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DIE HALLE 18 SCHLIESST: ZWEI FRAGEN AN DIE BEWOHNER EIN JAHR UNTERSTÜTZUNG FÜR GEFLÜCHTETE: ERFAHRUNGEN, BEGEGNUNGEN, GRENZEN NONNEN, FENDRICH UND DIE UNGARN: FLUCHT AUS UNTERSCHIEDLICHEN PERSPEKTIVEN

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DIE HALLE 18 SCHLIESST: ZWEI FRAGEN AN DIE BEWOHNER

EIN JAHR UNTERSTÜTZUNG FÜR GEFLÜCHTETE: ERFAHRUNGEN, BEGEGNUNGEN, GRENZEN

NONNEN, FENDRICH UND DIE UNGARN: FLUCHT AUS UNTERSCHIEDLICHEN PERSPEKTIVEN

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EDITORIAL . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

FLÜCHTLINGSHILFE WOLKERSDORF

Geflüchtete und Hilfestellungen – Rückblick in Stichworten Rudi Rögner . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

DIAKONIE & HALLE 18

Ankommen, Abschied und WeitergehenKarin Spiegel und Dagmar Forster . . . . . . . . . 5

GEMEINDE WOLKERSDORF

Danke DI Anna Steindl . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

SOZIALLEISTUNGEN FÜR GEFLÜCHTETE . . . . 7

BEGEGNUNGEN

Café Intekult Susi Faber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

DEUTSCHKURSE IN WOLKERSDORF

Ankommen Monika Vögl . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

Aufsteigen Maher Alabbas . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

RADWERKSTATT

Radfahren ist himmlisch Franz Maurer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

EIN JAHR – MITEINANDER

Guts(ch)ein fürs Leben Veronika Maurer . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

Bananen und gezuckerter Schwarztee – Mein Jahr mit AsylwerberInnen Andrea Löw . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

"Fremdsein- Anderssein macht dir Angst? Warum macht es dich nicht neugierig?" Susanne Schwelle . . . . . . . . . . . . . . . . 14

Impressum: Herausgeber: Verein Flüchtlingshilfe Wolkersdorf, Hauptstraße 17, 2120 Wolkersdorf. Redaktion: Rudi Rögner, Veronika Maurer, Nathalie Aubourg. Grafik & Layout: Nathalie Aubourg @ graphics.naau.at Fotos: Wenn nicht anders vermerkt: Fotogruppe lichtwerk. Die Zeitschrift erscheint in unregel-mäßigen Abständen. Ausgabe Nr. 2, 11.2016 .

Liebe Leserin, lieber Leser!

Fünfzehn Monate Flüchtlingsnotquartier in Wolkersdorf laden zum Rückblick ein. Wie viele andere Großquartiere für Flüchtlinge wird nun auch die Halle 18 geschlossen. Die Bewohner werden auf andere Quartiere verteilt, einige können in private Wohnplätze in der Region Wolkersdorf übersiedeln.

Was waren wir damals überrascht, als der Plan erstmals spruchreif wurde: Eine Industriehalle sollte zu einem Großquartier umgebaut werden. Ein Jahr später sind wir um viele Erfahrungen reicher. Weil die Erlebnisse für uns so wichtig geworden sind, wollen wir sie mit allen am Flüchtlingsthema Interessierten teilen.

Wir möchten einen Eindruck vermitteln, was man alles im Umgang mit Geflüchteten erleben kann, um welche Themen es geht, und wo es oftmals hakt. Im Rahmen von Interviews und zweier Artikel melden sich zudem die Geflüchteten selbst zu Wort.

Viel Vergnügen und aufbauende Stunden beim Lesen wünscht das Redaktionsteam

Nathalie Aubourg, Veronika Maurer und Rudi Rögner

P.S.: Falls Sie dieses Produkt unterstützen möchten freuen wir uns über einen kleinen Druckkosten-Beitrag auf das Konto der Flüchtlingshilfe Wolkersdorf: AT73 4300 0305 2313 0000.

EDITORIAL

Inhalt

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INHALT

Intensität schafft Lebendigkeit! Beides ist das Ergebnis intensiver BegegnungenHelga Maurer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Heiraten, Familie und FreundeFrauke Ajhoum . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

ERINNERUNGEN UND WÜNSCHE

In der Halle zuhause: Interviews mit den Bewohnern

Abdolbaset Rasuli, Saef Aldeen Al Naser, Farhad Hassan . . . . . . . . . . . . . . . 18

Maher Alabbas, Raaed Hafed, Mahamad Al Gobury, Farshid Ebrahimian, Bashir Abdi Abdilahi, Ayaamle Abdillahi, Mohamad Al Gohari . . . . . . 19

Showket Sadeeq, Hani Al Ali, Mohammad Kreidi . . . 20

Qias Abderat, Ahmed Alsamarai, Alaa Trkmani, Abbas Esfandiari . . . . . . . . . . . . . . 21

Mohammad Abdullahi, Yacir Riaz, Mohammed Al Samarai . . . . . . . . . . . . 22

Nasser Hamzeh Araghi, Feridoon Salimi, Ahmed Al Samarai . . . . . . . . . . . . . 23

Najmus Saqib Saleh . . . . . . . . . . . . . 24

Momente festhalten Nathalie Aubourg . . . . . . . . . . . . . . 23

WAS ICH SAGEN MÖCHTE …

Einige Anmerkungen zu Kultur, Religion und Integration aus der Sicht eines Afghanen in Österreich Najmus Saqib Saleh . . . . . . . . . . . . . . . 24

EXKURS GESCHICHTE

Wie hat es damals funktioniert? Die Fluchtbewegung nach dem Ungarn-Aufstand 1956 . . . . . . . . . . 26

GEDANKEN

Schwarz oder Weiß Edwin Bartl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

Notfälle Martin Neid . . . . . . . . . . . . . . . . 28

Mehr zum Coverbild und zu diesen Bildern siehe Seite 23.

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Was geschah mit den Geflüchteten und für sie seit dem Sommer 2015?

Wir bringen eine Auflistung, die sicher unvollständig ist.

» Über 3.000 Unterrichtsstunden bei den Deutsch-kursen, plus Vorbereitungs- und Organisationszeit. Laufend werden 7 Kurse von den Niveaus Alpha-betisierung bis B1 (Alltags- und Berufssituationen) abgehalten. Ursprünglich waren 40 Ehrenamtliche tätig, jetzt sind es 20, insgesamt waren an die 100 Studierende in den Kursen (4x pro Woche).

» Der wöchentliche Treffpunkt Cafe Interkult wurde von bis zu 30 AsylwerberInnen und 20 Einheimi-schen zum Plaudern, Üben, Spielen und Organi-sieren genützt. Der Treffpunkt übersiedelte vom ehemaligen Obersdorfer Gemeindegasthaus in die ehemalige Schlossparkstube. Über die Zukunft muss noch entschieden werden.

» 76 Fahrräder wurden repariert und vergeben, plus 11 Kinderräder

» Benefizkonzert im Kultursaal Obersdorf, von Heike Dörfler und Alexander Blach-Marius organisiert, mit 300 BesucherInnen (einheimische und geflüchtete)

» Unzählige Begleitungen zu Behördenwegen, für Besorgungen, zu Ärzten

» Hilfen bei der Orientierung im Berufsleben und bei der Wahl der weiteren Ausbildung

» Einschulung und Beginn der Tätigkeit als Buddy

» Fußballspiel SC Großebersdorf gegen eine Auswahl der Halle 18

» Fußballtraining mit Spielern des SC Obersdorf- Pillichsdorf (football without borders)

» Angebot zur Teilnahme am Training von Sparten der Union Wolkersdorf

» Fotoprojekte

» Zwei große Spendensammel-Aktionen

» Gemeinsames Betten-Zusammenschrauben in der Halle 18

» Zwei Info-Abende im Pfarrzentrum, zu denen die Stadtgemeinde und dann die Diakonie geladen ha-ben. Es waren jeweils informative und konstruktive Diskussionen

» Viele Einladungen zu Geburtstagsfesten

» Ein Nachmittag beim Ferienspiel zum Thema Flucht

» Auftritte in der Mittelschule und im Gymnasium zum Thema Flucht

» Willkommensfest am 7.12.2015 der Halle 18 von der Diakonie und den Bewohnern veranstaltet

» Gebet der Religionen am 1.1.2016 in der Halle 18 mit dem Wolkersdorfer Diakon und dem Imam des islamischen Zentrums in Wien-Floridsdorf

» Zwei große Treffen der Plattform Flüchtlingshilfe Wolkersdorf und viele Vorstandssitzungen

» Zwei prall gefüllte und weitgehend wieder für die Flüchtlinge geleerte Spendenkonten, eines der Stadtgemeinde und eines des Vereins

» Viele Berichte in den Lokalzeitungen

Rudi Rögner

FLÜCHTLINGSHILFE WOLKERSDORF

Geflüchtete und Hilfestellungen – Rückblick in Stichworten

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Als Einrichtungsleiterin von Lares NÖ Ost konnte ich einige Monate vielen unterschiedlichen Menschen begegnen, oder sie ein Stück auf ihrem Lebensweg begleiten. Waren es unsere vorwiegend männlichen Kli-enten, unser Team, die Menschen aus der Freiwilligen-community, KollegInnen der Diakonie Flüchtlingsdienst und der Caritas , die Mitarbeiterinnen auf Gemeinde- ebene, BürgermeisterInnen, SachbearbeiterInnen vom Land NÖ und Handwerker für unsere diversen Reparaturen.

Zum Großteil war allen eines gemeinsam: die Bereit-schaft, Menschen in einer Ausnahmesituation zu unterstützen. Natürlich gibt es auch jene, die zweifeln, Ängste haben oder Misstrauen hegen; auch das gehört zu unserem Menschsein dazu, und wir finden diese Eigenschaften in jedem von uns, in jeder Kultur oder Gesellschaft.

Ich möchte das Wort Wertschätzung hier verwenden, auch wenn es Gefahr läuft überstrapaziert zu werden, denn genau das ist es, was das Miteinander leichter macht und was wir – soweit es uns möglich war - als unsere Haltung in den Vordergrund stellten. Reflexion in unserer Arbeit, Stärken und Schwächen als Teil in uns als Menschen anzuerkennen, war ein guter Ratgeber in schwierigen Situationen. Der Teamgeist wurde dadurch gestärkt, auch die Beziehung zu unseren Klienten, damit die gemeinsame Arbeit getan werden konnte.

Ein großes Dankeschön gilt jenen, die ebenso diese Hal-tung voran stellten, denn es ist nicht immer leicht, die emotionale Seite für sich zu integrieren, damit professi-onell gearbeitet werden kann!

Nun ist der Abschied für uns alle Thema, doch dieser birgt auch das Weitergehen, um Erfahrungen reicher. Hinsichtlich eines Weitergehens wurde im Sinne der Integration und Partizipation unserer Klienten seitens der Freiwilligencommunity viel getan, dafür danken wir.

Wir müssen auch von unserem Buddy-Programm Abschied nehmen, welches meine Kollegin Dagmar Forster so beschreibt:

„Im Laufe der letzten Monate haben wir in zwei Kursen (à zwei Abende) Buddys zu den Themen "Rechtliches", "Trauma und Flucht", "Interkulturelle Kommunikation", "Aufgaben eines Buddys", "Wer bin ich, was möchte ich geben, was nehmen?", "Welche Stolpersteine könnte es in der Flüchtlingsbegleitung geben?" und vieles mehr, ausgebildet. Wir konnten mehreren Männern dadurch Menschen zur Seite stellen, die sie als Buddys in ein Leben in unserer Gesellschaft begleiten. Bewohner_innen aus Wolkersdorf und Umgebung wurde somit die Gelegenheit gegeben, diese verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen und Beziehungen mit Menschen aus anderen Gesellschaftsstrukturen einzugehen.“

Die Halle 18 in Wolkersdorf war als Notunterkunft gedacht. Da wir zum jetzigen Zeitpunkt im Unterbrin-gungsbereich keine Notsituation mehr vorfinden, und es bessere Möglichkeiten (im Sinne eines qualitativ höheren Lebensstandards) der Unterbringung gibt, ent-schloss sich der Diakonie Flüchtlingsdienst die Halle 18 mit Ende des Jahres zu schließen. Der Diakonie Flücht-lingsdienst und einzelne Freiwillige in Zusammenarbeit mit der Caritas suchen nun dementsprechende neue Unterbringungsmöglichkeiten, bzw. haben diese schon gefunden.

Vielen Dank auch an die Flüchtlingshilfe in Wolkers-dorf für die Unterstützung unserer Arbeit sowie für die Unterstützung vor Ort.

Karin Spiegel, Einrichtungsleitung, und Dagmar Forster, Beraterin, Lares NÖ Ost

DIAKONIE & HALLE 18

Ankommen, Abschied und Weitergehen

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Die „Halle 18“ stand als Notquartier für Bürgerkriegs- und andere Flüchtlinge im vergangenen Jahr verstärkt im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Nun, im Spätherbst 2016, hat die Halle ihre Funktion als Not-unterkunft verloren und wird einer neuen Verwendung zugeführt. Was bleibt, ist die Erinnerung an eine Welle der Hilfsbereitschaft, die nicht nur den Asylwerbern in dieser Gemeinschaftsunterkunft zugutekam, son-dern auch den zahlreichen privat untergebrachten Flüchtlingsfamilien.

Ganz herzlich bedanken möchte ich mich beim Verein Flüchtlingshilfe Wolkersdorf, der Plattform „Stadt-gemeinde-Rotes Kreuz-Pfarren“ sowie der Diakonie Flüchtlingsdienst, die diese organisatorische und finanzielle Herausforderung gemeinsam gut gemeistert haben. Ohne die Unterstützung zahlreicher ehrenamt-licher Helferinnen und Helfer wäre dies allerdings nicht möglich gewesen. Insbesonders erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang

» Frau Maria Freudenthaller, die seit dem 1. Tag das offizielle Betreuerteam kompetent und mit viel Hausverstand vor Ort begleitet hat,

» Frau Monika Vögl, für die unermüdliche Organisati-on und Durchführung der täglichen Deutschkurse,

» den vielen ehrenamtlichen Deutschlehrerinnen und -lehrern, die zum Teil seit 1 Jahr viermal pro Woche ihre Schützlinge unentgeltlich unterrichten,

» Frau Susanne Faber für die Einführung und Betreu-ung des Café Interkult,

» Familie Maurer für die zuverlässige Instandsetzung sowie Instandhaltung der gespendeten Fahrräder,

» jenen Damen und Herren, die durch ihre Geld- und Sachspenden die Freiwilligenarbeit ermöglicht und erleichtert und durch die Abhaltung eigener Be-nefizveranstaltungen die Spendentöpfe zusätzlich gefüllt haben,

» sowie den vielen Menschen, die den Schutzsu-chenden nach wie vor bei Arzt- und Amtswegen zur Seite stehen, bei Wohnungs- und Jobsuche unterstützen oder gemeinsame Freizeitaktivitäten organisieren.

Sie alle leisten damit wichtige Schritte zur Integration sowie zur Vermittlung unserer kulturellen und gesell-schaftlichen Werte, wofür ich Ihnen aufrichtig danken möchte!

DI Anna SteindlBürgermeisterin

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Ehrenamtliche und Freiwillige!

GEMEINDE WOLKERSDORF

Danke

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BEGEGNUNGEN

Die Schließung der Halle 18 mit Ende des Jahres beendet für mich eine intensive Zeit der Auseinanderset-zung mit den Themen Krieg, Flucht, die Situation in den arabischen Ländern, mit den Erwartungen und Vorstellungen von unserem Land und mit den Reaktionen der Menschen hier. Es war aber auch ein Jahr mit neuen Freundschaften und Bezie-hungen, besonders zu den engagier-ten Menschen hier vor Ort.

Vor über einem Jahr habe ich begon-nen mit einer Gruppe von unter-schiedlichen Männern Deutsch zu lernen. Für viele waren die Kurse eine Möglichkeit persönlich wahr-genommen zu werden. Es entstand Vertrautheit und Wertschätzung und ich habe wieder die Erfahrung gemacht, dass Menschen überall auf der Welt ähnlich sind mit ihren Sorgen und Ängsten. Ich kenne ihre Lebensumstände und Familienge-schichten und bin „bildlich“(Dank der modernen Technik) mit einigen Müttern im Iran, Irak, Syrien,.. bekannt geworden.

Um eine Möglichkeit zur Begegnung „Einheimischer“ und Gästen zu ermöglichen, entstand die Idee mit dem Café Interkult. Dank einiger fleißiger Besucher und Besucherin-nen verbrachten wir nette Abende beim Spielen, Deutsch lernen und Plaudern. Ja, und wie wird es weitergehen?

Diese Frage hat mir ein Flüchtling beantwortet und gemeint, dass das Café jetzt in dem Sinne notwendig wird, da sie sehr verstreut wohnen und eine Möglichkeit sich zu treffen wichtig ist.

Also wird es weitergehen …

Susi Faber

Café IntekultSozialleistungen für Geflüchtete

Wenn sie privat wohnen:

» Erwachsene Einzelperson: 215 € Verpflegungsgeld, 150 € Mietzuschuss

» Familie: Verpflegungsgeld pro Elternteil: 215 €,

» Verpflegungsgeld pro Kind 100 €, (aber keine Familien-beihilfe), Mietzuschuss für die ganze Familie 300 €

Die Beträge sind Obergrenzen, wer z.B. weniger für die Miete zahlt, erhält weniger. Wer Ein-kommen oder Vermögen hat, erhält ebenfalls weniger oder gar nichts.

Wenn sie in einer betreuten Unterkunft wohnen, deren Kosten der Staat trägt:

» Verpflegungsgeld: 170 € (bzw. 5,50 € pro Tag)

» Taschengeld pro Monat: 40 €

Weiters sind sie krankenversi-chert. Sie erhalten 1x pro Jahr eine Bekleidungsbeihilfe von 150 € und Schüler erhalten jedes Jahr für den Schulbedarf einmalig 200 €.

GRUNDVERSORGUNG

Das erhalten Geflüchtete während des Asylverfahrens:

Das erhalten die Asylberechtigten:

Einzelperson: » 628,32 € für den Lebensun-

terhalt » 209,44 € für den Wohnbe-

darf (z. B. Wohnungsmiete)

Familien: » 192,68 € pro Kind

(+ Familienbeihilfe)

Auch diese Personen sind kran- kenversichert, die Leistung ent-spricht jener für österrei-chische Staatsbürger. Nur Men-schen ohne Vermögen können Mindestsicherung erhalten, die Ersparnisse dürfen nicht höher als 4.188 € sein. Erhält man die Mindestsicherung länger als 6 Monate und besitzt ein Haus, trägt sich das Land NÖ ins Grundbuch ein.

Subsidiär Schutzberechtigte:

Ca. 60 % der Asylwerber erhalten aber keinen positiven Asyl-Bescheid, sie werden also keine Asylberechtigten. Viele von ihnen erhalten aber einen Bescheid, dass sie subsidiär Schutzberchtigt sind. Die susi-diär Schutzberchtigten erhalten in NÖ weiterhin die Grundver-sorgung. Im Unterschied zu ihrer Zeit während des Asylver-fahrens dürfen bzw. müssen sie aber eine Arbeit annehmen.

MINDESTSICHERUNG

Quelle: Diese Zusammenfassung von Rudi Rögner stellt die gegenwärtige

Situation dar. Das Land NÖ plant aber Verschlechterungen. Weitere Infos unter

http://www.noe.gv.at/ Gesellschaft-Soziales/Sozialhilfe.html

http://www.noe.gv.at/Gesellschaft-Soziales/ Soziale-Dienste-Beratung/Fluechtlingshilfe.html

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Voller Elan gingen wir im Herbst des Vorjahres an die Arbeit. Von öffentlicher Seite wurden keine kosten-losen Deutschkurse für Asylwerber angeboten, wir wollten die Lücke schließen und unterrichten, bis der Staat diese Aufgabe übernehmen würde.

Wir, das war eine Gruppe von 40 Personen, der Großteil aus pädagogischen Berufen. Innerhalb von 14 Tagen gelang es uns, Unterrichtsräume zu finden, notdürftig Material zu beschaffen und mit dem Unter-richt zu beginnen. Von Anfang an boten wir qualitativ hochwertige Kurse an mit Teamteaching, maximal 10 Teilnehmern und 8 Wochenstunden, verteilt auf 4 Tage. Wir starteten mit 7 Kursen.

Das Unterrichten stellte sich aufgrund der fehlenden gemeinsamen Unterrichtssprache und der extremen Heterogenität der Gruppen als äußerst schwierig heraus.

Noch schwieriger war allerdings die große Fluktuation in den Gruppen . Oft waren von den 10 Teilnehmern auf der Liste nur 2 anwesend, ohne dass wir wussten, was los war. Hatten die anderen verschlafen? Hatten sie keine Lust mehr? Waren sie weggezogen oder in eine andere Einrichtung versetzt worden? Litten sie unter einer Depression? War ihnen ein gemeinnüt-ziger Job vermittelt worden? Hatten sie den Asylbe-scheid bekommen und nun einen Anspruch auf einen Deutschkurs beim AMS? Wir wussten es nicht.

Die mangelnden Kommunikationsmöglichkeiten waren irritierend und frustrierend, einige Lehrer schieden aus.

Die verbliebenen Unterrichtenden waren unentwegt auf der Suche nach Möglichkeiten, den unterschied-lichen Alters- Begabungs- und Leistungsgruppen gerecht zu werden. Die Organisation wurde gestrafft: Eine Mitstreiterin sorgte gemeinsam mit einem jungen Start-up für einen Internetauftritt. Wir führten Einstu-fungstests durch, um optimale Gruppeneinteilungen zu finden.

Trotzdem lösten sich nach kurzer Zeit mühsam erar-beitete Gruppenaufstellungen wieder auf, viele Teilneh-mer kamen nicht oder nur unregelmäßig, wir standen vor dem gleichen Problem wie am Anfang. Schließlich

nahmen wir zur Kenntnis, dass das Verhalten der Stu-denten einfach die unsichere Situation dieser Gruppe widerspiegelte und organisatorische Maßnahmen wenig ändern konnten.

Dazu kamen Zurufe von außen, die uns zusätzlich zermürbten: Wir sollten auf die Geflüchteten einwirken, nicht auf dem Gehsteig Rad zu fahren oder zusätzlich Nachhilfe für Leute organisieren, die in (bezahlten!) AMS-Kursen nicht mitkamen. Bei der Beschaffung von Arbeitsmaterial waren wir auf Spenden angewiesen, und da diese langsam zu Ende gingen, wurden unsere Ausgaben, ohnehin nur das Dringenste betreffend, zunehmend kritisch hinterfragt. Für die Schüler, die wir auf die offizielle ÖSD Prüfung vorbereiteten, brauch-ten wir aber nun einmal Schulbücher, um professio-nell arbeiten zu können. Gott sei Dank gab es immer jemanden, der einsprang, nicht zuletzt die Plattform Flüchtlingshilfe, die uns auch bei der Finanzierung der Prüfungsgebühren unterstützte.

Da wir im Sommer nicht genügend Lehrpersonal zur Verfügung hatten und es uns andererseits unverant-wortlich erschien, unsere Schüler 2 Monate sich selbst zu überlassen, starteten wir einen sehr erfolgreichen Sommerkurs mit Offenem Lernen im Cafe Intercult. Nicht nur, dass die Schüler Gelegenheit zum Weiterler-nen hatten, er wurde auch ein Ort der Begegnung und des Austausches. Einige Wolkersdorfer kamen spontan und halfen mit, auch Geflüchtete, die wir in den Kursen schon lange nicht mehr zu Gesicht bekommen hatten sowie neue Schüler tauchten auf.

Als wir im Herbst wieder mit den regulären Kursen begannen, warteten viele der Unterrichtenden schon sehnsüchtig auf die vom Land seit dem Frühjahr ver-sprochenen kostenlosen Deutschkurse für Asylweber. Die nun vom Land bezahlten Kräfte sollten die Freiwil-ligen ablösen. Unsere Gruppe war zu diesem Zeitpunkt auf 20 Lehrerinnen geschrumpft, die nun alle Hände voll zu tun hatten, den gewohnten Standard der Kurse aufrecht zu erhalten.

Nun, nach langen Versprechungen, werden die Kurse ausgeschrieben: Für Wolkersdorf ein Kurs mit 15 Teilnehmern A0 oder A1, ein weiterer für Mistelbach. Zum Vergleich: In unseren 7 Gruppen (A0-A2/B1) sind derzeit zwischen 35 und 50 Teilnehmer.

DEUTSCHKURSE IN WOLKERSDORF

Ankommen

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Aufsteigen

Niemand kann sagen, ob über-haupt jemand von unseren Schü-lern den Kursen zugeteilt wird. So haben wir uns die Verantwortung des Landes nicht vorgestellt.

Nun wird die Halle 18 geschlos-sen, der Großteil unserer Studen-ten hat sich bemüht, privat ein Quartier zu finden oder wohnt bereits privat.

Unsere Gruppe hat trotz aller Schwierigkeiten einiges erreicht. An die 100 Schüler haben unsere Kurse durchlaufen, einige haben im Sommer die offizielle A1 Prü-fung mit Auszeichnung abgelegt, Mitte Dezember treten die besten Studenten zur A2- Prüfung an.

Viele Geflüchtete haben die ers-ten Schritte in eine vollkommen neue Sprache mit uns gewagt. Darauf sind wir stolz.

Monika Vögl

DEUTSCHKURSE IN WOLKERSDORF

Ich habe nicht gedacht, dass in meinem Leben ein Tag kommt in dem ich eine so komische Sprache wie Deutsch lernen werde. Grund dafür ist der Krieg in meinem Land und dass ich nach Österreich gekommen bin.

Ich habe vor einem Jahr mit dem Deutschkurs angefangen. Die ersten drei Monate hatte ich keine Lust zum Lernen und wenn mich jemand fragte: “Wie heißt du?“ konnte ich nicht antworten.

Dann bin ich einmal nach Wien gefahren. Nach zwei Stunden war ich wie verloren mit den vielen Zügen und U-Bahnen. Ich habe viele Leute gefragt: “Wolkersdorf?“, aber niemand kannte Wolkersdorf.

Nach einer Stunde habe ich einen Mann arabisch telefonieren gehört, da habe ich mich sehr gefreut und ihn nach meinem Zug gefragt. Wieder zu Hause war ich sehr motiviert Deutsch zu lernen. Ich nahm mir vor, jeden Tag neue Wörter dazu zu lernen und das Leben wurde leichter.

Mit jeder Deutschstunde wurde es besser und inzwischen habe ich die A1 Prüfung mit Sehr gut bestanden. Heuer werde ich noch A2 machen.

Ich danke all meinen Lehrern und Lehrerinnen – Franz, Silvia, Maja, Hans, Herbert, Gabi und Monika.

Maher Alabbas (Unterstützung: Susi Faber)

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Das hat mich unser Sohn gelehrt. Es ist mehr als 30 Jahre her und ich hab noch einmal mehrere Jahre gebraucht, bis ich ihn verstanden habe.

Es war zu Allerseelen, wir sind im Novembernebel vom Friedhof nach Hause gegangen. Da hab ich ihm wohl erzählt, dass im Grab neben meinen Großeltern auch mein Vater begraben liegt. Und ich hab wohl auch erzählt, dass er jetzt im Himmel ist. Da hebt Daniel seinen Kopf und sagt: „Oh ja, ich sehe ihn, er steigt gerade auf sein Fahrrad und fährt davon.“ Ich war wohl zu langsam und konnte ihn nicht mehr davonradeln sehen. Und ich war auch zu begriffsstutzig und hab unseren Sohn zu der Zeit noch nicht verstanden.

Erst Jahre später kam mir die Erleuchtung: Daniel hatte zu der Zeit gerade Radfahren gelernt. Nach Krabbeln, Gehen und Laufen ist das geradezu ein wunderbarer Mehrwert in Richtung Mobilität und Unabhängigkeit, einfach himmlisch! Wenn ein Kind nun hört, sein Großvater ist im ‚Himmel‘, dann verbindet es damit (theo-) logisch folgerichtig die eigene gerade gemachte Erfahrung und schon steigt der Großvater im Himmel lustvoll auf sein Rad und schwupp – weg ist er. Kin-der können geniale Theologen sein, es fällt uns nur manchmal schwer, sie gleich zu verstehen. Aber das zu lernen, war mein Beruf.

Vielleicht war das mit ein Grund, dass ich im Spätsom-mer 2015 beschossen habe, allen Geflüchteten, die bei uns vorübergehend Heimat finden werden, ein Rad zur Verfügung zu stellen. Über das Überleben hinaus, sollten sie ein Stück Freiheit, Unabhängigkeit und Großzügigkeit als Willkommensgruß erfahren. Bleiben wird:

PERSÖNLICHE LERNGESCHICHTE UND SCHRITTE ZUR INTEGRATION

» 1. Schritt: Gut gemeint, erweist sich nicht immer als gut und richtig. So auch hier. Mit Unterstützung der Gemeinde, von

Freunden und Bekannten konnte ich über 130 Fahr-räder einsammeln. Kaum waren die ersten Asylwer-ber in der Halle 18 angekommen, haben wir ihnen schon die ersten Räder übergeben. Wir konnten sie gar nicht so schnell liefern, wie sie wieder kaputt bzw. verschwunden waren. So ging’s nicht!

» 2. Schritt: Jede/Jeder ist für ihr/sein Rad verant-wortlich. Wer in Zukunft ein Rad wollte, bekam eines, dazu ein Schloss und jedes Fahrrad eine Nummer. Jede und jeder wurde namentlich registriert und war somit einem bestimmten Rad zugeordnet, für das sie dann auch verantwortlich waren. Sie verschwan-den nicht mehr so häufig. Sie wurden aber noch teilweise in einer Art demoliert, wo Reparaturarbeit und –kosten zu übernehmen, ich nicht mehr bereit war. Ein Obersdorfer erzählte mir dazu sinngemäß: Wenn du mir mein demoliertes Rad immer kosten-frei reparierst oder ein Ersatzrad gibst, ‚scheiß i mi a nix‘!

» 3. Schritt: Was nichts kostet, ist nichts wert. Seit einigen Monaten gibt es ein Kautionssystem. Wer jetzt ein Rad will, zahlt 20.- € Kaution mit einer entsprechenden Bestätigung. Natürlicher Ver-schleiß und unverschuldete Schäden werden weiter kostenfrei repariert. Bei unsachgemäßer Handha-bung und mutwilliger Beschädigung wird die Kau-tion schlagend. Ansonsten wird sie rückerstattet, wenn das Rad am Ende des Aufenthaltes wieder übergeben wird. Seither gehen die Asylsuchenden rücksichtsvoller und verantwortungsbewusster mit den Rädern um. Meine Reparaturarbeiten sind deutlich reduziert und entspannter – wertvolle gemeinsame Schritte zur Integration.

NEUE BEZIEHUNGEN VOR ORT

Über gemeinsame Projekte ergeben sich oft neue Beziehungen aus denen sich auch mehr entwickeln

RADWERKSTATT

Radfahren ist himmlisch

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kann. So auch hier. Im vergangenen Jahr habe ich nicht nur über die Fahrradwerkstatt gut ein dutzend Men-schen neu kennen und schätzen gelernt, die ich vorher nur vom Sehen oder überhaupt nicht gekannt habe. Für mich gehört das zu den bereicherndsten Erfahrungen des vergangenen Jahres.

Im Bereich der Arbeit mit den Fahrrädern betrifft das Christian und vor allem Alfred, dessen fachliche Exper-tise mich sehr entlastet und wo darüber hinaus so etwas wie ein freundschaftliches Verhältnis gewachsen ist. Und das ist nur ein Beispiel von vielen, für die ich dankbar bin.

BEZIEHUNGEN ZU UNSEREN GÄSTEN

Natürlich sind über Projekte und gemeinsames Arbei-ten auch Beziehungen zu Menschen gewachsen, die bei uns Zuflucht gefunden haben. Auch gemeinsames Rad-Reparieren schweißt zusammen, vor allem, wenn es sich um Jahrgänge und Modelle handelt, wo ein permanenter Reparaturbedarf angesagt ist. Beson-ders groß ist die Freude, wenn ich dann gelegentlich ein neueres oder besseres Modell als Ersatz anbieten kann.

Nicht immer, aber doch ansatzhaft wird stimmen: Je mehr mir die Menschen ans Herz gewachsen sind, desto größer meine Bereitschaft zu einem Radtausch. Und – sie wissen das und nutzen es weidlich aus. Ist doch schön, wenn es so menschlich zugeht, und es tut gut. Ein ‚Lehrling‘ aus dem Irak hat mit mir dreißig dokumentierte Stunden Reparieren gelernt und ver-dient sich mit seinen Kenntnissen inzwischen gelegent-lich ein kleines Taschengeld.

BEITRAG ZU ÖKOLOGIE UND NAHVERSORGUNG

Eine kleine Geschichte mag das verdeutlichen: Als die Fa. Ludwig Hrebenda im Urlaub war, sind mir ‚die Fleck‘ zum Patschen picken ausgegangen. Das nächste Geschäft fand ich bei Korneuburg. Ein Großhänd-ler. Dort kann man vielleicht billiger ein Rad kaufen.

Ein Fleck-Set bekommst du dort nicht. Die Auskunft dazu: Wir picken keine Schläuche, wir tauschen alle gegen neue. Meine verblüffte Frage nach schonen-dem Umgang mit Ressourcen wurde nicht wirklich verstanden.

Da lob ich mir den Ludwig Hrebenda in Wolkersdorf. Ich war oft und gerne dort im vergangenen Jahr. Immer wurde ich freundlich empfangen und fand für alles Verständnis und Hilfe, auch bei Spezialwerkzeug und Know-how, über das ich nicht verfüge. Und selbst-verständlich hat er ein Fleck-Set immer lagernd, und auch sonst alles, was der Bastler braucht und immer wieder bekam ich auch was geschenkt. Ich bin immer gern hingegangen und nicht auszudenken, sollte es so ein Fachgeschäft, in mit dem Fahrrad gut erreichbarer Nähe, einmal nicht mehr geben.

130 Räder wurden der Weiterverwendung zugeführt. Einige dienten als Ersatzteillager. Alles Brauchbare wurde und wird wiederverwertet, direkt recycelt, nachhaltig und ökologisch sinnvoll. Schön, dass ich in meinem Alter eine handwerkliche Berufung ausleben darf, für die ich mich beruflich nicht entschieden hatte.

‚Ausleben‘ bekommt so in meiner letzten Lebensphase einen ganz neuen und wunderbaren Klang. Und so schließt sich für mich der Bogen bis zum Himmel, den mir unser kleiner Sohn vor mehr als 30 Jahren eröffnet hat.

Es war ein schönes, reiches, erfülltes Jahr, auf das ich voll Dankbarkeit zurückblicke. Die Halle 18 wird mir fehlen.

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EIN JAHR – MITEINANDER

Wann waren Sie das letzte Mal verliebt? Ich meine, so richtig, bis über beide Ohren? Überlegen Sie kurz: Was haben Sie gefühlt? Wie haben Sie empfunden? Wie haben Sie sich selbst erlebt?

Warum ich Sie das frage?

Ich habe eine These. Sie lautet: Wir leben dort auf, wo es uns leicht fällt, ein guter Mensch zu sein.

Es ist doch so: Wenn wir verliebt sind, wollen wir ganz automatisch das Beste für den/die Andere_n. Es gibt einen Punkt, da hören wir auf zu berechnen, da zählt das eigene Wohl nicht länger mehr als das der/des Anderen, da erlischt unser Geiz. Dann geben wir gerne, aus einem inneren Antrieb heraus. Dann sind wir gut, ohne dass uns das irgendeine Anstrengung abverlangt. Ich glaube, dieses Gutsein macht uns zu Menschen. Und es tut uns gut. Es lässt uns (auf-)leben.

Wenn ich mit Flüchtenden zusammen bin, spüre ich diese Art des Auflebens. Ich erlebe Momente, in denen ich mich plötzlich selbst nicht mehr so wichtig nehme. Ich erlebe, dass ich spielend leicht geben kann, dass ich für andere da sein kann, dass ich großzügig bin und mich verschenke. Es bedarf mir keine Anstrengung. Es passiert wie von selbst. Das macht mich glücklich. Es kostet mich keine Energie. Im Gegenteil. Es belebt mich und lässt mich aufleben. Diese Erfahrung hat mich zu meiner These geführt, die ich hier gerne wiederhole: Wir leben dort auf, wo es uns leicht fällt, ein guter Mensch zu sein.

Ich weiß, was Flüchtende betrifft, fällt uns das nicht allen leicht. Wir müssten uns auch erst darüber einigen, was es überhaupt heißt, ein guter Mensch zu sein. Aber insgeheim – davon gehe ich aus – wissen wir es alle. Und sind es trotzdem nicht immer. Es fällt uns eben nicht immer leicht. Und es liegt mir fern, hier irgendwelche Urteile zu sprechen. Denn – soll

ich Ihnen ein Geheimnis verraten? ich tue es einfach – auch ich bin kein Engel. Es gibt viele Situationen, da schaffe ich es überhaupt nicht, ein guter Mensch zu sein. Und es gibt Situationen, da versuche ich es zwar, aber es fällt mir ganz und gar nicht leicht. Wenn ich in solchen Situationen trotzdem gebe, dann aus dem Gefühl heraus, es tun zu sollen. Und nicht, es zu wollen. Und das ist etwas ganz anderes.

Wo fällt es uns leicht, ein guter Mensch zu sein? Darum geht es mir. Das macht uns lebendig.

Natürlich freue ich mich über jede_n, der/die den Flüchtenden als guter Mensch begegnet. Aber ich kenne persönliche Grenzen zu gut, um zu wissen, dass es nicht immer ganz einfach möglich ist, sie zu überwinden.

Worauf ich einzig hinaus will ist, dass ich glaube, dass es uns gut tut, gute Menschen zu sein. Und dass es uns hilft, uns Bereiche zu suchen, in denen es uns leicht fällt. Wann waren Sie das letzte Mal verliebt?

Glauben Sie mir, es macht süchtig, gut zu sein. Wer einmal diese Lebendigkeit erlebt hat, möchte sie nicht mehr missen. Das führt dazu, dass sich die Bereiche, in denen das Gutsein leichtfällt, ausdehnen. Denn:

„Hätten die Nüchternen einmal gekostet, alles verließen sie, und setzten sich zu uns an den Tisch der Sehn-

sucht, der nie leer wird." (Novalis)

Fangen Sie also an, wo es leicht geht. Bei ihrer/ihrem Partner_in, beim Haustier, beim Kuchen backen, beim Blumen verschenken, in der Sonne. Und genießen Sie sich als Mensch, der gutsein kann. Und ich weiß, das können wir alle. Und das Gutsein wird sich ausbreiten und zum Gutschein werden, der Ihnen geschenkt ist. Für ein Leben in Fülle.

Veronika Maurer

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Bananen – die waren der Beginn. Den Kopf voller Bilder von am Budapester Hauptbahnhof gestran-deten Familien, die sich zu Fuß auf den Weg in den verheißungsvollen Westen machen, dazu die in den sozialen Medien geschilderten Zu- und Umstände im hoffnungslos überfüllten Erstaufnahmezentrum Trais-kirchen – so machte ich mich im September 2015 auf den Weg in die Halle 18, um einen Vitaminschub als Willkommensgruß zu spenden. Bananen sind wertvoll und begehrt – das wusste ich schließlich von den Jugo-slawien-Urlauben meiner Kindheit.

Ein Jahr später trinke ich meinen Schwarztee mit Zucker (!) und würde mittlerweile an maßlosem Über-gewicht leiden, hätte ich die zahlreichen Essensein-ladungen der kurdischen, syrischen und gambischen Familien stets angenommen. Und, sollte meine Beziehung jemals in die Brüche gehen, habe ich samt Kind Aussicht auf Asyl: bei der Flüchtlingsfamilie in Wolkersdorf.

Bis August 2015 waren die Krisen dieser Welt ange-nehm weit weg. Vor allem ließen sie sich mit dem Aus-schaltknopf des TV-Gerätes herrlich beiseiteschieben: Dürre- und Wetterkatastrophen, Bürger- und Glau-benskriege. OFF. Und weiter im herrlich bequemen österreichischen Alltag.

Ich fürchte, mit dieser Bequemlichkeit ist es nun vor-bei. Wir alle sind gefordert, uns dieser unangenehmen Wahrheit zu stellen. Die Frage ist nur, wie wir damit umgehen und wie wir darauf reagieren. Die Waffen zücken? Zäune bauen? Oder die Grundübel an der Wur-zel packen?

Da ich ein lösungsorientierter Mensch bin, würde ich am liebsten die von Stammeshäuptlingen verkauften afrikanischen Wasserquellen von den Zäunen west-europäischer Großindustrieller befreien. Würde gerne den Ausverkauf afrikanischer Rohstoffe stoppen, um dem schwarzen Kontinent eine Chance zu geben, sich selbst zu versorgen. Würde gerne dem Islam einen Schnellkursus in Aufklärung verordnen. Liste beliebig fortsetzbar.

Dann würden diese Menschen vielleicht auch gar nicht mehr „zu uns“ kommen wollen, sondern viel lieber in ihrer ursprünglichen Heimat bleiben???

Andrea Löw

Bananen und gezuckerter Schwarztee – Mein Jahr mit AsylwerberInnen

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EIN JAHR – MITEINANDER

Ich plane nicht gerne meine Zukunft. Zukunft passiert einfach. So war es auch, als sich letzten Herbst mein Leben von einem Tag auf den anderen total verändert hat. Ich war immer schon ein multikultureller Mensch. Ich denke, dass bunte Bilder mit vermischten Farben die lebendigsten sind. So ist das für mich auch mit Menschen.

Als 2015 die große Flüchtlingswelle begann, saß ich daheim in Wolkersdorf vor dem Fernseher und ver-folgte angespannt die Ankunft der Schutzsuchenden in Österreich. Doch als Zuseher kann man gut die Dis-tanz wahren und nach Abschalten des Gerätes wieder ganz normal zum eigenen Alltag übergehen.

Stopp, nicht ganz.

Dieses Mal war es anders, denn das was da passierte, passierte ja nicht irgendwo, sondern eigentlich direkt vor unserer Haustür. Es ließ mir keine Ruhe. Irgend-etwas war da im Gange, und ich wollte wissen, was. Irgendjemands Zukunft verlief da anders, als geplant, und ich wollte wissen, wer da kam. Also, rein ins Auto - auf nach Nickelsdorf an die Grenze.

Was ich dort erlebt habe, werde ich niemals verges-sen. Noch nie habe ich in meiner Heimat so viel Leid auf ein Mal gesehen.... 100te Menschen auf den Straßen, Männer, Frauen und Kinder. Sie gingen müde Richtung Wien oder saßen erschöpft in den Wiesen.

Babies, die auf nackter Erde gewickelt wurden, wenn die Mütter überhaupt noch Windeln dabei hatten. Starke, große und nun ganz schwache Männer gestützt von Freunden und Familie nachdem sie in Ungarn und Mazedonien misshandelt wurden. Junge Frauen die so dankbar für einen Pullover zum Wech-seln waren. Es hat mich tief berührt und erschüttert.

Dieser erste Tag in Nickelsdorf hat mich geprägt und mich in meiner Einstellung bestärkt, diesen Neuan-kömmlingen mit Kraft und Tat zu helfen.

Als alleinerziehende Mutter war das aber nicht immer ganz einfach zu lösen. Ich hatte vor allem ein zeitliches Problem und konnte nicht 2-3 Mal pro Woche nach Nickelsdorf fahren.

Dann ergab es sich, dass in meiner Gemeinde ein Flüchtlingsquartier eröffnet wurde. 50 Männer hieß es, würden nach und nach zu uns ziehen. 50 Männer? In der ersten Sekunde überlegte ich, was das zu bedeu-ten hätte, in der nächsten saß ich im Auto Richtung Halle 18.

Ich werde auch diesen Moment niemals vergessen.

Als ich aus dem Auto stieg, waren einige der Bewoh-ner vor dem neuen Heim. Es war eine ganz natürliche erste Begegnung und Suzan (Susanne) wurde herzlich willkommen geheißen. Ich ging auf die Burschen zu, stellte mich vor - schon saß ich auf einer der Bänke vor dem Gebäude, war damit beschäftigt mir Namen zu merken, 10 Gläser Tee zu trinken und neue Menschen kennen zu lernen.

So ist es übrigens immer geblieben, bei jedem meiner zahlreichen Besuche in der Halle 18 wurde ich freund-schaftlich empfangen und mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt.

Heute bin ich wirklich sehr froh diesen Schritt getan zu haben.

Ich habe tolle Menschen getroffen ( in der Halle und um die Halle), viele neue Erfahrungen gemacht ( mich das 1. Mal wirklich mit der österreichischen Bürokratie herum geschlagen), in anstrengenden Zeiten nie auf-gegeben (und es gab auch wirklich schwere Tage), viel über andere Länder und Kulturen gelernt, mitgehofft ( bei jeder Nachricht von daheim), mitgefiebert (vor jeder Entscheidung), mitgebetet( für jeden Bescheid), neue Freunde gefunden, viiiiiel gelacht und noch mehr gelernt, auch über mich selbst.

Shukran, thank you, danke, meine Freunde! Sedia, Younes, Ibrahim, Gurian, Mohammed, Firaz, Maher, Hussam, Hussein, Fahrhad, Showkat, Farshid, Basset Haidar, Ahmad, Kenneth, Anthony, Idris, Bashir, Yassin, Alaa, Hany,Yaser, Abbas und viele, viele andere, ihr habt mein Leben bereichert und ich wünsche euch auf eurem Weg nur das Beste! Yalla yalla!

Susanne Schwelle

"Fremdsein- Anderssein macht dir Angst? Warum macht es dich nicht neugierig?" (Ulrike Folkerts)

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EIN JAHR – MITEINANDER

Mit 60 gehen Frauen in Österreich in den regulären Ruhestand. Ich wollte mich nicht vollkommen aus dem Berufsleben zurückziehen. Die Herausforderungen, die sich dann aber im Sommer 2015 völlig überraschend stellten, waren außergewöhnlich, ein Stück weit auch überwältigend. Mehr als hundert Menschen unter-schiedlicher Herkunft sind nach und nach angekom-men hier in Wolkersdorf. Auf der Flucht vor Krieg und Notstand. Der Ruhestand wurde für mich zum Unru-hestand. Eine Unruhe die aufweckt, die Leidenschaft-lichkeit weckt, die Ressourcen aktiviert, die mich im Innersten getroffen hat.

Was mich im vergangenen Jahr am meisten berührt und damit auch verändert hat, sind intensive Begeg-nungen. Begegnungen mit Menschen unterschiedlicher Herkunft, „zufällig“ gelandet hier in Wolkersdorf. Sie haben eine Intensität und Lebendigkeit in mein Leben gebracht, die ich nicht (mehr) für möglich gehalten hätte und für die ich sehr dankbar bin. Vieles durfte ich lernen in dieser Zeit, z. B.: Wie kann ich anderen begegnen, wenn ich mich sprachlich nicht verständi-gen kann? Wie kann ich Deutsch als Zweitsprache für Anfänger unterrichten? Mein Englisch wurde aufge-frischt. Vieles, was ich kann, wurde gebraucht: Klarheit schaffen, Struktur geben, Vernetzung ermöglichen, mit Ausdauer und Geduld dranbleiben.

Und ja, es gab auch Konflikte, Tiefzeiten, Durststre-cken. Durchgesetzt hat sich trotzdem die Erfahrung,

dass Respekt, Wertschätzung und das unermüdliche Ringen um gegenseitiges Verstehen ALLE Menschen im Innersten erreicht und Beziehung ermöglicht.

Die Begegnungen waren und sind vielfältig – mit all jenen Unermüdlichen, die (immer noch) ihre Energie und Zeit einbringen, die Anlaufstelle sein wollen in schwierigen Zeiten für die großen und kleinen Prob-leme, die das Zusammenleben so mit sich bringen, um den Flüchtenden Rückhalt und Unterstützung zu geben. Viele habe ich nur dem Namen nach gekannt, heute sind sie mir nahe.

Mit hauptamtlichen MitarbeiterInnen der Diakonie, der Caritas, der Stadtgemeinde, mit MitarbeiterInnen in Bezirkshauptmannschaft und AMS, mit Verantwort-lichen in der NÖ Landesregierung, mit Ärzten und Ärztinnen, mit Rechtsanwälten.

Auch unser Beziehungs- und Familienleben hat es manchmal ganz schön durchgerüttelt. Gilt es doch immer wieder eine gute Balance zu finden zwischen Zeit für andere, Zeit für die Partnerschaft und Zeit für sich selbst.

Gemeinsam werden wir weitergehen. Intensität und Lebendigkeit werden bleiben!

Helga Maurer

Intensität schafft Lebendigkeit! Beides ist das Ergebnis intensiver Begegnungen.

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An diesem wolkenverhangenen ersten Novembertag sind Younes und ich ein Jahr zusammen. Es war ein intensives und schwieriges Jahr voller Emotionen – euphorische, weniger bequeme. Es war für bisherige soziale Aktivitäten keine Energie da. Younes zu „ver-walten“ war ein Nebenjob, der mich nach Feierabend viel Kraft und Zeit kostete.

Wir haben uns in der Halle 18 kennen gelernt, aus Freundschaft wurde schließlich Liebe. Für mich hätte es außerdem moralisch nicht gepasst, mit meinem Partner den Alltag zu teilen und mir vielleicht die Entscheidung unseres Zusammenlebens von den Behörden nehmen zu lassen. Younes hat nach 8 Jahren Heimatlosigkeit endlich einen Hafen, ihm ging es auch um unsere Ehre – in Marokko können Mann und Frau nicht einfach so zusammen leben. Als Ehepaar treten wir rechtlich ganz anders auf, das hat durchaus soziale Vorteile.

Deshalb haben wir am 18. März 2016 geheiratet. Es war eine bunte Hochzeit im Vogt-Hof mit über 90 Freunden, Bekannten und Bewohnern der Halle 18, mit Tanz und selbst gebackenem Brot in Marias Lehmofen. Younes‘ Familiennamen anzunehmen bedeutete für mich auch eine politische Stellungnahme. Wir haben unsere Entscheidung keinen Tag bereut, sind sehr glücklich miteinander. Younes ist ein verantwortungs-voller Mann, der konsequent und verbissen, auch ungeduldig seine Ziele anstrebt. Wir leben einen köst-lichen Humor, der uns oft schon aus schwierigen Situ-ationen heraus katapultiert hat. Manches ist – wenn es gelingt, eine andere Perspektive einzunehmen– ja auch zum Schreien komisch:

Die Schwierigkeiten die uns die Behörden gemacht haben, waren zunächst unendlich: Eine Flut von Papieren, unkooperativem Verhalten, endlosen Emails, Briefen, Erklärungen, Nachfragen, Warte-zeiten, „Vergessen“... Es begann damit, dass Younes

als Asylsuchender nicht im Computersystem erfasst war und deshalb zunächst keine Zahlungen vom Land bekam – es folgten Schwierigkeiten mit meinen Vermietern, dann das monatelange Hin und Her um unsere Heiratspapiere, mühsame Verhandlungen mit dem AMS; Besuche, Nachfragen über uns und die rou-tinemäßige Vernehmung der WoDo-Fremdenpolizei als „Beschuldigte“ einer Scheinehe. Teilweise mochte ich den Briefkasten nicht öffnen, weil dort ja schon wieder etwas Beunruhigendes auf uns hätte warten können. Ich kann mich gut erinnern, wie wir beide eines Tages auf dem Sofa saßen und uns beide den Kopf hielten… - aber wir haben es durchgestanden. Younes hat ein Jahr Sprachkurse hinter sich gebracht, befindet sich auf Deutsch-Niveau B1 und spricht gern, wird eine Lehrabschlussprüfung als Elektriker absolvieren, die sein marokkanisches Diplom dem österreichischen gleich stellt, ihm außerdem die nötige technische Fachsprache vermittelt.

Womit wir ständig umgehen müssen aber immer besser lernen umzugehen, ist Feindseligkeit oder Anstarren– denn anscheinend brechen wir zweierlei gesellschaftliche „Tabus“ – ich bin 20 Jahre älter als Younes und er ist (ehem.) Flüchtling. Seine dunklere Hautfarbe ist mir erst durch die Reaktion der Leute aufgefallen… Weitere Taten gegen uns folgten: man riss die Blumen von meinem Rad, Younes‘ Reifen hat-ten nicht nur einmal einen Patschen. Teilweise haben wir uns gewehrt, teilweise durchgeatmet - mittlerweile hat dies alles nachgelassen – in Wolkersdorf hat man sich längst gewöhnt, uns „Außerirdische“ zu sehen. - Richtung Wien wird eher selten freundlich geschaut – wir können die Gedanken der Leute förmlich lesen: Warum ist DER mit IHR zusammen? Haben die ein Verhältnis und warum wohl? DER will eh nur Asyl und ihr Geld… - Marokko? Bestimmt ein Wirtschaftsflücht-ling! - von anderen irrlichternden Geistesblitzen ganz zu schweigen (Am Bahnhof WoDo musste ich sogar einmal hören: „Ein schönes Spielzeug haben Sie da!“).

EIN JAHR – MITEINANDER

Heiraten, Familie und Freunde

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Dass wir Eheleute sind, vermuten die Wenigsten. - Wir jedenfalls haben ein gutes Übungsfeld für mehr Gelassenheit. Im Idealfall lächeln wir die Leute an und denken nicht weiter darüber nach – sie beobachten uns, wir beobachten sie. Punkt. Es wäre schön, wenn wir einfach nur Freude schenken könnten - über eine geglückte Beziehung, eine gelungene Integration, unse-ren persönlichen Glücksfall.

Unsere Verbindung hat Freundschaften gekostet - zu jenen, die hinter meinem Rücken hergezogen sind, dass Younes nur Geld, Papiere… wolle, habe ich den Kontakt stark eingeschränkt. Andere Verbindungen haben sich gefestigt – zu unseren Trauzeugen, zu Leu-ten rund um die „Flüchtlingshilfe“, auf Marias Gemein-schaftsfeld, usw. Meine Eltern waren etwas überrascht, als ich ihnen Dezember 2016 bei einem Besuch in Frankfurt eröffnete, dass ich mit Younes zusammen lebe und von seiner Vorgeschichte erzählte, das kam plötzlich - sie haben Younes aber von Anfang an akzep-tiert und ihn mittlerweile sehr lieb gewonnen. Als wir meine Eltern das erste Mal gemeinsam sahen, sagte mein Vater: „Komm her, mein Sohn!“ – und umarmte ihn.

Am 17. Oktober war ich für 10 Tage in Casablanca, um Younes‘ Familie kennenzulernen. (Younes besuchte während meiner Reise allein meine Eltern in Frankfurt, denn schließlich braucht jede/r einen „Satz“ Eltern). - Ich wurde aufgenommen wie eine Tochter – Younes‘ aufgeregte drei Brüder holten mich am Flughafen ab, sämtliche Omas, Tanten und Nachbarinnen wollten besucht werden, ich ging mit meiner kleinen Schwie-germama Hand in Hand durch die Straßen. Es war eine aufwühlende und sehr emotionale Zeit voller Eindrücke der anderen Kultur, den neuen Familienmitgliedern, die ihren Sohn seit acht Jahren nicht gesehen haben und nun endlich jemanden herzen konnten, der mit ihm Tag für Tag zusammen lebt. – Ich wollte wissen, wie mein Mann aufwuchs, wo er zur Schule ging, was

er gegessen, gesehen, gerochen hatte bis er, nur 26 Jahre alt, das Land verlassen musste. Wäre Younes in Marokko geblieben, würde er vermutlich nicht mehr leben. Mein Besuch gab u.a. auch den Impuls, in dieser Richtung wieder einmal rechtliche Schritte zu setzen. Bald soll Kontakt zu der Familie aufgenommen werden, welche ihm nach dem Leben trachtete.

Viele denken, Younes bekäme dasselbe Geld wie seine Freunde mit positivem Asylbescheid. Bei uns ist das nicht so. Es gibt keinerlei Zuschüsse für Younes, null. Durch die Heirat mit einer Deutschen in Österreich wurde er automatisch zu einem EU-Familienangehöri-gen. Ich bin ganz und gar für ihn zuständig, zum Glück hat der Arbeitswütige in Wolkersdorf eine geringfügige Anstellung finden können. – Da wir eine sehr hohe Miete haben, die fast die Hälfte meines Einkommens auffrisst, bleibt am Monatsende nichts. Meine Rückla-gen sind langsam zusammengeschmolzen: 2 x Jahres-karte, Kleidung, Reisen, Gebühren, gesundheitliche Maßnahmen, Führerschein … – Wir hoffen, dass wir in nächster Zeit eine günstige Wohnung rund um Wol-kersdorf finden können, der dauernde finanzielle Druck nervt uns. Das soziale Umfeld möchten wir nicht verlie-ren, es ist uns etwas Kostbares, mit Menschen zu sein, die uns und unsere spezielle Situation kennen, uns so nehmen, wie wir sind, und in Aktivitäten einbinden.

Für Younes ist es nicht leicht, finanziell von mir abhän-gig zu sein. Beide warten wir auf ein Ende der Durst-strecke, wir sehen schon Licht am Horizont, es geht in den Endspurt. Und wir leben ja gut – und sind vor allem dankbar für unsere großartige Beziehung, die ohne die Flüchtlingshilfe Wolkersdorf nicht zustande gekommen wäre.

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In der Halle 18 zu leben hieß, im Ungewissen zu leben. Niemand der Bewohner wusste, was kommt. Warten war angesagt, hoffen. Sie warteten auf eine Antwort auf die Frage, ob sie in Österreich bleiben dürfen und hofften auf ein Ja. Ein Ja bedeutete, die Halle zu verlassen, ein Eigenheim zu suchen, neu zu beginnen. Die Halle war nur die Zwischenstation. Niemand hat sich ausgesucht, dort zu leben. Es gab viele Gründe, sie gerne zu verlassen – es war eng, es war laut, es gab reichlich Stoff für Kon-flikte. Und doch bot sie auch Schutz, mensch-liche Wärme, Geborgenheit, ein Zuhause. Die Bewohner haben sich mit ihrer Halle arrangiert. Sie haben sie schätzen und lieben gelernt. So sehr, dass der Abschied, nach dem sie sich oft sehnten, am Ende schmerzt.

Es gibt viele Erinnerungen und da der Abschied von der Halle nicht das Ende der Geschichte der Geflüchteten in Wolkersdorf ist, sind auch nicht alle Wünsche zu Ende erfüllt. Also haben wir das Schließen der Halle 18 zum Anlass genommen, um die Geflüchte-ten in Form von Interviews nach ihren Erin-nerungen und Wünschen zu fragen. Einige Interviews haben wir auf Deutsch geführt, andere auf Englisch, manche mit Dolmetscher in der Muttersprache der Befragten. Was Sie im Folgenden lesen, sind Antworten auf zwei Fragen, manchmal leicht gekürzt und – wenn nötig – ins Deutsche übersetzt:

1. Woran erinnerst du dich (Eindrücke, Erleb-nisse aus der Halle 18)?

2. Was wünscht du dir (für dich, für alle Flüchtlinge)?

Redaktion: Veronika Maurer und Nathalie Aubourg

Abdolbaset Rasuli (AFGHANISTAN)

1. Ein Erlebnis aus meiner Zeit in der Halle 18 habe ich in besonders guter Erinnerung behalten: Raaed, Sultan, Yahya, Feridoon und ich haben einen Ausflug mit Susi und Evelin gemacht. Wir sind zum Buschberg gefahren. Danach waren wir bei Evelin schwimmen. Wir hatten viel Spaß und haben viel gelacht.

2. Ich wünsche mir, dass alle einen positiven Bescheid bekommen, weil das Leben in einer Halle sehr schwierig ist. Es fehlt eine Zwischendecke. Dadurch ist es sehr laut. Und ich wünsche allen Menschen in Wolkersdorf, die Flüchtlingen helfen, das Allerbeste.

ERINNERUNGEN UND WÜNSCHE

In der Halle zuhause

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Saef Aldeen Al Naser (IRAK)

1. Bevor ich nach Wien gekommen bin, war ich ein Jahr in der Steiermark. Dort war es schwer, weil ich den steirischen Dialekt nicht verstanden habe. Hier ist es leichter. Die Leute sind sehr freundlich, das macht mich sehr glücklich. Ich lerne viel im Deutschkurs, bin jetzt im A2-Kurs bei Monika. Damit bin ich sehr zufrieden, weil ich jetzt schon in meinem Leben sehr viel gelernt habe. Ich habe einen Platz gefunden wo Leute helfen, weg vom Krieg im Irak. Es ist schön hier, friedlich.

2. Ich habe Business and Administration im Irak studiert. Das möchte ich hier in Wien oder Graz fertig machen. Dafür brauche ich aber B2. Ich wünsche mir, dass Frieden im Irak zurückkehrt. Wenn ich einen positiven Bescheid habe, würde ich gerne arbeiten und nebenbei fertig studieren.

Farhad Hassan (IRAK)

1. Ich hatte viel Spaß in der Halle 18. Immer. Ich habe ihre guten und schlechten Seiten kennengelernt. Aber ich habe auch in schlimmen Situationen viel gelernt. Die meiste Zeit, die ich in der Halle verbrachte, war ich glücklich. Wenn ich ärgerlich war, ging ich in den Park oder ins Café und konnte dort mit jemanden über meine Situation sprechen. Ich bin glücklich, weil es viele Menschen in Wolkersdorf gibt, die Flüchtlingen helfen – Veronika, Helga, Franz, Rudi, Susi, Susi, Evelin, Evelin, Sophie, Monika, Maria, Geri und Harald. Wenn ich jemanden vergessen habe, tut es mir leid. Alle waren gut. Wir waren glücklich, weil alle uns geholfen haben. Das ist das Schöne in Österreich.

2. Auch wenn ich einen positiven Bescheid bekomme, möchte ich immer in Wolkersdorf bleiben, eine Arbeit und eine Wohnung suchen und ein ganz normales Leben leben, wie die Wolkersdorfer_innen auch. Wäre zuhause alles gut gewesen, wäre ich nicht weggegan-gen. Das ist bei allen Flüchtlingen so. Sie brauchen alle Hilfe, und ich wünsche ihnen allen das Beste. Allen, die uns geholfen haben, möchte ich in Zukunft auch helfen.

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Farshid Ebrahimian(IRAN)

» 1. Was ich an der Halle 18 gut finde ist, dass ich viel über ande-re Länder, Kulturen und Leute gelernt habe. Ich kenne jetzt die Sprachen, die Musik und das Essen aus Afrika, dem Irak, Afg-hanistan und natürlich auch aus Österreich. Trotzdem war es nicht immer leicht. Wir hatten auch viele Probleme. Doch das Positive überwiegt. Denn als zum Beispiel die Klimaanlage ka-putt war, hat Geri, der Eigentümer der Halle, von seinem Geld eine Heizung gekauft und uns diese zur Verfügung gestellt.

» 2. Ich bin jetzt 24 Jahre alt, und ich würde einfach gerne hier in Österreich ein gutes Leben führen. Ich möchte studieren und hätte gerne eine gute Arbeit, zum Beispiel im technischen Bereich. Auf dem Wifi gibt es auch einen Kurs für Touristenfüh-rer in Englisch. Ich habe im Iran als Touristenführer gearbeitet. Vielleicht wäre das auch hier etwas für mich.

Mahamad Al Gobury (IRAK)

1. Die Halle 18 ist sehr gut. Es gibt viele freundliche Menschen und auch die Wolkersdorfer_innen sind sehr freundlich. Ich fahre oft in den Deutschkurs. Das ist gut. Meine Deutschlehrerinnen sind sehr freundlich.

2. Ich wünsche mir ein Interview und dass ich in Österreich bleiben kann. Außerdem möchte ich ein Haus in Wolkersdorf finden, denn Wolkersdorf ist ein schöner Platz zum Wohnen.

Mohamad Al Gohari (IRAK)

» 1. Ich finde alle Menschen in Wolkersdorf und der Halle 18 nett. Besonders schön war es, mit Freunden in Wolkersdorf zu spazieren, zu schwimmen und zu reisen (zum Beispiel nach St. Pölten). Deutsch habe ich mehr von meinen Freunden als im Deutsch-kurs gelernt. So macht es mir auch mehr Spaß. Ich gehe oft auf Partys. Drei meiner Freunde spielen in einer Musikband. Immer, wenn sie auftreten, komme ich.

» 2. Ich wünsche mir, noch besser Deutsch zu lernen und hier in Österreich zu arbeiten. Vielleicht als Maler. Ich war auch Maler im Irak. Allen Flüchtlingen in Österreich wünsche ich viel Glück. Und ich danke den Leuten in Wolkersdorf.

Raaed Hafed (IRAK)

» 1. Gott sei Dank habe ich in Wolkersdorf Freund_innen und meine „Mama“ Evelin gefunden. Ich habe hier eine neue Familie. Und Gott sei Dank habe ich sehr, sehr, sehr gute Deutschlehrerinnen - Gabi, Monika, Susi, Theresa und Veronika.

» 2. Ich wünsche mir, dass ich in Österreich studieren und arbeiten kann und eine gute Zukunft habe. Ich möchte den Menschen im Ort helfen und wünsche mir, dass auch sie mir helfen. Außerdem hoffe ich, dass ich meine Freunde auch noch treffe, wenn die Halle 18 geschlossen ist, und dass ich nächstes Jahr perfekt Deutsch spreche.

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Bashir Abdi Abdilahi(SOMALIA)

1. Ich kann jetzt ein wenig Deutsch sprechen, damit lerne ich ein Stück Österreich kennen. Die Beziehungen zu den Nachbarn in der Halle 18 sind auch gut.

2. "I want to be an educated person." (Ich möchte gebildet sein.)

Ayaamle Abdillahi(SOMALIA)

1. Ich mag die Umgebung. Die Leute, die ich kennengelernt habe, waren auch sehr nett. Ich mag das friedliche Leben in Öster-reich, den Deutschkurs, leben zu können.

2. "Every person can reach what he/she aims for." Ich möchte einen hohen Bildungsgrad erreichen. Auf der Universität daheim hatte ich nicht die Möglichkeit viel zu lernen. Dank der Schule hier möchte ich mehr lernen.

Maher Alabbas (IRAK)

1. Ich habe in der Halle 18 mit Menschen vieler verschiedenen Nationalitäten zusammen gelebt und viel gelernt. Als ich den ersten Tag hier war, konnte ich zum Beispiel nicht kochen. Jetzt lebe ich seit ca. einem Jahr in Wolkersdorf und kann fast alles kochen. Am Anfang war es sehr schwer. Weil ich der deutschen Sprache nicht mächtig war, konnte ich nicht kommunizieren. Einmal bin ich nach Wien gefahren und habe mich verirrt. Ich habe viele Menschen nach dem Weg gefragt, aber niemand hat mich verstanden. Jetzt ist alles einfach. Ich kann Deutsch sprechen und Diskussionen führen. Mit jedem Wort, das ich auf Deutsch lernte, wurde es leichter. Ich habe viele Freund_innen aus verschiedenen Nationen gefunden. Ich rede mit allen, die mir begegnen und habe kein Problem – mit niemanden.

2. Für mich persönlich wünsche ich mir, dass mein Land – der Irak – wieder wie früher wird, ohne Krieg. Im Irak gab es die erste Universität und die erste Apotheke weltweit. Auch die Schrift mit Buchstaben entstand zuerst im Irak. Dieses fortschrittliche Denken, das Erschaffen von Dingen, die wichtig sind für die Menschen, wünsche ich mir zurück. Und für die Flüchtlinge im Allgemeinen wünsche ich mir Frieden.

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Showket Sadeeq(IRAK)

1. Wir haben in Wolkersdorf gute Erfahrungen mit den Menschen gemacht. Ich habe zum Beispiel beim Wolkersdorfer Suppentag mitgearbeitet. Die Suppe, die ich gekocht habe, war als erste aus. Auch für verschiedene andere Veranstaltungen habe ich Speisen aus meiner Heimat dem Irak zubereitet. Es ist gut, wenn Flüchtlinge und Einheimi-sche sich gegenseitig helfen. Sowohl die Flüchtlinge als auch die Wolkersdorfer_in-nen, die uns geholfen haben, sind traurig, dass die Halle geschlossen wird. Alle Bewohner der Halle würden gerne in Wolkersdorf bleiben, aber wir können nichts machen. Wir fühlen uns sehr wohl hier. Sogar ich, obwohl ich schon den österreichischen Pass habe, möchte die Halle nicht verlas-sen. Ich könnte überall wohnen, aber ich liebe die Halle 18.

2. Ich bin sehr dankbar, weil sehr gute Arbeit für Flüchtlinge geleistet wird. Ich wünsche mir, dass ich schnell etwas für meine Familie tun kann, und dass sie bald nach Österreich kommen kann.

Hani Al Ali (IRAK)

1. Zuerst wollte ich zu meinem Sohn nach Deutschland, aber als ich in Österreich ankam, fand ich es so schön hier, dass ich bleiben wollte. Also habe ich meinen Sohn angerufen und mich entschul-digt, dass ich nicht zu ihm nach Deutschland komme. Ich dachte, dass es mir in Österreich besser ginge. Die Wolkersdorfer_innen sind toll. Ich bin glücklich hier.

2. Ich hoffe, dass ich meine Papiere in Österreich bekomme, und ich meine Familie nach Österreich holen kann. Sie haben kein gutes Leben im Irak. Alles ist zerstört. Viele wurden getötet. Meine Tochter ist 9 Jahre alt. Sie ruft mich täglich an. Wenn ich einen Tag nicht mit ihr spreche, kann sie nicht schlafen.

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Mohammad Kreidi (SYRIEN)

1. Mein Leben in der Halle 18 war nicht schlecht. Besonders gefällt mir, wenn die Wolkersdorfer_innen Partys für uns organisieren. Ich erinnere mich zum Beispiel ans Café Interkult Spezial. Das war toll, weil ich dort viele neue Menschen kennengelernt habe, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Das Schlechte in der Halle 18 war, dass es immer wieder Streit gab.

2. Ich wünsche mir, in Wolkersdorf bleiben zu dürfen und dass mich die österreichische Regierung nicht nach Kroatien abschiebt, weil die Situation für Flüchtlinge dort sehr schlecht ist.

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Alaa Trkmani (SYRIEN)

1. Es ist das erste Mal, dass ich mit Menschen aus aller Welt zusammen lebe. Das ist eine gute Erfahrung für mich. Auch dass ich in Wolkersdorf Deutschkurse machen konnte, ist toll. Das ist nicht in allen Camps möglich.

2. Ich wünsche allen Flüchtlingen, dass sie positive Beschei-de bekommen und ihre Familien nach Österreich bringen können. Für mich wünsche ich mir, meine Familie bald zu treffen und Arbeit zu finden. Und ich möchte allen Menschen hier danke sagen – Flüchtlingen und Wolkers-dorfer_innen. Eine Botschaft an die Regierung habe ich auch: „Please take care of us!“

Abbas Esfandiari (IRAN)

1. Ich war sehr freundlich zu den Leuten in der Halle 18 und sie auch zu mir. Wir hatten keine Probleme. Trotzdem ist es für mich sehr schwer. Es ist sehr laut und ich kann nicht gut schlafen und nicht gut essen. Es ist nicht sauber genug. Was am Schwersten ist, ist, dass ich mich nicht zurückziehen und mich nicht konzentrieren kann. Das Benefizkonzert im Kultursaal werde ich mein ganzes Leben lang nicht vergessen. Es war eine wunderschöne Feier. Und als Statist in einem Film mitzuwirken, der in Wolkersdorf gedreht wurde, war eine tolle neue Erfahrung für mich.

2. Am Schönsten fände ich es, wenn meine Frau hier wäre. Dann könnten wir zusammen das Interview machen und in Zukunft zusammen in Wolkersdorf leben. Außerdem wünsche ich mir, bald einen Deutschkurs zu besuchen und perfekt Deutsch zu lernen.

Ahmed Alsamarai(IRAK)

1. Ich erinnere mich an den ersten Krieg in Irak 2003, als die Amerikaner kamen. Bevor sie gekommen sind war, es kei-ne Demokratie, aber es war bequem, wir hatten Frieden und Freiheit. Keine Bomben, Tote und jeden Tag Mel-dungen darüber. In Österreich habe ich Freiheit, Frieden und Ruhe gefunden, und viele Leute kennen gelernt, die helfen und freundlich sind. Die Menschen hier sind sehr offen. Ich fühle mich hier wohl.

2. Ich warte auf mein Interview und möchte dann meine Familie herholen. Ich wünsche mir Freiheit in der ganzen Welt.

Qias Abderat (IRAK)

1. Alles ist gut. Aber die lange Wartezeit macht uns sehr nervös und in der Halle 18 kommen wir nicht zur Ruhe. Die Leute hier sind der Grund, warum ich auch nach dem positiven Bescheid in Wolkersdorf wohne. Ich fand die Ausflüge schön, die die Leute mit uns unternommen haben: nach Wien, ins Museum, in die Kirche, zum Stephansdom. Eine sehr schöne Aufgabe für mich ist das Helfen im Deutsch-Unterricht. Ich übersetze von Englisch auf Arabisch für die syrischen Leute die kein Englisch sprechen. Ich bin Bauingenieur und Lehrer für Physik. Veronikas Familie hat mir sehr viel geholfen. Ich bin ihnen dafür unendlich dankbar. Ich male zum Beispiel sehr gerne und Franz hat mir geholfen Papier und Material zu bekommen.

2. Ich würd gerne weiterhin Deutsch lernen und vor allem eine Frau kennen lernen, dass wir heiraten, dass sie zu mir "ja" sagt.Ich hoffe, dass mein Bruder im Burgenland einen Bescheid bekommt. Er wartet seit 15 Monaten auf ein Interview.

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at. Mitte: Bilder aus der experimentellen Dokumentation (Erläuterung

siehe Seite 23). Von oben nach unten, von links nach rechts: S. Sadeeq, Tischtennispielen, Sommerpause, N.Saleh, Picnic.

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Mohammad Abdullahi(IRAN)

1. Was gut ist, ist, dass wir hier in Wolkersdorf kostenlose Deutschkurse bekommen. Auch das Café Interkult am Freitag ist toll. Dort können wir neue Leute kennenlernen und Freunde treffen. Das Einzige, was ich mühsam fand, ist, dass es hier in der Halle 18 zu laut ist. Weil wenn es laut ist, kann ich nicht gut schlafen und dann habe ich auch keine guten Gedanken. Wofür ich sehr dankbar bin, ist die Radwerkstatt am Dienstagnachmittag. Ich möchte Helga und Franz fürs Reparieren unserer Räder herzlich danken.

2. Ich wünsche mir, dass alle Flüchtlinge einen positiven Be-scheid und einen Pass bekommen, damit sie ihre Familien sehen können. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass ich schöne Gedanken und gute Dinge habe, wie zum Beispiel einen Job im Bereich der Installation oder der Montage.

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Mohammed Al Samarai(IRAK)

1. Ich habe viele Freunde kennen gelernt. Die Leute aus Wolkersdorf sind wundervoll. Ich fühle mich nicht alleine. Es gibt hier keinen Rassismus: Die Leute machen keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Personen. Ich warte seit einem Jahr auf ein Interview und hatte noch keines. Dieses Warten macht mich sehr müde. Hier sind nicht alle gleich: Manche bekommen gleich ein Interview, manche warten lange.

2. Ich möchte in Wolkersdorf bleiben. Ich kann das Interview kaum erwarten und meine Familie herholen, meine Frau und meine drei Töchter: die sind 24, 18 und 13 Jahre alt. Sie haben im Irak viele Probleme, wie z.B. kidnapping. Da kann oder will die Regierung nichts tun.

Yacir Riaz (PAKISTAN)

1. Ich habe gute Erinnerungen an die Halle 18, weil all ihre Bewohner als Freunde zusammen lebten. Wir haben viel gescherzt und gekocht, in

Freiheit miteinander gelebt und jeder war freundlich.

2. Ich wünsche allen Flüchtlingen eine bessere Zukunft und ein besseres Leben.

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Feridoon Salimi (AFGHANISTAN)

1. Das Zusammenleben mit vielen Menschen in der Halle 18 habe ich in guter Erinnerung. Wir sind weit weg von unseren Familien, aber hier haben wir neue Freunde und bei vielen Wolkersdorfer_innen neue Familien gefunden. Ich freue mich, dass ich meinen Buddy Hertha und ihre 10jährige Tochter Magdalena kennengelernt habe. Sie kommen mich besuchen und ich besuche sie zuhause. Dankbar bin ich auch für die gratis Deutschkurse und alle Deutschlehrerinnen.

2. Ich wünsche mir einen positiven Bescheid und dass meine Familie nach Österreich kommen kann. Ich habe eine zweijährige Tochter. Ihr Name ist Marwa. Ich vermisse sie sehr.

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Nasser Hamzeh Araghi (IRAN)

» 1. Das Einzige, was in der Halle 18 wirklich nicht funktioniert hat, war das Putzen der Nassräume. Die Diakonie hat zwar dafür bezahlt, aber es wurde scheinbar nicht überprüft. Es war teilweise sehr schmutzig. Gut gefallen hat mir hingegen, dass unser Zimmer in der Halle 18 bei vielen als „Café“ bekannt war. Viele Bewohner sind zu uns gekommen. Dadurch haben wir viele Leute aus verschiedenen Kulturen kennengelernt und uns mit ihnen angefreundet.

» 2. Mein Wunsch, mein tiefster Wunsch ist, dass ich mit meiner Familie – mit meiner Frau und meinen Kindern – hier in Österreich leben kann und dass meine Kinder hier in die Schule gehen können.

Die Bilder (Mitte) und einige der Portraits (Seiten 18 – 24) sind im Rah-men von zwei Foto-Workshops der Fotogruppe lichtwerk entstanden.

Die Bewohner der Halle 18 können die Portraits z.B. für Bewerbungen verwenden. Die anderen Bilder sind das Ergebnis einer experimentellen Dokumentation: Einige der Bewohner haben über mehrere Wochen hin-weg ihren Alltag mit Hilfe von Einwegkameras festgehalten.

Zum Abschluss der Projekte haben wir den Teilnehmern die Portraits und ein Heft mit den Bildern in Papierform überreicht. Danke hier der Gemeinde für die finanzielle Unterstützung.

Nathalie Aubourg für die Fotogruppe lichtwerk

Ahmed Al Samarai (IRAK)

1. Das Beste in der Halle 18 sind meine Freunde. Die Wolkersdorfer_innen sind sehr nett. Sie haben mir viel geholfen und mir Deutsch beigebracht. Das große Benefizkonzert im Kultursaal war toll. Ich habe dort auf der Bühne gesungen. Ich mag es, wenn die Leute zusammen kommen und Flüchtlinge und Einheimische nicht getrennt voneinander sind.

2. Ich wünsche mir, dass ich in Österreich bleiben kann und dass alle Flüchtlinge glücklich sind und eine faire Chance bekommen.

Mitte, von oben nach unten, von links nach rechts: Vater und Sohn M. und A. Al Samarai, Weinviertler Energie,

Erholung im Schatten, Weinreben, M. Al Gobury, F. Salimi.

Während dem Fotoshooting (li.), Yassin bei einer Lockerungsübung (re.).

Momente festhalten

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Zu sagen gäbe es viel. Ja selbst mit den drei Stichwör-tern „Kultur“, „Religion“ und „Integration“, die ich mir aus der Fülle der Stichworte herausgepikt habe, ließen sich Seiten, ja ganze Bücher füllen. Deshalb habe ich mich dafür entschieden, je nur einen einzigen, kleinen Aspekt herauszugreifen. Wenn es mir gelingt, Ihnen diesen ein Stück näher zu bringen, ist viel gesagt von dem, was ich sagen möchte.

KULTUR

Ich bin ein Afghane, der seit fast einem Jahr in Öster-reich lebt. In meinem Leben als Afghane in Österreich berühren sich täglich zwei Kulturen – meine und die des Landes, in dem ich lebe.

In der österreichischen Kultur, wie ich sie kennen gelernt habe, ist der Staat stark. Wird eine Person in Österreich 18 Jahre alt, gelten für sie erheblich stärker die Regeln des Staates und nicht mehr so sehr die, der Familie. Statt der Familie sorgt der Staat für seine Bewohner_innen.

In der afghanischen Kultur ist die Familie stark. Wird eine Person in Afghanistan 18 Jahre alt, bleibt alles beim Alten. Vorher wie nachher gelten für sie oder ihn die Regeln der Familie mehr als jene des Staates. Vorher wie nachher sorgt statt des Staates die Familie für ihre Mitglieder.

Ich erkläre mir diesen Unterschied so:

In Österreich ist die Abhängigkeit einer erwachsenen Person von ihrer/seiner Familie gering. Alles, wovon ihr/sein Überleben abhängt, stellt er entweder selbst oder der Staat zur Verfügung – sei es die Möglichkeit zur Aus-bildung, ein Gesundheitssystem, Altersheime oder die Versorgung im Fall einer Arbeitsunfähigkeit. In Öster-reich zeigt sich der Staat verantwortlich für Überleben und Wohl „seiner Kinder“. Und wenn es diesen möglich ist, geben sie dem Staat dafür – in Form von Steuern – etwas zurück. Der österreichische Staat übernimmt die Funktion, die in Afghanistan die Familie hat.

WAS ICH SAGEN MÖCHTE…

Einige Anmerkungen zu Kultur, Religion und Integration aus der Sicht eines Afghanen in Österreich

Najmus Saqib Saleh (AFGHANISTAN)

1. Es ist ein sehr schönes Gefühl für mich, hier in Wolkersdorf mit sehr vielen Menschen zusammen zu leben. Zuerst war es ein biss-chen schwer. Ich war zum ersten Mal in meinem Leben alleine auf der Flucht. Aber je besser ich die österreichische Kultur verstehen lernte, desto leichter wurde es. Ich habe zum Beispiel von Claudia gelernt, wie man ein Wiener Schnitzel macht und von Renate, wie man einen Striezel bäckt. Außerdem hat mir Dagmar geholfen, ein Praktikum zu finden. Ich habe in Pakistan meinen MBA abgeschlossen. Jetzt mache ich in Wien bereits seit drei Monaten ein Volontariat bei einem Steuerberater. Alle hier in der Halle 18 versuchen, ihre Probleme zu lösen. Wenn es jemanden gelingt, freuen sich die anderen Bewohner mit. Am Abend gehen wir manchmal in andere Zimmer und sprechen miteinander über die verschiedenen Kulturen und unsere Fluchtgründe. Die Menschen erzählen ihre Geschichten und so lernen wir einander kennen. Im Austausch mit meinen neunen Freunden aus dem Irak, Syrien und Algerien konnte ich so in Österreich nicht nur Deutsch, sondern auch Arabisch lernen. Dafür bin ich meinen „Arabischlehrern“ Raeed, Maher, Mohammad Algoburi, Ella, Abu Ahmad, Ahmad, Hussain, Hus-sam, Showket, Farhad, Murad, Yaseen und Bashir sehr dankbar. Als ich hörte, dass die Halle 18 geschlossen wird, war es schwierig, weil ich viele Erinnerungen habe. Ich möchte nicht, dass die Halle geschlossen wird, aber ich bin glücklich, dass ich ein neues Zuhause bei Veronika gefunden habe und ich so in Wolkersdorf bleiben kann.

2. Ich wünsche mir, dass alle Probleme in unseren Herkunfts-ländern verschwinden und alle Flüchtlinge eine gute Zukunft haben. Allen, die zurück in ihre Heimat wollen, wünsche ich, dass das eines Tages möglich wird und sie zuhause ein gutes Leben haben können. Wenn die Probleme in meiner Heimat auf-hören, möchte auch ich wieder zurück zu meiner Familie nach Afghanistan. Österreich soll – wie auf einer Leiter – eine Stufe sein, um meine Probleme zu lösen. Ich wünsche mir, Österreich in guter Erinnerung zu behalten als eine Station auf meinem Weg zu einem guten und friedlichen Leben. Allen Flüchtlingen, die in Österreich bleiben wollen, wünsche ich, dass sie Deutsch lernen und eine Ausbildung machen kön-nen und ein gutes Leben haben. Am Schluss danke ich allen Österreicher_innen, dass sie nett zu uns waren, speziell allen Wolkersdorfer_innen. Wir waren nie alleine hier. Unsere Wolkersdorfer Freund_innen haben uns immer geholfen. Ich möchte besonders meiner Deutschlehrerin Monika danken, dass sie sich so bemüht, uns Deutsch beizu-bringen. Außerdem danke ich Helga und Franz für ihre Hilfe mit den Fahrrädern. Auch Veronika möchte ich „danke“ sage für ihre Hilfe. Und die Diakonie und die Caritas waren ebenfalls stets bereit, uns zu helfen. Danke.

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In Afghanistan ist der Staat nicht fähig, die vorhan-denen Ressourcen so zu nutzen, um damit für seine Bevölkerung zu sorgen. Die Menschen in Afghanistan können ohne die Unterstützung ihrer Familien nicht überleben. Deshalb kümmern sich die Familien um ihre Kinder wie es der Staat in Österreich tut. Sie bezahlen ihre Ausbildung, sie kommen für ihre Arzt-/Ärztinnen- und Krankenhausbesuche auf, sie kümmern sich um alte und kranke und versorgen arbeitsunfähige Famili-enmitglieder. Und sobald es den Kindern möglich ist, geben sie ihrer Familie dafür etwas zurück.

Was ich sagen möchte ist nicht, dass das eine besser ist als das andere. Was ich sagen möchte ist, dass es Unterschiede gibt, die sich erklären lassen und die man verstehen kann, wenn man sich aufs andere einlässt. Und: Dass es keinen einzigen Tag in Österreich gibt, an dem ich meine Familie nicht vermisse.

RELIGION

Bevor ich nach Österreich flüchtete, dachte ich, es würde schwierig für mich werden, in Europa meine Reli-gion – den Islam – zu praktizieren. Doch als ich kam, war es ganz anders als erwartet. Ich wurde und werde in Österreich in der Ausübung meiner Religion nicht eingeschränkt. Genauso wie jeder und jedem anderen in diesem Land steht es auch mir frei, meinen Glauben selbst zu wählen. Keine Religion ist hier verboten. In Österreich ist es leicht, das zu leben, woran ich glaube. Dafür bin ich dankbar.

Was ich sagen möchte ist, dass ich ein festes Bild von Europa hatte, noch bevor ich diesen Kontinent betrat. Als ich kam, hat sich vieles richtig gestellt. Ich weiß, dass manche Europäer_innen ein ebenso festgefah-renes Bild des Islams haben. Mache meinen sogar, der IS, die Taliban, Al-Qaida oder andere Extremisten würden den Islam repräsentieren. Das tun sie nicht. Und ich möchte die Menschen bitten, ihr Bild meiner Religion immer wieder an der Realität zu prüfen und für neue Sichtweisen offen zu bleiben. Dann wird es ihnen

vielleicht – so wie mir – möglich, sich ein neues, ein schöneres Bild zu gestalten.

INTEGRATION

Allgemein gesprochen bedeutet Integration für mich, den Lebensstil der Bewohner_innen des Landes, in dem man lebt, zu kennen und zu respektieren. Konkret waren damit in meinem letzten Lebensjahr, das ich nun schon in Österreich bin, viele Erfahrungen verknüpft: Ich habe Deutsch gelernt und viele neue Freund- und Bekanntschaften geschlossen. Ich habe österreichi-sche Lieder gesungen, österreichische Feste gefei-ert, mit Österreicher_innen Tischtennis gespielt und österreichisch kochen geübt. Ich weiß jetzt, wie man ein Wiener Schnitzel macht oder einen Striezel bäckt. Außerdem habe ich das österreichische Arbeitssystem kennen gelernt. Seit 3 Monaten mache ich ein Volon-tariat bei einem Steuerberater. Und da ich mich sehr für Politik interessiere, habe ich viel über das politische System in Österreich gelesen und am Nationalfeiertag das österreichische Parlament besucht.

Was ich sagen möchte ist, dass Integration für mich ein gegenseitiger Prozess ist. Wir, die wir kamen, haben die Aufgabe Land und Leute kennen zu lernen und zu respektieren. Sie, die Sie schon da waren, können uns dabei unterstützen und wenn Sie wollen auch uns – unsere Kultur, unsere Religion, unsere Heimat – kennen lernen und respektieren. Das wäre schön.

Und abschließend möchte ich sagen, dass es toll wäre, über das Geschriebene (und gerne auch darüber hinaus) zu diskutieren. Ich freue mich über Anmerkun-gen, Kritik, Weitergedachtes und all das, was Sie sagen möchten. Schreiben Sie mir gerne an: [email protected]

Idee und Inhalt: Najmus Saqib SalehGestaltung: Veronika Maurer

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Ausschnitt aus der Ö1-Sendung „Betrifft Geschichte“. Ein Bericht vom Historiker Bela Rasky.

Nachdem mit der zweiten Invasion der Sowjettrup-pen klar geworden war, dass ein freies, unabhängiges Ungarn keine Chance hat, entscheiden sich in den Tagen um den 4. November – so lange die Grenze noch offen ist– fast 200.000 Menschen zur Flucht in den Westen, nach Österreich.

Die Aufnahme der Flüchtenden hier gestaltet sich dabei von Anfang an großherzig und selbstlos. Was staatlich nicht gleich organisiert werden kann, über-nehmen Private, sie bieten Unterkünfte und Hilfsgüter an, Kasernen und Baracken werden geöffnet und notdürftig adaptiert, ein „Österreichisches Nationalko-mitee für Ungarn“ zur Koordination aller Hilfsmaßnah-men wird ins Leben gerufen. Erstaunliche Solidarität und Hilfeleistungen sind an der Tages-ordnung. Nicht selten werden ganze Familien von Privatleuten aufge-nommen, eingekleidet und versorgt.

Dies alles geschieht in einem außenpolitischen Umfeld, wo Österreichs Status noch nicht gesichert ist, noch immer außenpolitische Kalamitäten drohen. Der Ministerrat mahnt deshalb auch zur politischen Vorsicht, vor allem was die Sowjetunion betrifft, zögert, wird aber letztlich von der gesellschaftlichen Stimmung, der Hilfsbereitschaft der Bevölkerung und der positiven Medienberichterstattung gewissermaßen überrollt – aber auch dadurch, dass man die Möglich-keit erkennt, der jungen Republik ein internationales Imagekapital zu verschaffen. Dennoch gibt man sich enttäuscht über das mangelnde Engagement des Aus-landes, auch wenn riesige Summe an Hilfsgelder nach Österreich fließen.

Näher betrachtet ist natürlich die Geschichte aber nicht ganz so schön, so glatt, so eindeutig. Die Herz-lichkeit der Österreicher zeigt gegen Weihnachten 1956 feine Risse, die Medienberichterstattung kippt schon im Jänner 1957, als die Figur des ‚undankbaren Ungarnflüchtlings‘ auftaucht. Sobald die Flüchtlinge nämlich die Rolle der Hilfsbedürftigen hinterfragen, eigene Bedürfnisse artikulieren, nicht mehr Objekte der Fürsorge sein wollen, ja womöglich aufbegehren, vielleicht sogar aggressiv werden, auszucken, ist es

mit dem Verständnis rasch vorbei, das Stigma der ‚Undankbarkeit‘ wird ihnen rasch zugeschanzt. ‚Flücht-linge haben auch Pflichten‘ – ein Diktum von Innenmi-nister Helmer – wird es dann bald heißen.

Aber die meisten Flüchtlinge betrachten Österreich sowieso nur als Durchgangsstation, viele Länder schi-cken sehr rasch Rekrutierungstrupps. Heutige soziolo-gische Untersuchungen belegen, dass der Großteil der Flüchtlinge jung, gesund, gut ausgebildet, dynamisch – und männlich war. Und so wird um jeden Einzelnen fast brutal gefeilscht, eigene Kommissionen kommen in die Lager, selektieren, holen sie ab, nach Kanada und Australien, in die USA und die Schweiz. Tatsäch-lich werden von den Flüchtlingen nur ca. 15.000 letzt-lich in Österreich bleiben.

Die, die hier bleiben sind rasch mit den Tücken dessen, was, wir heute Integration nennen – konfrontiert. Die Lager sind überfüllt, es herrscht oft eine gespannte Atmosphäre. Psychologen warnen vor einen Zusam-mendrängen der Menschen, die Caritas versucht noch intensiver Privatunterkünfte zu organisieren. Dazu kommen Gerüchte, ungarische Geheimdienstleute unterwandern die Lager, die Repatriierungskommissio-nen stiften Unruhe und Spannungen.

Psychischen Stress verursachen bei den Flüchtlingen auch die Registrierungen nach ihrer Ankunft in Öster-reich, was damals die automatische Gewährung des Asylstatus bedeutete. Aber allein die Erfassung per-sönlicher Daten löst, nach Jahren der Diktatur, Ängste aus.

Aber die letztlich erfolgreiche Integration der meisten Flüchtlinge wird schließlich diese negativen Erfah-rungen langsam auslöschen und die Geschichte von beiden Seiten – von den Österreichern und den Flücht-lingen, die nun auch Österreicher sind – so erzählen lassen, dass sie zum Kanon des Jahres 1956 passen, also ein Kapitel der Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik werden wird.

Dr. Bela Rasky leitet das Wiener Wiesenthal-Institut für Holocaust-Studien. Die Sendung wurde am 19.10.2016 auf Ö1 ausgestrahlt. Rudi Rögner hat den Text für diese

Ausgabe gekürzt.

EXKURS GESCHICHTE

Wie hat es damals funktioniert? Die Fluchtbewegung nach dem Ungarn-Aufstand 1956

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Ideologien, die Menschen nach der Farbe ihrer Haut, nach ihrer Religion, nach ihrer Rasse, nach ihrer Her-kunft einteilen und bewerten, sind heute weniger denn je überwunden. Menschen fühlen sich verunsichert, sie fühlen sich bedroht, sie haben Angst um unsere Kultur und unseren Glauben. Fremdes wird in Denkbil-der und bestimmte Muster eingeordnet. Es wird in Gut und Böse eingestuft. Feindbilder werden geschaffen – ganz im Gegensatz zur Botschaft Jesu und der christli-chen Kirchen.

Der österreichische Sänger und Liederschreiber Rain-hard Fendrich hat einen neuen Song kreiert mit dem Titel: „Schwarz oder Weiß.“

„WIR“ RICHTET SICH GEGEN ANDERE

Eine schöne Botschaft, die sich hoffentlich verbreiten wird. Rainhard Fendrich spricht in seinem Song die Angst vor dem Fremden und den unbändigen Hass auf die anderen an und zeigt eindrucksvoll Haltung. Es gibt Menschen mit weißer und mit schwarzer Hautfarbe,

aber in jedem Körper schlägt ein Herz und das Blut ist bei allen rot. Also dort, wo das Leben pulsiert, haben Menschen trotz ihrer Verschiedenheit das gleiche Recht auf ein Leben in Freiheit und Würde. Es ist gut und wichtig, sich diese Tatsache vor Augen zu führen in einer Zeit, in der angesichts der Flüchtlingsströme Rassentheorien wieder „fröhliche Urstände‘“ feiern. Die Gesellschaft polarisiert sich, Feindbilder werden produziert und Sündenböcke werden geschaffen. Wir sind hier, und dort sind die anderen. Und dort sollen sie am besten auch bleiben, uns ja nicht zu nahe kommen.

Wer immer mit diesem „Wir“ gemeint ist, es richtet sich gegen andere. Unser Gott aber ist Mensch gewor-den, nicht um neue Spaltungen, Risse und Gräben zu erzeugen sondern die vom Menschen aufgerichteten Hindernisse zu überwinden. Und dabei kann vieles hel-fen, auch ein Lied, wie es Rainhard Fendrich geschrie-ben hat und singt.

Edwin Bartl stv. Vorsitzender des Pfarrgemeinderates Wolkersdorf

Es ging spazieren vor dem Tor ein kohlpechrabenschwarzer Mohr und die Angst vorm

schwarzen Mann fangt schon in der Kindheit an.

I hör’s no heut wie a Gebet: "Mit Fremden red’t ma afach net." Erst vielleicht im Himmelreich san die

Menschen alle gleich.

Net nur schwarz oder weiß, wir san alle grundverschieden, doch a Herz schlagt in an jeden

und des Bluat is immer rot.

Net nur schwarz oder weiß: Mir san Muslime, Juden, Christen und beten doch zu a und demselben Gott.

Die große Angst, der dumme Hass, kommt daher, weu ma z’wenig waß. Und die Hetzer möcht i hearn,

wenn’s mit an Schlag all’s verlier’n.

Net nur schwarz oder weiß. Mia san Muslime, Juden, Christen – ob Osten oder Westen, es ist derselbe Gott.

Und die so eifrig demonstrier’n soll’n den Gedanken nur riskier’n, wie’s wa, wenn ihre Kinder hungern und

frier’n.

Net nur schwarz oder weiß. Mia san Muslime, Juden, Christen – ob Osten oder Westen, es ist derselbe Gott.

Net nur schwarz oder weiß, die Haut da vüle Farben, nur die anen hab’n die Narben und die andern schert

des net.

Schwarz oder weiß: Was is besser, was is schlechter? Wer ernennt si da zum Richter über d’Wöt?

GEDANKEN

Schwarz oder Weiß

SCHWARZ ODER WEISSText und Musik: Rainhard Fendrich

Quelle: www.fendrich.at/musik/texte/s/schwarzoderweiss/

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Einen schon fertig verfassten Text habe ich gerade dem Altpapier überantwortet, weil mir – zufällig !? – eine Zeitungsmeldung, die Jahrzehnte zurückliegt, in den Sinn gekommen ist. Ein Prozessbericht, der mich damals sehr berührt hat und es bis heute tut.

(Achtung: politisch nicht korrekt).

Nonnen aus einem Kloster an der französisch – deut-schen Grenze hatten zuerst Juden vor den Nazis ver-steckt und nach dem Krieg deutsche Soldaten auf der Flucht vor der Lynchjustiz der Bevölkerung. Letzteres misslang. Die Nonnen landeten vor dem Strafgericht und wurden auch verurteilt. Auf die Frage des Richters, wie das zusammengehe, zuerst die Opfer und dann die Täter zu schützen, antwortete die Oberin: „Aber sie waren doch alle in Not“.

Über diese Haltung kann man streiten. Warum fällt mir die Geschichte zum heutigen Flüchtlingsthema ein? Nicht weil ich fürchte wir hätten zahllosen Terroristen Aufnahme gewährt. Aber weil ich glaube, dass alle, die in diesen Tagen vorbehaltlos und selbstlos Flüchtlin-gen ihr Herz öffnen, nicht nur diesen helfen, sondern mindestens so sehr unserem Ort, unserer Gesellschaft und unserem Land. Gerade die, denen dieses Engage-ment unverständlich ist, sollten dafür dankbar sein.

Ja, viele Ängste sind berechtigt. Aber Ängste sind nicht produktiv. Ja, es gibt eine Belastbarkeitsgrenze für ein kleines Land. Weniger eine materielle, als eine der trägen Herzen. Und der Prozentsatz der Heiligen unter den Flüchtlingen ist vielleicht (noch) niedriger als bei uns.

Aber zu den Menschen, die da sind, gut zu sein, hilft uns allen. Selbst dann, wenn diese Güte unbedankt bleibt oder gar missbraucht wird.

Bevor ich wieder ins Kloster zurückkehre, muss ich aber noch anmerken: Ich könnte in dem Kloster nicht Nonne werden. Also sowieso nicht. Aber auch weil ich zu viele Vorurteile hätte.

An der Pforte dieses Elsässer Klosters stand und steht vielleicht auch noch heute (auf französisch und daher schöner):

"Unsere Aufgabe ist es mitzuhelfen, dass die Welt nicht aus Mangel an Liebe stirbt."

Unsere Aufgabe ist das auch.

Martin Neid

GEDANKEN

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