Eine Einladung in die Mathematik || Wie man Diophantische Gleichungen löst

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Wie man Diophantische Gleichungen löst Michael Stoll Zusammenfassung Dieser Beitrag ist eine erweiterte Version des Vortrags, den ich vor den Teilnehmern der IMO 2009 und anderen Interessierten ge- halten habe. Wir führen Diophantische Gleichungen ein und zeigen, dass es schwer sein kann sie zu lösen. Dann zeigen wir, wie man eine spezielle Glei- chung, die mit im Pascalschen Dreieck mehrfach auftauchenden Zahlen zu tun hat, mit modernsten Techniken lösen kann. 1 Diophantische Gleichungen Das Thema dieses Texts sind Diophantische Gleichungen . Eine Diophanti- sche Gleichung hat die Form F (x 1 ,x 2 ,...,x n )=0 , wobei F ein Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten ist und man nach Lösun- gen in ganzen Zahlen (oder in rationalen Zahlen, das hängt vom Problem ab) sucht. Sie sind nach Diophantos von Alexandria benannt, über den man nicht viel mit Sicherheit weiß. Er lebte wahrscheinlich um 300 n. Chr. Er schrieb die Arithmetika, ein Werk bestehend aus 13 Büchern, von denen einige er- halten sind. In diesen erklärt er mithilfe vieler Beispiele, wie man rationale Lösungen von bestimmten Arten von Gleichungen wie der obigen finden kann. Diophantos war auch einer der Ersten, die eine symbolische Schreibweise für Potenzen benutzten. Die folgenden Beispiele sollen einen Vorgeschmack auf diese Art von Fra- gestellung geben. Am besten verdeckst du die Seite unterhalb der Gleichung Michael Stoll Mathematisches Institut, Universität Bayreuth, 95440 Bayreuth, Deutschland. E-mail: [email protected] 9 DOI 10.1007/978-3-642-25798-8_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 D. Schleicher, M. Lackmann (Hrsg.), Eine Einladung in die Mathematik

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Wie man Diophantische Gleichungenlöst

Michael Stoll

Zusammenfassung Dieser Beitrag ist eine erweiterte Version des Vortrags,den ich vor den Teilnehmern der IMO 2009 und anderen Interessierten ge-halten habe. Wir führen Diophantische Gleichungen ein und zeigen, dass esschwer sein kann sie zu lösen. Dann zeigen wir, wie man eine spezielle Glei-chung, die mit im Pascalschen Dreieck mehrfach auftauchenden Zahlen zutun hat, mit modernsten Techniken lösen kann.

1 Diophantische Gleichungen

Das Thema dieses Texts sind Diophantische Gleichungen. Eine Diophanti-sche Gleichung hat die Form

F (x1, x2, . . . , xn) = 0 ,

wobei F ein Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten ist und man nach Lösun-gen in ganzen Zahlen (oder in rationalen Zahlen, das hängt vom Problem ab)sucht. Sie sind nach Diophantos von Alexandria benannt, über den man nichtviel mit Sicherheit weiß. Er lebte wahrscheinlich um 300 n. Chr. Er schriebdie Arithmetika, ein Werk bestehend aus 13 Büchern, von denen einige er-halten sind. In diesen erklärt er mithilfe vieler Beispiele, wie man rationaleLösungen von bestimmten Arten von Gleichungen wie der obigen finden kann.Diophantos war auch einer der Ersten, die eine symbolische Schreibweise fürPotenzen benutzten.

Die folgenden Beispiele sollen einen Vorgeschmack auf diese Art von Fra-gestellung geben. Am besten verdeckst du die Seite unterhalb der Gleichung

Michael StollMathematisches Institut, Universität Bayreuth, 95440 Bayreuth, Deutschland.E-mail: [email protected]

9

DOI 10.1007/978-3-642-25798-8_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 D. Schleicher, M. Lackmann (Hrsg.), Eine Einladung in die Mathematik

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und versuchst selbst eine Lösung zu finden, bevor du weiterliest. Die ersteGleichung ist

x3 + y3 + z3 = 29 ,

eine Gleichung mit drei Unbekannten, für die (nicht unbedingt positive) ganz-zahlige Lösungen gesucht sind. Vermutlich hat du nicht besonders lange ge-braucht, um eine Lösung wie etwa (x, y, z) = (3, 1, 1) oder vielleicht auch(4,−3,−2) zu finden. Jetzt betrachten wir folgende Gleichung:

x3 + y3 + z3 = 30 .

Versuche eine Zeitlang, eine Lösung zu finden, bevor du in dieser Fußnotenachschaust1. Diese Lösung ist die kleinste und wurde mit einem Computerim Juli 1999 gefunden und 2007 veröffentlicht [1]. Das zeigt schon, dass es sehrschwierig sein kann, eine Diophantische Gleichung zu lösen. Nun betrachtenwir

x3 + y3 + z3 = 31 .

Hast du versucht, sie zu lösen? Du solltest zu dem Schluss gekommen sein,dass es keine Lösung gibt: Die dritte Potenz einer ganzen Zahl ist immer≡ −1, 0 oder 1 mod 9, also kann eine Summe von drei Kubikzahlen niemals≡ 4 oder 5 mod 9 sein. Da 31 ≡ 4 mod 9 ist, kann 31 keine solche Summesein. Das selbe Argument greift auch, wenn wir 31 durch 32 ersetzen. Alsnächstes kommt dann die Gleichung

x3 + y3 + z3 = 33 .

Falls du es geschafft hast, dafür eine Lösung zu finden, solltest du darübernachdenken, Diophantische Gleichungen zu deinem Forschungsgebiet zu ma-chen. Momentan ist nämlich unbekannt, ob diese Gleichung eine ganzzahligeLösung hat oder nicht!2

Das Folgende ist also ein interessantes Problem: zu entscheiden ob einegegebene Diophantische Gleichung lösbar ist oder nicht. Tatsächlich stehtdieses Problem auf der berühmtesten Liste mathematischer Probleme, diees gibt; es ist nämlich eines der 23 Probleme, die David Hilbert in seinerRede vor dem Internationalen Mathematiker-Kongress von 1900 in Paris alslohnende Fragen für das neue Jahrhundert angegeben hat. Die Beschreibungdes zehnten Problems auf Hilberts Liste lautet [3]:

1 x = 2220 422 932, y = −2 218 888 517, z = −283 059 965.2 Diese Einleitung wurde durch einen Vortrag inspiriert, den Bjorn Poonen 2008 auf einemWorkshop in Warwick gehalten hat.

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Heutzutage würde man sagen, Hilbert fragt nach einem Algorithmus, derfür ein Polynom F (x1, . . . , xn) mit ganzzahligen Koeffizienten entscheidet, obdie Gleichung

F (x1, . . . , xn) = 0

in Z lösbar ist. Das ist gemeinhin als Hilberts Zehntes Problem bekannt.Es ist nicht nur das kürzeste Problem auf Hilberts Liste, es ist auch daseinzige Entscheidungsproblem3 und nimmt damit eine Sonderstellung ein.Aus dem Wortlaut kann man schließen, dass Hilbert an eine positive Lösungdes Problems glaubte: so ein Algorithmus musste existieren. Tatsächlich sagter am Ende der Einleitung seiner Rede, bevor er zu der Liste der Problemekommt:

. . . in der Mathematik giebt es kein Ignorabimus4!

Das zeigt, dass Hilbert überzeugt war, dass jedes mathematische Problemeine eindeutige Lösung haben muss.

Die einfachen Beispiele, die ich am Anfang gezeigt habe, haben dir viel-leicht das Gefühl gegeben, dass dieses Problem sehr schwierig sein kann. Ge-nauso ging es den Mathematikern, die sich damit beschäftigt haben. Sie ka-men mehr und mehr zu der Überzeugung, dass Hilberts Zehntes Problemwahrscheinlich eine negative Lösung hat: Ein existiert kein Algorithmus, derden Anforderungen genügt. Nun ist es ziemlich klar, wie man beweist, dassein Algorithmus existiert, der eine bestimmte Aufgabe erfüllt: Man findeteinen solchen Algorithmus und schreibt ihn auf. Jeder wird dann akzeptie-ren, dass es tatsächlich ein Algorithmus ist, der das gegebene Problem löst.Zu zeigen, dass ein solcher Algorithmus nicht existiert, ist ein völlig anderesProblem. Man muss einen Weg finden, alle möglichen Algorithmen zu be-trachten, um zu zeigen, dass keiner davon das Problem löst. Die relevanteTheorie, ein Zweig der mathematischen Logik, existierte noch nicht, als Hil-bert seinen Vortrag hielt. Sie wurde ein paar Jahrzehnte später entwickelt undführte zu so berühmten Ergebnissen wie Gödels Unvollständigkeitssatz, wel-cher definitiv zeigte, dass es ein Ignorabimus in der Mathematik gibt. In derTat ermöglichte die Arbeit verschiedener Leute, insbesondere Martin Davis,

3 Ein Entscheidungsproblem fragt nach einem Algorithmus, der entscheidet, ob ein Elementeiner bestimmten Menge eine bestimmte Eigenschaft hat.4 Dieses lateinische Wort bedeutet „Wir werden (es) nicht wissen“.

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Hilary Putnam und Julia Robinson, dass 1970 Yuri Matiyasevich folgendesErgebnis beweisen konnte:5

Theorem 1 (Davis, Putnam, Robinson; Matiyasevich).Die Lösbarkeit Diophantischer Gleichungen ist unentscheidbar.

Tatsächlich bewies er ein viel stärkeres Ergebnis, das beispielsweise fol-gendes einschließt: Man kann ein Polynom F (x0, x1, . . . , xn) angeben, fürdas kein Algorithmus existiert, der bei gegebenem Input a ∈ Z entscheidet,ob es eine ganzzahlige Lösung für

F (a, x1, . . . , xn) = 0

gibt. Beachte, dass wir stets die Lösbarkeit einer Diophantischen Gleichungbeweisen können, da wir beim Durchsuchen der abzählbar vielen Möglichkei-ten irgendwann eine Lösung finden (aber wir wissen vorher nicht, wie weitwir suchen müssen). Das eigentlich schwierige Problem tritt also auf, wenn eskeine Lösungen gibt und wir das beweisen müssen. Eine ähnliche Situationergibt sich, wenn es endlich viele Lösungen gibt und wir alle finden wollen.In diesem Fall erwartet man, dass die Lösungen ziemlich klein sind6. Alsoist normalerweise nicht so schwer, alle Lösungen zu finden; die Schwierigkeitliegt darin zu zeigen, dass es keine anderen gibt.

Sollten wir jetzt alle Versuche, Diophantische Gleichungen zu lösen, auf-geben, in der Überzeugung, dass es völlig hoffnungslos ist? Das wäre voreilig.Wir können immer noch hoffen, für bestimmte Arten von Gleichungen einenAlgorithmus zu finden. Zum Beispiel gibt es ziemlich gute Gründe dafür zuglauben, dass es eine positive Antwort auf Hilberts Frage für Polynome inzwei Variablen geben sollte. Im Rest dieses Beitrags werden wir eine solcheGleichung als Beispielfall betrachten und werden zeigen, mit welcher Art vonMethoden sie gelöst werden kann.

2 Die Beispielgleichung

Die Gleichung, die wir hier betrachten wollen, wurde von der folgenden Frageangeregt. Betrachte das Pascalsche Dreieck (Abbildung 1). Welche natürli-chen Zahlen tauchen mehrmals in diesem Dreieck auf, wenn wir die äußerenbeiden „Schichten“ (1, 1, 1, . . . und 1, 2, 3, . . . ) auf jeder Seite und die offen-sichtliche Achsensymmetrie außer Acht lassen?

In anderen Worten, was sind die ganzzahligen Lösungen der Gleichung(y

k

)=

(x

l

)(1)

5 Siehe [5] für eine verständliche Beschreibung des Problems und seiner Lösung.6 Die große Lösung für x3 + y3 + z3 = 30 ist kein Gegenbeispiel zu dieser Aussage, da esin diesem Fall unendlich viele Lösungen geben sollte.

es

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0 0 0 0 0 1 0 0 0 0 00 0 0 0 0 1 1 0 0 0 0 0

0 0 0 0 1 2 1 0 0 0 00 0 0 0 1 3 3 1 0 0 0 0

0 0 0 1 4 6 4 1 0 0 00 0 0 1 5 10 10 5 1 0 0 0

0 0 1 6 15 20 15 6 1 0 00 0 1 7 21 35 35 21 7 1 0 0

0 1 8 28 56 70 56 28 8 1 00 1 9 36 84 126 126 84 36 9 1 0

1 10 45 120 210 252 210 120 45 10 1

Abb. 1. Das Pascalsche Dreieck

unter den Nebenbedingungen 1 < k ≤ y/2, 1 < l ≤ x/2 und k < l? Diefolgenden Lösungen sind bekannt.(

16

2

)=

(10

3

),

(56

2

)=

(22

3

),

(120

2

)=

(36

3

),(

21

2

)=

(10

4

),

(153

2

)=

(19

5

),

(78

2

)=

(15

5

)=

(14

6

),(

221

2

)=

(17

8

),

(F2i+2F2i+3

F2iF2i+3

)=

(F2i+2F2i+3 − 1

F2iF2i+3 + 1

)für i = 1, 2, . . . ,

wobei Fn die n-te Fibonacci-Zahl ist (F0 = 0, F1 = 1, Fn+2 = Fn+1 + Fn).Gleichung (1) ist nach unserer Definition keine Diophantische Gleichung,

weil sie von k und l nicht in polynomialer Weise abhängt. Auch ist sie viel zuschwierig, um sie vollständig zu lösen. Also spezialisieren wir sie, indem wirfür k und l Konstanten nehmen. Die Fälle

(k, l) ∈ {(2, 3), (2, 4), (2, 6), (2, 8), (3, 4), (3, 6), (4, 6)}

wurden schon vollständig gelöst. Jeder dieser Fälle benötigt tiefe Mathematik,ähnlich den nachstehend beschriebenen Methoden. Der „kleinste“ ungelösteFall ist offenbar (k, l) = (2, 5), was zu der folgenden Gleichung führt:(

y

2

)=

(x

5

), oder 60y(y − 1) = x(x − 1)(x− 2)(x− 3)(x− 4) . (2)

Der erste Schritt beim Lösen von Gleichungen wie (2) ist es, nach Lösungenzu suchen. Wir finden schnell Lösungen mit

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x = 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 15 und 19

und dann keine weiteren mehr. (Nur die letzten zwei sind „nichttrivial“ in demSinn, dass sie die oben beschriebenen Beschränkungen einhalten. Es gibt keineLösungen mit x < 0, da dann die rechte Seite negativ ist; die linke Seite istaber für y ∈ Z niemals negativ.) Dies lässt nun folgende Frage aufkommen:Haben wir schon alle Lösungen gefunden, und wenn ja, wie können wir dasbeweisen?

Das ist ein guter Zeitpunkt innezuhalten und zu überlegen, was über dieLösungsmenge von Gleichungen wie (2) allgemein bekannt ist. Das erste wich-tige Ergebnis wurde von Carl Ludwig Siegel 1929 bewiesen (siehe [4, Ab-schnitt D.9] für einen Beweis.)

Theorem 2 (Siegel).Sei F ein irreduzibles Polynom in zwei Variablen x und y mit ganzzahligenKoeffizienten. Wenn die Lösungen von F (x, y) = 0 nicht rational parame-trisiert werden können, dann hat F (x, y) = 0 nur endlich viele ganzzahligeLösungen.

Eine rationale Parametrisierung von F (x, y) = 0 ist ein Paar von rationa-len Funktionen f(t), g(t) (Quotienten von Polynomen), nicht beide konstant,so dass F (f(t), g(t)) = 0 ist (als Funktion von t). Die Existenz einer solchenrationalen Parametrisierung kann algorithmisch überprüft werden; für unsereGleichung ergibt sich, dass sie nicht rational parametrisierbar ist. Damit wis-sen wir, dass es nur endlich viele Lösungen gibt, und es besteht die Chance,dass unsere Liste von Lösungen bereits vollständig ist. Leider sind Theo-rem 2 und sein Beweis aber von Natur aus ineffektiv : Der Beweis liefert keineSchranke für die Größe der Lösungen, also können wir alleine damit nochnicht nachprüfen, ob unsere Liste komplett ist. Dieser recht unbefriedigendeZustand hat sich bis in die 1960-er Jahre nicht geändert; dann entwickelteAlan Baker seine Theorie der „Linearformen in Logarithmen“, die zum erstenMal explizite Schranken für die Lösungen von vielen Typen von Gleichungenbereitstellte. Für diesen Durchbruch erhielt er die Fields-Medaille. BakersErgebnis deckt eine Klasse von Gleichungen ab, die unsere Gleichung (2)enthält. In unserem Fall läuft das, was er bewiesen hat, ungefähr auf dasFolgende hinaus:

|x| < 10101010

600

. (3)

Das reduziert das Lösen unserer Gleichung (2) auf ein endliches Problem.Die Ungleichung in (3) gibt uns eine explizite obere Schranke für x. Wirmüssten also nur die endlich vielen verbleibenden Möglichkeiten überprüfenund erhielten die vollständige Lösungsmenge zu (2). Von einem sehr reinenmathematischen Standpunkt aus könnten wir das Problem damit als gelöstbetrachten. Andererseits würden wir gerne die vollständige Liste von Lösun-gen tatsächlich bestimmen, und die Aussage, dass es im Prinzip möglich istdas zu tun, genügt uns nicht. Zu sagen, dass die Zahl in (3) jede Vorstel-lungskraft übersteigt, ist eine schreckliche Untertreibung; schon der Versuch

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herauszufinden, wie lange es dauern würde, tatsächlich alle notwendigen Be-rechnungen auszuführen, wäre zum Scheitern verurteilt.

Wie auch immer, die Zeit blieb in den 1960-ern nicht stehen, und mitim Grunde immer noch der selben Methode, aber mit vielen Verfeinerungenund Verbesserungen, sind wir nun in der Lage, die folgende Abschätzung zubeweisen:

|x| < 1010600

. (4)

Du fragst dich vielleicht zu Recht, ob damit wirklich ein Fortschritt erzieltwurde. Die Anzahl der Elektronen im Weltall wird auf 1080 geschätzt, alsokönnen wir nicht einmal eine Zahl mit 10600 Ziffern aufschreiben! Trotzdemist die Verbesserung durch (4) ausschlaggebend. Aber bevor wir dies sehenkönnen, müssen wir unser Problem aus einem anderen Blickwinkel betrach-ten.

3 Eine geometrische Interpretation

Wir werden unser auf den ersten Blick algebraisches Problem ((2) ist ei-ne algebraische Gleichung) in ein geometrisches verwandeln. Eine GleichungF (x, y) = 0 in zwei Variablen definiert eine Teilmenge der Ebene, die ausden Punkten besteht, deren Koordinaten die Gleichung erfüllen. Falls F ein(nicht konstantes) Polynom ist, wird diese Lösungsmenge eine ebene alge-braische Kurve genannt. Wir können die zu unserer Gleichung (2) gehörendeKurve C in der Ebene R2 zeichnen (siehe Abbildung 2). Wir sind nun anden ganzzahligen Punkten auf C interessiert, also den Punkten mit ganzzah-ligen Koordinaten, da sie den ganzzahligen Lösungen von (2) entsprechen.Die Menge der ganzzahligen Punkte auf C wird mit C(Z) bezeichnet.

Diese Menge C(Z) der ganzzahligen Punkte auf der Kurve C hat von sichaus keine zusätzliche nützliche Struktur. Aber wir können von einer gut entwi-ckelten Theorie, der Algebraischen Geometrie, Gebrauch machen. Sie studiertMengen, die durch (evtl. mehrere) Polynomgleichungen definiert werden, ins-besondere auch Kurven wie C. Diese Theorie sagt uns, dass wir die Kurve Cin ein anderes Objekt J einbetten können, das keine Kurve, sondern eineFläche ist. Dieses Objekt kann für jede Kurve konstruiert werden und wirddie Jacobi-Varietät der Kurve genannt7. Die interessante Eigenschaft von J(und Jacobi-Varietäten im Allgemeinen) ist, dass J eine Gruppe ist. Genauergesagt existiert eine Verknüpfung auf J , die auf geometrische Weise definiertist, und (beispielsweise) die Menge J(Z) der ganzzahligen Punkte8 auf J ineine abelsche Gruppe verwandelt. Für beliebige Jacobi-Varietäten gibt es das

7 Die Jacobi-Varietät ist nicht immer eine Fläche; ihre Dimension hängt von der Kurve ab.8 Algebraische Geometer verwenden hier die Menge der rationalen Punkte. Das machtkeinen Unterschied, da J eine projektive Varietät ist (das bedeutet, dass die Koordinatenso skaliert werden können, dass man keine Nenner mehr hat).

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Abb. 2. Die durch (2)gegebene Kurve mit einigenihrer ganzzahligen Punkte

0 1 2 3 4 5 6 7

-10

-9

-8

-7

-6

-5

-4

-3

-2

-1

01

2

3

4

5

6

7

8

9

10

folgende wichtige Ergebnis, das in eine ähnliche Richtung geht wie SiegelsTheorem 2, das aber ein Jahr älter ist und in Siegels Beweis verwendet wird(siehe [4, Teil C]):

Theorem 3 (Weil).Wenn J die Jacobi-Varietät einer Kurve ist, dann ist die abelsche GruppeJ(Z) endlich erzeugt.

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Das bedeutet, dass wir (im Prinzip) eine explizite Beschreibung der Grup-pe J(Z) durch Erzeuger und Relationen finden können. Wenn wir eine solcheBeschreibung haben, dann können wir versuchen, die Gruppenstruktur unddie Geometrie in geeigneter Weise ausnutzen, um die Elemente von J(Z), dieim Bild von C liegen, in den Griff zu bekommen; so kann man alle ganzzah-ligen Punkte von C bestimmen.

Es ist nicht bekannt, ob es immer möglich ist, tatsächlich ein explizites Er-zeugendensystem einer Gruppe wie J(Z) algorithmisch zu bestimmen, auchwenn es gewisse „Standard-Vermutungen“ gibt, aus deren Richtigkeit das fol-gen würde. Es gibt aber Methoden, die mit etwas Glück ein Erzeugenden-system finden können; sie funktionieren aber nicht unbedingt in allen Fällen.Das ist der Punkt, an dem die Methode, die hier wir beschreiben, in der An-wendung schiefgehen kann. In unserem Beispiel haben wir aber Glück undkönnen zeigen, dass J(Z) eine freie abelsche Gruppe vom Rang 6 ist:

J(Z) = ZP1 + ZP2 + ZP3 + ZP4 + ZP5 + ZP6 (5)

mit explizit bekannten Punkten P1, . . . , P6 ∈ J(Z).Sei ι : C → J die Einbettung von C in J . Die Fläche J befindet sich

in einem hoch-dimensionalen Raum; ganzzahlige Punkte darauf sind durcheine Anzahl von Koordinaten gegeben. Wir können die „Größe“ eines solchenPunktes bestimmen, indem wir den Logarithmus des größten Absolutbetragesder Koordinaten nehmen (das sagt uns ungefähr, wie viel Platz wir brauchen,um den Punkt niederzuschreiben). Das ergibt eine Funktion

h : J(Z) → R≥0 ,

die die Höhe genannt wird. Man kann zeigen, dass die Höhenfunktion diefolgenden Eigenschaften besitzt. Die erste sagt uns, wie sich die Höhe aufden ganzzahligen Punkten unserer Kurve verhält:

h(ι(x, y)

) ≈ log |x| für Punkte (x, y) ∈ C(Z), falls x nicht sehr klein ist.(6)

Die zweite Eigenschaft besagt, dass die Höhenfunktion sich gut mit derGruppenstruktur auf J verträgt:

h(n1P1+n2P2+n3P3+n4P4+n5P5+n6P6) ≈ n21+n2

2+n23+n2

4+n25+n2

6 . (7)

(Genauer kann jede Seite durch ein explizites konstantes Vielfaches der ande-ren Seite beschränkt werden. Noch genauer ist h bis auf einen beschränktenFehler eine positiv definite quadratische Form auf J(Z).)

Wenn wir jetzt die Aussage (4) mit den Eigenschaften (6) und (7) derHöhe h kombinieren, erhalten wir das folgende Ergebnis:

Lemma 1. Wenn (x, y) ∈ C(Z) ist, dann haben wir

ι(x, y) = n1P1 + n2P2 + n3P3 + n4P4 + n5P5 + n6P6

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mit Koeffizienten nj ∈ Z, die die Ungleichung |nj | < 10300 erfüllen.

Natürlich ist die hier angegebene Schranke 10300 nicht genau; eine genaueSchranke kann angegeben werden und hat die gleiche Größenordnung.

Der springende Punkt ist, dass die Verwendung der Gruppenstruktur von Jes uns erlaubt, die Größe des Suchraumes von ungefähr 1010

600

auf „nur noch“101800 zu verkleinern (es gibt sechs Koeffizienten nj mit ungefähr 10300 mög-lichen Werten für jeden). Das ist natürlich immer noch viel zu groß, um jedeMöglichkeit durchzuprobieren (denk an die Elektronen im Weltall), aber, unddas ist das Entscheidende, die Zahlen, mit denen wir arbeiten müssen, kön-nen problemlos auf einem Computer dargestellt werden, und wir können mitihnen rechnen!

4 Nadeln im Heuhaufen

Wir haben jetzt einen enormen Heuhaufen

H ={(n1, n2, n3, n4, n5, n6) ∈ Z

6 : |nj | < 10300}

aus ungefähr 101800 Grashalmen, der eine kleine Anzahl Nadeln enthält. Wirwollen nun die Nadeln finden. Anstatt jeden Halm im Heuhaufen anzuschau-en, können wir versuchen, das Problem schneller zu lösen, indem wir Bedin-gungen an die Positionen der Nadeln finden, die große Bereiche des Heuhau-fens ausschließen. Hier benutzen wir die Tatsache, dass die Gruppenstrukturauf J geometrisch definiert ist. Unsere Objekte C, J und ι sind über Z defi-niert, also können wir ihre definierenden Gleichungen modulo p betrachten,wobei p eine Primzahl ist. Wir bezeichnen den Körper Z/pZ mit p Elementenals Fp. Die Menge der Punkte mit Koordinaten aus Fp, die diese definieren-den Gleichungen mod p erfüllen, bezeichnen wir mit C(Fp) und J(Fp). Dannist für alle bis auf endlich viele p (und die Ausnahmen können explizit an-gegeben werden) J(Fp) wieder eine abelsche Gruppe, und sie enthält dasBild ι(C(Fp)) von C(Fp). Die Gruppe J(Fp) ist endlich, also ist es die Men-ge C(Fp) auch; beide können berechnet werden. Weiterhin kommutiert dasfolgende Diagramm, und die geometrische Natur der Gruppenstruktur im-pliziert, dass die rechte senkrechte Abbildung ein Gruppenhomomorphismusist:

Die senkrechten Abbildungen erhält man durch Reduzieren der Koordinatenmod p. Die diagonale Abbildung αp ist wieder ein Gruppenhomomorphis-

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mus, der durch das Bild der Erzeuger P1, . . . , P6 von J(Z) festgelegt ist. DasFolgende ist nun klar:

Lemma 2. Seien (x, y) ∈ C(Z) und n1, . . . , n6 ∈ Z mit

ι(x, y) = n1P1 + · · ·+ n6P6 .

Dann istαp(n1, n2, n3, n4, n5, n6) ∈ ιp

(C(Fp)

).

Die Teilmenge Λp = α−1p

(ιp(C(Fp))

) ⊂ Z6 ist (normalerweise, wenn αp sur-jektiv ist) eine Vereinigung von#C(Fp) Nebenklassen einer Untergruppe vomIndex#J(Fp) in Z6. Da man zeigen kann, dass#C(Fp) ≈ p und#J(Fp) ≈ p2

(hier zeigen sich die Dimensionen 1 und 2), sehen wir, dass die Schnittmengeunseres Heuhaufens H mit Λp nur ungefähr 1/p mal so viele Elemente hatwie der ursprüngliche Heuhaufen. Das hilft uns noch nicht sehr viel, aber wirkönnen versuchen, die Einschränkungen vieler Primzahlen zu kombinieren.Wenn S eine (endliche, aber große) Menge von Primzahlen ist, dann setzenwir

ΛS =⋂p∈S

Λp und erhalten ι(C(Z)

) ⊂ ΛS ∩H .

Wenn wir S genügend groß machen (sagen wir, etwa tausend Primzahlen),dann ist es sehr wahrscheinlich, dass die Menge auf der rechten Seite ziemlichklein ist, also können wir leicht die verbleibenden Möglichkeiten überprüfen.Die Idee dabei ist, dass die Reduktionen der Heuhaufengröße, die wir durchverschiedene Primzahlen erreichen, sich multiplizieren sollten, so dass wireine Verkleinerung um einen Faktor erwarten können, der ungefähr so großist wie das Produkt aller Primzahlen in S.

Wir müssen nur die Primzahlen so auswählen, dass die Komplexität derMengen ΛS, die wir auf unseremWeg erhalten, in einem vernünftigen Rahmenbleibt. Eine solche gute Auswahl an Primzahlen kann man tatsächlich miteiniger Anstrengung finden, und die Berechnung von ΛS kann so effizientimplementiert werden, dass ein Standard-PC (von 2008) diese in weniger alseinem Tag ausführen kann. Wir erhalten schlussendlich das Ergebnis, das wirvon Anfang an vermutet hatten:

Theorem 4 (Bugeaud, Mignotte, Siksek, Stoll, Tengely).Seien x, y ganze Zahlen, die die Gleichung(

y

2

)=

(x

5

)

erfüllen. Dann ist x ∈ {0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 15, 19} .Eine detaillierte Beschreibung der Methoden (anhand einer anderen Bei-

spielgleichung: y2 − y = x5 − x) ist in [2] zu finden.

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Literaturverzeichnis

[1] Michael Beck, Eric Pine, Wayne Tarrant und Kim Yarbrough Jensen, New integerrepresentations as the sum of three cubes. Mathematics of Computation 76 259 (2007),1683–1690.

[2] Yann Bugeaud, Maurice Mignotte, Samir Siksek, Michael Stoll und Szabolcs Tengely,Integral points on hyperelliptic curves. Algebra & Number Theory 2 8 (2008), 859–885.

[3] David Hilbert, Mathematische Probleme. Vortrag, gehalten auf dem internationalenMathematiker-Congress zu Paris 1900. Nachrichten von der Königlichen Gesellschaftder Wissenschaften zu Göttingen 1900 (1900), 253–297.

[4] Marc Hindry und Joseph H. Silverman, Diophantine Geometry. An Introduction. Gra-duate Texts in Mathematics 201, Springer-Verlag, New York, 2000.

[5] Yuri V. Matiyasevich, Hilbert’s Tenth Problem. MIT Press, Cambridge/MA, 1993.[6] Roel J. Stroeker und Benjamin M. M. de Weger, Elliptic binomial Diophantine equa-

tions. Mathematics of Computation 68 (1999), 1257–1281.