balance und Sharing als neuen Trends, zeigt, wie wichtig, wenn auch nicht einfach es wäre, kreative Schritte zu setzen, um ein neues Lebensgefühl zu entwickeln. Dazu braucht es exempla-rische Handlungen, die sukzessive die Motivation erhöhen können, den Res-sourcenverbrauch herunterzuschrau-ben. Eine „kulturelle Revolution“ ver-langt Zeit und Überlegung im Detail, um nicht nach der Entscheidung zum Umstieg vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel beim ersten Regen wieder ins Auto zu steigen, da mein Beitrag gering und der persönliche Aufwand vergleichsweise groß ist.

Für eine kulturelle Revolution

Eine Änderung der Gewohnheiten (habitus) ist nicht einfach. Sie kann und muss daher durch Gesetze und Regelungen effektiv unterstützt

werden. Diese sozialstrukturen-ethische Dimension braucht frei-lich einen langen Atem. Ein re-zentes jedoch lehrreiches Bei-spiel, wie notwendige Ände-rungen durch interessengeleite-tes Lobbying scheitern können, ist die Finanztransaktionssteuer. Auch energiesparende Maßnah-men, wie die höhere Besteuerung energieintensiver Autos (SUVs), die zudem verkehrsgefährlich sind, ist bisher nicht durchge-setzt. Dabei wäre die notwen-dige 90%ige Energiereduktion durchaus machbar. Wie Stephan Rammler gezeigt hat, würde die Lebensform, die sich daraus er-gibt, überraschend jener ähneln, die bis in die 1960er Jahre be-stand: Weniger Mobilität, mehr Sparsamkeit plus dem Einsatz von neuen Technologien würden zu-dem zur Entschleunigung führen, was der sozialen Lebensqualität förderlich wäre. Die Lebensqua-lität und der Zeitwohlstand wür-den eher steigen als sinken. Dafür Anreize durch eine erhöhte Ener-giesteuer zu setzen, wären ein notwendiger Schritt. Doch – und hier liegt die Crux struktureller Maßnahmen zu Beginn des 21. Jahrhunderts – sie müsste welt-weit oder wenigstens europaweit durchgesetzt werden. Die Schwie-rigkeit einer weltweiten Koordi-nation in ökologischen Fragen hat zuletzt der durchaus erfolgreiche Gipfel von Paris

Weiterführende Literatur:

Papst FRANZISKUS, 2015. Enzyklika Laudato Si’. Über die Sorge für das gemeinsame Haus. Vatikan.Verfügbar unter: http://w2.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-francesco_20150524_enciclica-lau-dato-si.html.

Gabriel I., Steinmair-Pösel P., (Hg.), 2014. Gerechtigkeit in einer endlichen Welt. 2. Aufl. Ostfildern.

Gabriel I., Kirchschläger P., Sturn R., (Hg.), 2017. Eine Wirtschaft, die Leben fördert. Reflexionen im Anschluss an wirtschafts- und unternehmensethische Impulse von Papst Franziskus. Ostfildern 2017 (im Erscheinen).

(COP 21) im Dezember 2015 gezeigt, zu dem die katholische Kirche durch die Enzyklika Laudato si‘, durch Be-wusstseinsbildung bei hochrangigen VertreterInnen, PolitikerInnen, Wis-senschaftlerInnen und Religionsführe-rInnen, auf internationalen und natio-nalen Konferenzen u.ä.m, einen nicht unbedeutenden Beitrag geleistet hat. Die Fragilität des Abkommens zeigt sich darin, dass eine neue amerikani-sche Regierung durch den geplanten Ausstieg vieles, wenn nicht zunichte-machen, so doch schwer behindern kann. Doch der Einsatz für soziale und ökologische Transformationen ist, im Kleinen wie im Großen, unbedingt notwendig. Dafür braucht es moti-vierte Personen. Denn wie der engli-sche Schriftsteller C. S. Lewis schrieb: Nur gute Schiffe können eine gute Flotte bilden. Nur ein verbreitetes ökologisches und soziales Bewusstsein und das daraus resultierende Handeln kann die öko-sozialen Regeln und Maßnahmen stützen, die es dringend braucht, um die kulturelle Revolution durch weitsichtige Transformationen einzuleiten.

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17Sozial-ökologische Transformation

Göttlicher Glanz – Schatten der Ausbeutung:

Die Faszination von Gold ist ungebrochen. Der Abbau boomt, Wohlstand wird versprochen. Doch der Glanz des Goldes ist getrübt. PartnerInnenorganisationen der Dreikönigsaktion berichten, dass die Menschen vor Ort nicht vom Gold profitieren. Im Gegenteil: ihre Lebensgrundlagen werden zerstört.

Gold – Symbol des Göttlichen und wertvoller Rohstoff

Das glänzende Metall hat Men-schen seit jeher fasziniert. Es ros-tet nicht, es verdirbt nicht. So ist es in vielen Religionen zum Symbol für das Göttliche geworden. Man denke nur an die indische Gottheit

Lakshmi oder vergoldete Buddha-Statuen. Auch im Chris-tentum hat es bald trotz der Auf-forderung Jesu an seine Jünger, kein Gold mitzunehmen, Einzug gehalten: Kelche, Monstranzen, Ikonen, goldene Kuppeln – gerade-zu eine „Explosion“ von Gold gibt es in den barocken Kirchen. Gold ist ein knappes, wertvolles Gut. Goldbarren und Schmuck sind da-her besonders in Krisenzeiten be-gehrte Wertanlagen. Goldene Ehe-ringe stehen für die Treue der Ehe-

leute. Von alters her hat Gold auch einen praktischen Wert, da es z.B. durch seinen Glanz Licht reflektiert und so (Kirchen-) Räume erhellen kann. Heute hat fast jede/r von uns Gold in der Tasche – als einen von ca. 60 mineralischen Rohstoffen, aus denen Smartphones oder Handys produziert werden.

Gold weckt auch Unmenschliches im Menschen

Der Glanz des Goldes wird durch ungeheures Unrecht getrübt, das dem Edelmetall seit der Kolonialzeit in verstärktem Maße anhaftet. Die unselige Allianz, die die Kirche mit denen eingegangen ist, die Latein- amerika erobert und ausgebeutet haben, ist ein dunkles Kapitel der Kirchengeschichte. Papst Johannes Paul II. hat mit seiner Vergebungs-bitte im Jahr 2000 ein wichtiges Zei-chen gesetzt – er gestand ein, dass Christen und Christinnen in der Ver-gangenheit die Rechte vieler Völker verletzt hatten.

Auch heute kann Gold Inbegriff für Ausbeutung, Plünderung, Zerstö-rung der Umwelt und menschenun-würdige Arbeitsbedingungen sein. Deswegen haben verschiedene Bi-schofskonferenzen in Afrika und La-teinamerika und auch Papst Franzis-kus in der Enzyklika Laudato si‘ auf die menschen- und umweltschädli-chen Aspekte des Bergbaus – und

AutorInnen:

Anneliese Herzig, Anwaltschafts- referentin der Dreikönigsaktion für das Themenfeld Pastoral und Herbert Wasserbauer, Koordinator Anwaltschaft der Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar.

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damit auch des Goldabbaus – hinge-wiesen. Papst Franziskus spricht dies-bezüglich von einer „ökologischen Schuld“ zwischen dem Norden und dem Süden.

Beispiel Ghana – Goldabbau als Fluch

Die Dreikönigsaktion, das Hilfswerk der Katholischen Jungschar, setzt sich in vielfältiger Weise für Menschen ein, für die der Abbau von Gold und anderen Rohstoffen zum Fluch wur-de. In Ghana, das als britische Kolo-nie den vielsagenden Namen „Gold-küste“ trug, unterstützen wir seit vie-len Jahren die Organisation WACAM (Wassa Association of Communities affected by Mining) bei der Verteidi-gung der lokalen Bevölkerung gegen negative Auswirkungen des Gold-bergbaus. Aufgrund der reichen La-gerstätten wird Gold mittlerweile in weiten Teilen des Landes in großem Stil von globalen Bergbau-Konzer-nen, aber auch informell und weitge-hend unkontrolliert von Kleinschürfe-rInnen, sogenannten Galamsey Mi-ners, abgebaut. Im Jahr 2010 um-fasste der Abbau insgesamt fast 100 Tonnen Gold und brachte damit das kleine Land Ghana auf Platz 10 der weltweiten GoldproduzentInnen. Die Auswirkungen auf die betroffene Be-völkerung und Umwelt sind mas-siv. Sie äußern sich durch Zwangs-umsiedlungen und damit zusammen-hängende Einschüchterungen und Gewalt. Entschädigungszahlungen sind meist viel zu gering, um den Be-troffenen einen Neustart zu ermög-lichen. Überdies verschmutzen das von KleinschürferInnen eingesetzte Quecksilber bzw. der Austritt von Zy-anid bei großen Tagebauminen oder Abwässer der Abraumhalden das Wasser. Verseuchte Böden können so nicht mehr landwirtschaftlich genutzt werden. Wenn schließlich alles Gold abgebaut ist, sind mit Wasser gefüll-te Gruben verlassener Minen ideale Brutstätten für Mücken und begüns-

tigen die Ausbreitung von Malaria. Darüber hinaus sind Prostitution, Drogen und Gewalt soziale Begleit- erscheinungen in Bergbaugebieten. Auch sehr viele Kinder und Jugend-liche arbeiten im Bergbau. Insge-samt hat sich die Armutssituation der Menschen durch den Abbau von Gold nicht verbessert, sondern sogar noch verschlimmert. Vor diesem Hin-tergrund hat WACAM bereits in den 1990er-Jahren begonnen, sich für die Rechte der marginalisierten Bevölke-rung und für Umweltschutz einzuset-zen. Durch Wissensvermittlung, Per-sönlichkeitsbildung, Vernetzung und anwaltschaftliche Arbeit werden be-troffene Gemeinden unterstützt. In Konfliktfällen erhalten die Menschen eine rechtliche Begleitung und Unter-stützung, um ihre Anliegen vor Ge-richt zu bringen. WACAM versucht Menschen in Bergbau-Regionen al-ternative Einkommensmöglichkeiten zu eröffnen und arbeitet verstärkt mit der lokalen Kirche zusammen.

Politik und Wirtschaft sind gefordert

Die Bischofskonferenz von Ghana rief 2013 ihre Priester auf, in den von Bergbau-Aktivitäten betroffenen Ge-bieten „anwaltschaftliche Program-me für Menschen durchzuführen und zu unterstützen, deren Land und Le-bensgrundlagen durch diese Aktivitä-ten bedroht sind“.

Die Dreikönigsaktion ist auch in Österreich und Europa anwaltschaft-lich aktiv. Gemeinsam mit anderen Organisationen haben wir uns für eine starke EU-Gesetzgebung einge-setzt, um die Finanzierung von be-waffneten Konflikten aus dem Ge-schäft mit „Konfliktmineralien“ zu unterbinden. Mit Fallstudien zeigen wir Problemlagen auf und fordern gesetzliche Bestimmungen ein, damit Unternehmen mehr Verantwortung für ihre Rohstoffeinkäufe überneh-men müssen. Europäische und öster-

reichische Rohstoffpolitiken sind der-zeit sehr einseitig auf die Sicherung der Versorgung heimischer Industrien ausgerichtet. Diese müssen dringend um einen umfassenden Menschen-rechtsschutz, eine Stärkung von Ent-wicklungschancen in den Abbaulän-dern und ernsthafte Anstrengungen für Umweltschutz und dem Schließen von Kreisläufen in der Rohstoffver-wendung erweitert werden. In Ös-terreich formiert sich ein Bündnis von Nichtregierungsorganisationen, die diese Anliegen vorantreiben wollen.

Was kann jede/r von uns beitragen?

Hier einige Tipps und Anregungen:

1. Vermeiden: Muss die Anschaf-fung wirklich sein und wenn ja, muss es wirklich Gold sein oder kann man weniger problemati-sche Materialien einsetzen?

2. Wiederverwenden: Alter Schmuck, alte liturgische Gefä-ße, Smartphones können recy-celt werden. Ein Familienstück durch eine/n Goldschmied/in um-arbeiten zu lassen, kann einem Schmuckstück auch einen be-sonderen symbolischen Wert ge-ben und unterstützt heimisches Handwerk.

3. Faire/verantwortungsvolle Quel-le: Es lohnt sich auch beim Gold-kauf nach der Herkunft der Roh-stoffe und nach der „fairen Al-ternative“ zu fragen. Seit Kurzem sind FAIRTRADE Eheringe verfüg-bar (www.fairtrade.at/gold) und auch am Handymarkt tut sich etwas: www.fairphone.com

4. Kampagnen unterstützen, die sich für Verbesserungen in der Roh-stoff- und Elektronik-Branche ein-setzen (u.a. www.dka.at/roh- stoffe, www.electronicswatch.org ).

5. Die Opfer von Ausbeutung um Vergebung bitten und Möglich-keiten der Wiedergutmachung ergreifen.

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19Sozial-ökologische Transformation

Wie wir solidarisch handlungs- fähig werden

Was ist die Sezonieri-Kampagne und was will sie? In welchem politischen Kontext findet sie statt? Angesichts welcher Arbeits- und Lebensrealitäten von LandarbeiterInnen ist sie notwendig geworden? Und welches Zwischenresümee können wir nach drei Jahren ziehen?

Herbst 2013: Im Oktober leg-ten rund 70 ErntearbeiterInnen aus Rumänien und Serbien bei ei-nem Tiroler Gemüsebauern ihre Ar-beit nieder. Durch öffentlichkeits-wirksamen Protest machten sie auf ihre untragbaren Arbeitsbe-dingungen aufmerksam. Kurz da-vor, im August, wandten sich ru-mänische und ungarische Landar-beiterInnen im Südburgenland an die zuständige Produktionsgewerk-schaft PRO-GE, um sich gegen ihre Ausbeutung zu wehren. Im Jahr darauf fiel der Startschuss für die Sezonieri-Kampagne.

Die beiden oben genannten Bei-spiele zur Rechtedurchsetzung von LandarbeiterInnen führten vor Au-gen, was offenbar in weiten Teilen der österreichischen Gemüsebau- branche gängige Praxis ist: Dumping-Löhne weit unter Kol-lektivvertragsniveau, Nichtabgel-tung von Sonderzulagen für Über-stunden, Nacht- oder Sonntagsar-beit, Überschreitung gesetzlicher Höchstarbeitszeiten, Unterbrin-gung in unzulänglichen Quartieren und mitunter auch Zwangssituati-onen, die den Verdacht auf Men-schenhandel nahelegen. Zugleich sorgten die beiden Fälle insofern für Erstaunen, als hier eine soziale Gruppe für ihre Rechte eintrat, der gemeinhin kaum Konflikt- und Or-ganisationsfähigkeit zugestanden wird. Schließlich handelt es sich bei

„Erntehilfe“ und „Saisonarbeit“ um besonders prekäre Formen migran-tischer Lohnarbeit. Und nicht zuletzt machten die beiden Fälle deutlich, dass die Durchsetzung von Rech-ten selbst unter solch widrigen Vor-aussetzungen möglich ist: So einig-ten sich in Tirol die von der Arbeiter-kammer rechtlich vertretenen Ernte-helferInnen im Dezember 2013 au-ßergerichtlich mit dem Landwirt auf eine Nachzahlung von rund 100.000 Euro. Und auch im Burgenland wur-den für die von der PRO-GE vertre-tenen KollegInnen Vergleiche über mehrere tausend Euro pro Person abgeschlossen.

Agrarpolitik und Arbeitskämpfe

Nicht bloß in Österreich ist die land-wirtschaftliche Produktion durch ei-nen „Teufelskreis“ gekennzeichnet: Der Preisdruck durch den Großhan-del setzt die landwirtschaftlichen Betriebe zunehmend unter Druck, Nahrungsmittel immer billiger zu produzieren. Nur wenige, kleine In-teressenvertretungen begehren da-gegen auf. Die europäische und die nationale Agrarpolitik fördern in erster Linie Flächenwachstum. Die desaströse Preispolitik für landwirt-schaftliche Produkte führt zur syste-matischen Überausbeutung der Arbeitskraft – sei es die der am Hof lebenden Personen oder die der un-selbstständig Erwerbstätigen. Wäh-rend Großbetriebe so ihre Profite

AutorInnen:

Lisa Bolyos, Cordula Fötsch, Markus Griesser, Karin Jovi , Traude Kotek, Daniela Koweindl, Sónia Melo AktivistInnen in der Sezonieri-Kampagne

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maximieren, können kleinere nicht einmal mehr ausreichend für die ei-gene Existenz erwirtschaften.

Mit der Sezonieri-Kampagne wollen wir arbeitsrechtliche und anti- rassistische Debatten in agrarpoliti-sche Kontexte einbringen und um-gekehrt landwirtschaftliche Fragen in die Gewerkschaftsarbeit.

Die Sezonieri-Kampagne: Aktivitäten und Ziele

Die Sezonieri-Kampagne ist eine gemeinsame Initiative unterschied-licher AkteurInnen aus gewerk-schaftlichen, migrations- und ag-rarpolitischen Zusammenhängen. Zentrales Anliegen der Kampag-ne ist es, über bestehende Rechte zu informieren, die sich aus kollek-tivvertraglichen sowie arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen erge-ben, sowie bei der Durchsetzung dieser Rechte auf individueller wie kollektiver Ebene zu unterstützen. Die Sezonieri-Kampagne zielt au-ßerdem darauf ab, Arbeitskämp-fe zu unterstützen und Selbstor-ganisierungsprozesse zu fördern. Und zum Dritten geht es darum, die Arbeits- und Lebensbedingun-gen der abhängig Beschäftigten in der Agrarbranche nicht nur punktu-ell, sondern generell und nachhaltig zu verbessern.

Wir arbeiten mit mehrsprachigem Informationsmaterial, Infotelefonen, direkter Kontaktaufnahme zu den ArbeiterInnen auf den Feldern, gro-ßen Plakatwänden in den Grenzregi-onen, Rechtsberatung und -beglei-tung sowie Medienarbeit. Die Zu-sammenarbeit zwischen Gewerk-schafterInnen, NGO-MitarbeiterIn-nen und AktivistInnen ist dabei zen-tral. Ist das Aufeinandertreffen un-terschiedlicher Arbeits- und Organi-sationskulturen auch herausfordernd für alle Seiten, so tragen die sehr un-terschiedlichen Kompetenzen doch

maßgeblich zu den Erfolgen der Kampagne bei. Als AktivistInnen, die aus verschiedenen sozialen und an-tirassistischen Kämpfen kommen, ist die Sezonieri-Kampagne für uns eine konkrete Praxis, um prekären Verhältnissen entgegenzutreten und gemeinsam mit anderen solidarisch handlungsfähig zu werden.

Erfolge und Herausforderungen

Durch gewerkschaftlichen Druck und auf rechtlicher Ebene erzielt die Sezonieri-Kampagne sichtba-re Erfolge: Immer wieder konnte die PRO-GE vorenthaltene Lohnansprü-che für ErntearbeiterInnen erstrei-ten, die durch das Kampagnenma-terial auf ihre Rechte aufmerksam geworden waren. Zum Teil konnten aber auch indirekt Verbesserungen erreicht werden – sei es, weil die in-dividuelle Verhandlungsposition der ErntehelferInnen durch Rechtsinfos gestärkt wurde; sei es, weil die Ar-beitgeberInnen aufgrund des öffent-lichen Drucks von sich aus einlenk-ten. Routinekontrollen der zuständi-

gen Behörden legen die Vermutung nahe, dass bereits durch die Signalwirkung der Kampagne einzel-ne Missstände im Feld eingedämmt werden konnten. LandarbeiterInnen konnten das ihnen durch die Kam-pagne vermittelte Wissen über Min-destlöhne, Höchstarbeitszeiten usw. nutzen, um punktuelle Verbesserun-gen durchzusetzen.

Aber auch die Herausforderungen bleiben bestehen: Immer wieder stolpern wir über unsere fehlen-den Sprachkompetenzen; wir stehen vor der Schwierigkeit, kon-tinuierliche Organisierung und Vertrauensaufbau in einem Feld zu erreichen, in dem die Arbeiter- Innen ständig in Bewegung sind; wir finden bisher zu wenige An-haltspunkte, die uns systematisch Druck auf die ArbeitgeberInnen-seite aufbauen lassen, um jen-seits erfolgreicher Einzelfallarbeit auch langfristige Veränderungen der Verhältnisse zu erwirken. Und schließlich bleibt auch das Ziel, ge-werkschaftliche (Selbst-)Organi-sierungsprozesse zu unterstützen oder in Gang zu setzen und die dafür nötigen sozialen Räume zu kreieren, vorerst unerreicht auf der Kampagnen-Agenda.

Heuer geht die Sezonieri-Kampag-ne ins vierte Jahr. Feldaktionen und Veranstaltungen sind bereits in Pla-nung – weitere UnterstützerInnen sind willkommen.

Lesetipp:

„Willkommen bei der Erdbeerernte! Ihr Mindestlohn beträgt...Gewerkschaftliche Organisierung in der migrantischen Landarbeit – ein internationaler Vergleich.“

Bestellen oder downloaden: www.sezonieri.at

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21Sozial-ökologische Transformation

Überblick über diesen Widerstand fin-det man u.a. auf www.bilaterals.org bzw. www.tni.org.

Ein Gegenkonzept zur liberalen Illusion

Dabei ist die konkrete Utopie eines guten Lebens für alle das Gegenkon-zept zur vorherrschenden liberalen Il-lusion, dass Kosmopolitismus, globale Demokratie und globale soziale Rech-te unter Bedingungen unregulier-ter globaler Märkte möglich sind oder überhaupt erst hergestellt werden könnten. Denn es zeigt sich immer mehr: globale Märkte sind gegenwär-tig vor allem im Interesse einiger we-niger transnational agierender Kon-zerne und des 1% der Bevölkerung reguliert. Angesichts der nunmehr fast tagtäglichen Ausweitung autoritärer Maßnahmen und Strukturen und der damit einhergehenden Beschränkung demokratischer Handlungsspielräume wird die Annahme – Kapitalismus sei Voraussetzung für Demokratie – im-mer unhaltbarer. Vielmehr sind natio-nalistische Bewegungen und Wahl- erfolge von Personen à la Trump, die „Amerika wieder groß machen wol-len“ die reaktionäre Antwort auf die Krisen, die die neoliberale Globalisie-rung zur Folge haben. Diese Form der Globalisierung wird seit Jahren auch von sozialdemokratischen und kon-

Ein gutes Leben für alle heißt...die Frage nach einer anderen Globalisierung zu stellen

Kosmopolitismus, globale Demokratie und globale soziale Rechte sind mit deregulierten globalen Märkten nicht möglich. Die Utopie des guten Lebens für alle ist das Gegenkonzept dazu. Um dieses zu erreichen braucht es u.a. eine radikale Veränderung mit strengen Regeln für Finanzmärkte und gerechtem Handel statt Freihandel.

Vom 9. bis zum 11. Februar 2017 fand an der Wirtschaftsuniversi-tät Wien der 2. Gutes Leben für alle Kongress statt. Rund 1000 Perso-nen haben daran teilgenommen. Vor dem Hintergrund der immer grö-ßeren ungerechten Verteilung von Wohlstand und Vermögen, der Ver-tiefung der sozialen und ökologi-schen Krisen und des Aufstiegs von rechtsextremen und populistischen Kräften, sind eine emanzipatorische Utopie und sozial-ökologische Al-ternativen notwendiger denn je. Im Zentrum des zweiten Kongresses stand daher die These, dass ein gu-tes Leben für alle heute wie auch in Zukunft eine andere Globalisierung braucht. Damit knüpft der Kongress an die in den letzten Jahren laut ge-wordene Kritik an der derzeitigen Form der Globalisierung an. Diese Kritik wurde bzw. wird u.a. in Öster-reich und der EU, den USA, Kanada und in vielen Ländern des globalen Südens von sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, Umweltorganisati-onen, BäuerInnen bzw. Konsumen-tInnenschutzorganisationen in Form des Widerstands gegen Handels- und Investitionsschutzabkommen wie TTIP, CETA, TiSA, TPP (Trans-pazifisches Abkommen) oder RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership – Abkommen zwischen Ländern Südostasiens) sichtbar. Ein

Autorin:

Alexandra Strickner ist politische Öko-nomin, Mitbegründerin und Vorstands-mitglied von Attac Österreich. Gemein-sam mit Andreas Novy hat sie den 1. & 2. Gutes Leben für alle Kongress an der WU organisiert.

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ist die Utopie vom guten Leben für alle ebenfalls konservativ, also be-wahrend. Anderseits ist die Suche nach dem guten Leben für alle pro-gressiv, ja revolutionär und erfordert einen bis jetzt nicht gelungenen zi-vilisatorischen Fortschritt: nämlich nicht auf Kosten anderer gut zu le-ben. Das ist in kapitalistischen Kon-sumgesellschaften sozial und öko-logisch unmöglich. Denn Mäßigung

und Kapitalismus sind unvereinbar. Daher sind Postwachstumsgesell-schaften, die auf der kapitalistischen Logik basieren, nur Anti-Utopien.

Neue Formen des Wirtschaftens und WeltbürgerInnentums

Was wir brauchen ist also eine an-dere Form des Wirtschaftens und damit verbunden auch eine neue Form von WeltbürgerInnentum, die Weltoffenheit und die Verbun-denheit mit dem eigenen Lebensort bzw. –raum gleichermaßen lebt. Auf dem Weg dorthin kommt Städten und Regionen eine besondere Rolle zu. Einerseits geht es darum, dass

dort, wo Menschen ihren Lebens-mittelpunkt haben, unabhängig von Herkunft, Geschlecht und Klasse, die gleiche Teilhabe am sozialen Leben ermöglicht wird. Die Gestaltung des Gemeinwesens in Städten und Re-gionen entlang der Vision des gu-ten Lebens für alle ist daher zent-ral. Anderseits ist spätestens seit der Wahl von Trump klar, dass emanzi-patorische Antworten und Lösungen

für die ökologische Fragen bzw. die Klimafrage auf globaler Ebene in nächster Zeit nicht ernsthaft disku-tiert oder umgesetzt wer-den. Wir können aber nicht vier oder acht Jahre war-ten. Daher geht es heute mehr denn je darum, auf anderen Ebenen Hand-lungs- und Kooperations-möglichkeiten zu stärken. Antworten auf Klimawan-del, Arbeitslosigkeit, Armut und Hunger sind in viel-fältigen lokalen, regiona-len und nationalen Prakti-ken und neuen grenzüber-schreitenden Kooperatio-nen jenseits von Staaten zu suchen und zu forcieren.

Damit Alternativen vor Ort entwickelt und verbreitert werden können, müssen sich die politischen Handlungsspielräume auf allen Ebe-nen des Gemeinwesens von lokal, über national bis hin zu regional er-halten und ausgebaut werden. Re-gelwerke wie z.B. TTIP, CETA oder TiSA tun das Gegenteil – sie schrän-ken politische Handlungsspielräume ein, ebenso wie deregulierte Finanz-märkte. Daher ist der Widerstand dagegen wichtig, ebenso wie das Vorantreiben einer gänzlich anderen Globalisierung – einer die Mensch und Umwelt in den Mittelpunkt stellt. Denn nur so – mit eingeheg-ten Finanzmärkten und mit gerech-tem Welthandel statt Freihandel – ist ein gutes Leben für alle möglich.

servativen Regierungen vorangetrie-ben. Auch nach der Wahl Trumps rücken die europäischen Regierun-gen davon nicht ab. Im Gegenteil: die Ausweitung des Freihandels wird als Antwort und Rezept gegen wei-tere „Trumps“ verkauft.

In Zeiten des Übergangs, wo Ver-unsicherung, Angst und Pessimis-mus prägende Elemente sind und die Zuspitzung der politi-schen Debatte sich immer öfter auf ein vermeintli-ches entweder (Freihan-del) oder (Abschottung) reduziert, braucht es mehr denn je eine kon-krete Utopie, die Alterna-tiven aufzeigt, die Hoff-nung gibt und Potenzia-le fokussiert. Die Utopie des guten Lebens für alle ist diese Utopie. Sie ist da-her auch kein Wohlfühl-konzept, sondern ein uto-pischer Horizont, der hel-fen soll, konkrete Umset-zungsschritte und Alter-nativen zu fokussieren. Die Ansage bzw. Utopie des guten Lebens für alle ist also eine emanzipatori-sche Antwort auf die libe-rale Illusion.

Eine progressive und konservative Utopie zugleich

Die Utopie vom guten Leben für alle ist gleichermaßen konservativ wie progressiv. Zum einen braucht ein Gemeinwesen der Freien und Glei-chen ein rechtsstaatliches Funda-ment. Völkerrecht und Demokratie sind als Errungenschaften republika-nischer Verfassungsstaaten zu vertei-digen. Nur das Recht auf Nonkon-formismus ermöglicht ein Zusam-menleben in Vielfalt. Wenn es um die Bewahrung natürlicher Lebens-grundlagen und den Respekt gegen-über dem Eigenwert von Natur geht,

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23Sozial-ökologische Transformation

System Change, not Climate Change!

Unter diesem Motto hat sich vor drei Jahren in Österreich eine Bewegung für Klimagerechtigkeit gegründet. Mit ihrem aktivistischen Einsatz gegen den Ausbau des Wiener Flughafens und des Flugverkehrs zeigt sie: Klimawandel kann nur verhindert werden, wenn sich unser Wirtschaften und Leben verändert und die Förderung umweltschädlicher Sektoren wie der Luftfahrt endlich endet.

Genau jetzt, in diesem Moment, be-findet sich etwa eine halbe Million Menschen in der Luft. Erst seit weni-gen Jahren ist das Flugzeug als gän-

giges Transportmittel und das Be-reisen und Aneignen sämtlicher exo-tischer Weltregionen zur scheinba-ren Norm geworden. Billigflieger ermöglichen trotz begrenzter Zeit eine erschwingliche Entdeckung der Welt. Inzwischen ist diese Errungen-schaft kaum wegzudenken aus Ur-laubsplänen, dem Berufsalltag, der Wahl des Wohnorts oder der (Fern-)Beziehung.

Die Schattenseiten des Flugverkehrs

Das Problem ist jedoch folgendes: Für jede emittierte Tonne CO2 ver-

schwinden rund drei Quadratmeter arktisches Sommereis. Dies hat kürz-lich eine in der renommierten Zeit-schrift Science veröffentlichte Stu-die nachgewiesen. Fliegt eine Person von Wien nach Las Palmas (Kanari-sche Inseln) und zurück, hat das so-mit das Abschmelzen von vierein-halb Quadratmetern Arktiseis zur Konsequenz.

Insgesamt trägt der weltweite zivile Luftverkehr mit rund 5% zum Klima-wandel bei, 2% werden davon durch den Ausstoß von CO2 verursacht. Dieser soll zudem in Zukunft weiter steigen. Die Internationale Energie-agentur prognostiziert, dass sich zwi-schen 2005 und 2050 der Flugver-kehr vervierfachen wird. 2034 sol-len sich die Passagierzahlen verdop-pelt haben – aktuell sind es pro Jahr etwa 3,4 Milliarden Flugreisen. Das heißt jedoch nicht, dass die Hälfte der Weltbevölkerung fliegt. Schät-zungen vom Beginn des 21. Jahr-hunderts gehen von einem Anteil von unter 5% der Weltbevölkerung aus, der überhaupt je in einem Flug-zeug saß.

Im Weltvergleich ist das Fliegen demnach keine Norm. So fliegen Angehörige der höchsten Einkom-mensgruppe in Deutschland im Schnitt 6,6 Mal pro Jahr, die der niedrigsten hingegen nur 0,6 Mal. Auch GrünwählerInnen fliegen im Parteienvergleich am meisten. Laut UNO sind nur 10% der Weltbevöl-

Autorin:

Magdalena Heuwieser ist aktiv bei der österreichischen Bewegung für Klimagerechtigkeit „System Change, not Climate Change!“

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feld fokussiert und viele Umweltor-ganisationen wagen sich nicht gern an den so tief verankerten, Freiheit versprechenden Flugverkehr heran. „System Change, not Climate Chan-ge!“ hatte sich 2015 gegründet, um vor dem großen Klimagipfel in Paris Druck zu machen und aufzuzeigen, dass die im Gipfel verhandelten Stra-tegien lange nicht ausreichen, um der Klimakrise gerecht zu werden. Seither ist die auf ehrenamtlicher

Arbeit beruhende Bewegung weiter gewachsen und besteht aus Regio-nalgruppen in Wien, Graz, Salzburg und Kärnten.

Dass sich „System Change!“ dem Thema Flugverkehr annahm, lag vor allem daran, dass genau im eigenen „Hinterhof“, in Wien Schwechat, dieser ausgebaut werden sollte. Die dritte Piste ist ein schon viele Jahre währendes Projekt, über das jedoch kaum jemand Bescheid wusste. Über Recherchen, die Vernetzung mit Bür-gerInneninitiativen, ein Positionspa-pier, Pressearbeit, Bildungsveranstal-tungen sowie ein Klimacamp und eine Aktion am Flughafen im Herbst

2016, versuchten die AktivistInnen, Druck aufzubauen und die Politik zu einem „Nein zur dritten Piste“ zu be-wegen. Der richterliche Entscheid zur Umweltverträglichkeit des Flughafen-ausbaus wurde jederzeit erwartet.

Ein weiterer Grund für den Luft-fahrt-Fokus der Bewegung war, dass im Oktober 2016 einer der wichtigs-ten globalen Klimaverträge, der trotz oder gerade aufgrund seiner Brisanz

kaum bekannt ist, verabschiedet wur-de. Darin beschloss die Internationale Luftfahrtorganisati-on der UNO, die International Civil Aviation Organisation (ICAO), die eng mit der Flugindustrie verbunden ist, den zukünftigen Um-gang mit dem Pro-blemfeld Klimawan-del und Luftfahrt. Dies war in Paris kein Thema gewe-sen, da die ICAO dafür selbst eine Lösung finden woll-te. Diese „Lösung“

lautet folgendermaßen:Flugverkehr darf weiter unbegrenzt wachsen. Dafür soll ab 2020 die Re-duktion eines Teil des CO2 von Kom-pensationsprojekten (Offsets) im Globalen Süden übernommen wer-den. Die Airlines können sich so von ihrer eigenen Reduktionsverpflich-tung freikaufen und gleichzeitig be-haupten, CO2-neutral zu wachsen. Dass dies nicht nur neo-koloniale Züge hat, sondern auch vom eigent-lichen Problem ablenkt bzw. sogar neue schafft, versucht „System Change!“ ebenso aufzuzeigen. Zum Zeitpunkt der ICAO-Verhandlung ko-ordinierte die Bewegung globale Protesttage an Flughäfen mit dem

kerung für 80% der motorisierten Passagier-Kilometer verantwortlich. Richten wir den Blick auf die globale Mehrheit, so sehen wir, dass ihr auf-grund fehlender finanzieller Mittel, Staatsgrenzen und ausschließender Visavergabe die Bewegungsfreiheit verbaut ist.

Das Mobilitätsversprechen gilt da-her nicht für alle. Vielmehr ermög-licht die globalisierte Wirtschaft die Mobilität von Gütern sowie von west-lichen Ge-sellschaften, aber nicht von allen Menschen. Sie will bil-lige Hosen aus Pakistan, aber nicht die Einwande-rung der pa-kistanischen Textilarbei-terin, die dort zu we-nig verdient. Das vorherr-schende Mo-bilitätssystem ist höchst exklusiv und imperial. Es beruht darauf, dass diejenigen, die sich schnell fortbewegen oder stets auf Überseeprodukte zugreifen, dies auf Kosten anderer tun: auf Kosten der Umwelt, zukünftiger Generatio-nen und derjenigen im Globalen Sü-den, die schon jetzt die dadurch ver-ursachten Klimafolgen besonders stark zu spüren bekommen.

Klimawandel? „Not in my backyard!“

Gerecht ist Flugverkehr also bei wei-tem nicht. Die globale Bewegung für Klimagerechtigkeit hat sich den-noch bisher kaum auf das Themen-

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25Sozial-ökologische Transformation

Titel „Stay Grounded. Aviation Growth Cancelled Due to Climate Change!“. In Wien fand eine große Rad-Demonstration von Stadtmitte zum Flughafen statt, wo eine Kundgebung mit rund 400 Per-sonen folgte. Doch die Medien und Politik waren vorerst wenig an dem Thema Flugverkehr und dritte Piste interessiert.

Ausbau des Wiener Flughafens wegen Klimawandel abgesagt

Im Februar 2017 fielen schließ-lich alle aus allen Wolken. Der ge-plante Bau einer dritten Flugpiste in Schwechat wurde abgesagt, da durch sie zu viele Treibhausgasemis-sionen erzeugt und rund 600 Hektar land-wirtschaftliche Flächen zerstört würden. Das Bundesverfassungs-gericht schätzte somit das öffentliche Inter-esse an der Sicherung unserer Lebensgrund-lagen als wichtiger ein als Flugwachstum und Arbeitsplätze. Dass es bei einer Um-weltverträglichkeitsprüfung zur Ab-sage eines „umweltunverträglichen“ Projekts kommt, war ein Novum. Der (vorläufige) Stopp der Bauvor-haben ist daher ein Erfolg, den selbst die Bürgerinitiativen und „System Change!“ sich trotz ihres Einsatzes nicht erwartet hatten. Doch die Freude wird nicht von allen geteilt.

Ein Aufschrei geht derzeit durch die Medien. Der Gerichtsbescheid er-schüttert scheinbar die Grundfesten der Wirtschafts- und Finanzwelt, die sich bisher in Sicherheit gewogen hat. Denn Lippenbekenntnisse zum Klimaschutz gehören inzwischen zum guten Ton. Dass aber die ins österreichische Gesetz eingeschrie-benen Klimaziele auch umgesetzt werden müssen, damit hatte nie-

mand gerechnet. Hier ein paar tech-nologische Schräubchen drehen, mehr Effizienz und Agrartreibstoffe, ein wenig Verschieben von Verant-wortungen über den Emissionshan-del – so lief bisher der Klimaschutz, und so sollte es auch laut Wirtschaft und regierender Politik bleiben.

„System Change!“ versucht aufzu-zeigen, dass wir mit diesem Techno-logie-fixierten und marktbasierten Bearbeitungsstrategien das in Paris bestätigte 1,5- bis 2-Grad-Ziel ver-fehlen und darüber hinaus neue Pro-bleme und Ungerechtigkeiten pro-duzieren. So haben beispielsweise der Boom der Agrartreibstoffe sowie Emissions-Ausgleichsprojekte (Off-

sets) im Globalen Sü-den zu vielerlei Men-schenrechtsverletzun-gen, Land Grabbing und der Zerstörung von Ökosystemen ge-führt. Effizienz-Einspa-rungen bei ressourcen- oder energieintensiven Gütern wiederum wer-den häufig zunichte

gemacht, da sie aufgrund billigerer Produktionsprozesse die Herstellung und den Konsum ankurbeln. Bei-spielsweise ist innerhalb von vier Jahrzehnten der Kerosinverbrauch neu entwickelter Flugzeuge um ein Viertel gesunken. Gleichzeitig stieg jedoch der gesamte Kerosinver-brauch linear an und ist zwischen 1970 und 2005 auf über das Doppelte gewachsen.

Wo sind die roten Linien des Wachstums?

Der vorläufig verhinderte Bau der dritten Piste und die Reaktionen in den Medien zeigen, dass bisher kei-ne öffentliche Debatte darüber statt-fand, wo Grenzen des Wachstums gezogen werden müssen, um un-sere Lebensgrundlagen langfristig

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gen zugunsten des Klimaschutzes in Zukunft nicht mehr möglich sein. Der so zukunftsweisende Bescheid zur dritten Piste hat demnach zwar Symbolcharakter, doch kann der auch in die falsche Richtung gehen.

Wie geht es weiter?

Es ist kein Leichtes, die vielen My-then, die verbreitet werden, zu ent-kräften und zu verdeutlichen, dass nicht nur die Sicherung eines (um-weltschädlichen) Wirtschaftsstand-ortes, sondern auch das Verhindern einer Klimakrise ein öffentliches In-teresse ist. Sich kritisch in die Debat-te einzumischen, ist mühsam, doch genau hier liegen Hebelpunkte, bei denen für eine sozial-ökologische Transformation anzusetzen ist. „System Change!“ versucht es über Presseaktionen und -aussendungen, LeserInnenbriefe oder Artikel in befreundeten Medien.

Von 24.-28. Mai organisierte die Bewegung ein zweites Klimacamp in direkter Flughafennähe. Bei der Großaktion am 27. Mai wurden rote Linien gezogen, um zu zeigen: Bis hierher und nicht weiter, irgend-wo muss Schluss sein mit Wachs-

tum. Auf einem begrenzten Planeten braucht es diese gemeinsam ausver-handelten roten Linien. „System Ch-ange!“ bleibt daher weiter am The-ma Flugverkehr dran. Schließlich ist fraglich, ob die aktuelle richterliche

Entscheidung den eingereichten Beru-fungen des Flugha-fens und Niederös-terreichs und vor al-lem dem politischen Druck standhält. Zu-dem halbierte der Nationalrat erst im März 2017 die Ticket-steuer und damit die einzige kleine Abgabe auf internationale Flüge, die es gab. Kerosin bleibt wei-terhin steuerfrei – und der Zug dar-um oft teurer als ein Flugticket.

Neben dem Widerstand gegen kli-maschädliche und undemokratische Projekte und Gesetze sowie das Ein-mischen in Diskurse ist eine weitere zentrale Strategie, den Alltag zu ver-ändern. Das bedeutet für „System Change!“-AktivistInnen hauptsäch-lich, so zu leben, zu arbeiten oder zu studieren, dass Kraft und Zeit bleibt, um sich eine Meinung zu bilden und einzumischen. Denn sozial-ökolo-gische Transformation passiert nur dann, wenn sich immer mehr Men-schen für diese einsetzen und sie le-ben. Durch die Beschäftigung mit den Themen setzen sich zudem Al-ternativen im Reiseverhalten, in Le-bensweisen und im Mobilitätssystem eher durch, werden sichtbarer und attraktiver.

zu erhalten und den Klimawandel zu verhindern. Welche Wirtschafts-sektoren sollen wachsen und wel-che schrumpfen? Wie können die-se Übergänge sozial gerecht gestal-tet werden? Ist es sinnvoll, neue In-frastruktur zu bauen, die eine emissionsinten-sive Mobilität und Lebensweise für die nächsten Jahrzehnte ein-betoniert? Die-se Diskussionen braucht es drin-gend, wenn uns die sozial-ökolo-gische Transfor-mation ernst ist. Sie wird Dank des Bescheids nun endlich ge-führt, doch leider bisher vom Flug-hafen und pro-blematischen Falschinformationen dominiert.

Wirtschaftswachstum und Klima-schutz dürfen sich nicht entgegen-stehen, verlautbarte der Lebensmi-nister Rupprechter. „Arbeitsplätze vor Klimaschutz“ lautet die Devise der ÖVP-ArbeitnehmerInnenvertre-tung. Die neue niederösterreichische Landeshauptfrau Mikl-Leitner hält derartige Kriterien, wie sie beim rich-terlichen Bescheid zu tragen kamen, für „brandgefährlich“. „Wenn dann alle von Bratislava wegfliegen, was wird dann besser?“, meinte sie kürz-lich und bedient dabei das häufige Argument, dass automatisch andere Flughäfen ausbauen würden, wenn keine dritte Piste nach Wien käme. Warum ausgerechnet hier das Kli-ma retten, wenn weltweit hunder-te Flughäfen gebaut werden? Wa-rum hier keine Gentechnik, wenn‘s woanders erlaubt ist? Innenminister Sobotka zufolge sollen mittels einer „Gesetzesreparatur“ Entscheidun-

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27Sozial-ökologische Transformation

Wie werden wir konsumieren?

Der Vorstoß der EU-Kommission in Richtung Kreislaufwirtschaft ist ein Zeichen für einen Wandel in unserem Konsumverhalten. Auch in der Gesellschaft ist der Wunsch nach anderen Konsumweisen, die nicht auf baldigem Wegwerfen beruhen, spürbar. Auf dem Weg dahin gibt es jedoch noch einige Hürden.

Konsumfreiheit oder Konsumdruck?

Die Möglichkeiten, neue Dinge zu kaufen, begleiten uns ständig – tag-täglich werden wir mit Werbung und verheißungsvollen Versprechun-gen konfrontiert. Hier gibt es schon wieder einen Fernseher, der noch schärfer und klangvoller ist und dort Schuhe, die von einem Star designt werden und nur in begrenzter Stück- zahl vorhanden sind. Dagegen schauen die aktuellen Besitztümer schnell ziemlich alt aus – hat das Handy nicht schon einen Sprung im Display und reagiert recht langsam? Die hautengen Jeans aus den letzten Jahren wirken auch schon antiquiert, Schlaghosen sind wieder in. Wer mit der Mode gehen will, muss sich min-destens jedes Jahr neu einkleiden – die Zyklen werden immer noch kür-zer, in manchen Geschäften wird das Angebot sogar zwei Mal pro Woche (!) aktualisiert. Modetrends gibt es vermehrt auch bei langlebigen Gü-tern, die eigentlich zeitlos gestaltet sein sollten, um lange Gefallen dar-an zu finden. Von Küchen oder Bä-dern gibt es jedes Jahr neue Design- trends, wodurch auch diese immer schneller einen (modischen) Verfalls-stempel haben.

Leben wir in einer Wegwerfgesellschaft?

Insgesamt erleben wir eine Beschleu-nigung unserer Konsumweisen, die viele Ursachen hat – Unternehmen

wünschen sich steigende Absatzzah-len, die Politik fordert für die Erhal-tung von Arbeitsplätzen einen steti-gen Konsum. Die Suche nach Iden-tität und das Zeigen von Prestige auf der Seite der KonsumentInnen in Kombination mit dem sich ständig verändernden Warenangebot füh-ren zu immer kürzeren Nutzungs-zyklen – wie z.B. Daten des deut-schen Umweltbundesamtes zeigen. Auf der anderen Seite werfen Men-schen Dinge aber ungern weg, weil sie dabei ein schlechtes Gewissen haben. In der AK-Studie zum The-ma Nutzungsdauer hat jede zweite befragte Person das alte Handy auf-gehoben, ein weiteres knappes Drit-tel hat es verschenkt oder gespen-det (inkl. Recycling), nur 3% haben es direkt entsorgt. Jede zehnte Per-son gibt an, fünf oder mehr Handys zu besitzen.

Potenzial alternativer Konsumformen

In den letzten Jahren formieren sich daher zivilgesellschaftliche Initiati-ven, die andere Konsumweisen ver-wirklichen möchten. Eine Initiative sind bspw. Repaircafés, das erste wurde von der Niederländerin Martine Postma 2009 in Amster-dam organisiert. Seitdem verbreitet sich die Idee in ganz Europa rasant: In privat organisierten Kreisen tref-fen sich Personen mit kaputten Ge-genständen und reparieren diese un-ter Anleitung von ehrenamtlichen FachexpertInnen selbst. Werkzeug

Autorin:

Nina Tröger ist Soziologin und Referentin in der Arbeiterkammer Wien, Abteilung KonsumentInnenpolitik, zuständig für Grundlagenarbeit im Bereich Konsum.

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wird dabei zur Verfügung gestellt. In Österreich gibt es mindestens elf Repaircafés, die regelmäßig organi-siert werden.

Auch der Trend zum Selbermachen verdeutlicht den Wunsch nach ande-rem Konsumieren: Menschen entwi-ckeln zu Dingen, die sie eigenhändig mit Liebe und Fleiß hergestellt ha-ben, meist einen persönlicheren Be-zug. Damit kann davon ausgegan-gen werden, dass diese länger ge-nutzt werden als gekaufte Produkte. Heimwerken, aber auch Nähen und Stricken oder Upcycling sind auch bei der jüngeren Generation (wie-der) in – was anhand von neu er-scheinenden Zeitschriften, DIY-Web-seiten und nicht zuletzt auch in der Werbung ersichtlich ist.

Des Weiteren unterstützt die Idee des Sharing1 umweltschonende Nut-zungsweisen – wenn mehr Perso-nen dieselben Dinge benutzen, soll-ten diese möglichst robust und re-parierfreundlich sein. Initiativen wie Leihläden, Bücherschränke im öf-fentlichen Raum oder Veranstal-tungen zum Kleidertauschen, aber auch online-Plattformen wie willha-ben o.Ä, haben in den letzten Jah-ren Konjunktur und sind Möglich-keiten, Dinge entweder anderen zu verleihen oder einer Nachnutzung zuzuführen.

Weichenstellung in der Politik

Auf politischer Ebene wurden schon erste Schritte gesetzt, die auf einen künftig bedeutenden Wandel unse-rer Konsumweisen hinweisen: Ende 2015 veröffentlichte die EU-Kom-mission das Paket zur Kreislaufwirt-schaft. Dabei sollen Produkte län-

ger haltbar und nutzbar gestaltet so-wie vermehrt wiederverwendet und recycelt werden. Ein Weg ist dabei die Verbesserung bestehender Richt-linien wie z.B. der Ökodesign-Richt-linie – in dieser sind bspw. Maßnah-men zur Verfügbarkeit von Ersatz-teilen und zur Erhöhung der Lebens-dauer vorgesehen. Durch effiziente-re Nutzung bestehender Ressourcen würden nicht nur Umwelt und Kon-sumentInnen profitieren, sondern auch Potenzial für neue Arbeitsplät-ze im Bereich von Wiederaufberei-tung und Reparatur innerhalb Euro-pas entstehen. Langsam erkennen manche Unternehmen einen Mehr-wert im Design langlebiger Produkte als wichtigen Faktor für KundInnen-zufriedenheit und –bindung, unter-stützt durch guten Service.

Ausblick

Für viele Menschen, die in der Kon-sumgesellschaft sozialisiert wurden, vermitteln die mannigfaltigen Kon-summöglichkeiten ein Gefühl von Freiheit und (erkauftem) Lebens-glück. Andere erleben dies aber als Zwang, hier mithalten zu müssen, um nicht ins gesellschaftliche Aus zu geraten. Gerade für Personen mit eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten und bei Jugendlichen und sogar schon bei Kindern ist der Druck besonders groß. Dies wider-spiegelt deutlich die Ambivalenzen der Konsumgesellschaft. Alternative Konsumformen zeigen hier andere Optionen möglicher Le-bensweisen auf, im Hinblick auf das wirtschaftliche Volumen handelt es sich jedoch sicher noch um Nischen-bereiche. Engagiert sind weiters zu-meist Personen aus bestimmten ge-sellschaftlichen Milieus. Unterstüt-

zung durch die Politik wäre jeden-falls notwendig, um eine stärkere Breitenwirkung zu erzielen. Die Änderung von Lebensweisen ist je-doch eine sehr komplexe Thematik wie z.B. die klaffende Lücke zwi-schen Umweltbewusstsein und Um-welthandeln zeigen, hier benötigt es auch vermehrt sozialwissenschaft- liche Forschung.

Wohin der Weg geht und wie wir künftig konsumieren werden, ist da-her eine noch recht offene Frage. Für eine deutliche Wende im Be-reich Konsum muss an vielen Räd-chen gedreht werden. Dabei müssen auf allen relevanten Ebenen Schrit-te gesetzt werden: In der Politik, der Wirtschaft und in der Gesellschaft. Die aktuellen Entwicklungen deu-ten zaghaft in die richtige Richtung, gewiss gibt es dabei noch viele Hin-dernisse in diesem langen Prozess zu bewältigen.

1Eine Definition und Abgrenzung ist schwierig, Sharing wird jedoch in diesem Kontext der vorwiegend nicht-monetäre Tausch und die Weitergabe von Waren von KonsumentInnen an andere KonsumentInnen verstanden. Plattformen, bei der die Tätigkeit gewerblich an-geboten wird (z.B. Anbieter von mehreren Wohnungen auf Airbnb oder Uber) und wo der finanzielle Mehrwert im Vordergrund steht, werden hier nicht als Sharing definiert.

Weiterführende Literatur:

Tröger N., Wieser H. und Hübner R., 2017. Smartphones werden häu-figer ersetzt als T-Shirts. Wien: Ar-beiterkammer, http://emedien.ar-beiterkammer.at/viewer/resolver-?urn=urn:nbn:at:at-akw:g-1023847.

Europäische Kommission, 2015. Den Kreislauf schließen – Ein Akti-onsplan der EU für die Kreislaufwirt-schaft, https://ec.europa.eu/trans-parency/regdoc/rep/1/2015/DE/1-2015-614-DE-F1-1.PDF.

Re-Use und Reparaturnetzwerk in Österreich: http://www.repanet.at/

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29Sozial-ökologische Transformation

Vom Gemüse zum GemüsegartenFoodCoops schließen sich zur IG FoodCoops zusammen

Bereits seit zehn Jahren verbreitet sich das Konzept der FoodCoops (Lebensmittelkooperativen) in Ös-terreich. Wie haben sie sich seither entwickelt und welchen Beitrag leisten sie zur sozial-ökologischen Transformation?

AutorInnen:

Julia Hofer, Krankenschwester und BoKu-Studentin, und Samuel Wintereder, Lehrer für Biologie und Geographie. Mehrjährige FoodCoop- Mitglieder und Teil des Gründungsteams der IG FoodCoops.

„Ahh, du bist bei einer FoodCoop! Das finde ich super - ich überlege auch schon länger beizutreten, aber...“

Die mittlerweile etablierten Food Coops rufen begeisterte Zustim-mung wie auch widersprüchliche Gefühle hervor. Menschen, denen der Begriff FoodCoop (FC) nicht völlig neu ist und bereits ein Basis-wissen diesbezüglich haben, fällt der entscheidende Schritt zum Beitritt manchmal schwer, da im Unterschied zu Supermärkten die Lebensmittel-Verfügbarkeit in Form von Öffnungszeiten und Auswahl eingeschränkt scheint.

„Woher weiß ich, welche Lebens-mittel ich für eine Woche konsu-mieren werde? Was mache ich, wenn ich plötzlich Gusto auf et-was ganz Anderes habe und mir das nicht bei der FC bestellt habe oder bestellen konnte?“ Bereits der Gedanke an eine potenzielle Ein-schränkung und mögliche Ände-rungen des Lebensstils können Unwohlsein auslösen, obwohl das Konzept der FCs eine zusätzliche Alternative zu Supermärkten darstellt.

FCs sind ein Zusammenschluss von Haushalten bzw. Personen, die sich gemeinsam um den Bezug von Produkten (v.a. Lebensmittel) küm-mern. Im Unterschied zu Super-

märkten gibt es direkten Kontakt zu den BäuerInnen, BäckerInnen und anderen ProduzentInnen. Bei den bezogenen Produkten wird auf ökologischen Anbau, fairen Handel, Regionalität und die Reduktion von Verpackungsmüll geachtet.

Die Bedeutung der IG und ihre Entstehungsgeschichte

Die erste Gemeinschaft entstand 2007 als die FC Bioparadeis in Wien gegründet wurde. Relativ bald bilde-ten sich mehrere Kooperativen mit sehr ähnlichen Konzepten heraus. Auch in anderen österreichischen Städten – und seit ein paar Jahren auch in ländlichen Regionen (v.a. in OÖ und NÖ) – wurden FCs gegrün-det. Mittlerweile gibt es bereits mehr als 60 Kooperativen in Österreich. Die FoodCoop-Szene wuchs in den letzten zehn Jahren also sehr schnell. Es kam zu einer Diversifizierung so-wohl der Mitglieder als auch der Konzepte und Strukturen.

Schon bald nach der Gründung der ersten FCs tauschte man sich bei Vernetzungstreffen aus und lernte sich kennen. Dabei kam der Wunsch auf, eine Struktur zu schaffen, die über die informelle Vernetzung hin-ausgeht. So wurde bereits 2012 über die Einrichtung einer Anlaufstelle für eine gemeinsame Öffentlichkeitsar-beit diskutiert. Bei Treffen in den fol-genden Jahren spielte die Frage, ob

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es einen FoodCoop-Verband geben soll oder ob die bisher bestehende Autonomie der einzelnen Gemein-schaften, gepaart mit der informel-len Übernahme von Verantwortun-gen durch einzelne Personen (z.B. für die Betreuung einer Homepage), beibehalten werden soll, eine zentrale Rolle. Der Begriff Interes- sensgemeinschaft (IG) wurde schließlich bei einem Treffen in Scharnstein (OÖ) das erste Mal er-wähnt und wurde ab diesem Zeit-punkt für die neue Vernetzungs-struktur verwendet. Eine Gruppe engagierter Menschen begann ein Konzept auszuarbeiten, das bei wei-teren Treffen in Salzburg, Vöcklab-ruck (OÖ) und Wien weiterentwi-ckelt wurde.

Wie schon die Be-zeichnung „IG FoodCoops“ deut-lich macht, sollen die Interessen der FCs gemeinsam verfolgt werden. Es soll eine stabile, transparente und möglichst hierarchiefreie Struk-tur entstehen, die einerseits einen rechtlichen Rahmen bietet und anderer-seits die Arbeit der FCs erleichtert und Vernetzung bzw. Austausch fördert.

Die IG FoodCoops soll wie ein Ge-müsegarten sein, in dem den bereits bestehenden FCs bzw. Pflanzen ein gemeinsamer Rahmen geboten wird und sie in ihrer Entwicklung geför-dert werden. Der Gemüsegarten stellt bestimmte Dinge (wie EDV-In-frastruktur oder Beratung) zur Ver-fügung – lässt dabei aber jedem Ge-müse seinen Platz und seine Beson-derheiten. Natürlich kann auch jedes Gemüse für sich gedeihen, aber: Gemeinsam sind wir stärker! Noch dieses Jahr soll die IG gegründet

werden, damit die FCs ihre Kräfte bündeln und gemeinsam zur sozial-ökologischen Transformation beitragen.

FoodCoops und ihr Beitrag zur sozial-ökologischen Transformation

Im Gespräch mit InteressentInnen wird als Motivation das bestehende Bedürfnis angegeben, ökologisch- nachhaltige Produkte unter fairen Bedingungen zu konsumieren und damit gleichzeitig zu fördern. Den entscheidenden Schritt dann auch zu wagen, Mitglied einer FC zu wer-den fällt manchmal schwer, weil die neben Supermärkten andersar-

tige FC-Organisation sowie die ge-wünschte partizipative Mitarbeit eine Herausforderung sein können. Welchen Mehrwert eine FC-Mit-gliedschaft mit sich bringen kann, wird anhand persönlicher Erfah-rungen in den folgenden Absätzen besprochen.

Erst nachdem ich einer FC beigetre-ten bin, standen Begriffe wie Saiso-nalität und Regionalität im direkten Zusammenhang mit meiner Lebens- realität: der Verzicht auf gewisse Produkte zu bestimmten Jahreszei-ten lehrten mich Demut vor dem

Rhythmus und Zusammenspiel der Natur. Die Möglichkeit, dass sich ProduzentInnen und KonsumentIn-nen auf gleicher Augenhöhe per-sönlich kennenlernen können zeig-te mir in Zeiten der Konkurrenz und Ausbeutung Respekt zu haben; vor Menschen, die im Rahmen einer ökologischen Landwirtschaft „an-ders wirtschaften”, einhergehend mit einer Reduktion von Verpack- ungen und ressourcenschonender Produktion beispielsweise.

Während es mehrere Möglichkeiten gibt, durch den Bezug von nachhal-tig produzierten Lebensmitteln zur ökologischen Transformation beizu-tragen, sind es v.a. die sozialen As-

pekte, die FCs von an-deren Systemen (wie z.B. Supermärkten) unterscheiden. Lebensmittelkoopera- tiven bieten bei Plena Raum für eine basis-demokratische, hierar-chiefreie und konsens- orientierte Kommu-nikation. Sie schaffen einen Raum, in dem alle eigen- und mit-verantwortlich, sowie als Lehrende und Ler-nende ihre sozialen Kompetenzen im akti-ven Austausch erwei-

tern können. Im bereits seit mehre-ren Jahren stattfindenden landwirt-schaftlichen Strukturwandel zeichnet sich immer deutlicher ab, dass Profitmaximierung, Markteffizienz und große Mengen priorisiert und angestrebt werden. FCs setzen sich dem entgegen und fördern klein-bäuerliche Strukturen, bei denen hohe Qualität und die Achtung der Natur zentrale Rollen spielen. Der Zusammenschluss der einzelnen FCs zur IG FoodCoops wird die Sze-ne weiter stärken und durch die hier genannten Aspekte zur sozial-ökolo-gischen Transformation beitragen.

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Solidarische Landwirtschaft – wir wachsen zusammen

Stephan Pabst lebt und arbeitet auf dem Demeterhof Edler in der Weststeiermark. Er untersuchte am Institut für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung der Universität für Bodenkultur Wien die Verbreitung von Community Supported Agriculture (CSA) in Österreich und unterstützte damit die Entstehung eines österreichischen Netzwerks für Solidarische Landwirtschaft.

Woher kommt das Konzept der solidarischen Landwirtschaft? Wo finden sich ihre Ursprünge und was ist die Grundidee?

Die beiden Hauptaspekte der solidarischen Landwirtschaft sind, dass die Kosten des landwirtschaft-lichen Betriebs von den Mitgliedern getragen werden und diesen im Ge-genzug ein Anteil an der Ernte oder dem Ertrag zusteht. Dabei erhalten sie keine Garantie dafür, dass sie ein konkretes Produkt bekommen. Ein einzelnes Produkt hat – im Idealfall – keinen Preis. In der Realität wird das Modell natürlich nicht immer ideal-typisch eins zu eins umgesetzt, son-dern es gibt viele Mischformen.

Es gibt drei Entstehungsräume der solidarischen Landwirtschaft. Ein wichtiger Ursprungsort ist Japan, wo sich in den 1960er und 1970er Jah-ren das Teikei-Prinzip entwickelte, welches KonsumentInnen mit Pro-duzentInnen in der Landwirtschaft verband. Daneben bildete sich zeit-gleich, aber unabhängig davon, in der Schweiz eine ähnliche Initiative heraus, die die Beziehungen zwi-schen ProduzentInnen und Konsu-mentInnen neu als regionale Ver-tragslandwirtschaft strukturierte, in-dem KonsumentInnen durch ver-traglich geregelte Vorfinanzierung und Risikoteilung die regionale bäu-

erliche Lebensmittelproduktion un-terstützen. Eine dieser ältesten Schweizer Initiativen, die bis heu-te besteht, trägt den bezeichnenden Namen „Les Jardins de Cocagne“, was übersetzt Schlaraffengärten bedeutet. Darüber hinaus gab es in Deutschland ein paar Jahre spä-ter eine Initiative auf dem Busch-berghof, die erste Formen solidari-schen Landwirtschaftens betrieb. Ei-ner der BetreiberInnen des Busch-berghofs, Trauger Groh, wanderte in die USA aus, wo er diese Ansätze solidarischen Landwirtschaftens zur CSA weiterentwickelte. Dieses Kon-zept wurde dann wiederum auf den Buschberghof rückimportiert und kam dort in den 1980er Jahren zum Einsatz.

Warum ist deiner Meinung nach das Modell der solidarischen Land-wirtschaft wichtig und notwendig?

Ich habe zum ersten Mal 2009 von diesem Modell in einem Vortrag von Wolfgang Stränz gehört, der vom Buschberghof aus sehr dazu beige-tragen hat, solidarische Landwirt-schaft zu verbreiten. Ich war von Be-ginn an von der Idee fasziniert, weil die KonsumentInnen dadurch aus ihrer passiven Konsumrolle heraus-gelöst werden. Sie sind im Zuge der Umsetzung des Konzeptes gefragt, mehr Verantwortung für die Land-

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wirtschaft zu übernehmen. Es han-delt sich also um eine direkte Ver-antwortungsübernahme für die Art der Produktion, bei der das Produk-tionsrisiko gemeinsam von den Bäu-erInnen und der Gemeinschaft der Mitglieder getragen wird. Das ist für mich ein sehr revolutionärer Aspekt, der die ProduzentInnen, die unter sehr starkem Druck stehen, unter-stützt. CSA stellt so ein zusätzliches Sicherheitsnetz für diese dar und un-terstützt sie in dem von Witterungs-, Umwelt- wie auch politischen Ein-flüssen geprägten System. Es stützt die Art der Landwirtschaft, die am wenigs-tens stark subventio-niert wird. Das ist die kleinstruk-turierte, biologische Landwirt-schaft, die auch zu ei-nem gewis-sen Grad auf Selbst-versorgung ausgelegt ist. Dar-unter fal-len ebenso Kleinstbe-triebe, die auf zwei Hektar Gemü-se anbauen und durch ihre kleintei-ligen Betriebsstrukturen sogar gänz-lich aus dem politischen Fördersys-tem fallen. Für diese Art von Land-wirtschaft ist die solidarische Land-wirtschaft eine Chance qualitativ zu wachsen ohne ständig ums Überle-ben kämpfen zu müssen.

Könntest du diesen Punkt des quali-tativen Wachstums ausführen? Was verstehst du darunter?

Mit qualitativem Wachstum mei-ne ich, dass wir uns als Gesellschaft mit unseren landwirtschaftlichen Be-

trieben darauf konzentrieren sollen, schonend und aufmerksam mit den uns anvertrauten natürlichen Res-sourcen umzugehen. Anstatt mit unserer Agrarpolitik vordergründig wachsende Deckungsbeiträge an-zustreben oder immer mehr Flächen zu bewirtschaften, mit dem Vor-wand mehr Menschen versorgen zu müssen – was ich als quantitatives Wachstum bezeichnen würde – hal-te ich es für zukunftsfähiger unter Einsatz kleinerer Flächen mittels ag-rarökologischer Methoden nachhal-tige Lebensmittel zu erzeugen. Da-bei ist die Strategie, die sich sowohl

im Weltagrarbericht als auch in der Nyéléni Deklaration für Agrarökolo-gie wiederfindet, zielführend: Wenn viele kleine, vielfältige und unter-schiedliche Betriebe sich gegensei-tig darin unterstützen, ihre Kom-petenzen zu vertiefen und qualita-tiv besser zu werden, ist das quali-tatives Wachstum. Dadurch ist die Landwirtschaft besser in der Lage, verschiedene Risiken aufzufangen. Ein zentraler Aspekt für qualitatives Wachstum ist die Pflege der Bezie-hungen der AkteurInnen unterein-ander. In der solidarischen Landwirt-schaft geht es konkret um die Bezie-hungen zwischen den Betrieben, den

BäuerInnen und Mitgliedern wie auch unter den Mitgliedern selbst. Diese Verbindungen stellen sicher, dass Pro-duzentInnen und KonsumentInnen zusammenwachsen.

Du bist bei der Entstehungsge-schichte kurz auf Japan, die Schweiz, die USA und Deutschland eingegan-gen. Wie ist der Stand der Dinge der CSA in Österreich? Was hat sich hier in den letzten Jahren getan?

In Österreich ist die erste CSA 2011 nach einem einjährigen Entstehungs-prozess, den ich zum Teil begleiten

und miterleben durfte, gestar-tet. Der Gärt-nerhof Och-senherz in Gän-serndorf bei Wien ist bis-lang die älteste CSA in Öster-reich und wird mittlerweile zu 100% als CSA geführt. Das heißt, die ge-samten Pro-duktionskos-ten werden von den Mit-gliedern getra-gen. Im Jahr

darauf haben sich mit der CSA „Ge-müsefreude“ in Oberösterreich und der „Kleinen Farm“ in der Steiermark zwei weitere Initiativen gegründet. Momentan stehen wir österreichweit bei knapp 30 CSA Betrieben. Zwei Höfe haben mit dem Modell mittler-weile wieder aufgehört. Gemeinsame Risikotragung und Vorfinanzierung sind wie anderorts auch wichtige As-pekte. Prinzipiell hat sich jedoch in Österreich wie auch in Deutschland ein spezielles Modell der CSA mit ei-nem Verständnis herausentwickelt, dass ein einzelner Betrieb eine Ge-meinschaft versorgt.

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Du hast zwei Initiativen erwähnt, die mit der solidarischen Land-wirtschaft wieder aufgehört ha-ben. Welche Schwierigkeiten sind hier zu tage getreten, die zur Ent-scheidung führten, aus dem Modell auszusteigen?

Ich kann nicht für andere sprechen, aber meine Beobachtung ist, dass jene, die wieder damit aufgehört ha-ben, sehr engagierte Menschen sind, die sehr viel Potential in dem Kon-zept sahen und dieses auch mit zi-vilgesellschaftlichem Engagement verbanden. Allerdings haben sie ge-merkt, dass es in der Form, wie sie sich das vorgestellt haben nicht ge-nügend Unterstützung bekommt. Neben persönlichen Gründen, die zu ihrer Entscheidung führten, mit CSA aufzuhören, war vor allem die man-gelnde Verantwortungsübernahme unter den Mitgliedern ein entschei-dender Faktor. Denn diese Übernah-me verläuft nicht als reibungsloser Prozess, der in den ersten zwei, drei Jahren rund über die Bühne geht, sondern setzt einen längeren Atem voraus. Wenn die Initiative vom Be-trieb ausgeht, wie das in Öster-reich üblicherweise der Fall ist, wer-den überdies in den Betrieb von Sei-ten der Mitglieder mehr Erwartun-gen gesetzt und weniger eigeniniti-ativ agiert.

Außerdem hat man in der CSA als ProduzentIn einen anderen Erwar-tungsdruck, als wenn man „normal“ Gemüse anbaut, das auf den Markt trägt und verkauft. Wenn man et-was nicht anbieten kann, dann ste-hen die meisten – aber nicht alle – einem verständnisvoll gegenüber. Viele drücken es oft nicht aus, aber die BäuerIn spürt einen Erwartungs-druck, einen emotionalen Druck, der noch auf einer ganz anderen Ebe-ne stattfindet, als wenn sie/er die Produkte am freien Markt verkauft. Denn man möchte das Beste geben und die Leute nicht enttäuschen.

Das ist vor allem, wenn man am An-fang steht und neu in die Landwirt-schaft einsteigt, eine ziemlich große Herausforderung.

Wie sieht es mit möglichen Unter-stützungsstrukturen aus, wo viel-leicht genau solche Schwierigkeiten bearbeitet werden können? Wie ist hier die Situation in Österreich?

In Österreich gibt es seit 2013 min-destens einmal, manchmal auch zweimal jährlich Vernetzungstreffen der Initiativen solidarischer Land-wirtschaft. Die Treffen waren am Anfang über ein EU-Projekt (CSA for Europe) von Attac Österreich finan-ziert und fanden sowohl an der Uni-versität für Bodenkultur als auch auf Höfen statt. Die Treffen auf den Hö-fen unterstützten ich und weitere AktivistInnen vor allem mit adminis-trativen Tätigkeiten. Neben diesem Wissenstransfer, der im Rahmen der Vernetzungstreffen stattfindet, gibt es auch informellen Austausch unter den Höfen untereinander.

Welche Gefahren der Vereinnah-mung stellen sich deiner Meinung nach? Inwieweit könnte eine brei-tere Verankerung nicht auch eine Chance darstellen?

Vereinnahmung muss nicht unbe-dingt als bewusster Prozess ablau-fen. Es passiert manchmal einfach, dass der Begriff solidarische Land-wirtschaft – bei CSA ist das selte-ner der Fall – verwendet wird, aber etwas anderes damit gemeint ist. Für mich ist ein Begriff sehr wert-voll. Es ist etwas, das man hüten und pflegen muss, damit nicht ver-wässert, was darunter zu verstehen ist. Es gibt verschiedene Aspekte der schleichenden Vereinnahmung oder Verwässerung. Bio Austria unter-stützt beispielsweise alternative Ver-marktungsformen. Viele in der soli-darischen Landwirtschaftsbewegung sehen CSA jedoch nicht als

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um an Diskussionen dran zu bleiben und sich immer wieder auf die Wur-zeln und auf die Ideale zu berufen. Es ist zentral, darauf zu achten, dass die solidarische Landwirtschaft nicht als weiteres Vermarktungsmodell gilt und am Rande oder in einer Ni-

sche des kapitalistischen Wirtschafts-systems bleibt, sondern dass sie zur Transformation des Wirtschaftssys-tems beiträgt. Aus diesem Grunde ist es wichtig und gut, dass die ein-zelnen Initiativen sich unter einem gemeinsamen Leitbild, das in den letzten zwei Jahren erarbeitet wurde, gewissen Grundsätzen verschreiben, diese in ihrer täglichen Arbeit prakti-zieren und weiterentwickeln.

Du hast erwähnt, dass CSA zur Transformation des Wirtschafts- systems beitragen soll. Wie wäre deine Vision für CSA in Österreich 2050?

In meiner Utopie ist die solidarische Landwirtschaft die Form der Land-

alternative Vermarktungsform, son-dern als ein ganz neues Wirtschafts-modell und eine neue Art Lebens-mittel zu verteilen, zu produzieren und zu konsumieren. Allein dieser Begriff liefert bereits viel Diskussi-ons- und Gesprächsbedarf, weil die Bezeichnung völ-lig unterschiedliche Erwartungs- haltungen hervor-ruft. Wenn es als eine von vielen neuen Vermark-tungsformen ver-breitet wird, dann entstehen wahr-scheinlich Misch-formen und Mo-delle, die die Ri-sikoteilung oder die Trennung von Produkt und Preis nicht so eng sehen. Verschiedene Grundsätze, die in der CSA Bewegung hochgehalten wer-den, bekommen so einen anderen, geringeren Stellenwert.

Jeder Euro, den die KonsumentInnen weniger in den Supermarkt, in den normalen Handel und in die Konzer-ne investieren und der direkt zu den BäuerInnen fließt, ist prinzipiell gut. Aus dieser Sichtweise stellt solidari-sche Landwirtschaft ein alternatives Vermarktungskonzept dar und er-gänzt die Bandbreite der Direktver-marktungsmodelle. Dadurch verän-dert sich das, was ursprünglich mit dem Begriff der solidarischen Land-wirtschaft gemeint war. Das ist nicht unbedingt nur negativ zu bewerten. Auseinandersetzungen sind wichtig,

wirtschaft. Sie erfährt momentan in Österreich großes Interesse, weil es äußerst schwierig ist, den Konsumen-tInnen klarzumachen, welchen Wert landwirtschaftliche Produkte haben und wie dieser Wert zu bemessen ist.

Diese herrschenden Entwicklungen wer-den durch alternati-ve Praktiken Schritt für Schritt transfor-miert. Meine Visi-on ist, dass es lau-ter kleine Betriebe gibt, die davon gut leben können, die Menschen in ihrer Region zu versor-gen. Das kann über Kooperativen von KonsumentInnen und ProduzentInnen realisiert werden, in

denen diese eng zusammenarbeiten, um die Versorgung sicherzustellen.

Es braucht viel Aufmerksamkeit und Unterstützung von außen, um dieses komplette Umlernen der Werthaltun-gen sowie des Miteinander wie auch das Austragen von Konflikten zu er-möglichen. Wie können wir mit un-serem Bewusstsein das Dorf des 19. oder 20. Jahrhunderts im 21. Jahr-hundert verwirklichen und unsere Er-nährung so gestalten, dass alle Betei-ligten unter fairen Bedingungen die besten Lebensmittel bekommen und damit einhergehend auch die nötige Wertschätzung, die sie brauchen, um die Lebensmittel erzeugen zu kön-nen? Diese Frage gilt es gemeinsam zu beantworten.

Weiterführende Literatur:

Grünschnitt Filmproduktion, Bauer sucht Crowd – Gemeinschaftsprojekt Landwirtschaft, 2015. http://www.gruenschnitt- filmproduktion.com/index.php/video/solawi-/Wiki, Solidarische Landwirtschaft in Österreich: http://www.ernährungssouveränität.at/wiki/Solidarische_Landwirtschaft_in_%C3%96sterreich

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