Drei Damen und ein toter Weihnachtsmann - adspecta.de · Ein Kellner Diese beiden Miniauftritte...

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---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Jan Schuld „Drei Damen und ein toter Weihnachtsmann“ adspecta Theaterverlag 119005-12-01 Drei Damen und ein toter Weihnachtsmann Kriminalkomödie von Jan Schuld Ausgezeichnet mit dem 4. Platz im Sauerländer Theaterstückepreis 2012 des adspecta Theaterverlages

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119005-12-01

Drei Damen und ein toter Weihnachtsmann

Kriminalkomödie von Jan Schuld

Ausgezeichnet mit dem 4. Platz im Sauerländer Theaterstückepreis 2012

des adspecta Theaterverlages

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Inhalt:

Als die pensionierte Lehrerin Antonie vor ihrer Haustür einen toten Weihnachtsmann findet,

begibt sie sich mit ihren beiden Freundinnen auf Mörderjagd, nicht zuletzt, um der

schnöseligen Kommissarin zu beweisen, dass sie noch längst keine verkalkten Schachteln

sind. Antonies Nachbarin ist überzeugt, dass dieser Weihnachtsmann ein perverser Lüstling

war, und die drei Damen haben allerlei Verdächtige im Visier, bis sie von einer vertratschten

Friseuse mehr über den Toten erfahren, über seine halbseidene Freundin und einen

mysteriösen Mann, der ihn bedroht hat. Ihre abenteuerlichen Schlussfolgerungen gipfeln

darin, dass Antonie ihren leicht schrulligen Nachbarn verdächtigt und überzeugt ist, sein

nächstes Opfer zu sein. Erst der Auftritt eines Striptease-Tänzers bei einer Geburtstagsfeier

bringt die drei Damen auf die entscheidende Spur, und gestärkt mit Kirschlikör gelingt es

ihnen, den Mörder zu fangen.

Spielzeit : ca. 100 min.

Personen: 12 (4 m / 8 w)

Antonie pensionierte Lehrerin

Waltraud ihre Freundinnen

Irmgard

Christa Steckel Antonies Nachbarin

Simon Steckel ihr Neffe, reicher Immobilienmakler

Dr. Bröker Chemiker, Nachbar von Antonie

Kommissarin Schmölz-Bagge

Ein Stripper

Ein Kellner Diese beiden Miniauftritte sollten von einem Schauspieler gespielt werden

Ein Notarzt

Dame in Pizzeria Alle Figuren haben jeweils nur einen kurzen Auftritt, deshalb sollen diese

Frau Wehmeier Rollen von einer Schauspielerin gespielt werden, die so mit vier kleinen

Kundin im Friseursalon Kabinettstückchen glänzen kann.

Elsbeth eine Friseuse

Gertrud Krantz Sekretärin von Simon Steckel

Frau in rotem Pelz Statistin

Eine Bulldogge aus Plüsch in der Rolle von Oskar

Anmerkung: Eigens für dieses Stück komponierte Musik kann auf Nachfrage mitgeliefert

werden!

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1. Szene

(Vor Antonie Schmitters Haus. Vorgarten/Straße. Nacht.)

Antonie: (tritt aus der Haustür und sieht eine Gestalt, die sich über einen am Boden

liegenden Weihnachtsmann beugt)

He, was machen Sie da! Ach Gott, Herr Steckel, Sie sind das! Haben Sie mich vielleicht

erschreckt! Was ist denn passiert? (bindet Oskar, ihre Bulldogge, am Treppengeländer fest und

geht näher) Tatsächlich, ein Weihnachtsmann. Ich hab gedacht, ich hätte mich verguckt.

Steckel:

Guten Abend, Frau Schmitter, ich wollte gerade die Polizei anrufen.

Antonie:

Ist er tot?

Steckel:

Scheint so. Aber allzu genau hab ich ihn mir nicht angesehen. Ich wollte eben zu meiner

Tante und sah ihn hier liegen.

Antonie:

Soll ich eine Taschenlampe holen? Und Sie rufen vielleicht besser erst mal den Notarzt an.

Steckel:

Gute Idee.

(Antonie eilt ins Haus - Herr Steckel klappt sein Handy auf, geht etwas zur Seite, telefoniert

kurz.)

Antonie: (kehrt mit einer Taschenlampe und einem großzügig gefüllten Cognacglas zurück, das

sie ihm reicht)

Ich dachte mir, den könnten Sie vielleicht brauchen.

Steckel:

Sehr liebenswürdig. (kippt den Cognac hinunter und schüttelt sich) Brrr, es ist wirklich lausig

kalt, da kommt so ein Innenwärmer gerade recht. Leuchten Sie doch mal. Oder soll ich

lieber...?

Antonie:

Nein, ich mach schon. (knipst die Taschenlampe an) Dass die Stadt aber auch ausgerechnet

in unserer Straße dermaßen mit Laternen geizt! Hier wohnen schließlich lauter alte Leute,

und wie leicht kann sich da einer ein Bein brechen, wenn nur alle Schaltjahre eine Funzel

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steht!

Antonie: (kauert sich neben den Weihnachtsmann und weicht etwas zurück)

Puh, das riecht ja wie in einer Kneipe.

Steckel: (nervös)

Wie meinen Sie?

Antonie:

Ich glaube, der hat ganz schön gesüffelt. Wahrscheinlich ist er sturzbetrunken ausgerutscht.

(wirft einen flüchtigen Blick auf das Gesicht unter der roten Kapuze und tastet nach der

Halsschlagader) Kein Puls. Trotzdem hoffe ich, dass er nur verletzt ist und ich bloß vor lauter

Aufregung nichts spüre. Es wäre schade um den jungen Kerl.

(Oskar beginnt zu bellen)

Antonie:

Ach Gott, dich hab ich ja ganz vergessen. (steht auf und bindet Oskar los) Ich müsste

eigentlich mal rasch mit ihm ums Eck. Deshalb sind wir ja überhaupt so spät noch mal raus.

Meine Güte, da geht man einmal um Mitternacht vor die Tür und findet praktisch im eigenen

Garten einen toten Weihnachtsmann!

Steckel:

Da kommt schon die Ambulanz.

(Man hört Krankenwagen und Notarzt parken, sieht das Blaulicht über den hellen Schnee

zucken. Arzt kommt, nickt allen kurz zu, kauert sich neben Weihnachtsmann. Auf der anderen

Straßenseite kommt eine Frau in einem roten Pelz langsam näher.)

Notarzt: (untersucht den Weihnachtsmann kurz und schüttelt den Kopf)

Der ist hin. Nichts mehr zu machen, ein Fall für die Kripo.

Antonie: (flüstert)

Jetzt ruft man wohl die Polizei, was?

(Herr Steckel nickt wortlos)

Antonie:

Ich wundere mich ja, dass nicht überall in den Häusern das Licht angeht. Nur Dr. Bröker,

späht aus der Tür, und da drüben am Haus der Wehmeiers steht eine Frau.

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(Frau in roter Pelzjacke schaut neugierig zu ihnen herüber.)

Dr. Bröker: (stapft näher heran. Er hat sich nur einen Mantel übergeworfen und ist in seine

Stiefel geschlüpft, darüber leuchten seine nackten Schienbeine)

Was ist denn hier los?

Notarzt:

Tja, auch wenn es zuerst so aussah, ist der Tote nicht in betrunkenem Zustand im Schnee

gestürzt, sondern wahrscheinlich mit dieser Champagnerflasche nieder geschlagen worden.

(hält eine zersplitterte Flasche hoch, die er gefunden hat)

Dr. Bröker:

Was für eine Vergeudung! Na, dann wird ja jetzt wohl die Spurensicherung mit allem Tamtam

anrücken. (lacht und deutet auf ein Fenster im Nachbarhaus, wo der Vorhang

beiseitegeschoben worden ist und Christa Steckel hinausspäht) Unsere Nachbarin hat wohl

Angst, dass der Mörder hier noch irgendwo lauert und uns alle abmurkst.

Antonie:

Gott, dass Sie in so einer Situation lachen können. Und was Frau Steckel angeht, haben Sie

sich getäuscht.

Christa Steckel: (öffnet die Haustür und kommt zu ihnen. Zu ihrem Neffen)

Simon, was machst du denn hier?

Dr. Bröker:

Wir warten auf den Weihnachtsmann. (tritt etwas zur Seite) Gesellen Sie sich nur zu uns in die

Runde. Da liegt er. Scheint aber heute keine Geschenke mehr verteilen zu wollen.

(Christa Steckel starrt auf die regungslose Gestalt im Weihnachtsmannkostüm - und sackt

wortlos zusammen.)

Antonie: (schreit auf und kauert sich zu ihr)

Christa! (fährt Bröker an) Warum haben Sie sie denn nicht aufgefangen?

Dr. Bröker: (bärbeißig)

Woher sollte ich wissen, dass sie gleich umkippt, bloß weil da ein Toter rumliegt? Aber das

ist ja mal wieder typisch! Neugierig bis dorthinaus, und dann vor Schreck in Ohnmacht fallen.

(lacht)

(Notarzt kümmert sich um Christa)

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Antonie:

Ich finde es wirklich ziemlich unpassend, darüber zu lachen!

Dr. Bröker:

Ach, ich find’s eher unpassend, vor jedem Toten in Ehrfurcht zu erstarren. Außerdem hat er

selbst gelacht.

Antonie:

Wer?

Dr. Bröker:

Na, er da, der Weihnachtsmann. Scheint recht fidel gestorben zu sein. Und die Geschichte hier

ist auf jeden Fall weit unterhaltsamer als der Krimi vorhin im Fernsehen. Was die einem für

einen Schrott anbieten, ist kaum mehr zu glauben.

(Antonie wirft ihm einen missbilligenden Blick zu, sie fröstelt.)

Antonie:

Also, ich gehe jetzt ins Haus. Dort stehe ich gern für weitere Auskünfte zur Verfügung, aber

wer weiß, wie lange das noch dauert, bis die Polizei kommt. Herr Steckel, möchten Sie mit

hereinkommen? Wir können Christa bei mir aufs Sofa legen, bis sie sich wieder berappelt

hat.

Herr Steckel:

Nein, vielen Dank, ich bin froh, wenn ich endlich heimfahren kann.

(Christa Steckel ist wieder auf den Beinen, und Antonie hilft Simon Steckel, sie die paar

Schritte hinüber zu ihrem Haus zu bringen)

Steckel:

Danke, Frau Schmitter, jetzt geht’s schon.

Antonie:

Meinen Sie? Wenn was ist, klingeln Sie nur bei mir, ich kann bestimmt sowieso nicht

schlafen.

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2. Szene

(In Antonie Schmitters Haus. Küche. Nacht.)

Antonie:

So, und du hältst jetzt Ruhe, Oskar! Ab in deinen Korb. (kocht sich einen Tee, späht dabei

immer wieder nach draußen, man hat Autos gehört, Türenschlagen, Blitze von

Fotoapparaten gesehen. Sie kippt großzügig Cognac in ihre Tasse, greift zum Telefon)

Irmgard, hab ich dich geweckt? (kurze Pause) Du bist doch sonst so eine Nachteule, im

Gegensatz zu Waltraut, die konnte ich jetzt natürlich nicht mehr anrufen. Hör zu, ich muss dir

was erzählen! (Pause)Na gut, von mir aus schlaf weiter, wenn es dich nicht interessiert, dass

vor meinem Haus ein toter Weihnachtsmann liegt. (Pause) Nein, das ist kein Scherz, ich

sitze hier und trinke Tee mit Cognac, weil mich bestimmt die Polizei nachher noch verhört.

(Pause) Ich habe ganz gewiss nicht zu viel Cognac intus. Du machst dir keine Vorstellung, was

hier los ist! Polizei und Kripo und Spurensicherung sind draußen, die machen Fotos und

wühlen im Schnee rum, und - oh Gott! Meinst du, die verdächtigen mich vielleicht, Irmgard?

Immerhin lag er ja fast in meinem Garten. Hör mal, wir müssen uns unbedingt treffen. Rufst

du morgen früh Waltraut an, dass sie dich abholt? Um halb neun zum Frühstück bei mir.

Waltraut soll selbstgebackene Brötchen mitbringen. Was?

(Hier sollte ganz leise Szenenmusik einsetzen, während die Musik allmählich lauter wird, wird

das Licht heruntergefahren und Antonies Monolog verliert sich in der Musik.)

(kleine Pause)

Antonie:

Na ja gut, dann erzähle ich mal der Reihe nach. Alles fing eigentlich damit an, dass sich

Oskar ziemlich unanständig benommen hat und heimlich über meine Kartoffelchips hergefallen

ist. Und danach hatte er natürlich Durst und hat einen Eimer Wasser leergesoffen. Ich hatte

mir einen gemütlichen Abend gemacht, im Fernsehen lief nichts, wie meistens, der Krimi war

nur eine Wiederholung, und deshalb..... (fade out!)

(Musik ändert den Charakter, Licht langsam hochfahren Beleuchtung = Tag)

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3. Szene

(Tag, gleiche Szene wie vorher, es klingelt an der Haustür - Antonie betritt mit Waltraut und

Irmgard die Küche)

Antonie:

Schön, dass ihr da seid, ich bin bloß noch nicht ganz fertig, hab verschlafen.

Irmgard:

Du hast wirklich Nerven. Ich hab kein Auge mehr zugetan. Oskar, mein Schätzchen, wie

geht’s dir? Hast du dich sehr erschreckt gestern Nacht? (tätschelt ihn liebevoll)

Waltraut:

Der? Bestimmt nicht, der fand das höchstens interessant.

(Irmgard deckt den Tisch, während Waltraut aus dem Fenster schaut.)

Waltraut:

Wo lag er denn? Und warum erfahr ich als letzte davon?

Antonie:

Na, dich konnte ich gestern nicht mehr anrufen. Ich weiß ja, dass du ins Bett gehst, sobald

deine Hühner im Schlag sind.

Waltraut:

So ist das eben auf dem Land. Nun sag schon, wo lag er?

Antonie: (tritt neben sie ans Fenster)

Dort vorn, mit den Füßen noch auf dem Bürgersteig, mit dem Kopf in meinem Gärtchen. Ist

nichts mehr zu sehen?

Waltraut:

Gar nichts. Es hat wohl die ganze Nacht geschneit, jedenfalls musste ich heut früh erst mal

mein Auto freischaufeln.

Irmgard: (schenkt Kaffee ein)

Ein Glück. Ich meine, nicht dass du dein Auto freischaufeln musstest, sondern dass der Schnee

so gnädig alles verdeckt hat. Ich weiß nicht, ob ich sonst dran vorbeigekommen wäre, wenn

dort alles voll Blut gewesen wäre.

Antonie: (setzt sich an den Tisch)

Ach, schön hast du das gemacht, Irmgard, danke, und dir auch, Waltraut, für die frischen

Brötchen.

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Waltraut:

Keine Ursache, ich hatte ja Zeit genug. Irmgard hat mich schon um halb sechs angerufen.

Irmgard:

Ja, ich konnte nicht mehr schlafen. Ich musste dauernd dran denken, dass da vielleicht

jemand um Antonies Haus rumschleicht und...

Waltraut:

Quatsch. (schneidet ein Brötchen auf) Gib mal die Butter rüber. Warum sollte es jemand auf

Antonie abgesehen haben?

Irmgard:

Warum sollte jemand einen Weihnachtsmann umbringen? Man bringt doch keinen

Weihnachtsmann um!

Waltraut:

Ach nein? Ich hätte als Kind so manches Mal den Weihnachtsmann abmurksen können, wenn

er mir wieder wollene Unterhosen gebracht hatte. Furchtbar, diese kratzigen Dinger!

Antonie: (lacht)

So war das eben damals in der sogenannten schlechten Zeit. Aber der arme Mensch von

gestern war sicher noch nicht als Weihnachtsmann unterwegs. Wir haben ja gerade erst den

10. Dezember. Die Frage ist also, weshalb läuft jemand jetzt schon im

Weihnachtsmannkostüm durch die Gegend?

Irmgard:

Darüber wundere ich mich nun gar nicht. Kaum ist der Sommer vorbei, dudeln in allen

Kaufhäusern schon Weihnachtslieder, und im September ist der Spekulatius bereits

ausverkauft.

Antonie:

Das ist wahr. Aber selbst wenn das so ein Student war, den irgendeine Familie engagiert

hatte, um als verspäteter Nikolaus aufzutreten - wo wollte er hin?

Waltraut:

Eben. Hier im Platanenweg wohnen doch nur lauter alte Leute.

Antonie:

Mich rechnest du hoffentlich nicht dazu!

Waltraut:

Liebste, du bist wahrhaftig auch kein grüner Hüpfer mehr.

Antonie:

Aber noch lange nicht alt!

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Waltraut:

War er denn ein Student, dieser Weihnachtsmann?

Antonie: (überlegt)

Nein, eher nicht. Ehrlich gesagt, so genau mochte ich ihn mir doch nicht anschauen. Ich hab

ihn bloß kurz angeleuchtet und nach seinem Puls gefühlt, da war mir schon alles klar.

Furchtbar, er hat mir so leidgetan, der junge Kerl.

Waltraut:

Aha. Also war er noch jung?

Antonie:

Ja, aber doch nicht mehr jung genug, um noch Student zu sein. Auf alle Fälle war er ein

dunkler Typ, Italiener oder Spanier, denke ich.

Waltraut:

Ah – Mafia?

Irmgard:

In Spanien gibt es keine Mafia.

(Es klingelt an der Haustür. Antonie steht auf.)

Antonie:

Das könnte jemand von der Polizei sein. (führt eine junge Frau in die Küche - strenges

graues Kostüm, Typ Karrierefrau) Setzen Sie sich doch, bitte, Frau Schmelzbacke. Tee oder

Kaffee?

Kommissarin:

Schmölz-Bagge, Bagge mit zwei g! Nichts, danke.

Irmgard:

Das solltest du aber wissen, Antonie. Im Dienst dürfen die doch nicht.

Waltraut:

Wieso nicht? Ein Kaffee ist ja schließlich keine Bestechung. Oder gilt das schon als

Bestechung, Frau Kommissar? Sie sind doch Kommissar?

Kommissarin:

KommissaRIN! (ordentlich betonte letzte Silbe)

Waltraut:

Gibt’s eigentlich nur noch Kommissarinnen? Das scheint ein typischer Frauenberuf geworden

zu sein. In jedem Fernsehkrimi ermitteln bloß noch Kommissarinnen.

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Kommissarin:

Frauen können eben logischer denken und haben in der Regel sowieso mehr Verstand.

Antonie:

Ja, das ist also Kommissarin Schmelz... Schmalz-Backe, und das sind meine Freundinnen,

Waltraut Riek und Irmgard von Kappelsdorf. Es macht Ihnen doch nichts aus, wenn sie bei

unserem Gespräch dabei sind, nicht wahr?

Kommissarin: (beachtet Irmgard und Waltraut gar nicht weiter)

Sie haben also gestern den Toten gefunden, Frau Schmitter?

Antonie:

Ja, und es war wahrhaftig ein ordentlicher Schreck, das können Sie mir glauben.

Waltraut:

Moment! Das stimmt doch gar nicht.

Antonie:

Nein, natürlich, du hast Recht. Gefunden hat ihn eigentlich Herr Steckel. Den Namen kennen

Sie sicher, Steckel-Immobilien ist ja jedem ein Begriff. Ich kam allerdings fast im selben

Moment dazu.

Kommissarin:

Aha. Er wohnt aber nicht hier im Platanenweg?

Antonie:

Nein, nur seine Tante, gleich nebenan. Er hat ein Penthaus in der Stadt. Seine Tante ist

verwitwet, und er besucht sie regelmäßig.

Kommissarin:

Gab es einen besonderen Grund, warum Sie gestern so spät noch mal vor die Tür gingen?

Oder stolzieren Sie öfter nachts draußen in der Gegend herum?

(Waltraut grinst verstohlen, als sie Antonies finsteren Blick sieht.)

Antonie: (sehr sachlich zur Kommissarin)

Mein Hund musste noch einmal raus, ich öffnete die Tür und sah den toten Weihnachtsmann.

Herr Steckel wollte gerade den Notarzt anrufen. Das hat er dann auch getan.

Kommissarin:

Und Sie haben also nichts gehört? Vorher, meine ich. Stimmen, einen Streit?

Antonie: (würdevoll)

Nein. Ich bin keine, die ständig darauf lauert, was bei den Nachbarn oder draußen auf der

Straße vor sich geht. Dr. Bröker allerdings sagt, es habe jemand gelacht.

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Kommissarin:

Gelacht?

Antonie:

Ja, er meint, der Weihnachtsmann habe gelacht.

Waltraut:

Weiß man denn eigentlich schon, wer der Tote ist?

Kommissarin: (blättert in ihrem Notizbuch)

Ein gewisser Karl Wanitschek.

Waltraut: (grinsend)

Ah ja, ein typisch italienischer Name.

Kommissarin:

Finden Sie? Er war aber kein Italiener.

Waltraut:

Spanier auch nicht, vermute ich mal?

Kommissarin:

Stimmt. Weshalb fragen Sie?

Irmgard:

Waltraut, halt endlich den Mund, du machst dich ja noch verdächtig. (lächelt der Kommissarin

verlegen zu) Sie redet immer so unzusammenhängendes Zeug daher, das müssen Sie gar nicht

beachten.

Waltraut:

Stell mich hier nicht als verkalkte Schachtel hin! - Schließlich hat Antonie behauptet, der

Weihnachtsmann sei Italiener gewesen.

Kommissarin:

Ach ja? Wie kamen Sie denn zu der Annahme?

Antonie:

Ich fand, er sah irgendwie südländisch aus. Ist er wirklich mit dieser Champagnerflasche

erschlagen worden?

Kommissarin:

Davon ist auszugehen.

Irmgard:

Wie furchtbar! Ausgerechnet mit einer Champagnerflasche. War es eine teure Marke?

Kommissarin: (blick ins Notizbuch)

Joie de Noel. Mögen Sie Pizza, Frau Schmitter?

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Antonie: (schaut sie verblüfft an)

Ja, sehr gern sogar.

Kommissarin:

Und lassen Sie sich auch manchmal eine Pizza ins Haus bringen?

Antonie: (wechselt ratlose Blicke mit ihren Freundinnen ob dieser seltsamen Fragen)

Sicher.

Kommissarin:

Nun, dann sind Sie dem Toten möglicherweise schon einmal begegnet. Er arbeitete nämlich

für die Pizzeria Ragazzi als Ausfahrer. (reicht ihr ein Foto) Haben Sie diesen Mann schon mal

gesehen? Lebend, meine ich.

Antonie: (betrachtet das Bild und schüttelt den Kopf)

Nein, ich glaube nicht.

Kommissarin:

Bestellt sich einer Ihrer Nachbarn öfter einmal Pizza?

Antonie:

Frau Schmölzhacke, das weiß ich nun wirklich nicht.

Kommissarin:

Schmölz-Bagge! Mit zwei G!

Antonie:

Wie auch immer, ich schnüffle meinen Nachbarn nicht hinterher.

Kommissarin: (steckt das Foto wieder ein)

Nun gut. Herr Wanitschek nannte sich übrigens Carlo – haben Sie diesen Namen vielleicht

schon mal gehört?

Antonie:

Nein, gewiss nicht. Wenn dieser Carlo allerdings gestern Pizza ausgeliefert hat – Pizza und

Champagner womöglich -, dann müsste man doch in der Pizzeria notiert haben, von wem die

Bestellung kam. (triumphierender Blick)

Kommissarin:

Er hat keine Pizza ausgefahren.

Antonie:

Aber was hat er denn dann hier gewollt? Noch dazu als Weihnachtsmann verkleidet?

Kommissarin:

Genau das werden wir rauskriegen. Und jetzt will ich Sie nicht länger bei Ihrem

Kaffeekränzchen stören. Ihre Nachbarn sind zu Hause?

Antonie:

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Die meisten sicher. Hier leben lauter ältere Leute, es ist eine stille, angenehme Gegend, und

ich glaube kaum, dass Sie unter uns den Mörder finden werden.

(Kommissarin marschiert, ohne die beiden anderen zu beachten, zur Tür - Antonie folgt ihr)

(Waltraut lacht und schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch)

(Antonie kommt zurück)

Waltraut: (lachend)

Köstlich, Antonie, köstlich! Allein das war es schon wert, mein Auto freizuschaufeln! Ich

bewundere deinen Scharfblick. Spanier! Italiener! Und diese Kommissarin mit ihrem

dämlichen Namen – ich hab ja nur drauf gewartet, dass du Schmalzkacke sagst!

Antonie:

Nun hör auf zu lachen, lasst uns lieber beratschlagen, was wir jetzt machen.

Irmgard:

Erst mal abwaschen. Ich übernehme das gern.

Antonie:

Abwaschen! Wenn man vor der eigenen Haustür einen toten Weihnachtsmann liegen hatte!

Nein, Irmgard, da gibt es jetzt wahrlich Wichtigeres.

Irmgard:

Antonie, du willst doch nicht... du willst doch nicht selbst herausfinden, wer der Mörder war?

Waltraut:

Natürlich will sie das, und das ist eine ausgezeichnete Idee. Schließlich sieht man dauernd

im Fernsehen, wie dumm die Polizei sich anstellt. Und diese Kommissarin – na, danke.

Schnöselige Karrieretussi, Einserkandidatin bei allen Prüfungen, die bestimmt sämtliche

Paragraphen auswendig herbeten kann und Karriere im Überholtempo machen will, aber vom

Leben nicht die geringste Ahnung hat. Im Gegensatz zu uns.

Antonie:

Eben!

Irmgard: (seufzt)

Ich weiß ja, es hat keinen Sinn, dir was ausreden zu wollen. Übrigens müssten du und Herr

Steckel für die Polizei eigentlich die Hauptverdächtigen sein.

Antonie:

Ach was, einer alten Frau traut kein Mensch einen Mord zu.

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Waltraut: (lacht höhnisch)

Hah, die ganze Kriminalgeschichte ist voll von alten Frauen, die munter Leute abgemurkst

haben.

Antonie:

Ich wäre jedenfalls nicht so bescheuert, jemanden mit Champagner zu erschlagen, den

würde ich nämlich selbst trinken. Und schon gar nicht wäre ich so blöd, ihm direkt vor meiner

Haustür eins überzuziehen.

Waltraut:

Im Affekt weiß man gar nicht mehr, was man tut und denkt erst recht nicht an die Folgen.

Wäre ich Polizist, würde ich dich noch eher verdächtigen als Herrn Steckel. Denn der würde

sich bestimmt nicht selbst die Hände schmutzig machen, der würde einen Killer engagieren,

Geld genug hat er ja.

Irmgard:

Gott, was du für Gedanken hast. Killer! Wir sind doch nicht in Amerika.

Waltraut:

Killer gibt’s auch hier, kannst du an jeder Straßenecke für hundert Euro anheuern.

Irmgard:

Ehrlich wahr?

Waltraut:

Na, wenn ich’s dir doch sage.

Antonie:

Wisst ihr was, ich hätte mal wieder Lust auf Pizza. Wie wär’s? Ich lade euch ein.

Waltraut: (grinst)

Mit Vergnügen, aber du kannst ruhig zugeben, dass du in eine ganz bestimmte Pizzeria

willst.

Antonie:

Geb ich gern zu. Sicher kommen wir leicht mit einem der Kellner ins Gespräch, und

womöglich können wir da irgendwas aufschnappen oder rauskriegen.

Irmgard:

Ist das nicht gefährlich? Wer weiß, was das für ein Laden ist...

Waltraut: (spöttisch)

Mafia natürlich, und wahrscheinlich treiben sie auch noch Mädchenhandel. Pass also nur auf,

dass du dich nicht übermorgen in einem orientalischen Puff wiederfindest.

Irmgard:

Es ist gar nicht nett, dich immer über mich lustig zu machen.

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Antonie:

Aber was anderes wäre nett - wenn wir uns endlich mal drum kümmern würden, dass du eine

anständige Wohnung kriegst. Es ist direkt ein Jammer, dass Samstag ist, sonst könnten wir

das heute wunderbar in Angriff nehmen.

Waltraut: (lacht laut auf)

Meine liebe Antonie, du bist so leicht zu durchschauen! Du denkst an einen Maklerbesuch,

nicht wahr? Und zwar bei einem ganz bestimmten Makler, den du nebenbei ein bisschen

ausquetschen willst, ob er gestern was gesehen oder gehört hat, hab ich Recht?

Antonie:

Natürlich. Außerdem ist Herr Steckel nun mal der größte Immobilienmakler hier in der Stadt,

und ich finde, wenn ich ihn schon persönlich kenne, sollten wir das nutzen, damit Irmgard

eine gute Wohnung kriegt.

Irmgard:

Ich weiß nicht... Was so ein Makler im Angebot hat, ist bestimmt nichts für mich. Vergesst

nicht, dass ich eine arme Kirchenmaus bin.

Waltraut:

Dafür hast du einen Adelstitel, das gleicht das wieder aus. Für jeden Vermieter ist das doch

geradezu eine Wertsteigerung, wenn eine echte Freifrau bei ihm wohnt. Jedenfalls ist das

eine gute Idee von Antonie. Aus diesem scheußlichen Mietskasten musst du wirklich raus.

Irmgard:

Wenn ich mir aber doch nichts anderes leisten kann...

Antonie:

Ich hab dir schon oft genug angeboten, zu mir zu ziehen, aber das wolltest du ja nicht.

Waltraut:

Was ich verstehe. Jeder Mensch braucht schließlich einen Platz, wo er für sich allein ist. Und

überhaupt – wenn Irmgard bei dir wohnen würde, hätten wir bald einen zweiten Mord. Und

den bräuchten wir nicht mal aufzuklären.

Antonie: (seufzt)

Ich weiß. Nichts für ungut, Irmgard, ich mag ja Musik, aber wenn du fünf Stunden hinter-

einander auf deinem Cembalo klampfst, könnte tatsächlich ein Unglück passieren.

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4. Szene

(In einer Pizzeria)

(Holztische mit karierten Decken, Teelichter in bunten Haltern, weihnachtlich mit einem

Tannenzweig dekoriert, an den Wänden Bilder mit italienischen Motiven, in einer Ecke eine

mannshohe, leicht angestaubte Palme. Nur ein Tisch ist besetzt. Eine Dame im gesetzteren

Alter, etwas übertrieben geschminkt, trinkt einen Rotwein.)

Waltraut: (hinter der Szene - schimpft)

Nirgends in der Stadt ist ein Parkplatz zu kriegen!

(Auftritt Waltraut, Irmgard, Antonie)

Irmgard:

Na, wir haben ja schließlich doch noch einen gefunden. Ich verstehe nur nicht, warum du

nicht einen dieser Frauenparkplätze genommen hast.

Waltraut: (grimmig)

Weil das Diskriminierung ist. Ich bin ein Autofahrer wie alle anderen und will einen Platz wie

alle anderen, keinen Gnadenplatz wie ein altes Pferd! Nehmen wir den Tisch hier am Fenster?

- Da krieg ich mit, ob es wieder anfängt zu schneien.

Antonie: (leise)

Du sollst nicht aus dem Fenster glotzen, sondern dich hier umschauen.

Waltraut:

Hab ich schon. Alles absolut harmlos.

Irmgard: (erleichtert)

Ja, nicht wahr? Ich hatte mir das ganz anders vorgestellt.

(Antonie zündet sich eine Zigarette an. Der aufmerksame Kellner, der drei Speisekarten bringt,

hat auch einen Aschenbecher dabei. Antonie lächelt ihm anerkennend zu.)

Antonie:

Ach, diese italienischen Männer! Immer echte Kavaliere.

Kellner:

Buon giorno, die Damen. Kann ich Ihnen schon etwas zu trinken bringen?

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Antonie:

Einen Rotwein.

Waltraut:

Ich muss leider an meinen Führerschein denken - ein Wasser, bitte.

Irmgard:

Oh, einen Ramazotti. Der ist gesund, weil er praktisch nur aus lauter guten Heilkräutern

besteht.

(Kellner notiert die Bestellungen, bedankt sich und geht zur Dame am Nachbartisch; die drei

Damen beschäftigen sich mit ihren Speisekarten, Antonie lauscht aber trotzdem auf das

folgende Gespräch)

Kellner:

Haben Sie schon gewählt, Signora?

Dame: (leicht ungeduldig)

Aber längst. Warum dauert das denn heute so lange? Pizza Carlo, wie immer.

Kellner:

Tut mir leid, führen wir nicht mehr.

Dame:

Wie? Was heißt das?

Kellner:

Wir haben unser Angebot umgestellt.

Dame:

Aber ich bin doch Stammkundin bei Ihnen und nehme immer Pizza Carlo, das wissen Sie doch.

(bedeutet ihm, sich näher zu ihr zu beugen, sie tuscheln, Kellner schüttelt den Kopf, Dame

wird sichtlich ärgerlicher) So? Nun gut, dann möchte ich Ihren Chef sprechen!

Kellner:

Der ist leider nicht da.

Dame:

Aha! Ich habe verstanden. (steht auf, schlüpft in ihren Mantel, wehrt den hilfsbereiten Kellner

ab und stöckelt entrüstet zur Tür)

Mein Rotwein geht sicher aufs Haus, denke ich.

Kellner:

Selbstverständlich, Signora. (verschwindet in der Küche)

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Irmgard: (kichert)

Leute gibt’s, ich staune ja immer wieder. Solche ungehobelten Manieren, und das in ihrem

Alter.

Antonie:

Habt ihr gesehen, mit was für einem Schlafzimmerblick sie ihn angeschaut hat? Aber habt ihr vor

allem gehört, was sie bestellt hat? Eine Pizza Carlo!

Waltraut:

Ach... du meinst, hier gibt es eine Pizza, die wie der tote Weihnachtsmann heißt?

Antonie:

Eben nicht. Oder nicht mehr.

Irmgard:

Nun, ist ja eigentlich klar. Der Kellner hat doch eben zu dieser Dame gesagt, sie hätten ihre

Speisekarte geändert.

Antonie:

Ja, nur gibt es überhaupt keine einzige Pizza mit Männernamen. Oder siehst du irgendwo eine

Pizza Paolo, Giovanni, Alfredo?

Waltraut:

Na ja, wenn sie eine ganz neue Karte mit einem neuen Angebot haben, hießen die Pizzen

auf der alten Karte womöglich Carlo, Paolo, Giovanni und so weiter. Nun haben sie das eben

geändert. Was ich verstehen kann. Wer kriegt schon bei lauter Männernamen Appetit?

Antonie:

Unsinn (lächelt dem Kellner entgegen, der zu ihnen an den Tisch kommt) Sagen Sie, ich

wollte eigentlich eine Pizza Carlo bestellen... die hat man mir empfohlen.

Kellner:

Tut mir leid, haben wir nicht mehr. Aber auf unserer Karte finden Sie sicher etwas nach Ihrem

Geschmack.

Antonie:

Ja, gewiss. Liefern Sie übrigens auch aus?

Kellner:

Selbstverständlich, Signora. Ein Anruf genügt – und unser Koch ist flott, Sie müssen nie

lange warten.

Antonie:

Obwohl es im Moment vielleicht es doch kleine Wartezeiten gibt, könnte ich mir denken. Wie

ich gehört habe, ist einer Ihrer Fahrer ums Leben gekommen.

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Kellner: (schaut sie verwundert an)

Nicht dass ich wüsste, Signora. Unsere Fahrer sind alle bei bester Gesundheit.

Waltraut: (hastig)

Also, ich nehme eine Pizza Diavolo. Und du, Irmgard?

Irmgard:

Eine ... Fromaggio

Antonie:

Ich eine Pizza Rustica

(Kellner notiert, verbeugt sich und geht)

Waltraut:

Antonie, bist du des Teufels! Wie kannst du nur so dumm sein und verraten, dass du Bescheid

weißt. Mal angenommen, das ist hier wirklich eine Höllenspelunke und man hat was mit dem

Tod des Weihnachtsmanns zu tun – jetzt werden wir garantiert nichts mehr rauskriegen, weil

du sie gewarnt hast.

Antonie:

Ja, ich gebe zu, das war idiotisch von mir. Überhaupt ärgere ich mich, dass ich vorhin dieser

Rotweindame nicht hinterhergelaufen bin und sie ausgefragt habe. Denn eins sage ich euch –

die Sache mit der Pizza Carlo hat garantiert was mit unserem Weihnachtsmann zu tun.

Waltraut:

Könnte gut sein. Ach, du liebe Güte, es fängt tatsächlich wieder an zu schneien.

Irmgard:

Ich find’s schön. Schnee gehört einfach zum Winter dazu. Leider bleibt er ja nie liegen. Ach,

wenn ich daran denke, wie das bei uns daheim in Ostpreußen war... da lag der Schnee

meterhoch, und was für ein Spaß war es, wenn uns der Kutscher mit dem Schlitten in die

Schule fuhr.

Antonie:

Sei still von Schule, davon hab ich mein Leben lang genug gehabt. Wie wär’s übrigens

nachher noch mit einem kleinen Schaufensterbummel? Ich brauche ein paar schicke

Winterschuhe.

Waltraut: (höhnisch)

Schicke Winterschuhe! Winterschuhe müssen nicht schick sein, sondern praktisch und

rutschfest. Sag mir Bescheid, wenn du welche kaufst, dann geh ich mit und berate dich. Und

meinetwegen können wir dann auch einen ausgiebigen Schaufensterbummel machen, aber

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heute nicht. Ich hab keine Lust, nachher irgendwo auf der Landstraße im Schnee

steckenzubleiben.

5. Szene

(Auf der Straße vor Antonies Haus)

(Typische Geräusche einer näherkommenden Ente, bremsen, Motor abstellen - zweifaches

Türenschlagen)

(Waltraut und Antonie zu Fuß vorn an der Rampe, im Hintergrund fegt Dr. Bröker Schnee)

Waltraut: (schimpft)

Nie gibt es hier einen Parkplatz!

Antonie:

Du hättest ruhig heimfahren können, statt an der Ecke zu halten.

Waltraut:

Ich bringe dich lieber zur Haustür – falls da womöglich wieder ein toter Weihnachtsmann

rumliegt. Irmgard haben wir ja schon mal gut daheim abgesetzt.

Antonie:

Und wir müssen uns wirklich drum kümmern, dass sie aus diesem hässlichen Betonklotz

rauskommt. Als ich neulich bei ihr war, lagen aufgeplatzte Müllsäcke unten im Windfang, und

das ganze Treppenhaus stank nach Urin – dort scheint wirklich das reinste Gesindel zu

hausen.

Waltraut:

Bei mir auf dem Land hätte sie es besser, aber sie will nicht.

Antonie:

Sie ist stolz. Und das kann man ja auch verstehen. Wer möchte schon Almosen annehmen?

Sie versucht halt, mit dem bisschen Geld, das sie geerbt hat, auszukommen und nicht zu

jammern.

Waltraut:

Was treibt denn dein Nachbar da mit dem Besen?

Antonie:

Fegt Schnee. Im Herbst kämpft er gegen das Laub, im Sommer gegen Staub, im Frühling

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gegen Blüten, und er hat eine ganze Kollektion von Steinreinigern und Unkrautmitteln, über

deren Wirkungsweise er sich stundenlang auslassen kann. Wahrscheinlich eine Art

Berufskrankheit.

Waltraut:

Stimmt, er war ja mal Chemiker in einem großen Pharmakonzern.

Antonie:

Da hat er sich vermutlich allerdings weniger mit Straßendreck beschäftigt. Dieser Leidenschaft

frönt er erst seit seiner Pensionierung. Kommst du noch mit rein?

Waltraut:

Nein, ich will zusehen, dass ich heimkomme, ehe es richtig schneit. Außerdem hab ich einen

Brotteig angesetzt, der muss jetzt durchgeknetet werden. Ich bringe dir das nächste Mal ein

frisches Brot mit.

Antonie:

Wunderbar, Waltraut, darauf freue ich mich. Ich ruf dich an, sobald ich was Neues weiß.

Waltraut:

Ist gut. (winkt, wendet sich um und stiefelt davon)

Antonie: (geht auf Dr. Bröker zu)

Guten Tag, Herr Bröker. Wer hätte gedacht, dass es so früh schon schneit? Meist geht das

doch erst im Januar los.

Dr. Bröker: (stützt sich auf seinen Stoßbesen und schaut hinauf zum Himmel)

Bislang sind’s bloß ein paar Flocken. Aber wie es aussieht, kommt da heute noch einiges

runter, und ich kehre lieber jetzt schon weg, was da ist. Das hab ich dann später gespart.

Wenn man so ein alter Tattergreis ist wie ich, schaufelt man nicht mehr so gern Schnee.

Antonie: (lacht)

Tattergreis ist gut! Sie sind doch noch topfit.

Dr. Bröker:

Geistig ja, da haben Sie Recht. Aber ich bin achtzig, meine Liebe, und das merke ich. Leider.

Antonie:

Ach was, wenn man nicht alt sein will, ist man es auch nicht.

Dr. Bröker:

So, meinen Sie?

Antonie:

Ich hab jedenfalls nicht die Absicht, mir von einer lächerlichen Zahl diktieren zu lassen, wie

ich mich fühlen soll. Nein, Herr Bröker, an Vorschriften und Regeln musste ich mich als

Lehrerin mein ganzes Leben lang halten. Deshalb habe ich mir nach meiner Pensionierung

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gesagt, die paar Jahre, die ich noch habe, will ich leben, wie es mir passt. Und solche Sätze

wie ‚Das ist doch nichts mehr für dich in deinem Alter’, die bringen mich wirklich auf die

Palme.

Dr. Bröker: (grinst)

Kann ich mir denken. Und im Grunde haben Sie völlig Recht. Dass das Leben schneller

vorbei sein kann als man denkt, haben wir ja gestern gesehen.

Antonie:

Sie meinen den Weihnachtsmann?

Dr. Bröker:

Ja. Merkwürdige Geschichte, was? Soll ein Pizzafahrer gewesen sein, der allerdings keine

Pizza dabei hatte, dafür in einem Weihnachtsmannkostüm steckte und mit einer

Champagnerflasche umgebracht wurde. Schöne Verschwendung. War die Polizei heute

Morgen auch bei Ihnen?

Antonie: (nickt)

Ja, eine Kommissarin Schmölzzacken oder so ähnlich. Eine etwas ... unhöfliche Person.

Dr. Bröker:

Karrieregeil ist die, so nennt man das heute. Hat sich aufgespielt wie das Jüngste Gericht –

und mir selten dämliche Fragen gestellt. Ob ich gern Pizza esse, ob ich mir auch mal welche

ins Haus liefern lasse – pah! Die glaubt vermutlich, ich hätte eine Pizza bestellt und sie nicht

bezahlen wollen, deshalb den Fahrer erschlagen, hastig die Pizza verschlungen und die

Schachtel im Kamin verbrannt!

Antonie:

Und den Pizzamann mir vor die Haustür gelegt.

Dr. Bröker:

Selbstredend, ich musste schließlich den Verdacht von mir ablenken. Nein, nein, ich will Ihnen

mal was sagen – der Kerl war nichts weiter als ein Einbrecher.

Antonie:

Meinen Sie?

Dr. Bröker:

Natürlich! Hier im Platanenweg wohnen lauter ältere Herrschaften, die Gegend ist ruhig – das

optimale Revier für solche Ganoven. Ein Fremder fällt da natürlich auf. Nicht aber, wenn er

sich bewusst auffällig macht, verstehen Sie? Im Weihnachtsmannkostüm kann man

unbesorgt die Gegend ausspähen, und niemand wird irgendwelchen Argwohn schöpfen,

sondern sich höchstens über den Anblick freuen – Kindheitserinnerungen, Sie verstehen?