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Dresdener Beiträge zur Geschichte der Technikwissenschaften Heft 33 (2012) »Transzendenz und Gemeinsinn«

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Dresdener Beiträge zur Geschichte der Technikwissenschaften

Heft 33 (2012)

»Transzendenz und Gemeinsinn«

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Inhalt Vorwort 05 Martin Schwarz »Die Härte des Krieges verlangt stählerne Herzen.« Selbst- und Fremdbilder deutscher Ingenieure in der Zeit des Nationalsozialismus 07 Lars Bluma »How much can a scientist do for his country?« Praxis und Selbstwahrnehmung amerikanischer Ingenieure im Kalten Krieg 29 Detlev Fritsche Technikoptimismus und Fortschrittsversprechen. Elektrotechnik in der technokratischen Hochmoderne 57 Peggy Renger-Berka Transzendenzbezüge und Gemeinsinnsbehauptungen im Reden vom »Atomzeitalter« in der Bundesrepublik der 1950er Jahre 69 Sylvia Wölfel Vom Energiekonsum zur Energieeffizienz. Werbung für umweltfreundliche Haushaltsprodukte in der Bundesrepublik und der DDR 83

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Vorwort Das vorliegende Heft der Dresdener Beiträge ist Teilbereichen der Forschungen des Lehrstuhls für Technik- und Technikwissenschaftsgeschichte der TU Dres-den im Rahmen des SFB 804 »Transzendenz und Gemeinsinn« gewidmet. Im technikgeschichtlichen Teilprojekt »Das Fortschrittsversprechen von Technik und die Altruismusbehauptung der Ingenieure in der technokratischen Hochmo-derne (ca. 1880-1970)« wird davon ausgegangen, dass ein szientistisch befeuer-tes Fortschrittsversprechen, mit dem Zukunft und Technik als Ressourcen zur Erfahrung von Transzendenz erschlossen wurden, zu den prägenden Phänome-nen des in Rede stehenden Zeitraums gehörte. Dabei stattete eine Altruismus-behauptung der Ingenieure den technisierten Fortschrittsoptimismus mit einem hohen Maß an Vertrauenswürdigkeit und Faszination aus: Über die Altruismus-formel wurden partikulare Interessen zu einer statuserhöhenden und gegen Kritik immunisierenden Gemeinsinnssupposition transzendiert. Während einerseits die Altruismusbehauptung für die Gruppe der Ingenieure einen gemeinsamen Be-zugspunkt bildete, formten technisierte Fortschrittserwartungen andererseits ei-nen über diese Gruppe hinausgreifenden »common sense«, der die Hochmoderne charakterisierte. Die hier versammelten Studien nähern sich der angerissenen Thematik in je spe-zifischer Form. Selbst- und Fremddeutungen von Ingenieuren stehen dabei im ersten Teil des Heftes im Zentrum des Interesses: Während Martin Schwarz an-hand der Zeitschrift des Vereins Deutscher Ingenieure zeigt, wie Selbst- und Fremdbilder in Deckung gebracht und »Gemeinsinn« zunehmend auf die »Volksgemeinschaft« bezogen wurde, kommt Lars Bluma der Selbstwahrneh-mung amerikanischer Ingenieure im Kalten Krieg durch eine Analyse von An-zeigen im Scientific American auf die Spur. Im zweiten Heftteil geraten mit dem Energiesektor Diskursbereiche in den Blick, in denen sich die mit der technischen Entwicklung verbundenen Fortschrittsver-sprechen in besonders überschießender Form manifestier(t)en: Detlev Fritsche analysiert in seinem Überblicksartikel Versprechen sozialer Befriedung, ubiqui-tärer Energieversorgung und unbegrenzter Energieerzeugung, die mit der Elekt-rotechnik verbunden waren. Sylvia Wölfel macht dagegen in der Werbung für umweltfreundliche Haushaltsprodukte ein ökologisiertes Fortschrittsversprechen der »Reflexiven Moderne« aus. Der Beitrag von Peggy Renger-Berka spürt Transzendenzbezüge und Gemeinsinnsbehauptungen im Reden vom »Atomzeit-alter« auf und vertieft damit einen Aspekt, der auch bei Fritsche anklingt. Zu-gleich werden damit Forschungen des benachbarten Teilprojekts N im SFB 804,

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»Konstruktion von Transzendenz und Gemeinsinn in Technik und Theologie«, dokumentiert. Dieses Projekt untersucht, wie moderne Technik im Prozess ihrer gesellschaftlichen Umsetzung auf die Bewältigung von Unverfügbarkeiten ver-weist und wie umgekehrt die Theologie in ihren Entwürfen von Transzendenz direkt oder indirekt auf die technische Moderne reagiert. Thomas Hänseroth, Uwe Fraunholz

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»Die Härte des Krieges verlangt stählerne Herzen.« Selbst- und Fremdbilder deutscher Ingenieure

in der Zeit des Nationalsozialismus

Martin Schwarz Auf der Webseite des Vereines Deutscher Ingenieure (VDI) findet bis heute die Geschichte der Ingenieure in der Zeit des Nationalsozialismus nicht statt.1 Das mag mit der spezifischen Funktion einer Webseite zusammenhängen, die auf ei-ne gute Außendarstellung zielt. Gleichwohl ist die Rolle dieser Berufsgruppe im NS-System ein wichtiger Forschungsgegenstand, innerhalb dessen die damaligen Selbst- und Fremdbilder der Ingenieure zu analysieren sind.

Die Begriffe »Selbstbild« und »Fremdbild« sind weder im alltäglichen noch im wissenschaftlichen Sprachgebrauch eindeutig festgelegt. Sie treten synonym auf oder auch in Konkurrenz zu Konzepten des »Selbst«, der »Selbstidentität« oder des »Selbstwertgefühls«, von »Selbstwahrnehmung«, »Selbstbeschreibung« und »Selbstdarstellung« bzw. der »Fremdwahrnehmung«, des »Rufs«, der »Re-putation«, der »gesellschaftlichen Anerkennung« (oder auch Ächtung) und ande-rem mehr: Streng genommen müsste man auch zwischen zwei verschiedenen Fremdbildern unterscheiden. Das sogenannte »Fremdbild-1« bezeichnet die Fremdeinschätzung durch andere, also die durch das gesellschaftliche, berufliche und persönliche Umfeld geprägte Außenwahrnehmung. Hingegen thematisiert das sogenannte »Fremdbild-2« das Gesellschaftsbild der Ingenieure, beschreibt also mehr oder weniger, wie der Ingenieur Fremdeinschätzung durch seine Um-welt einschätzt. Man geht davon aus, dass Selbstbild und »Fremdbild-2« Wahr-nehmung filtern und ordnen sowie über Deutungen und Bewertungen Verhalten steuern sowie Ideologien bilden und verfestigen können.2

Der Verein Deutscher Ingenieure gestaltet maßgeblich das Selbstbild der In-genieure.3 Berichte über Hauptversammlungen, Vorstandssitzungen, Gedenkfei-ern, Jahresansprachen, Jubiläen und Preisverleihungen, aber auch Aufsätze zu ausgewählten Themen liefern eine Fülle von Deutungsangeboten. In der recht auflagenstarken Vereinszeitschrift (Zeitschrift des Vereins Deutscher Ingenieure, ZVDI) kommt die »Ingenieurselite« zu Wort. Repräsentanten des Vereins, Re-dakteure, Mitglieder, Honoratioren aus den Bezirksvereinen und Politiker geben – bei aller wissenschaftlich gebotenen Zurückhaltung – den Zeitgeist und mit ihm die relevanten Selbst- und Fremdbilder einigermaßen realistisch wieder. In-haber der Spitzenpositionen4 beeinflussen nun einmal Gruppenverhalten. Vor-standsmitglieder des VDI und der Bezirksverbände, Kuratoren des Wissenschaft-

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lichen Beirats, Vorsitzende und Obmänner der VDI-Haupt- und Fachgruppen, Schriftleiter der VDI-Nachrichten und der ZVDI – oft mit dem Titel »Direktor« versehen –, Diplom-Ingenieure, Ingenieure mit Doktortitel sowie Professoren reflektieren gerne über das Wertebewusstsein ihrer Profession und deren Stel-lung in der Gesellschaft.5

Die Sozialhistoriker interessierten sich vor allem für die komplexe Beziehung von Technikern und Krieg (besonders im Zweiten Weltkrieg). Seit seiner Grün-dung 1856 verbreitete der VDI technisches Wissen und formte das soziale Selbstbild der Ingenieure. In einem stets wiederkehrenden Grundmuster setzte er im Kampf um gesellschaftliche Anerkennung auf den selbstlosen Dienst an der Nation und den Glauben an den technischen Fortschritt. Aus sozialhistorischer Sicht erleichterte dies den Nationalsozialisten, das traditionelle Selbstbild der Ingenieure für Kriegsanstrengungen zu mobilisieren. Andererseits lässt sich aber auch ein Moment der Selbstmobilisierung nicht von der Hand weisen.6 Einige Arbeiten stellten den Ingenieur deshalb unter Ideologieverdacht.7 Interviews of-fenbarten Leitbilder, Stereotypen, Sozialisationen, Argumentationsfiguren und Verantwortungsbegriffe der »Techniker des Teufels«8, mit deren Hilfe sich nicht selten eine »Typologie verschiedener Selbstkonstruktionen« entwickeln ließ. Dazu zählte das (nachträgliche) Selbstbild vom »unpolitischen Techniker«, das den »unbelasteten« Neuanfang nach 1945 ermöglichte. Andererseits vermittelte eine allgemein geteilte und ungebrochene Fortschrittsgläubigkeit einer ganzen Generation von Ingenieuren das Bewusstsein, »Motor der Geschichte« sowie des technischen und sozialen Fortschritts zu sein und technische Innovation durch alle Zeiten hindurch unabhängig von Ideologien zu erkämpfen.9 Selbst- und Fremdbilder vor 1933 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts galten deutsche Ingenieure und Tech-niker – anders als in Frankreich und England10 – kaum mehr als Emporkömmlin-ge und wurden als Eindringlinge oder bestenfalls notwendiges Übel empfun-den.11 Die zweckfreie Bildung des deutschen Idealismus räumte der Technik ei-nen meist untergeordneten Platz innerhalb des Handwerks ein12 oder sah in ihr gar ein Auffangbecken für gescheiterte Existenzen, unbedeutende Werkmeister, Maurer und mittelmäßige Monteure. Doch damit nicht genug: In der zweiten Dekade des 20. Jahrhunderts machte eine antitechnische Kulturkritik Rationali-sierung und die technische Entwicklung im Allgemeinen verantwortlich für die Weltwirtschaftskrise und die grassierende Arbeitslosigkeit.13 In einer Art Ab-wehrhaltung tendierte der Ingenieurstand dazu, die Technik zu verherrlichen, aus Erfindern Künstler und aus Maschinen Kunstwerke zu machen, Missstände der

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kapitalistischen Wirtschaftsordnung zuzuschreiben und von gemeinnütziger Ar-beit jenseits marktwirtschaftlicher Zwänge zu träumen.14 Während Ralf Dahren-dorf noch einen Gegensatz zwischen Ideologie und Praxis im »Dritten Reich« ausmachte15, sieht Jeffrey Herf den »reaktionären Modernismus«, der antimo-derne, romantische und irrationale Ideen mit unbedingter Technikbejahung ver-band, unter der Herrschaft des Nationalsozialismus triumphieren.16 Mit der an Metaphern reichen Sprache der »Reaktionären Modernisten« (neben anderen beispielsweise Ernst Jünger (1895–1998), Oswald Spengler (1880–1936), Carl Schmitt (1888–1985), Hans Freyer (1887–1967) und Werner Sombart (1863–1941)17) gelang es, Technik und Nationalismus widerspruchsfrei in die bestehen-den Selbst- und Fremdbilder zu integrieren. Vor allem der Ingenieur Gottfried Feder (1883–1941) führte die universalistische Rationalität auf speziell deutsche und »arische« Qualitäten zurück. Für ihn war Technik der Inbegriff germanisch-deutscher Produktivität und Schöpfungsgabe, Manifestation des Willens zur Macht und Instrument zur Verwirklichung machtpolitischer Interessen.18 Selbst- und Fremdbilder im Nationalsozialismus Das untersuchte Quellenmaterial der ZVDI deutet auf eine spezifische Eigendy-namik des Selbst- und Fremdbildes der Ingenieure, wobei sich drei Phasen von-einander unterscheiden lassen. Die Vorstellungen von der technisch-wissenschaftlichen Gemeinschaftsarbeit19 und dem Ingenieur als uneigennützi-gem Diener des Gemeinwohls bildeten das Fundament der ersten Entwicklungs-phase (1933–1935/36). Darauf baute die Konstruktion des Selbst- und Fremd-bilds in der zweiten Phase (1935/36–1942) auf, sodass schließlich in der dritten Entwicklungsphase (1942–1945) ein rational gesteuertes Verhalten verloren ge-gangen zu sein scheint. Metaphorisch könnte man es so zum Ausdruck bringen: Die Ingenieure waren in der ersten Phase auf den geschmückten Zug eines allzu herrlichen Selbst- wie Fremdbildes aufgesprungen, hatten in der zweiten Phase kräftig daran mitgewirkt, dass dieser Zug Fahrt aufnahm und derart beschleunig-te, dass er in der dritten Phase nicht mehr zu stoppen war. Annäherungen Bereits zum »Feiertag der nationalen Arbeit« am 1. Mai 1933 versicherte der VDI dem »Volkskanzler« Hitler mit Stolz die Unterordnung unter die »Führung der nationalen Regierung«.20 Die Jahreshauptversammlung des VDI vom 27. bis 29. Mai 1933 in Friedrichshafen bekräftigte dieses Bekenntnis vor dem Symbol des Luftschiffes Graf Zeppelin, das in Analogie zur nationalsozialistischen

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»Machtergreifung« für Zähigkeit, Wagemut und Glauben an den »Sieg der als gut erkannten Idee« stehe. Unter ständigem Beifall und lebhafter Zustimmung der versammelten Ingenieure beschwor der neue Vorsitzende des VDI, Partei-mitglied Dr.-Ing. Heinrich Schult (1896–1971), das Gesamtwohl, die schicksal-hafte Verbundenheit von Wirtschaft und Technik, den deutschen Lebenswillen und die »nationale Erhebung«. Die Technik sollte den objektiven Bedürfnissen der »Volksgemeinschaft« dienen und die Ingenieure dem Wohl von Volk und Vaterland, konkret dem Binnenmarkt, der Rohstoffversorgung, dem Siedlungs-wesens, der »Wehrhaftmachung« und Landesverteidigung einschließlich »Luft- und Gasschutz«. Gemäß dem alten Soldatenwort »Ich dien‘!« beanspruche der Ingenieur »weder als Stand noch als Berufsgemeinschaft« Vorrechte vor »Volksgenossen und vor andern Berufsgruppen«.21

Offenbar gab es einige Anknüpfungspunkte: Gemeinnutz wirkte als Trieb-kraft22 vordergründig gemeinnütziger Visionen, die sich in »organischer Wirt-schaftsgestaltung«23 mit nationalsozialistischer Ideologie paarten. Es galt, die agrarromantischen24 und maschinenstürmerischen25 Tendenzen zu überwinden und vor allem der Wehrtechnik zu gesteigerter Bedeutung zu verhelfen.26 Sol-chen Zielen mit »logischen, konstruktiven« Charakterzügen27 sollte sich der In-genieur verbunden fühlen. Schult prophezeite einen hohen »Lebensstand«, wenn man erst einmal die Ketten der Weltwirtschaft abgestreift hätte und die Versor-gung mit Nahrung und Kleidung aus »heimischer Scholle« sicherstellen könnte. Die Technik als eine »Schöpfung des nordischen Rassengeistes«28 werde durch den Weltmarkt eher behindert als gefördert. Der tendenzielle Widerspruch zwi-schen Aufwertung der Rüstung und Hebung des Lebensstandards wurde nicht thematisiert.

Bereitwillig übernahmen die Ingenieure das Leitmotiv des »Führers«: »Wir sehen die Schwierigkeiten, aber wir werden sie lösen.«29 Das Bewusstsein, »mit seinem Wissen und Können in hervorragendem Maße beim Neuaufbau Deutsch-lands mitzuwirken«,30 beherrschte das positive Selbstbild des deutschen Ingeni-eurs. Die übergeordnete Idee – womit die nationalsozialistische Charakterfor-mung angesprochen war – werde schon für den richtigen Einsatz der Technik sorgen. Nicht die Technik als solche, sondern Kapitalismus und Privatinteresse seien für schädliche gesellschaftliche Erscheinungen wie Verschiebung des wirt-schaftlichen Schwerpunktes von der Landwirtschaft zum Gewerbe, Verstädte-rung, Entwurzelung des Volkes usw. verantwortlich.31 Denen könne gerade die Technik begegnen, beispielsweise durch die Auflockerung der Großstadt, die Verkürzung der Arbeitszeit oder die Verschönerung der Arbeitsstellen. Die »Ge-staltung der menschlichen Dinge, die Verbundenheit des Arbeiters mit seinem Werk32 und mit dem allgemeinen Boden der Volksgemeinschaft« sollte den rein

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technischen Einzelfragen gleich- oder sogar übergeordnet werden. Die Wirt-schaft sollte sich der Technik anpassen, nicht umgekehrt.33 Die Technik wiede-rum sollte der NS-Ideologie und deren Zielsetzungen verpflichtet sein. Entgegen späterer Rechtfertigungsversuche34 entzog sich der VDI der Gleichschaltung kei-neswegs, sondern gab einem prekären wechselseitigen Ermöglichungsverhält-nis35 den Vorzug: Der Verein mobilisierte seine Kräfte für die neuen Machthaber und verzichtete auf eigene politische Ambitionen. Dafür sahen die Nationalso-zialisten von einer (totalen) Übernahme des VDI durch linientreue Parteileute ab. Am 26. September 1935 wurde der so genannte »Arierparagraph« in die Satzung des VDI aufgenommen. Ab diesem Zeitpunkt konnten nur noch deutschstämmi-ge Männer Mitglieder des VDI sein, die den rassistischen Grundsätzen der Partei entsprachen.36 Deshalb konnte Schult bereits 1934 die »innere Umstellung« des VDI37 verkünden, die eine Zusammenarbeit mit der Unterkommission III b38 und des Kampfbundes Deutscher Architekten und Ingenieure (KDAI)39 bzw. der Reichsgemeinschaft der technisch-wissenschaftlichen Arbeit (RTA)40 gewähr-leistete.

Mit dem ersten »Tag der deutschen Technik« feierte die VDI-Hauptversammlung 1935 im Beisein der Ehrengäste Rudolf Heß (1894–1987), Fritz Todt (1891–1942) und Alfred Rosenberg (1893–1946) ihre Nähe zum Na-tionalsozialismus.41 Todt stärkte das Selbstbild des Ingenieurs. Für ihn war »Technik Tat« und »selbstloser Dienst am Volk«. Selbst der eher rückwärtsge-wandte NS-Chefideologe Rosenberg42 rühmte die Technik als wertvollen Be-standteil der völkischen Kultur und den Techniker als »germanischen Schöp-fer«.43 Kultur und Zivilisation waren keine getrennten Sphären mehr. Der »Nie-dergang der Kultur« sei »ein Zeichen allgemeiner Entartung«, die sich u.a. in Bauwerken ohne Stil ausdrücke. Die Technik im NS-Staat hingegen setze auf »artgemäße« Schönheit und Harmonie und sei eine Kunstform, die auseinander-strebende gesellschaftliche Kräfte zusammenführe. Sie sei »eine Angelegenheit der ganzen Nation und für die ganze Nation«.44

Damit waren die Zeiten vorbei, in denen Ingenieure unter der Hegemonie bil-dungsbürgerlichen Denkens zu leiden hatten, das die Funktion von Technik auf materielle Nützlichkeit reduzierte und dieselbe für soziale Spannungen, Wirt-schaftskrisen und einen vermeintlichen allgemeinen kulturellen Niedergang ver-antwortlich gemacht hatte. Nationalsozialistische Technikvorstellungen katapul-tierten die Ingenieure nach ganz oben. Technik war nicht länger notwendiges Übel einer dem Deutschen an sich fremden Zivilisation, sondern zentraler Be-standteil der völkischen Kultur und positives »Rassenmerkmal«.45

Zusammenfassend ist für den Zeitraum zwischen 1933 und 1935/36 festzuhal-ten: Die in der ZVDI ersichtliche Doppelstrategie stärkte einerseits das positive

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Selbstbild des Ingenieurs und baute andererseits negative Fremdbilder ab. Diese Strategie wurde unterstützt durch den Schulterschluss mit der NS-Ideologie. Der Ingenieur wurde zum Diener des Gesamtwohls stilisiert, der keine eigenen Inte-ressen, sondern ausschließlich das Gemeinwohl verfolge. Sein Wirken nutze al-len: den Landwirten, der »germanischen Rasse«, dem Verbraucher mit knappem Geldbeutel, dem auf Profit ausgerichteten Unternehmer, der Partei und dem Reich und der Kultur überhaupt. Der Ingenieur sei intelligent, logisch und kon-struktiv, verfüge über den nötigen Weitblick und stehe treu zu Volk und Vater-land. Selbst beteiligt am Aufbau der Macht, beanspruche er in aller Bescheiden-heit nicht mehr als ein Teil des Volkskörpers zu sein, den er außerdem, soweit dieser erkrankt sei, auch noch zu heilen vermöge. Da blieb kein Raum für Kritik. Jedermann, auch die Vertreter der Blut-und-Boden-Ideologie, müssten einsehen, dass weder von der Technik noch vom Ingenieur eine Bedrohung ausgehe, son-dern dass nur von ihnen die Rettung (man könnte auch sagen das Heil) zu erwar-ten sei. Die Kombination von Spezialwissen und »richtiger« Gesinnung über-steigerte das Selbstbild des Ingenieurs zu einem nahezu schöpferähnlichen We-sen. Konsolidierung Das ideologisch gleichgerichtete Selbst- und Fremdbild der Ingenieure erlaubte in der Folgezeit den konsequenten Zusammenschluss der Technik46, in dessen Fahrwasser eine engmaschige politische Indoktrination zu organisieren war. Die Anordnung des Stellvertreters des »Führers« Rudolf Heß vom 20. November 1936 machte das Amt für Technik zum Hauptamt und unterteilte den diesem an-geschlossenen Verband, den NS-Bund Deutscher Technik (NSBDT), in Fach-gruppen47. Die anerkannten technischen Organisationen – es handelte sich dabei um die Fachvereine der bisherigen Reichsgemeinschaft der technisch-wissenschaftlichen Arbeit (RTA) – wurden im NSBDT zusammengefasst. Jedes Einzelmitglied eines solchen Fachvereins wurde dadurch automatisch Mitglied des NSBDT. Die »Gleichschaltung« war damit abgeschlossen und sollte durch die Übernahme des VDI-Vorsitzes durch Fritz Todt Anfang 1939 besiegelt wer-den. Der »Zusammenschluss der Technik« wurde mit einer großen Kundgebung im Berliner Sportpalast gefeiert, die das gleichgeschaltete Selbst- und Fremdbild des Ingenieurs wie der Technik planmäßig ansprach. Ziel des Zusammenschlus-ses, so die ZVDI, sei es gewesen, »im NS-Bund Deutscher Technik alle Kräfte der Technik zu gemeinsamer Arbeit zusammenzuführen«.48 Damit habe sich das Gründungsziel des VDI erfüllt. Der »gewaltige Einheitswille des Deutschen Volkes« habe die deutschen Ingenieure erfasst. Die Reichswaltung des NSBDT

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und die Gauwaltungen übernahmen »alle übergeordneten Angelegenheiten des deutschen Ingenieurs, in erster Linie seine politische Betreuung, die Berufs- und Standesfragen, Ausbildungs- und Fortbildungsfragen«. Damit betrachtete man die Voraussetzung als gegeben, die »gewaltigen Aufgaben« der Zeit zu lösen. Man ehrte den Altruismus der Ingenieure und deren ehrenamtliches Engage-ment.49 Die nationalsozialistische Führung wertete so das Selbst- und Fremdbild des Ingenieurs weiterhin zielbewusst auf und befreite die Technik vom Makel eines »Sondergebiet[es] im luftleeren Raum«50. Die bereits bewältigten Aufga-ben und deren gesellschaftliche Anerkennung stärkten das Selbstwertgefühl der Ingenieure, die ihrerseits geradezu dankbar versicherten, die noch zu bewälti-genden Aufgaben meistern zu wollen. Den wenigen verbliebenen Kritikern trat man jetzt offensiv entgegen: »Wer heute noch nicht gemerkt hat, dass die gesi-cherte Zukunft des Deutschen Volkes in hohem Maße auf den Leistungen seiner Ingenieure beruht, der ist kaum noch zu belehren. Rohstoffversorgung, Straßen-bau und Wehrtechnik – einige wenige Beispiele nur – müssen auch dem Fernste-henden hierüber die Augen geöffnet haben.«51 Das gestiegene Ansehen deutscher Ingenieure im Ausland zeigte eine »Leistungsschau« in Paris, auf der zahlreiche Preise und Auszeichnungen gewonnen werden konnten.52

Die Begeisterung der Ingenieure kannte kaum Grenzen und es handelte sich keineswegs um ein reines Lippenbekenntnis53, wenn sie mit Blick auf das neue Jahr ausriefen: »Mit dem Mann, der uns diese Aufgaben stellte, mit unserem Führer, gehen wir weiter ans Werk.«54 Auf der Tagung der Jungingenieure 193655 forderte Dr.-Ing. Oskar Stäbel (1901–1977)56, Mitglied des VDI-Direktoriums und Reichsschulungsobmann des NSBDT, die Neuausrichtung des technischen Schulwesens in Zusammenarbeit von NSBDT und nationalsozialisti-schem Studentenbund. Nur so könne der Typ des Ingenieurs gewonnen werden, »der unserer nationalsozialistischen Weltanschauung gerecht« werde.57 K. Kas-per, VDI-Mitglied, Gauamtsleiter für Technik in Berlin und Leiter der be-rufsständischen Arbeitsgemeinschaft, zählte als Leitbilder für den Jungingenieur Leistungsbereitschaft, Führungsqualität sowie »Charakter und Verantwortungs-bewusstsein gegenüber Volk und Staat« auf. Die weltanschauliche Ausrichtung trat gleichberechtigt neben das Fachwissen und vermittelte ein Selbstbild von »weittragender kultureller Bedeutung«, welches sowohl Grundlagenforschung als auch angewandte Forschung in den Dienst der »kulturellen Entfaltung« stell-te. Der Obmann der Berliner Jungingenieure im VDI, Dr.-Ing. Carl Föhl (1901–1973), räumte zwar ein, dass in der täglichen Arbeit oft das Bewusstsein dafür verloren gehe, dass jedoch alle technische Arbeit letztlich diesem Ziel diene. Dem jungen Ingenieur müsse vermittelt werden, in einer großen »Front der Technik« zu stehen. Auch Todt selbst sorgte sich auf der 76. Hauptversammlung

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des VDI 1938 um den Nachwuchs.58 Nicht die Zahl der jungen Ingenieure59 ste-he im Vordergrund, sondern deren Qualifikation60 sowie der »Idealismus ihrer Berufsauffassung«. Sie müssten lernen, die größeren Zusammenhänge der Tech-nik und des gesamten Lebens zu überschauen. Den potenziell schädlichen Aus-wirkungen eines Materialismus setzte er einen ausgleichenden politischen Idea-lismus entgegen.61

Die Mobilisierung für den Krieg führte zu einem Boom mit vielen Betäti-gungsmöglichkeiten für technischen Sachverstand und Erfindergeist. Ingenieure waren auf dem Arbeitsmarkt gesucht und umworben.62 1938 erhielten vier Inge-nieure (Ferdinand Porsche (1875–1951), Ernst Heinkel (1888–1958), Willy Mes-serschmidt (1898–1978) und Todt) den Deutschen Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft.63 Goebbels sprach von einer »Ehrenpflicht der Nation«, die von der Welt bewunderten Taten deutscher Technik zu würdigen und ihnen die »ver-diente Anerkennung« zuteilwerden zu lassen.

Jetzt konnte man daran gehen, weitere Reserven zu mobilisieren. Im Rahmen einer Rationalisierungstagung64 forderte Hermann Göring65 im Oktober 1938 »größte Leistung bei kleinstem Aufwand«.66 Rationalisierung wurde als Aufgabe begriffen, »mit den gegebenen Kräften mehr zu leisten durch Bestgestaltung des Arbeitsvorganges«.67 Als Belohnung der »Leistungssteigerung« winkte vage die »wirtschaftliche Freiheit« des deutschen Volkes. Rationalisierung und Leis-tungssteigerung wurden zum Leitmotiv des VDI mit sowohl sachlichen als auch ideologischen Komponenten. Die Leistungsfähigkeit der Ingenieure war Teil ih-res Kampfes um Anerkennung. Die Nationalsozialisten nutzten dieses »soziale Konstrukt der Leistungsorientierung«, um mithilfe der Ingenieure den Krieg vor-zubereiten.68

Todt, Vorsitzender des VDI seit 1938, avancierte zur charismatischen Leitfi-gur. Seine kommunikativen Fähigkeiten, Führungsqualitäten und Fachkompe-tenz erzeugten nach Meinung der ZVDI Respekt und Vertrauen, nicht nur in Fachkreisen, sondern beim »ganzen deutschen Volk«69. Man bescheinigte ihm, dass die deutschen Ingenieure, nationalsozialistisch ausgerichtet, wissenschaft-lich geschult und begeistert hinter Todt standen, so dass dieser – als das Ideal des nationalsozialistischen Ingenieurs und großer »Menschenführer« – die gesamte deutsche Technik für den »Freiheitskampf des deutschen Volkes und für unseren Sieg«70 einsetzen konnte. Sein pompöses Staatsbegräbnis im Februar 1942 eben-so wie Hitlers Nekrolog geben Aufschluss über die hohe Wertschätzung der Technik und des Ingenieurs im Nationalsozialismus. Der Nachruf der ZVDI (auf drei schwarz umrandeten Seiten mit Todts Abbild im Soldatenmantel) idealisier-te die zentralen Attribute des nationalsozialistischen Technikertypus, wie Schöp-

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ferkraft, Selbstlosigkeit und Sendungsglaube, Leistungsfähigkeit und Genialität (»Ingenium«), Bescheidenheit, Zurückhaltung und Kameradschaft.71

Da Todt trotz seiner Zweifel und Gewissenskonflikte72 bis kurz vor seinem Tod die Ingenieure mit Durchhalteparolen ermutigte,73 sind auch ihm die gerade-zu irrationalen Bemühungen deutscher Techniker in den letzten Kriegsjahren und damit die verheerenden Kriegsfolgen anzulasten. Verabsolutierungstendenzen Die realitätsferne Identifikation des Ingenieurs mit einem ideologisierten und idealisierten Selbst- und Fremdbild markierte den Weg in die Katastrophe. Der Ingenieur als konkrete Person verschmolz mit der übersteigerten Gruppenidenti-tät, deren Attribute er nun als eigene Wesensmerkmale annahm. Nationalsozia-listische Ideologie und Eigendünkel bestimmten sein Handeln. Das Quellenmate-rial aus den Jahren zwischen 1942 und 1945 belegt, dass dieser Identifikations-prozess jedes kritisch-rationale Denken über die engere technische Arbeit hinaus trotz der offenkundig bevorstehenden Niederlage verdrängt zu haben scheint.

Todts Aura wurde über seinen Tod hinaus instrumentalisiert, um die Ingenieu-re in einem immer auswegloser werdenden Kampf bei der Stange zu halten. Al-bert Speer ordnete sich dabei bewusst dem Vermächtnis seines Vorgängers un-ter.74 Die für die Mobilisierung zum »Totalen Krieg« richtungweisende Vor-standsratssitzung des VDI am 15. Februar 1943 in Berlin75 wurde mit dem Ge-denken an Fritz Todt eingeleitet. Der Vorstand gab ein Gemälde in Auftrag, um »auch die bildhafte Erinnerung für alle Zeiten zu bewahren«. Hitler stiftete Ende 1943 den »Fritz-Todt-Preis« in Form einer goldenen Ehrennadel für erfinderi-sche Leistungen auf dem Gebiet der Wehrtechnik sowie der Arbeits- und Roh-stoffersparnis. Anfang März 1944 wurde der Preis erstmals »im feierlichen Rahmen einer Kundgebung in einem Rüstungswerk« verliehen.76 Die Träger des Preises arbeiteten in den kriegswichtigen Feldern der Munitionsentwicklung, der Eisengewinnung, Nachrichtentechnik, Pulverentwicklung, Waffenfertigung und Stahlverarbeitung. Das Gedenken an den »Führer der Technik« wurde »sinnstif-tend in den Kriegskontext eingebracht«.77

Die zentrale Frage, warum es nicht zu einem offenen Konflikt zwischen tech-nischer Rationalität und realen Kriegserfahrungen kam, stellte sich nicht erst seit der Niederlage von Stalingrad. Man darf annehmen, dass Appelle an Pflichterfül-lung, Arbeitsethos und Zusammenrücken von Front und Heimat für sich allein genommen nicht in der Lage gewesen wären, jede Vernunft gesteuerte Ausei-nandersetzung zu verhindern oder zu ersetzen.78 Maßgebend dürfte vielmehr ge-wesen sein, dass der Identifikationsprozess zwischen Ingenieur und Nationalso-

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zialismus ein Stadium erreicht hatte, in dem die Erkenntnis, dass der Krieg verlo-ren war, einer Beschädigung von Selbst- und Fremdbild gleichgekommen wäre.

Das überhöhte Selbst- und Fremdbild eines selbstlosen, unschlagbaren und op-ferbereiten Ingenieurs erlaubte den politischen Machthabern die »Männer der Technik« für ihre Zwecke bis zum bitteren Ende zu nutzen. Das fein gesponnene Netz aus Sinnmustern der »Gemeinschaftsarbeit« und der »Leistungssteigerung« ließ kein Entrinnen zu und garantierte die Bereitschaft der Ingenieure zur Mitar-beit auch unter immer schwieriger werdenden Bedingungen.79 Speer beschrieb das Jahr 1942, in dem er die Rüstungsproduktion umorganisierte, als eine Zeit »bester Bewährung«.80 Selbst vor dem Hintergrund der sich andeutenden Nieder-lage in Stalingrad 1943 zeichnete er ein ungetrübtes Bild der Ingenieure. In ei-nem Brief an den VDI lobte er dessen »Einsatz« und »Dienst«.81 Speer setzte Todts Werk nahtlos fort, integrierte die technischen Eliten in das Kriegssystem der Selbstverantwortung und griff dabei – einem Rat Hitlers folgend82 – auf die technisch-wissenschaftlichen Vereine zurück.83 Den Kontakt zu diesen hielt Karl-Otto Saur (1902–1966), Chef des Technischen Amtes im Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion, der ein ungetrübtes Vertrauen in das schier unerschöpfliche Leistungspotential der Ingenieure setzte.84 Obgleich Anfang 1944 das Vereinshaus selbst bereits erheblich geschädigt war, appellierte Speer in seiner Jahresansprache von Anfang 1944 immer noch an »Ehre und Moral« der Ingenieure: »Männer der Technik! Die Härte des Krieges verlangt stählerne Herzen, Glauben an den Sieg und die willensstarke Bereitschaft, alle kommen-den Schwierigkeiten zu überwinden.«85 Die individuelle Einsatzbereitschaft und die männlichen Tugenden der Härte und Pflichterfüllung sollten die Beeinträch-tigungen der gewohnten Arbeitsweise kompensieren. Der neue VDI-Vorsitzende Hanns Benkert (1899–1948)86 verlangte die Mobilisierung der letzten Reserven und forderte von seinen Ingenieuren, es »immer noch besser« zu machen.87 In seinem Jahresbericht von Anfang 1945 setzte Direktor Hans Ude dem Überge-wicht des Feindes an »Menschenmassen und Rohstoffen« das überlegene »tech-nische Können« des deutschen Ingenieurs entgegen: »Allein in höherem Wir-kungsgrad liegt also technisch unsere Chance in diesem Völkerringen.«88 Auf Gneisenau rekurrierend bereicherte Ude das Selbst- und Fremdbild des Ingeni-eurs um ein weiteres martialisches Element: »Vor allen Dingen schafft Eisen an: Eiserne Brust, eisernen Willen und Waffen!«89

Die Übersteigerung des Selbstbildes korrespondierte mit der Herabsetzung des Feindes.90 Die deutschen Ingenieure repräsentierten demnach Kulturleistungen,91 während vor allem die Sowjets zu primitiven Barbaren herabgewürdigt wurden, denen »das Menschenleben […] ja noch nie etwas gegolten« und deren »ostische Psyche« ohne Skrupel der eigenen Bevölkerung die Lebensgrundlage entzogen

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habe.92 Im Allgemeinen stufte man im Vergleich mit den Kriegsgegnern die deutsche Technik als höher stehend ein. Schließlich entscheide der Umgang mit Technik darüber, ob diese »Teufelswerk« sei oder die »Grundlage einer ›neuen Entwicklungsstufe für die Menschheit‹« darstellen könne.93 Dabei wurden inte-ressanterweise die Mobilisierungsanstrengungen des Gegners als »Sklavenwirt-schaft« diffamiert – eine Zuschreibung, die von der historischen Forschung heute zur Charakterisierung des NS-Systems genutzt wird94 – während im Namen des VDI weiterhin behauptet wurde, dass man selbst »keine Maschinenmenschen erziehen«, sondern »die Maschine dem Menschen dienstbar machen« wolle.95 Die Verantwortung der Ingenieure Vor 1933 fielen Selbst- und Fremdbild der Ingenieure auseinander. Der nach ge-sellschaftlicher Anerkennung strebende Stand wurde dabei von zwei Seiten atta-ckiert: Etablierte bildungsbürgerliche Eliten sprachen den Technikern kultur-schaffende Leistungen ab, Blut-und-Boden-Ideologen machten sie für als negativ empfundene Begleiterscheinungen des Industrialisierungsprozesses verantwort-lich.

Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten erfuhren Ingenieure bald eine zuvor nicht gekannte öffentliche Wertschätzung. Sie wurden als unei-gennützige Leistungs- und Kulturträger gesehen und schließlich zu heldenhaften Garanten des »Endsieges« stilisiert. Dieser Aufwertungsprozess lässt sich, wie gezeigt, in drei Phasen beschreiben: der Annäherung (1933–1935/36) zwischen dem Selbstbild der Standesvertretung und dem Fremdbild nationalsozialistischer Ideologie folgte eine Konsolidierungsphase (1935/36–1942), in der sich ein übereinstimmendes, stark überhöhtes Selbst- und Fremdbild ausprägte. Dies er-zeugte spätestens in der dritten Phase (1942–1945) eine stabile Gruppenidentität, die mit erstaunlichem Realitätsverlust einher ging. Die Dauer der einzelnen Ent-wicklungsschritte kann anhand des hier ausgewerteten Quellenmaterials nur an-nähernd bestimmt werden. Im Ganzen handelte es sich um eine fortschreitende, sich ständig überlagernde und schließlich kulminierende Welle.

Die für die Zeit vor 1933 zu konstatierende Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdbild der Ingenieure wich im Laufe des Untersuchungszeitraums einer na-hezu vollständigen Kongruenz. Ingenieure gefielen sich offenbar in der ihnen zugewiesenen überhöhten, staatstragenden Rolle und waren dankbar zu größten Anstrengungen bereit. Signifikante Unterschiede zwischen Eigenwahrnehmung (Selbstbild), Fremdwahrnehmung (Fremdbild-1) und subjektiver Einordnung der Fremdwahrnehmung (Fremdbild-2) spielten schließlich keine erkennbare Rolle mehr.

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Die durch eine Analyse der Beiträge in der ZVDI herausgearbeiteten Selbst- und Fremdbilder bestätigen nachdrücklich neuere Erkenntnisse zur Bedeutung der Technik und der Ingenieure im Nationalsozialismus. Dabei ist hinter dem durch die Ideologie vermittelten Fremdbild das machtpolitische Interesse der Na-tionalsozialisten deutlich zu identifizieren. Die Ingenieure ihrerseits verfolgten mit den von ihnen perpetuierten Selbstbildern offenkundig das Ziel gesellschaft-licher und politischer Anerkennung und Partizipation. Hinweise auf soziale Re-ferenzgruppen, die vormals erheblichen Einfluss auf die Selbstverortung der In-genieure ausgeübt hatten, sind dem Quellenmaterial nur vereinzelt zu entneh-men. Mit dem fortschreitenden Konsolidierungsprozess des Selbst- und Fremd-bildes scheint das klassische Konkurrenzverhältnis der Ingenieure zu Kaufleuten, Juristen und Militärs erheblich an Bedeutung verloren zu haben.

Das renommierte VDI-Mitglied Waldemar Hellmich (1880–1949) bemühte sich in der ersten Nachkriegsausgabe der ZVDI, den Nationalsozialismus als »äußere Hülle« vom traditionellen »Geist echter Demokratie« des VDI zu tren-nen96 und bewertete den Nationalsozialismus als »Katastrophe«, die über die un-politischen Experten hereingebrochen sei.97 Die Äußerungen des Vereins aus der NS-Zeit belegen dagegen, dass sich der VDI in hohem Maße mit dem System identifizierte.98 Ziele und Interessen beider Seiten deckten sich offenbar: Die Na-tionalsozialisten konnten an das überkommene Selbstbild des VDI in den we-sentlichen Punkten der Leistung und der Gemeinschaftsarbeit anknüpfen und die Ingenieure für ihre Ziele begeistern. In den untersuchten Quellen findet sich kei-nerlei Kritik an Kriegsvorbereitung, Kriegsführung oder den politisch Verant-wortlichen.99 Der VDI unterstützte Rüstungsproduktion und Mobilisierung tech-nischer Potentiale für den »Endsieg« vorbehaltlos bis zur bedingungslosen Kapi-tulation.100

Die Erkenntnis, dass sich der Techniker seiner Verantwortung nicht durch die gedankliche Trennung von fachlicher Leistung und der Anwendung seiner Hervorbringungen entziehen kann,101dass Technik eben »kein rationales Subsys-tem«102 im gesellschaftlichen Gefüge darstellt, setzt sich in Ingenieurskreisen erst in jüngster Zeit durch. Mittlerweile sind aber auch innerhalb des Ingenieurs-standes ernsthafte Bemühungen zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte zu ver-zeichnen.103 Pauschale Urteile sind dabei zu vermeiden. Vielmehr ist es Aufgabe der historischen Forschung, jeweils abzuschätzen, ob Kollaboration aus Oppor-tunismus, Überzeugung, Furcht oder aus einer Mischung all dieser Elemente er-folgte. Dabei sollten Bedingungen und Mechanismen bewusst gemacht werden, die Diktaturen hervorrufen können, nicht zuletzt auch um damit zu deren künfti-ger Verhinderung beizutragen.

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Anmerkungen

1 http://www.vdi.de/2560.0.html (letzter Zugriff am 19.05.2011). 2 P. Lundgreen: Das Bild des Ingenieurs im 19. Jahrhundert, in: M. Salewski / I. Stölken-

Fitschen (Hg.): Moderne Zeiten. Technik und Zeitgeist im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1994, S. 17–24, hier S. 17.

3 Chr. Kehrt: Zum Technikdiskurs im Zweiten Weltkrieg. Der Verein Deutscher Ingenieure 1939–1945, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 61 (2002), S. 49–71, hier S. 49. Zum VDI als repräsentativer Instanz für die Gesamtheit der in technisch-wissenschaftlichen Vereinen organisierten Ingenieure vgl. G. Hortleder: Das Gesellschaftsbild des Ingenieurs. Zum politischen Verhalten der Technischen Intelligenz in Deutschland, 3. Aufl. Frankfurt a. M. 1974 (EA 1970), S. 9.

4 H. P. Dreitzel: Elitebegriff und Sozialstruktur, Stuttgart 1962, S. 71. 5 Ebd., S. 160. Vgl. dazu auch Hortleder: Gesellschaftsbild, S. 9–11. 6 K.-H. Ludwig: Technik und Ingenieure im Dritten Reich, Königstein/Düsseldorf 1979

(unveränd. Nachdr. d. Erstausg. 1974), S. 241ff.; W. Lorenz / T. Meyer: Einführung, in: Dies. (Hg.): Technik und Verantwortung im Nationalsozialismus, Münster/New York/München/Berlin 2004, S. 4.

7 H. Klages / G. Hortleder: Gesellschaftsbild und soziales Selbstverständnis des Ingenieurs im 19. und 20. Jahrhundert, in: P. Lundgreen / A. Grelon (Hg.): Ingenieure in Deutschland, 1770–1990, Frankfurt a. M./New York 1994, S. 269–293; Hortleder: Gesellschaftsbild. Zur Einschätzung des »Ideologieverdachts« vgl. Lundgreen: Bild, S. 24.

8 A. v. Plato: Helden des Fortschritts? Zum Selbstbild von Technikern und Ingenieuren im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit, in: W. Füßl / St. Ittner (Hg.): Biographie und Technikgeschichte (BIOS-Sonderheft 1998), S. 127–165. Zu Plato vgl. auch Lorenz/Meyer: Einführung, S. 14.

9 Plato: Helden, S. 161–165; G. Wagner-Kyora: Vom »nationalen« zum »sozialistischen« Selbst. Zur Erfahrungsgeschichte deutscher Chemiker und Ingenieure im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2009.

10 Vor allem in Frankreich übte die 1794 gegründete renommierte Ecole Polytechnique, die Tugenden und Kenntnisse gleichzeitig vermittelte, einen kaum zu unterschätzenden Einfluss auf das Selbstbewusstsein der Ingenieure aus. In England genoss der »gentleman« mit guter Allgemeinbildung und hervorragendem technischem Können die gesellschaftliche Anerkennung. K.-H. Manegold: Universität, Technische Hochschule und Industrie. Ein Beitrag zur Emanzipation der Technik im 19. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der Bestrebungen Felix Kleins, Berlin 1970, S. 18ff.; Hortleder: Gesell-schaftsbild, S. 83f.

11 M. M. v. Weber: Die Stellung der deutschen Techniker im staatlichen und sozialen Leben, in: Populäre Erörterungen von Eisenbahn-Zeitfragen, Kap. VI, Wien/Pest/Leipzig 1877, S. 5.

12 Zur Universitäts- und Bildungsidee aus dem Geist des Neuhumanismus und des philosophischen Idealismus siehe Manegold: Universität, S. 26ff.

13 Th. Rohkrämer: Die Vision einer deutschen Technik. Ingenieure und das »Dritte Reich«, in: W. Hardtwig (Hg.): Utopie und politische Herrschaft im Europa der Zwischenkriegszeit, München 2003, S. 287–307, hier S. 289.

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14 Ebd., S. 291. Zur Rechtfertigung der betrieblichen Rationalisierung vgl. E. Heidebroek: Maschine und Arbeitslosigkeit. Vorgetragen in der Wissenschaftlichen Tagung des Vereines deutscher Ingenieure zu Berlin, 15. Oktober 1932, in: ZVDI 76 (1932), S. 1041–1048.

15 R. Dahrendorf: Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 1965, S. 433–437. 16 J. Herf: Reactionary Modernism. Technology, Culture and Politics in Weimar and the

Third Reich, Cambridge u. a. 1984; Ders.: Der nationalsozialistische Technikdiskurs. Die deutschen Eigenheiten des reaktionären Modernismus, in: W. Emmerich / C. Wege (Hg.): Der Technikdiskurs in der Hitler-Stalin-Ära, Stuttgart/Weimar 1995, S. 72–93. Herf verweist auf eine Lücke in der traditionellen Forschung über die geistigen Grundlagen des Nationalsozialismus, die dessen Verhältnis zur modernen Technik noch nicht berücksichtigte. Zur Kritik an Herf vgl. K.-H. Ludwig: Das Dritte Reich, seine Technik und Ingenieure, in: Lorenz/Meyer: Einführung, S. 19–30, hier S. 23 sowie A. Rabinbach: Nationalsozialismus und Moderne. Zur Technik-Interpretation im Dritten Reich, in: Emmerich/Wege: Technikdiskurs, S. 94–113, bes. S. 111. Zwar spreche Herf zu Recht von einer Kulturrevolution der Rechten, die danach strebte, die Technik mit einer romantischen Antimoderne und mit traditionellen Kulturidealen zu verbinden. Doch dies festzustellen, bedeute nicht unbedingt, dass der reaktionäre Modernismus auf den Nationalsozialismus einen entscheidenden Einfluss ausgeübt hätte.

17 Sombarts Deutscher Sozialismus von 1934 wurde in der ZVDI 79 (1935), S. 793f. allerdings sehr kritisch rezensiert. So meinte der Rezensent, W. G. Waffenschmidt (VDI), dass nicht nur »die technische Welt«, sondern auch »die Jugend« und »die Revolution« seine Einstellung ablehnen würden, »etwa als die eines griesgrämigen gänzlich bürgerlichen Geheimrats, oder die eines enfant terrible, das unter dem Zuckerguß auch bittere Mandeln auftischt […].« Technischer Fortschritt sei für Sombart gleich technischer »Fetischismus«. Für Sombart sei ein statischerer Zustand der Zivilisation und Kultur »gar nicht so schlimm: Die Welt wird seiner Ansicht nach ohne diese moderne Technik zu bescheidener Selbstgenügsamkeit gezwungen, und was sie an äußeren Mitteln entbehrt, kann sie an inneren Werten gewinnen«. Der Autor macht deutlich, dass Sombarts »Stellungnahme« nicht durch den politischen Augenblick bestimmt sei.

18 Rohkrämer: Vision, S. 291f.; Herf: Technikdiskurs, S. 82ff. Feder prägte die Parole von der »Brechung der Zinsknechtschaft« – vgl. hierzu das 25-Punkte-Programm der NSDAP vom 24. Februar 1920, Punkt 11, verfügbar unter:

www.dhm.de/lemo/html/dokumente/nsdap25 (Zugriff: 19.05.2011) – und den Gegensatz von germanischem Industriekapital (»schaffendes Kapital«) und jüdischem Finanz- und Handelskapital (»raffendes Kapital«).

19 Der etwas unscharfe Begriff der »Gemeinschaftsarbeit« umfasst die uneigennützige Zusammenarbeit von Fachleuten verschiedener Gebiete zur Lösung komplexer technischer Probleme zum Wohl der Allgemeinheit. Vgl. R. Stahlschmidt: Der Ausbau der technisch-wissenschaftlichen Gemeinschaftsarbeit 1918 bis 1933, in: K.-H. Ludwig / W. König (Hg.): Technik, Ingenieure und Gesellschaft. Geschichte des Vereins Deutscher Ingenieure 1856–1981, Düsseldorf 1981, S. 347–406, hier S. 349ff.

20 W. Parey: Die Ingenieurtage am Bodensee. Das Bekenntnis der deutschen Ingenieure zur neuen Staatsführung. 71. Hauptversammlung des VDI, Friedrichshafen–Konstanz, 27. bis 29. Mai 1933, in: ZVDI 77 (1933), S. 725–731, hier S. 726.

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21 Ebd., S. 725. Schult zitierte aus einer Kundgebung des VDI im Oktober 1932, um die Gesinnung des Vereins zu verdeutlichen. Vgl. Kundgebung des Vereines Deutscher Ingenieure, in: ZVDI 76 (1932), S. 1048; vgl. dazu E. Viefhaus: Ingenieure in der Weimarer Republik: Bildungs-, Berufs- und Gesellschaftspolitik 1918 bis 1933, in: Ludwig/König: Technik, S. 289–346, hier S. 338f.

22 R. Tröger: Gemeinnutz als Triebkraft technisch-wirtschaftlichen Fortschritts, in: ZVDI 78 (1934), S. 1337–1342. Vgl. auch Punkt 24 des 25-Punkte-Programms der NSDAP vom 24. Februar 1920, a. a. O., wo es u.a. heißt: »[Die Partei] bekämpft den jüdisch-materialistischen Geist in und außer uns und ist überzeugt, dass eine dauernde Genesung unseres Volkes nur erfolgen kann von innen heraus auf der Grundlage: Gemeinnutz vor Eigennutz.« Verfügbar unter: http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/nsdap25/ (Zugriff am 28.04.2011).

23 H. Schult: Organische Wirtschaftsgestaltung eine Ingenieuraufgabe, in: ZVDI 78 (1934), S. 761f.

24 K. Vormfelde: Technik in der Landwirtschaft, in: ZVDI 77 (1933), S. 513–518; C. H. Dencker: Industrie und Landwirtschaft im neuen Deutschland, in: ZVDI 78 (1934), S. 205–214.

25 L. Daeschner: »Maschinenstürmer«, in: ZVDI 78 (1934), S. 181f. Der Aufsatz des Stellvertretenden Leiters des Amtes für Sozialpolitik der Deutschen Arbeitsfront (DAF) diente der Bekämpfung des negativen Fremdbildes. Die Ingenieure begrüßten die Unterstützung ihres positiven Selbstbildes aus der Juristenschaft, nachdem der Führer der DAF, Staatsrat Robert Ley, darauf hingewiesen hatte, dass Deutschland nur durch neue Erfindungen und Maschinen gegen die Konkurrenz auf dem Weltmarkt ankommen könne.

26 K. Becker: Wehrtechnik, in: ZVDI 78 (1934), S. 249–252. Zur akademischen Laufbahn von Becker vgl. B. Ciesla: Ein »Meister deutscher Waffentechnik«. General-Professor Karl Becker zwischen Militär und Wissenschaft (1918–1940), in: R. v. Bruch / B. Kaderas (Hg.): Wissenschaften und Wissenschaftspolitik. Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2002, S. 263–281.

27 Schult: 1935! Unsere Aufgabe!, in: ZVDI 79 (1935), S. 1. Diese Fähigkeiten wurden den Ingenieuren auch von außen attestiert. So unterstrich der Leiter der Landesstelle Schlesien des Reichspropagandaministeriums Gunzer anlässlich der feierlichen Eröffnung der VDI-Ausstellung »Volk und Wirtschaft« in Breslau, dass der Ingenieur die Fragen des Wirtschaftslebens »klar, logisch, verständlich und im nationalsozialistischen Sinne« darzustellen vermöge. Dazu befähigten ihn die »Beschäftigung mit streng wissenschaftlichen Fragen einerseits« und sein »Idealismus andererseits«. Dazu kämen außerdem die »engen persönlichen Verbindungen mit dem handarbeitenden Menschen«. W. Parey: Technik ist Dienst am Volke! Rückblick auf die 73. Hauptversammlung des VDI mit dem 1. Tag der deutschen Technik und der 25-Jahrfeier der Technischen Hochschule Breslau, in: ZVDI 79 (1935), S. 819–830, hier S. 830.

28 Technik als Kultur- und Wirtschaftsgestalter. Aus den Fachgruppensitzungen »Technik als Kulturfaktor deutschen Lebens« und »Organische Wirtschaftsgestaltung durch technisches Denken« der 73. Hauptversammlung und des Tages der deutschen Technik in Breslau, in: ZVDI 79 (1935), S. 987. Da »Technik als Schöpfung des nordischen Rassengeistes« galt, war ihre weitere Entwicklung »nur dort fruchtbar, wo sie vom Geist dieser Rasse getragen« werde. Vgl. auch Parey: Technik, S. 828.

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29 Schult: 1935!, S. 1. 30 Technik als Kultur- und Wirtschaftsgestalter, S. 987. 31 Ebd. 32 Zum Begriff der »Entfremdung« bei Marx vgl. J. Rohbeck: Marx, Leipzig 2006, S. 50ff. 33 Technik als Kultur- und Wirtschaftsgestalter, S. 987; vgl. auch Parey: Technik, S. 828. Für

den Nationalsozialismus habe die Technik Vorrang vor der Wirtschaft und zwar aus dem gleichen Grund, wie die »Rasse« Vorrang vor allem anderen habe. Denn die Technik sei gegenwärtig Ausdruck der »schöpferischen Rasse«, die Wirtschaft hingegen nicht: »Nicht die Technik hat versagt, nein, die Wirtschaftsmethoden kamen nicht mit. Und hier gilt es, den vorwärtsstürmenden Geist der Technik zu übertragen, mit all der Bescheidenheit, die naturwissenschaftlich exaktem Denken entspricht.« Auch an dieser Stelle kann man Elemente der Marx’schen Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen erkennen. Vgl. dazu auch Herf: Technikdiskurs, S. 83.

34 In einem Bericht von 1947 über die »Einstellung des VDI zum Nationalsozialismus, zum Militarismus und zum Monopolkapitalismus während der Jahre 1933–1945« heißt es: »Der VDI ist in den Jahren 1933 bis 1945 weder ein nationalsozialistischer Verein gewesen, noch hat er unter nationalsozialistischen Einflüssen gestanden. Er hat lediglich die äußerlichen Zugeständnisse gemacht, die unumgänglich waren, wenn er nicht sein Bestehen aufgeben wollte.« Zitiert nach Hortleder: Gesellschaftsbild, S. 134f.

35 Vgl. H. Mehrtens: Kollaborationsverhältnisse: Natur- und Technikwissenschaften im NS-Staat und ihre Historie, in: Chr. Meinel / P. Voswinckel (Hg.): Medizin, Naturwissenschaft, Technik und Nationalsozialismus. Kontinuitäten und Diskontinuitäten, Stuttgart 1994, S. 13–32.

36 Rassische Voraussetzungen für die Mitgliedschaft im VDI (Angelegenheiten des Vereins), in: ZVDI 79 (1935), S. 1210.

37 Begrüßungsansprache des Vorsitzenden Schult auf der 72. Hauptversammlung des VDI am 10. Juni 1934 in Trier: Schult: Wirtschaftsgestaltung, S. 761f.

38 »Unterkommission für Wirtschaftstechnik und Arbeitsbeschaffung in der Münchener Reichsleitung der NSDAP«, vgl. Ludwig: Technik, S. 111.

39 Dies geschah wenige Tage vor der 72. Hauptversammlung. Vgl. Schult: Wirtschafts-gestaltung, S. 762. Die U III b wurde Ende Mai 1934 von Heß aufgelöst. An ihre Stelle trat ein »Amt für Technik« in der NSDAP, das schließlich das gesamte technische Schaffen und die angeschlossenen Verbände (NSBDT und RTA) kontrollieren sollte. Zur Auflösung der U III b und des KDAI vgl. Ludwig: Technik, S. 124–126. Die Mitglieder des KDAI wurden vom NSBDT übernommen. Dem NSBDT wurde die grundsätzliche Bearbeitung politischer Fragen übertragen.

40 Im Juni 1933 hatten sich die größeren technisch-wissenschaftlichen Vereine mit insgesamt rund 60.000 Mitgliedern unter Führung des VDI zur RTA zusammengeschlossen. Nach Ludwig: Technik und Ingenieure, S. 119, empfahl es sich nach den gewaltsamen Übernahmeversuchen des KDAI im Frühjahr 1933, den neuen Machthabern ein Stück entgegenzukommen, indem man das politisch missliebige Vereinswesen optisch in den Hintergrund treten ließ. Gleichzeitig diente die RTA der Koordinierung der technisch-wissenschaftlichen Fachverbände und damit in erster Linie der technisch-wissenschaftlichen Arbeit. Todt wurde im Dezember 1933 von Rudolf Heß offiziell zum Leiter des RTA ernannt. Er beabsichtigte, die Fachverbände zwar weiter bestehen zu lassen, sie jedoch den technischen, militärischen und wirtschaftlichen Zielen der Partei

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unterzuordnen. Im Dezember 1934 übernahm Todt dann auch die Leitung des NS-Amtes für Technik und des NSBDT von Feder, der in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurde. Vgl. Th. P. Hughes: Ideologie für Ingenieure, in: Technikgeschichte 48 (1981), S. 308–323, hier S. 316.

41 Parey: Technik, S. 819–830. 42 Das konnten die Ingenieure bereits Rosenbergs Hauptwerk entnehmen: »Wer heute

blindwütig über ›die Technik‹ zetert und auf sie Verwünschungen über Verwünschungen häuft, der vergisst, dass ihr Hervortreten auf einen ewigen germanischen Antrieb zurückgeht, der dann auch mit ihrem Untergang ebenfalls verschwinden müsste. Das aber würde uns erst recht einer Barbarei ausliefern…« A. Rosenberg: Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit, 33.–34. Aufl. München 1934 (EA 1930), S. 142–143.

43 Vgl. Rohkrämer: Vision, S. 299f. Die Zeitschrift Deutsche Technik druckte offenbar die stärker ideologisch gefärbten Passagen der Rede ab. Vgl. Tag der deutschen Technik. Rudolf Heß, Alfred Rosenberg und Dr.-Ing. Todt über die Aufgaben der Technik im neuen Staat, in: Deutsche Technik 3 (1935), S. 367f.

44 Parey: Technik, S. 821. 45 Vgl. Rohkrämer: Vision, S. 300; vgl. H. Weinreich: Rezension zu: Carl Weihe, Kultur und

Technik, Frankfurt a. M. 1935, in: ZVDI 80 (1936), S. 195. Der Autor Carl Weihe sei philosophisch stark von Schopenhauer beeinflusst und betrachte Technik als »Objektivation des Willens«.

46 H. Schult: Zum Zusammenschluss der Technik, in: ZVDI 81 (1937), S. 525; An der Schwelle des neuen Jahres, in: ZVDI 82 (1938), S. 1f.

47 Es waren dies die bisherigen Fachgruppen a) Mechanische Technik und allgemeine Ingenieurwissenschaften, b) Elektrotechnik, Gas und Wasser, c) Chemie, d) Hüttenwesen, Bergbau sowie e) Bauingenieurwesen. Der VDI war mit der Bildung bzw. Leitung der Fachgruppe a beauftragt worden. Vgl. Angelegenheiten des Vereines (Anordnung des Stellvertreters des Führers vom 20. November 1936), in: ZVDI 81 (1937), S. 364.

48 An der Schwelle, S. 1. 49 Ebd., vgl. auch P. Goerens: Mensch und Arbeit (vorgetragen vor dem Internationalen

Kongress für berufliches Bildungswesen am 25. Juli 1938 in Berlin), in: ZVDI 82 (1938), S. 1037–1042, hier S. 1042, der ausführt, dass »Technik, Wirtschaft und Arbeit« nicht »Selbstzweck« seien, sondern einem »überwirtschaftlichen Zweck« dienten, nämlich der »Erhaltung des Volkes und der Erfüllung der von der Staatsführung gestellten Aufgaben«. Der hier anklingende Altruismus erwies sich als fixer Topos in der Selbst- und Fremdbeschreibung von Ingenieuren.

50 An der Schwelle, S. 1. 51 Ebd. 52 Ebd. S. 1f. mit zahlreichen Bespielen aus Sicht der Ingenieure. 53 Zur Ȇberschneidung der Erwartungshorizonte der Ingenieure als gesellschaftlicher

Gruppe mit den politischen Interessen der neuen Machthaber« vgl. Kehrt: Technikdiskurs, S. 52.

54 An der Schwelle, S. 2. 55 W. Parey: Die Ingenieurtage in Darmstadt. 80-Jahrfeier des VDI und 100-Jahrfeier der

Technischen Hochschule, in: ZVDI 80 (1936), S. 797–806, hier S. 805. Die Tagung der Jungingenieure, die seit zwei Jahren im Rahmen der Hauptversammlung des VDI

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durchgeführt wurde, gab schließlich noch einmal Gelegenheit, das »politische Wollen der deutschen Ingenieure öffentlich herauszustellen«.

56 Mit Stäbel war 1934 ein absolut linientreuer Parteimann zum zweiten Direktor des VDI neben Georg Garbotz eingesetzt worden. Stäbel war seit 1929 in der NSDAP, Mitglied des Reichstags und bis zu seinem Eintritt in den VDI Führer der Reichsschaft Deutscher Studierender. Er sollte als VDI-Direktor »sich insbesondere um die Heranziehung des Ingenieurnachwuchses bemühen«. Bericht über die Vorstandssitzung am 29. Oktober 1934, in: ZVDI 78 (1934), S. 1415f., hier S. 1415. Vgl. Hortleder: Gesellschaftsbild, S. 117f.

57 Parey: Ingenieurtage in Darmstadt, S. 805. 58 H. Seidel: Die Ingenieurtage 1938 in der Stadt der Auslandsdeutschen Stuttgart, in: ZVDI

82 (1938), S. 761–769, hier S. 766–768. Die 76. Hauptversammlung fand vom 27. bis 31. Mai 1938 statt.

59 Vgl. C. Welkner: Der Ingenieurnachwuchs, in: ZVDI 82 (1938), S. 689–693, hier S. 689: »Unbestreitbar besteht in Deutschland ein starker Mangel an Ingenieuren.« Vgl. auch Ludwig: Technik, S. 271–278.

60 Vgl. Welkner, a. a. O., S. 693: »Es wäre bestimmt falsch, wenn man, um den Ingenieurmangel zu beheben, die Anforderungen an den technischen Nachwuchs herabsetzte. Wir sind von der Bedeutung des Ingenieurs und der Wichtigkeit seiner Leistungen im Rahmen des Aufbauprogrammes überzeugt und wünschen deshalb dringend, dass sich unsere Jugend mehr als bisher dem technischen Beruf zuwendet. Wir wünschen aber auch gleichzeitig, dass nur diejenigen zu uns kommen, die sich wirklich aufgrund ihrer Neigung und Befähigung ›berufen‹ fühlen.«

61 Seidel: Ingenieurtage, S. 767; vgl. auch F. Todt: Männer der deutschen Technik!, in: ZVDI 82 (1938), S. 364: »Auf der wertvollen Tradition deutschen Studententums baut der NSD-Studentenbund in seinen Kameradschaften Lebensgemeinschaften auf, die berufen sind, aus dem Geiste der Weltanschauung des Nationalsozialismus heraus unseren Nachwuchs auf den deutschen technischen Fach- und Hochschulen zur Gemeinschaftsgesinnung, zu Ehrbewusstsein, Pflichtgefühl und tadelloser äußerer Haltung zu erziehen. Die Kameradschaften wollen aus unseren Studenten nationalsozialistische Männer machen, die im späteren Leben Gewähr für höchsten beruflichen und politischen Einsatz geben. […] Männer der deutschen Technik! Die technische Jugend ruft uns zum Beitritt in die NS-Studentenkampfhilfe. Wir folgen diesem Ruf!«

62 Rohkrämer: Vision, S. 301f. 63 Vier Ingenieure Träger des Nationalpreises 1938, in: ZVDI 82 (1938), S. 1093. 64 Im Reichstagssaal der Kroll-Oper in Berlin. Rationalisierungstagung 1938 des Vereines

Deutscher Ingenieure im NS-Bund Deutscher Technik (Ankündigung), in: ZVDI 82 (1938), S. 1264.

65 H. Kölzow: Rationalisierungstagung, in: ZVDI 82 (1938), S. 1313. 66 Ebd. Als ein wesentliches Merkmal der Technik hatte der damalige VDI-Vorsitzende

Anton von Rieppel in einem im Kriegsjahr 1917 geschriebenen Aufsatz die »Erziehung zum Wirkungsgrad« bezeichnet. A. v. Rieppel: Ingenieur und öffentliches Leben, in: ZVDI 61 (1917), S. 987–992, hier S. 991. Vgl. auch Leistungssteigerung. Zur Rationalisierungs-Tagung des VDI am 27. Oktober 1938, in: ZVDI 82 (1938), S. 1265–1267, hier S. 1265. Der Rieppel-Aufsatz wird dort folgendermaßen paraphrasiert: »Die ausgeprägte Eigenart des Ingenieurberufes sei die bewusste Betonung des Zweckvollen, die unbefangene

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Prüfung und grundsätzliche Zulassung aller Möglichkeiten, die daraus folgende günstigste Gestaltung des Verhältnisses zwischen Erfolg und Aufwand.«

67 Kölzow: Rationalisierungstagung, S. 1313. 68 Kehrt: Technikdiskurs, S. 58f. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte das Muster – unter

freilich veränderten Rahmenbedingungen – wieder, da infolge des Ost-West-Konflikts der Erfolg oder Misserfolg divergierender gesellschaftspolitischer Vorstellungen nicht zuletzt an technisch-ökonomischen Leistungen gemessen wurde. Vgl. Hortleder: Gesellschaftsbild, S. 141.

69 Dr.-Ing. Todt, Reichsminister für Bewaffnung und Munition, in: ZVDI 84 (1940), S. 228. 70 Ebd. 71 Verein Deutscher Ingenieure im NSBDT, Reichsminister Dr.-Ing. Todt. Geboren 4.

September 1891. Gestorben 8. Februar 1942 (Nachruf), in: ZVDI 86 (1942), S. 97–99; vgl. Kehrt, a. a. O., S. 57.

72 Vgl. Ludwig: Ingenieure im Dritten Reich, 1933–1945, in: Lundgreen/Grelon: Ingenieure, S. 338–352, hier S. 351. Zur fälschlichen Stilisierung Todts zum »Widerstandskämpfer« vgl. R. Hachtmann: Forschen für Volk und »Führer«. Wissenschaft und Technik, in: D. Süß / W. Süß (Hg.): Das »Dritte Reich«. Eine Einführung, München 2008, S. 205–225, hier S. 220.

73 F. Todt: Männer der deutschen Technik!, in: ZVDI 86 (1942), S. 1. 74 A. Speer: Männer der deutschen Technik!, in: ZVDI 86 (1942), S. 161. 75 Arbeitssitzung des Vorstandsrates, in: ZVDI 87 (1943), S. 303f. 76 Der Dr. Fritz-Todt-Preis, in: ZVDI 88 (1944), S. 113–115, hier S. 114. 77 Kehrt: Technikdiskurs, S. 58. 78 Vgl. ebd., S. 68. 79 Ebd., S. 50. So machte Hanns Benkert auf der Vorstandsratssitzung am 15.02.1943

deutlich, dass für die Arbeit des VDI immer wieder »selbstloser Dienst an der Gemeinschaft und höchste fachliche Leistung« gelte. Arbeitssitzung, S. 303.

80 A. Speer: Aufruf zum Jahreswechsel, in: ZVDI 87 (1943), S. 33. 81 Laut Kehrt: Technikdiskurs, S. 55, der sich auf eine Quelle des Bundesarchivs stützt,

wurde dieser Brief auf der Vorstandsratssitzung vom 15.02.1943 erwähnt. 82 A. Speer: Denkschrift an Hitler vom 25.01.1944, zit. n. Kehrt: Technikdiskurs, S. 55, Anm.

36: »Sie haben mir zu Beginn meiner Tätigkeit als Minister den entscheidenden Rat gegeben, mich bei dem Aufbau der Kriegswirtschaft als wichtigstes Glied des Technikers zu bedienen.«

83 In einer Anordnung wies Speer die Ringe und Ausschüsse seines Ministeriums an, sich bei ihren Arbeiten der »bewährten technisch-wissenschaftlichen Organisationen zu bedienen«. Arbeitssitzung, S. 303.

84 Vgl. ebd. 85 A. Speer: Männer der Technik!, in: ZVDI 88 (1944), S. 1. Bei Speer selbst traten zu

diesem Zeitpunkt zahlreiche Symptome körperlicher und psychischer Überanstrengung auf. Am 18. Januar 1944 wurde er im Zustand völliger Erschöpfung und einem Kollaps nahe in eine Klinik in Hohenlychen, einige Kilometer nördlich von Berlin, eingeliefert. Vgl. J. C. Fest: Speer. Eine Biographie, Berlin 1999, S. 268; M. Schmidt: Albert Speer. Das Ende eines Mythos, 2. Aufl. Berlin 2005 (EA 1982), S. 107.

86 Benkert war Direktor, später Vorstandsmitglied der Siemens-Schuckertwerke AG, 1935/36 Berliner VDI-Vorsitzender und von 1943 bis 1945 Vorsitzender des Hauptvereins. Bereits

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unter Todt einer der zentralen Ingenieure im Kriegseinsatz, reorganisierte er im Auftrag Speers die Normungsarbeit. Vgl. St. Poser: Der Berliner VDI – Das erste Jahrhundert (1856–1945), in: S. Brandt / Ders. (Hg.): Zukunft des Ingenieurs – Ingenieure der Zukunft. 150 Jahre VDI Berlin-Brandenburg. Eine Einschätzung der Zukunft aus Kenntnis der Herkunft, Berlin 2006, S. 89–229, hier S. 157, Anm. 289.

87 H. Benkert: Unsere Aufgaben im Neuen Jahr, in: ZVDI 88 (1944), S. 1f., hier S. 2. 88 H. Ude: Der VDI im sechsten Kriegsjahr, in: ZVDI 89 (1945), S. 1–10, hier S. 1. 89 Ebd. Die Figur Gneisenaus diente der nationalsozialistischen Propaganda, beispielsweise

im Filmprojekt »Kolberg«, die Bevölkerung gegen die anrückenden feindlichen Truppen zu mobilisieren. Aus dem Beispiel der 1807 gegen die napoleonischen Heere verteidigten Ostseestadt wollte Goebbels ein Fanal des Widerstandswillens machen. Vgl. S. Behrenbeck: Der Kult um die toten Helden. Nationalsozialistische Mythen, Riten und Symbole 1923–1945, Greifswald 1996, S. 577; Fest: Speer, S. 329.

90 K. Heinrich: Die Technischen Truppen im Ostfeldzug, in: ZVDI 87 (1943), S. 34–41. 91 Vgl. P. Münch: Kommandeur eines Technischen Kommandos, Einsatz der Technischen

Kommandos in Warschau, in: ZVDI 84 (1940), S. 125–129, hier S. 129: »Besondere Anerkennung gebührt den Soldaten der Technischen Kommandos, die durch höchste Pflichterfüllung, eiserne Selbstdisziplin, überlegene Haltung, durch ihr Wissen und Können und ihre sittliche Kraft sich die Achtung und den Dank aller in Betracht kommenden Dienststellen erworben haben.«

92 Heinrich: Truppen, S. 41, zur »ostischen Psyche« siehe S. 35. 93 W. Parey: Rezension zu: Ferdinand Fried, Die soziale Revolution. Verwandlung von

Wirtschaft und Gesellschaft, Leipzig 1942, in: ZVDI 87 (1943), S. 796: »Wie sehr es [das Buch] den Ingenieur anspricht, versteht sich bei der Rolle, die die Technik in dieser Geschichtsbetrachtung spielt, von selbst.« Der Rezensent beklagt, dass die landläufige Geschichtsschreibung vor den »tiefen Wandlungen der Geschichte durch die Technik« die Augen immer noch zu sehr verschließe. Die Vorstellung, dass die USA und die Sowjetunion von »verwandtem Geiste« seien (Fried), entsprach der Weltanschauung Hitlers, wie er sie noch in seiner letzten Reichstagsrede am 26. April 1942 zum Ausdruck brachte. Vgl. M. Domarus (Hg.): Adolf Hitler. Reden und Proklamationen 1932–1945. Kommentiert von einem deutschen Zeitgenossen, (Teil II Untergang, Vierter Band 1941–1945), 4. Aufl. Leonberg 1988 (EA 1973), S. 1865ff.

94 Benkerts Automatisierungsfeldzug ließ man dabei besser außer Acht. Vgl. H. Benkert: Wir müssen vielmehr automatisieren, in: Rundschau Deutscher Technik, 04.09.1941; Kehrt: Technikdiskurs, S. 60; U. Herbert: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des »Ausländer-Einsatzes« in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Neuaufl. Bonn 1999 (EA 1985).

95 O. Dyckhoff: Probleme der Massenfertigung. I. Technisch-wirtschaftliche Voraussetzungen und betriebliche Aufgaben, in: ZVDI 86 (1942), S. 587–590, hier S. 590. Auch Dyckhoffs Ansichten glichen denen seines »Führers«, die dieser beispielsweise am 04.02.1943 im Führerhauptquartier äußerte. Für Hitler war es der »kulturelle Hochstand deutscher Arbeiter«, der eine andere Arbeitsorganisation als in der Sowjetunion verlangte. Dort würden »Menschen ihrer Primitivität« überlassen und das ermögliche »eine viel totalere Art der Kriegführung«. Zitiert nach Rainer Zitelmann, Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs, 4. erw. Neuaufl., München 1998 (EA 1987), S. 480.

96 W. Hellmich: Der geistige Aufbruch der deutschen Ingenieure, in: ZVDI 90 (1948), S. 2–7, hier S. 2.

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97 Zur Kontinuität des Selbstbildes nach dem Krieg vgl. G. Eichelberg: Bestand der

Technik, in: ZVDI 90 (1948), S. 297–303. »Katastrophen apokalyptischen Ausmaßes« seien »irgendwie« mit Technik verknüpft. Gleichzeitig werden jedoch die vertrauten Bilder der »schöpferischen Kräfte« im »Dienst« für die »Gemeinschaft« gebraucht. Vgl. auch A. Gottwaldt / S. Klewin: Technik. Macht. Krieg. Vorbemerkungen zu Buch und Ausstellung, in: D. Böndel u. a.: Ich diente nur der Technik. Sieben Karrieren zwischen 1940 und 1950, Berlin 1995, S. 9–14, hier S. 10. Während die Memoiren Speers nachträglich den »unpolitischen Fachmann« konstruieren, teilten die Ingenieure des VDI die rassistisch-antisemitische Position des Nationalsozialismus. Vgl. A. Speer: Erinnerungen, Frankfurt a. M./Berlin 1969; Kehrt: Technikdiskurs, S. 65.

98 Ebd., S. 70. 99 Vor dem Wissenschaftlichen Beirat des VDI kritisierte P. A. Thiessen am 24. März 1944

allerdings die Vernachlässigung der Grundlagenforschung, die er als notwendig für eine effektive Kriegsführung ansah. Vgl. Arbeitssitzungen des Wissenschaftlichen Beirates des VDI und der Vorsitzenden und wissenschaftlichen Berater der VDI-Bezirksverbände, in: ZVDI 88 (1944), S. 528; Ude: VDI, S. 1. Zu Thiessen, der nach dem Zweiten Weltkrieg Karriere im Atomprogramm der Sowjetunion machte und es bis in den Staatsrat der DDR brachte, vgl. Kehrt: Technikdiskurs, S. 63, Anm. 95.

100 Anderer Ansicht noch Ludwig: Technik, S. 202. Auch die Behauptung, dass der VDI in seiner »Feldpost« ein widerständiges Verhalten gezeigt habe, lässt sich nach Kehrt nicht aufrechterhalten. Vgl. K.-H. Ludwig: Der VDI als Gegenstand der Parteipolitik 1933 bis 1945, in: Ders./König: Technik, S. 407–427, hier S. 422; Kehrt: Technikdiskurs, S. 67.

101 Gottwaldt/Klewin: Technik, S. 10. 102 Kehrt: Technikdiskurs, S. 70. 103 Poser: VDI, S. 147–166. 2006 hat der VDI hat eine »Geschichte des Ingenieurs«

herausgegeben, die die NS-Zeit nicht ausspart: W. Kaiser / W. König (Hg.): Geschichte des Ingenieurs. Ein Beruf in sechs Jahrtausenden, München 2006.

Anschrift des Verfassers Martin Schwarz, M.A. Technische Universität Dresden Lehrstuhl für Technik- und Technikwissenschaftsgeschichte 01062 Dresden

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»How much can a Scientist do for his country?« Praxis und Selbstwahrnehmung amerikanischer Ingenieure im

Kalten Krieg

Lars Bluma

Entstehung und Entfaltung des Militärisch-Industriellen Komplexes in den USA haben eine vielfältige Literatur in der amerikanischen Geschichtswissenschaft hervorgebracht. Dennoch ist es auffällig, dass die bisherigen Arbeiten sich auf die ökonomischen und technischen Aspekte sowie die Institutionalisierung von Netzwerken zwischen Militär, Staat, Wirtschaft und Wissenschaft beschränken und dabei kulturhistorische Fragestellungen weitgehend außen vor lassen. Den Transformationsprozess der amerikanischen Ingenieurwissenschaften während und nach dem Zweiten Weltkrieg, der hier untersucht wird, betrafen jedoch alle drei Dimensionen von Technik, die Historiker gemeinhin untersuchen: das Sozi-ale, die Technik und die Kultur.

Arnold Pacey hat in seiner Abhandlung The Culture of Technology die in den 1980er Jahren etablierten sozial- und technikhistorischen Methoden und Frage-stellungen um eine kulturelle Dimension erweitert.1 Nach seinem Konzept ver-binden sich in der »technologischen Praxis« sowohl technische Aspekte, die die technische Genese im engeren Sinne, die Maschinen, Werkzeuge, natürlichen und künstlichen Ressourcen, das bewusste und unbewusste Wissen der Ingenieu-re sowie deren Erfahrung umfassen, als auch organisatorische oder besser soziale Aspekte, in denen die ökonomischen und industriellen Tätigkeiten von Produ-zenten und Konsumenten sowie die Professionalisierung der technischen Exper-ten aufgehen. Komplettiert wird das »technologische Dreieck« durch die kultu-rellen Aspekte, die die Werte, Ziele und Ideologien der Akteure sowie deren Kreativität und Fortschrittsauffassung abbilden.2

Auch wenn hier nicht im Detail der Terminologie Paceys gefolgt werden soll – vor allem was die Begrifflichkeit von Technik und Technologie angeht –, ist seiner Forderung nach einer integrativen Technikbetrachtung, die die techni-schen, sozialen und kulturellen Aspekte von technischer Praxis und Entwicklung einbezieht, zuzustimmen. Die historische Analyse von technischen Innovationen, so ließe sich resümieren, bleibt ohne Einbezug der kulturellen Bedingungen für die Durchsetzung oder das Scheitern technischer Entwicklungen unvollständig. Ziel einer kulturhistorisch erweiterten Technikgeschichte ist somit die Analyse von Wahrnehmungsweisen und Sinndeutungen der Akteure sowohl auf der Seite der Technikproduzenten als auch der -konsumenten sowie der diskursiven und

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bildlichen Repräsentationen von Technik. Es soll jedoch betont werden, dass ein isolierter kultureller Ansatz, der meint, ohne die soziale und materielle Dimensi-on von Technik auskommen zu können, zu kurz greift. Weder lassen sich sym-bolische bzw. semantische Deutungssysteme von ihren sozialen Trägern lösen, noch sind Deutungszuschreibungen unabhängig von der Funktion und Materiali-tät technischer Artefakte und Systeme. Vielmehr stehen kulturelle Sinndeutun-gen, soziale Institutionen und Technik in einem Wechselverhältnis zueinander; sie bilden ein heterogenes Ensemble.3 Die Technik- und Wissenschaftsgeschich-te befindet sich seit einigen Jahren in einer fruchtbaren Debatte darüber, wie vor allem die technische, artefaktbezogene und dingliche Dimension der Technik in sozial- und kulturhistorische Theorien und Methoden eingebettet werden kann. Die Leistungsfähigkeit einer kulturhistorischen Erweiterung der Technikge-schichte hat unlängst Mikael Hard in einem Literaturüberblick dokumentiert.4

Ziel dieses Beitrags ist es, den Transformationsprozess der amerikanischen Ingenieurwissenschaften seit dem Zweiten Weltkrieg als einen kulturellen Pro-zess zu verstehen. Kultur wird in Hinblick auf eine soziale Gruppe im Sinne von Sharon Traweek verstanden: »...a community is a group of people with a shared past, with ways of recognizing and displaying their differences from other groups, and expectations for a shared future. Their culture is the ways, the strate-gies they recognize and use and invent for making sense.«5

Im Zentrum stehen die rhetorischen und bildlichen Selbstbeschreibungen und Repräsentationen der amerikanischen Ingenieurwissenschaften, die exemplarisch anhand von Werbe- und Stellenanzeigen in der amerikanischen Fachzeitschrift Scientific American untersucht werden. Allerdings lässt sich die kulturelle Di-mension des hier dargestellten Transformationsprozesses der amerikanischen Ingenieurwissenschaft keineswegs auf ikonologische Umbrüche reduzieren. Um überhaupt die repräsentative Kraft der analysierten Bildquellen einschätzen zu können, ist es notwendig, diese in Verbindung zu setzen mit den sozialen, politi-schen und technischen Entwicklungen des Untersuchungszeitraums, denn Bilder sind in ihrer Vieldeutigkeit nicht aus sich selbst heraus historisch analysierbar.6 Vielmehr müssen diese mit den klassischen Schriftquellen in Bezug gesetzt wer-den.

Hierbei wird auf die fundamentalen Umbrüche der amerikanischen Ingeni-eurwissenschaften während des Zweiten Weltkriegs rekurriert. In dieser Zeit wurde ein tiefgreifender technischer, organisatorischer und kultureller Wandel initiiert der im Kalten Krieg in eine lang anhaltende und sehr stabile Struktur überführt wurde. Prägend war die Etablierung des Militärisch-Industriellen Komplexes, ein Begriff, der die neuen sozialen Institutionen und Netzwerke so-wie die militärtechnische Ausrichtung der Forschung bezeichnet, in dem aller-

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dings auch die kulturelle Dimension einbezogen werden sollte. Auch wenn die Einbettung der Ingenieurwissenschaften in die militärischen und politischen Netzwerke Strukturen etablierte, die bis heute in den USA Wirksamkeit haben, konzentriert sich die folgende historische Analyse auf Entwicklungen bis in die 1960er Jahre. Entstehung des Militärisch-Industriellen Komplexes im Zweiten Weltkrieg Wer historische Transformationsprozesse während des Kalten Krieges be-schreibt, kann auf eine Betrachtung des Zweiten Weltkrieges und seiner Folgen für die amerikanischen Ingenieurwissenschaften nicht verzichten. Eigentlich müsste sogar ein Rückgriff auf die Zeit der Großen Depression und des New Deal erfolgen, weil sich hier zum ersten Mal in den USA eine bundesstaatliche Technologiepolitik entwickelte, die das ideologische Projekt des wissenschaft-lich-technischen Fortschritts nicht mehr ausschließlich dem privatwirtschaftli-chen Unternehmertum überlassen wollte, sondern dieses als eine staatliche Auf-gabe ansah.7

In Bezug auf die amerikanische Wissenschafts- und Technologiepolitik gilt der Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 jedoch als ein bedeutsamerer Wendepunkt. Zu Diskussionen in der »scientific community« der Ingenieure und Naturwissenschaftler, ob ein Kriegseintritt der USA zu erwarten wäre und wie in diesem Fall die Wissenschaften für einen Krieg mobilisiert werden könnten, kam es aufgrund der schnellen Erfolge der deutschen Wehrmacht in Polen im Sep-tember 1939 und im anschließenden Feldzug gegen Frankreich im Mai und Juni 1940. Als ein einflussreicher Vertreter der Interventionisten, die ein militärisches Engagement der USA in Europa forderten, erwies sich der Präsident der Harvard University, James B. Conant (1893–1978), der vehement forderte, dass die Wis-senschaften für einen Kriegseintritt vorbereitet werden müssten.8 Conant fungier-te später als eine Schaltstelle zwischen Militärbürokratie und Wissenschaft bei der militärischen Atomforschung und war von 1953 bis 1957 Botschafter bzw. »high commissioner« in Westdeutschland. Das Netzwerk der Interventionisten in Wissenschaft und Politik wuchs beständig, so dass der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt (1882–1945) im Juni 1940, also schon vor Kriegseintritt der USA, eine neue Organisation der Wissenschaftskoordinierung aus der Taufe hob, welche die Mobilisierung der Natur- und Ingenieurwissenschaften garantie-ren sollte. Die neu geschaffene Wissenschaftsorganisation, das National Defense and Research Committee (NDRC), ging zurück auf eine Initiative eines anderen Schwergewichtes der amerikanischen Wissenschaften, nämlich auf Vannevar Bush (1890–1974). Bush hatte erste wissenschaftliche Erfolge Ende der 1920er

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Jahre am Massachusetts Institute of Technology (MIT) erzielt, wo er, von Hause aus Elektrotechniker, Rechenmaschinen zur Lösung von Differentialgleichungen entwickelte.9 Bushs aufwändige Rechnerprojekte erforderten zum einen eine ge-sicherte Finanzierung, zum anderen aber auch einen ausreichend großen Kreis von Abnehmern, so dass er bald als Wissenschaftsorganisator tätig wurde, der weit reichende Netzwerke mit Industrieunternehmen, den großen wissenschaftli-chen Förderinstitutionen der USA – Rockefeller Foundation und Carnegie Cooperation – sowie dem Militär knüpfte. Die Erfahrungen mit den militärischen Dienststellen der Navy, die an einer Dechiffriermaschine interessiert waren, soll-ten für Bushs Konzept des NDRC prägend werden.10

Die Zusammenarbeit mit der Militärbürokratie gestaltete sich für Bush äußerst schwierig, was unter anderem zum Scheitern der Kooperation führte. Nicht nur die direkten Eingriffe der Militärs in die Forschungspraxis wurden von ihm kriti-siert, sondern auch die herablassende Art, mit der Ingenieure und Wissenschaft-ler behandelt wurden. Für Bush war es zwar unstrittig, dass Ingenieurwissen-schaften, Industrie und Militär besser miteinander verzahnt werden müssten, er pochte aber auf die Autonomie der Wissenschaftler, ganz wie es dem bis dato gültigen Leitbild der amerikanischen Universitäten entsprach.11 Bush – inzwi-schen Leiter des National Advisory Committee on Aeronautics (NACA) und Präsident der Carnegie Cooperation – konnte seine Vorstellungen von einer Mo-bilisierung der Wissenschaftler für den Krieg Roosevelt am 12. Juni 1940 vor-tragen. Als angesehener Ingenieur mit Kontakten zum Militär und als führender Wissenschaftsorganisator ernannte der Präsident Bush drei Tage später zum Vor-sitzenden des NDRC, das nun die zentrale Organisation für die Koordinierung der Militärforschung werden sollte. Bush konnte schnell andere gewichtige Ak-teure des amerikanischen Wissenschaftssystems im NDRC einbinden. Dazu zählten der schon erwähnte James B. Conant, Frank B. Jewett (1879–1949), Vor-sitzender der National Academy of Science und Leiter einer der größten privat-wirtschaftlichen Forschungsinstitutionen, der Bell Telephone Laboratories, Karl T. Compton (1887–1954), Präsident des MIT sowie Richard C. Tolman (1881 –1948), ein Physiker am California Intitute of Technology (Caltech), der die Ver-bindung zu den Forschungseinrichtungen der Westküste sicherte sowie Conway P. Coe als Leiter der amerikanischen Patentbehörde.

Als zivile Organisation war das NDRC keiner militärischen Dienststelle ver-antwortlich. Das Militär war im organisatorischen Rahmen des NDRC jedoch über zwei Mitglieder auf der Führungsebene vertreten, diese wechselten jedoch häufig und ihr Einfluss war gering.12 Die erste Handlung der NDRC-Mitglieder war die Erstellung einer Übersicht über die laufenden kriegsrelevanten For-schungsprojekte und über die militärtechnischen Bedürfnisse der einzelnen Waf-

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fengattungen. Im zweiten Schritt wurden Unterabteilungen etabliert, die sehr gut die inhaltlichen Leitlinien der zukünftigen Forschungsschwerpunkte widerspie-gelten: Divison A (Tolman): Artillerie- und Panzerwaffen; Division B (Conant): Bomben, Treibstoffe, Gase und chemische Forschung; Division C (Jewett): Kommunikation und Transport; Division D (Compton): Erkennungstechniken, Kontroll- und Regelungstechnik, Instrumente; Division E (Coe): Patente und Er-findungen.

Diese Struktur wurde im Mai 1941 geändert, was zu einem erheblichen Kom-petenzzuwachs Bushs führte. Das NDRC wurde nun eine Unterorganisation des Office of Scientific Research and Development (OSRD), wieder unter Leitung Bushs, welches nun eine Abteilung für Militärmedizin (Committee on Medical Research) erhielt und später erweitert wurde um das Applied Mathematical Panel (1942) und das Applied Psychology Panel (1943).13 Eine weitere Vernetzung von Militär und Wissenschaft erfolgte mit der Etablierung des Joint Committee on New Weapons and Equipment 1942 unter Vorsitz Bushs, das den Informati-onsfluss zwischen Navy, Army und dem zivilen Forschungsbetrieb sicherstellen sollte. Sowohl die Atomwaffen- als auch die Luftfahrtforschung waren nicht im OSRD integriert. Während die Luftfahrtforschung in der Vorgängerorganisation der NASA, der NACA, verblieb, wurde die Entwicklung der Atombombe im Manhattanprojekt konzentriert, das ganz anders als das NDRC militärisch gelei-tet wurde, was zu andauernden Konflikten zwischen zivilen Wissenschaftlern und Militärs führen sollte.14

Wichtigstes Steuerungsinstrument des NDRC war ein Vertragssystem, in dem die bestehenden Forschungsinstitutionen mit dem NDRC die personale, finanzi-elle und räumliche Ausstattung festlegten.15 Grundsatz dieser Verträge war das »No-Profit-No-Loss-Prinzip«: Keine der Vertragsparteien sollte Gewinne oder Verluste machen; vielmehr wurde den Forschungsinstitutionen die vollständige Kostenübernahme garantiert. Diese Form der Auftragsforschung sah weiterhin feste Termine für den Abschluss von Projekten vor, die in einem Abschlussbe-richt zu dokumentieren waren. Dieses Vertragssystem offenbart den Willen des NDRC, die gegebene dezentrale Organisationsstruktur der amerikanischen Wis-senschaften nicht anzutasten. Es sollten keine neuen Forschungsinstitutionen bzw. -laboratorien unter direkter Leitung des NDRC entstehen. Dies oblag viel-mehr den Vertragsnehmern. Tatsächlich kam es dann auch bald zur Gründung von Großforschungseinrichtungen – als Beispiele seien das Servomechanism Laboratory und das Radiation Laboratory am MIT genannt. Ein entscheidender Vorteil des Vertragssystems war, dass das NDRC ohne großen bürokratischen Aufwand die Fördermittel verteilen konnte. Das NDRC erwies sich als eine

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schnell agierende Organisation mit flachen Hierarchien ohne bürokratischen Wasserkopf und undurchsichtigen Entscheidungsinstanzen.

Es stellt sich die Frage, ob mit diesem organisatorischen »turning point« ein qualitativer Umbruch in der Forschungspraxis einherging.16 Die asymmetrische, ungleichgewichtige Verteilung der NDRC-Fördermittel, die bestehende, tech-nisch ausgerichtete Universitäten bevorzugte, deutet einen Trend in der wissen-schaftlichen Praxis an, der im angelsächsischen Sprachraum treffend als »big science« bezeichnet wird: Ressourcenaufwändige technische Entwicklungsarbeit wurde in wenigen gut ausgestatteten Forschungsinstitutionen konzentriert. Die von den Militärs geforderten hochkomplexen Waffensysteme machten große in-terdisziplinäre Wissenschaftlerteams notwendig, in denen technische Kompeten-zen aus den verschiedenen Fachgebieten kooperieren mussten. Damit besaßen die schon etablierten technisch orientierten Universitäten, die schon vor dem Zweiten Weltkrieg unter dem Druck der Finanzknappheit während der Großen Depression entsprechende Ressourcen aufgebaut und neben den staatlichen För-dergeldern privatwirtschaftliche Mittel eingeworben hatten, einen großen Vorteil beim Erhalt staatlicher Gelder.17 Hinzu kam, dass Forschung nun projektorien-tiert praktiziert wurde, d.h. vereinfacht ausgedrückt, alleiniges Erfolgskriterium war, ob am Ende eines Entwicklungsprozesses eine funktionierende Waffe zur Verfügung stand. Nicht so sehr der allein arbeitende Naturwissenschaftler auf der Suche nach den Gesetzen der Natur stand bei der Projektforschung im Mit-telpunkt, sondern der Ingenieur, der die Fähigkeit besaß, konkrete technische Probleme in Zusammenarbeit mit industriellen und militärischen Auftraggebern in heterogen zusammengesetzten Teams zu lösen. Damit ging einher, dass der soziale Status der Ingenieure erheblich aufgewertet wurde, während die theore-tisch ausgerichteten Forscher an sozialem Staus verlieren sollten.18 Durch die militärtechnische Auftragsarbeit verwandelte sich das Wissenschaftsethos in er-heblichem Ausmaß, indem die Wissenschaft artefaktkonzentriert wurde und For-schungsprobleme nun überwiegend nicht mehr nur über den aktuellen Wissens-stand definiert wurden, sondern über konkrete technische und politische Proble-me. Die Wissenschaftler an den Universitäten begannen sich daran zu gewöhnen, politische und militärische Ziele und Bedürfnisse in technische Artefakte und Systeme zu übersetzen.

Die Transformation des amerikanischen Wissenschaftssystems während des Zweiten Weltkrieges basierte auf einer Verflechtung von sozialen, organisatori-schen und technischen Entwicklungen, die nicht getrennt voneinander zu be-trachten sind. Die Entwicklung hochkomplexer technischer Waffensysteme, wie beispielsweise von Radar- und Flugabwehrsystemen, fand in einem Gewebe he-terogener Akteure statt: Wissenschaftler, Ingenieure, Militärs, Politiker und Un-

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ternehmen bildeten zusammen mit den technischen Systemen ein neues sozio-technisches Netzwerk.19 Die Überlagerung von technischen und militärischen Leitbildern öffnete neue Technikpfade, beispielsweise auf den Feldern servomechanischer Luftabwehrsysteme, Radarsysteme, Rechenmaschinen, An-näherungszünder, Atomwaffen und im gesamten Bereich elektrotechnischer Komponenten. Das NDRC war eine Koordinierungsinstanz, die als Stellvertreter von traditionellen Politikinstanzen funktionierte und diese entlastete. Damit hatte die von Wissenschaftlern und Ingenieuren organisierte Verteilung der staatlichen Forschungsgelder und die damit einhergehende Setzung von Forschungsinhalten selbst politischen Charakter.20 Stabilisierung des Militärisch-Industriellen Komplexes im Kalten Krieg Das durch das NDRC repräsentierte Wissenschaftssystem war ganz und gar auf die Bedürfnisse des Zweiten Weltkriegs ausgerichtet. Nach Kriegsende erwies sich der damit eingeschlagene Weg keineswegs als so stabil, wie es manche His-toriker im Nachhinein postulieren. Von Seiten Bushs kam es im Herbst 1944 zu ersten Überlegungen, in welcher Form das NDRC demobilisiert werden könn-te.21 Bush sah vor, dass alle Projekte, die für die Weiterführung des Krieges ge-gen Japan als nicht mehr relevant anzusehen seien, nach der in Kürze erwarteten Kapitulation Deutschlands eingestellt werden sollten. Alle Projekte, die darüber hinaus nicht innerhalb von drei bis vier Monaten abzuschließen waren, sollten an die entsprechenden militärischen Dienststellen transferiert werden. Das NDRC zog sich somit konsequent aus der Forschungsorganisation zurück und stellte tatsächlich Ende 1945 alle Tätigkeiten ein. Die nun anstehende Debatte über eine Nachfolgeorganisation wurde bestimmt von einem Bericht Bushs, den Roosevelt angefordert hatte und der nach dessen Tod dem neuen Präsidenten Harry S. Truman (1884–1972) am 5. Juli 1945 vorgelegt wurde.22 Der Bush-Bericht zeichnete nicht nur die Linien einer zukünftigen Forschungspolitik, sondern spiegelte auch den technokratischen Optimismus eines konservativen Ingenieur-wissenschaftlers wider. In seinem Bericht macht er vor allem drei Bereiche aus, in denen der wissenschaftlich-technische Fortschritt eine erhebliche Rolle für das Wohlergehen der amerikanischen Nachkriegsgesellschaft spielen sollte: »war against disease«, »national security« und »public welfare«.

Der wissenschaftlich-technisch fundierte Fortschrittsoptimismus war durch die Erfolge während des Zweiten Weltkrieges zu einem über alle politischen Frakti-onen hinweg geteilten Konsens geworden. Doch entzündete sich an der von Bush vorgeschlagenen zukünftigen Forschungsorganisation eine hitzige, fünf Jahre anhaltende Debatte um eine Nachfolgeorganisation des NDRC/OSRD im

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US-Kongress. Die neu zu gründende National Science Foundation (NSF), die Bush in seinem Bericht forderte, sollte nichts anderes als ein Klon des NDRC/OSRD sein. In ihr sollten Wissenschaftler autonom über die Verteilung von staatlichen Geldern entscheiden und dabei nur dem Präsidenten verantwort-lich sein.23 Der Staat sollte nicht eingreifen in Inhalte und Ziele der Forschung, was den New-Deal-Befürwortern jedoch bitter aufstieß, da sie staatliche Ein-griffsrechte in die Forschungsförderung garantiert haben wollten und erhebliche Demokratiedefizite in der elitären Organisation der NSF erkannten.24 Tatsäch-lich erwies sich die 1950 ins Leben gerufene NSF als eine sehr abgeschwächte Form des Bush-Vorschlages und konnte nie die Bedeutung des NDRC/OSRD erlangen.

In dem Vakuum, das die Debatte um die NSF hinterließ, etablierte sich schließlich eine Form der Forschungsförderung, die für die gesamte Zeit des Kalten Krieges Bestand haben sollte. Die Universitäten sahen sehr deutlich die Chancen, die ihnen der staatliche Strom an finanziellen Ressourcen auch in Frie-denszeiten eröffnete. Außerdem war das Militär weiterhin an einer Zusammen-arbeit mit den Wissenschaftlern interessiert, definierte es seine militärische Stär-ke doch immer mehr als technische Stärke. Zunächst war es jedoch auch für das Militär nicht absehbar und zwingend notwendig, dass es nun in erheblichem Ma-ße in die Forschungsförderung einsteigen sollte. Nach dem Ausbruch eines neu-en »heißen« Konfliktes, des Koreakrieges 1950, und die damit einhergehende verstärkte politische Auseinandersetzung zwischen den militärischen und ideolo-gischen Blöcken im Kalten Krieg änderte sich dies jedoch relativ rasch.25 Der Wettkampf der Systeme wurde immer mehr interpretiert als ein Wettkampf um die fortschrittlichste Technik – vor allem im militärtechnischen Bereich aber auch in der prestigeträchtigen Weltraumforschung.26 Anstelle einer von autonom agierenden Wissenschaftlern zentral gesteuerten Wissenschaftsförderung füllten dezentrale Netzwerke das Vakuum auf, das die Auflösung des NDRC/OSRD hinterlassen hatte, und zwar durch Kooperationen und Auftragsforschung, die direkt zwischen den militärischen Behörden und den Forschungsinstitutionen vertraglich abgesichert wurden.27 Dies geschah nach dem Ausbruch des Korea-krieges in einem Maße, welches die Fördervolumina im Zweiten Weltkrieg in den Schatten stellen sollte.

Die universitäre Ingenieurwissenschaft wurde ab den 1950er Jahren eine dau-erhafte Ressource für die technischen Anforderungen des amerikanischen Mili-tärs. Während die Projektforschung als Vertragssystem zwischen Militär und In-dustrie auf der einen Seite und den Universitäten auf der anderen Seite etabliert wurde, wurde dem Staat die Unterstützung der Grundlagenforschung zuge-schrieben. Den Universitäten kam auch deshalb eine Schlüsselposition im Militä-

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risch-Industriellen Komplex zu, weil sie die Ausbildung der technischen Exper-ten sicher stellten, die sowohl die Industrie als auch das Militär und die staatli-chen Behörden in immer höherer Zahl benötigten. Während im Zweiten Welt-krieg überwiegend mit Standardverträgen operiert wurde, um den bürokratischen Aushandlungsprozess so gering wie möglich zu halten, wurde das Vertragswesen in der Nachkriegszeit weitaus flexibler gestaltet. Um die Zentren der Auftrags-forschung, also die schon im Zweiten Weltkrieg immens geförderten Universitä-ten wie MIT und Caltech, entstanden mit den steigenden Zuwendungen im Kal-ten Krieg regionale Innovationscluster, die einen entsprechenden Boom in der universitätsnah angesiedelten Industrie auslösten. Überall dort, wo es zu engen Netzwerken von universitären, militärischen und industriellen Akteuren kam, entwickelte sich eine effiziente Innovationskultur, die ganz dem Paradigma der »big science« folgte.28

Auf der Ebene des technischen Wissens und der technischen Praxis sind zum einen die Fortführung und Intensivierung der interdisziplinären Forschung in Großforschungseinrichtungen zu nennen, die teilweise als »spin-offs« der im Krieg etablierten Institute weiter bestanden. Daneben wurden gänzlich neue In-stitute gegründet, die eine Vielzahl von rechtlichen Organisationsformen anneh-men konnten. Zum anderen traten auf der Ebene der wissenschaftlichen Methode die Ingenieurwissenschaften in einen reflexiven Prozess ein, der in der Formulie-rung der eigenen Wissenschaftsgrundlagen als »systems engineering« zur Integ-ration verschiedener Aspekte technischer Entwicklungsarbeit führte. Die Be-rücksichtigung der Komplexität militärtechnischer Systeme, der Einbezug von Nutzern in technische Systeme und die verstärkt einsetzende Mathematisierung der technischen Entwicklungsarbeit sind Beispiele hierfür. Die Komplexität der technischen Waffensysteme und die Interdisziplinarität der Forschungsarbeit, die Wissenschaftler aus ganz unterschiedlichen Fachbereichen seit dem Zweiten Weltkrieg zusammenbrachte, machten es notwendig, auf der methodischen Ebe-ne des technischen Designprozesses neue Wege zu gehen. Das betraf einerseits die Integration unterschiedlicher technischer Wissensbestände in ein konsistentes Designverfahren. Andererseits wurde überdeutlich, dass Forschung und Entwick-lung in großen interdisziplinären Teams mit Beteiligung staatlicher, militärischer und industrieller Akteure Managementprobleme aufwarf, die für die Ingenieure neu waren.29 Ein drittes wichtiges Element des amerikanischen Innovationssys-tems im Kalten Krieg war die Gründung von professionellen Institutionen der Technik- und Politikberatung, die Ingenieure in zentrale Schnittstellen zwischen Wissenschaft, Militär und Staat rücken ließ.

Erste Ansätze, die Komplexität der neuen militärtechnischen Systeme in die taktischen Anforderungen der Streitkräfte einzubeziehen, wurden in Großbritan-

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nien Mitte der 1930er Jahre entwickelt und später als Operations Research (OR) bekannt.30 Vor allem die Radarentwicklung machte deutlich, dass eine isolierte Betrachtung von Waffentechniken deren Effizienz vermindern würde. Vielmehr galt es, Einzeltechniken als Bestandteile übergeordneter Verteidigungssysteme zu betrachten; also beispielsweise das Radar als Element einer nationalen Flug-abwehr. OR ging es um den effizientesten Einsatz aller zur Verfügung stehenden Systemkomponenten, integriert in einer angepassten militärischen Taktik. Dies hatte seinen Ursprung in der Zusammenarbeit von Mathematikern und Ingenieu-ren im Zweiten Weltkrieg.

Während OR mit Hilfe empirischer und mathematischer Methoden die Integ-ration neuer Waffensysteme in das Militär gewährleisten und die damit verbun-denen taktischen und strategischen Entscheidungen auf ein wissenschaftliches Fundament stellen sollte, war der Systemansatz nach dem Zweiten Weltkrieg weitaus umfassender: Er zeichnete sich durch eine synthetisch-ganzheitliche Per-spektive aus, die Systeme als Netzwerke heterogener, miteinander agierender Einzelbestandteile ansah. In den Ingenieurwissenschaften wurden Methoden der technischen Systemanalyse entwickelt, wie z. B. Blockdiagramme, Input-Output-Analysen, statistische Verfahren, Transferfunktionen und der Einsatz von Com-putern, die technische in formale Systeme übersetzten.31 Anziehend für die Inge-nieure war der systemische Ansatz, weil er von der materiellen Spezifikation der Systembestandteile absah und durch sein hohes Abstraktionsniveau die unter-schiedlichen ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen in den interdisziplinären Teams integrieren konnte. Die von Norbert Wiener (1894–1864) 1948 formulier-te Kybernetik war ebenfalls ein universeller Ansatz, der die wissenschaftlichen Terminologien der Technik, der Biologie und ansatzweise auch der Sozialwis-senschaften auf der Grundlage regelungstechnischer Konzepte vereinheitlichen wollte.32

Ein weiterer Trend während des Kalten Krieges war die Gründung von Non-profit-Organisationen, die, finanziell ausgestattet von Staat und Militär, umfang-reiche Dienstleistungen im Bereich der Forschung übernahmen. Ein bekanntes Beispiel ist die Research and Development Corporation (RAND), die 1948 von der U.S. Air Force gegründet wurde.33 RAND wurde bald zu einem Promoter der neuen systemischen Analysemethoden wie OR und Systemanalyse und benutzte zur notwendigen Datenauswertung fortschrittliche Computertechnologien, so dass vor allem im Bereich der Programmierung entsprechende Kompetenzen aufgebaut wurden, die den militärischen und staatlichen Auftraggebern zur Ver-fügung gestellt werden konnten. In den 1950er Jahren erhielt die RAND durch ihre Analysen erheblichen Einfluss auf die strategischen Entscheidungen der amerikanischen Streitkräfte.

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Diskursive und ikonografische Transformationen Der Transformationsprozess der Ingenieurwissenschaften und ihr modifizierter gesellschaftlicher Status führten zu einer veränderten Selbstwahrnehmung der Ingenieure wie auch zu neuen Darstellungen der Profession in öffentlichen Re-präsentationen.34 Hierbei ist ein Bruch seit den 1950er Jahren auszumachen, der in den 1960er Jahren voll zum Tragen kam. Die folgenden Beispiele zeigen ei-nen repräsentativen Querschnitt dieser kulturellen Repräsentationen; sie bildeten ein hegemoniales Repräsentationsensemble, welches in dieser Form vorher nicht zu finden und Ende der 1960er Jahre wieder verschwunden war. Die herangezo-genen Beispiele stammen aus der angesehenen Fachzeitschrift Scientific Ameri-can, die sich dadurch auszeichnet, dass sie einen Überblick über die Forschung aller naturwissenschaftlicher Disziplinen und auch der Ingenieurwissenschaften leistet, damit also ein breites wissenschaftliches Fachpublikum aber auch interes-sierte Laien als Leser anspricht. Bei der analysierten Quellengattung handelt es sich um Werbe- und Stellenanzeigen, die überwiegend sowohl Bild- als auch Textelemente enthalten. Dementsprechend verweisen diskursive und bildliche Repräsentationen aufeinander. Der größte Teil der Anzeigen ist aufwändig ge-staltet, sodass eine eindeutige Kategorisierung einerseits als Werbung oder ande-rerseits als Stellenanzeige nicht immer möglich ist. Die funktionalen Unterschie-de der Anzeigentypen werden teilweise aufgehoben.

Zunächst fällt auf, dass im Vergleich zu den Vorkriegsausgaben des Scientific American, die Anzahl der Anzeigen quantitativ erheblich zunahm. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren Anzeigen eine Ausnahme, nach dem Zweiten Welt-krieg nahm diese Repräsentationsform erheblichen Raum im Zeitschriftenkorpus ein und dominierte teilweise mit ganzseitigen Anzeigen den »visuellen Stil« der Fachzeitschrift. Dabei verwies diese besondere Form der Wissenskommunikati-on durchaus auf die redaktionellen Beiträge des Scientific American, sodass der Leser zwischen Werbung und wissenschaftlichem Fachartikel Verbindungen ziehen konnte. Ina Heumann charakterisiert dieses Verhältnis treffend als wech-selseitig »parasitär«.35 Damit ist eine Grundannahme neuerer historischer Arbei-ten zum Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit angedeutet, die von ei-nem komplexen Beziehungsgeflecht zwischen beiden Seiten ausgehen und eine gegenseitige Ressourcenmobilisierung annehmen.36 Wie im Folgenden gezeigt wird, sind diese Austauschbeziehungen zwischen Öffentlichkeit (hier Fachöf-fentlichkeit und technisch bzw. wissenschaftlich interessierte Öffentlichkeit) und Wissenschaft für die kulturelle Repräsentation der Ingenieure im Scientific Ame-rican konstitutiv.

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Die Konzentration der historisch-bildlichen Analyse auf eine bestimmte Fach-zeitschrift im Sinne einer seriell-ikonographischen Betrachtung mit einem fest umgrenzten Quellenkorpus hat den Vorteil, dass einem einzelnen Bild nicht zu große Bedeutung beigemessen wird, was zu übertriebenen Schlussfolgerungen führen könnte.37 Weiterhin ist gewährleistet, dass bezüglich kollektiver Wahr-nehmungen und Selbstwahrnehmungen Produzenten und Rezipienten der analy-sierten Werbeanzeigen relativ geschlossene soziale Gruppe bildeten: forschende Technologieunternehmen sowie Universitäten aufseiten der Quellenproduzenten und Naturwissenschaftler bzw. Ingenieure auf der Seite der Rezipienten. Die Grenzen des seriell-ikonographischen Ansatzes ergeben sich aus dem abgegrenz-ten Quellenkorpus, sodass verallgemeinernde Aussagen, inwiefern die vorgefun-denen rhetorischen und bildlichen Repräsentationen typisch für die gesamte Wahrnehmung von Technik in der amerikanischen Öffentlichkeit während des Kalten Krieges waren, nur sehr bedingt möglich sind. Eine breiter angelegte Stu-die, die Querverweise und intertextuelle bzw. interpiktorale Bezüge zwischen verschiedenen Zeitschriften und anderen Medien analysieren könnte, wäre wün-schenswert.

Exemplarisch wurde der Jahrgang 1962 des Scientific American einer quanti-tativen Analyse unterzogen, die klären sollte, welche technischen Bereiche in den Anzeigen repräsentiert wurden und wie viele Anzeigen einen eindeutigen, expliziten Bezug zu Militärtechnik bzw. »nationaler Sicherheit« aufwiesen.38 Von den insgesamt 707 Anzeigen verwiesen knapp ein Fünftel auf den militäri-schen Nutzen, zeigten Kriegstechnologie oder wiesen ganz allgemein auf die Bedeutung der eigenen Forschung für die nationale Sicherheit der USA hin. Der größte Teil der Anzeigen bezog sich auf Weltraum- bzw. Raketentechnik (160), dicht gefolgt von Materialforschung und Chemie (155) sowie dem Bereich Computer, Datenverarbeitung und Mikroelektronik (152). Kommunikations- und Kontrolltechnik folgten mit 120 Nennungen, Verweise auf »systems enginee-ring«, »system analysis« oder OR fanden sich 91-mal. Konsumtechnik (51), wie beispielsweise Automobile, Fernsehen usw., sowie Nuklear- und Atomtechnik mit 45 Anzeigen bildeten ebenso wie die Flugzeugtechnik (45) nur marginale Gruppen innerhalb des Anzeigenkorpus. Andere technische Felder spielten in den Anzeigen eine untergeordnete Rolle und konnten zum größten Teil allge-meinen Repräsentationen der Elektrotechnik zugeordnet werden. Die repräsentative Dominanz bestimmter Technikfelder wie Datenverarbeitung, Kommunikationstechnik, Weltraum- und Raketentechnik sowie »systems engi-neering« lässt drei Interpretationen zu: Zum einen kann angenommen werden, dass der Typus des Scientific American als disziplinenübergreifende wissen-

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schaftliche Zeitschrift bestimmte Technikfelder in den Anzeigen bevorzugte bzw. vernachlässigte.

Abb. 1: Anzeige der MITRE Corp., 196339

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Die eher geringe Repräsentanz der Konsumtechnik kann dementsprechend kaum überraschen, darf jedoch nicht verallgemeinert und auf andere Zeitschriften über-tragen werden. Zum zweiten handelt es sich bei den Anzeigen zu einem großen Teil nicht nur um Werbung sondern auch um Stellenanzeigen, sodass zunächst nichts weiter als ein Personalmangel in diesen Bereichen konstatiert werden kann. Die Stellenanzeigen spiegeln also die Verschiebung der staatlichen und militärischen Forschungsfelder im Militärisch-Industriellen Komplex wider. Zum dritten kann die Dominanz bestimmter technischer Bereiche bei der Reprä-sentation in Anzeigen dahingehend interpretiert werden, dass diesen eine kultu-relle und ideologische Leitbildfunktion zukam, sie also repräsentativ waren für die Vorstellungen und Wahrnehmungen einer historisch spezifischen Interpreta-tion von Modernität und technischem Fortschritt in den 1950er und 1960er Jah-ren. Die Werbeforschung hat in zahlreichen Studien plausibel nachgewiesen, dass Werbung als »Projektionsschirm der Mentalitäten« anzusehen ist,40 der so-zialen und kulturellen Wandel dokumentiert und diesem einen sinnvollen Gehalt gibt. Die inhaltliche Analyse dieses Aspektes soll im Folgenden exemplarisch an einzelnen Anzeigen durchgeführt werden.41

Die Anzeige der MITRE Corp. (Abb. 1) erschien 1963 im Scientific American. Die bildliche Komponente der Anzeige zeigt eine Person von hinten, die kniend eine Tafel beschriftet. Die legere, saubere Kleidung des abgebildeten weißen Mannes und die Tafel weisen darauf hin, dass seine Tätigkeit nicht in einer Fab-rikhalle oder im Freien ausgeübt wird, sondern in einem Büro. Der Text der An-zeige lässt den Betrachter die abgebildete Person als einen Ingenieur bzw. Wis-senschaftler identifizieren, der ein »command and control system« entwirft. Die hier gewählte Darstellung des Arbeitsalltags dieses »Systemingenieurs« unter-scheidet sich damit fundamental von den symbolischen Codes, die Ingenieurdar-stellungen vor dem Zweiten Weltkrieg geprägt hatten. War es bis dahin üblich, Ingenieure und Techniker zusammen mit einem technischen Artefakt abzubilden, wurde Technik in der vorliegenden Anzeige nur noch über die Symbole an der Tafel repräsentiert. Ingenieure des 19. Jahrhundert posierten gerne vor den tech-nischen Fortschrittssymbolen des Industriezeitalters, wie beispielsweise Dampf-maschinen, Ozeandampfer, Generatoren usw., die zudem in ihren gigantischen Ausmaßen gezeigt wurden.42 Die Bilder des maschinellen und elektrotechni-schen Industriezeitalters inszenierten die Beherrschung der mächtigen techni-schen Kräfte und der Materialität durch den Ingenieur, der oft mit Insignien der Tatkraft und der Praxisorientiertheit, beispielsweise in schmutziger Kleidung, dargestellt wurde. In der MITRE-Anzeige wird dagegen ein im Büro arbeitender Experte gezeigt, der die Kontrolle über die technischen Kräfte nicht mehr durch seine gleichsam physische Präsenz am technischen Artefakt ausübt, sondern über

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die Manipulation von Symbolen an einer Tafel. Der Konnex zwischen Ingenieur und technischer Materialität scheint aufgehoben zu sein und weicht der Darstel-lung einer intellektuellen Tätigkeit, die die Präsenz eines technischen Artefaktes im Konstruktions- und Designprozess nicht mehr benötigt. Symbolisch wird die vormalige Trennung zwischen Naturwissenschaftlern, die oft mit filigranen La-bortechniken an ihrer Seite gezeigt wurden, und Ingenieuren aufgehoben. Auch auf der textlichen Ebene wird die Aufhebung dieser Grenzziehung vollzogen: Werden zunächst »engineers and scientists« angesprochen, ist weiter unten schlicht von »systems man« die Rede. Diese Form der Darstellung von Ingenieu-ren bzw. Wissenschaftlern des Militärisch-Industriellen Komplexes kann als ty-pisch angesehen werden. Zahlreiche weitere Anzeigen fokussieren ihre Abbil-dungen auf den Kopf der abgebildeten Wissenschaftler, so dass diese als »Arbei-ter des Geistes« plausibilisiert werden (vgl. Abb. 2 und 3).

Fachlich erwarteten die Unternehmen vom neuen Prototypen des »systems man«, so verrät es eine Anzeige der IBM von 1962, Kenntnisse in einem der Be-reiche »Applied mathematics, Applied statistics, Computer systems analysis, Computer systems design, Systems logic design, Systems integration, Informati-on theory, Data transmission« sowie zusätzliche Erfahrungen in »electrical engi-neering, physics, or mathematics; and proven ability to assume a high degree of technical responsibility in your sphere of interest.«43 Der »systems man« musste also in der Lage sein, die Disziplinengrenzen zwischen Naturwissenschaften, Mathematik und Ingenieurwissenschaften in seiner Person zu überbrücken.

Neben diesen fachlichen Qualifikationen machten die Unternehmensanzeigen weitere Qualitäten des »systems man« aus, die auf die intellektuellen Fähigkeiten desselben zielten. So wurde in vielen Anzeigen »creative mindpower« eingefor-dert,44 darauf hingewiesen, dass die Potenziale eines Unternehmens »in the minds of the many conceptual thinkers« lägen45 und die Vorteile von Teamarbeit gepriesen. So durfte in einer Anzeige des Jet Propulsion Laboratory (Abb. 2) von 1963 ein namentlich genannter Ingenieur in einer Fotoserie, die diesen in sieben verschiedenen Denkposen zeigte, über seine Tätigkeit berichten, die er als spannende Detektivarbeit bezeichnete. Gleichzeitig lobte er die professionelle aber lockere Atmosphäre innerhalb des Unternehmens, die den Mitarbeitern die nötigen Freiheiten bei der Arbeit ließe. Die anschließende Erwähnung der Unter-nehmensbibliothek und der Hinweis auf die Möglichkeit der Mitarbeiter, ihr Wissen zu veröffentlichen, sollten die wissenschaftliche Ausrichtung des Unter-nehmens unterstreichen. Der Rekurs auf die Wissenschaftlichkeit der For-schungsarbeit wurde in zahlreichen Anzeigen zur Beschreibung der Unterneh-menskultur herangezogen und war mit dem Anreiz verbunden, dass neue Wege

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bei der Erforschung und Entwicklung technischer Systeme eingeschlagen wer-den sollten, die auf einen regen Informationsaustausch mit Kollegen basierten.46

Abb. 2: Anzeige des Jet Propulsion Laboratory, 196347

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Abb. 3: Northrop-Anzeige, 196348

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»Come to Northrop and get it out of your mind«, heißt es in einer Anzeige des US-amerikanischen Waffenproduzenten (Abb. 3), der die »atmosphere of open discussion« und damit sowohl die intellektuelle als auch die in einem interdiszip-linären Team unverzichtbare kommunikative Charakteristik des »systems engi-neering« betonte. Dem gängigen Stereotyp vom universitären Wissenschaftler, der alleine im Elfenbeinturm forscht, wird ein Bild vom »systems man« entge-gen gestellt, das zum einen auf Teamarbeit setzt und zum anderen betont, dass »basic and applied research« im »systems engineering« zusammenfallen. »Teamwork makes man master of the machine«, so lautete konsequent das Mot-to des Unternehmens Philco – eine Tochter der Ford Motor Company, die Ver-teidigungssysteme entwickelte.49

Die quantitative Analyse des Jahrgang 1962 des Scientific American ergab, dass ein signifikanter Teil der Anzeigen explizit auf die Rolle der Ingenieure für die nationale Sicherheit hinwies. In der Anzeige der MITRE Corp. (Abb. 1) spielt diese Verbindung von technischer Entwicklungsarbeit und US-amerikanischer Militärdoktrin eine zentrale Rolle. Als ein Non-profit-Unternehmen des MIT entwickelte die MITRE Corp. in den 1950er Jahren ein Flugabwehrsystem (SA-GE) für das Militär und war der gesamten organisatorischen und konzeptionellen Ausrichtung nach ein typisches Unternehmen des Kalten Krieges, das in den Netzwerken des Militärisch-Industriellen Komplexes integriert war.50 Im Text der Anzeige heißt es: »Whatever you do – and there are many opportunities for a systems man at MITRE – your work will be of great importance to the country. Your participation, in fact, will involve you with the basic defense of the free world.«, womit die rhetorische Frage in der Überschrift der Anzeige, »How much can a scientist do for his country?«, die gleichsam appellativen Charakter hat, beantwortet war. Der Systemingenieur als wissenschaftlich-technischer Ex-perte garantierte im Systemwettkampf zwischen der »freien Welt« und dem Kommunismus die nationale Sicherheit der USA. Das politische Problem des Kalten Krieges wurde in ein soziotechnisches Leitbild militärtechnischer Sicher-heit, die in das Aufgabenfeld der Systemingenieure fiel, übersetzt.

Damit öffnete sich auf der Ebene der piktoralen Repräsentation die Möglich-keit, Waffensysteme abzubilden, die als Symbole dieser neuen militärtechni-schen Modernität des Kalten Krieges fungierten. Während Abbildung 1 auf die Darstellung von Kriegstechnik zu Gunsten einer abstrakten Systemdarstellung verzichtet und damit auf die neuen Designtechniken des »systems engineering«, wie beispielsweise die Verwendung von Block- und Flussdiagrammen, ver-wies,51 zeigten andere Anzeigen militärische Systeme in ihrer Materialität. Inte-ressanterweise wurden die modernen Waffensysteme, also die Raketen, Zerstö-rer, Hubschrauber, Kampfjets, Panzer, Satelliten usw., fast ausschließlich ohne

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dazugehörige Ingenieure gezeigt. Die in der MITRE-Anzeige zum Ausdruck ge-brachte Entmaterialisierung des technischen Designprozesses wurde also auf-recht erhalten, die Verbindung zwischen der Tätigkeit des Systemingenieurs und den militärtechnischen Endprodukten überwiegend in den Anzeigentexten herge-stellt.

Abb. 4: Anzeige der System Development Corporation, 196352

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Eine Anzeige der System Development Corporation (Abb. 4) versuchte demge-genüber eine symbolische Integration von Waffentechniken des Kalten Krieges in das »systems engineering«. Einerseits wurden die für den Kalten Krieg typi-schen Waffensysteme und -gattungen dargestellt, andererseits verwies im Zent-rum der Collage die Abbildung einer Lockkarte und eines Datenblattes auf die Grundlagen eben jener Waffensysteme, nämlich die Datentechnik.

Durch die Zusammenfügung der verschiedenen Waffensysteme und der Da-tentechnik in einer Abbildung wird klar gemacht, dass es im systemischen De-signprozess weniger um die Entwicklung einer einzelnen Waffentechnik geht, sondern um die Integration der Waffensysteme und um deren richtigen und effi-zienten Einsatz. Das Problem, welches hier im Zentrum stand, war also nicht, eine Rakete in die Luft zu bringen, sondern, wie es in der Anzeigenüberschrift heißt, »Decision-Making: Deploy or not? ... When and where?«. »Decision-making« meinte hier, die hochkomplexen Waffensysteme zum richtigen Zeit-punkt und am richtigen Ort zum Einsatz zu bringen, eine Entscheidung, die auf Datenverarbeitung und strategischer Analyse beruht. Neben der symbolischen und diskursiven Darstellung des »system engineering« als Garant nationaler Si-cherheit eröffnet sich ein weiterer Interpretationsrahmen, der auf den amerikani-schen Frontier-Mythos abzielt und diesen mit den Visionen des Kalten Krieges von der wissenschaftlich-technischen Beherrschbarkeit des gesamten Erdballs und des Weltraums verknüpfte.

Der erwähnte Bericht Vannevar Bushs, der ein Konzept für die Wissen-schaftsorganisation nach dem Zweiten Weltkrieg entwarf, war programmatisch betitelt mit »Science the Endless Frontier« und schloss damit an einen Topos an, der in den 1930er Jahren im Wissenschaftsbereich gang und gäbe geworden war.53 Die Frontiermentalität der amerikanischen Pioniere, wie sie der amerika-nische Historiker Frederick Jackson Turner als konstitutiv für die amerikanische Gesellschaft beschrieb,54 sollte gleichsam, nachdem die territoriale Expansion abgeschlossen war, von den Ingenieuren weiter geführt werden. Die Zivilisie-rung der amerikanischen Wildnis als ein bestimmendes Element des Frontier-Diskurses hatte nun im Bereich der Technik als zeitlich endloser Prozess des wissenschaftlich-technischen Fortschritts weiter geführt zu werden.55 Eine räum-liche Repräsentation des Frontier-Konzeptes in den Ingenieurwissenschaften konnte in den 1960er Jahren anschließen an das amerikanische Mondlandepro-jekt, das den Blick der Ingenieure und Wissenschaftler in den Weltraum lenkte.

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Abb. 5: Anzeige der System Development Corporation, 196156

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Als Prestigevorhaben im technischen Wettkampf der politischen Blöcke enthielt die wissenschaftlich-technische Eroberung des Weltraumes eine starke ideologi-sche Komponente, die die Ingenieure erneut einband in den nationalen Sicher-heitsdiskurses des Kalten Krieges. Die zahlreichen Anzeigen zum Thema Welt-raum- und Raketentechnik im Scientific American machen diesen Doppelaspekt von zivilisatorischer Ausdehnung des menschlichen Beherrschungswillens über die Natur einerseits (also die Ausdehnung der »frontier« in den Weltraum) und von militärisch-technischem Dominanzstreben andererseits überdeutlich.

In einer Collage des Unternehmens McDonnell, die vor einem Sternenhimmel die Mercury-Kapsel, Lindberghs Flugzeug Spirit of St. Louis, einen Siedlungs-treck sowie das berühmte Wahrzeichen von St. Louis, den Gateway Arch, der ein Symbol für die Expansion nach Westen ist, zusammenbrachte, wurde die Frontier-Mentalität symbolisch kongenial abgebildet.57 Im Text der Anzeige heißt es: »The Gateway to the West has become the Gateway to the Space.« Der Blick in den Weltraum, den die Anzeigen zum Thema Weltraumtechnik bildlich nachvollziehen, fällt jedoch ebenso wieder zurück auf die Erde. Die neue Satelli-tentechnik diente nicht nur zur Erweiterung der wissenschaftlich-technischen »frontier« in den Weltraum, sondern auch der Erforschung des heimischen Pla-neten.

Die Anzeige der System Development Corporation aus dem Jahre 1961 (Abb. 5) zeigt schließlich einen ästhetisch verfremdeten Satellitenblick auf den Erdglo-bus, dessen unregelmäßige Kugelform umgeformt worden ist in einen gleichmä-ßigen, mehrseitigen Kubus aus planen Flächen. Die Zahlen und Buchstabenkom-binationen, die auf den Flächen des Erdkubus verteilt sind, verweisen auf die mathematische und informationelle Verdatung der Erde durch die Satelliten- und Computertechnik.58 Die beiden Hände umgreifen die Erde und symbolisieren die Beherrschbarkeit und Kontrolle des Menschen über seinen Heimatplaneten. Da-mit wurde das Tätigkeitsfeld des »systems man« symbolisch ausgedehnt zur Ar-beit an der »endless frontier«. Dass diese allumfassende Kontrollvision keines-wegs nur eine Metapher für den wissenschaftlich-technischen Fortschritt war, sondern zugleich eine militärisch-politische Dimension einschloss, macht der Anzeigentext deutlich, der die Bedeutung weltweiter Informationsnetzwerke für die Einsatzplanung der amerikanischen Luftwaffe betont. Nationale Sicherheit im Kalten Krieg wurde nicht mehr beschränkt auf das Territorium der USA, son-dern galt als eine globale Aufgabe, die eine systemische Informationsvernetzung der Streitkräfte erforderte und die gesamte Erde und den Weltraum sowohl zum zukünftigen Schlachtfeld als auch zum Labor der Systemingenieure machte. Die Biosphäre mutierte in der vorliegenden Anzeige zur militärisch kontrollierbaren Technosphäre.59 Wissenschaftlich–technische Beherrschung der Erde und des

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Weltraums hieß somit in den 1960er Jahren auch militärische und politische Be-herrschung des Gegners. Der Systemingenieur wurde somit auch symbolisch überhöht als Garant nationaler und globaler Sicherheit. Ingenieure – Kämpfer im Kalten Krieg? Die Anzeigen des Scientific American aus den 1960er Jahren zeigten den Ingeni-eur des Kalten Krieges als eine entscheidende Säule im Kampf gegen den Kom-munismus. Sie können als symbolische Legitimationsstrategie interpretiert wer-den, mit deren Hilfe die Integration der Ingenieurwissenschaften in die sozialen Netzwerke des Militärisch-Industriellen-Komplexes gewährleistet werden sollte. Mit dem militärischen und moralischen Desaster des Vietnamkriegs sowie den gesellschaftlichen und kulturellen Umbrüchen in den USA Ende der 1960er Jah-re wurde die Selbstverständlichkeit dieser Eigenwahrnehmung durchbrochen: Immer mehr Unternehmen verzichteten in ihren Anzeigen sukzessive auf einen diskursiven oder bildlichen Bezug zu den militärischen Nutzungsmöglichkeiten des neuen technischen Systemwissens. Das kulturelle Kapital des Militärisch-Industriellen Komplexes hatte sich teilweise aufgebraucht. Anmerkungen

1 A. Pacey: The Culture of Technology, 3. Aufl. Cambridge 1986. 2 Ebd., S. 6. 3 T. Lenoir: Politik im Tempel der Wissenschaft. Forschung und Machtausübung im

deutschen Kaiserreich, Frankfurt a. M./New York, 1992, S. 146–171; J. M. Staudenmaier: Technology`s Storytellers. Reweaving the Human Fabric, Cambridge/London 1985, S.121–161.

4 M. Hard: Zur Kulturgeschichte der Naturwissenschaft, Technik und Medizin. Eine interna-tionale Literaturübersicht, in: Technikgeschichte 70 (2003), H. 1, S. 23–45.

5 S. Traweek: Border Crossings: Narrative Strategies in Science Studies and among Physi-cists in Tsukuba Science City, Japan, in: A. Pickering (Hg.): Science as Practice and Cul-ture, Chicago 1992, S. 429–466, hier S. 437f.

6 Zur Problematik von Bildquellen aus technikhistorischer Perspektive vgl. Th. Hänseroth: Gelehrte Bilder: Geometrisierte Wissensrepräsentationen in der Bauliteratur des 17. und 18. Jahrhunderts als symbolische Einlösung des Nützlichkeitsversprechens frühneuzeitlicher Wissenschaft, in: T. Meyer / M. Popplow (Hg.): Technik, Arbeit und Umwelt in der Geschichte. Günter Bayerl zum 60. Geburtstag, Münster 2006, S. 201–220, hier S. 201–204.

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7 G. Hooks: Forging the Military-Industrial Complex. World War II`s Battle of the Potomac, Urbana/Chicago 1991, S. 10ff.; L. Bluma: Norbert Wiener und die Entstehung der Kybernetik im Zweiten Weltkrieg, Münster 2005, S. 50–88 u. S. 164–170.

8 J. G. Hershberg: James B. Conant. Harvard to Hiroshima and the Making of the Nuclear Age, Stanford 1993, S. 120f.

9 Zum »differential analyzer« vgl. V. Bush: The Differential Analyzer: A New Machine for Solving Differential Equations, in: Journal of the Franklin Institute 212 (1931), Nr. 4, S. 447–488; L. Owens: Vannevar Bush and the Differential Analyzer: The Text and Context of an Early Computer, in: J. M. Nyce / P. Kahn (Hg.): From Memex to Hypertext: Vannevar Bush and the Mind`s Machine, Boston u.a. 1991, S. 3–38.

10 Zur Zusammenarbeit Bushs mit der Navy vgl. C. Burke: Information and Secrecy. Vannevar Bush, Ultra, and the Other Memex, New York/London 1994, S. 125ff.

11 Vorbild war hier das deutsche Universitätssystem; vgl. R. M. Abrams: The U.S. Military and Higher Education: A Brief History, in: The Annals of the American Academy of Polit-ical and Social Science 502 (1989), S. 15–28, hier S. 17.

12 Zur Organisation des NDRC vgl. J. Ph. Baxter: Scientists Against Time, 6. Aufl. Cam-bridge/London 1968, S. 15ff.

13 Zur Organisation des OSRD vgl. I. Stewart: Organizing Scientific Research for War. The Administrative History of Scientific Research and Development, Boston 1948.

14 Th. P. Hughes: American Genesis. A History of the American Genius for Invention, New York 1990, S. 381–398.

15 Details zum Kontraktwesen finden sich bei J. Lieske: Forschung als Geschäft. Die Entwicklung von Auftragsforschung in den USA und Deutschland, Frankfurt a.M. 2000, S. 139–185.

16 Der Begriff »turning point« zur Charakterisierung des Umbruches der amerikanischen Wissenschaftsorganisation während des Zweiten Weltkrieges findet sich bei R. S. Cowan: A Social History of American Technology, New York/Oxford 1997, S. 260.

17 Entsprechend besaßen diese Universitäten Kompetenzen im Projektmanagement, welches nun eine Schlüsselressource bei der Forschung und Entwicklung von Waffensystemen werden sollte; vgl. P. Galison: The many Faces of Big Science, in: Ders. / B. Hevly (Hg.): Big Science. The Growth of Large-Scale Research, Stanford 1992, S. 1–17, hier S. 3ff.

18 S. S. Schweber: The Empiristic Temper Regnant: Theoretical Physics in the United States 1920–1950, in: Historical Studies in the Physical and Biological Sciences 17 (1986), Nr. 1, S. 55–98, hier S. 91ff; L. Owens: The Counterproductive Management of Science in the Second World War: Vannevar Bush and the Office of Scientific Research and Develop-ment, in: Business History Review 68 (1994), S. 515–576, hier: S. 537f.

19 Zur Theorie soziotechnischer Netzwerke vgl. M. Callon / J. Law: On the Construction of Sociotechnical Networks: Content and Context Revisited, in: Knowledge and Society: Studies in the Sociology of Science Past and Present 8 (1989), S. 57–83; J. Weyer / U. Kirchner / L. Riedl / J. F. K. Schmidt (Hg.): Technik die Gesellschaft schafft. Soziale Netzwerke als Ort der Technikgenese, Berlin 1997. Eine originelle netzwerktheoretische Analyse des Militärisch-Industriellen Komplexes liefert A. Pickering: Cyborg History and the World War II Regime, in: Perspectives on Science 3 (1995), Nr. 1, S. 1–48.

20 G. P. Zachary: Endless Frontier: Vannevar Bush, New York u.a. 1997, S. 116. 21 Stewart: Organizing Scientific Research, S. 301ff. 22 V. Bush: Science the Endless Frontier. A Report to the President, Washington 1945.

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23 Ebd., S. 26 u. S. 28ff. 24 Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es erneut zu heftigen politischen Auseinandersetzungen

zwischen den »New Dealers« und den New-Deal-Gegnern um die Rolle des Staates in der amerikanischen Gesellschaft; vgl. C. E. Barfield: Introduction and Overview, in: Ders. (Hg.): Science for the Twenty–first Century. The Bush Report Revisited, Washington 1997, S. 1–23, hier S. 3; D. L. Kleinman / M. Solovey: Hot Science/Cold War: The Na-tional Science Foundation After World War II, in: Radical History Review 63 (1995), S. 110–139.

25 Zur Mobilisierung der amerikanischen Wissenschaften für den Korea Krieg vgl. St. W. Leslie: The Cold War and American Science. The Military–Industrial–Academic Complex at MIT and Stanford, New York 1993, S. 60ff.

26 Z. Wang: The Politics of Big Science in the Cold War: PSAC and the Funding of SLAC, in: Historical Studies in the Physical and Biological Sciences 25 (1995), Nr. 2, S. 329–356.

27 D. J. Kevles: Cold War and Hot Physics: Science Security, and the American State, 1945–56, in: Historical Studies in the Physical and Biological Sciences 20 (1990), Nr. 2, S. 239–263; P. Forman: Behind Quantum Electronics: National Security as Basic for Physical Re-search in the United States, 1940–1960, in: Historical Studies in the Physical and Biologi-cal Sciences 18 (1987), Nr. 1, S. 149–229, hier S. 193ff.; Barfield: Introduction, S. 10f.

28 St. H. Cutcliff / T. S. Reynolds: Technology in American Context, in: Dies. (Hg.): Tech-nology & American History. A Historical Anthology from Technology & Culture, Chica-go/London 1997, S. 5–26, hier S. 22.

29 Exemplarisch kann hier die Entwicklung des computergestützten Raketenabwehrsystems SAGE am MIT genannt werden, das eine Antwort auf die Bedrohung der USA durch sowjetische Langstreckenbomber war; vgl. Th. P. Hughes: Rescuing Prometheus. Four Monumental Projects that Changed the Modern World, New York 2000, S. 15ff.

30 Zu Operations Research vgl. M. Fortun / S. S. Schweber: Scientists and the Legacy of World War II: The Case of Operations Research (OR), in: Social Studies of Science 23 (1993), S. 595–642.

31 Zum »systems engineering« vgl. A. C. Hughes / Th. P. Hughes (Hg.): Systems, Experts and Computers. The Systems Approach in Management and Engineering. World War II and After, Cambridge/London 2000; L. Bluma: Norbert Wiener, S. 189ff.

32 Bluma: Wiener, S. 118ff. 33 Hughes: Rescuing Prometheus, S. 154ff. 34 Einführend zur bildlichen Repräsentation von Wissenschaft und Technik vgl. S. Nikolow /

L. Bluma: Die Zirkulation der Bilder zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Ein historiographischer Essay, in: B. Hüppauf / P. Weingart (Hg.): Frosch und Frankenstein. Bilder als Medium der Popularisierung von Wissenschaft, Bielefeld 2009, S. 45–78.

35 I. Heumann: Populäres Wissen. Wissenskommunikation im deutsch-amerikanischen Vergleich, in: Nachrichtenblatt der DGGMNT 2 (2011), S. 39–45, hier S. 39; vgl. auch Dies.: »Mit Sicherheit und Würde der Öffentlichkeit über ihre Arbeit berichten«. Wissenschaftskommunikation in Bild der Wissenschaft und Scientific American (1964–1974), in: S. Stöckel / W. Lisner / G. Rüve (Hg.): Das Medium Wissenschaftszeitschrift seit dem 19. Jahrhundert. Verwissenschaftlichung der Gesellschaft – Vergesellschaftung von Wissenschaft, Stuttgart 2009, S. 207–228. In dieser kurzen Vorstellung der Ergebnisse ihrer Dissertationsschrift finden sich auch weitere Informationen zur Wissenskommunikation im Scientific American.

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36 S. Nikolow / A. Schirrmacher (Hg.): Wissenschaft und Öffentlichkeit als Ressourcen füreinander. Studien zur Wissenschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2007; vgl. darin insbesondere M. G: Ash: Wissenschaft(en) und Öffentlichkeit(en) als Ressourcen füreinander. Weiterführende Bemerkungen zur Beziehungsgeschichte, in: ebd., S. 349–362.

37 Zu seriell-ikonographischen Methoden der Bildanalyse vgl. J. Jäger: Photographie: Bilder der Neuzeit. Einführung in die Historische Bildforschung, Tübingen 2000, S. 77ff.

38 Die Zuweisung zu bestimmten technischen Feldern lässt Mehrfachkategorisierungen zu. Wird in einer Anzeige z.B. mit einem Satelliten geworben und dessen Funktion als Kommunikationsmedium erwähnt erfolgte eine Kategorisierung sowohl in »Weltraum-/Raketentechnik« als auch in »Kommunikationstechnik«. Obwohl bei diesem Beispiel konnotativ immer auch eine militärische Anwendung implizit enthalten ist, erfolgte eine Zuweisung zur Kategorie »Militärtechnik« nur bei einem expliziten Bezug auf diese Anwendungsmöglichkeit.

39 Scientific American 208 (1963), Nr. 1, S. 141. 40 D. Pfister: Bilderwelt der Konsumgesellschaft. Werbung in ihrem ökonomischen und

kulturellen Umfeld, in: D. Di Falco / P. Bär / Ch. Pfister (Hg.): Bilder vom besseren Leben: Wie Werbung Geschichte erzählt, Stuttgart 2002, S. 9–15, hier S. 10.

41 Alle ausgewählten Anzeigen wurden in mehreren Ausgaben und Jahrgängen der Scientific American abgedruckt. Es wurde jedoch jeweils nur ein Nachweis angegeben.

42 Beispielhaft kann hier die Fotoserie aus der Mitte des 19. Jahrhunderts genannt werden, die den Ingenieur Isambard K. Brunel beim Bau des damals größten Schiffes Great Eastern zeigt. Abgebildet vor den riesigen Bauteilen des Schiffes zeigen die Fotos die Überlegenheit des tatkräftigen Ingenieurindividuums über die Gewalten der Natur und Technik; vgl. auch Jäger: Photographie, S. 161–167.

43 Anzeige von IBM, in: Scientific American 206 (1962), Nr. 5, S. 164. 44 Anzeige von Motorola, in: Scientific American 206 (1962), Nr. 5, S. 163. 45 Anzeige von Hoffman/Electronics Corp., in: Scientific American 206 (1962), Nr. 4, S. 129. 46 So heißt es in einer Anzeige der Bell Telephone Laboratories: »But surely discovery is

more likely when people are stimulated to think in new ways. And nothing more powerful-ly stimulates scientists and engineers than up-to-the-minute discussion of the latest devel-opments. Bell Laboratories scientists and engineers make a point of exchanging infor-mation on their latest advances not only among themselves but with the great world-wide professional community to which they belong.« Scientific American 206 (1962), Nr. 4, S. 25.

47 Scientific American 208 (1963), Nr. 1, S. 146. 48 Scientific American 208 (1963), Nr. 2, S. 165. 49 Anzeige von Northrop, in: Scientific American 206 (1962), Nr. 6, S. 15. 50 Hughes: Rescuing Prometheus, S. 15–67. 51 L. Bluma: Das Blockdiagramm und die Systemingenieure. Eine Visualisierungspraxis

zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit in der US-amerikanischen Nachkriegszeit, in: NTM/N.S. 10 (2002), S. 247–260.

52 Scientific American 208 (1963), Nr. 1, S. 167. 53 Bush: Science. 54 F. J. Turner: The Significance of the Frontier in American History, in: Report of the Amer-

ican Historical Association 1893, S. 199–227.

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55 Zur Verbreitung der »Frontier-Ideologie« in den amerikanischen Ingenieurwissenschaften vgl. A. Pacey: Meaning in Technology, 2. Aufl. Cambridge/London 2001, S. 180–185.

56 Scientific American 205 (1961), Nr. 2, S. 7. 57 Anzeige von McDonnell, in: Scientific American 206 (1962), Nr. 4, S. 22. 58 Eine detaillierte Analyse der Computerdarstellungen im Scientific American würde den

Rahmen dieser Abhandlung sprengen. 59 Zur Umdeutung der Erde als Technosphäre durch systemische Theorien vgl. S. Höhler / F.

Luks: Die ökonomische Konstruktion ökologischer Wirklichkeit: Vorarbeiten, Thesen und Konkretisierungen zum Expertendiskurs der »Nachhaltigen Entwicklung«, NEDS-Working Paper Nr. 5, Hamburg 2004, S. 13ff.

Anschrift des Verfassers: Dr. Lars Bluma Deutsches Bergbau-Museum Bochum Am Bergbaumuseum 28 44791 Bochum

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Technikoptimismus und Fortschrittsversprechen. Elektrotechnik in der technokratischen Hochmoderne

Detlev Fritsche

Betrachtet man die Jahre von ca. 1880 bis ca. 1970 unter technikhistorischen As-pekten, kann man sie – abweichend von gängigen Periodisierungen – als Einheit auffassen und als technokratische Hochmoderne bezeichnen. Zentrales und durchgehendes Kennzeichen dieser Zeitspanne war der fast uneingeschränkte Glauben an eine bessere Zukunft, die auf technischem Fortschritt basierte. Zwi-schen dem Beginn der Hochindustrialisierung und dem Ende der Atomeuphorie wurden technischer und sozialer Fortschritt vielfach gleichgesetzt. Das lag zum Einen am Eindringen technischer Artefakte und Lösungen in die Lebenswelt breiter Massen, die unbestreitbar das Leben erleichterten, zum Anderen an einem sich immer weiter ausbreitenden Glauben an die prinzipiell unbegrenzte Weiter-entwicklung technischer Systeme und der damit verbundenen Lösung komplexer gesellschaftlicher Probleme. Dieser Glaube wurde nicht einmal durch die verhee-renden Auswirkungen von zwei technisierten Weltkriegen gebrochen. Zentrale Signatur der technokratischen Hochmoderne blieb ein auf Technikoptimismus beruhendes Fortschrittsversprechen.

Von herausragender Bedeutung für die Etablierung der kognitiven Strukturen der technokratischen Hochmoderne war die Gruppe der Ingenieure; sie soll des-halb im Folgenden näher betrachtet werden. Die Erfolge ihrer Arbeit prägten entscheidend die Wahrnehmung der Epoche als technisch induzierten Weg in eine bessere Zukunft. Einfluss darauf hatten neben ihrer Arbeit auch ihr Habitus und ihre Äußerungen in der Öffentlichkeit. Obwohl sie keinesfalls als homogene Gruppe auftraten und mit vielfältigen Widerständen als soziale Spätaufsteiger zu kämpfen hatten, scheint der von ihnen verbreitete Technikoptimismus eine starke Anziehungskraft ausgeübt zu haben. Wie war es dieser Berufsgruppe schließlich möglich, ihr Handeln als maßgeblich für den Fortschritt zu verkaufen? Welche Annahmen und Behauptungen wählten sie dabei zur Unterstützung ihres Auf-tritts?

Einem Verständnis der dafür maßgeblichen Prozesse kann durch Verwendung der Topoi Transzendenz und Gemeinsinn näher gekommen werden. Transzen-denz wird dabei nicht unter spezifisch religiösen Gesichtspunkten betrachtet: Sie versammelt Diskurse, Praktiken, Semantiken und Symbole, in denen soziale und politische Strukturen und Prozesse auf Vorstellungen, Ereignisse, Figuren und kulturelle Muster bezogen werden, die über sie hinausgehen, ihnen aber jenen

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Sinn und jene Geltung vermitteln, die für Eigenwahrnehmung, Selbstreflexion und Handlungsorientierung notwendig sind.1 Der hier verwendete Transzen-denzbegriff zielt also auf innerweltliche Unverfügbarkeiten wie beispielsweise die Fortschrittsannahme in Szientismus und Technik.

Der Begriff Gemeinsinn wiederum fasst kognitive, motivationale, kommuni-kative und symbolische Diskurse und Praktiken zusammen, die generalisierte Sinnwelten erzeugen und die Grundlage für koordiniertes Handeln und Voraus-setzung zur Herstellung von Ordnungsformationen bilden. Gemeinsinn wird also als Mittel zur Herstellung einer nicht selbstverständlichen Gemeinschaftlichkeit und gesellschaftlichen Kohäsion durch Überschreitung partikularer Interessen im Interesse des Gemeinwohls gesehen. Verbunden werden beide Begriffe durch die Annahme, dass die Mobilisierung von Gemeinsinn in der Regel unter Bezug-nahme auf Transzendenz erfolgt und beide Begriffe ihre analytische Kraft vor-nehmlich in der wechselseitigen Verschränkung entfalten.

Bei der hier behandelten Thematik finden sich Transzendenz- und Gemeinsinnsbezüge vor allem in der Beobachtung, dass die Behauptung altruis-tischen Verhaltens den Technikoptimismus der Ingenieure offenbar mit einem hohen Maß an Vertrauenswürdigkeit und Faszination ausstattete. Dadurch konn-te eine Technikzuversicht entstehen, die von unbegrenzter Steigerungsfähigkeit für das Gemeinwohl einsetzbarer, technischer Mittel ausging. Produktion von Dingen ist stets auch Herstellung von Bedeutung. Die Hauptakteure bei der Ge-staltung von Technik – die Ingenieure – schienen dabei ein besonderes Bedürfnis nach Überhöhung ihrer Arbeit an den Tag zu legen.

Die folgenden Beispiele sollen illustrieren, wie Ingenieure Technik mit Be-deutung aufluden. Sie konzentrieren sich dabei inhaltlich auf das Gebiet der Elektrotechnik, räumlich auf Deutschland und zeitlich auf drei Phasen intensiver Debatten in diesem Technologiebereich: die Einführung der Elektromotoren zu Beginn des Kaiserreiches, die Verbundelektrifizierung in der Zwischenkriegszeit sowie den Beginn der friedlichen Atomenergienutzung in der Nachkriegszeit. Versprechen einer Rettung des Handwerks In der entstehenden Industriegesellschaft des Deutschen Kaiserreiches galten Handwerker als die eigentlichen Verlierer. Als immer noch einflussreiche gesell-schaftliche Gruppe gelang es ihnen jedoch, ihre Sorgen und Nöte zum Gegen-stand des öffentlichen Diskurses zu machen.2 Dementsprechend meldeten sich schon bald Vertreter unterschiedlicher Couleur zu Wort, um unter vermeintlich genauer Kenntnis der Ursachen des Problems sogleich Lösungsvorschläge zu unterbreiten. So führte beispielsweise der Ingenieur und Unternehmer Werner

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Siemens (1816–1892) im Rahmen eines Vortrages vor der Versammlung Deut-scher Naturforscher und Aerzte am 18. September 1886 aus: »Es wird aber un-fehlbar der Technik gelingen, dies Hindernis der Rückkehr zur wettbewerbsfähi-gen Handarbeit zu beseitigen und zwar durch die Zuführung billiger mechani-scher Arbeitskraft, dieser Grundlage aller Industrie, in die kleineren Werkstätten und Wohnungen der Arbeiter.«3

Abb. 1: Einsatz des Elektromotors in einer Metzgerei, 19094 Als Hindernis für die Rückkehr zu handwerklich geprägten Produktionsstruktu-ren hatte Siemens die ungenügende Bereitstellung mechanischer Antriebsquellen ausgemacht, mit »billiger mechanischer Arbeitskraft« meinte er selbstverständ-lich den Elektromotor. In den Händen der vermeintlich abgehängten Handwerker sollte dieser schließlich eine Umkehr der beklagten Entwicklung ermöglichen: »Nicht eine Menge grosser Fabriken in den Händen reicher Kapitalisten, in de-nen ›Sklaven der Arbeit‹ ihr klägliches Dasein fristen, ist daher das Endziel der Entwickelung des Zeitalters der Naturwissenschaften, sondern die Rückkehr zur Einzelarbeit ....«5

Der Begründer der wissenschaftlichen Getriebelehre, Franz Reuleaux (1829–1905), hatte schon über zehn Jahre vor Siemens erkannt: »Was also das Maschi-nenwesen zu thun hat, um einem wesentlichen Theile des Uebels zu begegnen, ist, billige kleinere Betriebskräfte, oder mit anderen Worten: kleine, mit geringen Kosten betreibbare Kraftmaschinen zu beschaffen. Geben wir dem Kleinmeister

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Elementarkraft zu ebenso billigem Preise, wie dem Kapital die große mächtige Dampfmaschine zu Gebote steht, und wir erhalten diese wichtige Gesellschafts-klasse, wir stärken sie, wo sie glücklicherweise noch besteht, wir bringen sie wieder auf, wo sie bereits im Verschwinden ist.«6 In dieses Horn bließ knapp zehn Jahre nach Siemens auch der Ingenieur und Professor für Elektrotechnik an der TH Charlottenburg, Adolf Slaby (1849–1913): »Sobald dem Handwerk die Quellen billiger mechanischer Triebkraft fließen, wird es mit seinen Erzeugnis-sen denen der Großindustrie erfolgreich Konkurrenz machen, wird es dieselbe sogar in vielen Fällen überflügeln können.«7

Konnte man solche Äußerungen vom Beginn der Industrialisierung noch als Reaktion auf die sich rapide ändernden ökonomischen Machtverhältnisse inter-pretieren, so waren diese zu Beginn der Weimarer Republik längst zementiert. Aber auch noch 1919 glaubte der Münchner Elektrotechniker Leo Graetz (1856–1941) bemerken zu müssen: »In diesem Sinne trägt also die Elektrizität das Ihri-ge mit dazu bei, um die im Vordergrund des Interesses stehende soziale Frage der Lösung dadurch näher zu bringen, daß sie den Kleinen dieselben Vorteile in der Arbeitsteilung zuwendet, welche die Großen schon lange haben.«8

Im Vergleich mit der Dampfmaschine waren die faktischen Vorteile des Elekt-romotors unbestritten: Er war nach Anschluss an das Netz nahezu unbeschränkt verwendbar, geräuschlos und abgasfrei. Der hohe Wirkungsgrad paarte sich mit der Möglichkeit schneller Drehrichtungsumkehr und schnellen Drehzahlwech-sels.9 Außerdem erschien der Einsatz von Elektromotoren zur Auffüllung der durch die Konzentration auf Beleuchtungszwecke auftretenden Abnahmelücken elektrischer Energie zumindest aus Sicht der Betreiber von Kraftwerken plausi-bel. Interessanterweise betonten die zitierten Ingenieure aber weder die techni-schen, noch die ökonomischen, sondern vorzugsweise die sozialen Vorteile des Einsatzes dieser Technik. Versprechen ubiquitärer Energieversorgung In der Zwischenkriegszeit war der Einsatz elektrischer Energie auf dem Weg zur lebensweltlichen Selbstverständlichkeit. Nicht nur die Industrie (sowohl Groß- als auch Kleinbetriebe) nutzte sie in immer größerem Umfang, der elektrische Strom war auch auf dem Weg in die Landwirtschaft, in den immer umfangrei-cher werdenden Dienstleistungssektor und in die privaten Haushalte. Nun war es nicht mehr wichtig, ob und wie Elektroenergie eingesetzt wurde, sondern von wem und in welchem Umfang sie möglichst schnell und möglichst billig erzeugt und verteilt werden konnte.

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Die Suche nach ökonomischen Lösungen führte im Verein mit technischen Verbesserungen zu immer größeren Kraftwerken (zunächst Wasser-, dann Koh-lekraftwerken) und damit zum Problem der Verteilung der erzeugten Elektro-energie an die Verbraucher. Dieses sollte durch das Verbundsystem gelöst wer-den, dessen Dimension und Struktur in Deutschland aus politischen Gründen je-doch zunächst lokalen bzw. regionalen Beschränkungen unterworfen blieb.

Es verwundert daher kaum, dass es schon bald Vorschläge und Pläne zu einer nationalen und schließlich sogar globalen Neuausrichtung gab. Ein wichtiger Vertreter derartiger Konzepte war der zunächst Panropa, später Atlantropa ge-nannte Plan des Architekten und Baumeisters Hermann Sörgel (1885–1952).10 Sörgel plante durch die Abschottung des Mittelmeeres bei Gibraltar, den Darda-nellen sowie an allen großen Flüssen (Nil, Rhône, Po u. a.) eine Absenkung des Meeresspiegels durch natürliche Verdunstung. Durch Einbau gigantischer Was-serkraftwerke in die zur Abriegelung benötigten Dämme hätten nach seinen Be-rechnungen sämtliche 1930 vorhandenen, europäischen Elektrizitätswerke ersetzt werden können. Um die erzeugte Elektroenergie verteilen zu können, war ein Energieverbundnetz vom Nordkap bis zum Kap der Guten Hoffnung geplant. Das wiederum war seiner Meinung nach die Voraussetzung für weitgehenden Völkerfrieden: »Die wirtschaftliche Verständigung muß der politischen voraus-gehen. Bis zu den Vereinigten Staaten Europas scheint der Weg jedenfalls weiter zu sein, als bis zu den Vereinigten Kraftwerken Europas, deren Verwirklichung sicher ein großer Fortschritt zum europäischen Völkerfrieden wäre. Die Verket-tung Europas durch Kraftleitungen ist eine bessere Friedensgarantie als Pakte auf dem Papier; denn mit der Zerstörung der Leitungen würde sich jedes Volk selbst vernichten.«11

Sörgel beschränkte sich jedoch nicht auf Fragen des Elektroenergieverbundes, sondern machte sich zugleich auch an die Lösung gesamteuropäischer, afrikani-scher und globaler Probleme: Das gigantische Projekt versprach zunächst Ar-beitsplätze für das Millionenheer der Erwerbslosen in der Weltwirtschaftskrise. Statt nationalstaatlicher Konfrontation bedurfte es technischer Kooperation. Durch die Absenkung des Meeresspiegels konnte an den Rändern des Mittel-meers Land gewonnen und besiedelt werden. Zugleich sollte der Brückenschlag nach Afrika, wo sich mit dem erwarteten Energieüberschuss neuer Lebensraum erschließen ließe, erfolgen. Nach Sörgels Visionen hätte sich der europäisch-afrikanische Wirtschaftsgroßraum damit als dritte Kraft gegenüber Asien und Amerika behaupten können.

Sörgel interpretierte Technik als treibende Kraft für die Entwicklung moderner Gesellschaften: »Der innerste Kern von Atlantropa ist die Erkenntnis, daß die Technik den eigentlichen Motor und stärksten Zeitfaktor darstellt, von dem aus

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die Wirtschaft und schließlich die Politik erst in Bewegung gesetzt werden, ab-hängen und gemacht werden.«12 Dabei appellierte er direkt an die politisch Ver-antwortlichen:

»Schließlich – so muß sowohl der nüchterne als auch der zukunftsgläubige Wirklichkeitsmensch kalkulieren – wird doch nur die Technik die Macht zur Ini-tiative in sich tragen, die am meisten zur Vollendung einer friedlichen und auf-bauenden, ökonomischen und beglückenden neuen Weltordnung beizutragen vermag. Ein bekannter Wirtschaftsführer hat ähnliche Gedankengänge in die Worte zusammengefaßt: ›Will die Politik weiter die technische Weltrevolution ignorieren und mitten in der Neuzeit mittelalterlich bleiben – so muß Europa die-sen Anachronismus mit seiner Existenz bezahlen.‹«13

Sörgel stand nicht allein. Er vermochte mit seinen mehr als kühnen Visionen auch ausgewiesene Fachleute zu überzeugen, die ihm bei der Detaillierung seiner Pläne behilflich waren, so beispielsweise auch den damaligen Generaldirektor von Siemens & Halske, Bruno Siegwart.14 Obwohl Sörgel seine Pläne immer wieder an die aktuellen politischen Veränderungen anpasste (z. B. an die im Deutschen Reich seit 1933 herrschenden Vorstellungen) und obwohl er versuch-te, viele andere Vorhaben (z. B. die Brücke über die Straße von Messina) in sei-ne Pläne einzubeziehen, blieb ihm der reale Erfolg versagt. Widerhall fanden seine Pläne nur in utopischen Romanen. Dennoch verblüfft noch heute der maß-lose soziale Lösungsanspruch, den Sörgel mit seinem Technikoptimismus ver-trat. Versprechen unbegrenzter Energieerzeugung Der Zweite Weltkrieg hatte einmal mehr das destruktive Potential von Technik deutlich gemacht. Mit dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Naga-saki im August 1945 war die Produktionsreife eines völlig neuen technischen Prinzips bestätigt worden – nach aufwendigen Forschungs- und Entwicklungsar-beiten im Rahmen des amerikanischen Manhattan-Projektes. Es gelang den USA und der Sowjetunion in der Folgezeit, über die Nutzung der Atomenergie reale oder vermeintliche Abschreckungspotentiale aufzubauen.

Der überaus negativen Konnotation des Begriffes Atomenergie, die Zerstörung und massenhaftes Sterben durch die Atombombe suggerierte, versuchte man zur gleichen Zeit durch die Einführung der Bezeichnung Kernkraft aus dem Wege zu gehen. Dennoch hatte diese Technologie – wie auch immer man sie bezeichnen wollte – mit schwerwiegenden Imageproblemen zu kämpfen. Die zivile Nutzung wurde dadurch erschwert, mittels diverser Regierungsprogramme versuchte man gegenzusteuern. Doch erst eine auch durch die Versprechungen von Ingenieuren

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entstehende Atomeuphorie sollte den entscheidenden Durchbruch bringen. Dabei wurden die Möglichkeiten und Chancen der neuen Technik in den schillerndsten Farben ausgemalt: Sie galten als unabsehbar, geradezu unermesslich für alle Ge-biete des Lebens. Dazu stellte man den baldigen Einsatz von Technologien in Aussicht, die seinerzeit noch nicht erprobt waren (Schnelle Brüter) oder bis heu-te Vison geblieben sind (Fusionsreaktoren).15

Als nachgerade unübersehbares Symbol dieses neuerlichen Technikoptimis-mus kann die Weltausstellung 1958 in Brüssel gelten – vor allem westliche Wis-senschaftler und Techniker machten die Weltausstellung zu einem »Jahrmarkt des Atomzeitalters.«16 Zwar war das heute noch zu bestaunende Wahrzeichen der Brüsseler Expo, das Atomium, von seinem Initiator eigentlich als Eisenmo-lekül und damit als Sinnbild für die belgische Metallindustrie gedacht. Es wurde jedoch im Zuge der aufgekommenen Euphorie schnell als Atommodell umge-deutet, überragte mit seiner Höhe von 102 Metern alle anderen Gebäude und Pa-villons und war so von jedem Winkel der Expo sichtbar und geradezu omniprä-sent (Abb. 2). Doch auch in den Ausstellungshallen übertrafen sich die einzelnen Länder in der Vorstellung neuester Reaktorentwicklungen und in Plänen, große Teile ihrer Elektroenergieerzeugung auf Atomenergie umzustellen.

Abb. 2: Weltausstellung 1958 in Brüssel, Blick aufs Atomium17

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Als Höhepunkt sollte auf dem Gelände der Weltausstellung ein realer Kernreak-tor mit 11500 Kilowatt Leistung aufgestellt und betrieben werden. Er hätte einen Teil der Expo mit Strom versorgt und gezeigt, wie »einfach«, »unkompliziert« und »sicher« der Betrieb eines Reaktors wäre – zu einem Zeitpunkt, da es welt-weit gerade einmal fünf funktionsfähige Atomkraftwerke gab und man kaum von einer eingeführten und erprobten Technologie sprechen konnte. Die Umsetzung dieses Planes scheiterte letztendlich nur an Standortfragen und dem Einspruch des Gesundheitsamtes der Stadt Brüssel.18

Die Weltausstellung des Jahres 1958 war jedoch nur der Höhepunkt einer schon Jahre zuvor begonnenen Entwicklung. Den Auftakt machte eine Rede des amerikanischen Präsidenten Dwight D. Eisenhower (1890–1969) vor der UN-Vollversammlung in New York am 8. Dezember 1953. Im ersten Teil ging Ei-senhower auf die Bedrohung der Welt durch die Blockkonfrontation auf dem Gebiet der Kernwaffen ein. Im zweiten Teil präsentierte er den Plan Atoms für Peace mit Vorschlägen für eine friedliche Nutzung der Kernenergie. Verbunden mit dieser Rede war eine umfassende Informations- und Bildungskampagne der US-Regierung, die den Gedanken der friedlichen Nutzung der Kernenergie in die letzten Winkel der Welt tragen sollte.19

Diesem Propagandafeldzug konnte eine gewisse Wirkung nicht abgesprochen werden. Als ebenfalls auf Initiative der USA vom 8. bis 20. August 1955 am Sitz der Vereinten Nationen in Genf die Erste Konferenz über die friedliche Nut-zung der Atomenergie abgehalten wurde, konnten sich die Veranstalter jedenfalls kaum vor Anmeldungen retten und mussten die Anzahl der Teilnehmer schließ-lich auf 2000 begrenzen.20 Aus insgesamt 72 Staaten waren vor allem Wissen-schaftler und Staatsvertreter angereist –mit der UdSSR war auch die östliche Sei-te vertreten.

Das Medienecho auf diese Veranstaltung war gewaltig und wurde noch durch staatliche Informationsprogramme (auch in der Bundesrepublik Deutschland) forciert. Bis dahin von einzelnen Propagandisten gepflegte Visionen waren plötzlich in aller Munde. Scheinbar gab es kein technisches Gebiet mehr, auf dem nicht zum Nutzen der Menschheit direkt oder indirekt Atomenergie ange-wandt werden konnte. Endlich konnte dem Bedürfnis nach positiver Umdeutung des der Kernkraft anhaftenden Negativ-Images Raum gegeben werden.

Alles schien möglich. Man erhoffte und versprach die vollständige Ablösung fossiler Energieträger. Atomenergie sollte die Abtragung von Gebirgen, die Be-wässerung von Wüsten und die Austrocknung von Meeren ermöglichen, ja sogar das Eis der Polarkappen zum Schmelzen bringen. Künstliche Klimate sollten neue Siedlungs- und Ernährungsmöglichkeiten bringen, Atomantriebe beliebige

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Entfernungen überbrücken, Atomstrahlen Krankheiten ausmerzen und das Leben um Jahrzehnte verlängern.21

Auch Ingenieure standen solchen aus heutiger Sicht utopisch anmutenden Äu-ßerungen keinesfalls nach. So konnte man in den VDI-Nachrichten vom Projekt eines Riesenlastzuges mit Kernenergie-Antrieb lesen: Die 52rädrige und 135 Meter lange Fahrzeugschlange sollte von Elektromotoren angetrieben wer-den – einer für jedes einzelne Rad, jeweils auf der Radnabe angebracht. Die Ge-neratoren für den benötigten Gleichstrom sollten sich an den jeweiligen Enden des Zuges befinden und von je einem Kernreaktor angetrieben werden. Spezielle Steuerungsaggregate hatten dafür zu sorgen, dass der Lastzug auch querfeldein durch beliebiges Gelände fahren konnte. Hier war vor allem an die Versorgung von abgelegenen Ortschaften in Arktis, Tundra und Wüste gedacht.22 Die Bei-spiele für den ungebrochenen Technikoptimismus der Ingenieure, die damit er-neut und in noch größeren Dimensionen ihre Vorstellungen von der technischen Lösung sozialer Probleme publik machten, ließen sich beliebig vermehren. Vom Technikoptimismus zum Fortschrittsversprechen Den aufgeführten Zitaten, Plänen und materialisierten Symbolen ist ein gewisser Optimismus in der Einschätzung der Folgen des Einsatzes von Technik nicht ab-zusprechen. Für Ingenieure erscheinen solche Deutungen nicht ungewöhnlich, sollten sie doch als Hervorbringer neuer Technik über detailliertere Kenntnisse der Möglichkeiten ihrer Inventionen und Entwicklungen verfügen.

Interessant ist aber der übergreifende Anspruch, nicht nur konkrete materielle Probleme lösen zu können, sondern mit deren Lösung auch reale und vermutete gesellschaftliche Verwerfungen und Missstände zu beseitigen bzw. zu mildern – sei es die berufliche Position von Handwerkern in der Hochindustrialisierung, sei es die ökonomische Situation von Arbeitslosen in der Weltwirtschaftskrise oder sei es der gerechte Zugang zu »fast kostenloser« Energie im Atomzeitalter. Mehr noch, in den Aussagen der Ingenieure ist nicht nur ein Anspruch sozialer Prob-lemlösungskompetenz erkennbar, sondern nachgerade ein Fortschrittsverspre-chen für die Gesellschaft, ja für die ganze Menschheit.

Dieses lässt sich zum einen aus dem Anspruch der Ingenieure ableiten, durch Technik Natur bezwingen zu können. Durch die Anwendung wissenschaftlicher Methoden glaubten sie, sowohl den Gesetzmäßigkeiten der Natur auf die Schli-che zu kommen, als auch die prinzipiell unberechenbare Natur durch verwissen-schaftlichte Technik in nahezu beliebigem Umfang für menschliche Zwecke nutzbar machen zu können. Zum anderen beschränkten sich die Ingenieure aber keineswegs auf den Einsatz ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten zum Wohle der

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Techniknutzer. Sie behaupteten vielmehr, die Bedürfnisse und Interessen der Ge-sellschaft und die einzuschlagende Entwicklungsrichtung derselben zu erkennen. Einige ihrer Vertreter strebten auf Grundlage derartiger Überzeugungen gar eine Herrschaft der Technokraten an.

Die Frage nach den Ursachen des beschriebenen Verhaltens der Ingenieure wurde bereits mehrfach gestellt. Aufstiegs- und Etablierungsbestrebungen einer neuen gesellschaftlichen Gruppe wurden zu ihrer Beantwortung ebenso ins Feld geführt, wie Bemühungen um Deutungshoheit und Anspruch auf Teilhabe an wichtigen gesellschaftlichen Entscheidungen. In ihren Selbstbeschreibungen sa-hen sich Ingenieure dagegen bevorzugt als uneigennützige Helfer und Garanten gesellschaftlichen Fortschritts, ja gar als zur Führung in der technischen Moder-ne Berufene. Über ihre Verbände, Organisationen und Medien, aber auch in pro-saischen Selbstdarstellungen, propagierten sie das Bild des altruistischen Ingeni-eurs, der – scheinbar ohne eigensinnige Interessen zu verfolgen – all seine Hand-lungen auf das Wohl der Gesellschaft richtete. Diese Deutung war naturgemäß nicht immer vollständig deckungsgleich mit den durch andere gesellschaftliche Gruppen vorgenommenen Fremdzuschreibungen, auch wenn es zuweilen Über-einstimmungen in der Bewertung gab. Die vornehmlich adressierten gesell-schaftlichen Eliten ignorierten derartige Aufwertungsbestrebungen jedenfalls größtenteils für lange Zeit. Dies hinderte Ingenieure nicht daran, zumindest den gleichen Rang wie bereits etablierte gesellschaftliche Gruppen – beispielsweise Ärzte oder Offiziere – für sich zu reklamieren. Anmerkungen

1 TU Dresden: Sonderforschungsbereich 804 »Transzendenz und Gemeinsinn« –

Finanzierungsantrag, Dresden 2008, S. 30. 2 U. Wengenroth: Die Diskussion der gesellschaftspolitischen Bedeutung des Elektromotors

um die Jahrhundertwende, in: H. J. Braun (Hg.): Energie in der Geschichte, Düsseldorf 1984, S. 305–311, hier S. 177.

3 W. v. Siemens: Das naturwissenschaftliche Zeitalter, in: Ders. (Hg.): Wissenschaftliche und technische Arbeiten, Berlin 1891, S. 491–499, hier S. 498.

4 A. W. Schulz: Der Elektromotor im Dienste des Handwerks und Kleingewerbes, Köln 1909, S. 15.

5 Siemens: Zeitalter, S. 498f. 6 F. Reuleaux: Lehrbuch der Kinematik, Braunschweig/Ilmenau 1875, S. 527.

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7 H. Lux: Der Kleinmotor und das Kleingewerbe, in: Soziale Praxis. Zentralblatt für Sozialpolitik und Wohlfahrtspflege (1895), Nr. 26, S. 309–311, hier S. 309.

8 L. Graetz: Die Elektrizität und ihre Anwendungen, Stuttgart 1919, S. 595. 9 H. Lackner: Der Elektromotor als Retter des Handwerks, in: K. Plitzner (Hg.): Elektrizität

in der Geistesgeschichte, Bassum 1998, S. 155–168, hier S. 160. 10 A. Gall: Das Atlantropa-Projekt, Frankfurt/M. 1998. 11 H. Sörgel: Atlantropa, Zürich 1932, S. 118–119. 12 Ebd., S. 82–83. 13 Ebd., S. 8. 14 D. van Laak: Weiße Elefanten. Anspruch und Scheitern technischer Großprojekte im 20.

Jahrhundert, Stuttgart 1999, S. 171. 15 J. Radkau: Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft 1945–1975, Niedernberg

1991. 16 Brüssel – Babel in Beton In: DER SPIEGEL, 09.04.1958, S. 40-52, hier S.42. 17 Foto: H. Krumnack, Sommer 1958, CC-by-sa 2.0/de. 18 W. Kretschmer: Geschichte der Weltausstellungen, Frankfurt/M. 1999, S. 221. 19 Congressional Record 100 (1954), January 7, S. 61–63. 20 R. Kollert: Die Politik der latenten Proliferation, Wiesbaden 1994, S. 111. 21 G. Dogigli: Entfesselte Atomkraft – Das Buch der Atom-Energie, Frankfurt/M. 1950, S. 8–

9. 22 C. C. Troebst: Riesenlastzug mit Kernenergie-Antrieb, in: VDI-Nachrichten (1958), Nr.

16, S. 3.

Anschrift des Verfassers Detlev Fritsche, M.A. Technische Universität Dresden SFB 804 »Transzendenz und Gemeinsinn«, TP-M 01062 Dresden

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Transzendenzbezüge und Gemeinsinnsbehauptungen im Reden vom »Atomzeitalter«

in der Bundesrepublik der 1950er Jahre

Peggy Renger-Berka Glaubt man euphorisch gestimmten Zeitgenossen der 1950er Jahre, verhieß das »Atomzeitalter« vor allem Gutes: »Die Welt von morgen erwartet uns! Schon stehen wir an der Schwelle, um durch die weit geöffnete Tür in ein neues Zeital-ter hinein zu schreiten. Es wird beherrscht von der Atomtechnik und von der Er-oberung des Weltalls über uns. Vieles in unserem Leben wird sich dann wan-deln.«1 So lautet ein Text im Sammelbildalbum der Firma Birkel, das seit den frühen 1950er Jahren in der Bundesrepublik erschien. Die Atomtechnik wird hier ganz positiv an den Beginn eines neuen, besseren Zeitalters gesetzt, welches den Menschen seiner Erd-Bindung entheben und alte Menschheitsträume realisieren werde: die Eroberung des Weltalls und der Meere, die Überwindung von Zeit- und Raumgrenzen sowie Wohlstand und Fortschritt. Mehrere Sammelbilder zei-gen schließlich mögliche Einsatzgebiete der Atomtechnik: als Energielieferant, als Antriebstechnik und zur Ertragssteigerung in der Landwirtschaft.

Abb. 1: Atomgarten2

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In anderen Publikationen und wissenschaftlicher Literatur lassen sich gleichzei-tig kritische Stimmen zur Atomtechnik finden. So stellte der Literaturwissen-schaftler und Altphilologe Wolfgang Schadewaldt in einem Vortrag auf der Jah-resversammlung des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft im April 1957 – knapp zwei Wochen nach Veröffentlichung des »Göttinger Manifestes« – fest:

»[…] hat die erste technische Revolution vom Ende des 18. Jahrhunderts mit ihren zunächst selbstvergessenen Vorstößen und großen Erfolgen uns immer mehr in die gegenwärtige Krise hineingeführt, so scheint es für die zweite tech-nische Revolution, in der wir mit der Entbindung der Atomkraft stehen, charak-teristisch zu sein, daß sie mit dem Blick auf neue, noch größere Möglichkeiten uns zugleich in der Gestalt einer heilsamen Furcht die klare Wahrheit über die mit den neuen Chancen verbundene ungeheure Gefährdung unverhüllt vor Au-gen stellt.«3

Hier dominieren Negativaussagen: Die »Entbindung der Atomkraft« wird als Endpunkt bzw. Folge einer Krise begriffen, die am Ausgang des 18. Jahrhun-derts begonnen habe. Während das Sammelalbum der Firma Birkel seiner Ziel-gruppe − zumeist Kindern und Jugendlichen − verschiedene Nutzungs- und da-mit Weiterentwicklungsmöglichkeiten für die Menschheit vor Augen führt, be-tont Schadewaldt die »ungeheure Gefährdung«, die mit der Atomkraft verbunden sei.

Gleichwohl teilen beide Zeitdeutungen die Ansicht, dass mit der Nutzung der Atomtechnik ein neues Zeitalter begonnen habe − eine zweite technische und industrielle Revolution4. Mit dem Verweis auf den Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft im 19. Jahrhundert wurden von der Etablierung der Atom-technik dieselben tiefgreifenden Veränderungen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich erwartet. Ein solcher Rekurs auf die Vergangenheit konnte sowohl die ablehnende Haltung legitimieren als auch die Euphorie der Befürworter, indem die einen die negativen Folgen der veränderten sozialen Verhältnisse, Arbeitsbe-dingungen und Lebensumstände in den Vordergrund rückten, die anderen dage-gen die positiven Folgen.

Deutlich wird hier auch, dass »Fortschritt« in Technik und Wissenschaft nicht zwangsläufig positiv besetzt sein muss, sondern bestimmte Techniken und Arte-fakte eher Zurückhaltung oder Furcht hervorrufen und schließlich mit Gefahr assoziiert werden konnten.5 Zum einen hat das etwas mit dem »Neuigkeitswert« einer Technik zu tun, zum anderen mit den bisherigen Erfahrungen. Für die »Atomtechnik« trifft das in besonderem Maße zu. Der vermeintlich neutrale, wissenschaftlich korrektere, seriöse und weniger negativ besetzte Begriff »Kern-technik« wurde beispielsweise vom Deutschen Atomforum in seinen für die Öf-

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fentlichkeit bestimmten Publikationen und Pressemitteilungen ab den 1970er Jahren gezielt benutzt, um die Atomenergie von der Atombombe und der Furcht vor Radioaktivität zu lösen. Er war der Fachsprache entlehnt, welche die direkte Übersetzung des englischen nuclear verwendete.6

In den 1950er Jahren hatte sich offensichtlich bereits eine mindestens zweifa-che Deutung des »Atomzeitalters« bzw. ein zwiespältiges Verhältnis zur Atom-technik etabliert: eine positiv (visionäre) für den zivilen Bereich (Energie, Landwirtschaft, Antriebstechnik) und eine negative, die sich vor allem am Ein-satz im militärischen Bereich − und zwar als Atombombe − orientierte.7 Das Atom als »Segen« oder »Fluch« Die Entwicklung der Atomtechnik lässt sich vor diesem Hintergrund unter-schiedlich darstellen: Je nach Vergangenheits- und Gegenwartsdeutung erscheint sie als Fortschrittserzählung in ein neues, besseres Jahrhundert oder als Verfalls-geschichte. Ich möchte mich weder der einen noch der anderen Erzählung an-schließen, sondern im Folgenden diejenigen Ereignisse und Zäsuren nennen, welche prägend wurden.

Die erste Kettenreaktion 1942 durch den in die USA emigrierten Italiener En-rico Fermi (1901–1954) leitete das bis in die 1980er Jahre prägendste Ereignis in der Geschichte der Atomenergie ein: den Abwurf der Atombomben über Hiros-hima und Nagasaki im August 1945. Dieses Datum steht gemeinhin für den Be-ginn des »Atomzeitalters«. Die USA präsentierten damit ihre während des Zwei-ten Weltkriegs im Manhattan-Projekt geheim betriebene Forschung zur militäri-schen Nutzung der atomaren Bindungsenergie und lösten einen Forschungs- und Rüstungswettlauf − vor allem zwischen den USA und der Sowjetunion − aus, der mit der Entwicklung der Wasserstoffbombe (1952 USA, 1953 UdSSR) seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte.

Zudem erhielt die Atomforschung allgemein mehr Raum in der Öffentlichkeit. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs hatte die internationale »Atomfamilie« unter eher geringer öffentlicher Beachtung ihre Ergebnisse publiziert und disku-tiert. Während die Entdeckungen im Mikrobereich der Chemie und Physik zu-nächst mit positiven Zukunftsaussichten − vor allem im Bereich der Energiege-winnung8 − verbunden gewesen waren, fügte der Atombombenabwurf über Ja-pan dieser Forschung eine zweite, die Schattenseite der Atomkernenergie hinzu. Mit der Bombe trat der »Januskopf der Atomenergie« in Erscheinung: Sie konnte sowohl zur »Zerstörung und Vernichtung« führen als auch »Bereicherung des menschlichen Daseins« sein.9

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»Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Atombombe und ihre entsetzlichen Schwestern Elend oder gar Ende über die Menschheit bringen. Aber ebenso gut kann es geschehen, daß Atom- und Sonnenkraftmaschinen unseren Enkeln ein-mal als unentbehrliche Bedürfnisse ihrer Welt erscheinen, wenn nach dem maß-losen Raubbau der letzten Jahrhunderte die Kohle wirklich zum schwarzen Dia-manten geworden sein wird.«10

Betroffen von diesen Folgen der Forschung am Atom traten verschiedene Wissenschaftler11 mit der Forderung an ihre Regierungen und die Politik heran, die Rüstung und militärische Nutzung zu beenden oder wenigstens einzuschrän-ken und unter internationale Kontrolle zu stellen sowie Konflikte zukünftig ge-waltfrei zu lösen. Im Juli 1955 unterschrieben mehrere Nobelpreisträger die so-genannte Mainauer Erklärung, in der sie unter anderem die Diskrepanz zwischen einem Ethos der Wissenschaft und den nichtintendierten Folgen von Forschung thematisierten.12 Argumentativ stützten sich die Autoren auf die »Unbeherrsch-barkeit« der Energie aufgrund der politischen Lage.13

Zäsur-Charakter erreichte schließlich das US-amerikanische Programm »Atomic power for peace«14. In dessen »Geist« trafen sich im August 1955 Ver-treter mehrerer Nationen in Genf zu einer Konferenz über die friedliche Nutzung der Atomenergie.15 Walt Disney drehte den 50-minütigen Film »Our Friend the Atom«, um über die Kernspaltung aufzuklären und für eine friedliche Verwen-dung zu werben. Begleitend dazu erschien ein gleichnamiges Buch, das der deut-sche Physiker und Wissenschaftsjournalist Heinz Haber (1913–1990) verfasst hatte.16 Drei Wünsche der Menschheit sollten sich mit der Atomkraft erfüllen: genügend Nahrung und Gesundheit, ausreichend Energie sowie Frieden. Ver-bunden mit dem US-amerikanischen Programm war eine Wanderausstellung »Atom für den Frieden«, die unter anderem im Oktober 1955 im Deutschen Mu-seum in München gezeigt wurde.17 Ein Jahr später erschien in der Bundesrepub-lik ein vom US-Informationsdienst herausgegebenes mehrseitiges Heft »Atom-energie für den Frieden«.18

Mit dem Jahr 1955 ist damit ein zweiter Beginn des Atomzeitalters19 markiert, der eindeutig positiv besetzt sein sollte: Während die militärische Nutzung mit negativen Folgen verbunden war und als »böse« apostrophiert wurde, galt im Gegensatz dazu die friedliche Nutzung als »gut«.20 Zwar ein und derselben Quel-le entsprungen, konnte die Atomtechnik entweder zum »Heil« bzw. »Fortschritt und Segen der Menschheit« dienen oder »Unheil bringen«.21 Dieser Gegensatz von »Segen« und »Fluch« avancierte ab Mitte der 1950er Jahre zu einem festen Topos.22 So meinte beispielsweise Otto Hahn (1879–1968) im Jahre 1954:

»Möchte es, bevor es zu spät ist, dazu kommen, daß das Hauptgewicht des In-teresses sich auf den ersten Prozeß konzentriert, auf die friedlichen Zwecken

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dienende Produktion von Wärme- und elektrischer Energie, auf die Möglichkeit der Gewinnung radioaktiver Substanzen und ihrer Verwendung zum Fortschritt und Segen der Menschheit. Kürzer gesagt: Möchte die segenbringende Wirkung der gelenkten Kettenreaktion gegenüber der Unheil bringenden ungelenkten Ex-plosion den Sieg davon tragen.«23

Die Betonung der »friedlichen« Nutzung der Atomenergie sollte die negativen Assoziationen mit der Atombombe überdecken. Die Genfer Konferenz 1955 fes-tigte diese Dichotomie: Auf der einen Seite wurden die Forschungen auf militä-rischem Gebiet verstärkt − mit Auswirkungen auf den zivilen Bereich (z. B. An-triebstechnik). Auf der anderen Seite investierten die Regierungen in die friedli-che Nutzung der Atomenergie − in der Medizin (z.B. Bestrahlung), in der Land-wirtschaft und vor allem auf dem Gebiet der Energiegewinnung.24

Abb. 2: Radioaktivität in der Forschung am Mutterkorn25

Im öffentlichen Diskurs wurde gleichwohl vor allem die militärische Nutzung verhandelt, wie man in einem der wichtigsten Leitmedien der Bundesrepublik,

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dem SPIEGEL, sehen kann. Dort überwiegen Artikel zu Waffentechnik, An-triebstechnik und Rüstung gegenüber einzelnen Beiträgen zur zivilen Nutzung: Medizin, Landwirtschaft und Strom.

Um bei der Bevölkerung Zustimmung zur Atom-Forschung zu friedlichen Zwecken zu erreichen, kamen mehrere Publikationen auf den Markt, welche die Aufklärung über die Funktionsweise der Kernspaltung und von Kernreaktoren zum Ziel hatten. Hier ging es weniger um visionäre Zukunftsaussichten, sondern zunächst um den Abbau der Angst vor dem »Atom« und der Atomenergie in Form der Bombe.26 Mit dem Verweis auf die »segensreichen« Anwendungsmög-lichkeiten im Bereich der Medizin, Land- und Energiewirtschaft argumentierten sowohl die bundesdeutsche Regierung als auch Vertreter der großen Energiekon-zerne und einzelne Physiker bewusst gegen die Gegner der Atomenergie. Gleichzeitig wurde damit gezielt Wissenschaftspolitik betrieben.27

Gerade in Karlsruhe − am geplanten Standort für einen Forschungsreaktor28 − herrschte Skepsis bzw. mehrheitlich Ablehnung der Atomtechnik vor, wie eine Emnid-Umfrage 1955 ergab.29 Der Karlsruher Oberbürgermeister führte dies da-rauf zurück, dass das Atomzeitalter mit dem Abwurf der Atombombe eingeleitet worden sei. Das Wort »Atom« löse »eine Kettenreaktion wenig freundlicher Ge-danken aus«, folgerte die ZEIT. 30

Nicht nur die Nutzung der Atomenergie stand jedoch zur Diskussion, sondern auch die neue Rolle des Menschen − in Bezug auf seine Stellung in der Natur, in der Politik der einzelnen Länder und hinsichtlich einer Wissenschaftsethik. In diesem Zusammenhang ist eine letzte Zäsur zu sehen: die Veröffentlichung einer Stellungnahme gegen die militärische Nutzung der Atomenergie durch 18 deut-sche Naturwissenschaftler, das »Göttinger Manifest« vom 12. April 1957. Kon-kreter Anlass war eine Äußerung Konrad Adenauers, sogenannte »taktische Atomwaffen« seien lediglich eine Weiterentwicklung der Artillerie. Die Unter-zeichner der Deklaration wollten die Öffentlichkeit dem gegenüber über diese bewusste »Verniedlichung« atomarer Waffen aufklären. Als Konsequenz ver-weigerten sie ihre Mitarbeit an Herstellung und Erprobung nuklearer Waffen und forderten nachdrücklich die friedliche Nutzung der Atomenergie.31 Zugleich in-tensivierten die »Göttinger 18« zuvor geführte Diskussionen, provozierten Reak-tionen aus der Politik32 und stießen weitere Gegenbewegungen und Protest-schreiben an, auch aus den Reihen der Kirche.33 Darüber hinaus steht das Mani-fest modellhaft für die »Motivverknüpfung« einer ablehnenden Haltung der mili-tärischen mit dem Bekenntnis zur friedlichen Nutzung des Atoms.34 Dieses Mo-ment erhält besonderes Gewicht aufgrund der Tatsache, dass die Mehrzahl der Unterzeichner während des 2. Weltkrieges am deutschen Uranprojekt mitgear-beitet hatte und bereit gewesen war, eine Atombombe zu bauen, so beispielswei-

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se Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker. Mit dem »Göttinger Manifest« bestand für jene beiden in der Bundesrepublik einflussreichen Kern-physiker insofern auch die Möglichkeit, sich von der Vergangenheit abzugrenzen und ein neues Berufsethos zu etablieren. Transzendenzbezüge und Gemeinsinnsbehauptungen Verbunden mit den verschiedenen Entwicklungen in der Atomkernforschung war jeweils eine spezifische Welt-, Zeit- und Selbstdeutung, die sich in Meta-phern und Sprachspielen verdichtete.

»Sie [die Wissenschaftler] haben uns schließlich einen Weg zu ihrer Beherr-schung und Bändigung gewiesen und die Geräte geschaffen, mit denen dies alles möglich ist. Die Wissenschaft hat damit eines der größten Geheimnisse der Na-tur entschleiert. Die elementarste Kraft, über die die Welt verfügt, ist dem Men-schen untertan.«35

In diesen drei Sätzen finden sich bereits mehrere wichtige Stichwörter und Wortfelder: »Herrschaft« und »Macht«, »Kraft« und »Energie« sowie »Entde-cken« und »Enthüllen«. Ein zweites Beispiel steht für die immer wieder gefor-derte »Kontrolle« der Atomenergienutzung und den Ruf nach gesteuertem Zu-griff.

»Goethes Zauberlehrling kann uns hierfür ein Sinnbild sein. Immer wieder mußten wir es erfahren, daß dienende Kräfte, die nur Mittel in unserer Hand sein sollten, Gewalt über uns gewannen und uns zu ihren Sklaven machten. Ange-sichts der Entfesselung der Atomenergie wird es mehr denn je unsere Aufgabe sein, Herr der Kräfte zu bleiben, die wir riefen.«36

Im nun folgenden Teil dieses Beitrages möchte ich in systematischer Absicht das eben Dargestellte unter drei Perspektiven ausführen: erstens »Formen des Transzendenten«; zweitens »Technik und Anthropologie« sowie drittens »Tech-nisierung und soziale Ordnung«. Formen des Transzendenten Ich gehe davon aus, dass sowohl bei einem Pro zur Atomenergie als auch bei Ablehnung jeweils spezifische »Transzendenzen« − verstanden als »Unverfüg-barkeiten«, »die in der Perspektive von Akteuren der unmittelbaren, alltäglichen Lebenswelt entzogen, quasi entrückt erscheinen, die gleichwohl aber auf sie zu-rückwirken und ihr Sinn und Geltung verleihen«37 − in Anschlag gebracht wur-den, um in einer Gruppe auf Zustimmung zu stoßen, die Argumente des Gegners zu delegitimieren und so eine Gruppenidentität zu stabilisieren sowie Einfluss

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auf den common sense zu nehmen. Die eigenen Argumente sollten damit eine nicht hinterfragbare Geltung erhalten und an einen spezifischen Gemeinsinn an-schließen.

Auffällig ist, dass in Texten, die sich für eine friedliche bzw. zivile Nutzung der Atomenergie aussprechen, verschiedene »innerweltliche« Transzendenzen benutzt werden, die für Verbesserungen und eine positive Zukunft stehen: »Wohlstand«, »Gesundheit«, »unerschöpfliche Energievorräte« oder auch der »Weltfrieden«. Da diese auf Gemeinwohl zielen, waren solche Transzendenzen zugleich für diejenigen anschlussfähig und nutzbar, die gegen die militärische Nutzung und die Atombombe argumentieren.

In legitimierender Absicht wurde zudem auf »Frieden« verwiesen. Selbiger konnte jedoch sowohl Rüstung − um ein Gleichgewicht der Kräfte zu schaffen − begründen, als auch Abrüstung und Verzicht auf atomare Waffen meinen. Wie beim »Göttinger Manifest» bereits angedeutet, verband sich bei den Kernfor-schern, die in der Atomforschung der BRD beteiligt waren, die Ablehnung der nuklearen Rüstung mit einem Pro für die zivile Nutzung.

Bei Argumentationen gegen die Atombombe finden sich als legitimierende Verweise häufig »überweltliche« Transzendenzen, die mehrheitlich dem Religi-ösen entnommen sind. Hier ist die Rede vom »Dämon Atom« oder dem Griff in die »Werkstatt der Schöpfung«, außerdem vom »Fluch« der Atomenergie.

Sowohl in Texten, die für die Atomenergie argumentieren, als auch in solchen, die vor den Gefahren warnen, kommen in der Regel Wortfelder zum Thema »Verfügbarmachen von Unverfügbarem« vor. Im Zentrum stehen dabei sprachli-che Bilder und Metaphern, die für die Offenlegung und das Bekanntwerden von etwas bisher Verborgenem stehen, beispielsweise »Entfesselung« und »Befrei-ung« kosmischer Kräfte oder das »Geheimnis der Materie«. Bei Unterstützern der zivilen Nutzung ist dies in der Regel mit der Vorstellung verbunden, es sei beinahe ein Zwang oder eben an der Zeit gewesen, dass die Bindungsenergie entdeckt wurde. Ausdruck findet dies in Metaphern des Schlafes, wie »schlum-mernde Kräfte« oder »Dornröschenschlaf«. Gegner der Bombe nutzen die Meta-phern des Schlafes ihrerseits, um darauf zu verweisen, dass solche »Geheimnisse der Natur« nicht ohne schlimme Folgen gelüftet werden (dürfen). In diesem Kontext wird in der Regel der Mensch ins Spiel gebracht, der in die Rolle des Verwalters des bis dahin transzendenten Schicksals der Erde gerückt wurde. Technik und Anthropologie In den Diskussionen um die Verwendung der Atomenergie ging es immer auch um die Rolle des Menschen in der industrialisierten Welt, um sein Verhältnis zur

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Maschine und zu seinen Mitmenschen sowie um seine Stellung in der Natur (bzw. Schöpfung). Für einige Zeitgenossen, wie beispielsweise den Lutheraner Helmut Thielicke, war »[d]ie Kernfrage des Atomzeitalters […] also nicht ein technisches, sondern ein anthropologisches Problem.«38 Die Menschen fürchte-ten deshalb im Grunde genommen »nicht die Atombombe, sondern die Tatsache […], daß die Atomkraft in die Verfügbarkeit des Menschen geraten ist.«39 Theo-logen und Naturwissenschaftler forderten deshalb von der Regierung, aber auch von der Naturwissenschaft »Verantwortung« und eine zeitgemäße »Ethik«.

Obwohl die Bindungsenergie des Atomkerns durch Spaltverfahren verfügbar zu machen war, zeigen die Kontroversen um die konkrete Nutzung der Energie, dass sie in der Wahrnehmung etlicher Zeitgenossen eigentlich nicht (mehr) steu-erbar und somit im Grunde genommen wieder unverfügbar geworden war. Zuge-spitzt könnte man sagen, dass sich die Menschen der Atomtechnik gegenüber ohnmächtig fühlten. Die Atombombe bedrohte nicht nur das Miteinander,40 son-dern konkret den Planeten und das Leben generell.

Ein Atomkraftwerk in unmittelbarer Nachbarschaft bedeutete nicht nur »ver-fügbaren« Strom, sondern auch nicht absehbare Folgen für Umwelt und Gesund-heit. Von einem veränderten Raumarrangement und Raumkonkurrenzen gegen-über älteren Bauwerken ganz abgesehen.

Abb. 3: Atomkraftwerk Dukovany41

Dieses Bild des Atomkraftwerks im tschechischen Dukovany zeigt eine typische Inszenierung in öffentlichen Medien, wenn es um die »Konkurrenz des Him-melsraumes« geht: riesige Kühltürme neben Kirchen bzw. Kirchtürmen. Neben der Wahrnehmung, dass die Atomtechnik dem menschlichen Zugriff bereits

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wieder entzogen sei, lässt sich gleichwohl die gegenteilige Auffassung finden: Erst der Mensch des 20. Jahrhunderts sei in der Lage gewesen, das lange gehüte-te Geheimnis der Natur zu entschlüsseln und damit verfügbar zu machen.42 Nach den Erfahrungen von Hiroshima und Nagasaki sei es wiederum der verantwor-tungsvolle Mensch, der diese bahnbrechende Entdeckung zu steuern habe und dazu auch in der Lage sei. Technisierung und soziale Ordnung Technisierung hat Auswirkungen auf die soziale Ordnung − indem sie beispiels-weise die Rahmenbedingungen dessen verändert, was machbar ist. Bei Einfüh-rung und Etablierung einer neuen Technik bzw. eines Verfahrens kann sich das in neuen Gesetzen niederschlagen oder auch in der Gründung von Experten-kommissionen und Beratungsgremien.

Bereits zu Beginn der 1950er Jahre kam es sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene zu solchen Zusammenschlüssen. In der Bundesrepublik erhielt die (politische) Diskussion um die Atomenergie mit einem Ministerium für Atomfragen unter Franz Joseph Strauß (1915–1988) 1955 und der Deutschen Atomkommission 1956 einen institutionalisierten Rahmen. 1960 trat das »Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Ge-fahren« − kurz das deutsche Atomgesetz − in Kraft. Es regelte Planung und Be-trieb von kerntechnischen Anlagen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität, Einfuhr und Lagerung von Brennstäben sowie die international geltenden Vor-schriften zu Strahlenschutz und Reaktorsicherheit auf dem Gebiet der Bundesre-publik.

Gleichzeitig zu solchen Organisationen auf politischer und wirtschaftlicher Ebene (1957 EURATOM) entstanden auf Bürgerebene ebenfalls neue Organisa-tionen und Protestgruppen. Diese bildeten sich aufgrund einer oben bereits be-nannten Ohnmachtserfahrung gegenüber diversen Expertengruppen, der Politik und der »Atomtechnik« allgemein. Durch Appelle und Kundgebungen wurde dort ein anderer Gemeinsinn demonstriert als ihn die Verlautbarungen vonseiten der Regierung und diverser Stromkonzerne verbreiteten. Verhandelt wurde dabei nicht nur, ob alles, was machbar scheint, auch gemacht werden soll, sondern auch der Grad der Mitbestimmung der Bevölkerung in einer Demokratie. Dieses Moment findet sich besonders stark in den 1970er und 1980er Jahren, als die neuen Sozialen Bewegungen nicht mehr nur Umweltschutz, nukleare Aufrüstung etc. öffentlich diskutierten, sondern zugleich die politische Kultur der Bundesre-publik.43

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Das Atomzeitalter im Zeichen der Bombe Die politische Situation der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit − die Teilung; die Position zwischen den Fronten des Kalten Krieges; die Wiedererlangung der staatlichen Souveränität; der Aufbau und die Wiederbewaffnung der Bundes-wehr; das Verbot militärischer Atomforschung − prägte die Bewertung der Atomtechnik und die Diskussionen in Politik und Wissenschaft in spezifischer Weise − im Unterschied beispielsweise zu den USA. Wenngleich sich einerseits viele Ähnlichkeiten in der Bewertung der Atomtechnik in den USA und der Bundesrepublik ausmachen lassen, finden sich durchaus deutliche Unterschiede: Jenseits des Atlantik überwog eine positive Einstellung zur Atomenergie.44 In dem Land, das durch den Einsatz der Atombombe − vermeintlich − den Zweiten Weltkrieg beendet hatte und sich mit einem Vorrat an weiteren Atombomben − zumindest zeitweilig − unangreifbar wähnte, etablierte sich eine spezifische »atomic culture«45. Diese ist vor allem in der Ikone des Atomzeitalters greifbar, die sich in allen Bereichen vom Comic bis zur Designerkleidung finden lässt − der Atompilzwolke.

Die Atombombe (bzw. später die Wasserstoffbombe) formte als zentrales Ar-tefakt der Nachkriegszeit die Zeit- und Weltdeutung sowie die verschiedenen Diskurse. Mit dem Beitritt der Bundesrepublik zur NATO, der staatlichen Sou-veränität und der Diskussion um die Wiederbewaffnung der Bundeswehr erhielt die militärische Dimension der Atomenergie neue Brisanz. Die Atomkonferenz in Genf und das Programm der friedlichen Nutzung sollten hier ein Gegenge-wicht schaffen.

Gegen die Bedrohung bzw. die militärische Nutzung der Atomenergie wurden vor allem auf Gemeinwohl zielende Unverfügbarkeiten »Gesundheit«, »Ener-gie«, »Wohlstand«, »Leben« und »Frieden«, aber auch »Verantwortung«, »Si-cherheit« und »Zukunft« gesetzt. Anmerkungen

1 Die Welt von morgen. Birkel Sammelalbum 1962, S. 3. 2 Ebd., S. 30. 3 W. Schadewaldt: Die Anforderungen der Technik an die Geisteswissenschaften, Göttingen

1957, S. 33. 4 Vgl. L. Brandt: Die zweite industrielle Revolution, München 1957. Auch in der

Sekundärliteratur findet sich die Rede von dieser zweiten Revolution; vgl. G. A. Ritter:

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Großforschung und Staat in Deutschland. Ein historischer Überblick, München 1992, S. 66.

5 Vgl. Ch. Schwarke: Technik und Ethik. Fortschritt als kommunikatives Problem, in: H. Hepp / N. Knoepffler / Ders.: Verantwortung und Menschenbild. Beiträge zur interdisziplinären Ethik und Anthropologie, München 1996, S. 40−52.

6 Vgl. U. Haß: Interessenabhängiger Umgang mit Wörtern in der Umweltdiskussion, in: J. Klein (Hg.): Politische Semantik. Bedeutungsanalytische und sprachkritische Beiträge zur politischen Sprachverwendung, Opladen 1989, S. 153−186, hier S. 173.

7 Vgl. A. Hermann: Die fünf Epochen in der Geschichte der Atomenergie, in: Ders. / R. Schumacher (Hg.): Das Ende des Atomzeitalters? Eine sachlich-kritische Dokumentation, München 1987, S. 11−22, hier S. 21f.

8 Vgl. R. Jungk: Heller als tausend Sonnen. Das Schicksal der Atomforscher, Stuttgart 1956. 9 W. Braunbek: Atomenergie in Gegenwart und Zukunft, Stuttgart 1953, S. 6. 10 H. W. Rathke: Technik, Not und Gebot, in: Zeitwende 21 (1950), S. 664−667, hier S. 666. 11 In den USA formulierten bereits vor dem Bombenabwurf auf Japan mehrere Kernforscher

in Chicago den sogenannten »Franck-Report«. 12 Mainauer Deklaration vom 15. Juli 1955, in: F. Herneck: Bahnbrecher des Atomzeitalters,

Berlin 1966, S. 7f. 13 Das enge Zusammenspiel von (Atom-)Forschung und Politik ist ebenfalls ein Kennzeichen

des Atomzeitalters. 14 Dieses Schlagwort prägte Dwight D. Eisenhower in einer Rede vor den Vereinten

Nationen 1953. 15 Vgl. DER SPIEGEL 31/1955, S. 28−30. 16 Vgl. H. Haber: The Walt Disney Story of our friend the atom, New York 1955. [dt.: Unser

Freund, das Atom, 1958]. 17 Vgl. Ch. Sichau: Zwischen glänzendem Messing und abgenutzten

Knopfdruckexperimenten. Das Atom im Museum, in: Ch. Bigg / J. Hennig (Hg.): Atombilder. Ikonografie des Atoms in Wissenschaft und Öffentlichkeit des 20. Jahrhunderts, Göttingen 2009, S. 97−109, hier S. 102−104.

18 Atomenergie für den Frieden, hg. v. US-Informationsdienst, Bad Godesberg 1956. 19 Wieder andere lassen das Atomzeitalter mit der Kettenreaktion Fermis 1942 beginnen. 20 Vgl. I. Stölken-Fitschen: Der verspätete Schock. Hiroshima und der Beginn des atomaren

Zeitalters, in: M. Salewski / Dies. (Hg.): Moderne Zeiten. Technik und Zeitgeist im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1994, S. 139−155, hier S. 151.

21 L. Meitner / O. Hahn (Hg.): Atomenergie und Frieden, Wien 1954, S. 62. 22 Vgl. Stölken-Fitschen: Schock, S. 151. 23 Meitner/Hahn: Atomenergie, S. 62. 24 Schon Mitte der 1950er Jahre waren Atomkraftwerke in Planung, z.B. in Karlsruhe und in

München. 25 Atomenergie für den Frieden, S. 4. 26 Vgl. Haß: Umgang mit Wörtern, S. 173. 27 Vgl. M. Eckert / M. Osietzki: Wissenschaft für Macht und Markt. Kernforschung und

Mikroelektronik in der Bundesrepublik Deutschland, München 1989. 28 Vgl. G. Oetzel: Forschungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Entstehung und

Entwicklung einer Institution der Großforschung am Modell des Kernforschungszentrums Karlsruhe (KfK) 1956−1963, Frankfurt a. M./Berlin 1996.

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29 Vgl. DER SPIEGEL, 47/1955, S. 22. 30 Vgl. DIE ZEIT, 33/1955; www.zeit.de/1955/33/keine-begeisterung-fuer-atome [letzter

Zugriff: 06.08.2011]. 31 Vgl. Die Göttinger Erklärung vom 12. April 1957, in: U. Jäger / M. Schmid-Vöhringer

(Hg.): »Wir werden nicht Ruhe geben …« Die Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland 1945−1982. Geschichte, Dokumente, Perspektiven, Tübingen 1982, S. 18f.

32 Vgl. C. F. v. Weizsäcker: Mit der Bombe leben I; in: DIE ZEIT, 20/1958. 33 Vgl. die »Erklärungen und Stellungnahmen zur Atomfrage«; in: Kirchliches Jahrbuch für

die Evangelische Kirche in Deutschland 84 (1957), S. 72−97. 34 Vgl. J. Radkau: Die Kernkraft-Kontroverse im Spiegel der Literatur. Phasen und

Dimensionen einer neuen Aufklärung, in: A. Hermann / R. Schumacher (Hg.), a. a. O., S. 307–335. Dies war bei (den meisten) Theologen und der EKD als übergeordnetes Organ nicht der Fall. Dort stand »Atomenergie« synonym für »Atomwaffen« bzw. eine militärische Nutzung, was eine konsequente Ablehnung zur Folge hatte, ohne jedoch die »friedliche« Nutzung positiv zu thematisieren; vgl. H. Gollwitzer: Die Christen und die Atomwaffen, München 1957; M. Greschat: Der Protestantismus in der Bundesrepublik Deutschland (1945−2005), Leipzig 2010.

35 G. Dogigli: Entfesselte Naturkraft. Das Buch der Atomenergie, Frankfurt a. M. 1950, S. 7. 36 G. v. Natzmer: Atomenergie, Berlin 1946, S. 20. 37 Technische Universität Dresden, Sonderforschungsbereich 804 »Transzendenz und

Gemeinsinn«: Finanzierungsantrag 2009−2013, Dresden 2008, S. 23. 38 H. Thielicke: Der Christ und die Verhütung des Krieges im Atomzeitalter, in: Zeitschrift

für Evangelische Ethik 1 (1957), H. 2, S. 1−6, hier S. 1. 39 Ebd. 40 Dies wird deutlich in Polemiken gegen die UdSSR, wie »Lieber tot als Sklav‘« oder

»Lieber tot als rot«. 41 Süddeutsche Zeitung, 69/2010, 24.03.2010, S. 17. 42 Vgl. Haber: Our friend the atom. 43 Vgl. F. Karl: Die Bürgerinitiativen. Soziale und politische Aspekte einer neuen sozialen

Bewegung, Frankfurt a. M. 1981. 44 Gleichwohl wurden bereits Ende der 1940er Jahre Stimmen laut, die auf die

Strahlenbelastung durch Atomwaffentests und damit der Atomspaltung hinwiesen. Bürgerproteste gegen Atomkraftwerke aufgrund zu erwartender Strahlungen waren die Folge.

45 S. C. Zeman / M. A. Amundson (Hg.): Atomic Culture. How We Learned to Stop Worry-ing and Love the Bomb, Colorado 2004.

Anschrift der Verfasserin Peggy Renger-Berka Technische Universität Dresden SFB 804 »Transzendenz und Gemeinsinn«, TP-N 01062 Dresden

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Vom Energiekonsum zur Energieeffizienz. Werbung für umweltfreundliche Haushaltsprodukte

in der Bundesrepublik und der DDR

Sylvia Wölfel Werbung für elektrische Haushaltsgroßgeräte spielte für die Durchsetzung und breite Akzeptanz von Elektrizität in den Privathaushalten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle. Diese ist in zahlreichen Studien zur Tech-nisierung des Haushaltes beschrieben worden.1 Im Zeichen einer breitenwirksa-men Ökologisierung von Politik und Alltag seit den 1970er Jahren entwickelte sich in den darauf folgenden Jahrzehnten eine neue Verbindung von Energiever-sorgung und Hausgerätekonsum. Standen bis 1970 Argumente der Arbeitser-leichterung und Zeitersparnis durch elektrische Hausgeräte im Vordergrund von Werbebemühungen, so wurde dies in einem bis zur Gegenwart andauernden Pro-zess durch Hinweise auf einen besonders geringen Stromverbrauch von Kühl-schränken oder Waschmaschinen ergänzt. Das Fortschrittsversprechen eines vollelektrischen Haushaltes sollte unter ökologischen Vorzeichen neu verhandelt werden und im Fortschrittsversprechen eines energieeffizienten Haushaltes sei-nen heutigen Ausdruck finden.

Gemeinsame Kampagnen von Hausgeräteherstellern, Energieversorgungsun-ternehmen, staatlichen Behörden sowie Umwelt- und Verbraucherschutzverbän-den weisen mittlerweile ausdrücklich auf den individuellen und gemeinsinnigen Nutzen günstiger Verbrauchswerte hin: »Tun Sie etwas Gutes für die Umwelt und Ihren Geldbeutel«, lautet beispielsweise der Titel einer aktuellen Produkt-broschüre von Panasonic Deutschland, die mit »eco ideas« für innovative Waschmaschinen und Kühl-Gefrierkombinationen wirbt. Die »Initiative für Energie-Intelligenz« des Zentralverbandes Elektrotechnik- und Elektronikindust-rie e.V. (ZVEI) oder »Hausgeräte+« als Zusammenschluss der Hausgeräteher-steller präsentieren in aufwendig gestalteten Internetpräsentationen aufwandsar-me Methoden zur Einsparung von Energie in den privaten Haushalten und Ar-gumente für den Kauf hocheffizienter Neugeräte. Stromsparrechner führen mit wenigen Klicks vor, dass elektrische Haushaltsgeräte (Klein- und Großgeräte) mit etwa 33 Milliarden Kilowattstunden derzeit für gut ein Drittel des gesamten Privatverbrauchs an Strom in Deutschland verantwortlich sind.2 Aus der Per-spektive der Hausgerätehersteller stellen sich die Produzenten seit vielen Jahren ihrer Umweltverantwortung und haben ein breites Sortiment an besonders spar-samen Geräten auf den Markt gebracht. Zukünftig müssten stärker als bisher die

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Verbraucher den Einfluss ihrer Kaufentscheidung überdenken beziehungsweise möglichst mit finanziellen Anreizen von Seiten des Staates darin befördert wer-den.3 Sie könnten so nicht nur mit zum Teil erheblichen finanziellen Entlastun-gen bei ihren Strom- und Wasserverbrauchskosten rechnen, sondern einen wert-vollen Beitrag zum Schutz der Umwelt leisten. Umweltschutz lohnt sich und ist für den Käufer keinesfalls mit einem Verzicht auf technischen Fortschritt und Komfort verbunden, so die Botschaft der Hausgerätehersteller und ihrer Fach-verbände. Vom Wachstums- zum Verdrängungswettbewerb In den 1950er und 1960er Jahren erwies sich die Ausstattung der Privathaushalte mit elektrischen Hausgeräten als ein elementarer Bestandteil eines deutsch-deutschen Wachstums- und Wohlstandsversprechens für Alle. Kühlschränke und Waschmaschinen standen auf den Wunschlisten vieler Haushalte ganz oben. Sie galten als Ausdruck von Fortschritt und Modernität im Sinne eines komfortablen American Lifestyle: »the post-war home became an icon of social and economic reform and its promise of ›prosperity for all‹…«.4 Hinter dem Kauf der zunächst noch sehr teuren Haushaltshelfer stand die Erfüllung lang gehegter Konsumwün-sche, die bereits seit den 1920er und 1930er Jahren geweckt worden waren. Doch erst im Verlauf der 1960er Jahre konnte die sparsame Hausfrau nach Jah-ren des Mangels und der Bescheidenheit dank steigender Realeinkommen auch durchschnittlich verdienender Haushalte und rasant wachsender Produktionska-pazitäten der Industrie tatsächlich zur modernen Hausfrau in einer »all-elektrischen« Küche werden.5 Zunächst in der Bundesrepublik und einige Jahre später auch in der DDR bedingte jedoch gerade der Einzug von Kühlgeräten und Waschmaschinen in beinahe jeden Haushalt ihre »Auflösung« vom Luxusgut ins »Unscheinbare«.6 Mit ihrem ökonomischen Erfolg verschwanden ausladend ge-staltete Einzelgeräte hinter Einbauküchenfronten mit standardisierter, geradlini-ger Formensprache. Produktbezeichnungen wie »Prestige« oder »Kristall« wur-den durch Ziffernkombinationen wie »H 130« ersetzt. Spätestens Anfang der 1970er Jahre gehörten sie zur Grundausstattung in den Haushalten und nicht mehr zum repräsentativen Mobiliar eines Haushaltes, auch wenn bis zum Ende der 1980er Jahre in der DDR bei neueren Waschvollautomaten oder sparsamen Kühl-Gefrierkombinationen größere »Bedarfslücken« bestehen blieben.7

Das Fortschrittsversprechen eines vollelektrischen Haushaltes verlor aufgrund der zunehmenden Marktsättigung einen Teil seiner Strahlkraft für die Konsu-menten und zwang Unternehmen zu einer Auseinandersetzung mit langfristigen Produktentwicklungsstrategien: »Der Verbraucher kauft längst nicht mehr alles,

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was ihm angeboten wird. Er ist wählerisch geworden, seine Vorstellungen von den gewünschten Produkten haben sich gewandelt.«8 Insbesondere auf dem bun-desdeutschen Konsumgütermarkt mit seiner Fülle von Produkten mit ähnlichen oder gleichen Gebrauchseigenschaften wurde es für Hausgeräteproduzenten schwierig, ihr Selbstbild von der Innovativität der Branche und der technischen Finesse ihrer Produkte der Öffentlichkeit gegenüber überzeugend zu kommuni-zieren. 1988 fragte schließlich der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Daimler-Benz AG Werner Niefer nach der Übernahme von Teilen des AEG Konzerns, was denn Hausgeräte in einem global agierenden Unternehmen zu su-chen hätten, das »in der Technik nur das allerfeinste bieten will«?9 Die Branche agierte seit Ende der 1960er Jahre auf europäischen Märkten, die kein unge-bremstes Wachstum mehr vorweisen konnten. Sie mussten sich einem härter werdenden Verdrängungswettbewerb stellen, der sowohl bundesdeutsche Unter-nehmen als auch Betriebe der DDR betraf, die sich auf den westlichen Export-märkten einer großen Zahl von Konkurrenten aus Italien, Spanien, Japan oder anderen RGW-Staaten gegenübersahen.

Nicht zuletzt konnte sich die Hausgeräteindustrie in beiden deutschen Staaten dem tiefgreifenden ökonomischen Strukturwandel seit den 1970er Jahren, ver-bunden mit Schlagworten wie einem beschleunigten Konzentrationsprozess, dem Abbau von Arbeitsplätzen, der Rationalisierung und Automatisierung von Pro-duktionsabläufen sowie dem Einzug neuer Technologien (mikroelektronische Steuerungen, Fuzzy Logic, Sensoren) nicht entziehen. Insbesondere ostdeutsche Betriebe hatten dabei massive Schwierigkeiten, dem rasanten technologischen Wandel zu folgen. Wie in auf andere Branchen bezogenen, vergleichenden Stu-dien zur Innovationsfähigkeit von Bundesrepublik und DDR zeigt sich, dass die volkseigenen Hersteller auf die Herausforderung einer Weiterentwicklung von Produkten sowie Fertigungs- und Entsorgungsprozessen seit Mitte der 1970er Jahre nicht mehr flexibel und mit ausreichenden Ressourcen zu reagieren ver-mochten.10 Geräte mit veralteten Konstruktions- und Gestaltungsprinzipien droh-ten mittelfristig in den westlichen Exportländern unverkäuflich zu werden, wo-mit die hier betrachteten Betriebe im Kombinat VEB Monsator Haushaltgroßge-räte Schwarzenberg (1970–1978) bzw. seit 1979 im Kombinat VEB Haushaltge-räte Karl-Marx-Stadt, der VEB dkk Scharfenstein als bedeutendster Hersteller von Haushaltskältegeräten sowie der VEB Waschgerätewerk Schwarzenberg als alleiniger Hersteller von Waschmaschinen in der DDR, als Lieferanten preiswer-ter Massenware von diesen Märkten verdrängt worden wären.

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Herausforderung Umweltschutz Zu den grob skizzierten ökonomischen Zwängen gesellte sich eine weitere Her-ausforderung für die Hersteller von Hausgeräten. Ausgehend vom Befund eines umweltpolitischen Aufbruchs seit den späten 1960er Jahren in der Bundesrepub-lik sowie in der DDR,11 lässt sich ein tief greifender Wahrnehmungswandel in Bezug auf die Umweltverträglichkeit von Produkten sowie Fertigungs-, Trans-port-, Verpackungs- und Entsorgungsverfahren beobachten. Dies war eingebettet in eine gesamtgesellschaftliche Neubewertung von Technisierungsprozessen rund um den Haushalt im Zuge der sprichwörtlich gewordenen Grenzen des Wachstums bzw. Grenzen des privaten Verbrauchs in den Haushalten. Insbeson-dere die erste Ölpreiskrise von 1973/1974 besaß für die Hausgeräteindustrie nicht nur symbolischen Charakter, sondern war Auslöser für eine rasche Hin-wendung zu Fragen einer umweltfreundlicheren Produktentwicklung und Unter-nehmenspolitik. 1975 stellte AEG die ersten Waschvollautomaten mit Energie-spartasten auf der wichtigsten Hausgerätemesse Domotechnica in Köln vor, de-ren Funktion 30 Prozent Energie bei leicht verschmutzter Kochwäsche gegen-über dem Normalkochprogramm einsparen sollte. Im Geschäftsbericht des Un-ternehmens wurde erstmals 1976 erwähnt, dass ein sparsamer Energieverbrauch und die Reparaturfreundlichkeit von Hausgeräten vom Kunden honoriert werden würden: Der »Wunsch der Verbraucher nach günstigeren Betriebskosten« sei deutlich spürbar.12

Die Folgewirkungen der Ölpreisverteuerung zeigten sich zunächst einmal in den bundesdeutschen Unternehmen, die vergleichsweise schnell auf eine sich verändernde Nachfragesituation angesichts ökologisch sensibilisierter Kunden reagieren mussten. Umweltschutz- und Verbraucherschutzverbände gewannen wachsenden Einfluss auf Konsumentenscheidungen und Akteure der Umweltpo-litik. So gehörten seit einer Satzungsänderung von 1985 ökologische Kriterien zu den verbindlichen Bestandteilen von Produkttests der Stiftung Warentest.13 Nicht zuletzt setzten zahlreiche Gesetzesinitiativen auf Bundesebene beziehungsweise von Seiten der umweltpolitisch zunehmend aktiver werdenden Europäischen Gemeinschaft (EG) zur Formulierung von Grenzwerten bzw. zur einheitlichen Regulierung von Kennzeichnungspflichten die Unternehmen unter Druck. Mit Hilfe freiwilliger Selbstverpflichtungen konnten seit 1978 immer wieder erfolg-reich Verbrauchsgrenzwerte für bestimmte Produktgruppen innerhalb der EG abgewehrt werden, doch gelang dies nur auf Basis einer regelmäßigen Berichter-stattung über erreichte Einsparungen an das Bundeswirtschaftsministerium sowie der Einführung einer freiwilligen Produktinformation an den Geräten mitsamt der Angabe von Verbrauchskennwerten seit Oktober 1987.14 Hausgeräteherstel-

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ler warnten in diesem Zusammenhang wiederholt vor einer politisch motivierten Festsetzung von Grenzwerten, wie sie von Kritikern gefordert wurde. Aus ihrer Sicht würden gerade solche Eingriffe Basisinnovationen außerhalb des bekan-nten technologischen Rahmens verhindern: »Regulations prescribing consump-tion limits or performance limit values linked to these limits might lead industry to comply with these requirements only, thus suppressing innovation and inciting by no means to find out new ways outside the trodden paths of technics.«15 Im europäischen Rahmen verpflichteten sich die Hersteller zudem, an der Erarbei-tung und Umsetzung eines einheitlichen europäischen Energielabels mitzuwir-ken. Letztlich erfolgte die Einführung des visuell eindrücklich gestalteten Labels mit Energieverbrauchsklassen von A bis G im deutschen Handel erst 1998, nach der Verabschiedung des Energieverbrauchskennzeichnungsgesetzes (EnVKG) 1997. Dieses setzte im europäischen Maßstab verhältnismäßig spät EU-Richtlinien von 1992 und 1996 auf dem Gebiet der Energieeinsparung in deut-sches Recht um und entwickelte sich zur Freude der anfangs skeptischen Bran-che zu einem der erfolgreichsten Katalysatoren für den Durchbruch von hochef-fizienten Hausgeräten auf dem bundesdeutschen Markt.16 Sparsame Hausgeräte aus der DDR? Auch für die DDR lässt sich eine intensive Auseinandersetzung mit Fragen einer verstärkten Energieeffizienz von Hausgeräten, wenn auch mit zeitlicher Verzö-gerung, nachvollziehen. In der betrieblichen Forschung und Entwicklung domi-nierten bis 1975 ähnlich wie in der Bundesrepublik Fragen der konstruktiven und technologischen Gestaltung. »Die Verbrauchswerte spielten eine sekundäre Rol-le.«17 Obwohl zum Beispiel Engpässe in der Energieversorgung aufgrund schwieriger Witterungsbedingungen schon vor Mitte der 1970er Jahre zu wie-derholten Stromsparkampagnen führten, hob doch die Steigerung der Rohstoff-preise auf den Weltmärkten die Problematik der Energieverbrauchssenkung oder »Materialökonomie« in der Produktentwicklung seit Mitte der 1970er Jahre auf eine neue Dringlichkeitsstufe. »Energieverbrauchsnormative« zur Senkung von Verbrauchswerten wurden in den Pflichtenheften für Neuentwicklungen verbind-lich festgeschrieben. Eine der zentralen Zielvorgaben war das Erreichen des »wissenschaftlich-technischen Höchststandes« im Energie- und Wasserver-brauch, zumeist definiert durch bundesdeutsche Modelle.18 Diesbezügliche Kenntnisse waren in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen reichlich vorhanden. Für einen regen deutsch-deutschen Wissenstransfer sorgten zum Bei-spiel regelmäßige Betriebsbesichtigungen in der Bundesrepublik, Messebesuche, der Austausch von Bauelementen zu Testzwecken, Gespräche auf Fachkongres-

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sen, die Analyse von Zeitschriftenartikeln, Patenten oder westdeutschen Muster-geräten. Nach 1990 wurde den Entwicklungsingenieuren zudem eine erstaunli-che Improvisationskunst und Kreativität im Umgang mit Ressourcenknappheit von westdeutschen Unternehmensberatern bescheinigt.19 Dem gegenüber standen allerdings immer wieder verzögerte Investitionen für die Entwicklung, Fertigung und Markteinführung sparsamer Gerätegenerationen bzw. für die Modernisie-rung von Fertigungsanlagen und Laboreinrichtungen, aber auch massive Proble-me mit Zulieferern, die weder Sensoren, elektronische Steuerungen für Wasch-maschinen, Polyurethan-Isolierschaum (PUR) oder leistungsfähige Motoren in ausreichender Qualität und Menge und in der vereinbarten Zeit liefern konnten. Bis 1989 wurden so in großer Stückzahl vorwiegend Gerätegenerationen produ-ziert, die Ende der 1960er Jahre in der Serienfertigung angelaufen und seitdem mit aller Kunstfertigkeit den veränderten Sicherheits- und Umweltnormen ange-passt und weiterentwickelt worden waren. Daneben verließen seit Anfang der 1980er Jahre auch neu entwickelte Waschvollautomaten mit Sparprogrammen sowie Kühl- und Gefriergeräte mit elektronischer Steuerung oder PUR-Isolation die Fertigungsstätten im Erzgebirge, die jedoch nur zu einem geringen Anteil in den Binnenhandel gelangten.

Die vorhandene Nachfrage nach sparsameren Waschvollautomaten mit elekt-ronischer Steuerung oder nach energieeffizienteren Kühl-Gefrierkombinationen konnte bis zum Ende der 1980er Jahre in der DDR nicht mit dem Angebot in Einklang gebracht werden. Trotz einer nahezu flächendeckenden Ausstattung mit Waschmaschinen und Kühlschränken bestand so ein enormer Ersatzbedarf, der nach 1989 vor allem den westdeutschen Konkurrenten zu Gute kommen sollte.20 Die überwiegende Ausstattung des Binnenhandels mit einfachen und veralteten Hausgeräten erregte die Gemüter vieler Bürger, was sich in einer steigenden An-zahl von Eingaben diesbezüglichen Inhalts zeigen sollte. Bemängelt wurde unter anderem die Diskrepanz zwischen Informationssendungen im Fernsehen wie Prisma oder Magazinen wie Guter Rat, in denen verbrauchsarme Neuheiten un-ter dem Schlagwort »Aufklärung der Bevölkerung über die neue Technik« vor-gestellt wurden, und der beständigen Realität der Bedarfsunterdeckung.21 Die seit Mitte der 1970er Jahre nur noch spärlich fließenden Mittel für Produktwer-bung zielten dementsprechend weniger auf das Wecken von Bedürfnissen, als auf die Erziehung verantwortlicher Konsumenten. Anzeigen für Waschmaschi-nen sowie Haushaltkühlgeräte wurden ab Mitte der 1970er Jahre von Verbrau-cherhinweisen über Einsparmöglichkeiten im Haushalt abgelöst, wobei man für den Fährhafen Saßnitz oder den Transitparkplatz in Warnemünde auch weiterhin großformatige Plakate unter anderem für neue Waschvollautomaten aus Schwarzenberg in Auftrag gab. 1979 wurde für das gesamte Kombinat Haushalt-

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geräte ein Betrag von 147 157 Mark für Werbung im Inland im Vergleich zu 1 883 348 Mark für Exportwerbung bilanziert.22 Auch dies verweist auf die Problematik der bevorzugten Versorgung des Außenhandels mit neu entwickel-ten Geräteserien. In den Planverhandlungen insbesondere seit Anfang der 1980er Jahre wurden die Hausgerätehersteller zu hohen Steigerungen ihrer Exportquoten in das »Nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet« verpflichtet. Dort mussten sich deren Produkte jedoch an den kontinuierlich verschärften Sicherheits- und Um-weltstandards der Bundesrepublik bzw. der EG-Mitgliedsländer messen lassen. Sie wurden in Tests der Stiftung Warentest mit Geräten westdeutscher Unter-nehmen verglichen, wobei regelmäßig ein erhöhter Energieverbrauch der Kühl-schränke und Waschmaschinen made in GDR festgestellt wurde.23 Sie unterlagen zudem den oben beschriebenen Nachfrageveränderungen auf dem westdeutschen Hausgerätemarkt, was seit Ende der 1970er Jahre Gegenstand interner Debatten zwischen dem zuständigen Außenhandelsbetrieb Union Haushaltgeräte Export-Import Berlin (AHB Union) und den Verantwortlichen in den Betrieben sowie der Kombinatsleitung war. Mitarbeiter des AHB Union warnten vor einer dro-henden Verdrängung von westlichen Märkten, sollten nicht rasch Gerätevarian-ten produziert werden, die den westlichen Ansprüchen an Design, Einbaufähig-keit und Sortimentsvielfalt, aber auch an Energieeffizienz und Wasserverbrauch entsprächen. Eine Stabilisierung oder gar Erhöhung von Exportquoten sei in den 1980er Jahren mit Geräten in solider Standardausführung nur noch über eine ent-sprechend niedrige Preisgestaltung zu erreichen.24

Zuletzt geriet jedoch auch die seit Mitte der 1970er Jahre erarbeitete Position in den unteren und mittleren Preisklassen durch Anti-Dumpingverfahren seitens der EG-Mitgliedsländer sowie durch steigende Konkurrenz seitens etlicher Mit-bewerber aus den RGW-Ländern unter Druck. Als Exportwaren besaßen jene neu entwickelten Hausgeräte zudem eine derart niedrige »Exportrentabilität«, dass im November 1989 in der Betriebszeitung des VEB dkk Scharfenstein em-pört von einer »Jagd nach Devisen«, von »Quantität um jeden Preis« und einer »Verschleuderung« von Erzeugnissen auf westlichen Märkten gesprochen wur-de.25 Ein grünes Fortschrittsversprechen Eine Antwort auf die ökologische Herausforderung in den 1970er und 1980er Jahren war für die Hausgeräteindustrie letztlich nicht nur mit dem Gewinn oder Verlust von Marktanteilen bei einer wachsenden Gruppe bewusst kaufender Verbraucher, sondern mit der Zukunftsfähigkeit einer gesamten Branche verbun-den, deren Innovationspotenzial bereits überwiegend ausgereizt schien: »Unsere

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Geräte haben nicht nur eine hohe zahlenmäßige Sättigung in den Haushalten, sondern auch etwas erreicht, was ich als technische Sättigung bezeichnen möchte – einen sehr hohen Stand der technischen Entwicklung nämlich, der kaum noch nennenswerte Entwicklungen zuläßt.«26 Diese Einschätzung von 1971 stellte sich als grobes Fehlurteil heraus, da gerade die Senkung von Verbrauchswerten in der Produktentwicklung und eine effizientere Gestaltung von Fertigungsprozessen zur Freisetzung eines ungeahnten Innovationspotenzials führten. Zu den sichtba-ren Veränderungen in der Produktentwicklung und -gestaltung gehörten unter anderem die sukzessive Ausstattung von Waschmaschinen und Kühlgeräten mit Spartasten seit 1975, mit Sparprogrammen, optischen wie akustischen Warnsig-nalen bei offen stehenden Kühlgerätetüren und den dazu benötigten Sensoren, mit effektiver Isolierung und automatischer Steuerung verbunden mit dem Ein-zug von Mikroelektronik. Mit immer weniger Strom, Wasser und Waschmittel sollte immer höherer Komfort und immer bessere Qualität geboten werden. So konnten in der Bundesrepublik die spezifischen Stromverbrauchswerte von »Nassgeräten« von 1978 bis 1994 um 40 bis 45 Prozent gesenkt werden. Bei Kältegeräten gelang im gleichen Zeitraum eine ebenso beachtliche Reduzierung um 35 bis 45 Prozent. Verlässliche Angaben für die DDR lassen sich ungleich schwieriger belegen. Für den Zeitraum von 1979 bis zum Ende der 1980er Jahre konnte der Energieverbrauch von Kühlgeräten um circa 20 Prozent gesenkt wer-den. Verbrauchte ein Waschvollautomat WVA 500 1975 noch über 0,9 kWh Elektroenergie pro kg Wäsche im Programm Kochwäsche 90°C, so wurde dieser Wert 1987 auf etwa 0,55 kWh beim neu entwickelten VA 861 electronic redu-ziert. In den Jahren von 1996 bis 2006 erzielte die gesamtdeutsche Hausgeräte-industrie nach Angaben des ZVEI weitere Einsparungen bei Waschmaschinen von 34 Prozent sowie bei Kühl- und Gefriergeräten von 40 Prozent.27

Neben ein neues Anforderungsprofil in der Produktentwicklung trat eine ver-änderte Ansprache von Verbrauchern mit den Instrumenten der Produkt- und Unternehmenskommunikation. Werbung für Energiekonsum in einem modernen, technisierten Haushalt wurde sukzessive von Werbung für Energieeffizienz in einem fortschrittlichen, umweltbewussten Haushalt abgelöst. In den 1990er Jah-ren findet sich kaum noch eine Anzeige ohne einen Verweis auf die Umweltver-antwortung der Hausgeräteindustrie. Ergänzend zu den äußerst erfolgreichen Ar-gumentationsstrategien einer Entlastung der Hausfrau von schwerer und zeitrau-bender Hausarbeit durch elektrische Haushaltsgeräte kam das Versprechen einer Schonung von Umwelt und Geldbeutel durch hoch effiziente Haushaltshelfer. Dem gesamtdeutschen Konsumenten eröffneten sich nun grüne Traumlandschaf-ten unter blauem Himmel mit Kühlschränken und Waschmaschinen umgeben von Bergen, Wiesen und Wäldern. Wie viel Energie verbraucht ein Kühlschrank

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im Dauerbetrieb? Wie viel Wasser schluckt eine Waschmaschine bei einer 40°-Wäsche im Unterschied zu Kochwäsche und wie viel Waschmittel benötigt ein durchschnittlicher Haushalt im Jahr für die Reinigung seiner Wäsche? Der ima-ginierte Nutzer in Werbeanzeigen kennt alle Einsparpotenziale und optimiert seine technisch anspruchsvoll ausgerüstete Küche dementsprechend. Technischer Fortschritt im Haushalt blieb damit Ausdruck moderner Lebensart, trug aber gleichzeitig zur Versöhnung von Technik und Umwelt bei: »Technik im Haus-halt erleichtert nicht nur die Arbeit, sie steuert zum prima Leben ein weiteres Plus hinzu: Weniger Energieverbrauch durch ausgefeilte Technik und damit ver-bunden mehr Zeit für Familie und Freizeit.«28

Trotz mannigfaltiger kommunikativer Anstrengungen gab und gibt es jedoch für die Hersteller jener sparsamen Hausgeräte ein gravierendes Problem. Auf Grund der langen Nutzungsdauer zum Beispiel von Gefriergeräten (durchschnitt-lich 17 Jahre) ist der Altbestand an ineffizienten Geräten in den Privathaushalten sehr hoch und Verbraucher mit niedrigem Einkommen orientieren sich bei der Neuanschaffung vorrangig an den preiswerten Anschaffungskosten für Geräte mit schlechteren Energieeffizienzklassen. Weitere große Einsparpotenziale könn-ten laut einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey zukünftig deutlich früher erschlossen werden, »wenn es gelänge, das Angebot an hocheffizienten Produkten schneller in den Markt und die Haushalte zu bringen.« Bezieht man alle Hausgerätesparten in die Berechnung ein, so diese Studie, bestehe zwischen der durchschnittlich verkauften und heute verfügbaren Effizienz eine Abwei-chung von 22 Prozent. Für die Sparte besonders energieintensiver Kühl- und Ge-friergeräte erhöht sich dieser Wert auf fast 40 Prozent. Die Autoren errechnen schließlich, dass bei einer Steigerung des Verkaufsanteils der effizientesten Ge-räte auf 80 Prozent im Jahr 2020 knapp fünf Millionen Tonnen Kohlenstoffdio-xid weniger emittiert werden würden.29 Weiße Ware im grünen Bereich? 1995 stellte der damalige Vorsitzende der Geschäftsführung der Bosch Siemens Hausgeräte GmbH Herbert Wörner resümierend fest, dass überhaupt erst durch umweltpolitische Maßnahmen ein Markt für umweltfreundliche Innovationen geschaffen worden sei, der in den zurück liegenden Jahren die ansonsten stagnie-rende Weiße-Ware-Industrie deutlich an Volumen gewinnen lassen hätte.30 Von dieser Erweiterung der Absatzchancen profitierten insbesondere bundesdeutsche Hersteller, die sich angesichts zunehmender Billigkonkurrenz und hoher Ferti-gungskosten in Deutschland auf Produkte der mittleren und oberen Preiskatego-rien spezialisierten. Der diesbezüglich beanspruchte »technologische Vorsprung«

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bundesdeutscher Hausgerätehersteller umfasste zugleich »energieökonomische Geräte«, so dass Spitzentechnologie für den Haushalt fortan vor allem besonders effiziente und sparsame Hausgeräte meinte.31 Für die Verbraucher verlor das Fortschrittsversprechen eines technisierten Haushaltes an der Wende von den 1960er zu den 1970er Jahren aufgrund der massenhaften Verbreitung von Haus-geräten zwar an Faszination, aber in Gestalt des energieeffizienten Haushaltes erlebte es eine »grüne« Auferstehung mit erweiterten Inhalten. In den Marke-tingstrategien wurde nun die Aussage zentral, dass es keinesfalls um eine Redu-zierung des Hausgerätekonsums oder um einen Verzicht auf mehr Komfort und technische Raffinessen ginge, sondern im Gegenteil um ein mehr an elektrischen Hausgeräten, die aber besonders umweltschonend und besonders energieeffizient konstruiert sein müssten.

Effiziente Technologien können so als neues Fortschrittsversprechen für eine umweltbewusste Gesellschaft fungieren, ohne notwendigerweise mit den Begrif-fen Suffizienz oder Verzicht verbunden zu werden. Mit dem Kaufakt energieef-fizienter Hausgeräte kommt der Verbraucher demnach seiner ökologischen Ver-antwortung nach, die weitestgehend in Form technischer Anforderungen an Ma-schinen und Hersteller übertragen wird. Die hier behauptete »grüne Bewusst-seinsfärbung« der Hausgeräteindustrie soll dabei keineswegs als konfliktfrei vo-ranschreitender Prozess der Integration des Umweltschutzgedankens in Innovati-onsprozesse und Organisationskultur der Branche verstanden werden. Konnte die Hausgeräteindustrie unbestreitbare Erfolge bei der Reduzierung der Ver-brauchswerte ihrer Produkte verkünden, so gab es doch auch immer wieder Be-mühungen, weitreichende Regulierungsversuche auf europäischer oder nationa-ler Ebene zu blockieren. Entwickelte sich einerseits die Dimension Energiever-brauch zu einem der wichtigsten Verkaufskriterien auf einem hart umkämpften Markt, gab es andererseits auch Schwierigkeiten in vielen Unternehmen und Be-trieben, genügend Ressourcen für den Bau und die Erprobung besonders sparsa-mer Geräteserien bereitzustellen. Insbesondere in der DDR führte der Mangel an Investitionsmitteln zum Abbruch von Entwicklungsarbeiten oder zur verspäteten »Überführung« verbrauchsarmer Geräteserien in die Serienproduktion. Nicht zuletzt blieb das Verhalten der Verbraucher lange Zeit eine unbekannte Variable: Es gab kaum Erfahrungen, ob das wissenschaftlich erforschte und medial be-schriebene Umweltbewusstsein vieler Bundesdeutscher auch in den Kauf beson-ders energieeffizienter Hausgeräte münden würde. Für Konsumenten in der DDR galten ohnehin abweichende Bedingungen, waren diese doch vorrangig damit beschäftigt, die begehrten Güter in den Verkaufsstellen des Landes möglichst rechtzeitig zu sichten und zu sichern.

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Anmerkungen

1 Vgl. M. Heßler: »Mrs. Modern Woman« Zur Sozial- und Kulturgeschichte der Haushaltstechnisierung, Frankfurt/M. 2001; H. Weber: »Kluge Frauen lassen für sich arbeiten!« Werbung für Waschmaschinen von 1950–1995, in: Technikgeschichte 65 (1998) 1, S. 27–56; H. D. Schlosser u. a.: Hightech im Haushalt. Leitbilder und Sprache der Werbung für Haushaltstechnik, Frankfurt/M. 1996; F. Langguth: »Elektrizität in jedem Gerät«. Die Elektrifizierung der privaten Haushalte am Beispiel Berlins, in: Haushalts(t)räume. Ein Jahrhundert Technisierung und Rationalisierung im Haushalt, Königstein 1990, S. 93–102; K. Zachmann: A socialist consumption junction. Debating the Mechanization of Housework in East Germany, 1956–1957, in: Technology and Culture 43 (2002) 1, S. 73–99.

2 Vgl. Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V. (Hg.): Weißbuch Energie-Intelligenz: Energie intelligent erzeugen, verteilen und nutzen, Düsseldorf 2008, www.en-q.de/weissbuch.html (27. Januar 2009), S. 20; Hausgeräte+: www.hausgeraete-plus.de/ (25. November 2009).

3 Vgl. Forderung nach einem Impulsprogramm der Bundesregierung »Klimafreundlich einkaufen«: Bundesverband Technik des Einzelhandels e.V. (BVT) und Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e.V. (ZVEI): Bremer Erklärung, BVT/ZVEI-Branchendialog »Energie-Effizienz«, Bremen 6. Mai 2008, http://www.bvt-ev.de/bvt_cm/aktuelles/downloads/2008-05-06_PM_BVT-ZVEI_Bremer-Erklaerung.pdf (17. November 2009).

4 G. Castillo: Marshall Plan Modernism in Divided Germany, in: D. Crowley / J. Pavitt (Hg.): Cold War Modern. Design 1945–1970, London 2008, S. 66–72, hier S. 66; dazu auch: S. E. Reid: »Our Kitchen is Just as Good«: Soviet Responses to the American Na-tional Exhibition in Moscow, 1959, in: D. Crowley / J Pavitt (Hg.): Cold War Modern. Design 1945–1970, London 2008, S. 154–162; zu Umfrageergebnissen des Instituts für Demoskopie Allensbach vgl. O. Lenz: Deutschlands soziale Wirklichkeit, in: Die politische Meinung (1956) 2, S. 52.

5 Allgemeine Electrizitäts-Gesellschaft AEG-Telefunken: Der allelektrische Haushalt. Traum oder Wirklichkeit?, 10/1968, Unternehmens-Broschüre, Stiftung Deutsches Techni-sches Museum Berlin, Historisches Archiv (SDTM), P 100-100.1, Verschiedenes, Hausge-räte Infos, Messeneuheiten.

6 U. Hellmann: Künstliche Kälte. Die Geschichte der Kühlung im Haushalt, Gießen 1990, S. 8; Daten zur Ausstattung der Haushalte mit langlebigen Konsumgütern, vgl. W. König: Geschichte der Konsumgesellschaft, Stuttgart 2000, S. 232ff; Statistisches Jahrbuch der DDR, Berlin 1990, S. 325.

7 Zuarbeit zum Hauptfristenplan für die Entwicklung des WVA VE, 25.7.1979, Staatsarchiv Chemnitz (StAC), 30996, WGW Schwarzenberg, 1224, 2. Gerätegeneration Waschma-schinen Entwicklung WVA-VE, 1976–1985.

8 Presseinformation, Vortrag Heinz Dürr, Vorsitzender des Vorstands der AEG-Telefunken AG Berlin, Frankfurt/M., »Mehr Markt durch Kooperationen?«, Ulm 8. Oktober 1981, SDTM, GS.6141, TPC 81 17. Technisches Presse-Colloquium 8./9. Oktober, pri 7290.

9 Kühlschrank im Mercedes: Muss die AEG ihre Hausgeräte-Sparte verkaufen, weil Daimler-Benz es so will?, in: DER SPIEGEL 47 (1988), S. 135.

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10 Vgl. J. Bähr u. a.: Erträge und Desiderata des deutsch-deutschen Vergleichs. Wirtschaftshistorische Anmerkungen zu einem abgeschlossenen Projekt, in: L. Baar / D Petzina (Hg.): Deutsch-Deutsche Wirtschaft 1945 bis 1990. Strukturveränderungen, Innovationen und regionaler Wandel. Ein Vergleich, St. Katharinen 1999, S. 1–24.

11 Zur Debatte über die Bedeutung der 1970er Jahre als Zäsur in der Zeit- und Umweltgeschichte, vgl. insbes. P. Kupper: Die »1970er-Diagnose«. Grundsätzliche Überlegungen zu einem Wendepunkt der Umweltgeschichte, in: Archiv für Sozialgeschichte 43 (2003), S. 325–348; J. I. Engels: Naturpolitik in der Bundesrepublik. Ideenwelt und politische Verhaltensstile in Naturschutz und Umweltbewegung 1950–1980, Paderborn 2006; H. Behrens: Rückblicke auf den Umweltschutz in der DDR, in: Ders. / J. Hoffmann (Hg.): Umweltschutz in der DDR. Analysen und Zeitzeugenberichte, Bd. 1, München 2008, S. 1–40; K. Jarausch (Hg.): Das Ende der Zuversicht? Die siebziger Jahre als Geschichte, Göttingen 2008; A. Doering-Manteuffel / L. Raphael: Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, Göttingen 2008.

12 Allgemeine Electricitäts-Gesellschaft AEG-Telefunken: Geschäftsbericht 1976, Berlin/ Frankfurt/M. 1977, SDTM, AEG-Telefunken Geschäftsberichte, ohne Signatur, 1970–1992.

13 Vgl. Stiftung Warentest (Hg.): 40 Jahre Stiftung Warentest, Berlin 2004, S. 89. 14 Bereits 1976 gab die EG-Kommission eine Empfehlung an alle Mitgliedsstaaten, in der sie

für Haushaltsgroßgeräte die Angabe des Elektrizitätsverbrauchs nach einheitlichen Normen forderte. Dies geschah im Zuge einer Reihe von Anregungen zur Energieeinsparung, vgl.: elektromarkt 56 (1976) 3, S. 5; Hohe Einsparerfolge bei Elektro-Hausgeräten, in: ZVEI-Mitteilungen (1986) 19, S. 15; Siemens-Mitteilungen (1987) 9, S. 8, Siemens Corporate Archives (SAA), 68 Li. 137, Zeitungsartikelsammlung, BSHG.

15 European Committee of Domestic Equipment Manufacturers (CECED): Energy Savings in the Electrodomestic Appliance Area, English Edition, Febr. 1981, http://www.ceced.eudata.be/energy/Energy_Savings_in_the_Electrodomestic_Appliance_Area,_February_1981.pdf (21. Februar 2007).

16 Vgl. Aufkleber soll helfen beim Energiesparen, in: Stromthemen 14 (1997) 2, S. 4. 17 H.-J. Scheithauer / M. Laue: Moderne Waschmaschinen – sparsame Helfer im Haushalt, in:

Energieanwendung 37 (1988) 6, S. 229–231, hier S. 229. 18 Winterdirektive, 26. Januar 1982, StAC, 30992, VEB Haushaltgeräte Karl-Marx-Stadt,

Stammbetrieb des Kombinates Haushaltgeräte, 952, 15375, Rationelle Energieanwendung, Protokolle, Analysen Energie, 1981–1985; »Weitere Rationelle Energieumwandlung und -anwendung 1981–1985« für den Bereich des MALF, Berlin 20. Dezember 1982, StAC, 30992, VEB Haushaltgeräte Karl-Marx-Stadt, Stammbetrieb des Kombinates Haushaltge-räte, 952, 15375, Rationelle Energieanwendung, Protokolle, Analysen Energie, 1981–1985.

19 Informations-Memorandum, FORON-Hausgeräte, Juli 1991, CS First Boston, StAC, 30986 dkk, L, 61137, FORON Informationsmemorandum.

20 Bosch-Siemens Hausgeräte GmbH: Bericht über das Geschäftsjahr, 1990, SAA, 15 Lm. 277, BSHG, Geschäftsberichte 1972–1982.

21 Eingabenanalysen Kombinat Haushaltgeräte, StAC, 30992, VEB Haushaltgeräte Karl-Marx-Stadt, Stammbetrieb des Kombinates Haushaltgeräte, 1095, Eingabenanalysen, 1986–1990; Niederschrift über Beratung mit ZWK Haushaltwaren Berlin am 28.6.1979

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zum WVA VE, Schwarzenberg 29. Juni 1979; StAC, 30996, Waschgerätewerk Schwarz-enberg, 1224, 2. Gerätegeneration Waschmaschinen Entwicklung WVA-VE, 1976–1985.

22 Verträge Waschgerätewerk, Abteilung Werbung und Dewag Werbung, Außenstelle Reichsbahnwerbung Dresden, StAC, 30996 Waschgerätewerk Schwarzenberg, 1246, Schriftverkehr Abteilung Technik; Nachweis und Erklärung über die Einhaltung der für das Jahr 1979 festgelegten Limite, 12.2.1980, StAC, 30992, VEB Haushaltgeräte Karl-Marx-Stadt, Stammbetrieb des Kombinates Haushaltgeräte, 1120, Abschlussunterlagen VVB EBM/ Kombinat KHG 1969–1983; zur Geschichte der Werbung in der DDR, vgl. I. Merkel: Alternative Realities, Strange Dreams, Absurd Utopias. On Socialist Advertising and Market Research, in: K. Pence / P. Betts (Hg.): Socialist Modern. East German Culture and Politics, Ann Arbor (Mich.) 2008, S. 323–344, hier S. 329.

23 Angaben an KHG in Verbindung mit Nachweis Energieverbrauch der dkk-Kältegeräte zum Welthöchststand (Kritik E. Honecker auf der 4. ZK-Tagung), Scharfenstein 5. Juli 1982, StAC, 30986 dkk, 38T, 61180, Technische Parameter, Ministerratsvorlage Energieeinsparung etc., 1981–1989.

24 AHB union, Berlin 28. August 1981, StAC, 30996, WGW Schwarzenberg, 1224, 2. Gerä-tegeneration Waschmaschinen Entwicklung WVA-VE, 1976–1985.

25 1986 wurde ein Anti-Dumpingverfahren zu Haushaltkältegeräten eröffnet. Die Forderung bestand darin, ein den EG-Staaten angemessenes Preisniveau zu erreichen, vgl. KHG an MALF, Breuer, Jahresplan 1987, Valuta-Dienstreisen, 18. September 1986, StAC, 30992, VEB Haushaltgeräte Karl-Marx-Stadt, Stammbetrieb des Kombinates Haushaltgeräte, 1096, Valutapläne, 1984–1990; Bericht über die durchgeführte Reise in die BRD v. 21.10.-27.10.1984, AHB union, StAC, 30996, Waschgerätewerk Schwarzenberg, 1055, BRD Rei-seberichte 1971–1988; Dkk muß top- oder superklasse produzieren! In: dkk-Kühlung 35 (1990) 8, S. 2; zur Problematik der Exportrentabilität, vgl. A. Steiner: Ausgangsbedingun-gen für die Transformation der DDR-Wirtschaft: Kombinate als künftige Marktunterneh-men?, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 54 (2009) 2, S. 139–157, hier S. 155f.

26 Technische Sättigung von kühl bis kalt, in: elektromarkt 53 (1971) 6, S. 14. 27 Zur Bundesrepublik vgl. H. Lotz: Energieverbrauch bei Haushaltsgeräten – Erreichte

Einsparungen und weitere Potentiale, in: Lebensstandard, Lebensstil und Energieverbrauch, Tagung Veitshöchheim 1995, VDI-Gesellschaft Energietechnik, Düsseldorf 1995, S. 59–69, hier S. 60; ZVEI-Mitteilungen 19 (1986), S. 14f; W. Scholz: TopRunner aus Sicht eines Industrieverbandes, Präsentation zum TopRunner-Workshop, ZVEI/Fachverband Elektro-Hausgeräte, 29. Juni 2006, S. 7, http://www.dena.de/fileadmin/user_upload/Download/Veranstaltungen/2006/06/Vortrag_Scholz.pdf (16. November 2009); zur DDR vgl. R. Ehrich / H. Auerswald: Durchsetzung einer rationellen Energieanwendung im VEB dkk Scharfenstein, in: Energieanwendung 38 (1989) 5, S. 177ff., hier S. 178; Scheithauer/Laue: Moderne Waschmaschinen, S. 229.

28 Siemens-Electrogeräte GmbH/Elektro-Fachhandel (Hrsg.): Aktuell für Sie. Tips für Mode, Haushalt+Gerätekauf, 1983, SAA, Zwischenarchiv (Druckschriften, Kataloge: Hausgerä-te), Werbekampagnen »Aktuell für Sie« ab 1983; Weber: Kluge Frauen, S. 49f.

29 McKinsey & Company: Kosten und Potenziale der Vermeidung von Treibhausgasemissionen in Deutschland. Eine Studie von McKinsey & Company, Inc., erstellt im Auftrag von BDI initiativ – Wirtschaft für Klimaschutz, Sektorperspektive Gebäude, Berlin 2007, S. 45.

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30 Vgl. H. Wörner: Bosch Siemens Hausgeräte GmbH. Restrukturierung zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, in: M. Nippa / A. Picot (Hg.): Prozessmanagement und Reengineering. Die Praxis im deutschsprachigen Raum, Frankfurt/New York 1995, S. 272–285, hier S. 275.

31 Hohe Einsparerfolge bei Elektro-Hausgeräten, in: ZVEI-Mitteilungen (1986) 19, S. 15.

Anschrift der Verfasserin Sylvia Wölfel, M.A. Technische Universität Dresden Lehrstuhl für Technik- und Technikwissenschaftsgeschichte 01062 Dresden