Eesti 2013 l textildesign l hmk 04 13 l kus

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ind es Runen? Sind es Zeichen? Enthalten sie eine Botschaft, all diese zackigen Sterne und Pfeile, Karos und Kreuze …? Wer in Estland genau hinschaut, entdeckt eine geheimnis- volle Zeichensprache. Geometrisch wirkende Symbole – eingeprägt in Schmuck, eingeritzt in Glas, eingewebt in Tücher und Tischdecken, Handschuhe, Strümpfe, Jacken und Röcke. Die schlichten Figuratio- nen sehen uralt aus. Aber in stilisierter Form sind sie etwa auch an den Fenstern und Türen, Wänden und Decken des Restaurants »Kaerajaan« am Rathaus- markt in Estlands Hauptstadt Tallinn zu entdecken, in dem moderne estnische Küche serviert wird (www.kaerajaan.ee). Dort wirken sie ziemlich trendy … Die Esten sind die wirtschaftlichen Vorreiter unter den drei baltischen Völkern und haben vor allem in Sachen Informationstechnologie die Nase vorn. Das kleine Land mit gut 1,3 Millionen Einwohnern kokettiert mit dem Spitznamen E-Nation oder nennt sich gleich E-Estonia, weil hier vom E-Shopping bis zum E-Government fast alles per Mausklick machbar ist. Nicht von ungefähr wurde Skype maßgeblich von estnischen Programmierern entwickelt. Doch rück- sichtslose Vorwärtsgewandtheit scheint nicht Sache der Esten zu sein, die ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion zusammen mit den Litauern und Letten nicht erzwangen, sondern buchstäblich ersangen. Nirgendwo zeigt sich die Besinnung auf das Eigene so deutlich wie an den riesigen Sängerfesten, an denen – gefühlt – das ganze Volk in seinem traditionellen Liedgut schwelgt. Nicht nur in der berühmten Men- schenkette, mit der im August 1989 zwei Millionen Menschen Hand in Hand die Via Baltica über 600 Kilometer vom litauischen Vilnius über das letti- sche Riga bis zum estnischen Tallinn singend säumten, brachten die Esten ihren Wunsch nach Freiheit und Aufbruch mit uralten Liedern zum Ausdruck. Sie hat- ten Erfolg. Auch im Design scheint das kreative Anknüpfen an Überliefertes ein Erfolgsrezept zu sein. Denn es gibt sie noch, die guten Dinge – gerade in Estland. So fertigt etwa die Textilgestalterin Riina Tomberg Klei- dungsstücke, die in all ihren vielfältigen Mustern eine einzigartige Schlichtheit ausstrahlen. Kein Wunder, 25 estland In Estland feiern Volkskunsttraditionen bunte Auferstehung. Die kleine baltische Nation setzt nicht nur im IT-Bereich, sondern auch im Textildesign innovative Trends. Muster-Beispiele aus Tallinn. TEXT: KAI-UWE SCHOLZ BUNTE MISCHUNG Die frühere H&M- Designerin Liina Viira hat die Strick-Kollektion »Naaiv« entwickelt. STRICK-CODE Liina Viira greift auf uralte Muster zurück. WARM, ABER SEXY Das Label »Naiiv« kombiniert Blickfang und Kälteschutz. 24 Fotos: Kristjan Sulõnd Foto: Indrek Aija

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Estonian Design. Texitile. Monika Järg. Mare Kelpman. Liina Viira.

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ind es Runen? Sind es Zeichen? Enthalten sie eine Botschaft, all diese zackigen Sterne und Pfeile, Karos und Kreuze …? Wer in Estland genau hinschaut, entdeckt eine geheimnis-volle Zeichensprache. Geometrisch wirkende

Symbole – eingeprägt in Schmuck, eingeritzt in Glas, eingewebt in Tücher und Tischdecken, Handschuhe, Strümpfe, Jacken und Röcke. Die schlichten Figuratio-nen sehen uralt aus. Aber in stilisierter Form sind sie etwa auch an den Fenstern und Türen, Wänden und Decken des Restaurants »Kaerajaan« am Rathaus-markt in Estlands Hauptstadt Tallinn zu entdecken, in dem moderne estnische Küche serviert wird (www.kaerajaan.ee). Dort wirken sie ziemlich trendy …

Die Esten sind die wirtschaftlichen Vorreiter unter den drei baltischen Völkern und haben vor allem in Sachen Informationstechnologie die Nase vorn. Das kleine Land mit gut 1,3 Millionen Einwohnern kokettiert mit dem Spitznamen E-Nation oder nennt sich gleich E-Estonia, weil hier vom E-Shopping bis zum E-Government fast alles per Mausklick machbar ist. Nicht von ungefähr wurde Skype maßgeblich von estnischen Programmierern entwickelt. Doch rück-sichtslose Vorwärtsgewandtheit scheint nicht Sache der Esten zu sein, die ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion zusammen mit den Litauern und Letten nicht erzwangen, sondern buchstäblich ersangen. Nirgendwo zeigt sich die Besinnung auf das Eigene so deutlich wie an den riesigen Sängerfesten, an denen – gefühlt – das ganze Volk in seinem traditionellen

Liedgut schwelgt. Nicht nur in der berühmten Men-schenkette, mit der im August 1989 zwei Millionen Menschen Hand in Hand die Via Baltica über 600 Kilometer vom litauischen Vilnius über das letti-sche Riga bis zum estnischen Tallinn singend säumten, brachten die Esten ihren Wunsch nach Freiheit und Aufbruch mit uralten Liedern zum Ausdruck. Sie hat-ten Erfolg.

Auch im Design scheint das kreative Anknüpfen an Überliefertes ein Erfolgsrezept zu sein. Denn es gibt sie noch, die guten Dinge – gerade in Estland. So fertigt etwa die Textilgestalterin Riina Tomberg Klei-dungsstücke, die in all ihren vielfältigen Mustern eine einzigartige Schlichtheit ausstrahlen. Kein Wunder,

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estland

In Estland feiern Volkskunsttraditionen bunte Auferstehung. Die kleine baltische Nation setzt nicht nur im IT-Bereich, sondern auch im Textildesign innovative Trends. Muster-Beispiele aus Tallinn.

TExT: kAI-uwE scholz

BuNTE MIschuNg Die frühere H&M- Designerin Liina Viira hat die Strick-Kollektion »Naaiv« entwickelt.

sTrIck-coDE Liina Viira greift auf uralte Muster zurück.

wArM, ABEr sExy Das Label »Naiiv« kombiniert Blickfang und Kälteschutz.

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Tallinn regt die Kreativität an.

orientiert sich die Strickkünstlerin doch an der über Jahrhunderte tradierten Ornamentik der baltischen Küstenbewohner, der sie sogar eine systematische Untersuchung in Buchform (über Troyer, Wämser und Westen – kurz über »Knitted Jackets« auf den estnischen Inseln) gewidmet hat. Der »Kaheksakand«, der achteckige Stern, ist so ein Symbol, das auf Müt-zen und Gürteln, Jacken und Kleidern getragen wur-de, weil man sich dadurch Schutz und Hilfe ver-sprach. Auf den Inseln ist solches Brauchtum vielerorts noch lebendig. Konsequenterweise ist Riina Tomberg in den 90er-Jahren von der Hauptstadt auf die Insel Saarema übergesiedelt, um näher an den ursprüng-lichen Traditionen dran zu sein. In Tallinn ist ihre Kollektion in den estnischen Volkskunstgeschäften – Eesti Käsitöö – präsent (www.folkart.ee). Welch eine Wohltat, zwischen all den fliegenden Souvenirhänd-lern, die den Touristen russische Matroschka-Puppen und Billig-Pullover made in Sonstwo als estnisches Kulturgut zu verkaufen versuchen, auf Tombergs Kollektion zu stoßen. Ihr windmühlenflügelartiges Signet könnte selbst eines der uralten Volkskunst- Ornamente sein.

Zu den originellen Weiterentwicklungen gehört die Kollektion von Liina Viira, die folkloristische Elemente mit psychedelisch anmutenden Farb- und Formexperimenten in poppig-schrille Mode verwan-delt. »Was für irre Motive, dachte ich angesichts der alten Strickmuster«, erzählt die Textildesignerin. »Je-der estnische Landstrich, jedes Dorf hat andere Farben und Strukturen. Daraus muss ich etwas machen!« – Das ist ihr gelungen.

Liina Viira brachte in doppelter Hinsicht eine besondere Perspektive mit. Zum einen war sie als Kind estnischer Eltern in Schweden aufgewachsen, wohin ihre Familie 1944 vor den heranrückenden sowjetischen Truppen geflüchtet war. Als sie 1986, noch zu Sowjetzeiten, als Kind das erste Mal die Heimat ihrer Familie besuchte, fand sie die politische Lage unheimlich und das karge Angebot in den Geschäften bedrückend. Nach Wiedererlangung der Unabhängigkeit hatte sich die Atmosphäre kom-plett gewandelt. Nun konnte die Exil-Estin das Ver-traute im scheinbar Fremden wahrnehmen. Dazu kam ein professioneller Blick. Denn zum anderen hatte Liina Viira in Stockholm Textildesign studiert und sich dann beim schwedischen Modekonzern H&M hochgearbeitet – von einer Tätigkeit im Ver-kauf zu Beginn bis zur Konzeptentwicklung am Schluss. 2005 siedelte sie kurzentschlossen nach

Estland über, beschäftigte sich intensiv mit Sprache, Kultur und der althergebrachten estnischen Strick-kunst, nahm bereits 2006 erfolgreich am Tallinner Modewettbewerb »SuperNoova« teil, stellte 2009 ihre erste Kollektion vor und eröffnete 2010 ihr eige-nes Geschäft in der Tallinner Pikk-Straße. Auch wenn Liina Viiras Label und Laden »Naiiv« heißen – schnell muss sie gesehen haben, dass in den uralten Ornamenten ungeheures ästhetisches Potenzial steckt (www.naiiv.eu). Kein Gedanke an eine Rückkehr nach

Schweden: Tallinn rege die Kreativi-tät an, sagt die heute 33-Jährige.

In ihrer »Naiiv«-Kollektion ste-chen junge Modefarben wie Pink oder Knallgrün hervor. Angesichts

der Witterung hier oben im Baltikum dürfe Mode nicht nur Kunst sein, sondern müsse vor allem prak-tischen Zwecken dienen, sagt Liina Viira. Und mit ihrer Kollektion sei man von Kopf bis Fuß auch auf den baltischen Frost eingestellt. Das stimmt: Wollene Kapuzen halten die Köpfe, Stulpen die Hände und sogenannte Bärenhosen – auf Estnisch »Karubuxid« genannt – die Beine warm. Seit Kurzem gibt es auch eine Männerkollektion, und gerade hat Liina Viira einen Schlafsack entworfen. Zu seinem Ornament-schmuck gehören Zeichen und Symbole, die den dar-in Schlafenden durch ihren Abwehrzauber beschüt-zen sollen.

schAllschluckEr Järgs Wandpaneel »Moon« wirkt dekorativ und schall-dämpfend zugleich.

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BoDENDEckEr Järgs Teppich »COWBERRY« mit eingewebten Filzbällchen sorgt für besondere Gehgefühle.

hINguckEr Textildesignerin Monika Järg bestickt sogar Fußbodenbretter.

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Es ist ein vielfältiger Formenschatz, der der est-nischen Textildesignern als Quelle von Anregungen dient. Auch die Gestalterin Kerttu Laane arbeitet mit der Neuadaption solcher ästhetischen Strukturen. Sie lässt zum Beispiel alte Gürtelmuster in die Sitzflächen ihrer Stühle und Hocker flechten. »Kirikergo« nennt sie ihre Kollektion, die in Südestland gefertigt wird (www.otspuu.ee): »Kiri« heißt in Estnisch Muster und »Kergo« kleiner Hocker. Ihre Arbeiten sind im Tal-linner Designzentrum »Eesti Disaini Maja« ausge-stellt (www.estoniandesignhouse.ee). »Gerade haben wir einen Design-Wettbewerb zum Thema Tradition aus-gerufen«, sagt Ilona Gurjanova, Leiterin des Zent-rums und zugleich Vorsitzende des Estnischen Desig-nerverbandes: »Anhand der Einreichungen wollen wir das gestalterische Potenzial unserer überlieferten Ästhetik auszuloten versuchen«.

Doch Vorsicht: All solche historischen Formen, Muster und Ornamente seien Bedeutungsträger, die zum Verwendungszweck passen müssten, sagt Moni-ka Järg. Die Weberei-Spezialistin kritisiert, dass das Pattern-Programm inzwischen wahllos selbst auf T-Shirts und Taschentuchpackungen gedruckt wird. Järg selbst schafft eigene Muster-Beispiele und kreiert aus dem regionaltypischen Materialfundus – Holz, Wolle, Filz – neuartige Produkte wie ihre »Floor Em-broidery« – »Fußboden-Stickerei«, bei der Boden-bretter oder auch Teppiche mit ungewohnten und un-gewöhnlichen Strukturen versehen werden (www.tekstiilruumis.ee). Ihr Produkt »Cowberry« – ein flau-schiger Webteppich mit eingearbeiteten Filzbällen – verschafft ganz besondere Gehgefühle.

»Auch ich glaube an das Potenzial Estlands«, sagt die 38-Jährige, setzt aber weniger auf ästhetische Wie-derbelebung als auf technologische Weiterentwicklung. So hat sie mit ihren Wandpaneelen »Moon« Gestal-tungslösungen für Schallschutzprobleme in Büros entwickelt und mit ihrem Mischgewebe »Fly« aus Leinen und Wolle sogar eine Webart optimiert.

Wie avanciert die Esten Tradition und Hightech zuweilen miteinander verbinden, zeigen schließlich die Textilien von Mare Kelpman. Von ihr stammen Stoffe, die sie mit Fertigungstechnologien des 21. Jahrhun-derts veredelt und in die sie etwa Strukturen aus dem bekannten historischen Fundus in lumineszenten Neonfarben einweben lässt (www.marekelpman.eu). Zur Produktpalette von »Kelpman textil« gehören neben Bekleidung, Schmuck, Gardinen und Raumteilern mit diesen Features sogar selbstleuchtende Kissen. Schaltet man die Nachttischlampe aus, glühen die Muster in der Dunkelheit noch lange nach. Ein leuchtendes Beispiel für estnische Innovationskraft.

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lEuchTsToff Lumineszente Textilien von Mare Kelpman.

zEIchENsprAchE Hocker-Kollektion »Kirikergo« von Kerttu Laane.

MusTErBEIspIElE Pullover im traditionellen estnischen Stil von Riina Tomberg.

Ja! Wenn du eins unserer Nähprojekte nacharbeitest und das Ergebnis in der Rubrik: »Anleitungen«, Kategorie:

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An dem wettbewerb können alle hANDMADE kultur leserinnen aus allen ländern teilnehmen.

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