Dr HP Fiechter Vortrag Vom 20081025 Das Apollinische Und Das Dionysische Als Kunsttherapeutische...

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Arbeitstage zur Therapeutischen Sprachgestaltung 2008

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Vortrag H-P. Fiechter

Das Apollinische und das Dionysische als Kunsttherapeutische Wirkprinzipien

Die Bezeichnungen des Apollinischen und Dionysischen sind heute kaum noch gebräuchlich; hat man allerdings die dazugehörigen Begriffe gebildet, findet man sehr viel Verwendung dazu. Bei Schiller treten wie in einer Geburtsstunde diese Begriffe ins Leben. Er spricht philosophisch vom Formtrieb und Stofftrieb, bleibt aber nicht in einer dualistischen Auffassung stecken. Beide sind vielmehr als Polarität zu sehen, die etwas drittes hervorbringen. Leben und Gestalt verbinden sich zur lebenden Gestalt. Schelling hielt eine Vorlesung über das Apollinische und Dionysische, benannt als Philosophie der Offenbarung. Diese wurde in einer verzerrten bzw. vereinfachten Nachschrift seines Schülers Paulus veröffentlicht. Schelling versuchte dagegen mit Hilfe der Obrigkeit anzugehen und verlor dadurch sein Gesicht vor den Studenten, so dass seine Universitätslaufbahn damit beendet war. Er entwickelte in dieser Vorlesung die Idee, dass Gott beide Polaritäten gleichzeitig umfasse. Jeder Mensch, insofern er schöpferisch ist, umfasst ebenfalls diese Möglichkeit. In der Poesie lebt das Geheimnis, gleichzeitig trunken und nüchtern zu sein. Das unterscheidet die Apollinische Begeisterung von der Dionysischen. Bei Hölderlin findet man bildhaft die gleiche Idee: "Ihr holden Schwäne und trunken von Küssen tunkt ihr das Haupt ins heilig-nüchterne Wasser." Durch dieses Umfassen wird die Wissenschaft künstlerisch. Das gab es nur in der Zeit von den ästhetischen Briefen bis etwa Ende des 19 Jahrhundert - davor und danach verbat sich die Wissenschaft das Künstlerische. Bei Schopenhauer wurde aus dem Schillerschen Gegensatz von Leben und Gestalt der von Wille und Vorstellung. Nach ihm kommt Schelling, dann Wagner und nach ihm Nietzsche. Nietzsche beschäftigt sich in "Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik" als junger begabter Philologe nicht mit Details, sondern mit einer großen Übersicht. Das stieß auf Ablehnung und kostete ihn die akademische Laufbahn - man ging dann im 20. Jahrhundert immer mehr in die Spezialisierung. Wie hängen geistige und leibliche Impulse zusammen? Es gibt ja ebenso eine Tyrannei des Geistes wie des Stoffes. Apoll und Dionysos sind Halbbrüder, sie stammen beide von Zeus ab. Doch während Apoll auch eine göttliche Mutter hat, ist die Mutter des mittleren Dionysos (der Jüngere genannt) eine Königin. Er ist also ein göttlich gezeugter Mensch. Apoll kennt das Irdische nicht - der berühmte Apollo von Belvedere trägt Sandalen, die ihn von der Erde isolieren. Dionysos dagegen wird barfuß dargestellt - also im Kontakt mit der Erde. Apollo ist der Gott des Scheins, des Bewusstseins, des Traums. Das Leibliche ist dafür nur die Grundlage. Bei Dionysos ist das Bewusstsein in den Leib eingetaucht. Die Gefahr ist, dass man das Bewusstsein verliert, mit dem Leib in die Katastrophe einbezogen zu sein. Bei Nietzsche ist Apoll der Gott des Traums, Dionysos der des Rausches. Die griechische Kultur kannte im inneren als drittes die orphische Strömung. Sie wäre die Synthese, die darin besteht gleichzeitig nüchtern wie trunken zu sein. Orpheus heißt "der Dunkle"; er ist Sohn des Lichtgottes. Er steigt mit der Leier ordnend in die Welt der Furien hinab: d.h. er steigt in die Tiefen des Leibes hinunter und besänftigt die Kräfte, die ihn sonst zerreißen würden. Er kann die wilden Tiere zähmen. Im 18. Jahrhundert entstanden zwei Opern, die immer noch aufgeführt werden. In Glucks Orpheus und Eurydike steigt Orpheus in die Unterwelt hinunter. Die Zauberflöte dagegen beginnt an dieser Stelle: Tamino steigt aus der Unterwelt hinauf. Er spielt die Flöte, das Instrument des Dionysos. Papageno dagegen hat ein Glockenspiel, das wiederum die wilden Triebe besänftigt. Wie die Leier hat es keine durchgehenden Töne, kann also nicht durch das Leben hindurch führen. Nietzsche hat einen Aufsatz geschrieben über die Dionysische Weltanschauung. In der „Geburt der Tragödie“ macht Nietzsche den Apoll - der unbestritten der Gott der Musik ist - zum Gott der Plastik und Dionysos zum Gott der Musik. Das ist nur verständlich, wenn man bedenkt, dass Nietzsche ein Verehrer Wagners war. August Wilhelm Schlegel hatte die These aufgestellt, dass der Rhythmus in der Musik dionysisch sei. Dem widersprach Schiller: der Rhythmus ordnet das Leben als Formkraft. Schlegel ließ sich korrigieren. Auf diesem Hintergrund kam Nietzsche dazu, die Musik in Melos und Harmonie als dionysisch anzusehen und nur den Rhythmus als apollinisch. In der Mythologie sind die Götter unsterblich, aber nicht ungeboren. (Das entspricht der Akasha-Chronik, in der alles aufbewahrt wird, was geschehen ist.) Apollo wird sehr schnell zum Jüngling und bleibt es. Dionysos wird dagegen in drei Gestalten dargestellt. Er hat auch weibliche Züge. Einmal wird er als Baby ungeschlechtlich dargestellt, dann als Jüngling (Bachus, zweigeschlechtlich) und

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drittens als bärtiger Mann (Zagreus, dessen Mutter die Persephone, Tochter der Demeter ist). Dieser Dionysos Zagreus, auch der Ältere genannt, wird zerrissen. Der 2. Dionysos, der jüngere genannt, ist zweimal geboren: Seine Mutter Semele trägt ihn 6 Monate und Zeus hüllt ihn in kühlenden Efeu, als sie verbrennt. Zeus trägt ihn dann das letzte Drittel der Zeit in der Lende (also im Unterleib). Apoll bringt den Göttern die Freude, Dionysos den Menschen. Er zieht in den Osten und verbreitet Kultur. D.h. er bringt in die leibliche Welt eine göttliche Kraft. Damit entsteht Freude, die gemeinschaftlich erlebt wird und die Menschen verbindet. Die Freude, die Apoll bringt, ist dagegen individuell erlebbar. Im Geistigen sind die Menschen individuell. Daher kommt die Gefahr der Ideologiebildung, wenn man eine geistige Gemeinschaft sein möchte, so dass dionysische Rauschbegeisterung hineinwirkt. Apollo wird in den Mythen immer als unglücklicher Liebhaber dargestellt. Er erreicht nicht, wonach er sich sehnt. So geht es zunächst auch Faust mit der Helena. Darin drückt sich das Traumhafte, Scheinhafte des Apollinischen aus. Dieses wird - vom dionysischen Standpunkt aus - als unglücklich erlebt. Hinweis auf Rilkes Sonette an Orpheus: "Wolle die Wandlung .." Die Sehnsucht geht nach der Gestalt, nach der Wirklichkeit. Doch man bekommt nur das Symbol und die Sehnsucht wird nie gestillt, es ist keine Dauer darin. Das charakterisiert die Sinnes-Nervensphäre. Nur indem ich selbst werde, was ich liebe, kann die Sehnsucht gestillt werden. Dionysos ist der Gott des Genusses, doch das Göttliche leidet im Genuss. Nietzsche hat eine Erfahrung von dem Paradox, dass die Lust erlitten werden muss. "O Mensch, gib acht ..." Die Qualitäten des Apollinischen und Dionysischen bedingen sich gegenseitig. Sie werden durch Christus verbunden. Von der Jordantaufe bis zum Abendmahl zieht Christus mit den Jüngern herum. Im Abendmahl haben wir das Bild der Sonne. Das kann man als Übergang vom Dionysischen zum Apollinischen sehen. Das Christentum wurde vorbereitet durch die untergründige Strömung des Orpheus. Die Mutter des Dionysos Iakchos ist Demeter (d.h. die Materia, die Erde) selbst, nicht mehr die Tochter Persephone. Er ist als kleines Kind dargestellt, somit als Zukunft. Das einseitige Dionysische hat wie das einseitig Apollinische keine kulturelle Wirksamkeit. Das sehen wir bei Schiller und Goethe. Sie haben jeweils beide Seiten in sich. Jedoch lebt in Goethe ein dionysischen Geist in einer apollinischen Seele; in Schiller ein apollinischer Geist in einer dionysischen Seele. (Wird im Gespräch näher ausgeführt) Im Mittleren Menschen begegnen sich beide Kräfte so, dass wir das Dionysische in den Emotionen haben ("Bauchgefühl"), das Apollinische aber in den Empfindungen die von der Sinneswelt angeregt werden. Beides muss so in den Austausch kommen, dass diese Empfindungen durch die Dionysischen Kräfte lebendig werden und die Emotionen durch die Apollinischen Kräfte einen Rhythmus finden. Sprachlich haben wir im Satz das Apollinische. Wir können ihn umstellen - er bleibt immer ein Ganzes, ein Panorama, ein Geflecht von Beziehungen. Im Wort dagegen lebt das Dionysische. Ich lebe im Wort, mit dem ich anfange, darin. Da bin ich körperlich darin, nehme den Leib mit. Satzbögen und Wortimpulse stehen sich als Apollinisches und Dionysischen gegenüber. Aus dem Gespräch (Aphoristisch, nicht in der Reihenfolge): Apollinisch: Das Leibliche wird zurückgedrängt, muss aber als Grundlage da sein. Dionysisch: Der Mensch selbst wird zum Kunstwerk Rudolf Steiner spricht im pädagogischen Zusammenhang von Apollinisch-Dionysisch, nicht aber im Medizinischen. In der „Allgemeinen Menschenkunde“ (GA 293) hat man im zweiten Vortrag das Vorstellungsleben als Spiegel des Vorgeburtlichen, den Willen als Keim des Nachtodlichen. Da findet man das Apollinische und Dionysische. Sie sind nicht mit Luzifer und Ahriman gleichzusetzen. Goethe und Schiller: Der dionyische Geist bei Goethe zeigt sich in der unglaublichen Fülle von Themen, die er bearbeitete, während Schiller geistig im Grunde apollinisch immer dem gleichen Thema treu blieb. Seelisch findet man bei Schiller ein Vorwärtsdrängen mit großer Verwandlungsfähigkeit. Er erlebte die Menschheit aus der Begeisterung für die Gemeinschaft: "Seid umschlungen Millionen". Er war auch sehr charmant, konnte Menschen verbinden. Da ist er seelischer Dionysiker.

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Als er aber Goethe geistig-apollinisch gegenübertrat und die Urpflanze als Idee ansah, zerbrach daran fast die Beziehung. Erst als er sein Geistiges zurücknahm, konnte die Beziehung gedeihen. Das Apollinische ist aber nicht abstrakt. Schiller beschrieb die Geschichte (z.B. des 30-jährigen Krieges) sehr konkret. Der Apolliniker hat den Zusammenhang und braucht deshalb kein Schema. Er findet aber das Symptomatische. Goethe lebte sehr zurückgezogen. Aber er konnte auf Hölderlin so wirken, dass dieser zum Dichter wurde. Hölderlin schrieb zunächst sehr lange Hymnen im Stile Schillers, in denen die Themen aneinandergereiht folgten. Auf Goethes Rat schrieb er dann kurze Gedichte über ein Thema. Später schrieb er wieder große Hymnen. Der Rat Goethes half ihm zur apollinischen Durchformung. Doch für die dionysische Geistigkeit Goethes wäre es nie möglich, sich wie Schiller auf die Idee des Form- und Stoff- und Spieltriebes festzulegen. Er schrieb stattdessen sein Märchen mit der Fülle der Gestalten. Die unterschiedliche Seelenart kann man sich auch verdeutlichen, wenn man sich vorstellt, man würde Schiller zum Minister machen, statt ihn die Studenten begeistern zu lassen. Zum Apollinischen und Dionysischen als historische Strömungen: Ausführliche Schilderung in "Der Christus-Impuls und die Entwicklung des Ich-Bewusstseins" (GA 116, 1.V) Das Apollinische bereitet durch Musikalität im Jahreslauf das logische Denken vor. "Weltenwunder, Seelenprüfungen, Geistesoffenbarungen" Der jüngere Dionysos bereitet in einem gewaltigen, vorhistorischen Zug bis nach Indien die intellektuelle Kultur vor. In der Wandlung, die im griechischen Drama geschieht, in der Erkenntnis, die errungen werden muss, lebt Dionysos. Der Zug Dionysos hatte so etwas wie eine Wiederholung im Zug Alexanders. Der Christus zog nach der Jordantaufe drei Jahre herum. Die Jüngerschar war nicht genau abgegrenzt. Das ist eine dionysische Bewegung. Poesie und Lyrik Poesie ist im romantischen Verständnis eine Lebenshaltung. Das Leben wird überhöht. Das Leibliche bildet mit dem Geistigen und Seelischen eine Einheit. Lyrik ist eigentlich das Mittlere, Orphische. Es beginnt mit dem Eindruck - apollinisch und wird dann auf die Person bezogen (subjektiv) dionysisch. Das findet man in vielen Gedichten. Inneres und äußeres klingen ineinander, inneres wird äußeres. Das ist die lyrische Grundhaltung. Da kann man spielen. In der Epik lebt die Notwendigkeit. Die unteren Götter ergreifen den Menschen im Drama, die oberen verstehen im Epos. Dazwischen ist die Zone der Freiheit.

Protokoll: Martin-Ingbert Heigl Vom Vortragenden durchgesehen