Wölfe und Wolfsjagden in Tirol - almwirtschaft.com · Der Alm- und Bergbauer 10/2017 9 D ie Wölfe...

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Der Alm- und Bergbauer 10/2017 9 Die Wölfe richteten ihre Lebensge- wohnheiten in starkem Maße auf die herrschenden Umweltbedingungen aus. Der stärkste Wolf wurde zum Leitwolf und führte das Rudel. Solange die Tiere keinen Hunger hatten, waren sie scheu und furchtsam. Wenn aber die Wölfe im Winter sozusagen vom „Heißhun- ger“ getrieben waren, dann wurden sie mutig und tollkühn, rissen die Beute (z.B. Feder- und Haarwild, Haustiere, vor allem Schafe und anderes Weide- vieh), derer sie habhaft werden konn- ten, und bissen sie tot („Beutehetzer“). Bereits im Rattenberger und Kitzbühe- ler Salbuch aus dem Jahr 1416 wird der „Wolff“ als „schedliches tier“ bezeich- net, weshalb damals die „Wolfgejaid“ (= Wolfjagd) im Tiroler Unterland gang und gäbe war. Obrigkeitlich eingesetzte und besoldete „Land-Jäger“ (= Landjä- ger) mussten sich um diese gefährliche Aufgabe kümmern. Im Unterschied zum Bären, der nach einer entsprechen- den Quellenangabe aus dem Spätmittel- alter zwischen November und Februar seinen Winterschlaf hielt, spielte wäh- Wölfe und Wolfsjagden in Tirol Ein historischer Streifzug Dr. Georg Jäger „O lieber Gott behüte und bewahre uns in allen Nöten, besonders von den Wölfen, welche Seelen töten“ (Marterl- spruch aus Südtirol). Die Wölfe waren einst überall im „Land im Gebirge“ heimisch. Auf ihre Verbreitung weisen u.a. Orts-, Flur- und Familiennamen (z. B. Wolf, Wolfsgrube) hin. Übrigens ist die Bezeichnung Wolfsklamm bei Stans/ Unterinntal ein sicherer Hinweis für die Existenz von Wölfen im Karwendel. Als Standwild verschwand der Wolf schon früher als Bär und Luchs aus unseren Wäldern. Allerdings drangen des Öfteren aus benachbarten Revieren einzelne Tiere nach Tirol vor. Noch im 19. Jahrhundert wurden in Süd- und Osttirol Wölfe erlegt. Wir wissen aller- dings nicht, ob es sich um verwilderte, wolfsähnliche Haushunde oder um echte, „grimmige“ Wölfe gehandelt hat. > Ritten, Sommerfrischehaus Amonn, Anfang des 18. Jahrhun- derts. Wolfsjagd. (Quelle: „Die Jagd in der Kunst Alttirols“; Christoph Gasser; Helmut Stampfer, 1994).

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Die Wölfe richteten ihre Lebensge-wohnheiten in starkem Maße auf dieherrschenden Umweltbedingungen aus.Der stärkste Wolf wurde zum Leitwolfund führte das Rudel. Solange die Tierekeinen Hunger hatten, waren sie scheuund furchtsam. Wenn aber die Wölfeim Winter sozusagen vom „Heißhun-ger“ getrieben waren, dann wurden sie

mutig und tollkühn, rissen die Beute(z.B. Feder- und Haarwild, Haustiere,vor allem Schafe und anderes Weide-vieh), derer sie habhaft werden konn-ten, und bissen sie tot („Beutehetzer“).Bereits im Rattenberger und Kitzbühe-ler Salbuch aus dem Jahr 1416 wird der„Wolff“ als „schedliches tier“ bezeich-net, weshalb damals die „Wolfgejaid“

(= Wolfjagd) im Tiroler Unterland gangund gäbe war. Obrigkeitlich eingesetzteund besoldete „Land-Jäger“ (= Landjä-ger) mussten sich um diese gefährlicheAufgabe kümmern. Im Unterschiedzum Bären, der nach einer entsprechen-den Quellenangabe aus dem Spätmittel-alter zwischen November und Februarseinen Winterschlaf hielt, spielte wäh-

Wölfe und Wolfsjagden in TirolEin historischer Streifzug

Dr. Georg Jäger

„O lieber Gott behüte und bewahre uns in allen Nöten, besonders von den Wölfen, welche Seelen töten“ (Marterl-spruch aus Südtirol). Die Wölfe waren einst überall im „Land im Gebirge“ heimisch. Auf ihre Verbreitung weisen u.a.Orts-, Flur- und Familiennamen (z. B. Wolf, Wolfsgrube) hin. Übrigens ist die Bezeichnung Wolfsklamm bei Stans/Unterinntal ein sicherer Hinweis für die Existenz von Wölfen im Karwendel. Als Standwild verschwand der Wolfschon früher als Bär und Luchs aus unseren Wäldern. Allerdings drangen des Öfteren aus benachbarten Reviereneinzelne Tiere nach Tirol vor. Noch im 19. Jahrhundert wurden in Süd- und Osttirol Wölfe erlegt. Wir wissen aller-dings nicht, ob es sich um verwilderte, wolfsähnliche Haushunde oder um echte, „grimmige“ Wölfe gehandelt hat.

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Ritten, Sommerfrischehaus Amonn, Anfang des 18. Jahrhun-derts. Wolfsjagd. (Quelle: „Die Jagd in der Kunst Alttirols“;Christoph Gasser; Helmut Stampfer, 1994).

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rend der kalten Jahreszeit (also in dendrei Kalender-Monaten Dezember, Jän-ner und Februar) ausschließlich dieJagd auf Wölfe eine zentrale Rolle.Im Jahr 1432 erwähnt Ulrich Putsch

in seinem Tagebuch die Wolfsplage in-folge strenger Kälte: „1432 fuit hiemsvalidissimus et tantus frigor, quod visalgoris infinitos homines extinxit etlupi plurimos devoraverunt.“ (Überset-zung durch DDr. Roman Spiss: 1432war ein starker und kalter Winter, wes-halb aufgrund der niedrigen Tempera-turen zahlreiche Menschen erfrorenund die Wölfe viele gefressen haben.) Die langen Winter reichten in Tirol

bzw. überhaupt im gesamten Alpen-raum oft bis ins Frühjahr hinein. Sowurden am 9. Juni 1484 auf dem ZirlerBerg Reisende von heulenden Wölfenerschreckt, worüber die Chronik desHaller Bürgers Peter Heuberger erzählt.Im Jahr 1492 bewilligte die GemeindeBormio vier Männern 20 Lire für dieErlegung schädlicher Wölfe, welche amUmbrail Rinder- und Schafherden ange-griffen hatten. Am 10. April 1494schrieb der leidenschaftliche Jäger, da-mals erst römisch-deutscher König Ma-ximilian, an Erzherzog Sigmund vomAufstellen von „Selbstgeschossen“ ge-gen Wölfe im Gebiet von Schwangau,wo er mit den Edlen von Schwangauauf der Pirsch gewesen war.

Privilegierte Raubwildjagd führtezur Wolfsplage

Im ausgehenden 15. Jahrhundertmehrten sich die Klagen der Bauern

über Übergriffe durch Wölfe, weil da-durch das Vieh auf der Weide bedrohtwurde. Nicht umsonst bestellte (der ab1508 regierende) Kaiser Maximilan I.im Jahr 1497 eigene Landwolfsjäger,eine Maßnahme, die jedoch nicht aus-reichend war. In der Waldbereitung von1504 vernehmen wir Beschwerden ausdem Schmirn- und Valser Tal, dass dieWölfe neben den Bären in großer An-zahl Schaden tun. Erst mit dem zehnJahre später anno 1507 erlassenenMandat wurde den Untertanen dasRecht zugesprochen, Wölfe mittelsFallgruben und Selbstgeschossen nach-zustellen.1525 mehrten sich die Beschwerden

der Gerichtsleute von Villanders undGufidaun, dass ihre Gebirge neben denBären („vil pern“) auch viele Wölfe(„vil wölf“) und Luchse („vil lux“) ha-ben, die ihnen am Vieh („vich“), in denWeingärten, Wiesen und Äckern gro-ßen Schaden anrichten würden.Bereits im Jahr 1532 wurde der Be-

völkerung (also nach einem Vierteljahr-hundert) wieder verboten, Wölfe überdie Grenze ihrer Bauerngüter oder Hof-stellen zu verfolgen; dieses Recht warnur mehr den landesfürstlichen Jägernvorbehalten. In den fürstbischöflich-brixnerischen Gerichten wurde übri-gens der jeweilige Pflegsverwalter ver-pflichtet, die Bauern vor den Wölfen zuschützen. Die Folge dieser Einschrän-kung der bäuerlichen Jagdfreiheit wareine enorme Zunahme des Raubwilds.Schon 1529 beschwerte sich die Nach-barschaft im Achental über das „merk-liche Verderben“, das ihr durch die Bä-

ren und Wölfe täglich begegne. Ähn-lich lauteten die Klagen 1539 in derHerrschaft Rattenberg, besonders inAlpbach und im Zillertal.

Die großen Wolfsplagen zwischen1560 und 1599

Während der immer kälter und rau-er werdenden 1550er-Jahre hatten sichdie Raubtiere im Sarntal stark vermehrt(„vast zigelt“), was dem Protokoll desEhehafttaidings von 1560 entnommenwerden kann. Die Wölfe richteten indieser Gegend von Jahr zu Jahr emp-findliche Schäden an, indem sie vor al-lem auf das Vieh losgingen. Im kaltenWinter 1559/60 legte der eigens beauf-tragte Wolfsjäger Martin Obrist imAuftrag der Gerichtsgemeinde Sarn-thein den Wölfen ihr Handwerk.Im kühlen Sommer 1573 fraßen

bzw. zerfleischten plötzlich auftau-chende Wölfe zwei Ziegen auf der Sei-ser Alm, wie aus einer Eintragung desVerfachbuches von Kastelruth hervor-geht. Für vorgelegte Raubtierköpfezahlte die landesfürstliche Kammer ei-gene Geldbeträge aus. 1580 glücktebeispielsweise den Forstknechten imGericht Petersberg (Silz mit Ötztal,Mieminger Plateau usw.) ein Fang vonvier Wölfen. Im selben Jahr gingen inNordtirol insgesamt zehn Wölfe in dieFallen. 1589 waren es vergleichsweiseein Wolf und sechs Bären, im Jahr 1600sieben Wölfe und zwei Bären. Allein1597 hatten die Wölfe im Gericht Ret-tenberg (mit dem Wattental) so über-handgenommen, dass der gesamteViehbestand bedroht war.Über den in allen Tiroler Landestei-

len herrschenden Extremwinter von1597/98 steht in einer Chronik die Zei-le: „Viele Menschen erfroren und etli-che wurden von Wölfen angegriffenund zerfleischt.“ Zwischen Dezember1597 und Februar 1598 wurden mehre-re, meist schon erfrorene Personen vonHunger leidenden Wölfen aufgefres-sen. 1599 rissen im Stubaital die Wölfe(und Bären) zusammen 15 Pferde undRinder.

„Wolf, Fuchs und Lamm“. Gemäl-de von Franz Roesel von Rosen-hof, 1666. (Quelle: Wolfsspuren inBayern; Gertrud Scherf, 2001).

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Der um 1600 entstandenen Südtiro-ler Landesbeschreibung des ChronistenMarx Sittich von Wolkenstein kann ent-nommen werden, dass in zwanzig Herr-schaften oder Gerichten in der kalten Jah-reszeit zahlreiche Wölfe auftraten undsich sogar unter die Haushunde mischten,was u.a. im Passeier der Fall war. Überdie zu den Dörfern herunterkommendenWölfe schrieb der adelige Zeitzeuge:„Die Wölf tun nit allein in hohen Gebir-gen, sondern begeben sich, doch nit alle,sondern in kalten Jahren in die Nieder.“

Wolfsvorkommen und Wolfs-jagden im 17. Jahrhundert

Seit dem ausgehenden 16. und be-ginnenden 17. Jahrhundert lässt sicheine neuerliche Vermehrung der Wölfenachweisen, was zur Anlage von zusätz-lichen Fallgruben führte. Gerade wäh-rend der sogenannten „Kleinen Eiszeit“häuften sich die Überfälle der reißendenWölfe. 1602 richteten Wölfe unter demKleinvieh im Gericht Rettenberg (Kol-sass, Wattens usw.) großen Schaden an.Im selben Jahr beschwerten sich dieBauern im Gericht Rattenberg wieder-holt, durch Wölfe und andere Raubtieregroße Schäden erlitten zu haben, wes-halb eine Treibjagd abgehalten wurde.1610 riss ein Wolf im Sellraintal und aufder Fotscher Alm („Alpfatsch“) Schafe,Ziegen und zehn Stück Jungvieh.Während des Dreißigjährigen Krie-

ges (1618 - 1648) kam es nicht nur in Ti-rol, sondern in ganz Mitteleuropa zu ei-nem gewaltigen Anstieg der Wolfspopu-lation. Aus diesem Grund mussten alleTiroler Gerichtsbezirke an geeignetenStellen Wolfsgruben errichten. Alle undauch abgekommene Gruben sollten aus-

gebessert werden und die Fangstellenauf den Kanzeln verkündet werden. Fürmanche Bauern bestand auch der Jagd-frondienst, das Luder für die Wolfsgru-ben zu stellen. Im Jahr 1618 hatten imGericht Hörtenberg (Telfs und Umge-bung) die Wölfe dermaßen zugenom-men, dass die Bauern es kaum mehrwagten, ihr Vieh auszutreiben. 1619richteten zwei Wölfe unter dem Viehund Wildbret des Zillertales Schaden an.Zur Abwehr der damals in einer

Kältephase stark zunehmenden Wolfs -plage wurde am 21. November 1621das sogenannte „Wolfsgruben-Mandat“für das Oberinntal, Unterinntal undWipptal erlassen und allen Tiroler Ge-richtsbezirken aufgetragen, Wolfs -gruben zu errichten. Heinrich Ober -reauch schreibt dazu: „Die Forstknech-te sind zur Besprechung vorzuladen,die Materialien sind auf Kosten derKammer beizustellen und die Unterta-nen haben mittels Robott, ‚so wie esvon alters her schuldig, wo nit‘, mit ge-bührendem Lohn dasselbe herbeizufüh-ren und die Arbeit zu leisten. Die altenGruben sind zu bessern. Die Grubensind auf den Kanzeln zu verkünden.Das Mandat stellt sich als eine Erneue-rung schon bestehender Anordnungdar, es müssen daher Wolfsgrubenschon früher in Übung gestanden ha-ben.“ Die bekanntesten Örtlichkeitenbzw. Ortsnamen mit Wolfsgruben wa-ren Wolfsgrubensee am Ritten und dieHöfe Wolfsgruben bei Silz.1622 richteten die Wölfe bei Vieh

und Wild große Schäden an. Daraufreagierte der Oberstjägermeister in Ti-rol, Fortunat Freiherr zu Wolkensteinund Rodenegg. Er riet nochmals denObrigkeiten aller Gerichte des Landes

Tirol, dass die Forstknechte an geeig-neten Plätzen Wolfsgruben errichtensollten, was bis zum 22. Oktober 1622auch geschah. Am 18. Februar 1629 stießen zwei na-

mentlich angeführte Bauern aus Deutsch -nofen und Leifers (Krein Kofler, Aspmer-bauer; Erhart Titsch von Leifers) beimHeimweg durch das Brantental amWasserfall oberhalb der Mühle des Le-onhart Egger auf vier Wölfe, die einenHirschen „niedergelegt“ und fast schonaufgefressen hatten.

Von Wolfsgruben und Wolfs-übergriffen auf Menschen

Während der kalten Winter zwischen1648 und 1650 erhielten die Gemeindendes Gerichtsbezirkes Steinach aufgrundder herrschenden Wolfsplage die obrig-keitliche Erlaubnis, das Raubwild selbstabzuschießen. Die Bejagung von Wöl-fen stand etwa im Landgericht Sterzingin erster Linie den Forstknechten zu,worüber das Oberstjägermeisteramt inseinen Aufzeichnungen von 1652 bis1668 berichtet. Bei der Auslegung vonKödern für die grassierenden Raubtieredachte man weniger an die Gefahr derErlegung von Nutzvieh, sondern vor al-lem daran, dass durch die Wölfe „bey er-manglender Abwendung die schönenFörst (= Forste, Wälder) ausgeoedet“werden. 1670 schädigten neben den Bä-ren und Luchsen auch Wölfe von derScharnitz bis ans Schwazer GerichtFreundsberg Vieh und Wild.Nicht nur die Wälder am Brenner

und in der Sterzinger Gegend, sondernauch das Weinbaugebiet im SüdtirolerUnterland wurde von Wölfen heimge-sucht. Aus dem Protokollbuch der Ge- >

Schloss Velthurns, Intarsien, 1583. Treibjagd auf Wölfe mit Stellnetzen. Ein Wolf hält vor einer Fallgrube mit Lockenteinne. (Quelle: „Die Jagd in der Kunst Alttirols“; Christoph Gasser; Helmut Stampfer, 1994).

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meinde Kaltern vom 8. März 1670 er-fahren wir, dass man „auf Mittel den-ken sollte, um das schädliche Ungezie-fer der Wölfe zu vertreiben und dassman sich diesfalls gehörigen Orts er-kundigen solle“. Zur selben Zeit wur-den Wolfsgruben zwischen Altenburgund St. Anton angelegt. Ebenfalls 1670scheinen im Gerichtsbezirk Matrei inOsttirol (Windisch-Matrei) bei einerSchussgelder-Aufzählung die Gelderfür sämtliche Wildtiere auf, woruntersich neben den Bären und Luchsenauch die Wölfe befinden.Auf einem, an einer hohen überhän-

genden Felswand angebrachten, großenVotivbild im Tanzbachtal zwischendem Sarntal und Ritten - genauer aufeinem Bergsteig unterhalb des Kirch-steigers in der Windlahn - werden dreigrimmige Wölfe dargestellt, die zuWeihnachten des Jahres 1700 in derNähe des schattseitig gelegenen Ner-derhofes gierig einen am Boden liegen-den Menschen zerfleischen. Beim Op-fer handelte es sich um die junge Bau-erndirn Maria Maier, die auf ihremGang bzw. Weg zur Christnachtfeiervon den hungernden Wölfen überfallenund dann aufgefressen wurde. EineMarterl-Inschrift (um 1900) erläutertnochmals die tragische Episode: „Vorlanger Zeit - gut 200 Jahren als hier zuLand noch Wölfe waren, da wurde aufdem Gang zur Christnachtfeier die jun-ge Nerderdirn Maria Maier, die sichden Weg zu gehen allein vermessen,von den Wölfen überfallen und gefres-sen. O lieber Gott behüte und bewahreuns in allen Nöten, besonders von denWölfen, welche Seelen töten.“

Allerdings kam esselten zu Wolfsübergrif-fen auf Personen, wobeisolche Attacken mit ganzspeziellen Umständenverbunden waren. Sokonnten mehrere ein-schlägige Berichte da-durch erklärt werden,dass die „blutrünstigen“Wölfe tollwütig waren.Es fällt außerdem auf,

dass entsprechende Vorkommnisse be-sonders aus Kriegs- und Hungerzeitenoder Seuchenzügen überliefert sind. Insolchen Perioden starben die Menschenoft schneller als die Totengräber sie be-graben konnten, und Wölfe fraßen dienicht bestatteten oder nur notdürftig ver-scharrten Leichen. Dass in solchen Situ-ationen gelegentlich auch Menschen an-gegriffen wurden, lässt sich nicht ganzausschließen.

Wolfsjagden und Abschuss-prämien im 18. Jahrhundert

Zwischen 1700 und 1900 gab esüberall in Tirol immer wieder Hetz-oder Treibjagden auf Großraubwild un-ter Verwendung von Schusswaffen,wenn sich auch eine weitere Zunahmeder Wolfspopulation gegen Ende des18. Jahrhunderts anbahnte. In einemkleinen Südtiroler Bergdorf sollen1720 ein Rudel von Wölfen 16 weiden-de Pferde und zwei Menschen gerissenhaben! Die Tiroler Freiheitskämpfehatten ab 1796/97 angeblich zur Folge,dass zumindest „zwischen Töll unddem Reschner Scheideck“ die Wölfestark dezimiert wurden, weil viel mehrWaffen im Umlauf waren.Während des 18. Jahrhunderts wur-

den den Jägern beispielsweise im Ge-richt Kastelruth folgende Abschuss-bzw. Fangprämien oder Schussgelderfür erlegte Wölfe ausbezahlt: 1709 demFreiding im Tal „von ain geschossenenWolf“ fünf Gulden; 1714 dem Forst-knecht und Reißjäger Balthasar Pla-netsch für eine „geschossene Wölfin“zehn Gulden und dem Balthasar Planer

für einen „ermorten“ Wolf fünf Gulden;1717 für „gefangene zwei Wölfe unddrei Luchse“ insgesamt 26 Gulden;1722 dem Georg Torggler für einenLuchs vier Gulden und dem PflegerEngelhart Prugger für vier gefangeneWölfe 16 Gulden sowie 1747 dem Bal-thasar Planetscher für einen „WolfsPrankhen“ vier Gulden. 1796 erhieltAlois Hochgruber „wegen erschossenezwei Wölfinnen“ eine Belohnung vonvier Kronen Taler per neun Gulden 36Kreuzer.“Im sogenannten Verkündbuch der

Pfarre Tisens bei Lana wird auf den20. Juli 1770 „zur Abwendung derWölfe und anderer schädlicher Tiere“sogar ein Kreuzgang nach St. Gertraudim Ultental angesetzt. Diese Prozes-sion ist ein Indiz dafür, dass die Wölfedamals in der Meraner Gegend (Burg-grafenamt) und im Vinschgau durch-aus nicht selten waren, ja dass sie fasteine Landplage waren. Allein zwi-schen 1668 und 1783 wurden in Tau-fers im Münstertal 23 Wölfe erlegt. ImKältejahr 1773 hielt man im GerichtAltenburg (in Kaltern) wenig Schafe,weil die Wolltiere „von denen in die-sen Gerichtsgegenden sich vielfältigaufhaltenden Wölfen niemals sicher“waren.

Bekämpfung der Wölfe - Schuss-gelder und Fangprämien

Nicht nur im „Land an Etsch, Ei-sack und Rienz“, sondern auch in vie-len anderen Gebieten des Alpenraumeshatte jedermann das Recht und oft so-gar die Pflicht, herumstreifende Wölfezu erlegen: Abschussprämien lockten,die für manchen Bergbewohner ein hal-bes Vermögen bedeuteten. Im frühen19. Jahrhundert kamen zudem Gewehreauf, die auch bei Regenwetter funktio-nierten und auf Hundert Meter Distanztrafen - fünfmal weiter als die älterenModelle. Treibjagden wurden damalswesentlich erfolgreicher. Die Entwick-lung zuverlässigerer Schlagfallen unddie Verbreitung von Strychnin gabenden Wölfen den Rest.

Modell einer Wolfsgrube mit Köder und Fall -deckel. Holzschnitt, 1590. (Quelle: Wolfsspurenin Bayern; Gertrud Scherf, 2001).

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Am 18. Dezember 1811 ordnete diedamalige bayerische Regierung imLandgericht Lana an, dass am 26. De-zember des Jahres noch eine großeWolfsjagd stattzufinden habe. Eine gro-ße Zunahme von Wölfen ließ sich auchim Winter und Frühjahr 1813 feststel-len, wo die Hunger leidenden Raubtieremehrere Gegenden in Tirol unsichermachten. Der bekannte Südtiroler Hei-matforscher Karl Meusburger schreibtdarüber: „Wie alle früheren Kriege, sobrachten auch die großen Napoleoni-schen Kämpfe und Feldzüge eine ziem-liche Vermehrung der Wölfe, die deraus Rußland zurückflutenden Armee inganzen Rudeln folgten.“Gerade in schlechten Zeiten mit

Kältewintern, als sich die Menschen,selbst kaum durchbringen konnten, gabes für viele Hunde kein geeignetes Fut-ter mehr. „Die einfachste Lösung wardas Freilassen, denn verhungert wärensie so oder so, außer sie schafften es,sich wildernd selbst zu versorgen.“ DenWölfen in Osteuropa ging es vorüber-gehend dermaßen schlecht, dass siedort Pferdeschlitten-Gespanne angrif-fen, was die russische Genremalerei inzahlreichen Bildern zeigt. „Die extremkalten und langen Winter hatten dieWölfe zum Auswandern gezwungen.“Sie flohen aus ihrer Heimat nach Süd-westen und erreichten auch den Alpen-raum (Mitteleuropa).Obwohl tirolweit in nahezu jeder

Gemeinde eine oder mehrere Fallgru-ben bestanden, waren es erstens dasverstärkte Vordringen der Schusswaf-fen, zweitens eine relative Liberalisie-rung des Jagdrechts und drittens vor al-lem die ansehnlichen Schussgelder undFangprämien, welche die Bestände desRaubwildes rasch verminderten. Dielandesfürstliche Verordnung vom 6.September 1818 erlaubte auch Vertre-tern aus dem Bürger- und Bauernstanddie Erwerbung einer Jagdbarkeit (Ei-gentum oder Pacht), sofern sie dort an-sässig waren.Für die Erlegung der Raubtiere

wurden aus dem Staatsschatze Taglien(Taglia = Prämie) bezahlt, und zwar für

einen Wolf 25 fl. (fl. =Gulden) und für eineWölfin 30 fl.; zum Ver-gleich dazu für einenBären männlichen Ge-schlechts 30 fl., für eineBärin 40 fl., für einenmännlichen Luchs 20fl. und für einen weib-lichen Luchs 25 fl. Wieaus dem topographisch-statistischen Werk vonJohann Jakob Stafflerüber Tirol von 1839hervorgeht, zahlte dieRegierung pro Jahr un-gefähr 1.000 Gulden anTaglien aus, da imDurchschnitt jährlich12 Wölfe, 20 Bären und2 Luchse getötet wur-den!In den kalten Win-

termonaten der 1820er-Jahre näherten sich dieWölfe mehreren Südti-roler Ortschaften undstellten besonders denfrei laufenden Hundennach, weil die übrigenHaustiere in den Ställenmeist gut geschützt wa-ren. Die Brunecker Gegend wurde da-mals ebenfalls von Wölfen heimge-sucht. So trieben sich diese etwa imDorf Stegen zur Winterszeit ganz in derNähe der Häuser herum, wenn sie derHunger plagte. Die reißenden Wildtierehielten sich vor allem bei Behausungenauf, in denen Hunde waren, und heul-ten dort in die kalte, mondhelle Winter-nacht hinaus. Am 29. Jänner 1834 über-fiel ein Wolf den Brixner Bäcker undBürgermeister Romanus Mair, welchersich gerade auf dem Heimweg vonTschötsch befand. Auch in Oberwielen-bach im Pustertal wurde in den 1830er-Jahren ein Wolf aufgespürt. Noch 1839berichtet Beda Weber von den Wölfenim Matscher Tal: „Häufiger als dieLämmergeier richten die Wölfe Unheilan. Bei strengem Winter besuchen siezur Nachtszeit sogar das Dorf und

schonen das einsame Menschenlebenkaum. Daher das Sprüchwort: Matschder Wölfe Heimath.“

Wölfe bedrohten Mensch und Viehin strengen Wintern

Der bereits erwähnte Landeskund-ler Johann Jakob Staffler beschreibt diebis Anfang des 19. Jahrhunderts im„Land im Gebirge“ weit verbreitetenWölfe (und Luchse) als Raubtiere anno1839 ganz zutreffend so: „Der Wolf(Canis lupus), noch schädlicher undgrausamer als der Bär, da er sich nurvom Fleische nährt, hat, wie dieser, sei-nen Aufenthalt in den nördlichen undsüdlichen Schluchten, und vorzüglichim Thale Matsch, die Heimath der Wöl-fe genannt, in Valsugana und auf demNonsberge. Im strengen Winter kom- >

Wolfsjagd mit Netzen. Kupferstich von Johan-nes Elias Ridinger, 1729. (Quelle: Wolfsspurenin Bayern; Gertrud Scherf, 2001) (o.). Bauermit Wölfen (u.).

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men diese heißhungrigen Thiere nichtselten auf einen überraschenden Besuchbis in die Wohnungen der Menschen und- würgen den Haushund oder ein ande-res unverwahrtes Stück Vieh. Doch zumGlück erscheinen sie in Tirol fast nie ingrößerer Gesellschaft. - Der Luchs (Fe-lis lynx), der gefährlichste Feind derSchafe, der Rehe und selbst der Hirsche,erscheint nicht überall und nicht so oft,als die Bären und die Wölfe. Er ziehtweit über Berg und Thal, und deßwegenhält es sehr schwer, seiner habhaft zuwerden. Luchse finden sich nicht ungernin den Gebirgen des Wippthales ein, inden Gehegen von Kastelbell, im Achen-thale, im Martinswand-Gebirge und imBezirke von Feldkirch.“

Ausrottung von „Meister Isegrim“zwischen 1852 und 1896

Die endgültige Ausrottung der Wöl-fe erfolgte in Nord-, Süd-, Ost- undWelschtirol in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts. Ganz allgemein ver-schwanden die Angehörigen von „Meis-ter Isegrim“ vergleichsweise früher alsdie Luchse und Bären aus unseremUntersuchungsgebiet. Im Karwendelund Rofan wurden 1813 noch zwei Wöl-fe gesichtet, von denen der eine zweiJahre später erlegt wurde. Im Fassatalzählte man im Jahr 1817 Wolfsrudel inder Größe von bis zu 17 Tieren.Die Bären und Wölfe, welche im

Tal Vals bei Mühlbach über Jahrhun-derte große Schäden anrichteten, wur-den „im Winter 1833 fast ganz ausge-rottet“, wie der Geistliche Beda Weberin seinem 1838 erschienen Handbuchfür Reisende notiert. In den drei Erhe-bungsjahren 1833, 1834 und 1835 wur-den tirolweit insgesamt 21 Wölfe er-legt, wobei es 1833 sechs und 1834fünf Wölfe waren. Von den 1835 getö-teten zehn Wölfen in Alt-Tirol entfielenvier Raubtiere auf den Kreis Imst, dreiWölfe auf den Kreis Trient, zwei aufden Kreis Rovereto und ein Wolf aufden Kreis Bozen.Noch in der zweiten Hälfte des 19.

Jahrhunderts suchten Wölfe das Puster-tal (Rodeneck, Rasen und Welsberg)und das Mittelgebirge im Eisacktal(Kastelruth) heim. 1852 wurde der letz-te Südtiroler Standwolf im Vinschgauerlegt. Nach einem Ausweis über die inganz Tirol erlegten Raubtiere wurdenzwischen 1837 und 1852 genau 18

Wölfe abgeschossen. Von 1852 bis1863 wurde lediglich ein Wolf erlegt,nämlich in Brixen, was der ‚Volks- undSchützenzeitung‘ vom 17. Juni 1863entnommen werden kann.Großes Aufsehen erregte 1896 das

Auftreten von drei Wölfen beim „La-seider“ im hinteren Villnösser Tal, aufdie am 26. November des Jahres achtJäger eine regelrechte Treibjagd veran-stalteten. Eines der drei Tiere - angeb-lich von „seltener Größe“ - wurde we-nige Tage vorher in Brogis (am Steigvon Villnöß nach Gröden) gesichtet,versprengt und dann am Übergang vonMunt nach Afers erschossen, währenddie beiden anderen Wölfe erst in St.Kassian erlegt wurden. Die aus Kärntendurch das Drautal und über das Puster-tal ins Eisacktal zugezogenen Wölfeverursachten einen beträchtlichenSchaden unter den Schafherden derhiesigen Bergbauern. Die ‚BoznerNachrichten‘ (3. Jg., Nr. 277, Mitt-woch, 2. Dezember 1896, S. 4) ergän-zen unter der Überschrift „Wolfsjagdim Villnösserthale“ noch: „Vor acht Ta-gen wurde im Thale Villnöß (bei Klau-sen) ein prächtiger Wolf geschossen,sich seit 14 Tagen im dortigen Revierbemerkbar machte, und dem mehrereSchafe zum Opfer fielen. Der Besitzerläßt denselben ausstopfen. Meister‚Petz‘ und Meister ‚Isegrimm‘ waren infrüheren Jahrhunderten im Villnösser

Thale nicht selten anzutreffen; wurdendamals sogar ganz regelrechte Bären-und Wolfsjagden arrangirt. In unsermJahrhundert klingt eine Wolfsjagd indieser Gegend mehr wie eine Erzäh-lung aus alten Zeiten her.“

Brauchtum gegen Wolfsgefahrin Südtirol

Um sich in Südtirol gegen die Wolfs-plage zu wehren, bediente man sich ne-ben Feuer, Lärm und Geschrei auch ver-schiedener Bannsprüche, ja sogar deskirchlichen Wolfssegens, der beispiels-weise in Luttach bis 1900 vor der Weih -nachtsmette außerhalb des Gotteshausesmit dem Höchsten Gut erteilt wurde. Oft sollen Hirten bei Wolfsgefahr mit

den Holzschuhen zusammengeschlagenhaben, um so die Raubtiere mit Lärm zuverscheuchen. Aus Gereit und Schaldersliegen Meldungen vor, es „seien Hirschevon Wölfen zerrissen worden“. Wolfs-gruben gab es nicht nur in den angren-zenden Dörfern von Feldthurns, so inTils, Villnöß, Afers, Gufidaun, Schaldersund im Sarntal; man kannte sie auch amWeg von Schnauders nach Gereit.

Wolfsvorkommen und Schädendurch Wölfe in Osttirol, 1642-1870

Das letzte Vorkommen von Wölfenlässt sich im Bundesland Tirol in Nord-tirol für das Jahr 1826 und in Osttirol fürdas Jahr 1870 nachweisen (Salzburg:1830, Vorarlberg: 1831, Kärnten 1876).Im historischen Zeitraffer ergibt sichnach Alois Kofler für den Bezirk Lienzfolgendes Bild: 1642 klagte der LienzerForstmeister über die Zunahme derWolfsrudel. 1689 wurde das Rotwildaufgrund des Schneefalls durch Wölfefast ausgerottet. 1692 wurden um Til -liach schwere Schäden beim Weideviehgemeldet. Noch 1734 wurden in der Ge-gend von Heinfels 32 Wölfe „zernich-tet“. 1793 gab es Schäden beim Weide-vieh im Raum Lienz. Anno 1800 wurdeein Wolf am Bredelerberg in Kals amGroßglockner erlegt. Schon 1859 hießes, dass die Wölfe seit langer Zeit ausge-rottet seien. Der letzte Wolf in Osttirolwurde jedoch im Jahr 1870 am Gaim-berg bei Lienz geschossen. ///

Univ.-Doz. Dr. Georg Jäger ist alsHeimatforscher tätig.

Die Bildtafel zeigt einen gierigenWolf. (Quelle: Wolfsspuren in Bay-ern; Gertrud Scherf, 2001).