Ein Regionalgeld für Erfurt?! · Bei unseren Recherchen zeigte sich, dass es bisher nur wenige...

99
Ein Regionalgeld für Erfurt?! Verlauf und Ergebnisse eines studentischen Forschungs- und Praxisseminars im Sommersemester 2011 an der Universität Erfurt geleitet von Christoph Freydorf und Nikolaus Kiennen

Transcript of Ein Regionalgeld für Erfurt?! · Bei unseren Recherchen zeigte sich, dass es bisher nur wenige...

Ein Regionalgeld für Erfurt?!Verlauf und Ergebnisse eines studentischen Forschungs- und Praxisseminars im Sommersemester 2011 an der Universität Erfurt

geleitet von Christoph Freydorf und Nikolaus Kiennen

Ein Regionalgeld für Erfurt?! I

Vorwort

Dieses Dokument ist an der Universität Erfurt fakultätsübergreifend im Rahmen eines Studium-Fundamentale-Seminars (StuFu) „Ein Regionalgeld für Erfurt?!“ im Sommersemester 2011 entstanden. Die Veranstaltung wurde von Bachelor-Studierenden und Dozenten zusammen geplant und durchgeführt. Vorliegender Reader fasst den Verlauf und die Ergebnisse des studentischen Forschungs- und Praxisprojekts zusammen.

Die partizipative Struktur des Seminars setzte hohes Interesse, Eigeninitiative sowie Flexibilität der 15 Teilnehmenden voraus, gestattete jedoch im Gegenzug freie Gestaltungs-möglichkeiten und konsensuale Lösungsfindungen, insbesondere in der Projektphase des Semesters.

Warum dieser Reader? Bei unseren Recherchen zeigte sich, dass es bisher nur wenige sachliche Projektberichte mit praktischen Erfahrungswerten zu Regionalgeldern gibt und nur in geringem Maße von akademischer Seite eine theoretische Reflexion über das Thema stattfindet. Insofern soll diese Dokumentation unseres Forschungsprojektes sowohl als kurze systematische Einführung in das Thema dienen, als auch bestehenden wie in der Planungsphase befindlichen Regionalgeldprojekten eine Hilfestellung bieten.

Hierbei wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben, den eine halbjährige studentische Forschungsstudie auch nicht leisten könnte. Vielmehr sollen Anregungen vermittelt, Verweise auf weitere interessante Quellen angezeigt und auf Probleme in der Durchführung hingewiesen werden. Insbesondere der letzte Punkt erscheint uns angesichts verschiedener gescheiterter Regionalgeld-Initiativen sinnvoll. Eine flächendeckende Evaluierung (einschließlich der Dokumentation gescheiterter Projekte) könnte beitragen, bei zukünftigen Initiativen ähnliche Fehler zu vermeiden, sowie eine systematische Bewertung verschiedener Modelle in unterschiedlichen sozioökonomischen Umfeldern zu ermöglichen. Das Experiment unsrer studentischen Forschungsstudie selbst wurde somit ebenfalls dokumentiert und darf als Anregung für nachfolgende Studien verstanden werden.

Pro Forma soll angemerkt werden, dass die einzelnen Beiträge von den Seminarteilnehmern alleine oder in Kleingruppen selbstverantwortlich erarbeitet wurden und sich die Seminarleitung – hier in ihrer Funktion als Herausgeber dieses Readers – beschränkt hat auf die Zusammenstellung der Beiträge, kurze inhaltliche Erläuterungen und Überleitungen zwischen den Kapiteln, sowie das äußerst sparsame Redigieren des Volltextes.

Wir bedanken uns bei allen, die uns bei dieser Forschungsstudie direkt oder indirekt unterstützt bzw. mit uns am gleichen Strang gezogen haben: Vor allem geht unser Dank an Prof. Dr. Ulrich Scheiper von der FH Würzburg-Schweinfurt, an Andreas Urbanneck und Alexander Pilling als Vertreter der Landmark, an Karina Hallbauer vom Stadtteiltreff

Ein Regionalgeld für Erfurt?! II

„Stube“, sowie an die Teilnehmer des Infoabends in der Magdeburger Allee: Uta Fischer vom Bürgerbeirat Ilversgehofen, Birgit Vogt als Mitglied des „Krisen e.V.“, Ralf Weber als Vorstandsvorsitzender der Interessensgemeinschaft „Magdeburger Allee e.V.“ und Johannes Smettan als Redakteur von Radio F.R.E.I..

Ein Regionalgeld für Erfurt?! III

Inhaltsverzeichnis

Ursprünglicher Seminarplan des „StuFu Regiogeld“.....................................................1

1. Einleitung.............................................................................................................................6

2. Kritische Reflexion der Geldtheorie..................................................................................8

2.1. Einleitung......................................................................................................................8

2.2. Die Ursprünge des Geldes von Anil Shah...............................................................................................................9

2.3. Geldarten, Geldmenge und Geldfunktionen von David Schneider..................................................................................................12

2.4. „Geld frisst Welt“: Zinskritische Ansätze von Sebastian Weidner...............................................................................................16

2.5. Empirische Evidenzen für Liquiditätsmangel von David Schneider..................................................................................................21

2.6. „Neues Geld – Neue Welt“: Theoretische Lösungsansätze von Martin Ritter........................................................................................................24

2.7. Fazit: Kritische Reflexionen über Geldtheorien.........................................................28

3. Komplementärwährungen allgemein und Regionalwährungen im besonderen.........29

3.1. Einleitung....................................................................................................................29

3.2. Übersicht heutiger Systeme von Madeleine Böhm.................................................................................................30

3.3. Gemeinschaftsfördernde Währungen von Clemens Schubert...............................................................................................37

3.4. Geschichtliche Beispiele: Versäumnisse in den 30er Jahren - WÄRA und Wörgler Schilling von Michael Hartung.................................................................................................45

3.5. Primäre Arbeitsgruppen: Marketing und Internetauftritte von Regionalgeld-Initiativen von Thomas Moßburger.............................................................................................55

Ein Regionalgeld für Erfurt?! IV

3.6. Primäre Arbeitsgruppen: Strukturanalyse vor der Einführung eines Regionalgeldes von Frauke Heesing...................................................................................................58

3.7. Primäre Arbeitsgruppen: Der thüringer Wirtschaftsring „Landmark“ - Tauschring und Gutscheinsystem von Sebastian Hachmeyer und Markus Nietzold.......................................................62

3.8. Primäre Arbeitsgruppen: Vor- und Nachteile von Regiowährungen von Felix Kleinert und Conrad Meier........................................................................65

3.9. Fazit: Kritische Reflexionen über Regionalgeldkonzeptionen...................................73

4. Projektarbeit......................................................................................................................74

4.1. Einleitung....................................................................................................................74

4.2. Sekundäre Arbeitsgruppen: Projektidee Unitauschring von Nikolaus Kiennen................................................................................................75

4.3. Sekundäre Arbeitsgruppen: Projektidee Magdeburger Allee von Sebastian Hachmeyer..........................................................................................76

4.4. Sekundäre Arbeitsgruppen: Marketing der Landmark von Kristian Kokkinos...............................................................................................78

4.5. Vorbereitung der Informationsveranstaltung „Landmark als Rabattsystem für die Magdeburger Allee“ von Nikolaus Kiennen................................................................................................82

4.6. Protokoll der Informationsverstanstaltung von Felix Kleinert und Madeleine Böhm ..................................................................83

4.7. Reflexion der Informationsveranstaltung von Nikolaus Kiennen und Sebastian Weidner..........................................................90

4.8. Fazit der Projektarbeit.................................................................................................93

5. Schlusswort........................................................................................................................94

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 1

Ursprünglicher Seminarplan des „StuFu Regiogeld“

Dozenten: Prof. Dr. Helge Peukert, Dipl. Soz. Christoph Freydorf, Nikolaus KiennenMittwoch 16-18 Uhr, LG.2, R.133, Universität Erfurt

Inhaltliche Kurzbeschreibung:Regionalgelder werden in Zeiten von globalen Krisen zunehmend als eine Chance gesehen, regionale Kreisläufe zu beleben und lokale Potentiale zu nutzen.Im Seminar werden zunächst theoretische Grundlagen von Parallel- und Komplementär-Währungen erarbeitet. Anschließend sollen bereits bestehende Regionalgelder analysiert und die spezielle sozioökonomische Situation Erfurts erfasst werden. Auf dieser theoretischen und empirischen Basis soll dann ein auf Erfurt angepasstes Regionalgeld-Konzept erstellt sowie dessen konkrete Umsetzung geplant werden.Es werden keinerlei Vorkenntnisse von den Teilnehmern vorausgesetzt, lediglich Interesse am Thema sowie die Bereitschaft zu selbstständiger und gruppenbezogener Arbeit erwartet. Durch die ökonomischen, rechtlichen, empirischen und kommunikativen Aspekte des Projekts ergibt sich ein breites Betätigungsfeld für alle Interessierten.

Veranstaltungs- Ziele : Zu Beginn der Veranstaltung sollen die Teilnehmer schrittweise an die Themen

Geld, Komplementärgelder und speziell Regionalgelder herangeführt werden, indem sie sich gemeinsam eine inhaltliche Basis erarbeiten. Im weitern Verlauf soll zudem durch selbstständige Recherchen ein empirischer Überblick über die existierenden Regionalgelder sowie die sozioökonomische Situation in Erfurt gewonnen werden.

Auf Basis dieser theoretischen Grundlage sowie der erhobenen empirischen Daten kann gemeinsam ein Regionalgeld-Konzept für Erfurt ausgearbeitet werden.

Das Erreichen dieser beiden Kernziele eröffnet die Möglichkeiten,▪ einen Sammelband/Reader zusammenzustellen und als „Lehrforschung“ zum

Thema Regionalgelder zu veröffentlichen, sowie▪ eine Umsetzung des entwickelten Regionalgeld-Konzepts im Rahmen eines

weiteren StuFus im kommenden Wintersemester zu planen.

Prüfungsleistungen:Mitarbeit, Referat und kurze Fachausarbeitung:

• Mitarbeit: Wichtig sind die regelmäßige Teilnahme, aktive Beiträge und eigentständige Recherche.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 2

• Referat: Nur gut strukturierte und inhaltlich dichte Impulsreferate (ca. 5 bis 15 Min) zu theoretischen Grundlagen oder empirischen Rechercheergebnissen. Um einen didaktischen und inhaltlichen Standard zu garantieren, müssen die Referate bereits einige Tage vor der Präsentation mit den Dozenten besprochen und gegebenenfalls überarbeitet werden.

• Fachausarbeitung, Kurze, circa 8-10 seitige Reflexion und Zusammenfassung auf wissenschaftlichem Niveau (Struktur, Quellen, etc.) von Referaten, Diskussionen bzw. der Veranstaltung.

Seminarplan (14 Doppelstunden)Vorläufige, jedoch flexible Struktur, die im Laufe der Veranstaltung dem Arbeitsstand und sich eventuell im Prozess ergebenden weiteren Forschungs-Schritten angepasst werden kann:

06.04.2011 Einführung • Kurzer Info-Film zur Einführung• Vorstellungsrunde, Erwartungen der Teilnehmer und Organisatoren an das Seminar• Absprache von Thema, Relevanz, Konzept, Vorgehen, Seminarplan, Scheinbe-

dingungen und Literatur. • Vergabe erster Referate. • Hausaufgabe: Theorietexte lesen

13.04.2011 Theorie 1 Ursprünge des Geldes; Geldfunktionen• Literatur:

◦ Weimer, Wolfram (1992): Geschichte des Geldes (S.25-31, 44-53)◦ Zarlenga, Stephen (1998): Der Mythos vom Geld – Die Geschichte der Macht

(S.13-54)◦ Anderegg, Ralph (2007): Grundzüge der Geldtheorie und Geldpolitik (S.3,7-17 zu

Geschichte, S.18-29 zu Geldfunktionen und Geldmenge)• Referate über Texte, gemeinsame Diskussion• Planung der nächsten Seminarstunde.• Hausaufgabe: Theorietexte lesen

20.04.2011 Theorie 2 Geld- und Zinskritische Theorien• Literatur:

• Lietaer, Bernard A. (2010): What are the three main effects of interest-based cur-rencies? (S.1-2)

• Plettenbacher, Tobias. (2008): Neues Geld - Neue Welt. Teil I „Geld frißt die Welt“ (S.12-45)

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 3

• Deutsche Bundesbank (2009): Monatsbericht 2009, Abschnitt „Die Entwicklung und Bestimmungsfaktoren des Euro-Bargeldumlaufs in Deutschland (S.49-62)

• Plettenbacher, Tobias. (2008): Neues Geld - Neue Welt. Teil II „Theoretische Lösungsansätze“ (S.46-63)

• Referate über Texte, gemeinsame Diskussion• Planung der nächsten Seminarstunde• Hausaufgabe: Theorietexte lesen sowie erste Überblicks-Rechere zu Geld-Initiativen

weltweit)

27.04.2011 Theorie 3 & Empirie 1 Einführung Theorie Komplementär- und Parallelwährungen, speziell Regionalgelder

• Literatur: • Herrmann, Muriel: Was ist Regiogeld und welche Typen gibt es? (S.1-5) &

Regiogeld e.V.: Was ist Regiogeld? Vielfalt und Wertestandards (S.1-7) & Schneegans, Tobias (2003): Umlaufgesicherte Komplementärwährungen - Gelingen und Scheitern in der Praxis. Abschnitt “Umfrage zur Akzeptanz des Wörgler Schwundgeldes” (S.72-75)

• Lietaer, Bernard A. (1999): Das Geld der Zukunft. Abschnitte: „Versäumnisse in den 30er Jahren“ (S.260-274), „Heutige Systeme“ (S.280-298, 309-) & „Gemeinschaftsfördernde Währungen (S.309-336)

• Referate über Texte und Recherchen, Diskussion• Planung der nächsten Seminarstunde• Hausaufgabe: Theorietext lesen und offener Fragen sammeln

04.05.2011 Theorie 4 & Experten-Referat Vortrag zu Regiogeld• Literatur:

• Plettenbacher, Tobias (2008): Neues Geld - Neue Welt. Teil IV „Neues Geld in der Praxis“ (S.76-129)

• Referat von Prof. Dr. Ulrich Scheiper (FH Würzburg-Schweinfurt): „Monetäre Nachhaltigkeit durch komplementäre Geldsysteme”

• Fragen an und Diskussion mit dem Referenten• Planung der nächsten Seminarstunde• Hausaufgabe: Recherchen zu konkreten Regiogeld-Initiativen (in D und global)

11.05.2011 Empirie 2 Vertiefung zum Spektrum von hist. und aktuel. Regiogeldinitiativen• Literatur:

▪ Peter North (2007): "Money and Liberation - The Micropolitics of alternative currency movements. Abschnitte ”The Longevity of Alternatvice Economic Practices – Green Dollars in Aotearoa / New Zealand” (126-148) &

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 4

“Surviving Financial Meltdown – Argentina’s Barter Networks” (S.149-173) (da sehr speziell nur für jeweilige Referenten; nicht im Reader)

• Referate: Übersicht sowie Dosiers ausgewählter Regio-Initiativen (Grundtypen, darunter möglichst Chiemgauer und Leistungskonto, weil das bestehende Thüringer Regiogeld dieses Konzepte verfolgt).

• Diskussion, Analyse und systematischer Vergleich verschiedener Regiogelder (Matrix mit Basisvariablen, Konzepte, Verbreitung, Erfolge, etc.) mit Fazit zu jeweiligen Stärken und Schwächen.

• Planung der nächsten Seminarstunde• Hausaufgabe: Recherchen zu konkreten Regiogeld-Initiativen (in D und global)

18.05.2011 Empirie 3 Probleme von und Kritik an Regiogeldern Literatur

◦ Lietaer, Bernard A. (1999): Das Geld der Zukunft. Abschnitt “Probleme in der Praxis” (S.337-358)

◦ Schneegans, Tobias (2003): Umlaufgesicherte Komplementärwährungen - Gelingen und Scheitern in der Praxis. Abschnitte zu “Kritik und offene Fragen zum Freigeld” (S.32-33) & “Freigeldexperimente und Gründe für ihr Scheitern” (S.34-71)

◦ Rösl, Gerhard (2006): Regionalwährung in Deutschland - Lokale Konkurrenz für den Euro? Bundesbank Diskussionspapier (S.9-34)

Referate über Probleme und Kritik, Diskussion und Zusammenfassung Planung der nächsten Seminarstunde Hausaufgabe: Recherche zu Erfurter Wirtschaftsstruktur und zur bestehenden

Thüringer Regiogeld-Initiative

25.05.2011 Empirie 4 & Praktiker-Referat Vorstellung der Thüringer „Landmark“ • Referat von Andreas Urbanneck (Mitinitiator des Thüringer Regionalgelds

„Landmark“) über die Regionalgeld-Initiative (Konzept, Stand, Erfahrungen, etc.)• Fragen an und Diskussion mit dem Referenten• Planung der nächsten Seminarstunde• Hausaufgabe: Inhaltliche Vorbereitung auf Erfurt-spezifische Analyse

01.06.2011 Empirie 5 Analyse der sozioökonomischen Situation Erfurts sowie der Sinnfälligkeit & Umsetzbarkeit einer Regionalwährung

• Referate: Übersicht sowie Potential und Chancen einer Regionalwährung in Erfurt, Diskussion

• Planung der nächsten Seminarstunde• Hausaufgabe: Reflektion des erarbeiteten Kenntnisstandes für Positionsbesprechung

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 5

08.06.2011 Reflexion 1 Besprechung des Erreichten und generelle Planung Diskussion und Gruppenarbeit über folgende Fragen:

◦ Wie ist der Wissensstand über Regiogeld-Konzepte?◦ Sind Regiogeld-Initiativen sinnvoll (in Deutschland, und speziell in Erfurt)? ◦ Ist das Thüringer Konzept gut und ausbau- bzw. ausdehnungsfähig? ◦ Welche Möglichkeiten bestehen für das Seminar, sich hier praktisch einzubringen

oder eine alternative Regiogeld-Initiative in Erfurt aufzuziehen? Hausarbeit: Reflexion und Recherchen

15.06.2011 Planung 1 Konkrete Planung zum weiteren Vorgehen Diskussion der Optionen Welche weiteren Arbeitsschritte müssten in welchem Zeitrahmen vorgenommen

werden? Bildung von Arbeitsgruppen zu den einzelnen Optionen (u.A. zu Einstieg? Promo?

Netzwerke? Regiogeld-Erweiterung? Zielgruppen? Marketing? Gewinnung von Bank, Stadtverwaltung, etc.? Aktionen an der Uni? Broschüren? Vernetzung mit anderen Gruppen?)

Hausarbeit: Recherchen

22.06.2011 Planung 2 Arbeitsgruppen mit Feinplanung• Gruppenarbeit (Möglichkeit zum Wechsel von Gruppen)• Hausarbeit: Recherchen und Ausarbeitung der Gruppen-Präsentationen

29.06.2011 Planung 3 Präsentation Gruppenergebnisse und Diskussion Referate der Gruppen zu Arbeitsstand und vorläufigen Ergebnissen. Feedback an Gruppen Diskussion zu weiteren notwendigen Arbeitsschritten

06.07.2011 Reflexion 2 Rückschau, Bilanz und Ausblick• Rückblick auf das Erreichte, Bilanz und eventuelle Planung eines weiterführenden

StuFus für das nächste Semester• Zusammenstellung der Ergebnisse für Konzeptskizze• (eventuell) Hausaufgabe: bereits während der vorlesungsfreien Zeit Rekrutierung und

Einarbeitung einer „next generation“ für ein anschließendes StuFu im WS.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 6

1. Einleitung

Ökonomische Problemlösungen jenseits der herrschenden Lehre gewinnen seit der Finanzkrise wieder vermehrt an Popularität. Fragen nach alternativen Arten zu leben und zu wirtschaften erlangen aktuell immer mehr an Aufmerksamkeit. Regionalgelder als kreative Innovation sind ein Beispiel hierfür; als Theorie setzen sie nicht nur am sensibelsten Teil der Wirtschaftsordnung an, sondern können praktisch auch umgehend von privater Hand initiiert werden. Einige Regionalgeld-Initiativen haben im Laufe der letzten Jahre beachtliche Erfolge vorzuweisen. Sie stärken den Glauben an das noch unausgeschöpfte Potential und die Möglichkeit einer weitreichenden Verbreitung von Regionalgeldern.

Regionalgelder versprechen, die jeweilige Region und ihre ansässigen Produzenten bzw. Prosumenten zu stärken, indem sie regionale Kreisläufe fördern und stabilisieren. Ebenso kann ein Zuwachs an Unabhängigkeit von internationalen Warenströmen erreicht werden, was das Gebiet weniger anfällig gegenüber starker Störungen des globalen Handelssystems macht. Weiterhin liegen bei regionalen Wirtschaftskreisläufen zumeist genauere Informationen über das Produkt und die Umstände seiner Produktion vor, was die Konsumentensouveränität stärkt. Einen ökologischen Vorteil stellen die kurzen Transportwege dar. Nicht zuletzt erfüllen viele Regionalgelder eine soziale Funktion, indem sie lokale Gemeinschaften und Netzwerke fördern.

Eine Verallgemeinerung bzw. Garantie dieser positiven Effekte ist jedoch schwierig, da die Währungsräume von Regionalgeld-Initiativen unterschiedlich sind, das jeweilige sozioökonomische Umfeld individuelle Merkmale besitzt und ein buntes Spektrum von verschiedenen Regionalgeld-Konzepten angewendet wird. Eine Einzelfallbetrachtung ist sowohl bei der Analyse, als auch bei der Gründung einer eigenen Initiative notwendig. Es unterstreicht den experimentellen Charakter der Projekte und erklärt deren unterschiedliche Erfolgsaussichten. Dieser Reader befasst sich deshalb zunächst sehr allgemein mit dem Thema und anschließend mit einem konkreten Projekt, der Thüringer Landmark.

Der Aufbau des Readers

Der Reader setzt sich aus drei Teilen zusammen. Im ersten Teil werden Teile der Geldtheorie genauer beleuchtet. Anfangs wird die Frage nach dem Ursprung und der Geschichte des Geldes aufgeworfen sowie unterschiedliche theoretische Ansätze behandelt. Anschließend werden die Funktionen des Geldes und einzelne, insbesondere zinskritische Theorien näher betrachtet.

Der zweite Teil behandelt Komplementärwährungen, sowohl theoretisch (verschiedene Modelle und Typen) wie auch empirisch (exemplarische, real existierende Regionalgelder).

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 7

Nach einer Übersicht über bestehende Regionalgeld-Projekte werden die einzelne Systeme und ihre jeweilige Funktionsweise untersucht und verglichen. Sowohl eurogedeckte als auch leistungsgedeckte Systeme sowie Kombinationen hieraus werden behandelt. Auch weltweit bestehende unkonventionelle Lösungen werden präsentiert. Hierbei sollen Vor- und Nachteile der einzelnen Konzepte herausgestellt werden. Der zweite Teil endet mit einer Reflexion des bisher behandelten und stellt die Frage nach den generellen Pros und Contras von Regionalgeldern. Auf dieser Basis werden wir uns anschließend den entscheidenen Fragen nähern, ob Regionalgelder generell überhaupt die weithin unterstellten positven Effekte haben können und wenn ja, welche spezifische Konzepte für welche Regionen am sinnvollsten sind.

Der dritte Teil dokumentiert die Projektphase des Seminars. Hier wurde zuerst ausgelotet, welches weitere Vorgehen die Seminargruppe bevorzugt, und zwar indem Arbeitsgruppen gebildet wurdem um weiterführende Forschungs- und Projektideen zu evaluieren. In dieser Phase wurden auch Vertreter einer bereits bestehenden Thüringer Regionalgeld-Initiative hinzugezogen. Anstelle von eigenen Projekten entschied sich die Seminargruppe, eine konzentrierte Aktion zur Unterstützung der lokalen Initiative durchzuführen. Diese bestand zunächst in der Konzeptionalisierung eines lokalen Regionalgeld-basierten Rabattsystems und endete in der Planung und Durchführung eines Treffens zur Etablierung der bestehenden Thüringer Regionalgeldinitiative in einem ausgewählten Stadtteil Erfurts. Es sollten dabei Interessenten vernetzt und Impulse für eine eigenständige Weiterentwicklung der Initiative gesetzt werden. Diese Veranstaltung markierte den Schlusspunkt des Semesters.

Zuletzt folgt eine Bewertung des Treffens und des ganzen Seminars.

Dieser Überblick ist keine vollständige Dokumentation des Diskussions-, Forschungs- und Praxis-Verlaufs. Die Teilnehmer waren mit Literatur, Recherchen, Referaten und Organisation weit über den Rahmen eines normalen StuFu-Seminars hinaus ausgelastet. Der dargestellte Verlauf und die Ergebnisse des Seminars gewähren jedoch einen guten Einblick und können als eine Inspiration für weiterführende studentische Forschungsprojekte oder Regionalgeld-Initiativen dienen.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 8

2. Kritische Reflexion der Geldtheorie

2.1. Einleitung

Dieses Kapitel bearbeitet in Auszügen Theorien rund um die Geschichte und der Funktionen sowie "Dysfunktionen" des Geldes. So wird zuerst der Frage nachgegangen, auf welche Arten Geld eigentlich historisch entstanden sein könnte (und aktuell immer wieder entstehen kann) sowie welche Eigenschaften es besitzt. Außerdem sollen theoretische Grundlagen wie Geldmenge, Geldfunktionen, Geldtheoretische Schulden, etc. angesprochen werden. Anschließend werden zinskritische Theorien und empirische Evidenzen für ihre Relevanz näher betrachtet. Der Fokus auf diese Theorien leitet bereits zum Kapitel der Komplementärwährungen über, welche in der Mehrzahl zinskritisches Gedankengut enthalten bzw. so konstituiert sind, dass Zinsmechanismen ausgeschaltet oder verändert werden. Neben den kritischen Theorien werden stets Ansätze der herrschenden Lehre mitbegutachtet um eine einseitige Ausrichtung zu vermeiden und eine kritische Distanz auch bezüglich alternative Währungssysteme zu garantieren.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 9

2.2. Die Ursprünge des Geldesvon Anil Shah

In seinem Buch, der Mythos vom Geld – die Geschichte der Macht, stellt Autor Stephen Zarlenga die These auf, dass die Ausübung monetärer Macht, durch undurchsichtige oder gar falsche Theorien über das Wesen des Geldes, das Hauptmotiv gesellschaftlicher Auseinandersetzungen ist. Die wirklich wesentlichen gesellschaftlichen Fragen, wie wirtschaftliche Gerechtigkeit, Privilegien von Eliten usw., werden hinter den Kulissen, durch die Strukturen des monetären Systems entschieden.1

Haupthindernis in der heutigen Debatte um Geld, sei eine zunehmende Mystifizierung des Geldbegriffs, seit dem Mittelalter. Ökonomen, so Zarlenga, orientieren sich seither kaum noch an direkten Beobachtungen und legen zu viel Wert auf theoretisches Denken und logisches, nicht-moralisches Argumentieren, wobei vor allem eine historische Perspektive auf die Entwicklung von wirtschaftlichen Theorien und Strukturen verloren gegangen ist. Diese zunehmend theoretische Perspektive hat fatale Folgen für die Interpretation von Daten, die ausrangiert werden, sofern sie nicht den bevorzugten Theorien entsprechen. Die Funktion des Geldes wird zwar von Ökonomen erklärt, jedoch wird nicht mehr auf das Wesen des Geldes eingegangen.2

Die Notwendigkeit, sich mit dem Wesen des Geldes auseinander zu setzen ergibt sich daraus, dass Menschen mit einem anderen Bewusstsein über Geld und monetäre Strukturen in der heutigen Zeit Einfluss üben können auf die Struktur und Führung von Institutionen, die monetäre Beschlüsse treffen. Schließlich bestimmen diese Beschüsse in welcher Art und Weise Geld in der Gesellschaft zur Verfügung steht und bestimmt damit wesentliche Umstände unseres Lebens, wie den Grad der Beschäftigung, die Höhe der Einkommen und die Zinssätze, etc.

a. Ursprünge des Geldwesens

Die Ursprünge des systematischen monetären Systems können mangels gesicherter Erkenntnisse und verschiedener konkurrierender Theorien nicht eindeutig erklärt werden.

Im Wesentlichen bestehen drei Theorien:

Die erste, geht davon aus, dass der Ursprung des Geldes in der Wirtschaft liegt, da in premonetären Gesellschaften in denen Tauschhandel existiert, das Geld durch eine natürlich Entwicklung entstanden ist.

Ein bestimmtes Gut, mit einem hohen Stückwert, sowie der Eigenschaften der

1 Vgl. Zarlenga, Stephen (1998): Der Mythos vom Geld. Die Geschichte der Macht, S. 14.

2 Vgl. ebd., S. 15 – 17.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 10

Transportfähigkeit, Teilbarkeit und Beständigkeit, ist im Warentausch eine überlegene Ware und gewinnt demnach allgemeine Akzeptanz als Wertspeicher und Rechenmaß.3

Kritiker wenden ein, dass für eine solche Akzeptanz die Gesellschaft auf einer relativ hohen Entwicklungsstufe hätte sein müssen und die Unterscheidung von Privat- und Stammeseigentum anerkannt haben müsste. Außerdem würde mit dieser Theorie vielmehr die Entstehung des Metallgeldes erklärt werden, ohne Rücksicht zu nehmen auf den „Vorgänger“ des (Metall-)Geldes, das Vieh.

Die zweite Theorie, die von der Anthropologin A. H. Quiggin vertreten wird, geht davon aus, dass der Ursprung des Geldes in der Gesellschaft liegt. Tauschhandel sei demnach „nicht der einzige Faktor bei der Entstehung von Geld […],“4 da Gegenstände von großer Bedeutung nur selten im Tauschhandel auftauchen und einfache Gesellschaften die Unannehmlichkeiten des Tauschhandels nicht als Nachteil empfinden. Quiggin kommt zu dem Schluss, dass die „einem Geldersatz am nächsten kommenden Gegenstände ihre Funktion vermutlich durch ihre Verwendung bei innergemeinschaftlichen Zeremonien erhalten haben […].“5 Als Beispiele werden hier das Brautgeld oder Blutgeld, bei Verletzungs- und Todesfällen, genannt.

Auch Paul Einzig und Bernard Laum sprechen sich gegen die Theorie, der Entstehung des Geldes aus wirtschaftlichen Erwägungen oder gar Notwendigkeiten aus, da diese nicht leitend für primitive Gemeinschaften waren. Demgegenüber war „der Glaube an übernatürliche Kräfte und die Furcht vor diesen […]“6 maßgeblich prägend für diese Gesellschaften. Daher vermuten Einzig und Laum den Ursprung des Geldes in der Religion. Diese Theorie unterstützend wirkt der Fakt, dass die Entwicklung des Wirtschaftssystem stark von religiösen Faktoren beeinflusst wurde, da Tempel bereits im 2. Jahrtausend vor Christus mächtige Organisationen waren, zum Beispiel in Ägypten und Mesopotamien. Der Ursprung des Geldes kann nach Laums geschichtlichen Forschungen in seinem Buch Heiliges Geld, im religiösen Kult, der Opfergabe an Götter und Bezahlung an Priester, gesehen werden. Denn das Geld ist letztlich ein Geschöpf der Rechtsordnung und „das älteste Recht ist das Recht der Götter. Folglich ist auch das durch den sakralen Nomos geschaffene Geld ein Geschöpf der Rechtsordnung. Die Normen des sakralen Geldes sind in das profane Recht übernommen.“7

Die eindeutige Entstehung des Geldes, sofern es sie überhaupt gibt, lässt sich nicht bestimmen. Möglicherweise ist eine ineinander greifende Kombination der oben genannten Theorien ausschlaggebend gewesen.

3 Vgl. ebd., S. 19 – 20.

4 ebd., S. 21.

5 ebd., S. 21.

6 ebd., S. 21.

7 ebd., S. 22.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 11

Festgehalten werden kann jedoch, dass Ochsen & Kühe, von Irland bis zum Mittelmeer, teilweise sogar bis Afrika, als Geld verwendet wurden, da sie über lange Zeit einen relativ konstanten Wert hatten.

Zwischen 1500 und 1000 v. Chr. entwickelte sich dann, zunächst im östlichen Mittelmeerraum, das Geldsystem vom Viehstandard zum Goldgewichtstandard. Dabei kam den Tempeln, als Stätten des Handels und des Reichtums, eine wichtige Rolle zu.

Nun stellt sich die Frage, was den Wert von Gold bestimmt. Denn eine Kuh beziehungsweise ein Ochse hat einen konkreten Nutzwert für den Menschen, gibt Milch, Dünger, Leder und Fleisch. Im Gegensatz dazu hat Gold zunächst keinen relevanten Wert für den Menschen. Seit Adam Smith gehen Ökonomen davon aus, dass sich dieser Wert durch die Produktionskosten, Angebot und Nachfrage, wie Marktfaktoren bestimmen lässt. Zarlenga zweifelt diese Argumentation an und behauptet, viel wichtiger als die Frage nach dem Wert von Gold, ist die Frage danach, wer diesen Wert verleiht. Gold ist nämlich das erste Geldmittel des Menschen, „dessen Wert durch einen institutionellen Erlass verordnet und kontrolliert“8 wurde.

Bereits Aristoteles und Platon erkannten, dass Geld seinen Wert nicht aus der Natur bezieht, sondern durch den Nomos, das Gesetz, bestimmt wird. Daher hieß das Geld in der griechischen Antike „Nomisma“.9

Geld ist also eine Erfindung bzw. Erschaffung vom Menschen und der Gesellschaft und seinem Wesen nach keine Ware, sondern lediglich eine Schöpfung des Gesetzes. Den Wert erhält Geld, auch heute noch, einzig und allein durch die Akzeptanz der Gesellschaft, die per Gesetz verordnet ist. Wenn Menschen in einer Gemeinschaft neues Geld schaffen wollen, müssen sie sich lediglich auf ein gemeinsames z.B. Gut einigen, welches alle akzeptieren.

8 ebd., S. 27.

9 ebd., S. 34.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 12

2.3. Geldarten, Geldmenge und Geldfunktionenvon David Schneider

a. Historische Entwicklung

Zu Beginn der historischen Entwicklung wurde anstatt Geld das jeweilige Gut als Tauschmittel eingesetzt. Schafe wurden gegen Ziegen getauscht, Äxte mit Äpfeln abbezahlt oder Wasserlieferungen durch Mais beglichen. Mit der Zeit entstand eine Entwicklung in Richtung der Dematerialisierung. Von damals bis heute entstand in langen Phasen aus dem materiellen Geld über Papiergeld das immaterielle Geld.

a.a. Materielles Geld

Hier wurde wie oben beschrieben zuerst alles verwendet, was einen Wert hatte und sich tauschen ließ. Im Laufe der Zeit prägten sich vor allem das Schmuckgeld, welches, wie der Name beschreibt, aus Wertgegenständen wie Halsketten und Ähnlichem bestand, das Nutzgeld, wobei es sich um Nahrungs- und Genussmittel handelte, und das Metallgeld aus, wobei sich letzteres dank der Haltbarkeit, Beständigkeit und der Gleichartigkeit langfristig am besten durchsetzte. Als Folge daraus entstand die Münzprägung, welche meist durch ein staatliches Monopol verwaltet wurde. Dort wurden die unterschiedlichsten Metalle, meist jedoch Gold und Silber, zur Prägung verwendet. Es kam zu ersten Probleme wie Manipulation oder minderwertiger Prägung, was einen Realwertverlust der Münzen gegenüber dem Nominalwert bedeutet. Auch führten Doppelwährungen, welche auf der Grundlage von zwei Metallen geprägt wurden, bei Wertschwankungen dieser zu Problemen. Bis 1900 blieb vielerorts aber noch eine Bindung der Währung an Gold vorhanden (Goldstandard).

a.b. Papiergeld

Der Grundgedanke des Papiergeldes hatte seinen Anfang in Depotquittungen für hinterlegte Waren. Da es einfacher war mit solchen „Scheinen“ zu handeln als immer wieder die eigentliche Ware einzutauschen und transportieren zu müssen, fanden immer mehr Geschäfte auf der Grundlage solchen Papiergeldes statt.

Erst im 12 Jh. startete die eigentliche Papiergeldproduktion in Europa. Der Beruf des Lombarden, welcher als Bankier der damaligen Zeit auftrat, verbreitete sich zunehmend. Es wurden Banknoten eingeführt, welche sich nach dem 1. Weltkrieg weltweit durchsetzten. Gold blieb allerdings internationales Zahlungsmittel und Währungsreserve der Zentralbanken.

1944 kam es zum Abkommen von Bretton Woods, was die Gründung des internationalen

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 13

Währungsfonds beinhaltete und feste Wechselkurse sowie den US-Dollar als Leitwährung nach sich zog. Anfang 1970 ging man dann zu flexiblen Wechselkursen über.

a.c. Immaterielles Geld

Das immaterielle Geld gibt es seit dem 14. Jh., in dem sich der Mensch durch den Scheckverkehr teilweise den Handel erleichterte. Während der Renaissance kam es zu den ersten Überweisungen zwischen Konten von Kaufleuten. Der bargeldlose Zahlungsverkehr nahm dann ab 1600 immer mehr zu, bis hin zur Kreditkartennutzung noch vor dem II. Weltkrieg. In den letzten 40 Jahren entwickelt sich das Geldsystem stark in Richtung des elektronischen Geldes.

b. Geldtheoretische Schulen im Laufe der Zeit

Vorklassik, 17. und 18. Jh., Richard Cantillon, John Locke Klassik, 18. und 19. Jh., David Ricardo, John Stuart Mill Neoklassik, 19. und 20. Jh., Alfred Marshall, Irving Fisher Keynesianismus, 20. Jh., John M. Keynes Monetarismus, 20. Jh., Milton Friedman

Es wurden die unterschiedlichsten Theorien des Geldes entwickelt:

Geldmengentheorie

Angebots-und Nachfragetheorie

Zinstheorie

Theorie der Geldpolitik

und Andere

c. Geldinnovation und Entwicklungstendenzen

Das Besondere an Geldinnovationen ist, dass alte Erscheinungsformen meist neben den Neuerungen bestehen bleiben. Aktuelle Innovationen mit Blick auf die USA:

1. Verkleinerung der Bargeldhaltung2. Verzinsung der Transaktionskasse3. Verringerung der Umtauschkosten von Finanzaktiven in Transaktionskasse4. Risikotransfer; z.B. Bonitätsrisiko

Aktuelle Tendenzen sind dabei:

1. Globalisierung

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 14

2. Handelbare Rechte für Schuldverhältnisse (Securitization)3. Transaktionen über geeignete Marktkontrakte (Marketization)4. Konzentration auf institutionelle Großanlegertransaktionen (Institutionalization)5. Bedeutungsverlust von Intermediären/Vermittler (Desintermediation)6. Nutzen und Kosten des Geldes

Als Nutzenarten sind Grenznutzen und Zusatznutzen zu nennen. Die Kosten bestehen aus Fixkosten und Grenzkosten der Transaktion. Als Beispiel veranschaulicht am elektronischen Geld: Der Zusatznutzen ist hier die schnelle Überweisung. Es bestehen hohe Fixkosten aber die Kostendegression ist sehr intensiv.

d. Funktionen des Geldes

Die drei wesentlichen Funktionen des Geldes sind die Transaktions-, die Wertaufbewahrungs- und die Recheneinheitsfunkton.

e. Geldmengen

Die folgende Übersicht zeigt die vorhandenen Geldmengen der EZB und die Zugehörigkeit der einzelnen Posten.

e.a. Geldmengenkonzept der EZB

M1 M2 M3

Bargeldumlauf x x x

Täglich fällige Einlagen x x x

Einlagen mit vereinbarter Laufzeit von bis zu 2 Jahren x x

Einlagen mit vereinbarter Kündigungsfrist von bis zu 3 Monaten x x

Repogeschäfte x

Geldmarktfonds und Geldmarktpapiere x

Schuldverschreibungen bis zu 2 Jahre x

Es werden 3 Geldmengen unterschieden. Die Fragestellung nach welcher die Einteilung in diese 3 Geldmengen erfolgt ist: Wie viel nachfrageaktivierbares Bargeld und Guthaben der Nichtbanken (z.B. der Haushalte) bei den Banken ist vorhanden?

Am schnellsten verfügbar ist die kleinste Geldmenge M1, wie Bargeldumlauf und die täglich fälligen Einlagen. Letzteres sind z.B. Girokontoguthaben der Haushalte auf Banken.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 15

Die Geldmenge M2 ist schon breiter gefasst und beinhaltet neben der Geldmenge M1 außerdem noch Einlagen mit einer vereinbarten Laufzeit von bis zu 2 Jahren und Einlagen mit einer vereinbarten Kündigungsfrist von bis zu 3 Monaten.

Unter der Geldmenge M3 kommen zusätzlichen zu den Posten der Geldmengen M1 und M2 noch Repogeschäfte (Pensionsgeschäfte bei denen während der Laufzeit das Eigentumsrecht des Verkäufers auf den Käufer übergeht), Geldmarktfonds und Geldmarktpapiere, sowie Schuldverschreibungen bis zu 2 Jahren Laufzeit hinzu.

e.b. Grundlagen der Geldmengenstatistik der EZB

Zu den Grundlagen gehört die Unterteilung der monetären finanziellen Institutionen (MFIs):

• Geld- und Kreditschaffende Institutionen

• EZB und nationale Zentralbanken

• Geschäftsbanken

• Sonstige gebietsansässige Finanzinstitute (Versicherungen, Bausparkassen, Geldmarktfonds, etc)

• Geldhaltender Sektor

• Nichtbanken

• Teile des StaatssektorsAußerdem zu nennen ist die konsolidierte Bilanz des Eurosystems. Hierbei handelt es sich um eine Bilanz der EZB und der nationalen Zentralbanken, in welcher in erster Linie Liquiditätszuführung und –abschöpfung gelistet werden. Hierbei treten nur die finanziellen Außenverflechtungen in Erscheinung.

In der konsolidierten Bilanz der übrigen MFIs ohne das Eurosystem werden im Gegenzug Verbindlichkeiten und Forderungen zwischen den MFIs und den Nicht-MFIs innerhalb und außerhalb des Euro-Währungsraumes erfasst.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 16

2.4. „Geld frisst Welt“: Zinskritische Ansätzevon Sebastian Weidner

a. Einführung: Zinsbasierte Währungssysteme

„Die größte Erfindung des menschlichen Geistes? - Die Zinseszinsen!“10 Dieses Zitat von Albert Einstein zeigt worum es bei der Thematik des Zinses und dessen Auswirkungen auf das Währungs- und Wirtschaftssystem geht. Es handelt sich um eine Erfindung. Von Menschen geschaffen. Um Klarheit in dieses Konstrukt zu bringen, muss jedoch zuvor geklärt werden, wie Geld in diesem System entsteht und was der Zins beziehungsweise der Zinseszins damit zu tun hat.

Bei der Erklärung des Geldschöpfungsvorgangs kommt den Privat- und Geschäftsbanken eine besondere Rolle zu. Denn traditionell verwalten diese die Einlagen ihrer Kunden indem sie davon Kredite an Dritte vergeben. Hierbei wird vom Kreditnehmer erwartet, dass er die geliehene Geldmenge und die über den Zeitraum der Inanspruchnahme fälligen Zinsen zurückzahlt. Die Banken schaffen also Geld durch den ständigen Kreislauf von Kreditvergabe und deren Tilgung plus Zinsen. In gleichem Maße wie Geldvermögen müssen so auch die zukünftigen Zahlungsversprechen der Kreditnehmer, also die Schulden, steigen11. Hierbei nennt man die Zinsen, welche auf der einen Seite in die Schuldengröße, aber auch in die Geldvermögen, eingehen, kapitalisierte Zinsen. Deren erneute Verzinsung in Form von Anlagen oder Krediten nennt man Zinseszins. So entstehen Systembedingt große Mengen an Vermögen, aber auch an Schulden, welche parallel und exponentiell wachsen12. All dies ist Abhängig davon wie sich das Zinsniveau darstellt. So ist die von John Maynard Keynes beschriebene Liquiditätsprämie, welche jedem Gut inne wohnt und den immateriellen Wert der Verfügung über das Gut beschreibt, für Geld etwa die magische Grenze von 2-3%. Fällt das Zinsniveau unter die Grenze so droht eine Deflation und vielleicht auch Rezession, da niemand bereit ist, Geld zu verleihen.13 Im Folgenden sollen nun die, für die Autoren eindeutigen, Konsequenzen des geschilderten Systems aufgezeigt werden.

b. Folgen für das Wirtschaftssystem

b.a. Konkurrenzbildung

Bernard Lietaer verweist auf die Bildung von Konkurrenz durch das Zinssystem. So wird von den Kreditnehmern erwartet, dass sie die geliehene Geldmenge plus Zinsen zurückzahlen. 10 Albert Einstein

11 Helmut Creutz nennt dies „die monetäre Teufelsspirale“

12 Exponentielles Wachstum siehe 2.2

13 Plettenbacher S. 14

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 17

Doch woher stammen diese Zinsen? Die Bank hat sie nicht geschaffen, verlangt sie jedoch von ihren Schuldnern. Um diesen Sachverhalt zu verdeutlichen nutzt Lietaer eine Parabel. Die Geschichte der 11ten Runde beschreibt eine Gesellschaft ohne Geld. Bis ein Fremder kommt und ihnen durch die Möglichkeit mit Kuhfellen zu handeln, scheinbar eine Erleichterung des vorher mühsamen Transports von Gütern aufzeigt. Jedoch fordert er von den 10 Familien, welche zu der Gesellschaft gehören und je 10 Kuhfelle erhalten haben, nach einem Jahr jeweils 10%, also das 11te Kuhfell, als Zins für seine Bemühungen. Genau wie im modernen Bankwesen wird so zur Konkurrenz gedrängt. Der Zins, den die Bank nicht erschafft, und das 11te Kuhfell, welches der Fremde nicht erstellt, müssen aus der Interaktion mit Dritten entstehen und diese Interaktion muss gewinnbringend sein.14

b.b. Exkurs: Das exponentielle Wachstum

Plettenbacher beschreibt das exponentielle Wachstum als widernatürlich15. Also nicht dem nachhaltigen Wachstum der Natur entsprechend, welches logarithmisch verläuft und sich so Anfangs stark und am Ende schwächer entwickelt. Das exponentielle Wachstum lässt sich wie in der Einführung erwähnt auch bei dem Zinseszinseffekt erkennen.

16 Aus der Formel ist zu erkennen, dass sich das Wachstum des eingesetzten Kapitals 0K nicht linear verhält, sondern exponentiell verläuft. Das führt dazu, dass sich ein Betrag nach 72/p, wobei p den Zinssatz in Prozent symbolisiert, verdoppelt. Durch diesen Sachverhalt wachsen Geldvermögen und Schulden immer weiter exponentiell, sofern keine anderen Effekt dagegen arbeiten. Tückisch hierbei ist, dass das Wachstum „anfangs kaum wahrnehmbar ist und dann förmlich explodiert“17.

b.c. Staatsverschuldung

Die starke Staatsverschuldung, unter der nicht nur Deutschland sondern eine Mehrzahl der Staaten weltweit leiden, ist laut Plettenbacher eine der Konsequenzen des Zinseszinseffekts. Die Verknüpfung wird deutlich, bedenkt man: „wenn das Kapitalangebot aus privaten Ersparnissen steigt, gleichzeitig die Kapitalnachfrage der Unternehmen gering bleibt, muss der Staat das am Markt entstehende Kapitalüberangebot aufnehmen, weil anderenfalls eine deflationäre Wirtschaftsentwicklung einsetzen würde“18. So wird deutlich, dass zum Einen die oben erwähnte „Liquiditätsprämie“ oder „magische Grenze“ ein Grund für Staaten ist Schulden zu machen, zum Anderen aber das exponentielle Wachstum der Schulden mit dafür verantwortlich ist, das so hohe Staatsverschuldungen erreicht werden. Dieses hat zur Folge,

14 Vgl. Lietaer

15 Plettenbacher S.14

16 http://de.wikipedia.org/wiki/Zinseszins

17 Plettenbacher S. 18

18 Prof. Rüdiger Pohl, Die Zeit 11.12.1987 aus Plettenbacher

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 18

dass Neuverschuldung zur Zinstilgung herangezogen wird und so keine Investitionen getätigt werden können. Plettenbacher beschreibt diesen Vorgang als „extrem unsozial“, denn: „Der Staat leiht sich Geld von reichen Bürgern. Die Zinsen werden aber über Steuern von allen Bürgern finanziert.“19

b.d. Umverteilung

Wie im Punkt 2.3 schon erwähnt führt der Zinseszinseffekt für Lietaer und Plettenbacher zu „extrem unsozialen“ Ausprägungen. Die Umverteilung von Vermögen ist hierbei wohl eine der deutlichsten Folgen. Lietaer beschreibt den Zins als einen Prozess, welcher Geld von Menschen, die nicht genügend haben, zu Menschen, die mehr Geld haben als sie brauchen, transferiert20. Jedoch ist dieser Effekt nicht nur bei der direkten Kreditvergabe, sondern auch bei jeglichem Konsum zu beobachten. Denn Firmen, von denen man Güter kauft, preisen ihre Kapitalkosten21 in die Güterpreise ein. Somit schätzt Plettenbacher, dass inklusive der Steuern, welche ja teilweise zu Staatsschuldentilgung oder -bedienung verwendet werden, 30-40% jedes Preises dem Zinsanteil entsprechen und somit zu Umverteilung beitragen22. Diese ungleiche Verteilung von Zinseinkünften und Zinsbelastungen sowie die oben angesprochenen Eigenschaften des exponentiellen Wachstums der Geldvermögen und Schulden führen dazu, dass die so genannte „Schere zwischen Arm und Reich“ immer weiter aufgeht.

b.e. Wachstumszwang

Des Weiteren erzeugt der Wachstumszwang der Vermögen auch einen Zwang zum allgemeinen Wirtschaftswachstum. Dies wird deutlich wenn man bedenkt, dass „der Zinsanteil an der Volkswirtschaft (...) durch die exponentielle Kapitalverzinsung ständig [steigt], womit der Anteil, der den Produktivkräften [Arbeitern und Unternehmern] zufällt, immer kleiner wird. Der arbeitende Bevölkerungsanteil würde ohne Wirtschaftswachstum innerhalb kürzester Zeit verarmen.“23 So ist ein Wirtschaftswachstum in diesem System nötig, um es am leben zu halten. Auch sollten hierbei die gravierenden Umweltschäden, auf welche Plettenbacher verweist, nicht vergessen werden. Der Wachstumszwang der Vermögen zwingt die Wirtschaft zu wachsen, wobei diese die Lebengrundlage des Planeten und der Wesen, die auf ihm leben, zerstört. Lietaer verweist diesbezüglich auf die Entstehungszeit unseres monetären Systems. Damals existierte ein anderer Bezug zu natürlichen Ressourcen, da die Endlichkeit dieser nicht so offensichtlich war und deshalb unendliches Wachstum möglich

19 Plettenbacher S. 20

20 Lietaer

21 Kosten für die Kreditaufnahme

22 Vgl. Plettenbacher S. 24

23 Günter Hannich in Plettenbacher

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 19

schien24.

b.f. Ausrichtung auf Finanzwirtschaft

Das oben beschriebene „wuchernde Geldvermögen“ bringt auch Auswirkungen auf die Finanzwirtschaft mit sich. Denn Spekulationsblasen und Finanzmarktkrisen fallen umso stärker in das Gewicht wenn man sich vor Augen führt, dass 2007 der Anteil der internationalen Finanztransaktionen 99% des internationalen Welthandels ausmachte. Hierzu beschreibt Plettenbacher, dass die Ausrichtung vieler Unternehmen auf kurzfristige Gewinnerzielung, um somit ihren Aktienkurs und damit ihre Bonität zu verbessern, auch davon geleitet ist, dass Entscheidungsträger persönliche Gewinne verbuchen können. Denn diese werden oftmals mit Aktien entlohnt. Des Weiteren ist hier zu beachten, dass “um die Dividendenwünsche der zu befriedigen, (…).sogar die Substanz angegriffen“25 wird und dies dazu führt, dass ArbeitnehmerInnen entlassen werden.

b.g. Auswirkungen auf Realwirtschaft

All diese oben genannten Probleme sind untereinander verstrickt und führen zu einer Vielzahl von Konsequenzen für die Realwirtschaft und damit für die wirtschaftliche Existenz vieler Menschen. So führen die oft viel höheren Gewinnerwartungen an den Finanzmärkten dazu, dass es schwieriger wird als Unternehmen an Kapital heranzukommen.26 Des Weiteren führt die oben genannte Konkurrenzbildung sowie die Möglichkeit durch Anhäufung von Kapital Marktmacht zu erhalten dazu, dass es vermehrt zu Monopolen kommt. Diese sind besonders im Bereich der natürlichen Monopole, welche früher durch den Staat verwaltet wurden, nun aber vermehrt, wegen dem Versuch der Tilgung der Staatsschulden, in privaten Händen sind, problematisch. Da hier der Konsument in direkter Abhängigkeit des Produzenten steht und letztlich der Staat um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten häufig einspringen muss27.

Die Gesetzgebung, also das Mittel der Politik um in die Marktprozesse einzugreifen, verstärkt die Effekte des Zinseszinses noch weiter, denn kapitalintensive Produktion wird in vielen Staaten geringer besteuert als arbeitsintensive. So ist es für einen Unternehmer umso gewinnbringender Menschen zu entlassen, und dafür teure Maschinen zu kaufen.28 Schließlich weist Plettenbacher darauf hin, dass durch die oben geschilderten Entwicklungen eine Art „systematische Benachteiligung“ des Mittelstands und der Mittelschicht entstehen, welche letztlich die „Schere zwischen Arm und Reich“ weiter spreizen.29

24 Vgl. Lietaer

25 Plettenbacher S. 34

26 Vgl. Plettenbacher S. 36

27 Vgl. Plettenbacher S. 38

28 Vgl. Plettenbacher S. 40

29 Vgl. Plettenbacher S. 42

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 20

c. Fazit: Der Fluch des Geldes?

Letztlich verweist Plettenbacher auf den „Fluch des Geldes“. Hierbei zeigt er den Verlauf früherer zinsbasierter Wirtschaftssysteme (wie dem römischen Reich) auf, deren Kulturen auf dem „Höhepunkt“ ein großes Gefälle in der Gesellschaft bezüglich der Vermögensverteilung aufwiesen - auf welche dann ein Abschwung oder Zusammenbruch folgte. Hiermit mahnt er uns, aus der Geschichte zu lernen.

Wichtig bei der Betrachtung dieses Problems unseres Geldsystems ist für mich letztlich, nicht dem Zins alleine die Schuld an den von Plettenbacher und Lietaer aufgezeigten Folgen zu geben. Meines Ermessens hat die Politik zumindest theoretisch die Fähigkeit in die Marktprozesse steuernd einzugreifen, um so dem Zinseszinseffekt entgegen zu wirken. Auch kann von "Unten" gegengesteuert werden, z.B. durch regionale Projekte in der Tradition Gesells, die oben beschriebenen Wirkungen verringert werden. Denn sogar John Maynard Keynes war der Ansicht: “Der hinter dem gestempelten Geld liegende Gedanke ist gesund. Es ist in der Tat möglich, daß Mittel gefunden werden könnten, um ihn in bescheidenem Rahmen in der Wirklichkeit anzuwenden“30

d. Literaturverzeichnis

• Plettenbacher, Tobias: Neues Geld – Neue Welt. Die drohende Wirtschaftskrise – Ursachen und Auswege. Wien 2008 (PlanetVerlag)

• Lietaer, Bernard: What are the three main effects of interest-based currencies? http://www.lietaer.com/2010/09/effects-of-interest-based-currencies/

• Keynes, John Maynard: Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes., Berlin 1994 (Duncker & Humblot)

• http://de.wikipedia.org/wiki/Zinseszins (abgerufen am 17.06.2011)

30 Keynes 289f.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 21

2.5. Empirische Evidenzen für Liquiditätsmangelvon David Schneider

Bei der Konzeption von Regionalgeldsystem wird meist eine Umlaufgebühr berücksichtigt. Viele der derzeitig existierenden Regiogelder besitzen auch schon eine solche Gebühr. Diese soll die Umlaufgeschwindigkeit des jeweiligen Geldes erhöhen, durch einen auferlegten automatischen Wertverfall. Hintergrund ist: Viele Regiogeldbeführworter gehen diesbezüglich von einer relativ hohen Geldhortung des Euros und der damit verbundenen Geldumlaufstockung aus. Allerdings scheiden sich hier die Geister, da durch Inflation rein rational betrachtet eine Geldhortung eines Individuums eher zu dessen Nachteil ausfällt. Unter diesem Aspekt haben wir uns den Monatsbericht der Deutschen Bundesbank vom Juni 2009 etwas näher angesehen. Dieser beinhaltet empirische Daten des deutschen Banknotenumlaufs der letzten Jahre. Im Bezug auf den Banknotenumlauf ist es aber auch wichtig über die Bestimmungsfaktoren der Bargeldnachfrage nachzudenken.

Hier sind drei wichtige Faktoren zu nennen: Das Transaktionsmotiv, die Auslandsnachfrage (außerhalb des Eurogebietes) und die Wertaufbewahrung/Hortung. Alle drei Werte sind spekulativ. Bei dem Transaktionsmotiv kommt man, auf Grund von Umfragen über die sich verändernden Bestände von Geldausgabeautomaten und den Branchenumsätzen von

Unternehmen, auf einen geschätzten Anteil von 10% der Bargeldnachfrage. Die Auslandsnachfrage wurde auf einen 30% Anteil geschätzt. Hintergrund waren hier die Nettoauszahlungen aus Deutschland in Länder außerhalb des Euro-Raumes sowie nicht erfassbare Daten, wie die Bargeldzahlungen durch Touristen oder Geldsendungen von hier arbeitenden Imigranten an ihre Heimatländer. Einen Einfluss haben hier vor allem Geldhortungen im Ausland wo Euro als Reservewährung zurückgelegt wird.

Grafik: Besonders hohe Nettoauszahlungen der hohen Stückelungen im Oktober 2008 (Quelle: comdirect)

Der Restwert von 60% der Bargeldnachfrage entfällt demnach auf Kassenhaltung aus dem Hortungsmotiv. Zwar ist dieser Wert nicht exakt aber selbst bei relativ hohen Abweichungen immer noch sehr hoch. Und zusammen mit der Auslandsnachfrage, bei welcher es auch zu einem Geldentzug aus dem Wirtschaftsverkehr der Eurozone kommt, ergibt sich der

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 22

Hauptanteil von ca. 90% der Bargeldnachfrage.

Der Monatsbericht der Deutschen Bundesbank vom Juni 2009 zeigt hierzu empirische Daten auf. Somit kam es während der Euroeinführung zu einem besonders starken Anstieg des

Banknotenumlaufs in Deutsch-land, was auf eine Auflösung der DM-Hortung schließen lässt. Nach 2003 wurden langsam wieder mehr hohe Stückelungen (200€ und 500€ Scheine) des Euros verzeichnet. Anscheinend wurden nun wieder Geldscheine gehortet, was durch das besonders niedrige Zins- und Inflationsniveau noch angetrie-ben wurde.

Desweiteren kam es besonders in Krisenzeiten zu hohen Nettoauszahlungen von hohen Stückelungen. Dies zeigt sehr deutlich der Vergleich von Bargeldumlauf und Dax im Oktober 2008. Auf dem deutschen Aktienmarkte kam es zu einem Verlust der von rund 15% innerhalb einer Woche. Der Bargeldumlauf stieg in dieser Zeit erheblich an. Auch flossen

Grafik: Euro-Banknotenumlauf (Quelle: Bundesbank)

die Euro nur langsam wieder zurück. Bis Ende 2009 blieb der Euro-Banknotenumlauf auf einem hohem Niveau bis er dann Ende 2009 wieder seinen Vorkrisenwert erreichte.

Die Gründe für die erhöhte Bargeldnachfrage liegen voraussichtlich in den Höhepunkten der Finanzkrise, wie der Lehmann Brothers Pleite im September 2008 oder dem angehenden Staatsbankrott Islands im Oktober 2008. Die Banken wurden zunehmend als unsicher eingestuft und der Vertrauensverlust scheint somit eine Flucht ins Bargeld hervorgerufen zu haben.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 23

Vor allem die Reaktion des Bargeldumlaufs lassen stark vermuten, dass eine beachtliche Menge an Bargeld gehortet wird. Leider gerade zu Krisenzeiten, wo eigentlich dringend Geld

benötigt wird, kommt es anscheinend zu einem Bargeldentzug. Dies dürfte die Befürworter von Regiogeld mit einer Umlaufgebühr in ihren Behauptungen unter-stützen, dass Bargeld-hortung ein vorhandenes nicht zu unterschätzendes Problem sei.

Grafik: Flucht in Bargeld im Oktober 2008 (Quelle: Bundesbank)

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 24

2.6. „Neues Geld – Neue Welt“: Theoretische Lösungsansätzevon Martin Ritter

Es wäre sicherlich falsch, alles Übel der Welt dem ungelösten Geldproblem anzulasten. Jedoch ist auch richtig, dass zahlreiche Probleme gelöst oder abgemildert werden könnten, wenn es gelänge es zu lösen. Lösungsansätze gibt es viele und Gedanken macht man sich bereits seit fast 100 Jahren. Nach Plettenbacher wäre die optimale Lösung ein zins- und inflationsfreies Geld („neutrales Geld“), dass weder Umverteilung noch Wachstum erzeugt. Der Zins soll nicht abgeschafft werden, aber nahe um null Prozent pendeln.31 Wie schon beschrieben, bleibt jedoch die Frage: Was kann jetzt getan werden und was ist überhaupt umsetzbar? Daher sollen hier einige Gedanken und Konzepte kürz vorgestellt werden32:

a. Tobin-Steuer

Heutzutage sind etwa 99% der Transaktion spekulativ, d.h. alltägliche Geschäfte, wie wir sie wahrnehmen, machen nur einen sehr kleinen Teil der Transaktionen aus. Leider führen spekulative Transaktionen zu Krisen, wie beispielsweise die Südostasienkrise. Diese Transaktionen einzudämmen ist das Ziel der Tobin-Steuer. Sie ist eine geringe Umsatzsteuer von 0,05 bis 1 % auf Geldgeschäfte. Bis zu 50% der Spekulationen könnten so verhindert werden, da es sich nun nicht mehr lohnen würde zu spekulieren. Als Nebeneffekt würden Steuergewinne anfallen, die beispielsweise zur Armutsbekämpfung eingesetzt werden könnten. Probleme dieser Steuer liegen darin, dass diese von den Staaten umgesetzt werden müssten. Jedoch verstecken sich diese hinter dem Argument, dass dies weltweit geschehen müsse und daher, obwohl man von der Tobin Steuer überzeugt sei, dies leider im Moment nicht möglich wäre. Festzuhalten bleibt, dass es sich bei der Tobin-Steuer um eine reine Symptombehandlung handelt und das eigentliche Problem der wuchernden Geldvermögen nicht angegangen wird.33

b. Transaktionsnetzwerke

Die Netzwerkforschung kommt zum Ergebnis, dass sich Geld immer in den Händen einer kleinen Minderheit wiederfindet. Ursachen hierfür sind spekulative Investitionen. Dieses Ergebnis belegt ein Experiment, welches die Forscher durchführten. Netzwerke hunderter von virtuellen Personen bekamen die gleiche Menge Geld ohne das sich ihre Eigenschaften voneinander unterschieden. Es gab die Möglichkeit der Alltagstransaktion und der Spekulation, aber mit der Einschränkung, dass nur mit einem gewissen Kapital spekuliert

31 Vgl. Plettenbacher, Tobias. (2008): Neues Geld – Neue Welt: Theoretische Lösungsansätze. S. 46

32 Zur besseren und anschaulichen Erläuterung des Problems, soll auf dem Film "money as debt" hingewiesen werden (youtube).

33 Vgl. Plettenbacher, Tobias. (2008): Neues Geld – Neue Welt: Theoretische Lösungsansätze. S. 48-49.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 25

werden konnte. Das Geld sammelte sich daraufhin immer wieder bei einer geringen Anzahl Personen an, obwohl Gewinne und Verluste per Zufall verteilt wurden. Daraus schließen die Forscher, dass Ungleichheiten im Geldsystem bereits eingebaut sind. Ihr Lösungsvorschlag beruht auf der Beobachtung, dass alles was Spekulationen erschwert Ungleichheiten abbaut. Daher sprechen sie sich für hohe Steuern aus, sofern der Staat diese umverteilt. So sollen sehr hohe Vermögens- und Kapitalertragssteuern mit hohen Freibeträgen eingeführt werden. 90% der Bevölkerung wären so nicht betroffen. Es ist festzuhalten, dass dieses Konzept nichts am eigentlichen Problem löst, d.h. nicht das exponentielle Wachstum von Vermögen und Schulden durch positive Zinsen beeinflusst. Im besten Falle ist also nur eine Linderung zu erwarten, aber keine Lösung. Zudem entwickelt sich die Steuerpolitik in die entgegengesetze Richtung und es bleibt daher fraglich ob diese Idee langfristig politisch umsetzbar ist.34

c. Freigeld

Silvio Gesell’s Idee ist ein Geldsystem ohne Zins, sogenanntes Freigeld. Das System heißt nach ihm Freiwirtschaft (anstatt Kapitalismus). Seine Grundüberlegung ist, dass alles in der freien Wirtschaft an Wert verliert. So verhungert der Arbeitnehmer, wenn er seine Arbeitskraft nicht nutzt und der Besitzer einer Ware muss aufpassen, dass ihm diese nicht verdirbt. Einzig der Geldbesitzer kann warten bis er investiert. Unternehmer und Arbeiter müssen diesen animieren sein Geld zu investieren und zahlen ihm deshalb einen Zins. Sobald der Zins unter 2-3% fällt „streikt“ das Geld und zieht sich aus dem Kreislauf zurück (Deflation). Daher ist der Geldbesitzer in der komfortablen Situation Zins erpressen zu können. Dies möchte Gesell verhindern, indem Geld rostet. Dies wird durch eine Strafgebühr für Geldhalten umgesetzt. Wer Geld hält muss monatliche Wertmarken kaufen, damit sein Geld nicht an Wert verliert (hoher Aufwand). Der Geldbesitzer wird nun sein Geld zinslos verleihen, um der Strafgebühr zu entgehen. Folgen wären sicher, dass die Notenbank nicht mehr gezwungen wäre die Geldmenge aufzublähen (Inflation). Zudem würde das Geld schneller und krisenfreier umlaufen.35 Helmut Creutz entwickelt Gesell’s Ideen weiter und hält einen Negativzins von 6-8% für ausreichend (Gesell 12%). Auf Girokonten wäre dies sofort umsetzbar. Damit ein Sparen möglich ist gibt es längerfristige Sparkonten, die vom Negativzins befreit sind. Zudem gibt es eine Transfergebühr zwischen den Konten, damit der Negativzins nicht umgangen werden kann. Er schlägt des Weiteren vor eine Lotterie einzuführen, die monatlich einzelne Scheinserien für ungültig erklärt, die dann gegen eine Gebühr umgetauscht werden müssen. Dies soll Gesells recht aufwendiges Markensystem ersetzen. Freigeld ist als Theorie bisher weder wiederlegt worden noch in der Praxis in einem größeren Rahmen getestet worden. Leider gilt auch für Freigeld, dass es politisch wohl kaum umsetzbar ist. Die einzige Möglichkeit sieht Plettenbacher nach einem völligem Zusammenbruch des jetzigen Systems.36 34 Vgl. a.a.O. S. 50-51.

35 Vgl. a.a.O. S. 52-53.

36 Vgl. a.a.O. S. 54-55.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 26

d. Das Buchungsgeld Bancor

John Maynard Keynes viel auf der Bretton Woods Konferenz 1944 mit dem Vorschlag auf das virtuelle internationale Buchungsgeld Bancor einzuführen. Jedes Mitgliedsland verfügt bei der „International Clearing Union“ (ICU) über ein Konto. Der Kontostand orientiert sich an der Handelsbilanz. Durch diesen Trick kann keine Geldschöpfung durch die ICU stattfinden. Um Ungleichgewichte auszugleichen (Ausgleichen der Handelsbilanzen) würden Schulden wie Guthaben mit Strafzinsen belastet (1-2%). Dies würde dazu führen, dass Guthaben als zinslose bzw. günstige Kredite an verschuldete Staaten gegeben werden können, ohne der Weltwirtschaft Kaufkraft zu entziehen. Eine positive Auswirkung wäre das Kapitalflucht so unterbunden werden könnte. Auch heute wird diese Idee von Ökonomen wie beispielsweise Josef Stiglitz, Hans-Jürgen Klausner und Bernard Litaer wieder aufgegriffen. Wie beschrieben ist Bancor ein Konzept für die internationale Ebene und erweist sich aus diesem Grund in der Umsetzung als schwierig.37

e. Vollgeld

In dem Konzept von Josef Huber wird den Banken die Möglichkeit der Geldschöpfung entzogen (bisher 10% Mindestrücklage). Das Geld wird zu 100% der Notenbank übergeben. Der Geldbesitzer muss für sein Vermögen Zinsen an die Notenbanken zahlen, was einer Umlaufsicherung entspricht. Die Notenbank kann Kredite an Bürger in Form von zinsfreien Darlehen ausgeben (Grundeinkommen). Huber erhofft sich durch das Vollgeldkonzept ein tieferes Zins- und ein höheres Investitions- und Beschäftigungsniveau. Der Zahlungsverkehr wird durch Kontoführungsgebühren an den Kunden weitergegeben. Die Geldmenge kann nun leicht von der Notenbank durch Steuern reguliert werden. Natürlich gibt es auch hier Nachteile. Die Macht der Notenbank wird erheblich gestärkt, da sozialstaatliche Aufgaben mit der Notenbank vermischt werden. Zudem kommt dieses Konzept einer Entmachtung der Geschäftsbanken gleich, was es schwer umsetzbar macht. Plettenbacher spricht zudem von schwer absehbaren Auswirkungen auf die er jedoch nicht näher eingeht.38

f. Regionalgeld

Komplementäre Währungen werden von Bernard Lietaer und Margrit Kennedy als nützliche Werkzeuge für die Förderung sozialer Bereiche (Altenpflege, Umweltschutz, Bildung) gesehen. Regionalgelder sind komplementäre Währungen die auf die Bedürfnisse einer Region zugeschnitten sind. Ihr Ziel ist die Region wirtschaftlich zu stärken, indem Arbeitsplätze, Unternehmen etc. in der Region gehalten werden. Regionalwährungen sollen dabei parallel zum Euro laufen. Ihre Fähigkeit regional Geld zu schöpfen steht dabei im Mittelpunkt. Die Stärke des Systems ist seine Vielfalt, es gibt viele Variationen von Barterringen und Regiogeldern. Vorteile dieses Geldes sind weiterhin, dass regionale

37 Vgl. a.a.O. S. 56-57.

38 Vgl. a.a.O. S. 58-59.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 27

Produktionsketten gestärkt werden und auch vor Ort konsumiert werden, was im Durchschnitt zu einer Verkürzung der Transportwege führen dürfte. Zudem wird die Wirkung von Weltwirtschaftskrisen in der Region abgedämpft. Zusätzlich werden regional ungenutzte oft blockierte Ressourcen wieder zugänglich.39

g. Geldökologie

Das Konzept der Geldökologie verbindet verschiedene Geldkonzepte, um das System im Ganzen stabiler zu gestalten. Es gibt eine internationale Währung (Bancor), eine nationale Währung (Vollgeld), regionale Währungen (Regiogeld) und spezielle Währung für Sparzwecke. Die Idee die dahintersteckt ist, dass Geld mehreren Funktionen auf mehreren Ebenen erfüllen muss. Sie muss eine Tauchmittel-, Wertmassstab- und Wertspeicherungsfunktion haben. Der Ansatz ist an sich als positiv zu bewerten. Allerdings ist es auch äußerst unrealistisch, dass sich in naher Zukunft so etwas umsetzen lässt.40

h. Fazit

Bei der Betrachtung der verschiedenen Konzepte springen zwei Punkte ins Auge. Es scheint zum Einen keine sichere Lösung für das Geldsystem zu geben, die alle Schwächen des jetzigen Geldsystems löst. Jedoch bringt vermutlich jedes dieser Konzepte mehr Stabilität in das jetzige System. Zum Anderen muss man das Problem der Umsetzbarkeit betrachten. Natürlich sind Utopien erlaubt und erwünscht, es ist aber auch klar, dass ohne eine große Krise kaum eine Chance zur Veränderung der Grundzüge des Geldsystems geben wird. Daher stellt sich bei all diesen Ansätzen die Frage nach der Umsetzbarkeit. Regional lässt sich im Moment vermutlich nur Regionalgeld umsetzen. Alles andere müsste auf nationaler oder gar internationaler Ebene stattfinden. Es ist wichtig, dass auch weiterhin darüber nachgedacht wird und sich Befürworter dieser Ideen für sie einsetzen. Allerdings ist dies ein langer und zäher Kampf, indem nur selten ein Fortschritt sichtbar wird. Daher ist es wahrscheinlich attraktiver ein gutes Regionalgeldkonzept oder Barterring in der direkten Umgebung umzusetzen. Aus diesem Grund sind diese für den Bürger, der jetzt und lokal etwas verändern möchte, die beste Wahl.

39 Vgl. ebd. S. 60-61.

40 Vgl. Ebd. S. 62-63.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 28

2.7. Fazit: Kritische Reflexionen über Geldtheorien

Das erste Kapitel zeigte exemplarisch die Spannbreite zwischen unterschiedlichen Ansichten bei der wissenschaftlichen Betrachtung des Geldes auf. Deutlich wurde, dass weiterer Forschungsbedarf auf diesem Gebiet besteht, dessen Relevanz in Krisenzeiten wächst. Da Komplementärwährungen an der Funktionsweise des Geldes ansetzen, scheint es notwendig diese besser zu verstehen und zu reflektieren, um auch Regionalgelder optimal konzipieren zu können. Wie das folgende Kapitel deutlich macht, ist hier eine große Bandbreite an Idealtypen und Mischformen möglich.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 29

3. Komplementärwährungen allgemein und Regionalwährungen im besonderen

3.1. Einleitung

Im zweiten Kapitel werden zunächst Komplementärwährungen im allgemeinen und anschließend Regionalgelder im speziellen untersucht. Nach einer Erfassung der sozioökonomsichen Situation in Erfurt im Hinblick auf die Thematik erfolgt eine Reflexion des bisherigen Arbeitsstandes.

Bei Betrachtung der Komplementärwährungen wird deutlich, dass grundlegend unterschiedliche Konzepte denkbar sind und bereits zahlreiche Umsetzungsversuche stattgefunden haben – auch in Form von Rabattsystemen kommerzieller Organisationen. Regionalgelder lassen sich als eine Unterkategorie von Komplementärwährungen mit örtlich eingeschränktem Wirkungsraum verstehen, und selbst wiederum in verschiedene Typen klassifizieren. Sowohl der Zweck (hinsichtlich eines zu lösenden Problems) als auch die Funktionsweise der Systeme sind hier entscheidende Kategorien.

Der dritte Abschnitt behandelt die empirische Analyse der lokalen Gegebenheiten. Hier werden die Ergebnisse der Arbeitsgruppen aufgeführt, die sich mit der ökonomischen Situation Erfurts, dem bereits bestehenden Leistungs- und Währungssystem der „Thüringer Landmark“ sowie der Recherche über gescheiterte Regionalgeldprojekte beschäftigt haben. Zum Schluss werden die gesammelten Vor- und Nachteile von Regionalgeldern schematisch dargestellt und reflektiert.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 30

3.2. Übersicht heutiger Systeme von Madeleine Böhm

a. Einführung

„Regionalgelder wie z.B. das deutsche Vorzeigeprojekt, der „Chiemgauer“, breiten sich immer weiter aus. Der Verband der Regiogeld-Initiativen zählt aktuell 31 Geld-druckende Regionen in Deutschland, Österreich und der Schweiz“41. So beschreiben Mitglieder des „Chiemgauers“ das Konzept von Regionalwährungen, das nach erheblichen Versäumnissen und Rückschlägen in den 30iger Jahren immer noch besteht42 und stetig ausgebaut wird.

Bernhard Lietear, der Autor des vorliegenden Textes, sieht in ihnen ein Mittel, dem „internationalen Geldkasino“43 zu entkommen und durch den „Aufbau von Komplementärwährungen“ ein „Geld der Zukunft“44 zu schaffen, das nachhaltige und sozial positive Auswirkungen auf die Gesellschaft hat. Dieser Idee liegt das Konzept Silvio Gesell’s zu Grunde, der dem Gedanken der Komplemenärwährung das theoretische Grundgerüst gab.

Im Mittelpunkt steht oft die Weiterentwicklung einer bestimmten und begrenzten Region, die durch diese Regionalität auch selber sehr spezifisch gestaltet wird. Dabei werden die Schwerpunkte ganz unterschiedlich gesetzt. Der Chiemgauer, eine der erfolgreichsten Initiativen Deutschlands, sieht Regionalgeld als „das bessere Geld für die Region“, als „regionales Kundenbindungsinstrument“45. Andere Initiativen sind nicht an einem Besser in Hinblick auf Regionalität und Ökologie interessiert sondern an einem großen sozialen Projekt (z.B. der Kampf gegen Arbeitslosigkeit).

Auffallend bei der Betrachtung von Regionalgeld ist aber immer, dass mit den kulturellen Eigenheiten jedes Landes auch verschiedene Modelle von Regional- und Ersatzwährungen etabliert, unterschiedliche Geldsysteme als Basissystem genutzt und lokal weiterentwickelt wurden.

Dabei die verschiedenen Vor – und Nachteile zu reflektieren und verschiedene Ansätze für Regionalgeld vorzustellen ist der Sinn der Auseinandersetzung mit diesem Thema. Schon die Wahl der Ergänzungswährungsart sagt etwas über den historischen Hintergrund, die Entwicklung des Regionalgeldes und die Zukunftsvorstellungen aus.

41 Wieg, A. (2009) Geld ist, was gilt. Abgerufen am 05.08.2011 von http://www.chiemgauer.info/fileadmin/user_upload/Basisinfo/Geld_ist__was_gilt.pdf

42 Lietear, B. (2002) Das Geld der Zukunft – Über die zerstörerische Wirkung unseres Geldsystems und Alternativen dazu. Pößneck: Der Riemann Verlag (S.259-280)

43 a.a.O. (Klappentext)

44 a.a.O. (Klappentext)

45 Siehe Fußnote 41

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 31

Auch für Thüringen müssen verschiedene Arten von Ergänzungswährungen in Betracht gezogen und bestehende Systeme analysiert werden. Im Folgenden werde ich mich deshalb als Basisrecherche auf zwei spezielle Arten von Ergänzungswährungen – Tauschgeschäfte und Komplementärwährungen – stützen, und deren Funktion in den zwei großen, oft als "Vorreitersysteme" gesehenen Umsetzungen von Regiogeld erläutern. Hierzu zählt das LETS System, das auch, mit geografischen Abwandlungen, als Grundsystem benutzt wird und die innovative Variante des Regionalgeldes in der Schweiz, die WIRtschaftsring Genossenschaft. Dabei dient Lietears Text zu den „Heutigen Systemen“ als Ausgangspunkt dieser Auseinandersetzung.

b. Arten von Ergänzungswährungen

b.a. Tauschgeschäfte

Das Tauschgeschäft als sehr alte Tradition des Handelns setzt, so Lietear, immer eines voraus: „die Parteien müssen die passenden Befürfnisse und Ressourcen haben“46. Dabei werden Güter oder Dienstleistungen wie in einem Kreislauf je nach Nutzen für ein anderes Gut eingetauscht, nach Barter ist ein Tauschgeschäft der „Austausch von Gütern und Dienstleistungen ohne jegliche Währung“47

Allerdings ist die Nutzenmaximierung des Einzelnen bei einem reinen Tauschgeschäft jedoch durch geringe Praktikabilität eingeschränkt. Das Fehlen einer Währung macht einen einfachen Tausch unmöglich – deshalb wurde Geld als universales Tauschmittel entwickelt.

Für (Regionalgeld-)Initiativen sind sogenannte Tauschringe, die sich auf ebenjenes Konzept des Tauschgeschäfts stützen, als Alternative zu einer neuen Komplementärwährung sehr wichtig – ist doch der Aufwand für Sicherheitsmerkmale, Umlaufgeschwindigkeit und Bereitstellung von Geldscheinen etc. sehr gering. Tauschringe haben jedoch auch eine schnellere Schranke bezüglich der möglichen Ausweitung und weiteren Verbreitung, sowohl geografisch gesehen als auch auf ökonomisch langfristige Sicht. Dabei ist die Akzeptanz und Beteiligung der Bevölkerung für das Gelingen des Projekts immer nötig, direkte finanzielle Anreize können aber nur bedingt geschaffen werden. Beispielsweise ist die direkte Bezahlung von Arbeit nur in Naturalienform möglich, „Geld“ als Tauschmittel und somit auch als Aufwandsentschädigung für geleistete Arbeit zählt nicht mehr zu einem Tauschgeschäft.

Laut der Süddeutschen Zeitung finden sich jedoch auch immer mehr Unternehmen in Tauschringen, sogenannten „Barter Ringen“, zusammen. Um dem direkten Naturalientausch zu entgehen, „[tauschen] die Unternehmen (…) nicht direkt Ware gegen Ware, sondern jedes

46 Lietear, B. (2002) Das Geld der Zukunft – Über die zerstörerische Wirkung unseres Geldsystems und Alternativen dazu. Pößneck: Der Riemann Verlag (S.281)

47 a.a.O. (S.281)

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 32

hat ein Verrechnungskonto, das mit fiktiven Geldeinheiten geführt wird“48. Laut Hugo Godschalk, dem „Experte für bargeldlosen Zahlungsverkehr bei der Unternehmensberatung Pay-Sys“ lohnt sich der Handel ohne Geld, denn „Die Teilnehmer machen Geschäfte, die sonst nie zustande kämen"49.

Verschiedene Modelle des Tauschgeschäftes hängen demnach von den Zielen der Mitglieder, der demografischen Struktur und auch den kulturellen Eigenheiten einer Region ab und sind beliebig abwandelbar.

b.b. Komplementärwährungen

Eine Komplementärwährung ist, im Unterschied zum Tauschgeschäft, eine Währung, „die von der Gesellschaft ergänzend zu der eigentlichen Landeswährung als Tauschmittel akzeptiert und genutzt wird.“50 In Anlehnung an Lietear schreibt Schneegans in seiner Publikation „Umlaufgesicherte Komplementärwährungen“, dass „solche Währungen […] als „komplementär“ bezeichnet [werden], weil sie die konventionelle Landeswährung nicht ersetzen, sondern Funktionen übernehmen sollen, die die Landeswährung nicht erfüllt. Die Bezeichnung ‚komplementär’ bezieht sich darüber hinaus noch auf den Umstand, daß die meisten Beteiligten die normale Landeswährung und eine Komplementärwährung parallel verwenden. Oft umfasst eine einzelne Transaktion gleichzeitig Teilzahlungen in beiden Währungen.“51

Auch der Euro oder der US Dollar können in diesem Sinne in manchen Staaten als Komplementärwährungen gesehen werde, wenn sie dort neben der ursprünglichen und heimischen Währung existieren und verwendet werden.

Mit einer Komplementärwährung können die beim Tauschgeschäft aufgeführten Mängel und Defizite zumindest teilweise und ansatzweise behoben werden. Vielfältigere Einsatzmöglichkeiten, Marketingvorteile für Unternehmen und nicht zuletzt die engere Bindung an das bekannte marktwirtschaftliche System machen es einfacher, sich mit Komplementärwährungen zu identifizieren und einen „realistischen“ Eindruck zu entwickeln. Allerdings kommen auch bei Komplementärwährungen Fragen und Zweifel auf, die sich vor allem in Foren zum Thema Regionalgeld zeigen: wieso wird eine zweite Währung benötigt, wenn der Euro schon funktioniert? Ist es nicht billiger, eine Marketingkampagne zu starten?

48 Simon, E. (2008) Tauschgeschäft – Wie eine heiße Kartoffel“. Abgerufen am 06.08.2011 von http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/tauschgeschaeft-wie-eine-heisse-kartoffel-1.530674

49 ebd.

50 Lietear, B. (2002) Das Geld der Zukunft – Über die zerstörerische Wirkung unseres Geldsystems und Alternativen dazu. Pößneck: Der Riemann Verlag (S.281)

51 Schneegans, T. (2003). Umlaufgesicherte Komplementärwährungen – Gelingen und Scheitern in der Praxis. Abgerufen am 06.08.2011 von

http://userpage.fu- berlin.de/~roehrigw/diplomarbeiten/Freigeldpraxis.pdf

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 33

Wie aufwändig ist die Finanzierung eines Vereins?52

Im Folgenden wird das LETS System erläutert werden, das nach Lietaer „das derzeit bei weitem am häufigsten verwendete Komplementärsystem ist (…)“53 und durch langjährige Erfahrung Lösungsmöglichkeiten aufzeigt.

c. Verbreitete und etablierte heutige Systeme

c.a. Local Exchange Trading System

Das Local Exchange Trading System ist ein System, das in abgewandelter Form von vielen Regionalgeldinitiativen weltweit übernommen wurde. Es bietet verschiedensten Regionen einen Weg, Gemeinschaften zu stärken und mit ökonomischen Rückschlägen und wachsender Arbeitslosigkeit umzugehen. Nicht umsonst sind auch die früheren Regionalgelder, z.B. die Österreichische Initiative in Wörgl, aus der Not heraus entstanden.54

Der kanadische Prototyp setzt auf zinsfreien Handel mit sogenannten „grünen Dollars“, die auch bei der Bezahlung mit kanadischen Dollars kombiniert werden können. Voraussetzung für die Transaktion ist eine Mitgliedschaft in dem LETS Verein, mit dem Mitgliedschaftsbeitrag werden anfallende organisatorische Kosten beglichen. Die Bezahlung für eine Dienstleistung oder ein Gut wird unter den Mitgliedern selbst ausgehandelt, das Angebot ebenjener auf Foren kenntlich gemacht. „Dabei sind die ‚grünen Dollar’ […] keine knappe Währung, sobald die Beteiligten handelseinig werden, steht die Währung zur Verfügung.“55 Die Konten der jeweiligen Mitglieder werden anschließend in Soll und Haben angeglichen, sodass nicht zwangsläufig ein Rücktausch mit genau derselben Person notwendig wird. Wichtig ist dabei, dass der Kontostand jeder einzelnen Person für alle Mitglieder sichtbar ist – so werden keine „Strafen“ oder Zinsen für überzogene Konten verhängt, gesellschaftliche und soziale Restriktionen müssen aber von jedem Mitglied befürchtet werden. So leidet die Glaubwürdigkeit einer Person innerhalb der Gesellschaft, wenn sich ein Konto extrem in einem negativen Raum bewegt – menschliche Interaktion und „soziale Strafen“ werden in der Konsequenz wahrscheinlicher.

Initiativen in Großbritannien haben den Kanadischen Prototyp weiterentwickelt und auch karitative und kreative Projekte in den Rahmen des LETS System aufgenommen. Die Möglichkeit dazu boten auch Politiker, die sich für das System aussprachen, so der Sozialminister der britischen Regierung 1993:

52 Vgl. z.B. http://alles-schallundrauch.blogspot.com/2009/12/komplementarwahrung-wir-soll-in-leipzig.html, Protokoll des Informationstreffens des StuFu „Regionalgeld Erfurt?!“, SS 2011

53 Lietear, B. (2002) Das Geld der Zukunft – Über die zerstörerische Wirkung unseres Geldsystems und Alternativen dazu. Pößneck: Der Riemann Verlag (S.283)

54 a.a.O. (S.271)

55 a.a.O. (S.284)

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 34

„Kredite im LETS zählen bei der Einkommenserrechnung für die Sozialversicherung nicht als Einkommen. Die LETS-Programme sind begrüßenswerte Initiativen zur Förderung der Gemeinschaft, die durch die Regelungen der Sozialversicherung nicht künstlich behindert werden dürfen. Meiner Ansicht nach spricht viel dafür, den Sozialversicherten die Möglichkeit zur Teilnahme an solchen Programmen zu geben. LETS – Programme ermöglihcen Sozialhilfebeziehern den Kontakt zum Arbeitsmarkt, zu den erforderlichen Qualifikationen und der entsprechenden Lebensweise.“56

An diesem Zitat wird deutlich, dass besonders Randgruppen, die oft aus gesellschaftlichen Rastern fallen, durch Regionalgeld und LETS Initiativen profitieren können. Regionalgelder bieten die Möglichkeit zur Weiterqualifikation, oft auch ein Sprungbrett in die Selbstständigkeit. Dies erhöht das Selbstwertgefühl – jeder kann etwas zu der Gesellschaft beitragen. Regionalgelder verbinden Gemeinschaften, wie in Frankreich bei der Initiative „Le Grain de Sel“, durch lokale Treffen, Nähe, Regionalität und persönliche Kontakte. Auch die „Beteiligung von Frauen [nahm] im Laufe der Zeit unabhängig von ihrer sozialen oder politischen Herkunft stetig [zu]“57, so das Ergebnis aus einer Untersuchung von Regionalgeldern in Neuseeland.

Unerlässlich ist in allen Ländern und Regionen aber die Unterstützung oder zumindest die Passivität der Regierungen oder der politischen Organe. Laut Lietear liegt einer der Gründe für „die höchste Rate an Komplementärwährungssystemen“ in Australien darin, „daß die Regierungen der Bundesstaaten und Territorien […] nach einer Überprüfung der Ergebnisse die Einrichtung neuer LETS fördern.“58

c.b. WIRtschaftsring Genossenschaft

Genau wie das LETS System zählt auch das WIR-Geld zu einer Komplementärwährung. Als älteste noch bestehende Initiative in einem „besonders konservativen und hartgesotten kapitalistischen Land“59 hat sie es geschafft, sich über die gesamte Schweiz zu verbreiten und überaus modern und fortschrittlich zu agieren. So kann mit einer WIR-Kreditkarte bezahlt werden, über Verrechnungsschecks werden Buchungen des jeweiligen Kontos vorgenommen.60 Auch gibt die WIR Bank Hypotheken und Kredite, z.B. für den Hausbau, aus. Diese dürfen dann jedoch nicht einen bestimmten Prozentsatz der Gesamtsumme übersteigen. Als Vermögensgegenwert gelten oft andere Vermögensbesitze.

56 Lietear, B. (2002) Das Geld der Zukunft – Über die zerstörerische Wirkung unseres Geldsystems und Alternativen dazu. Pößneck: Der Riemann Verlag (S.287)

57 a.a.O. (S.289)

58 a.a.O. (S.290)

59 a.a.O. (S.292)

60 Vgl. Wünstel, M. (1998). WIR Wirtschaftsring- Genossenschaft. Abgerufen am 06.08.2011 von www.tauschring.de/d0507wir.htm

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 35

„WIR ist [also] eine Mischung aus einem wechselseitigem Kreditsystem (wenn man ein Gut direkt verkauft) und Buchgeld (wenn man beim Zentrum einen Kredit aufnimmt)“61 und durch die vielen Akzeptanzstellen und Anwendungsbereiche sehr populär.

Der Vorteil des WIR besteht nach eigenen Angaben darin, dass „Im Gegensatz zu anderen Barter-Organisationen([…) die WIR Wirtschaftsring Genossenschaft seit 1936 den Status einer Bank [hat]. Dies brachte unter anderem den Vorteil, über die WIR-Kreditvergabe die WIR-Geldmenge zu steuern und damit der WIR-Verrechnung stets die notwendigen Impulse zu geben.“62 Dabei bleibt der Wert des WIR immer an den Schweizer Franken gekoppelt.

Selbstverständlich spielt auch bei der Verwendung des WIR eine besondere Grundeinstellung eine Rolle. So wird auch auf der Webseite der WIRBank beschrieben, dass „Sie […] KMUs zusätzliches Käuferpotential und damit Aussicht auf mehr Umsatz [eröffnet]. Der Umsatz in WIR steigert auch den CHF-Umsatz, da ein Teil eines Geschäftsabschlusses in der Regel auch in CHF abgewickelt wird.“63. Dabei wird die Unterstützung für die Schweizer Wirtschaft angepriesen und gleichzeitig mittelständische Unternehmen, die eigentliche Zielgruppe, angesprochen. Ein treuer und breiter Kundenstamm ist durch die langjährige Aktivität des Vereins vorhanden, Kosteneffizienz wird großgeschrieben.

Laut Lietear bietet „WIR daher eine Vorstellung von dem wirtschaftlichen Potenzial eines voll ausgereiften Komplementärwährungssystems“64

d. Fazit

Aufallend für Regionalgelder ist die unterschiedliche Funktion und Anwendung je Region. Kulturell und historisch bedingt muss das eine oder andere System angewendet werden, Rückschläge sind dabei nicht auszuschließen. Besonders das LETS System hat jedoch ein „Basiskonzept“ für Regionalgelder geschaffen, dass durch geschickte Abwandlung und Anpassung an die jeweiligen regionalen Gegebenheiten durchaus Erfolge erzielen konnte. Dabei muss auch immer auf die Ziele der Regionalwährung eingegangen werden. Steht bei der WIR-Währung eher eine wirtschaftliche Förderung von mittelständischen Unternehmen und Kunden, die traditionell gewinnorientiert handeln, im Mittelpunkt, entstehen auch immer häufiger regionale Entwicklungswährungen, die auch von der Europäischen Kommission gefördert werden.

Ausschlaggebend für die erfolgreiche Einführung und Beibehaltung des Regionalgeldes ist aber immer Vertrauen und die Schaffung einer Gesellschaft, die durch das Regionalgeld

61 Lietear, B. (2002) ) Das Geld der Zukunft – Über die zerstörerische Wirkung unseres Geldsystems und Alternativen dazu. Pößneck: Der Riemann Verlag (S.292)

62 WIR BANK (2009). Geschichte der WIR – Bank. Abgerufen am 06.08.2011 von www.wir.ch

63 WIR BANK (2009) WIR – Geschäft. Abgerufen am 06.08.2011 von www.wir.ch

64 Lietear, B. (2002) ) Das Geld der Zukunft – Über die zerstörerische Wirkung unseres Geldsystems und Alternativen dazu. Pößneck: Der Riemann Verlag (S.294)

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 36

zusammenwächst und miteinander arbeitet - am Ende ist Regionalgeld eine Währung, um gesellschaftlichen Zusammenhalt (wieder) herzustellen und gemeinsame Ideen zu pflegen. Dies ist auch für Thüringen mit einem gelungenen Konzept, dass die Bedürfnisse und bisherigen Erfahrungen der Menschen beachtet, möglich und erfolgsversprechend.

e. Literatur

Lietear, B. (2002) Das Geld der Zukunft – Über die zerstörerische Wirkung unseres Geldsystems und Alternativen dazu. Pößneck: Der Riemann Verlag

Simon, E. (2008) Tauschgeschäft – Wie eine heiße Kartoffel“. Abgerufen am 06.08.2011 von http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/tauschgeschaeft-wie-eine-heisse-kartoffel-1.530674

Schneegans, T. (2003). Umlaufgesicherte Komplementärwährungen – Gelingen und Scheitern in der Praxis. Abgerufen am 06.08.2011 von http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/diplomarbeiten/Freigeldpraxis.pdf

Vgl. z.B. http://alles-schallundrauch.blogspot.com/2009/12/komplementarwahrung-wir-soll-in-leipzig.html, Protokoll des Informationstreffens des Informationstreffens des StuFu „Regionalgeld Erfurt?!“, SS 2011

Wieg, A. (2009) Geld ist, was gilt. Abgerufen am 05.08.2011 von http://www.chiemgauer.info/fileadmin/user_upload/Basisinfo/Geld_ist__was_gilt.pdf

WIR BANK (2009). Geschichte der WIR – Bank. Abgerufen am 06.08.2011 von www.wir.ch

WIR BANK (2009) WIR – Geschäft. Abgerufen am 06.08.2011 von www.wir.ch

Wünstel, M. (1998). WIR Wirtschaftsring- Genossenschaft. Abgerufen am 06.08.2011 von www.tauschring.de/d0507wir.htm

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 37

3.3. Gemeinschaftsfördernde Währungenvon Clemens Schubert

a. Einführung: Die Situation in Thüringen

Das Bundesland Thüringen wird in Zukunft an Bevölkerung verlieren. Zum Ausgangswert im Jahr 2004 wird bis zum Jahr 2020 ein Bevölkerungsrückgang um 10 % erwartet.65 Die Entvölkerung trifft jedoch nicht alle Altersgruppen gleichermaßen. Vor allem alte Menschen werden häufiger Einwohner von Thüringen sein. Die Zahl der Ruheständler wird bis 2020 um 24 % gegenüber dem Wert von 2004 zunehmen.66 Weiterhin zeigt sich, dass vor allem ländlich geprägte Gebiete in Nord- und Südthüringen an Bevölkerung verlieren werden.67

Thüringen muss sich wie alle deutschen Bundesländer dem demografischen Wandel stellen. Grundsätzlich ist ein langsames Zerfallen der Gemeinschaft in Thüringen prognostizierbar, da weniger Menschen im gleichen Raum leben werden und gleichzeitig hohe Kosten für die Rentenversorgung aber auch für Pflege- und Altersheime aufgebracht werden müssen.

Bernard Lietaer hingegen bringt den Zerfall der Gemeinschaft mit der Entwicklung des Geldes in Verbindung. Er argumentiert in seiner Publikation Das Geld der Zukunft, dass „Gemeinschaften zerfallen, wenn einseitige Geldgeschäfte den Gabentausch ersetzen”.68 Er zeichnet eine historische Entwicklung in der Geld früher unnötig war, da Menschen sich untereinander Geschenke machten, die ein Gemeinschaftsgefühl zwischen den Beteiligten schufen und so Räume entstanden, in denen Menschen von sich aus bereit waren Dinge miteinander zu tauschen ohne ein Wechselmedium zu benötigen.69 Schließlich sei das englische Wort für Gemeinschaft community aus cum (zusammen, untereinander) und munus (Geschenk) entstanden.70 Geld trägt hingegen zum Zerfall der Gemeinschaft bei, wenn „es sich um knappe Währungen handelt, die das Konkurrenzdenken fördern”.71 Lietaer möchte Währungen allerdings nicht generell als gemeinschaftsschädlich darstellen und gibt mehrere Beispiele für Geldmodelle, die in der Lage sind Gemeinschaftssinn zu stärken und so gemeinschaftsschädliche Effekte der heutigen Landeswährungen aber auch der demografischen Entwicklung abzumildern.

Im Folgenden werde ich - die von Lietaer ausgewählten - heute noch bestehenden

65 Freistaat Thüringen, Demographiebericht, S. 28.

66 a.a.O., S. 35.

67 Vgl. Grafik, ebenda, S. 30-31.

68 Lietaer, Das Geld der Zukunft, S. 307.

69 Vgl. a.a.O.., S. 301-305.

70 a.a.O., S. 303.

71 a.a.O., S. 309.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 38

Währungskonzepte vorstellen und schließlich in einem Fazit Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzeigen. Die Währungen sind die Time Dollars, die Ithaca Hours, das PEN Exchange-Modell und der Community-Service-Dollar jeweils aus den USA, das Curitiba-Geld aus Brasilien, die japanische Gesundheitspflegewährung und schließlich der mexikanische Tlaloc. Einen Schwerpunkt werde ich dabei auf die Betrachtung der Ithaca Hours setzen, da diese meiner Meinung nach besonders viele Elemente geläufiger Komplementärwährungen enthält.

b. Gemeinschaftsfördernde Währungen

b.a. Time Dollars

Die Time Dollars wurden 1986 in den USA erfunden. Dem System liegt der Gedanke zu Grunde, dass eine Stunde Arbeit einer Person unabhängig von Tätigkeit, Intensität und Anstrengung genau so viel wert ist, wie eine Stunde Arbeit einer anderen Person. Eine Stunde geleistete Arbeit entspricht einem Time Dollar. „Wenn jemand ein Guthaben erhält, entsteht bei jemand anderem automatisch ein Debit. Daher ist die Summe aller Time Dollars innerhalb eines Systems immer ausgeglichen.”72 Praktisch lässt sich dieses System also bereits durch eine einfache Liste aufrechterhalten, die deutlich macht, wer Stunden schuldet und wer noch Arbeit anbieten kann, bis er wieder bei einem ausgeglichenen Time-Konto angelangt ist. Heute wird der Großteil der Time-Dollar Gemeinschaften seine Verwaltung im Internet durchführen. Dort findet man zahlreiche Gemeinschaften in den USA aber auch in Neuseeland, England oder Israel.73 Time-Dollar Gemeinschaften gibt es heute auf allen Kontinenten der Erde.74 Der Aufbau eines eigenen Time-Dollar Netzwerks wird durch ein „Starterpaket” unterstützt, dass man in den USA käuflich erwerben kann und mit dessen Hilfe man alle grundlegenden Schritte zur Etablierung eines Netzwerks erklärt bekommt.75 Die eigentliche Software zur Erstellung einer Liste mit Guthaben und ausstehenden Arbeitsstunden ist kostenfrei im Internet erhältlich und herunterladbar.76

Die Vorteile des Modells liegen auf der Hand. Das System ist einfach aufzubauen. Es bedarf nur einer Liste und einer gewissen Grundmenge an Angeboten und Nachfrage. Menschen, die sich nicht unbedingt kennen müssen, werden durch Inserate in Zeitungen oder im Internet aufeinander aufmerksam. Die Nachfrage sucht sich so ihr Angebot, ohne dass große Kosten entstehen. In den USA sind alle Transaktionen über das Time-Dollar System außerdem steuerfrei durchführbar. Je nach Größe des Netzwerks entsteht eine Gemeinschaft durch ihre

72 Lietaer , Das Geld der Zukunft, S. 313.

73 Beispielhaft sei hier eine Liste mit verschiedenen Gemeinschaften auf der offiziellen Homepage des Netzwerks unter http://community.timebanks.org/findtimebanks.php genannt.

74 www.timebanks.org/international.htm

75 www.timebanks.org/startup-package.htm

76 www.timekeeper.org/

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 39

eigene Währung.

b.b. Ithaca Hours

„Ithaca ist eine kleine Universitätsstadt im Norden des US-Bundesstaates New York. Die Stadt ist nicht reich. Sie weist beispielsweise den größten Anteil an 'arbeitenden Armen' im ganzen Bundesstaat New York auf (Menschen, die Vollzeit arbeiten, deren Einkommen aber trotzdem so niedrig ist, dass es unterhalb der Armutsgrenze liegt).”77 Die 30.000-Einwohner-Stadt liegt in großer Nähe zu New York City, viele Bewohner fahren daher für größere Einkäufe in die Großstadt und nutzen so nicht die lokalen Wirtschaftsangebote.

Seit 1991 wird mit den Ithaca Hours eine Komplementärwährung genutzt, die wirtschaftliches Potenzial in der Stadt fördern soll. Grundsätzlich ist das System auch hier ausgesprochen einfach. „Eine Ithaca Hour (Stunde) hat einen Wert von 10 US-Dollar und entspricht damit etwa einer Arbeitsstunde bei einem für die Gegend günstigen Mindestlohn.”78 Auf den Geldscheinen befindet sich statt dem üblichen 'in god we trust' der Dollar-Banknoten der Spruch 'in Ithaca we trust'.79 Zu Beginn kann man als Benutzer 10 US-Dollar zahlen um sich in das Netzwerk eintragen zu lassen, erhält aber zusätzlich 2 Ithaca Hours, das heißt im Grunde die doppelte Menge seines Einsatzes. Weitere 2 Hours erhält man, wenn man an den jährlichen Netzwerkstreffen teilnimmt und weiter mit den Hours arbeiten möchte.80 Angebote und Gesuche werden in einer Zeitung geschaltet81, sind heute aber auch nach Installation einer Software im Internet einsehbar.82 Der regionale Charakter der Währung wird durch eine freiwillige Begrenzung des Nutzungsgebietes erreicht. Nur in einem Radius von 32 Kilometern um das Stadtzentrum sind die Hours gültig.83

„Grund für den Erfolg, ist der Umstand, dass die Inserenten bei ihren Angeboten beide Währungen kombinieren.”84 Man nutzt also Hours und US-Dollar bei einer Transaktion. Das dies für Unternehmen effizient sein kann, liegt an hohen Fixkosten. Ein Kino muss seine Vorstellungen auch zeigen, wenn nur wenige Personen anwesend sind, die leeren Plätze lassen sich also auch mit Menschen füllen, die „nur” die Komplementärwährung oder zumindestens einen Teil davon in Hours bezahlen möchten. Ähnlich verhält es sich mit einem nicht ausgelasteten Restaurant. Die Personalkosten für den unbeschäftigten Koch sind die gleichen, wie bei einem beschäftigten Küchenchef. Lässt das Restaurant also zu, dass ein Teil

77 Lietaer, Das Geld der Zukunft, S. 315.

78 Ebd.

79 Vgl. Geldschein auf www.ithacahours.com/

80 Vgl. Abschnitt 'Why should I join' unter www.ithacahours.org/

81 Lietaer, S. 316; siehe auch Bilder der Zeitung unter www.youtube.com/watch?v=pWfrnfJmP5w

82 Vgl. letzter Abschnitt unter www.ithacahours.org/

83 Ebd.

84 Lietaer, Das Geld der Zukunft, S. 316.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 40

des Essenspreises in Ithaca Hours beglichen werden darf, gehen möglicherweise mehr Personen in das Lokal. Die Unternehmen können dabei selber Quoten festlegen, das heißt sie können verlangen, dass 30% des Preises in US-Dollar bezahlt werden, während bis zu 70% über Hours bezahlt werden können. Genauso denkbar sind festgelegte Zeiten, in denen die Quoten gelten sollen. Das Kino lässt beispielsweise am Vorabend mehr Hours zu als am Abend, da wenig Zuschauer erwartet werden; das Restaurant hingegen versucht so seine Zeit geringer Auslastung zwischen Mittags- und Abendkarte besser zu nutzen. Vorteil für alle beteiligten Unternehmen ist der Marketing- und Werbeeffekt. Man kann sich einen Kundenstamm aufbauen, der möglicherweise später auch zu den Zeiten kommt, in denen das Unternehmen ausgelastet ist. In Ithaca beteiligen sich jedoch mit einer Volksbank und einem Krankenhaus auch Institutionen, bei denen man nicht davon ausgehen kann, dass sie typischer Weise an Komplementärwährungen teilnehmen würden.85

Die Ithaca Hours erweisen sich also ähnlich den Time Dollars als einfache effiziente Möglichkeit die regionale Wirtschaft zu bevorzugen und Gemeinschaft zu stärken. Nachteil bei den Ithaca Hours ist die Gefahr einer Inflation der Komplementärwährung, wenn zu viele Scheine herausgegeben werden. Durch das natürlicherweise geringere Vertrauen in eine Zusatzwährung würde dann wohl das System schnell mangels Nutzern zusammenbrechen. In Ithaca begegnet man dieser Gefahr mit einem Aufsichtsrat, der überwacht, wie viele Hours herausgegeben werden. Das Gremium wird einmal im Jahr in Wahlen unter allen Ithaca-Hours-Nutzern bestätigt.86 Es kann beispielsweise regulieren, wie viele Ithaca Hours ein Einsteiger für 10 US-Dollar erhält. So wurde der Satz in letzter Zeit günstiger für den Neueinsteiger.87 Lietaer hält die Gefahr des mangelnden Inflationsmanagements jedoch für so groß, dass er das Ithaca-Modell „nicht für den allgemeinen Gebrauch” empfehlen möchte.88

b.c. PEN Exchange

Unter Philadelphia-Eastern-Neighbourhood (PEN) versteht man ein Gebiet zwischen zwei Straßen in Takoma Park nahe Washington D.C., in dem circa 450 Familien leben. Der Gründer des PEN Exchange Netzwerks, Olaf Egeberg, definierte so seine „Nachbarn” mit denen er gern mehr zu tun haben wollte, als anonym unter ihnen zu wohnen. Auf Egebergs Initiative hin, gibt es dort bis heute ein Verzeichnis von Dingen die Personen anbieten und suchen. Aufgelistet sind auch Dinge wie „Kenntnisse über Pilze” oder „Kenntnisse europäischer Kultur” für die man unter gewöhnlichen Umständen kaum Geld an seine Nachbarn ausgeben würde. In diesem Netzwerk stand zu Beginn vor allem der Spaß im

85 Vgl. Reportage unter km42.spiegel.de/home/index.php?directid=4178

86 www.ithacahours.org/board

87 Während unter www.ithacahours.org/ noch von 2 Hours für 10 US-Dollar die Rede ist, bestätigt der Aufsichtsratsvorsitzende unter www.5min.com/Video/Learn-About-Ithaca-Hours-435014393 eine Quote von 2 Hours für 5 US-Dollar.

88 Lietaer, Das Geld der Zukunft, S. 317.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 41

Vordergrund und war Vorwand für private Kontakte und Beziehungen. Die Nachbarn begannen nach und nach auch ohne Blick ins Verzeichnis sich gegenseitig zu helfen und zu unterstützen.89 Heute dient das Netzwerk aber auch zur Organisation einer Art Nachbarschaftspatrouille zum Erhöhen der öffentlichen Sicherheit oder als Plattform, um Protest gegen eine drohende Schulschließung zu formieren.90

Die Bezahlung aller Transaktionen, die nicht nur freundschaftlich zwischen Nachbarn getätigt werden, erfolgen hier in gewöhnlichen US-Dollars. Eine stärkere Gemeinschaft scheint sich dennoch und trotz der recht willkürlichen Beschränkung des Gebietes auf zwei Straßen gebildet zu haben.

b.d. Community-Service-Dollars

Der Community-Service-Dollar schließt an das bereits bei den Ithaca Hours beschriebene Konzept ungenutzter Kapazitäten an. Zahlreiche Unternehmen nutzen die Reservekapazitäten für Tauschgeschäfte oder Sonderangebote. Zur Abwicklung von Geschäften bei solchen Transaktionen eignet sich der Community-Service-Dollar. Eine Arbeitsstunde ist 10 C$D oder 10 US-Dollar wert.

Das neue am Konzept ist, dass ehrenamtliche Arbeit mit der Währung „bezahlt” werden kann. Die C$D werden an gemeinnützige Organisationen herausgegeben und von ihnen an ihre Helfer weiterverteilt. Nutzt ein ehrenamtlich Tätiger seine C$D werden diese ungültig. Das Unternehmen, dass die C$D akzeptiert, hat jedoch einen enormen Werbeeffekt und kann Kunden an sich binden. Ob das Unternehmen dennoch an den Transaktionen verdient hängt von den wieder durch die Unternehmen selbst festgelegten Quoten ab. Die Einnahmen in der Landeswährung können dabei schließlich trotzdem alle Kosten decken.

Ehrenamtlich Tätige profitieren von der Stärkung ihrer Arbeit. Die Gesellschaft insgesamt kommt zu Leistungen, die sonst gar nicht erbracht würde. Der C$D bringt im Grunde die Möglichkeit Zeit zu Geld zu machen, was gerade für sozial Benachteiligte oder Arbeitslose lukrativ sein dürfte. Jeder Beteiligte profitiert so auf seine Weise vom Modell.91

b.e. Curitiba-Geld

Wenn wir nun die USA verlassen und uns drei weiteren Währungskonzepten zuwenden, können wir Ansätze beobachten, die konkret Reaktionen auf einzelne Probleme sind.

Das Konzept aus der Stadt Curitiba in Brasilien ist eng mit dem Namen des dreimaligen Bürgermeisters und Architekten Jaime Lerner verknüpft. Der Großteil der Stadt bestand aus Armenvierteln ohne ausgebaute Straßen, vor allem aber ohne funktionierende

89 a.a.O., S. 318-320.

90 takotra.org/Issues.html

91 Lietaer, Das Geld der Zukunft, S. 329-332.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 42

Müllentsorgung. Lerner lies Mülltonnen am Rande der Favelas aufstellen und versprach jedem, der eine Tüte Müll vorbeibrachte eine Busfahrkarte. Nach kurzer Zeit reinigten Kinder die Viertel und ihre Eltern nutzten die Fahrkarten um zur Arbeit zu fahren.92 Später wurde das Modell erweitert, Mülltrennung eingeführt und den Müllsammlern die Möglichkeit gegeben, auch Lebensmittel oder aber Schulhefte gegen Müll zu erhalten. „Das Programm fördert die lokale Wertschöpfung und die Versorgung mit gesunden Lebensmitteln und verbessert die Bildungschancen der Kinder.”93 „Eine Stadt der dritten Welt konnte so innerhalb einer Generation zum Lebensstandard der Ersten Welt aufschließen.”94

Die Entwicklung in Curitiba zeigt, dass eine Komplementärwährung auch ganz konkret eingerichtet werden kann, um ein Problem zu lösen, dass die nationale Währung nicht lösen kann oder sogar verschärft.

b.f. Japanische Gesundheitspflegewährung

Die japanische Bevölkerung ist eine der ältesten der Welt. Wie bereits bei den Folgen der demografischen Entwicklung in Deutschland erwähnt, verursachen kranke und pflegebedürftige Menschen gewöhnlich hohe Kosten in den Sozialsystemen. Die japanische Regierung hat deshalb eine Art Pflegewährung ähnlich dem Time-Dollar-Konzept eingeführt. Jeder der sich beteiligen möchte, kann zusätzlich zu seiner Krankenversicherung ein Zeitkonto anlegen, auf dem registriert wird wie viele Stunden er oder sie jemand anderen gepflegt hat. Anders als bei den Time-Dollars werden körperlich fordernde Tätigkeiten wie Körperpflege jedoch stärker angerechnet als beispielsweise die Zubereitung eines Essens. Auch die Uhrzeit der Pflege wird in die Berechnung integriert.

Braucht einer der Pfleger im Alter später selber Hilfe kann er auf seine aufgebauten Pflegestunden verweisen und wird selber betreut. Das Interessante am Konzept ist, dass die geleisteten Stunden auch für Personen, die man selbst auswählt wie Familienangehörige oder Freunde genutzt werden können. Sie sind auch vererbbar. Auf diese Weise können geografisch getrennte Familieneinheiten füreinander sorgen und sich helfen.

Profiteur ist neben den Gepflegten wieder die Gesellschaft, da zu vermuten ist, dass sich viele Personen keine private Pflege hätten leisten können ohne ein gut gefülltes Zeitkonto zu besitzen. Entscheidend ist wohl auch die hohe Akzeptanz und Qualität der privat organisierten Pflege. Freiwillige Leistungen steigen wie bei den Community-Service-Dollars an.95

92 a.a.O., S. 320.

93 www.welt-sichten.org/artikel/art-04-008/vier-kilo-muell-gegen-ein-kilo-gemuese.html

94 Lietaer, S. 324.

95 Vgl. Lietaer, Das Geld der Zukunft, S. 324-327.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 43

b.g. Tlaloc

Den Tlaloc gibt es seit 1987 im Vorort Colonia von Mexico-City. In einer Zeitung werden, wie bei anderen Systemen auch, Inserate geschaltet, die ganz oder teilweise mit dem Tlaloc-System bezahlt werden können. „Tlaloc ist ein wechselseitiges Kreditsystem bei dem das Geld im Form von Papierschecks ausgegeben wird. Mehrere vertrauenswürdige Mitglieder haben Scheckbücher und stellen die Schecks immer auf runde Beträge aus.”96 Diese Schecks kursieren dann unter den Mitglieder der Gemeinschaft, die Rückseite der Scheine lässt Platz für Übertragungsvermerke. Durch die geringe Zahl der Teilnehmer funktionieren die Schecks wie eine eigene Währung. Der letzte Besitzer des Schecks kann das Geld immer bei den vertrauensvollen Scheckausgebern zurückerhalten. Großer Vorteil ist auch hier die einfache Bedienung ohne große Kosten für Kontoführung oder Geschäftsführung der Mitglieder.

c. Fazit

Im Ergebnis zeigt sich, dass mehrere Währungssysteme seit zum Teil vielen Jahren existieren und für die jeweilige Gemeinschaft auch funktionieren. Das geschieht jedoch auch auf höchst unterschiedliche Art und Weise. Während die Time Dollars eine scheinbare Gleichartigkeit aller Arbeit betonen, emanzipieren sich die Einwohner Ithacas eher vom Einfluss der nahen Stadt New York City und suchen ähnlich den Community-Service-Dollars Zeiten geringer Auslastung in Unternehmen zu verringern. Während der Community-Service-Dollar jedoch vor allem die Förderung des Ehrenamtes im Blick hat, sucht man in Curitiba eher nach einem Weg Arbeit überhaupt ausführen zu lassen und Bildungschancen aufzuzeigen. Die japanische Pflegewährung führt die Vererbbarkeit der Komplementärwährung ein, wohingegen der Tlaloc die vertrauensvollsten Mitglieder einer Gemeinschaft nutzt.

Am Ende bleibt aber auch die von Lietaer kritisierte Praxis, Komplementärwährungen ohne theoretisches Fundament zu installieren.97 Meist gingen die Währungskonzepte von kreativen Köpfen wie Jaime Lerner oder Paul Glover dem Gründer der Ithaca Hours aus und nicht langen Einführungs- oder Planungsprozessen privater oder staatlicher Seite.

Will man in Deutschland angemessen mittels einer Regionalwährung beispielsweise auf den Zerfall der Gemeinschaft durch demografischen Wandel reagieren, bleibt also im Wesentlichen die Erkenntnis, dass man mit konkreten geeigneten Maßnahmen, Kreativität und Mut zur Umsetzung eines Projektes nachhaltigen Erfolg haben kann.

96 a.a.O., S. 327.

97 Lietaer, Das Geld der Zukunft, S. 310.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 44

d. Literatur

Lietaer, Bernard A. (2002): Das Geld der Zukunft. Über die zerstörerische Wirkung unseres Geldsystems und Alternativen hierzu, München.

Freistaat Thüringen – Ministerium für Bau und Verkehr (2006): Demographiebericht Thüringen 2006, Erfurt.

Internetquellen: (letzter Zugriff jeweils am 2. August 2011)

zu den Time-Dollars:

community.timebanks.org/findtimebanks.php

www.timebanks.org/international.htm

www.timebanks.org/startup-package.htm

www.timekeeper.org/

zu den Ithaca Hours:

www.ithacahours.com/

www.ithacahours.org/

www.ithacahours.org/board

www.youtube.com/watch?v=pWfrnfJmP5w

km42.spiegel.de/home/index.php?directid=4178

www.5min.com/Video/Learn-About-Ithaca-Hours-435014393

zum PEN Exchange:

takotra.org/Issues.html

zum Curitiba-Geld:

www.welt-sichten.org/artikel/art-04-008/vier-kilo-muell-gegen-ein-kilo-gemuese.html

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 45

3.4. Geschichtliche Beispiele: Versäumnisse in den 30er Jahren - WÄRA und Wörgler Schillingvon Michael Hartung

a. Einleitung

Thema dieser Ausarbeitung sind zwei Regionalgeld-Experimente, welche in den 1930er Jahren im Deutschen Reich und in Österreich stattgefunden haben. Zunächst wird aber der Begründer und Ideengeber von Freigeldern Silvio Gesell vorgestellt. Im Anschluss daran wird die wirtschaftliche Situation zu Beginn der 1930er kurz erläutert, damit der Leser ein besseres Bild davon bekommt, in welch prekärer Lage sich viele Menschen in Kontinentaleuropa zu jener Zeit befanden. Darauf aufbauend wird im Hauptteil die WÄRA-Tauschgesellschaft im Zusammenhang mit Hebeckers Bergwerk vorgestellt. Hierbei wird auch eingehender beschrieben, wie aus diesem Freigeldexperiment auf dem bayrischen Lande ein neuer Wirtschaftskreislauf erfolgreich implementiert wurde. Anschließend wird die Begründung des Wörgl-Schillings in Österreich beschrieben, was bis heute wohl als bekanntestes Freigeldexperiment gilt. Die Ausarbeitung schließt dann mit einem kurzen persönlichen Fazit.

a.a. Silvio Gesell und seine Idee

Silvio Gesell kann als der Urvater der Komplementärwährung gesehen werden, welche er in seinem Buch über die Freiwirtschaftslehre „Die neue Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld“ definierte. Darüber hinaus war er Mitbegründer der Zeitschrift „Der Physiokrat“, welche sich ebenso mit diesem Thema beschäftigte.98

Der Grundgedanke ist hierbei, dass der durch Geld hervorgerufene Mehrwert, also Zins und Rente, beseitigt werden soll. Da es nach diesem Prinzip möglich ist, dass „10 Zentner Fische auf dem Markt mehr als 1.000 Zentner“ (Gesell, S. 10) wert sind. Neben dieser unbegründeten Wertvervielfachung kritisiert Gesell, dass das Geld streikt, sobald der Zins unter den herkömmlichen Zinssatz fällt, wodurch wirtschaftlicher Aufschwung in Form verstärkter Bau- und Arbeitsmaßnahmen häufig unterbunden wird. „Ein Geld, das gesetzmäßig in der Weise arbeitet, daß es sich zurückzieht, wenn es zu fehlen beginnt, und das in Masse auf dem Markt erscheint, wenn es dort schon übermäßig vertreten ist, kann nur dem Schwindel und Wucher dienen und muß als unbrauchbar bezeichnet werden.“ (Gesell, S. 180). Darüber hinaus darf Geld nicht mehr Wert sein als die Ware, die es produziert, folglich muss auch Geld, wenn es schon nicht schimmeln oder rosten kann, trotzdem ein Verfallsdatum haben. Diese kontraproduktiven Eigenschaften des Geldes haben Gesell zu

98 www.silvio-gesell.de/html/tabellarischer_lebenslauf.html (aufgerufen am 07.08.2011)

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 46

Reformideen gebracht, worin er Freiland, Freigeld und Freihandel einfordert.99

Seine Reformvorschläge bezüglich der Geldpolitik beinhalteten unter anderem die Abschaffung des damals noch bestehenden und kaum umstrittenen Goldstandards, da nach Gesell nur eine deckungsfreie Währung auch Währungsfreiheit garantieren kann. Gold hingegen kann deflationär wirken, wenn wenig davon vorhanden ist, umgekehrt wirkt es bei einem Goldüberschuss inflationär. Desweiteren ist die Schaffung einer umlaufgesicherten Währung ein entscheidender Faktor bei der Freiwirtschaftslehre.100 Die Funktion einer umlaufgesicherten Währung wird noch im weiteren Verlauf dieser Ausarbeitung anhand der Komplementärwährungsprojekte erläutert.

Der zweite wichtige Punkt in Gesells Werk ist die Reform an Grund und Boden. Die Bodenrente darf nämlich nicht dem privaten Besitzer, sondern muss der Allgemeinheit zukommen. Bei Gesell heißt dies auch Freiland, da er den Privatbesitz an Boden als größten „Zankapfel“ in unserer Gesellschaft ansieht, und somit als Hauptursache für Krieg und Machtstreben gesehen werden kann.101 Hierbei hat der Pächter eines Grundstücks Nutzungsabgaben an die Gemeinden (öffentliche Hand) zu leisten, wobei die Höhe der Nutzungsgebühr von Angebot und Nachfrage bestimmt wird.102 Die Einnahmen sollten dabei an Mütter verteilt werden, sozusagen als eine Art "Kindergeld" verwendung finden.

Der dritte Hauptreformpunkt seiner Lehre beinhaltet Handel. Gesell fordert Freihandel, wobei die nationalen Wirtschaftsgrenzen abgeschafft werden sollen, um jegliche Handelsbarrieren und -einschränkungen zu beseitigen. Der letzte Punkt ist wohl der einzige, der heute im Zuge der Globalisierung in den meisten Nationen Einklang erhalten hat, auch wenn wir natürlich von einem weltweit zollfreien Handel auch heute noch weit entfernt sind.

a.b. Wirtschaftliche Lage in den 30er Jahren

Als im Oktober 1929 die Wirtschaftsblase platzte und es zum bis heute größten Börsencrash an der Wall Street in New York kam, blieb auch Europa nicht lange davon verschont. Die krisengeschüttelte Weimarer Republik war zu einem großen Anteil abhängig von ausländischen Krediten, welche nun aufgrund der Wirtschaftskrise abgezogen wurden. Infolgedessen sank der Kapitalstrom in Deutschland innerhalb kürzester Zeit enorm. Die Zahl der Erwerbslosen in Deutschland stieg von 1,3 auf über 6 Millionen. Daraus resultierten Massenverelendung, Resignationin Form von keinerlei Hoffnung auf Festanstellung, Angst vor sozialem Abstieg und Obdachlosigkeit innerhalb der deutschen Gesellschaft.103

99 Gesell, Silvio: Die natürliche Wirtschaftsordnung, S. 9 – 14.

100 a.a.O. S. 180 – 183.

101 a.a.O. S. 82 – 92.

102 a.a.O. S. 92 – 94.

103 www.dhm.de/lemo/html/weimar/industrie/wirtschaftskrise/index.html (aufgerufen am 18.07.2011)

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 47

Auch in Österreich war die Lage prekär. Hier gab die Österreichische Creditanstalt im Mai 1931 ihre Zahlungsunfähigkeit bekannt, was für Österreich und ganz Mitteleuropa eine Finanzkrise auslöste.104 Aus der Not heraus versuchten einige Gemeinden sich selbst zu helfen, indem sie den fehlenden Geldfluss durch ein eigens geschaffenes Währungssystem ausgleichen wollten. Ziel war hierbei die Schaffung eines Tauschmittels, welches auch weiterhin ein Funktionieren der Wirtschaft ermöglichen und somit die Arbeitslosigkeit eindämmen sollte.

b. WÄRA

b.a. Island in the Bavarian Forest

Der Journalist Werner Friedmann hat damals die Gegend um den Bayrischen Wald als "deutsches Sibirien" bezeichnet, wo man in Gastwirtschaften nur „Knackwürste“ bestellen kann, in vielerlei Ortschaften weder Elektrizität noch Wasserleitungen vorhanden sind, und kleine Kinder kilometerweit zu Schulen mit einer Lehrkraft für 100 Schüler laufen mussten.105 In diesem deutschen Sibirien gab es in den 1920er Jahren ein Braunkohlebergwerk im 500-Seelendorf Schwanenkrichen, welches zunächst von der Stadt Deggendorf und später von einer privaten Aktiengesellschaft betrieben wurde. Mit der Aktiengesellschaft erhielt ein komplizierter und kostenintensiver Verwaltungsapparat im Bergwerk Einzug, weshalb dieses 1927 aufgrund von Unrentabilität stillgelegt wurde. Da es der größte Arbeitgeber der Region war, führte dies zu einer Depression des Wirtschaftslebens im gesamten Umkreis.106

Nur zwei Jahre später ersteigerte der Bergbauingenieur Max Hebecker das alte Braunkohlewerk in Schwanenkirchen für 8.000 Reichsmark. Hebecker war bekennender Physiokrat, also ein Anhänger der Freiwirtschaftslehre nach Silvio Gesell. Seine ungewöhnlichen Wirtschaftsideen, insbesondere bezüglich eines Freigeldexperiments brachten ihm trotz seines sozialen Engagement und seiner Aktivität als Unternehmer zunächst Kritik seitens der Presse ein. Im Schacht des Bergwerks stand das Wasser fünfzig Meter hoch und der Förderturm war nahezu komplett niedergebrannt. Um das Bergwerk wieder in Betrieb zu nehmen, musste Hebecker es also restaurieren, wofür er aber zunächst Geld benötigte. Allerdings war aufgrund der desolaten Wirtschaftslage in der Region kein Investor zu finden, sodass er sich an die WÄRA-Tauschgesellschaft wandte.107

Die WÄRA-Tauschgesellschaft sah sich als eine private „Vereinigung zur Bekämpfung von Absatzstockung und Arbeitslosigkeit“ Durch die Herausgabe ihrer WÄRA-Scheine wollten

104 Suppan, Arnold: Jugoslawien und Österreich 1918–1938. Bilaterale Außenpolitik im europäischen Umfeld. Verlag für Geschichte u. Politik, Wien 1996, S. 1047 f..

105 Friedmann, Werner: Die Wära-Insel im bayrischen Wald, S.8 ff..

106 projekte.free.de/geld/waera-artikel.html (am 16.07.2011)

107 www.hengersberg.de/texte/seite.php?id=28964 (am 18.07.2011)

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 48

sie den Waren- und Leistungsaustausch vereinfachen. Die Tauschgesellschaft sah in der Kreditanfrage von Hebecker eine Chance ihr noch junges Währungsprojekt weiter zu verbreiten und zudem Hilfe zu leisten, um der Kapitalklemme Hebeckers entgegenzuwirken.108 Die Tauschgesellschaft wurde 1929 in Erfurt gegründet und gewährte Hebecker einen Kredit von 50.000 WÄRA, welche 1:1 mit Reichsmark gedeckt sind. Das Tauschmittel WÄRA enthielt zudem eine Umlaufgebühr wie sie auch Gesell schon angedacht hatte. Dies bedeutet, dass die WÄRA-Scheine jeden Monat einen Prozent ihrer Wertigkeit verloren. Diese Umlaufgebühr sollte einer Währungshortung vorbeugen. Folglich zirkuliert das Geld ständig, da niemand einen Verlust haben wollte. Jedenfalls hatten durch dieses Tauschmittel in Schwanenkirchen 60 Menschen auf einen Schlag Arbeit gefunden, die zuvor noch beim Wohlfahrtsamt Schlange gestanden hatten.109

b.b. Kreislaufsystem von Schwanenkirchen

Hebecker zahlte seinen Angestellten 90% ihres Lohnes in WÄRA und die restlichen 10% ihres Lohnes in Reichsmark ausbezahlt.110 Damit die Arbeiter aber überhaupt Nutzen aus dieser Komplementärwährung ziehen konnten, benötigten sie Annahmestellen für das Geld. Die Unternehmer aus dem Ort waren zunächst skeptisch und wollten das Geld nicht annehmen. Also richtete Hebecker eine Betriebskantine ein und bezog die Waren und Güter für diese Kantine nur aus Unternehmen, die Mitglieder der WÄRA-Tauschgesellschaft waren, welche überwiegend in Nord- und Mitteldeutschland angesiedelt waren. Somit schaffte es Hebecker Druck auf die örtlichen Geschäftsleute aufzubauen, da er sie nicht teilhaben ließ an der neuen Einnahmequelle (den neuen Arbeitnehmern) ohne die Annahme von WÄRA-Geld. Da wurde den Unternehmern aus Schwanenkirchen und Umgebung klar, dass ihnen ein großes Geschäft entging, weshalb sich nach und nach fast alle zur Annahme von der Komplementärwährung bereit erklärten. Diesbezüglich sagte ein Geschäftsmann aus Hengersberg: „Schwundgeld ist jedenfalls besser als wertbeständiges Geld, das man nicht kriegt."111

Die Ersatzwährung wurde zunehmend zur Haupteinnahmequelle für die Dorfbewohner, und Hebecker ließ die Kantine wieder schließen, da nun auch überall im Ort WÄRA angenommen wurden. Aber auch die örtlichen Unternehmer versuchten natürlich die WÄRA-Scheine loszuwerden, wobei die Umlaufgebühr den Druck auf die Weitergabe zusätzlich erhöhte. Also übten sie Druck auf die Großhändler aus, damit diese ihnen Waren für die Freigeldscheine verkauften. Die Großhändler, welche zunächst ebenso wenig mit dieser Währung anfangen konnten, schafften es, die Fabriken zu überzeugen, WÄRA im Austausch für ihre Güter anzunehmen. Letzten Endes fanden die Fabriken in dem Braunkohlebergwerk

108 projekte.free.de/geld/waera-artikel.html (am 16.07.2011)

109 Litaer, Bernard A.: Das Geld der Zukunft, S. 260 – 272.

110 projekte.free.de/geld/waera-artikel.html (am 16.07.2011)

111www.hengersberg.de/texte/seite.php?id=28964 (am 18.07.2011)

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 49

von Hebecker einen Abnehmer für die WÄRA-Scheine. Geschaffen war ein Zyklus, der jedem Teilnehmenden in Zeiten der Wirtschaftskrise entgegen kam.112

Sogar die Gegner von Freigeldern mussten diesen Aufschwung anerkennen, da er den Menschen Arbeit und Brot bescherte. In einem Bergwerk in Schwanenkirchen jenseits von Reichsmark hatten Arbeitslose wieder Beschäftigung, Kaufleute machten wieder Umsatz und Wirte bewirtschafteten wieder Gäste. In Schwanenkirchen und Umgebung war plötzlich aus der Krise Konjunktur geworden. Bereits nach kurzer Zeit bekundeten auch viele andere Gemeinden Interesse an dem Freigeld. 1931 verwendeten über 2.000 Unternehmen und auch die ein oder andere Kommune die WÄRA-Scheine, weshalb die Freigelder der deutschen Zentralbank zunehmend ein Dorn im Auge waren, allerdings hatte sie keine Möglichkeit diese zu unterbinden.113

Deshalb kam es der Zentralbank gerade recht, dass die Brüningschen Notverordnungen auch die Herstellung, Ausgabe und Benutzung von Freigeldern im Oktober 1931 untersagte. Schon nach kurzer Zeit musste Hebecker sein Bergwerk wieder schließen, und in der wirtschaftlich zwischenzeitlich florierenden WÄRA-Insel mit ihren drei Dörfern, wurde man von der Krise wieder eingeholt.114

112 Litaer, Bernard A.: Das Geld der Zukunft, S. 260 – 272.

113 Ebd.

114 projekte.free.de/geld/waera-artikel.html (am 16.07.2011)

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 50

Schemata mithilfe der auf WÄRA bezogenen weiter oben genannten Quellen, vor allem nach Bernard Litaer, erstellt.

Braunkohlewerk BergwerkarbeiterGehalt zu 2/3 in WÄRA

Unternehmer im Ort

Wollten sich das Geschäft nicht entgehen lassen

Druck von Hebecker

drängten Großhändler zur Annahme

GroßhändlerMax Hebecker

WÄRA-Gesellschaft

brauchte Startkapital

Kredit von 50.000 WÄRA

Fabriken

WÄRA - Kreislauf

WÄRA an

Industrielle im

Austausch für

Güter

Kauften Kohle bei Hebecker

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 51

c. Wörgler Schilling

c.a. Das Wunder von Wörgl

In der Region rund um Wörgl in Österreich/Tirol sind 1932 1.400 Menschen arbeitslos, allein in dem 4.200 Einwohner zählenden Wörgl waren es 400 Personen, wovon 200 bereits keine staatliche Unterstützung mehr erhielten und somit auf die Armenfürsorge der Gemeinde angewiesen waren.115 Die Zellulosefabrik, einst einer der Hauptarbeitgeber der Stadt, wurde stillgelegt, und auch die örtliche Brauerei kämpfte ums Überleben. Die Regierung gab hierfür lediglich die Empfehlung aus, dass alle sparen sollten, also Löhne kürzen und Staatsausgaben senken. Allerdings hielt Unterguggenberger wenig von diesem Plan und sagte diesbezüglich: „Ich schränke mich ein und reise nicht (hilft das der Bundesbahn?). Ich schränke mich ein und esse keine Butter (hilft das dem Bauern?)“ Deshalb tat er genau das Gegenteil, indem er den Bau einer Brücke und die Reparatur von Straßen in Auftrag gab.116

So wollte Unterguggenberger Geld unter die Leute bringen. Dies war allerdings nur der Teil seines Plans, da er befürchtete, dass viele Leute in schlechten Zeiten wie diesen das Geld horten würden, da Geld "ja nicht rostet". Hier trat der zweite Teil seines Plans zu Tage. Der Bürgermeister von Wörgl wollte ein anderes Geld in Umlauf bringen, welches sich an einer Stelle von dem herkömmlichen Schilling unterschied. Der Schein musste ebenso wie bei den WÄRA-Scheinen monatlich mit einer Wertmarke beklebt werden, die 1% des Gesamtwerts betragen sollte.

Als Wörgl einige Geschäftsleute und die Stadtverwaltung überzeugt hatte, konnte das Währungsexperiment beginnen. Alle Mitarbeiter erhielten nun die Hälfte ihres Lohnes in der Komplementärwährung Wörgl-Schilling, welcher 1:1 mit der Landeswährung gedeckt war.117 Allerdings konnte er zunächst vier Läden im Ort zur Annahme der Scheine überreden, einer darunter war zudem das Modegeschäft seiner Frau. Jedoch sorgten die vielen Bauprojekte der Kommune dafür, unter anderem der Bau einer Skischanze und das Ausbauen von Wanderwegen für den Tourismus, dass immer mehr Leute Arbeit durch die Stadt erhielten. Da auch diese Arbeiter zur Hälfte in Wörgl-Schilling bezahlt wurden, hatten immer mehr Menschen Scheine dieser Ersatzwährung zur Verfügung. Wie Unterguggenberger gehofft hatte, gaben sie das Tauschgeld schneller aus als die Landeswährung, sodass auch immer mehr Geschäftsleute ihre Skepsis überwunden und den Wörgl-Schilling als Tauschmittel akzeptierten.118 Zur Akzeptanz half natürlich auch, dass die ausgebende Gemeinde das Geld wiederum für die Zahlung von Steuern akzeptierte.

115 www.unterguggenberger.org/page.php?id=162&navigation=M182Mw== (aufgerufen am 23.07.2011)

116 www.zeit.de/2010/52/Woergl (aufgerufen am 20.07.2011)

117 Litaer, Bernard A.: Das Geld der Zukunft, S. 260 – 272.

118 www.unterguggenberger.org/page.php?id=162&navigation=M182Mw== (aufgerufen am 23.07.2011)

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 52

Überall stieg die Arbeitslosigkeit in Österreich, während sie in Wörgl sogar zurückging. Im gesamten Land lieferten sich Links- und Rechtsextremisten Straßenkämpfe, während im Wörgler Gemeinderat alle geschlossen hinter dem Bürgermeister standen, Rechte und Linke sich sprichwörtlich "friedlich im Wirtshaus zuprosten".119

Der Erfolg des Wörgl-Schillings schlug weite Kreise und wurde weltweit von der Presse verfolgt. Der französische Ministerpräsident Daladier kam nach Wörgl, um sich das Wunder mit eigenen Augen anzusehen. Auch im amerikanischen Senat wurde der Wörgl-Schilling diskutiert.120 Es wurde sogar gefordert den Wörgler Bürgermeister zum neuen österreichischen Finanzminister zu machen. Unterguggenberger sprach im Frühsommer 1933 vor 170 anderen Bürgermeistern, welche auch über eine Komplementärwährung nachdachten. Dies waren nicht nur ein paar Nachbargemeinden, sondern auch „österreichische Großstädte“ wie Linz und Steyr.121

c.b. Verbot des Wörgl-Schillings und erneuter Niedergang der lokalen Ökonomie

Aufgrund des enormen Erfolges wurde der Wörgl-Schilling der österreichischen Nationalbank zunehmend ein Dorn im Auge. Laut Gesetz hat nämlich nur sie das Recht Banknoten herauszugeben. Von der »Abstellung dieses Unfugs« war in einem internen Schreiben der Bank die Rede. Die Nationalbank wurde also zunehmend nervöser, da sie ihr Monopol gefährdet sah. Anfang des Jahres 1933 ging bei Unterguggenberger der Bescheid ein, dass Experiment zu beenden, gegen welchen dieser Widerspruch einlegte. Allerdings vergeblich, denn am 18.11.1933 wurde vom österreichischen Verwaltungsgerichtshof beschlossen, dass das Wörgler Notgeld gegen das Gesetz verstößt.122 Die Stadt wurde unter Androhung von Militäreinsatz zur Beendigung des Experiments gezwungen.

Bereits nach kurzer Zeit war die Arbeitslosigkeit wieder auf über 30% angestiegen, zudem wurden kurze Zeit später durch das Dollfuß-Regime alle linksgerichteten Gruppierungen verboten. Auch Unterguggenberger wurde seines Amtes entledigt. Der zweite Weltkrieg vernichtete zwar viele Erinnerungen an das Wunder von Wörgl, allerdings gibt es heute den Verein Unterguggenberger Institut, welcher das Erbe des Wörgl-Experiments hochhält und zudem die historischen Erfahrungen mit aktuellen Projekten zusammenbringt.123

c.c. Statistische Zusammenfassung

Das Experiment von Unterguggenberger dauerte vom 05.07.1932 bis 21.11.1933. Innerhalb dieser Zeit kursierten die Schein 416 mal, wodurch die Investitionen im Vergleich zum

119 www.zeit.de/2010/52/Woergl (aufgerufen am 20.07.2011)

120 www.unterguggenberger.org/page.php?id=162&navigation=M182Mw== (aufgerufen am 23.07.2011)

121 www.zeit.de/2010/52/Woergl (aufgerufen am 20.07.2011)

122 Ebd.

123 Litaer, Bernard A.: Das Geld der Zukunft, S. 260 – 272.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 53

Vorjahr um 219% stiegen.124 Zudem sank in der kurzen Zeit, die das Freigeldexperiment andauerte, die Arbeitslosenquote in Wörgl um 16%, während sie im gleichen Zeitraum in Österreich um 19% stieg. Interessanterweise waren in der gesamten Zeit aber nur etwa 5.500 Wörgl-Schilling im Umlauf, welche sogar durch stillgelegte Österreichische Schillinge gedeckt waren - allerdings zirkulierten die Notscheine viel schneller als die Landeswährung.125

Im zweiten Halbjahr des Jahres 1932 wurde so öffentliche Arbeit im Wert von über 100.000 Schilling geschaffen, dabei wurde die Infrastruktur verbessert durch Straßenasphaltierung und Kanalbauten. Im darauf folgenden Jahr wurden nochmal 80.000 Wörgl-Schilling für den Bau einer Brücke, das Anlegen von Wanderwegen und Tourismusinfrastuktur ausgegeben.126 Zudem schuf jeder Wörgler Schilling 12 – 14 mal soviel Arbeit wie der normale Schilling.127

Jeder offizielle Schilling sorgte also jährlich für Absatz von Waren in Höhe von 8,55 Schilling, während der Wörgl-Schilling im gleichen Zeitraum etwa 73 Schilling Sozialprodukt umsetzte. Während der Experimentdauer lag die Gesamtnachfrage bei 2.547.360 Schilling, was heute einer Kaufkraft von rund 5 Millionen Euro gleich kommt. Eine beachtliche Summe für das weniger als 5.000 Einwohner zählende Städtchen, wenn man zudem berücksichtigt, dass man sich inmitten einer Wirtschaftskrise befand. Der Erfolg des Geldexperiments von Unterguggenberger war vor allem auf den raschen Umlauf des Freigeldes zurückzuführen, also die schnelle Weitergabe des Geldes durch die einzelnen Wirtschaftsakteure.128

d. Fazit

Das Verhalten des Deutschen Reiches und Österreichs bei den beiden Regionalwährungs-Experimenten ist bezeichnend für die Skepsis, die auch heute noch von den meisten staatlichen Einrichtungen und vor allem seitens des Bankensektors gegenüber Komplementärwährungen besteht. Auf staatlicher Seite könnte man die Gründe für diese Abneigung vor allem in der fehlenden Kontrollierbarkeit von Regionalwährungen durch staatliche Instanzen sehen. Ähnlich sieht dies bei dem Bankensektor aus, wo von den meisten Vertretern Regionalwährungen als Konkurrenz zur Landeswährung gesehen werden, da sie diese unterwandern könnten, und somit die eigene Machtposition schwächen. Das Dilemma bei diesem Konflikt ist allerdings, dass Regionalwährungen gar nicht die Landeswährung ersetzen sollen, sondern nur zusätzlich unterstützen, um die Wirtschaftskreisläufe im Gang zu halten. Dennoch führt dieser Interessenkonflikt dazu, dass die ohnehin aufwendige Einführung und Erhaltung von Regionalwährungen zusätzlich erschwert wird. Selbst dann, 124 Ebd.

125 www.unterguggenberger.org/page.php?id=162&navigation=M182Mw== (aufgerufen am 23.07.2011)

126 Ebd.

127 Litaer, Bernard A.: Das Geld der Zukunft, S. 260 – 272.

128 www.unterguggenberger.org/page.php?id=162&navigation=M182Mw== (aufgerufen am 23.07.2011)

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 54

oder wie die beiden Beispiele aus den 1930er Jahren zeigen, vor allem dann, wenn die Regionalwährungen sehr erfolgreich sind.

e. Literaturverzeichnis

Gesell, Silvio: Die natürliche Wirtschaftsordnung, Hrsg.:Rudolf Zitzmann Verlag, Nürnberg, 9. Auflage August 1949, S.

Litaer, Bernard A.: Das Geld der Zukunft, Hrsg.: Riemann Verlag, 1. Auflage, Juni 2002, S. 260 – 272.

Friedmann, Werner: Die Wära-Insel im bayrischen Wald, Hrsg.: Süddeutsche

Sonntagspost, 5. Jahrgang, Nr. 11, S. 8 ff..

Suppan, Arnold: Jugoslawien und Österreich 1918–1938. Bilaterale Außenpolitik im europäischen Umfeld. Verlag für Geschichte u. Politik, Wien 1996, S. 1047f..

Internetquellen

www.silvio-gesell.de/html/tabellarischer_lebenslauf.html (aufgerufen am 07.08.2011.)

www.dhm.de/lemo/html/weimar/industrie/wirtschaftskrise/index.html (aufgerufen am 18.07.2011.)

www.hengersberg.de/texte/seite.php?id=28964 (aufgerufen am 18.07.2011.)

projekte.free.de/geld/waera-artikel.html (aufgerufen am 16.07.2011.)

www.unterguggenberger.org/page.php?id=162&navigation=M182Mw== (aufgerufen am 23.07.2011.)

www.zeit.de/2010/52/Woergl (aufgerufen am 20.07.2011.)

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 55

3.5. Primäre Arbeitsgruppen: Marketing und Internetauftritte von Regionalgeld-Initiativenvon Thomas Moßburger

„Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben wissen, wissen wir durch Massenmedien“129 (Niklas Luhmann)

Dieser Satz des Soziologen Niklas Luhmann soll zu Beginn der Ausführungen verdeutlichen, welchen Einfluss Massenmedien auf die Verbreitung von Ideen haben. Luhmann meint, damit, dass wir im Prinzip zumindest fast alles, was wir wissen, was wir erfahren, über Massenmedien wie Zeitungen, Radio, Fernsehen oder das Internet geliefert bekommen.

Auch für denjenigen, der eine Idee, wie die Umsetzung einer Regionalgeld-Initiative, verbreiten und Mitstreiter gewinnen will, gilt dies: Vor allem durch das Einbeziehen von Massenmedien kann man erheblich dazu beitragen, dass eine Idee zumindest zu größerer Bekanntheit findet und andere für sich begeistern. Die „klassischen“ Massenmedien wie Zeitungen, Radio und TV sind dabei meist für den einzelnen schwer zugänglich, weshalb sich gerade das Internet und eine Präsenz dort anbietet um relativ günstig und ohne „Umwege“ über Journalisten und deren Themenvorstellungen selbst Informationen über ein Projekt weitergeben zu können. Daher soll es hier auch darum gehen, was sich die Marketing-Gruppe im Seminar „Regionalgeld in Erfurt?!“ zu Internetauftritten von Regionalgeldern erarbeitet hat.

Im Allgemeinen kann es auch den oben bereits angesprochen Gründen im Prinzip nur empfohlen werden, als Regionalgeld-Initiative eine Website zu betreiben. Über 70 % der Deutschen sind mittlerweile „online“ und besorgen sich somit zumindest einen Teil ihrer Informationen aus dem Internet.130 Wer also Menschen für eine Idee gewinnen will, sollte die Chance nutzen, die das freie Internet ihm bietet und ermöglichen, dass Menschen, die zum Beispiel den Namen „Landmark“ vielleicht einfach nur in einem Gespräch aufgeschnappt haben, sich im Internet unkompliziert mit weiteren Informationen versorgen können.

Jedoch gilt es beim Aufbau und Instandhalten einer solchen Internetseite einige Dinge zu beachten. Eine Internetseite zu veröffentlichen, nur um des Veröffentlichens Willen ist unnütz. Sie muss auch danach gepflegt und zumindest von Zeit zu Zeit an neue Entwicklungen des Projektes, aber auch an technische Neuerungen angepasst werden.

Der mit dem Internetauftritt Beauftrage sollte folglich im engen Kontakt zum Vereinsvorstand stehen, sodass er Neuigkeiten und Ideen schnell auch auf der Internetseite verbreiten kann. Eine veraltete Internetseite ist für den interessierten Nutzer, der sich über

129 Niklas Luhmann (1996): Die Realität der Massenmedien. Opladen: Westdeutscher Verlag, 2. Aufl., S.9

130 ARD/ZDF Onlinestudie 2011: http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/index.php?id=onlinenutzung0

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 56

etwas informieren möchte, meist unbefriedigend und könnte vor allem dazu führen, dass der Gast auf der Seite den Eindruck erhält, das Projekt sei eingeschlafen oder es fehle an Engagement. Es sollten dabei schon bei der Planung eines Internetauftritts Verantwortliche bestimmt werden, die sich um die Pflege der Seite oder einzelner Themenbereiche kümmern und so die Seite mit neuen Informationen zum Beispiel in Form von Texten oder Bildern versorgen.

Neben der Aktualität der Informationen ist es zudem wichtig, die Informationen strukturiert und fokussiert zu präsentieren. So sollte man versuchen, einzelne Themengebiete eines Projektes zu trennen und mit verschiedenen Fokussierungen einzeln zu erklären. So kann man beispielsweise bei einem Verein, der eine Regionalgeld-Initiative bildet, auf einer Internetseite thematisch zwischen allgemeinem Konzept, Geschichte, dem Verein und seiner Vorstandschaft, aktuellen Neuigkeiten, Möglichkeiten sich selbst zu engagieren, gesammelten Medienberichten zum Verein und einer Bildergalerie von Veranstaltungen und Aktionen des Vereins trennen. Dabei ist es neben der thematischen Strukturierung, die man jeweils an den Verein anpassen und logisch aufbauen sollte, auch zu beachten, dass die einzelnen Themenbereiche für den Seiten-Nutzer leicht und übersichtlich dargestellt und einfach zu finden sind. Hierbei helfen ein klares Layout der Seite und eine Beschränkung auf wenige, nicht allzu bunte Farben. Gerade bei Texten ist zum Beispiel schwarze Schrift auf weißem Grund auch auf PC-Bildschirmen für das Auge am angenehmsten.

Hat man sich nun darum gekümmert, dass die Informationen und gut strukturiert und aktuell sind, sollte man versuchen- natürlich ist auch dies vom jeweiligen Projekt abhängig- neben Texten auch Fotos, Bilder und Videos auf der Seite einzubauen. Gerade dadurch kann gezeigt werden, dass ein Projekt lebendig und interessant ist. Eine Internetseite ohne Bilder wirkt oft unpersönlich und es fällt schwer die Begeisterung und das Engagement der dahinter stehenden Menschen zu erahnen, wenn man sie nicht zu Gesicht bekommt. Auch für das Vertrauen in das Projekt kann es sicherlich nicht von Nachteil sein, wenn man bei der Vorstellung der Vorstandsmitglieder auch Fotos der einzelnen Beteiligten sehen kann. Dies gilt natürlich nur, wenn der Einzelne dies möchte. Auch das Einbinden von Medienberichten, wie beispielweise Zeitungsartikel, die über das Projekt veröffentlicht wurden, geben dem Besucher weitere Informationen und zeigen, dass sich auch andere für ein Projekt interessieren und es spannend finden.

Auch Verlinkungen zu anderen Seiten oder auf interessante Online-Artikel, Videos oder Blogs können helfen, um komplizierte Sachverhalte, wie Geldkreisläufe und Probleme mit dem Geldsystem zu erklären und aktuell darzustellen.

Zudem sollte, wie oben bei der Strukturierung bereits angesprochen, für den Besucher auch klar werden, wie er sich selbst einbringen, ob und wo er eventuell weitere Informationen erhalten oder wie mit beim Projekt aktiven Personen in Kontakt treten kann.

Damit die Mühe, die das Erstellen und Pflegen einer solchen Internetseite mit sich bringt,

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 57

sich lohnt, sollte man eine relative eingängige und klare URL, das heißt eine Adresse mit ein bis zwei Wörter, die im besten Fall auf >.de< endet, wählen, sodass sie leicht in Erinnerung bleibt und bequem anzuwählen ist. Diese Internetadresse sollte man dann auch auf Flyer und Visitenkarten zum Thema drucken lassen und auch Journalisten, die einen Beitrag über das Projekt oder den Verein recherchieren, fragen, ob er die Adresse im Zeitungsartikel oder Fernsehbeitrag ansprechen könnte.

Auch andere, „befreundete“ Vereine kann man darum bitten im „Link“-Bereich ihrer Internetseite auf die Adresse aufmerksam zu machen und es dann im Gegenzug genauso machen.

Ist man an speziellen Gruppen von Nutzern interessiert, zum Beispiel an jungen Menschen, kann man sich als Regiogeld-Verein zudem überlegen, ob man eine Informationsseite in sozialen Netzwerken wie Facebook oder ein Konto bei Twitter anlegen möchte, wo man Neuigkeiten und Informationen über das Projekt veröffentlichen kann. Jedoch sollte man sich hierbei vorher überlegen, ob dies für die eigene Initiative Sinn macht und nicht einfach auf den Trend aufspringen, nur um dabei zu sein. Auch die Betreuung solcher Konten sollte nämlich aktuell und strukturiert sein und ist somit zeitaufwändig.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 58

3.6. Primäre Arbeitsgruppen: Strukturanalyse vor der Einführung eines Regionalgeldesvon Frauke Heesing

Um ein passendes Regionalgeld zu implementieren, muss zunächst eine Strukturanalyse des Untersuchungsgegenstandes, also der Region, vorgenommen werden. Die Arbeitsgruppe muss sich Klarheit darüber verschaffen, in welche Richtung sie recherchieren will, dazu müssen Vorüberlegungen getroffen werden.

a. Vorüberlegungen

• Wo soll das Regionalgeld einführen werden?

• Welche Ziele sollen mit dem Regionalgeld „erreicht werden“ oder „sollen mit dem Regionalgeld verfolgt werden“

• Wer soll mit dem Regionalgeld erreicht werden?

• Welche Variante des Regionalgelds könnte in Frage kommen?

• Usw.Erst wenn sich die Gruppe über diese Grundvoraussetzungen und eventuelle Ziele im Klaren ist, kann zielorientiert recherchiert werden.

b. Recherche

• Wer lebt in der Region (Alter, Herkunft, Bildungsstand usw.)?

• Wie hoch ist die Arbeitslosigkeit/das Einkommen?

• Wie hoch ist die Kaufkraft/Kapitalflucht?

• Wie ist die Unternehmensstruktur?

• Wie gut ist die Anbindung an andere Regionen?

• Existieren in der Region bereits ähnliche Ansätze?

• Usw.Eine Methode, die aber viel Zeit in Anspruch nimmt, wäre selber Nachforschungen vor Ort anzustellen und somit gezielt Antworten auf Fragen zu bekommen. Da im Zweifel hierfür nicht genug Zeit ist und der Aufwand oft nicht in der richtigen Relation zum Ergebnis steht, sind bereits existierende Statistiken und Berichte gute Quellen für Daten.

Für die Beantwortung der Fragen können daher verschiedene Statistiken zu Rate gezogen werden. Viele Statistiken können beim Statistischen Bundesamt131 oder bei den statistischen

131 Statistisches Bundesamt (30.07.2011): http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/-

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 59

Ämtern der Bundesländer132 abgerufen werden. Eine weitere Quelle können verschiedene andere Strukturberichte der Städte und Gemeinden sein.133 Über die soziale Struktur werden verschiedene Statistiken erhoben, die einen genauen Einblick in die Zusammensetzung der verschiedenen Bevölkerungsstrukturen geben, um somit mögliche Problempunkte und Ansatzpunkte ausfindig machen zu können.

c. Ergebnisprotokoll Beispiel Erfurt (Arbeitsgruppe SS2011)

Die Recherche für Erfurt hat, mit Hilfe der oben genannten Quellen, einige wichtige Eckdaten liefern können, mit denen weiter gearbeitet werden kann.

Statistische Erhebungen zu Erfurt:134

Arbeitslosenquote 2009:

- alle Erwerbspersonen

- abhängig zivile Erwerbspersonen

April 2011

12,1%

13,4%

12,1%

Arbeitslose total (2011)

Empfänger ALG II

Sozialgeldempfäger

11998

20027

7093

Haushalte unterhalb der Armutsrisikoschwelle 2010 (713 €)

15,00%

Pendlersaldo 2010 28770

Gini-Koeffizient 2010 0,24 (in D 2009: 0,29)

Bevölkerungsentwicklung bis 2030 2,80%

Haushaltsäquivalenzeinkommen 2010 Durchschnitt von 1.405 Euro

BIP 2008 6,3 Mrd.

destatis/Internet/DE/Navigation/Navigationsknoten__Startseite1.psml

132 Thüringer Landesamt für Statistik (30.07.2011): http://www.statistik.thueringen.de/

133 Stadt Erfurt (30.07.2011): http://www.erfurt.de/imperia/md/content/veroeffentlichungen/statistik/halbjahresbericht_2010_2.pdf ; http://www.erfurt.de/imperia/md/content/veroeffentlichungen/gesundheit/sozialstrukturatlas2003.pdf

134 Zusammengetragen von Nikolaus Kiennen. Die Zahlen sollen nur als Orientierung dienen, aktuelle Werte und weitere Statistiken auf den Internetadressen der vorangegangenen Fußnoten.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 60

Anteil an Kleinunternehmen (0-9 Mitarbeiter) 86,60%

Im Sozialstrukturatlas135 2003 (keine neuere Version verfügbar) der Stadt Erfurt sind Sozialindikatoren der Stadt Erfurt analysiert und in die verschiedenen Stadtteilen aufgegliedert. Außerdem werden die Infrastruktur und die soziale Belastung der Stadtteile dargestellt.

Als wichtige Indikatoren für die Sozialstrukturanalyse sind Folgende Faktoren herangezogen worden:

1. Greis-Kind-Relation;2. Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten;3. Anzahl der HLU136-Empfänger (je 1000 Einwohner, Kinder, Frauen);4. Anzahl der Arbeitslosen (je 1000 Erwerbsfähige, Jugendliche unter 25);5. Anzahl der Arbeitslosenhilfeempfänger (je 1000 Erwerbsfähige);6. Alterslastquote (Zahl der über 60jährigen in % zur Gesamtbevölkerung des

Stadtteils );7. Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (Wohnortprinzip) je 100 Erwerbsfähige;8. Quoten der Hilfen zur Erziehung.

An dieser Stelle will ich nicht auf alle Indikatoren in allen Stadtteilen eingehen, sondern vielmehr den Entscheidungsweg nachvollziehbar machen, der uns dazu bewegt hat die Magdeburger Allee zu fokussieren. Die Magdeburger Allee befindet sich im Erfurter Stadtteil Ilversgehoven, daher ist die Struktur dieses Stadtteils von besonderer Relevanz.

Bei der Analyse des Sozialstrukturatlases 2003 wird deutlich, dass der Stadtteil einige Merkmale aufweist, welche sich für die Implementierung eines Regionalgeldes eignen.

Laut dem Sozialststrukturatlas besteht hoher Handlungsbedarf bei der Anzahl der Arbeitslosen und der Anzahl der Arbeitslosenhilfeempfänger. Kein hoher, aber dennoch Handlungsbedarf besteht bei der Anzahl der HLU Empfänger. Im Erfurter Durchschnitt befinden sich hingegen die Anzahl der sozialhilfeversicherungspflichtig Beschäftigten, die Alterslastquote, das Greis-Kind-Verhältnis (leicht verbessernd) und die Quoten der Hilfe zur Erziehung. Da die Anzahl der sozialhilfeversicherungspflichtig Beschäftigten nach dem Wohnortsprinzip ermittelt wird, ist daraus nicht erkenntlich, ob diese Personen in Ilversgehoven oder in anderen Stadtteilen beschäftigt sind. Weiterer Handlungsbedarf besteht bei der Wohnfläche je Wohnung pro Kopf, welche im Vergleich zu anderen Stadtteilen deutlich geringer ist.135 Sozialstrukuratlas der Stadt Erfurt, (30.07.2011)

http://www.erfurt.de/imperia/md/content/veroeffentlichungen/gesundheit/sozialstrukturatlas2003.pdf

136 Hilfe zum Lebensunterhalt.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 61

Es ergibt sich ein Bild von Unterbeschäftigung und mangelnder Kaufkraft. Neben vier weiteren Stadtteilen ist Ilversgehofen damit ein „sozialer Brennpunkt“ in Erfurt, wobei das sich verbessernde Verhältnis von Jung und Alt positiv zu vermerken ist. Diese Indikatoren können als mögliche Ansatzpunkte für Regionalgelder gewertet werden, wenn das Regionalgeld als Kaufkraftsteigerung und -bindung dienen soll.

Ein weiterer wichtiger Analysepunk ist die Unternehmensstruktur. In Erfurt sind 86,6%137 der Unternehmen Kleinunternehmen. Diese eignen sich besonders gut für Annahmestellen von Regionalgeld, da sie nicht an eine größere Unternehmensstruktur gebunden sind und eigenständig handeln können. Die Magdeburger Allee hat eine der ausgeprägtesten Kleinunternehmensstrukturen Erfurts. Diese sind auch bereits im Magdeburger Allee e.V.138

vereint. Diese Form der Unternehmenszusammensetzung eignet sich, wie bereits in anderen Beiträgen dargestellt, am besten für die Einführung von Regionalgeldern.

Die Analyse der Sozialstruktur des Stadtteils Ilversgehoven in Verbindung mit der Unternehmensstruktur der Magdeburger Allee hat ergeben, dass sich diese am besten für die Einführung eines Regionalgeldes in Erfurt eignet.

d. Literatur

Internetquellen:

Sozialstrukuratlas der Stadt Erfurt:

http://www.erfurt.de/imperia/md/content/veroeffentlichungen/gesundheit/sozialstrukturatlas2003.pdf,

StadtErfurt: http://www.erfurt.de/imperia/md/content/veroeffentlichungen/statistik/halbjahresbericht_2010_2.pdf,

Statistisches Bundesamt:

http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Navigation/Navigationsknoten__Startseite1.psml,

Thüringer Landesamt für Statistik: http://www.statistik.thueringen.de/

137Siehe Tabelle.

138Magdeburger Allee e.V. (30.07.2011): http://www.magdeburger-allee-erfurt.de/startseite.html

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 62

3.7. Primäre Arbeitsgruppen: Der thüringer Wirtschaftsring„Landmark“ - Tauschring und Gutscheinsystemvon Sebastian Hachmeyer und Markus Nietzold

In der Phase der primären Arbeitsgruppen ging es um die Analyse der sozioökonomischen Situation in Erfurt (Arbeitsgruppe 1), des Wirtschaftsrings Landmark (im Folgenden abgekürzt: WL), aufgeteilt in Euro-gedeckten Teil und Tauschring der Landmark (Arbeitsgruppe 2), und schließlich der Probleme und Gründe für das Scheitern vergangener und aktueller Regionalgeldexperimente (Arbeitsgruppe 3). Die Ergebnisse wurden anschließend im Seminarvorgetragen und diskutiert. Wir beschäftigten uns mit Tauschringen im Allgemeinen und speziell mit dem Tauschring des WL.

„Ein Tauschgeschäft ist als ein Austausch von Gütern und Dienstleistungen ohne jegliche Währung definiert“ Lietaer (1999)

Zu Tauschringen allgemein lässt sich sagen, dass sie exklusiv nur für Mitglieder bereitgestellt werden und dass die Transaktionen ohne greifbare Währung, also Digital, stattfinden. Der Tausch erfolgt meist durch Ausfüllen eines Buchungsbelegs, wobei einerseits das für diese sogenannte „gegenseitige Kreditvergabe“ (Plettenbacher 2008: 102) errichtetes Konto des einen Teilnehmers ins Minus geht, das des anderen ins Plus, und anderseits dieses Soll und Haben auf den speziell eingerichteten Konten nicht verzinst wird (Vgl. Plettenbacher 2008: 102). Als Voraussetzung für ein Tauschgeschäft gelten „passende Bedürfnisse und Ressourcen“ (Lietaer 1999: 281). Somit werde der Fluss solcher Tauschgeschäfte erheblich eingeschränkt.

Spezielle Tauschringe für Unternehmen heißen Bartersysteme. Es gebe ca. 700 Barterringe, die ca. 20 % des Welthandels ausmachen (vgl. Plettenbacher 2008: 116).

„Bartern heißt Tauschen und ist eine traditionsreiche Art des Tauschhandels, bei der Waren und Dienstleistungen ohne Geld ausgetauscht werden“ Plettenbacher (2008)

Vorteile von Bartersystemen sind zusätzliche Geschäfte und Kunden, Erschließung neuer Märkte, Auslastung freier Kapazitäten, Zusammenführung von Angebot und Nachfrage, Alternativen zu den Bankkonditionen, Erhöhung der Liquidität. Als Nachteile könnte man anführen, dass sie keine Gemeinwohlorientierung haben und oft nur auf Großunternehmen zielen und stärken daher weniger die Region und die soziale Struktur139. „Social Barter“ sei eine neue Entwicklung, in denen auch Verbraucher einbezogen und soziale Ziele verfolgt würden, so Plettenbacher.

Es gibt weitere Ausprägungen von Tauschringen (Zeitbanken, Seniorengenossenschaften und

139 Vor- und Nachteile entnommen aus Plettenacher 2008: 116

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 63

Zeitsparmodell, aber auch private „Local Exchange Trading Systems (LETS)“), wie in den vorangegangenen Kapiteln bereits näher besprochen140. Grundsätzlich laufen die Tauschringe nach dem oben erwähnten Grundgedanken der „gegenseitigen Kreditvergabe“ ab. Beispiele für Tauschringe sind u.A. der Talente-Tauschkreis Vorarlberg (1996) und Fureai Kippu in Japan („Pflege-Beziehungs-Ticket“, 1995).

a. Landmark-Tauschring

Der WL besitzt ebenfalls einen solchen Tauschring. Dieser ist eine Art Quittungssystem, welches ein eigenständiges System darstellt und daher abzugrenzen ist von dem parallel existierenden Gutscheinsystem des WL. Das Quittungssystem funktioniert über spezielle Konten, auf dessen Eröffnung eine einmalige Gebühr von 20 Euro bezahlt werden muss. Geschäfte werden dabei über handgeschriebene Quittungen abgewickelt, welche später erfasst werden um die Konstenstände der Geschäftspartner zu aktualisieren. Nur aktive Mitglieder (sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen) haben Zugang zu einem virtuellen Marktplatz, auf dem Waren und Dienstleistung angeboten und nachgefragt werden können. Die aktive Mitgliedschaft beträgt 12 Euro im Jahr. Am Ende des Quartals fallen negative Zinsen von 3 % an. Damit soll der rasche Umlauf gewährleistet werden.

b. Landmark-Gutscheinsystem

Neben dem Landmark-Tauschring ist auch das LANDMARK-Gutscheinsystem ist partieller Bestandteil der Initiative Wirtschaftsring LANDMARK und als solches ein Beispiel für Regionalwährungen in Deutschland. Die Gutscheine sind seit 2005 präsent und ein alternatives Zahlungsmittel in der Region Ostthüringen. Aktuell bestehen unterschiedliche Ausgabestellen für den Bezug der Gutscheine, unter anderem beim Initiator der Regionalwährung Alexander Pilling.

Die LANDMARK-Gutscheine basieren auf einem eurogedeckten System, bei dem der Tausch von Euro in LANDMARK im Verhältnis von 1:1 vollzogen wird -es existiert folglich eine reale Wertdeckung. Einlagerungsort der eingetauschten Euro ist die Sparkassenfiliale Kahla. Weiterhin können die LANDMARK-Gutscheine im Verhältnis 1:1 in Euro zurück getauscht werden, dabei wird jedoch ein Regionalbeitrag von 5% fällig, welcher zur Deckung der anfallenden Kosten verwendet wird (in erster Linie zur Finanzierung der Gutschein-Herstellung). Die Seriosität des Systems wird durch unterschiedliche Sicherheitsmerkmale gewährleistet, unter anderem durch die Papierqualität, Währungszeichen und den Unterschriften der Initiatoren.

Die Teilnahme am System und die damit verbundene Verwendung der LANDMARK sind kostenfrei. Sollten Sie vorhaben als Anbieter für persönliche Produkte oder Dienstleistungen tätig zu werden, fällt ein Jahresbeitrag von 12 Euro an.

140 Weitere Konzepte sind nachzulesen in Plettenbacher 2008: 102-123

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 64

Ein Engagement im LANDMARK-Gutscheinsystem lässt sich vor allem anhand der für Regionalgelder typischen Vorteile begründen. Im Vordergrund stehen hier der Aufbau von vertrauensvollen Handelsstrukturen innerhalb des regionalen Nutzerkreises, die Förderung der Wirtschaftstätigkeit und Kreativität im Bezugsgebiet sowie die Generierung eines Handels-Netzwerkes, bei dem die Beteiligten zum gegenseitigen Vorteil miteinander in wirtschaftlichen Austausch treten.

c. Fazit

Es handelt sich bei dem Projekt LANDMARK entgegen seinem Namen nicht um ein Geld, sondern um zwei autonome Systeme – ein Regionalgeld und einen Tauschring - wobei es Interessenten freigestellt wird, an einem oder an beiden Systemen teilzunehmen. Das breite Angebot hat auf der anderen Seite natürlich den Nachteil hoher Komplexität, gerade für neue Interessenten, welche noch keine Erfahrungen mit alternativen Verrechnungssystemen haben. Kern oder Herz der LANDMARK ist ein Regionaler Markttag, welcher in LANDMARK-Regionalgeld abgewickelt wird, was weitgehend zu spielerischer Annäherung und Werbeinstrument genutzt sowie als gemeinschaftsfördernde Maßnahme geschätzt wird.

Seit der Gründung des WL 2006 hat der Verein rund 90 Mitglieder. Die weitere Entwicklung stellt sich als langsam und teilweise stagnierend dar. Das könnte natürlich teilweise an einer gegebenen Grenze von potentiellen Interessenten an solchen Projekten liegen, welche wahrscheinlich nur einen sehr geringen Anteil an der Bevölkerung ausmachen. Teilweise könnte es aber auch zurückgeführt werden auf einem Mangel an qualitativer Öffentlichkeitsarbeit und fehlender Außenwirkung der Internetseite, welche sich – wie bei vielen ehrenamtlichen Vereinen - eher unübersichtlich und veraltet darstellt. Aufgrund erster Überlegungen und nach dem Besuch von Herrn Pilling und Urbanneck von der Landmark mit Vortrag und interessanter Diskussion hatten die SeminarteilnehmerInnen die Idee einen Tauschring-Ableger am Campus der Universität Erfurt zu implementieren, oder aber zur Arbeit des Vereins im Rahmen einer konzentrierten Aktion ehrenamtlich zu Marketing und Internetauftritt beizutragen.

Weitere Hinweise zum System und dem Wirtschaftsring LANDMARK im Allgemeinen finden sich unter: http://wirtschaftsring.reinstaedter-landmarkt.de/index.php.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 65

3.8. Primäre Arbeitsgruppen: Vor- und Nachteile von Regiowährungen von Felix Kleinert und Conrad Meier

a. Sammlung belegter Vor- und Nachteile (Kosten & Risiken vs. Chancen & Potentiale)

Die folgende Gegenüberstellung von Argumenten aud der Literatur soll jedem Einzelnen die Möglichkeiten eröffnen, Potentiale und Grenzen von Regionalwährungen zu bewerten. Die hier vorgenommene Bewertung der einzelnen Faktoren ist rein subjektiv auf Basis unserer eigenen Abschätzungen entstanden. Als Motivation diente das Ziel, das komplexe Themenfeld der Regionalwährungen überschaubar darzustellen, sowie die generellen Erfolgschancen einschätzen zu können.

Da verschieden Faktoren aus Kapazitätgründen sowie der generellen Überlappung/Verschränktheit nicht sauber qualitativ voneinander abgegrenzt werden konnten, beschränkt sich die Darstellung auf eine bloße Positv-Negativ-Gegenüberstellung. Auf der Pro-Seite finden sich Chancen, Potentiale und begünstigende Faktoren, auf der Contra-Seite werden alle Kosten, Risiken und behindernde Faktoren aufgeführt. Die Wertebereichdefinitionen gehen von „sehr schlecht“(--), über „schlecht“(-), über „gut“(+), zu „sehr gut“ (++).

PRO CONTRA

Toleranz der Zentralbanken gegenüber positiven Effekten, wie z.B. Abbau von Arbeitslosigkeitsteigt. Die Aufgabe der Inflationskontrolle wird durchgesetzt.

(Lietaer, S.339) +

Machtanspruch der Zentralbanken: Ignoranz gegenüber und Unterdrückung der Initiativen, sowie Einsatz rechtlicher Mittel zum Erhalt des Einflusses. (Lietaer, S.339)

Dulden der EZB ist abhängig von Eurovolumen in Relation zum Volumen umlaufender Regionalgelder, um einer Inflationsgefahr entgegenzuwirken. (Creutz, S.31)

Richtiges Konzipieren der Währung könnte den inflationären Druck auf Landeswährungen vermindern. (Lietaer, S.339)

Gegenüber steht die mögliche Inflationsgefahr durch ein schlechtes Konzept (Lietaer, S.340)

Höhere Umlaufgeschwindigkeit kann durch folgende Faktoren begünstigt werden:

• Die meisten Regiogelder-Initiativen

Akzeptanz- und Nutzungshemmungen werden werden durch folgende Faktoren verstärkt.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 66

verteilen die Kosten auf mehrere Personen. (Godschalk)

• zusätzliche Investitionen führen zur Steigerung des regionalen Sozialprodukts. (Schneegans, S.45)

• Es kann ein Beschäftigungseffekt eintreten. Folge wären Anreizbildungen für die Aufnahme von neuen Erwerbstätigkeiten. (Schneegans, S.45/56) ++

Allgemein unterliegen Regionalgelder dem Effekt schnell ausgegeben zu werden.(Godschalk)

• Es entstehen Informations- und Transaktionskosten für Nutzer -

• Die Umlaufgebühr führt zu einer geringeren Nachfrage. ["schlechtere Währung"] (Rösl)

• Wirtschaftswachstum stellt eine Gefahr für die Umwelt dar und ist ökologisch nicht vertretbar. -

(Schäfer, S.68:)

Würde man einen statischen Kostenvergleich anstellen, würde die Wahl auf die billigere Varinate, nach dem Prinziep des "homo oeconomicus", fallen.(Rösl)

Allgemein schneiden Regionalwährungen in der traditionellen Geldfunktion schlechter ab:

• Als Tauschmittel und Recheneinheit sind diese eher unpraktisch und schwer zu handhaben. (Rösl)

• Bedeutungsverlust als Wertaufbe-wahrungsmittel --

(Schneegans, S.33; Schäfer, S.69)

Geldhaltekosten führen zur Stabilisierung der Geldkaufkraft und des Preisniveaus.

(Creutz in: Schneegans, S.32)

Geldhaltekosten beziehen sich nur auf Bar- und Giralgeld.

(Schneegans, S.32)

Geldhaltekosten* (siehe Tabellenende) füh-ren zum Rückgang der Nachfrage (Rösl) -

Eine der großen Akzeptanzhürden (siehe oben) (Schneegans, S.62)

Vertrauensverlust durch Wertminderung kann sich auch gegenüber dem Euro einstellen.(Weis/Spitzeck S.206)

Nachteile für Einzelpersonen durch geringerwertigen Rücktausch kann nicht ausgeschlossen werden. Besonders am

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 67

"Ende der Kette" kann es zu Rücktauschdisagio kommen. (Rösl) --

Geldhaltekosten führen zu Geldanlagen und fördern somit das Kreditangebot. (Schneegans, S.32)

Regionalwährungen stellen kein wirtschaftlichen Anreiz für Banken im Kreditwesen dar. (Schäfer S.69)

Strafzinsbelastete Freigeldkonten verhin-dern Anlagen. (Schneegans, S.33)

Das Geldsystem ist kein Naturgesetz, die Gesetzgebung sollte einer guten Ordnungspolitik folgen

Die Papiergeldausgabe nach §35 Bundesbankgesetz ist verboten. (Weis/Spitzeck S.201)

Giralgeldschöpfung bedarf einer institutionellen Zentralstelle mit Banklizenz. (Weis/Spitzeck S.203)

Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft für das Geldsystem und Zins, sowie Nachteile der Globalisierung. (Weis/Spitzeck S.198) ++

Eingeschränkte Angebotspaletten führen möglicherweise zu höherem Transport- und Informationsaufwand. (Creutz, S.31) -

Der hohe bürokratische Aufwand macht den Nutzen und die Anwendung unpraktikabel. (Schneegans, S.33)

Ein Fallbeispiel ist die Ausweisung der Waren mit zwei Preisen, bzw. dessen Umrechnung. (Creutz, S.31)

Kommunale Haushalte können entlastet werden: Möglich wäre das Zahlen der Steuern zu Anteilen in Regionalwährung. (Lietaer, S.343f.) +

Umständliche Kassenhaltung kann eine Hemmschwelle darstellen. (Creutz, S.31)

Größere Gewinne sind eher unwahrscheinlich, da Regionalgeldmenge eher gering ausfällt. (Godschalk) +

Meist ist nur Kleinzahlungsverkehr möglich, da die Scheine nicht höherwertig als 50€ sind. (Rösl)

Geldhortung kann durch Regionalwährungen verhindert werden (Rösl) +

Es gibt kaum Anreize Geld in Deutschland zu horten, wegen einem zu niedrigen Zins und Inflation. (Rösl)

Allgemein kann eine Stärkung regionaler Die Förderung des Regionalhandels

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 68

Wirtschaftskreisläufe erreicht werden. ++ behindert überregionalen Handel, somit kann sich die Region nicht weiterentwickeln. --

Wenn regionale Unternehmen unterstützt werden, könnten es welche sein, die eigentlich nicht wettbewerbsfähig sind. (Rösl) -

Nutzungsgebühren werden in Spenden an soziale Netzwerke, Kostendeckung der Emittenten verwendet. Diese werden meist veröffentlicht. (Godschalk) ++

Sozialsysteme in der Krise könnten durch Regionalwährungen unterstützt werden. (Lietaer, S.345f.) +

Spenden werden auch für den Druck der Banknoten benötigt und nicht an "bedürftige" Empfänger weitergeleitet. (Rösl)

*Rechenbeispiel Geldhaltekosten (ZFSÖ, S.7): 2% Verwaltungsgebühr, 2% Schwund pro Quartal = 8% p.a., sowie 5% Rücktauschgebühr → macht 10-15% Kosten in einem Jahr. Dagegen fallen beim Euro nur Leitzinssatzkosten an.

b. Schwierigkeiten bei der Implementierung

Neben diesen Vor- und Nachteilen enstehen bei einzelnen diversen Regionalgeldansätzen auch Schwierigkeiten, die eine Implementierung behindern können, und somit separat betrachtet werden müssen.

c. Differenzierte Betrachtung verschiedener Systemvarianten

Es gibt nach Rösel zwei Typen von Regionalgeldern: Pragmatische Verrechnungssysteme führen Währungswettbewerb gegen den Euro und sind relativ erfolgreich. Der Netzwerkgedanke ist im Vordergrund. Kapitalismuskritische hingegen gehen von Gesellschen Annahmen aus.

c.a. Schwierigkeiten – Tauschringe

In Tauschringen besteht die Gefahr, dass bei einer geringen Nachfrage Individuen weniger bereit sind ihr Konto zu überziehen, indem sie z.B. ausschließlich Dienstleistungen in Anspruch nehmen, da ein wenig differnziertes Angebot mit einfachen ähnlichen Leistungen auf eine sehr differnzierte Nachfrage trifft und so die Austauschsummen sehr gering sind.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 69

Ein weiterer Aspekt ist die Aufrechterhaltung eines Tauschringes. Diese kostet Geld, weshalb Projekte oft sterben, wenn Träger aufhören diese kostenlos bereitzustellen oder gar mit eigenen Mitteln zu finanzieren. Hinzu kommt das die Vernetzung von Tauschringen schwer umsetzbar ist, da mit zunehmender Größe der Informations- und Transportaufwand steigt und gleichzeitig die Leistungsqualität abnimmt (vgl. Creutz, S.30).

Des Weiteren ist fraglich, ob dieses Modell die Steuerpflicht erfüllt, unter dem Aspekt das reines Helfen nicht steuerpflichtig ist (S.338). Die Geldmengenerhöhung stellt zudem ein Inflationsrisiko dar. Bei gleicher Menge ist das System ausgeglichen, eine Inflation wäre damit eher unwahrscheinlich (S.341f.) Das Inflationsrisiko wird dadurch zwar nicht komplett gelöst, kann aber durch die Senkung von Abeitslosigkeit auch gesenkt werden ohne dabei den Zinssatz verändern zu müssen (s.342f.). Ein weiteres Problem ist die Wertigkeit der Stunden für unterschiedlich ausgeübte Arbeit, deren Gleichwertigkeit utopisch ist. In diesem Fall müssen die Stundenwerte individuell ausgehandelt werden.(S.356f.)(a.d.) Lietaer.

c.b. Schwierigkeiten – Geldgedeckte Komplementärwährung

a.d. Lietaer:

Bei Geldgedeckten Komplementärwährungen entsteht das Problem das Veränderungen des Währungskurses Einfluss auf die Komplementärwährung haben. Sinkt der Währungskurs sinkt auch die Komplementärwährung (S.355). Aufgrund der Tatsache das die Geldmenge emitiert werden muss, entsteht die Frage wie groß die emitierte Menge des Geldes sein soll. Es gibt keine Selbstreguliereung. Besser wäre eine wechselseitige Regulierung (S.355f.).

Durch einen erhöhten Umlauf der Sekundärwährung entstehen erhöhte Umsatz- und Mehrwertsteuerlasten, die aus der Region abfließen. Darausfolgt, dass der Bestand des Regiogeldes schwindet. Die Kommunalverwaltung müsste demnach das Regiogeld dem Kreislauf durch Zahlungen und Investitionen wieder zuführen. Dies konkurriert allerdings mit der rechtlichen Gleichstellung der Währungen (S.91).

Des Weiteren muss die Akzeptanz der Sekundarwährung durch große Konzerne gewährleistet werden, damit ein umfassender regionaler Kreislauf gesichert ist (S.92). Wenn die regionale Wirtschaft die Nachfrage nicht decken kann, muss Geld durch einen Rücktausch des Regiogeldes in Euro wieder “importiert” werden. Dies hat allerdings einen Kaufkraftverlust der Regionalwährung zur Folge und vermindert die Regionalgeldmenge (S.92 f). Bei einem Geldmarktzins von 0% und weniger wird der Zins durch Agio und Disagio ersetzt, welche, wenn sie nicht die gleiche Funktion wie der Zins einnehmen sollen, per Verordnung oder Vertrag verhindert werden müssen (S.92).

c.c. Schwierigkeiten – Schwundgeld

a.d. Lietaer S.357ff:

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 70

Geldmarken sind kompliziert. Besser wäre dies in elektronischer Form zu etablieren. Die Ausgabe erfolgt dann kurz vor Fälligkeit. Der elektonische tägliche Schwund wäre dann über den Monat insgesamt der gleiche Schwund. Bei zu hohem Schwund gibt es kein Interesse Schwundgeld zu benutzen, bei zu niedrigem bleibt der erstrebte Effekt aus. Das Soll hierfür liegt bei ca 1% im Monat. Allerdings hat ein Bargeldloses System wieder andere Nachteile (Überwachung und Erfassung aller Transaktionen nötig, höhere Transaktionskosten durch Fixkosten auch bei kleineren Umsätzen)

c.d. Schwierigkeiten – WIR Initiative

a.d. Creutz S.30:

Schwierigkeiten die sich bei der WIR Initative ergeben ist ein zu geringer Umsatz. Hauptgrund hierfür sind günstige Kredite. Bis vor kurzem ist diese Initiative auch nur für Gewerbeinhaber möglich gewesen.

c.e. Schwierigkeiten – Umlaufsicherung

a.d. Schäfer:

Bei der Umlaufsicherung des „Marken-Geldes“ können Nachlässigkeit und Ungenauigkeit beim Einkleben der Marken negative Auswirkungen auf diese haben (S. 71). Gleiche Schwierigkeiten entstehen beim „Stempelgeld“(S.71). Bei einer „Dynamischen Doppelwährung“ wird die Zahlungseinheit durch gezielte kontinuierliche Vermehrung entwertet, während die stabile Recheneinheit (offizielles Geld) weiterhin existiert. Das erschwert die Buchführung und hat ein instabiles Preissystem zur Folge, da Schwankungen auf Güterseite nicht bedacht werden (S.72 f).

Bei der „Chok-(Schock)-Methode“ werden bestimmte Noten per Zufall entwertet, wodurch eine zufällige Belastung von Einzelpersonen möglich ist (S. 73).

d. Warum scheitern Freigeld-Experimente?

a.d. Schäfer:

Durch einen zu hohen Wertverlust entsteht ein Misstrauen gegenüber der Sekundärwährung. Daher ist entweder eine gesicherte Vertrauensbasis oder eine große finanzielle Notlage nötig um auf genügend Akzeptanz zu stoßen. (S. 86)

US-Experimente verfehlten Gesells Idee, indem sie eine Wertminderung bei jedem Handwechsel einführten. Daraus entstand eine Art Umlaufverhinderungsgebühr anstatt einer Umlaufsicherungsgebühr (S.86). Der Versuch in Marans scheiterte, weil Gesells Grundsatz der Gleichheit nicht beachtet wurde, indem zwei Klassen von Geldhaltern (Unternehmer und Lohnarbeiter) unterschiedlich behandelt wurden. (S.87)

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 71

a.d. Schneegans:

Freigeldinitiativen müssen von der Bevölkerung selber kommen damit eine breite Akzeptanz entsteht (S.57) Zudem muss die wirtschaftliche Situation vor Ort berücksichtigt werden wie z.B. das wirtschaftliche Grundwissen der Bevölkerung und deren Korruptionsanfälligkeit (S.64). Ein geschlossener Notenkreislauf ist abhängig von der Teilnehmerzahl. Die "kritische Masse" liegt hier bei 2000 Teilnehmern (S. 62) Die Parallelität verschiedener Währungen wird meist nur bei einem vorherrschenden Krisenbewusstsein akzeptiert, die gegenwärtige Situation in Deutschland sieht allerdings anders aus (S. 64). Dabei ist auch ein konstruktiver Dialog zwischen Vertretern der Zentralbank und Vertretern der Freiwirtschaft nötig (S.67). Auch konnte Gesells Freigeldmodell als Spar- und Kreditwährung sowie als indexorientierte Festwährung nie erprobt werden ( S.65)

e. Warum nehmen Menschen Regionalgelder an?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen ist hier die Bekenntnis zur Region ausschlaggebend. Des Weiteren ist die Implementierung eines Regionalgeldes eine Gegenmaßnahme zur Globalisierung und wird somit besonders von Globalisierungsgegnern akzeptiert. Ein weiterer Aspekt ist die Vereinsabgabe, die wie eine Spende wirkt, wobei man ständige Anerkennung beim Ausgeben von Regionalgeld erhält. Regionalgeld funktioniert auch als Touristenattraktion, da die erfolgreichsten Regionalgelder in touristischen Regionen (Voralpenland) vorkommen. Auf Unternehmerseite sind pragmatischer Gründe ausschlaggebend, wie ein erwarteter Werbeeffekt oder höhere Kundenbindung.

Rein ökonomische Motive kann für heutige Regionalgeld-Initiativen – ganz im Gegensatz zu den vorangehend aufgeführten historischen Beispielen – kaum oder nur in sehr geringem Maße konstatiert werden. An ihrer Stelle spielen überwiegen ideele Motivationen eine Rolle.

f. Fazit zu Pro und Contra

Die Frage bleibt jedoch bestehen, ob der Nutzen durch die höhere Umlaufgeschwindigkeit, die Kosten des Werteverlustes aufwiegen kann bzw. ob eine Währung mit solchen systemimmanenten Kosten für den Nutzer überhaupt konkurrenzfähig ist?

Festzuhalten bleibt, dass Regionalgelder gewisse Voraussetzungen (an Teilnehmerzahl, Ressourcen, Kompetenzen, Organisationsgrad und Vertrauen) benötigen – Hürden, die nicht so leicht überwunden, und Kosten, die nicht automatisch aufgewogen werden. Denn die einzigen wirkliche Vorteile in wirtschaftlichen Normalzeiten sind weitgehend die "weichen" Potentiale, wie etwa die bereits genannte Gemeinschaftsförderung, oder der Werbeeffekt für die Region durch das Kuriosum einer solchen Währung und die Möglichkeit für den Geldverwender sich so zur Region bekennen zu können (a.d. "Kritik an Schwundgeld" ), hinter denen weitgehend Idealismus steckt. Erst in Krisenzeiten, wenn das etablierte Geld- und Finanzsystem immer weiter dysfunktional wird bzw. immer mehr Menschen exkludiert,

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 72

erhalten diese Projekte als "Rettungsboote auf der Titanik" die Chance, ihre geschichtlich bereits in Ansätzen belegtes "hartes" Potential zu entfalten.

g. Literatur

• Creutz, Helmut (2005): "Möglichkeiten und Grenzen praktischer Geldexperimente", Zeitschrift der Sozialökonomie (ZFSÖ), 144. Folge

• Godschalk, Hugo (2006): "Streitfall Regionalwährungen", Zeitschrift für Sozialökonomie (ZFSÖ), 149. Folge

• Lietaer, Bernard A. (1999): „Das Geld der Zukunft“

• Rösl, Gerhard (2008): "Regionalgeldausgabe in Deutschland – Eine kritische Betrachtung" , Zeitschrift der Sozialökonomie (ZFSÖ), 158-159. Folge

• Schäfer, Klaus (2007): "Alternative Zahlungssysteme, Währungen, Altruismus und Bruttoinlandsprodukt"

• Schneegans, Tobias (2003): "Umflaufgesicherte Regionalwährungen – Gelingen und Scheitern in der Praxis"

• Weis, Mathias / Spitzeck, Heiko (2008): "Der Geldkomplex – kritische Reflexion unseres Geldsystems und mögliche Zukunftsszenarien"

"So verstanden sind Regionalgelder

– ähnlich wie ein Joint – eine spezifische

Form des Wellness, wenngleich mit weniger Suchtpotenzial,

aber mit ähnlich geringer Aussicht auf

langfristigen Erfolg, wenn man das regionale

Wirtschaftswachstum als Massstab wählt."

(Rösl, S.9)

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 73

3.9. Fazit: Kritische Reflexionen über Regionalgeldkonzeptionen

Im zweiten Kapitel des Readers wurde erkennbar, dass Komplementärwährungen sowohl Gemeinwohl-orientiert also auch nach kommerziellen Interessen ausgerichtet konzipierbar sind. Zudem können sie unterschiedlichen Zielen folgen, z.B. Händlervereinigungen stärken, Vergemeinschaftung in der Region zu fördern oder Arbeitslosigkeit zu vermindern. Je nach Konzeption und Zielen fallen ihre Funktionen und Merkmale sehr verschieden aus. Von einer Zeitgutschrift bis zu einer Umlaufgebühr ist alles möglich.

Diese Freiheit ermöglicht es, jedes Regionalgeld-Projekt passend zu einer konkreten Region zu designen, um auch tatsächlich direkt auf die spezifischen Probleme vor Ort eingehen zu können. Durch diese Flexibilität erreichen Regionalgelder als Komplementärwährung eine hohe ideelle Attraktivität in Normalzeiten und ein nicht zu unterschätzendes ökonomisches Potential in Krisenzeiten.

Allerdings wurde auch deutlich, dass die meisten Regionalgeld-Initiativen stagnieren oder scheitern, wofür wir verschiedene Ursachen identifizieren konnten: Zum Einen ist ein konsistentes und nachhaltiges Konzept entscheidend, was bei vielen spontan initiierten und nach dem Try-and-Error Verfahren vorangetriebenen Regionalgeld-Projekten nicht gegeben ist/war. Zum Anderen bedürfen Regionalgeld-Projekte durchwegs eines hohen Aufwands und vieler Werbung – was mittelfristig nur von wenigen Vereinen (mit zumeist ehrenamtlich arbeitenden Mitgliedern) geleistet werden kann. Und schließlich ist auch bei laufenden Regionalgeld-Projekten ungewiss, ab welcher Teilnehmerzahl und regional-ökonomischer Problemlage jeweils der Aufwand für die einzelnen Teilnehmer (und die Organisation als Ganzes) durch einen ökonomischen (und nicht nur ideelen) Nutzen aufgewogen wird – das Regiogeld also eine nachhaltige Eigendynamik bekommen kann.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 74

4. Projektarbeit

4.1. Einleitung

Das letzte Kapitel dokumentiert die Projektphase des Seminars, in der zuerst das weitere Vorgehen anhand konkurrierender Projektideen angedacht und schließlich eine davon auch umgesetzt wurde.

Nachdem zwei Vertreter der bestehenden Regionalgeldinitiative „Thüringer Landmark“ ihren Verein im Seminar vorstellten und Vorschläge für eine mögliche Zusammenarbeit formuliert wurden, bildeten sich ein weiteres Mal Arbeitsgruppen, die verschiedenen Projektideen nachgingen: Eine Gruppe beschäftigte sich mit der Frage, ob ein Universitäts-interner Tauschring eine realisierbare Projektoption wäre. Eine andere Gruppe widmete sich einer möglichen Implementierung der Landmark als Rabattsystem in einem Erfurter Stadtteil (der Magdeburger Allee). Die beiden anderen Gruppen entwickelten Ideen für die bessere Vermarktung der Landmark und loteten die Möglichkeit eines Folgeseminars im kommenden Semester aus.

Aufgrund verschiedener Faktoren (Kapazität, Zeithorizont, Kompetenzen und Interessen der Teilnehmer) wurde entschieden, die Implementierung der Landmark in einem Erfurter Stadtteil anzustreben; und zwar konkret als Rabattsystem für den lokalen Handel. Beitragen wollten wir durch Konzeption dieses Systems sowie in Form der Organisation eines Vernetzungstreffens mit Vertretern der Landmark, der Interessengemeinschaft Magdeburger Allee (einer lokalen Händlervereinigung) sowie weiteren Multiplikatoren (Vertretern der Stadt, Förderinstitutionen, etc.). Somit sollte zum Abschluss des Seminars ein Impuls zur eigenständigen Umsetzung hinterlassen und eine Implementierung inhaltlich und konzeptionell soweit wie möglich vorbereitet werden. Die Dokumentation und Reflexion des Treffens markieren den Schlusspunkt des dritten Kapitels.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 75

4.2. Sekundäre Arbeitsgruppen: Projektidee Unitauschringvon Nikolaus Kiennen

Aufgrund der kurzen verbleibenden Zeit schien es uns unmöglich, ein Universitäts-basiertes Gutscheinsystem mit der klassischen Thüringer Landmark aufzubauen. Die Idee ein Gutscheinsystem zu fördern und Cafés sowie eventuell sogar die Mensa mit Produkten aus der Region zu versorgen und somit neue Mikrostrukturen zu erschaffen, sollte jedoch bewahrt werden und könnte einem etwaigen folgenden Studium Fundamentale in den kommenden Semestern von Anfang an angegangen werden.

Weiterhin beschäftigten wir uns mit einem universitätsinternen Tauschring, doch auch hierfür war die verbleibende Zeit zu knapp. Ein kommendes Seminar mit diesem Ziel ist jedoch ebenfalls denkbar und aus unserer Sicht aus folgenden Gründen wünschenswert.

Wir glauben, dass es für einen Tauschring ein hohes Potential gibt, da Studierende tendentiell wenig Geld besitzen aber durchaus bereit sind Leistungen auszutauschen. Zudem ist es jedem möglich teilzunehmen, da es keinerlei Zugangsbarrieren gibt. Beispiele sind hier Reparaturen (an Fahrrädern, Elektrogeräten etc.), Lernhilfen, Kinderbetreuung, Musikunterricht, Sport- und Wellness-Angebote (Yoga, etc.). Hierdurch könnte Handel vermittelt werden, der ohne das System nicht zustande gekommen wäre, und in seinem Zuge eine Steigerung der Lebensqualität mit sich bringen würde. Dieses Potential wird gerade in einer vergleichsweise strukturschwächeren Region wie Erfurt wenig abgeschöpft, in welcher reguläre und die Semesterferien andauernde studentische Jobangebote seltener sind als in strukturstarken Regionen.

Ein Tauschring würde aber auch die Chance bieten, mentale Strukturen vielfältig zu verändern und den Horizont zu erweitern. Er zeigt eine Alternative zum gegenwärtigen Geldsystem auf. Weiterhin fördert der Tauschring Solidarität und könnte eine Neubewertung von Arbeit bedeuten, da diese selbstbestimmt und freiwillig angeboten wird.

Bei einem potentiellen Tauschringprojekt sollten unsres Ermessens folgende Aspekte beachtet werden: So sollte die Mitgliedschaft gratis sein, zumindest zum Einstieg, um die Hürde für eine Teilnahme nicht künstlich zu erhöhen. Außerdem ist ein einfach strukturiertes Onlinesystem notwendig um Bürokratie zu vermeiden und attraktiv genug für die online-affine Generation zu sein. Ebenso sind ein flächendeckendes Marketing und ein zeitgenössisches Auftreten äußerst wichtig.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 76

4.3. Sekundäre Arbeitsgruppen: Projektidee Magdeburger Alleevon Sebastian Hachmeyer

Die Idee einer Implementierung einer „Keimzelle“ der Landmark in Erfurt in Form eines Rabattsystems für Mittelständler kam grundsätzlich von den beiden Vertretern des Wirtschaftsrings Landmark (WL), die sehr offen für eine Mitarbeit der studentischen Gruppe waren. Durch den Wechsel des Vorstandes der "Interessens-Gemeinschaft Magdeburger Allee" ergab sich bereits ein erster Kontakt des WL mit den Unternehmern im Norden Erfurts. Die Gruppe der Magdeburger Allee, in der ich mitgearbeitet habe, sollte die Möglichkeiten einer Implementierung eines Rabattsystems (auch diese Idee kam von den Vertretern des WL) in der Magdeburger Allee durchspielen. In diesem Kontext erhoffte ich mir Unterstützung eines bereits ansässigen Vereines namens Plattform e.V., der auf der Magdeburger einen Nachbarschafts-Treff für jugendliches Zielpublikum betreibt. Nach einem ersten Treffen mit Vertretern bekam ich auf Anhieb positive Resonanz bezüglich ihrer Unterstützung in unserem Vorhaben. Plattform e.V. bot an, einen Diskurs mit Vertretern verschiedener Vereine und städtischen Vertretern anzustoßen. Diese würde in den Räumlichkeiten des Vereins stattfinden können.

Des Weiteren stieß ich bei meiner Recherche auf eine Stärke-Potenzial-Analyse der Magdeburger Allee, in der die wirtschaftliche Situation und Struktur analysiert wurde. Während eines Vortrages im Seminar berichtete ich von meinem Treffen und erläuterte die Wirtschaftsstruktur der Magdeburger Allee. Was aus dem Vortrag hervor ging und welche Vorteile die Wirtschaftsstruktur der Magdeburger Allee für die Implementierung eines Regionalgeldes besitzt, versuche ich in wenigen Sätzen zu erläutern. Die Stärke-Potenzial-Analyse basierte auf folgenden Analysefeldern: (1.) Angebot und Branchenmix, (2.) Kunden und Zielgruppen, (3.) Erreichbarkeit und Kundenbewegung und (4.) Standortmarketing. Für die Implementierung eines Regionalgeldes waren die Analysefelder (1.) und (2.) am Wichtigsten. Aus der Studie geht hervor, dass die Versorgung des periodische Bedarf141

ausreichend gedeckt ist, dabei besonders hervorzuheben sind zahlreiche Bäckereien. Aber auch im Bereich Gesundheit und Pflege zeigt sich die Magdeburger Allee besonders gut ausgerüstet: Mit 40 Ärzten, 12 Kosmetikgeschäften und Spezialanbietern wie Fußpflege gibt es keinen nennenswerten Vergleich zu anderen Einkaufszentren in Erfurt. In anderen Bereichen wie z.B. Bekleidung und Textilien ist der Grundbedarf zwar nicht ausreichend gedeckt, dafür existieren dort etliche private Spezialanbieter, die keinen größeren Konzernen angehören. Somit liegt es in ihrem Interesse, Kunden an den Standort Magdeburger Allee zu binden und Kaufkraftabfluss aus der Region zu verhindern. Zusammengefasst gibt es viele private Anbieter, die auf ein reichhaltiges Sortiment mit vielen Spezialangeboten verweisen können. Eigentlich gute strukturelle Voraussetzungen für die Implementierung einer

141 Gemeint sind hier alltägliche Einkäufe

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 77

Komplementärwährung.

Im Bereich des Standortmarketings ergaben sich für uns jedoch noch deutliche Verbesserungspotentiale. Positiven Aspekte, wie sicheres, barrierefreies Flanieren, gute Kommunikation und gegenseitige Empfehlungen der Kunden, sowie die lokale Beliebtheit des Einkaufsstandortes gilt es deutlicher herauszustellen. Handlungsbedarf gibt es bei der Schaufenstergestaltung, der Warenpräsentation, der Modernisierung des Straßenraums und in Richtung eines sauberen und ordentlichen Gesamteindrucks. Im Bereich Stadteil-Marketing würde eine Komplementärwährung positive Auswirkungen haben, könnte gar ein für Erfurt einzigartiges Key-Feature darstellen.

Daraufhin entschlossen sich die TeilnehmerInnen des Seminars, die Idee eines Tauschringes am Campus aufzuschieben (s.o.) und sich mit ihrem ganzen Potenzial auf die Implementierung in der Magdeburger Allee zu konzentrieren. Im Fokus sollte dabei die Organisation eines Informationsabends mit Vertretern ansässiger Verein und städtischen Vertretern stehen. Dabei befassten sich einige Studierende mit der Ausarbeitung eines Konzeptes, andere mit Kontaktherstellung, und wieder andere mit der Erstellung einer Informationsmappe für die Teilnehmer der Infoveranstaltung. Die daraufhin folgende Arbeit wurde immer differenzierter, so dass die Teilnehmer letztendlich Hand in Hand gearbeitet haben.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 78

4.4. Sekundäre Arbeitsgruppen: Marketing der Landmarkvon Kristian Kokkinos

a. Zur Relevanz des Marketings eines Regionalgeldes

Warum haben einige wenige Regionalgeldinitiativen durchschlagenden Erfolg? Warum mühen sich andere damit ab einen gewissen Grad an Bekanntheit zu erreichen? Und warum scheitern weitere in dem Versuch sich als Komplementärwährung durchzusetzen? Sicherlich kann ein überzeugendes Konzept über Erfolg oder Misserfolg entscheiden aber letztlich ist eine gute Marketingstrategie - zumindest flankierend - ein enormer Erfolgsfaktor. Für erfolgreiches Marketing sind vor allem in der Anfangsphase Durchhaltevermögen und viele anpackende Hände vonnöten. Sobald sich eine gewisse Eigendynamik entfaltet hat, tritt das Marketing an sekundärer Stelle.

Das Durchlaufen dieser beiden Stadien zeigt auf eindrucksvolle Weise das Projekt des Chiemgauers, das wohl größte Regionalgeldprojekt Deutschlands. Auf die Schülerinitiative einer Waldorfschule in Prien in 2003 zurückgehend verdoppelten sich die Teilnehmer des Chiemgauers fast jährlich.142 Maßgeblich dafür war das nachhaltige Engagement der Schüler sowie die Begeisterung der Gemeinde. Durch dieses mikropolitische Verhalten und das engagierte Finden von Multiplikatoren wurde das bestehen sozialer Gemeindestrukturen dazu ausgenutzt den Chiemgauer zu verbreiten, welcher nicht zuletzt durch das auf lange Frist ausgelegte ausdifferenzierte Konzept der Nachhaltigkeit überzeugte.143 Des Weiteren ist eine gut organisierte und beständig aktualisierte Homepage von Vorteil um eine Informiertheit der Teilnehmer zu gewährleisten. Hier sollte ebenfalls ein breit angelegtes Spektrum an Nebeninformationen, Aktionen und Angeboten zu finden sein. Des Chiemgauers Homepage ist hierfür ein gutes Zeugnis.144 Dies erfordert ebenfalls eine hoch engagierte Basis an Mitgliedern, wie es beim Chiemgauer e.V. zu beobachten ist.

Die Verbreitung eines Regionalgeldes erfordert eine wohlausgewogene Gezieltheit des Marketings indem jedes Glied des gedachten Kreislaufes berücksichtigt wird. Um den Umlauf der Zusatzwährung anzukurbeln kann man nicht nur eine Gruppe von potentiellen Währungshaltern überzeugen sondern muss Geschäftsinhaber, Angestellte, Konsumenten und andere potentielle Multiplikatoren gleichermaßen informieren, überzeugen und miteinbeziehen.

Zusammenfassend können Menschen von einer relativ unbekannten und abstrakten Idee wie einem Regionalgeld nur erfolgreich überzeugt und zum Mitmachen bewegt werden, wenn gut

142 Plettenbacher, Tobias (2008), S.84

143 Summerer, Anna, Facharbeit: Der Chiemgauer – Eine Regionalwährung (2010) S. 16-20

144 www.chiemgauer.info (20.07.2011):

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 79

organisierte Werbeaktionen durchgeführt werden, die Informiertheit der Teilnehmer etwa durch eine Homepage gewährleistet ist und eine langfristig orientierte und zielgerichtete Überzeugungsstrategie umgesetzt wird. Bei der Projektarbeit zum Verbessern des Marketings der LANDMARK hatten wir diese Gedanken im Hinterkopf, wobei uns bewusst war, dass wir im Rahmen unsres begrenzten Engagements-Zeithorizonts nicht langfristig beitragen konnten um eine umfassende Marketingstrategie umzusetzen. Daher fokussierten wir uns auf das Entwickeln einiger abstrakter Ideen sowie auf das Durchführen der Diskussion der Magdeburger Allee, wie im Folgenden näher erläutert wird.

b. Die Grundüberlegungen der Marketinggruppe zur LANDMARK

Zuallererst fiel uns auf, dass die LANDMARK Mitglieder und Anlaufstellen weit in Thüringen verstreut hat, trotz lediglich ca. 90 Mitgliedern und einigen wenigen Standorten an denen man mit der LANDMARK bezahlen kann. In Erfurt speziell gibt es bis dato nur zwei Geschäfte und ein Taxiunternehmen bei denen man mit LANDMARK bezahlen kann. Entsprechend ist die LANDMARK unter den Leuten nicht sehr bekannt. Wir befanden, dass es eine erhöhte Konzentration der Ausgabemöglichkeiten in Erfurt geben sollte um ein verstärktes Bewusstsein der LANDMARK bei der Bevölkerung und potentiell mitmachenden Geschäftsinhabern zu schaffen. Die Magdeburger Allee als ein Gebiet mit hoher Kleingeschäfte Konzentration und der Wochenmarkt schienen interessant um bereits in sich geschlossene regionale Wirtschaftskreisläufe zumindest teilweise zu integrieren. So könnte ein Knotenpunkt der Zirkulation der LANDMARK entstehen indem interessierte ansässige Bürger und Geschäftsinhaber häufig mit der LANDMARK in Berührung kommen. Näheres hierzu wird in dem Beitrag zur „Strukturanalyse“ erläutert. Im großen und ganzen sollte eine höhere Konzentration der LANDMARK-Zirkulation in einzelnen Städten vorhanden sein, um für den Anfang einige „Leuchttürme“ zu schaffen von denen aus sich die LANDMARK weiter verbreiten kann. Hierzu ist allerdings ein näheres Verständnis der Thüringer Wirtschaftsketten erforderlich, was langfristige Erfahrungen benötigt.

Weiterhin fanden wir, dass bereits gute Argumente für die LANDMARK formuliert wurden. So sind auf Flyern und auf der Homepage stets folgende Argumente zu finden:

• Für jeden, der LANDMARK einnimmt, ist es günstiger, die LANDMARK wiederum in der Region auszugeben, als sie in Euro zurückzutauschen. Dadurch wird die regionale Wirtschaft gestärkt.

• Die LANDMARK wird schneller ausgegeben als der Euro. Das belebt den Handel.

• Es wird ein Netzwerk von Partnern in der Region gebildet, die zum gegenseitigen Vorteil in regen wirtschaftlichen Austausch treten.

• Die soziale Sicherheit, das Gemeinschaftsgefühl und die Kreativität der Partner werden gestärkt. 145

145 www.wirtschaftsring.reinstaedter-landmarkt.de

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 80

An dem Ausmaß der Werbeaktivität mangelt es allerdings. Ein größeres Eindringen in das Bewusstsein von möglichen Kunden und Verkäufern ist von Nöten. Während Bürger über die Vorteile der LANDMARK Informiert werden müssen gleichzeitig Geschäftsinhaber dafür begeistert und die meist auftretenden Vorbehalte aus dem Weg geräumt werden.

Wenn auch diese Überlegungen im Raum standen, war uns bewusst, wie wenig Einflussmöglichkeiten wir in diesem kurzen Zeitraum zur Verfügung hatten, daher beschränkten wir uns im weiteren auf die Vorbereitung der Diskussion mit der Interessengemeinschaft Magdeburger Allee und weiteren Diskussionsteilnehmern. Diese Vorbereitungsarbeit wird im Folgenden näher Dokumentiert.

c. Die Vorbereitung der LANDMARK-Diskussion in der Magdeburger Allee

Das Erstellen einer Informationsmappe zur LANDMARK für lokale Unternehmen war unsere primäre Aufgabe bei der Vorbereitung des Diskussionsbeitrags. Da Herr Urbanneck als Vertreter der LANDMARK die Überzeugungsarbeit leistete war uns wichtig, die Teilnehmer nachwirkend zu Multiplikatoren zu machen. Hierzu sollte die Infomappe genügend Flugblätter zum Weiterreichen beinhalten. Zusätzlich beinhaltete die Informationsmappe eine Übersicht über Regionalgelder im allgemeinen, die LANDMARK und ihre Vorteile im speziellen, sowie der Tätigkeit und der Rolle unsres Seminars bei dieser Aktion. So hatte jeder Teilnehmer der Diskussion genügend Material um weiteren Interessierten die LANDMARK vorzustellen. Vor allem war es wichtig, dass der Vertreter der Interessengemeinschaft Magdeburger Allee genügend Material und Grundlagenwissen bekommen sollte, damit er das Projekt den Geschäftsinhabern der Gemeinschaft vorstellen können würde.

In den Materialien wurde näher erläutert wie es zu der Entstehung der LANDMARK kam und wie das Gutscheinsystem der LANDMARK genau funktioniert. Wichtige Fragen für die Geschäftsleute wurden antizipiert und auf dem Informationsblatt zur LANDMARK beantwortet. Hierzu gehörten die Fragen:

• Was kostet mich die LANDMARK?

• Was mache ich wenn zuviel LANDMARK-Gutscheine in meiner Kasse liegen?

• Was ist der Vorteil zu einem Geschäftsspezifischen Rabattsystem? Im Anschluss wurden noch Internetverlinkungen und Email-Adressen angegeben um die Möglichkeit zu geben sich weiter zu Informieren. So gewährleisteten wir, dass keine Frage ungeklärt blieb und auch im Nachhinein die Möglichkeit bestand Informationen nachzuschlagen und weiterzureichen.

d. Fazit

Das Verbreiten eines Regionalgeldes hängt im wesentlichen damit zusammen wie intensiv es

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 81

beworben wird. Dabei müssen alle Parteien des anzusprechenden Wirtschaftskreislaufes berücksichtigt werden. Defizite bei der LANDMARK waren vor allem bei der Organisation und Fokussierung des Marketings zu finden. Das Errichten einiger örtlich konzentrierten Gemeinschaften, in denen die LANDMARK fließend zirkuliert, könnte dazu führen, dass die LANDMARK darüber hinaus ebenfalls an Bedeutung gewinnt. Da wir uns der zeitlichen Beschränktheit der Seminartätigkeit bewusst waren, hielten wir einen kleinen Beitrag in Form einer Informationsveranstaltung für das Gebiet der Magdeburger Allee in Erfurt für die fruchtbarste Form mehr Leute für die LANDMARK zu gewinnen. Hier wurden einige Personen zielgerichtet informiert und zu möglichen Multiplikatoren gemacht in der Hoffnung die Ladendichte der Magdeburger Allee auszunutzen um die örtliche Gemeinschaft zu einem zentralen Kreislauf der LANDMARK zu machen.

e. Literatur

• Plettenbacher, Tobias (2008): Neues Geld – Neue Welt. Teil IV „Neues Geld in der Praxis“

• Summerer, Anna, Facharbeit: Der Chiemgauer – Eine Regionalwährung (2010) www.chiemgauer.info/fileadmin/user_upload/Theorie/FacharbeitAnnaSummererIgnatz.pdf (eingesehen am 04.08.2011)

• www.chiemgauer.info (eingesehen am 04.08.2011)

• www.wirtschaftsring.reinstaedter-landmarkt.de (eingesehen am 06.08.2011)

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 82

4.5. Vorbereitung der Informationsveranstaltung „Landmark als Rabattsystem für die Magdeburger Allee“von Nikolaus Kiennen

Die Moderation übernahmen Sebastian und Nikolaus.

Die Vorbereitung der Moderation der geplanten Informationsveranstaltung am 28.06.2011 in der "Stube" erforderte die Erstellung einer Tagesordnung (Hilfe durch Frauke und Clemens), an deren Struktur wir uns orientierten und Redekarten erstellten. Zuerst sollte eine Einführung durch Vertreter der Initiative Thüringer Landmark erfolgen, dann konzeptionelle Möglichkeiten für die Magdeburger Allee vorgestellt werden. Anschließend sollte darüber diskutiert werden, inwiefern etwaige Projekte tatsächlich umgesetzt werden könnten.

Mehr als diese Rahmenpunkte bereiteten wir nicht vor, da es schwer abzusehen war, wie die Veranstaltung verlaufen würde, insbesondere da große Unsicherheit hinsichtlich der Teilnehmerzahl, sowie den Erwartungen der Hauptzielgruppe, der Interessengemeinschaft Magdeburger Allee, bestand. Wie sich beim Abend dann auch heraus stellte, gab es tatsächlich große Unterschiede in den Erwartungen der verschiedenen anwesenden Personen.

Anstelle eines Berichts soll im Folgenden das Protokoll der Veranstaltung einen direkten Einblick in Inhalt, Verlauf und Stimmung des Gespärchs vermitteln. Im Abschnitt darauf folgen dann einige reflektierende Gedanken zu Planung und Verlauf der Informationsveranstaltung

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 83

4.6. Protokoll der Informationsverstanstaltungvon Felix Kleinert und Madeleine Böhm

Datum: 28.06.11

Ort: Stube, Magdeburger Allee 137, Erfurt

Offizielle Dauer: 17:30 – 20:00

a. Anwesende:

• Karina Hallbauer (Vertreterin der Stube e.V.), • Uta Fischer (Bürgerbeirat Ilversgehofen), • Birgit Vogt (Erfurter Straßenzeitung, Mitglied „Krisen e.V.“), • Hr. Urbanneck (Vertreter der Landmark e.V., Unternehmer - Taxi), • Ralf Weber (Vorstandsvorsitzender der Interessengemeinschaft „Magdeburger Allee

e.V.“, KFZ - Unternehmer), • Johannes Smettan (Journalist, u.a. Redakteur des Radio F.R.E.I.)• Christoph Freydorf (Seminarleitung)• sowie 14 der Seminarteilnehmer

Moderatoren: Nikolaus Kiennen, Sebastian Weidner

Protokollanten: Felix Kleinert, Madeleine Böhm

b. Ablauf:

Begrüßung der Anwesenden

Vorstellung der Projektgruppe

Vorstellungskreis aller Anwesenden

b.a. TOP 1: Vorstellung der Landmark Initiative und Regionalgeld allgemein (Hr. Urbanneck)

Basisinformationen:• Beispiel Wera als Erfolgsmodell (mehr als 1000 Firmen deutschlandweit) Stop durch

Verbot von Regionalgeldern• Landmark durch lange Existenz viel Expertise• Landmark eher ländlich geprägt (durch Markt etc.)• Zielgruppe: kleine Firmen, regionale Produzenten

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 84

vs. Magdeburger Allee: kleiner und geschlossener HändlerkreisVorteile der Landmark:

Übernahme eines funktionierenden Konzeptes, kein Zeitverlust und Verlangsamung durch Anfangshürden und Wiederholung von Anfängerfehlern

Marketinginstrument Gemeinsame Bindung and Standort (Unternehmer: eigenes Verrechnungssystem,

Kunde: bewusste Stadtteil Förderung) Kundenbindung Landmark aber kein Erstatz für eine aktuelle Währung, sondern Ergänzung Stärkung regionaler Kreisläufe durch Zirkulieren des Geldes in einer Region

b.b. TOP 2: Raum für Nachfragen

Kritische Stimmen:

(FISCHER) Welche Schwierigkeiten und Probleme können auftauchen? Wertverlust bei Rücktausch von Landmark in Euro, Handelskreis sehr klein (URBANNECK)

(WEBER) Gibt es Steuerprobleme? gleiche Verrechnung wie Euro bei Finanzamt

(URBANNECK) Beispiel Wörgl: schneller Umlauf minimiert Risiko und erhöht Zahlungswahrscheinlichkeit (auch für Steuern)

Rückfragen zwischen den Themenblöcken

b.c. TOP 3: Konzeptideen, Rabattsystem

Warum gilt die Magdeburger Allee als perfekte Regionalgeld – Zielgruppe?

• „Quickcheck“ der „Sozialen Stadt Erfurt“ zur Sozioökonomischen Situation in der Magdeburger Allee

• Potenzial = Stärkung regionaler Kreisläufe viele regionale Einzelhändler

• Gegenseitige Abhängigkeit von Unternehmen und KundenMöglichkeiten von Rabattsystemen und Regionalgeldkreisläufen (ANIL SHAH)

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 85

Skizzierter Ablauf :

• Einkauf der LM durch die Unternehmen (1:1 zum Euro)

• Ausgabe der LM durch die Unternehmen an den Kunden als Rabatt, frei wählbar z.B.

über das Einkaufsvolumen anteilig in Prozent (Indirekter Rabatt) mit Hilfe eines Gutscheinheftes (Sammelrabatt) als Wechselgeld

• Annahme wiederum durch teilnehmende Unternehmen (Akzeptanzstellen), frei wählbar z.B.

in Zeiten mit geringer Auslastung als zweiten, günstigeren Preis

• Wieder-Ausgabe der LM durch die Unternehmen, frei wählbar

• als Rabatt an Kundenbindung

• an Zulieferer

• oder Rücktausch gegen Euro (mit 5% Abschlag)

• Vorteile und Effekte des Konzepts.

Kundenbindung an den Händlerkreis (Akzeptanzstellen der Landmark) Marketingeffekt

Akzeptanzquote?

Geld von Rabattstellen

Kunden

Unternehmen

Zahlung ZuliefererRücktausch

= Kunden ?

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 86

Identifikation mit Regionalhändlern Kurze Wege zwischen Produzenten und Konsumenten zukünftig anzustreben: eventuelle Zahlbarkeit von Steuern mit LM zukunftsträchtige Synergieeffekte zwischen Händlern

Hervorgehoben wird der hohe Freiheitsgrad der Unternehmer, in welcher Höhe und Form sie dieses Rabattsysteme nutzen und somit an die eigene Geschäftsidee anpassen können.

b.d. TOP 4: offene Diskussion

Funktionsweise des Rücktauschs? (WEBER) -5% Umtauschgebühr aber auch als quittierte Marketingkosten abrechenbar, zusätzlicher Mitgliedsbeitrag (12€/Jahr)

Kosten für den Druck für den Anfang genug Scheine vorhanden, Gestaltungsmöglichkeiten für die Landmark

Sicherheitsmerkmale Marke, reißfestes Papier, gesonderte Farben

Welche Vereinsstrukturen sind vorhanden, um Missbrauch (z.B. an Ausgabestellen) zu verhindern (SMETTAN) regelmäßige Kontrollen, regelmäßige Kassenprüfungen, Quittungssystem, wenige aber dafür vertrauenswürdige Ausgabestellen

Durch Verein: vertragliche Verpflichtungen und überschaubarer Rahmen

Welche Vorteile bringt die Landmark im Falle einer Inflation, wenn sie an den Euro gekoppelt ist (SMETTAN) durch Kopplung wäre auch die Landmark von der Inflation betroffen ABER Vervielfachung des Wertes durch die Umlaufgeschwindigkeit

Landmark vs. Imagekampagne Landmark kostet fast nichts, erzeugt Aufmerksamkeit, vorhandene Strukturen, die nur genutzt werden müssen

neue Käuferstrukturen, neue Netzwerke (KIENNEN)

Frage nach spezifischem Konzept in der Magdeburger Allee – ab wann ist der Umlauf rentabel? (WEBER) Zirkulation des Geldes wichtig, Abhängigkeit des Erfolges von der Kundenakzeptant

Lokalität herausstellen, Magdeburger Allee sei wegen der kleinen Kreisläufe perfekt Etablierung in größerem Umkreis schwieriger (VOGT)

Umsatzeinbuße , wenn 100%ige Annahme von Regionalgeld (WEBER) – Lösungsansätze gesucht! Akzeptanzquote einrichten (nach Ermessen des einzelnen Unternehmers), Deckelung der angenommenen LM einführen

5% Rückauschgebühr entsprechen nicht 5% Umsatzeinbußen (indirekter Rabatt)

keine Zwangskundenbindung wie durch Sammelrabatt sondern Entscheidungs

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 87

freiheit durch allgemeine Einsatzfähigkeit der Landmark.

• Erwartete Schwierigkeiten bei der Überzeugungsarbeit bezüglich kleinerer Unternehmen, diese haben wenig finanziellen Spielraum und kein Geld für „Experimente“, oft auch wenig offen für Neues (WEBER)

• Aufruf zur Überlegung, welche Händler angesprochen werden sollten in Magdeburger Allee sind 60% hochspezialisierte Geschäfte, die keinen regionalen Handel betreiben restlichen 40%, welche die Region bedienen, ansprechen (WEBER) Presseeffekt

Welche Verbrauchervorteile bringt das Regionalgeld (SMETTAN)

wegen geringen Beträgen schnell und bequem zum Ausgeben, Schaffung von Mikrokreisläufen und Alternativen, Kleine Summen werden ausgegeben anstatt sie umzutauschen Geschäfte bleiben in der Straße (Regionalität), Flexibilität beim Einlösen von Rabatten

Vorteile überwiegen Nachteile

je mehr Anbieter desto mehr Verbraucherfreundlichkeit (= Ausschluss von Ketten, selbst wenn größere Akteure Regionalität suchen)

Örtlicher Media Markt als Beispiel

geschlossene Benutzergruppe (große Ketten können Regionalgeld nicht zurücktauschen Vereinsstrukturen, Vorstand oder Mitglieder entscheiden über Beitritte)

Vertrauen in Verein wächst, strukturelle Vereinserweiterungen, Mitge-staltungsmöglichkeiten

Warum funktioniert Regionalgeld in manchen Regionen (Positivbeispiel Chiemgauer), in anderen Regionen wiederum nicht (Berlin)

Variablen, warum ein System in einer bestimmten Region gut funktioniert, nicht immer durchschaubar, Vertrauenshürden

auch die Landmark wäre ein Projekt/Experiment

Magdeburger Allee strukturell geeignet (FREYDORF)

Rabattsystem bereits irgendwo etabliert? Erfahrungswerte? (WEBER)

Nicht in dieser Form. Jedoch: In Thüringenpark und Anger 1 hat eine enorme Umsatzsteigerung durch die Einführung gemeinsamer Einkaufs-Gutscheine stattgefunden mächtiges Instrument und Vorteil der Konkurrenz: Kaufkraftbindung

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 88

muss auch in der Magdeburger Allee mit diesen Mitteln stattfinden, die Konkurrenz wird sonst zu stark

Bürgerinitiative Erfurt interessiert aber stärkere Bindung an Regionalität (hier Magdeburger Allee) erwünscht Wunsch nach anderer Bezeichnung der Landmark, um diese stärkere Bindung zu erreichen (VOGT), Möglichkeit von Sondereditionen mit spezifischen Aufdrucken auf Rückseite?

Weiteres geplantes Vorgehen? Welche Art von Unterstützung erwünscht? ( KIENNEN )

• Organisationshilfe

• Kommunikation zwischen den Initiativen fördern

• Geldnamen an hiesigen Bezug anpassen?

• Informationsveranstaltung für alle offener Dialog unbedingt notwendig Initiative nur mit Rückendeckung

• Ladeninhaber motivieren oberste Priorität (WEBER)

b.e. Fazit

• Unternehmer haben Gestaltungsfreiheit (KIENNEN)

• Zusammenschlüsse oft erfolgreicher als Initiativen im Alleingang Option, mit der Landmark zu kooperieren (FREYDORF)

• Umlauf der Landmark in der Magdeburger Allee müsste geklärt werdenZusammenfassung des Abends (FREYDORF)

9. kritische Masse von Teilnehmern notwendige Bedingung10. Lokalbezug muss für Identitätsbildung aufgebaut werden11. Impulsgeber sollten aktive Akteure sein

Email Adressen werden ausgetauscht, Rückmeldungen auch direkt an Hr. Urbanneck

b.f. Feedback an Studierende im Anschluss an die Veranstaltung

• (WEBER) mehr Tiefe erwünscht (Was sehen wir als Studenten in einer solchen Initiative? Wie ist die Theorie mit der Praxis zu vereinbaren konkretere Lösungs – und Konzeptvorschläge)

Differenzen zwischen studentischer und unternehmerischer Denkweise auflösen.

• (FISCHER) Enttäuschung über fehlende Nachhaltigkeitsbemühung (da BA-Studierende sich wider Erwartens der Eingeladenen nicht langfristig engagieren können/möchten)

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 89

12. (HALLBAUER) positiv, dass es zu dem Treffen gekommen ist, weil das nicht Teil des Seminarziels war

13. (VOGT) persönliche Erfahrungen zur Weitervermittlung wichtig, Bezug zwischen Wissenschaft und Theorie sollte weiter bestehen!

b.g. TOP 5: Schluss

Weitergabe des Verlaufsprotokolls, um Ideenaustausch zu dokumentieren und somit zukünftige Kooperation zwischen den beteiligten Akteuren zu ermöglichen.

Danke an Interessenten, Situationsevaluation

Zusammenarbeit wichtig! Informationen erwünscht (WEBER)

Geschlossenes Evaluationstreffen der Projektgruppe am 08.07.2011

c. Anhang

Kontaktdaten:

Ralf Weber ( Vorstandsvorsitzender „Magdeburger Allee e.V.“)Magdeburger Allee 50, 99086 ErfurtTelefon: 0361 6430807 - Fax: 0361 6430806 - Mobil: 0171 8509585Email: [email protected] - www.magdeburger-allee-erfurt.de

Bürgerbeirat Ilversgehofen:[email protected]

Kik e.V. (Birgit Vogt)[email protected]

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 90

4.7. Reflexion der Informationsveranstaltung von Nikolaus Kiennen und Sebastian Weidner

Das Seminar „Ein Regionalgeld für Erfurt?!“ an der Universität Erfurt führte am 28. Juni 2011 in der „Stube“ (der Regional-Initiative Ladebalken) in Zusammenarbeit mit der Thüringer Regionalgeld-Initiative „Landmark“ und deren Erfurter Sprecher Andreas Urbannek eine Informationsveranstaltung zur etwaigen Einführung der Landmark in der Magdeburger Allee durch. Dazu waren mehrere Interessensvertreter aus Erfurt eingeladen worden, die in verschiedener Form mit der Magdeburger Allee, dem Stadtteil Ilversgehofen oder Regionalgeldinitiativen in Verbindung stehen. Das Protokoll dieses Treffens ist im vorangegangenen Abschnitt dokumentiert.

Im Anschluss relfektierte das Seminar in einem internen Treffen die durchgeführte Informationsveranstaltung. Dabei wurden positive wie negative Eindrücke zu Planung und Ablauf angesprochen und Verbesserungsvorschläge für weitere ähnliche Veranstaltungen erarbeitet. Begonnen wird hierbei mit den negativen Aspekten:

Allgemein wurde bemängelt, dass die Veranstaltung vor allem aufgrund der extrem geringen Vorlaufzeit zwischen Projektidee und Umsetzung etwas unvorbereitet wirkte.

Hierzu wurde angemerkt, dass es wünschenswert gewesen wäre, den Gästen klarer zu kommunizieren, was Zielstellung und Hintergrund des Seminars an sich waren und was das Semester über in den einzelnen Kleingruppen erarbeitet wurde. So hätte man von Beginn an den Anwesenden besser klar machen können, wo von Studentischer Seite der Sinn der Infoveranstaltung gesehen wurde und wie man sich in Zukunft die Weiterarbeit an der Idee mit der Landmark ein Regionalgeld in der Magdeburger Allee einzuführen vorstelle. So ergab es sich nämlich, dass einige der anwesenden Gäste sich enttäuscht zeigten, als zum Ende des Treffens von Seiten der Seminarteilnehmer angemerkt wurde, dass das Seminar nicht vollständig an der vorgestellten Idee und ihrer Umsetzung weiterarbeiten könne, da einige der Teilnehmer nun ihr Studium beendet hätten oder Praktika bzw. Auslandssemester anstehen. Aber auch die restlichen, in Erfurt verbleibenden Studierenden würden auch die kommenden Semester ein hohes Arbeitspensum in ihren Pflicht- bzw. Kernfächern haben, was langfristigem sozialem Engagement entgegen steht. Insgesamt stellt diese Tatsache offensichtlich ein Problem dar, da ein Unterfangen wie das Einführen eines Regionalgeldes Zeit und Arbeit in Anspruch nimmt, die nicht innerhalb eines Semesters abgeleistet werden kann. Da sich dies jedoch aufgrund des engen Verlaufs eines Bachelor-Studiengangs kaum ändern lässt, gilt es, wie bereits erwähnt, solche Tatsachen gerade im Umgang mit Menschen, die nicht (mehr) direkt mit dem Hochschulsystem oder den neuen Studienbedingungen (Ba/Ma) vertraut sind, frühzeitig anzusprechen, um unrealistische Erwartungen und darauf folgende Enttäuschungen und Probleme vermeiden.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 91

Auch die Präsentation der Landmark-Initiative an sich und die im Seminar erarbeiteten Implementierungsvorschläge für ein Regionalgeld in der Magdeburger Allee wurde im Nachhinein von den Seminarteilnehmern als zu unkoordiniert bewertet. So hätte man mit dem Vertreter der Landmark klarer absprechen müssen, welche konkreten Punkte man sich von seinem Vortrag zur Landmark erwarte. Auch hätte man früher und klarer einen Referenten für die Vorstellung der Umsetzungsideen aus dem Seminar benennen sollen. Ebenso hätte man mehr auf Visualisierungen zum Beispiel in Form einer Powerpoint-Präsentation oder mit Hilfe einer Flipchart setzen sollen, da es wohl gerade für die Gäste, die weniger „im Thema stecken“, schwer ist, rein mündlichen Ausführungen zu Regionalgeld-Konzepten zu folgen.

Es wurde zudem aus dem Feedback der Gäste offensichtlich, dass sie sich bei den Ideen zur Umsetzung mehr Verbindlichkeit und mehr Details gewünscht hätten statt allgemeiner Informationen, da sie laut eigener Aussage mehrheitlich über Regionalgelder im Allgemeinen und die Landmark im Speziellen schon Bescheid wussten. Das Seminar hatte jedoch bewusst darauf verzichtet, eine zu detailreiche Ausarbeitung der Ideen zur Einführung der Landmark in der Magdeburger Allee anzufertigen und zu präsentieren, da man davon ausging, dass vorgefertigte Konzepte von jungen Menschen aus dem universitären „Elfenbeinturm“ bei Geschäftsleuten und anderen Beteiligten aus der Praxis nicht gut ankommen würden. Um dieses Missverständnis zu vermeiden, wäre es beispielsweise für eine weitere oder ähnliche Veranstaltung möglich, im Vorfeld ein konkretes Konzept zu erarbeiten, dieses jedoch erst einmal „in der Schublade“ zu belassen und nur vorzutragen, falls sich klares Interesse von Seiten der Gäste daran zeigen sollte. Außerdem wäre es wünschenswert gewesen, im Vorfeld mehr über den allgemeinen Kenntnisstand der Gäste zu Regionalgeldern zu wissen, wobei dieser jedoch vermutlich aufgrund der verschiedenen Akteure aus verschiedenen Bereichen sowieso nicht einheitlich gewesen wäre.

Zudem wurde selbstreflexiv angesprochen, dass es zu viele Seminarteilnehmer im Verhältnis zu den tatsächlich anwesenden Gästen gewesen seien. Da im Seminar zuvor abgesprochen worden war, dass man den Gästen bei der an die Vorträge anschließenden Diskussion den Vortritt lassen sollte, saß eine große Zahl Studierender schweigend am Tisch und wirkte etwas teilnahmslos. Auch die Tatsache, dass nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung viele der anwesenden Studenten aufstanden und dem Rhythmus studentischer Raucherpausen folgend vor die Tür gingen, während nur wenige Seminarteilnehmer noch mit den Gästen am Tisch sitzen blieben und sich weiter unterhielten, könnte diesen Eindruck verstärkt haben. Allerdings ist dies auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass sich die Veranstaltung bereits das Semester über sehr interaktiv und arbeitsintensiv gestaltetet hatte, und die Vorbereitung des Info-Abends in nur 3-4 Wochen von Idee zu Umsetzung parallel zur beginnenden Prüfungszeit geleistet wurde.

Als Vorschlag zur Lösung dieses Problems wurde angebracht, dass man das Ende der Veranstaltung und die anschließende informelle Diskussion klarer ansprechen bzw.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 92

koordinieren sollte. Viele derjenigen Seminarteilnehmer, die nach dem Ende des offiziellen Teils die Veranstaltung insgesamt für beendet sahen und den Raum verließen, bemerkten nicht, dass die Gäste unvorhergesehen noch bleiben wollten und weiteren Diskussionsbedarf signalisierten. Man sollte daher im Anschluss an das offizielle Programm einer zukünftigen Veranstaltung klarer kommunizieren, dass alle Interessierten noch gerne bleiben und ungezwungen weiterdiskutieren könnten.

Auch wenn so manche (Selbst-)Kritik geäußert wurde, waren sich die Seminar-Teilnehmer jedoch einig darüber, dass ihnen insgesamt eine interessante und gute Veranstaltung gelungen war, die einigen der Gäste sicherlich neue Anregungen und Denkanstöße geliefert hat. Gerade hinsichtlich der kurzen Organisationszeit kann man mit dem Erreichten zufrieden sein. Auch die anschließende, informelle Diskussion, an der sich sowohl Gäste als auch einige Studierende und der Vertreter der Landmark beteiligten, wurde als positives Zeichen für ein tatsächliches Interesse an der Idee gewertet.

Was lässt sich nun für weitere Veranstaltungen dieser Art lernen und ableiten? Zukünftig wäre – gerade für relativ unerfahrende Gruppen - eine längere Plaungsphase wünschenswert. Eine klare Aufgabenverteilung, vor allem ein regelmäßiger Austausch zwischen den einzelnen Arbeitsgruppen, ist dabei empfehlenswert. Auch sollte man sich über Erwartungen und Kenntnisstand der geladenen Gäste besser informieren und die Vorträge darauf aufbauen. Die anschließenden Fragerunden und Diskussionen könnten im Vorfeld koordiniert und angesprochen werden, sodass sich diesbezüglich keine Unklarheiten oder Missverständliche ergeben.

Als Erfahrung bleibt festzuhalten, dass eine studentische Gruppe keine Scheu vor der Organisation von Veranstaltungen dieser Art haben muss. Auch wenn sich kleinere Probleme im konkreten Ablauf ergaben, hat sich dennoch gezeigt, dass es möglich ist, auch außerhalb des Seminars eine produktive Diskussion zu führen, Anregungen weiterzugeben und gemeinsam Initiativen zu entwickeln. Wenn eine Gruppe mit Engagement bei der Sache ist, wie das bei den Teilnehmern des Seminars „Regionalgeld für Erfurt?!“ der Fall war, kann sie sehr wohl auch in kurzer Zeit eine konstruktive Veranstaltung planen und durchführen.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 93

4.8. Fazit der Projektarbeit

Die dritte Phase des Seminars unterschied sich durch ihren Praxisbezug deutlich von den ersten beiden. Es konnten nicht nur theoretische Konzepte auf die tatsächliche Lebenswelt angewendet, sondern durch die Veranstaltung selbst Fakten geschaffen werden. Kritisch wurde angemerkt, dass der Schlusspunkt, den das Seminars planungsgemäß erreichte, eigentlich erst der Anfang für ein noch größeres, jedoch im Rahmen des Seminars nicht durchführbares Projekt sei: Die Implementierung eines lokalen Ablegers der Landmark.

Bezüglich der studentischen Forschungsstudie selbst ist eindeutig ein positives Fazit zu ziehen. Im Rahmen der Veranstaltung wurden theoretisches Wissen vermittelt, Kompetenzen zur systematischen Erschließung von Themenfeldern erweitert und praktische Erfahrungen in der eigenständigen Umsetzung von Projekten gesammelt: Es war den 15 Seminarteilnehmern dank ihrer hohen Motivation und des semistrukturierten Seminarplans möglich, sich innerhalb von nur 14 Sitzungen zu je 1,5 Zeitstunden eine Übersicht über die Geldtheorie und verschiedenen Arten von Komplementärwährungen zu erarbeiten, durch eigenständige Recherchen die Lage bestehender Regionalgeld-Initiativen zusammenzutragen, verschiedene Projekt-Skizzen zu entwerfen, sich für eine realistische Projektalternative zu entscheiden und diese schließlich eigenständig zu realisieren.

Eine Fortführung des Landmark-Projekts kann von der aktuellen Projektgruppe nicht geleistet werden. Dies ist auf verschiedene Umstände zurückzuführen, vor allem auf die hohe Fluktuation von BA-Studierenden. Um anderen Forschungs- oder Projekt-Initiativen jedoch zumindest unseren Arbeitsstand und unsere Erfahrungen zugänglich zu machen, war es uns ein wichtiges Anliegen, den Verlauf und die vorläufigen Ergebnisse zu dokumentieren.

Ein Regionalgeld für Erfurt?! 94

5. Schlusswort

Zur Lösung zeitgenössischer Probleme bedarf es neuer Ansätze. Die Schlüsselfrage des Seminars bestand darin, ob Regionalgelder dazu beitragen könnten. Sie wurde in unserem Seminar nicht eindeutig beantwortet.

Einerseits stoßen Komplementärwährungstheorien in vermeintliche Lücken neoliberaler Theorien, andererseits sind ihre Vertreter in der Minderheit. Aufgrund weniger Forschung in diesem Bereich können (noch?) wenige Argumente und empirische Belege angeführt werden. Auch die praktischen Erfahrungen sind ambivalent, denn während viele Initiativen nach kurzer Zeit scheiterten, gibt es aktuell auch einige sehr erfolgreich laufende Systeme. Doch auch hier werfen sich Fragen nach der tatsächlichen Wirksamkeit auf: Denn ob Effekte wie eine regionale Strukturstärkung in Einzelfällen wirklich auf das Regionalgeld zurückzuführen sind oder dieses schlicht ein Luxusgut für wohlhabende Idealisten in ohnehin strukturstarken Gebieten ist, konnte nicht geklärt werden. Trotz vieler Experimente blieb der große Durchbruch (im Sinne eines erfolgreichen Regionalgeld-Projektes in einem sozioökonomisch schwächer strukturierten Gebiet) bislang noch aus. Insofern steht nach wie vor die These im Raum, dass die beachtliche Verbreitung von Regionalgeldern in den letzten Jahren weniger auf ihre ökonomisch vorteilhafte Effekte, sondern fast ausschließlich auf den kulturellen Trend zu einer regionaleren, nachhaltigeren Lebensweise zurückzuführen sei (Stichwort: LOHAS). Die historischen Beispiele scheinen uns zu lehren: Erst in extremen Krisenzeiten, bei Versagen der Nationalwährung, bekommen Regionalgelder überhaupt die Chance, ihr volles ökonomisches Potential zu entfalten.

Trotz vieler Fragwürdigkeiten bleibt als erarbeiteter Forschungsstand des Seminars somit festzuhalten: Regionalgelder sind ein Experiment, das es zu wagen gilt – auch in der Forschung! Neben den potentiell erreichbaren positiven ökonomischen Effekten stellen sie unzweifelhaft ein Mittel zur Reflexion des Währungssystems und der regionalen Wirtschaftsstruktur dar. Ein Regionalgeld konfrontiert die Konsumenten mit elementaren Fragestellungen und lässt sie durch die Vereinsstruktur demokratisch am Projekt teilnehmen.

Dass ökonomische und letztlich gesellschaftliche Problematiken auch von unten und auf freiwilliger Basis angegangen werden können, wurde von Elinor Ostrom an vielen Beispielen aufgezeigt und mittlerweile sogar mit dem sogenannten Wirtschaftsnobelpreis gewürdigt. Die vielen kleinen und bunten Regionalgeld-Initiativen sind ein eindrucksvolles Beispiel dafür. Sie motivieren und laden ein zu weiteren, privat lancierten, basisdemokratischen Projekten in allen gesellschaftlichen Bereichen und auf alle denkbaren gesellschaftlichen Probleme bezogen.