Eine neue Ära der Astrophysik - NewSunTech · 2021. 2. 15. · 24 April 2016 Sterne und Weltraum...

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24 April 2016 STERNE UND WELTRAUM Eine neue Ära der Astrophysik Das Zeitalter der Gravitationswellen-Astronomie hat begonnen Der 14. September 2015 wird in die Geschichte eingehen. An jenem Tag gelang der erste direkte Nachweis von Gravitationswellen – 100 Jahre, nachdem Albert Einstein sie vorhergesagt hatte. Damit öffnet sich ein völlig neues Fenster zur Beobachtung des Universums. Insbesondere enge Doppelsysteme aus Neutronensternen und Schwarzen Löchern werden im Fokus dieser neuen Forschungsrichtung stehen. Von Uwe Reichert IN KüRZE ó  Mit dem ersten direkten Nach- weis von Gravitationswellen am 14. September 2015 gelang den beiden Advanced-LIGO-Detekto- ren eine historische Entdeckung. ó  Zugleich wurde damit bestätigt, dass es im Universum enge Doppelsysteme aus Schwarzen Löchern stellarer Masse gibt, die zu einem einzigen Schwarzen Loch verschmelzen können. ó  Sowohl die Gravitationswellen als auch die Schwarzen Löcher verhalten sich exakt so, wie es 100 Jahre zuvor Albert Einstein und Karl Schwarzschild anhand von Lösungen der allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt hatten. M arco Drago war der Erste, der das Signal sah. Der ita- lienische Postdoktorand saß am 14. September 2015 an seinem Arbeitsplatz am Max-Planck- Institut für Gravitationsphysik (Albert- Einstein-Institut) in Hannover. Hier über- wachte er Datenströme, die von LIGO, dem Laser Interferometer Gravitational Wave Observatory in den USA, eintrafen und nun hier in Hannover von einem Super- rechner ausgewertet wurden. Dieser Com- putercluster namens ATLAS ist weltweit der leistungsfähigste Großrechner, der für die Analyse von Gravitationswellendaten eingesetzt wird. Drago telefonierte gerade mit einem Kollegen aus Italien, als er von dem auto- matischen Auswertesystem eine Alarm- meldung erhielt. Die Rechner hatten aus den Rohdaten ein »Ereignis« herausge- fischt. Das bedeutete: Die beiden LIGO-De- tektoren in den USA hatten zeitgleich ein Signal registriert, bei dem es sich um den lange ersehnten Nachweis einer Gravita- tionswelle handeln könnte. Wie derartige Signaturen aussehen soll- ten, wusste Drago genau. In seiner Doktor- arbeit an der Universität Padua hatte er einen Algorithmus entwickelt, mit dem sich die Rohdaten von Gravitationswel- lendetektoren wie LIGO rasch auf solche Muster hin analysieren lassen. Als er nun auf den Monitor seines Computers blickte, zeigte dieser ihm ein Signal wie aus dem Lehrbuch: Nicht verrauscht, wie zu erwar- ten wäre, sondern klar und deutlich stach es aus den Messdaten heraus. WELT DER WISSENSCHAFT: GRAVITATIONSWELLEN

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24 April 2016 Sterne und Weltraum

EineneueÄraderAstrophysikDasZeitalterderGravitationswellen-Astronomiehatbegonnen

Der 14. September 2015 wird in die Geschichte eingehen. An jenem Tag gelang der

erste direkte Nachweis von Gravitationswellen – 100 Jahre, nachdem Albert Einstein

sie vorhergesagt hatte. Damit öffnet sich ein völlig neues Fenster zur Beobachtung des

Universums. Insbesondere enge Doppelsysteme aus Neutronensternen und Schwarzen

Löchern werden im Fokus dieser neuen Forschungsrichtung stehen.

VonUweReichert

InKüRZEó  Mit dem ersten direkten Nach-

weis von Gravitationswellen am 14. September 2015 gelang den beiden Advanced-LIGO-Detekto-ren eine historische Entdeckung.

ó  Zugleich wurde damit bestätigt, dass es im Universum enge Doppelsysteme aus Schwarzen Löchern stellarer Masse gibt, die zu einem einzigen Schwarzen Loch verschmelzen können.

ó  Sowohl die Gravitationswellen als auch die Schwarzen Löcher verhalten sich exakt so, wie es 100 Jahre zuvor Albert Einstein und Karl Schwarzschild anhand von Lösungen der allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt hatten.

Marco Drago war der Erste,

der das Signal sah. Der ita-

lienische Postdoktorand

saß am 14. September 2015

an seinem Arbeitsplatz am Max-Planck-

Institut für Gravitationsphysik (Albert-

Einstein-Institut) in Hannover. Hier über-

wachte er Datenströme, die von LIGO, dem

Laser Interferometer Gravitational Wave

Observatory in den USA, eintrafen und

nun hier in Hannover von einem Super-

rechner ausgewertet wurden. Dieser Com-

putercluster namens ATLAS ist weltweit

der leistungsfähigste Großrechner, der für

die Analyse von Gravitationswellendaten

eingesetzt wird.

Drago telefonierte gerade mit einem

Kollegen aus Italien, als er von dem auto-

matischen Auswertesystem eine Alarm-

meldung erhielt. Die Rechner hatten aus

den Rohdaten ein »Ereignis« herausge-

fischt. Das bedeutete: Die beiden LIGO-De-

tektoren in den USA hatten zeitgleich ein

Signal registriert, bei dem es sich um den

lange ersehnten Nachweis einer Gravita-

tionswelle handeln könnte.

Wie derartige Signaturen aussehen soll-

ten, wusste Drago genau. In seiner Doktor-

arbeit an der Universität Padua hatte er

einen Algorithmus entwickelt, mit dem

sich die Rohdaten von Gravitationswel-

lendetektoren wie LIGO rasch auf solche

Muster hin analysieren lassen. Als er nun

auf den Monitor seines Computers blickte,

zeigte dieser ihm ein Signal wie aus dem

Lehrbuch: Nicht verrauscht, wie zu erwar-

ten wäre, sondern klar und deutlich stach

es aus den Messdaten heraus.

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Aufgefangen hatten die LIGO-Detekto-

ren das Signal wenige Minuten zuvor, um

11:50:45 Uhr mitteleuropäischer Sommer-

zeit. In Livingston, Louisiana, wo der eine

Detektor steht, war es nun 5 Uhr in der

Frühe. In dem 3000 Kilometer weiter nord-

westlich gelegenen Hanford, Washington,

dem Standort des zweiten Detektors, zeig-

ten die Uhren sogar erst 3 Uhr morgens.

Sollte dort zu nachtschlafender Zeit jemand

ein künstliches Signal eingespeist haben?

An sich wäre das nichts Ungewöhn-

liches, denn solche Testsignale dienen

dazu, das Betriebs- und Auswerteperso-

nal zu trainieren und alle Abläufe von der

Detektion über die Datenanalyse bis zur

Fertigstellung einer wissenschaftlichen

Veröffentlichung unter realistischen Be-

dingungen durchzuspielen. Nur wenige

Personen, die zur Geheimhaltung ver-

pflichtet sind, wissen im Vorfeld von sol-

chen Testsignalen. Andererseits liefen die

LIGO-Detektoren noch im Experimental-

betrieb. Während einer rund fünfjährigen

Umbauphase waren komplett neue tech-

nische Systeme eingebaut worden, um die

Empfindlichkeit der Anlagen zu steigern.

Die nötigen Kalibrierungsarbeiten waren

erst am 12. September abgeschlossen wor-

den, und die offizielle Einweihung der nun

Advanced LIGO genannten Detektoren

sollte erst in vier Tagen, am 18. Septem-

ber, erfolgen. Es gab also zum fraglichen

Zeitpunkt keinen Grund, Test signale ein-

zuspielen – und auch noch gar nicht die

technische Möglichkeit dafür.

Drago zog seinen Kollegen Andrew

Lundgren hinzu, der ebenfalls als Post-

tanzderdunklenGiganten:ZweischwarzelöcherumkreiseneinanderingeringemAbstand.IhrejeweiligenGravitationsfeldersindsostark,dasssiedasGefügederRaumzeitextremverzerren.DadurcherscheintdasvonentferntensternenundGalaxienkommendelichtinihrerUmgebungstarkabgelenkt.Diecomputersimu-lationberuhtaufdenDatenderlIGo-Detektorenundzeigtzweischwarzelöchermitder29-undder36-fachensonnenmassewenigehundertstelsekundenvorihrerVerschmelzung.

Animation der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher: http://bit.ly/1QKCf5R

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doktorand am Albert-Einstein-Institut

forscht. »Zu schön, um wahr zu sein!«, war

auch seine erste Reaktion. Um zu klären,

ob das Signal künstlichen Ursprungs oder

die Folge einer wie auch immer gearteten

Betriebsstörung oder einer Rauschquel-

le sein konnte, riefen die beiden jungen

Wissenschaftler in den USA an. In Hanford

meldete sich zu dieser Zeit niemand. In Li-

vingston erreichten sie den diensthaben-

den Operator, William Parker. Von irgend-

welchen Auffälligkeiten im Betriebsablauf

war ihm nichts bekannt.

Die Aufregung der beiden Postdokto-

randen in Hannover wuchs. Die von den

Rechnern herausgefischte Signatur äh-

nelte genau derjenigen, die man von der

Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher

erwartete, die sich gewissermaßen in ei-

nem Todeskuss vereinigen und dabei das

Raumzeit-Gefüge erzittern lassen. Wellen-

form, Frequenzverlauf, Zeitdauer – alles

passte. War tatsächlich ein Gravitations-

wellensignal ins Netz gegangen?

DasEreignisGW150914elektrisiertdieforscherUm sicherzustellen, dass sie nicht einer

Fehlinterpretation aufsaßen, fragte Dra-

go per Rundmail bei allen Mitgliedern

der LIGO Scientific Collaboration nach, ob

jemand etwas von der Einspeisung eines

künstlichen Signals wüsste. Niemand be-

jahte. Aber nun wussten alle, dass etwas

registriert worden war, das offenbar nicht

auf ein absichtlich eingebrachtes Signal

zurückzuführen war. Die Aufmerksamkeit

war geweckt.

Der LIGO Scientific Collaboration ge-

hören weltweit rund 1000 Wissenschaft-

ler an. Sie sitzen nicht nur am California

Institute of Technology (Caltech) in Pasa-

dena und am Massachusetts Institute of

Technology (MIT) in Cambridge, die für

den Betrieb der beiden LIGO-Detektoren

zuständig sind, sondern an mehr als 90

Forschungseinrichtungen in den USA und

14 weiteren Ländern. Mit zum Forschungs-

verbund gehört der deutsch-britische

Gravitationswellendetektor GEO600 in

der Nähe von Hannover. Dieser wird vom

Albert-Einstein-Institut der Max-Planck-

Gesellschaft (mit Sitz in Hannover und

Potsdam-Golm), der Leibniz Universität

Hannover und englischen Partneruniver-

sitäten betrieben. Eine enge Zusammen-

arbeit gibt es mit der Virgo Collaboration,

die den französisch-italienischen Detektor

Virgo in der Nähe von Pisa betreibt. Virgo

wird gegenwärtig – wie bereits zuvor LIGO

in den USA – mit empfindlicherer Technik

umgerüstet; die Inbetriebnahme ist für

Ende 2016 vorgesehen.

Naturgemäß dauerte es nur wenige

Stunden, bis die Nachricht von einem

Ereignis jeden innerhalb dieser großen

Gruppe erreicht hatte. GW150914 laute-

te die Bezeichnung im Laborjargon – GW

steht für gravitational wave, also Gravita-

tionswelle, während die Ziffernfolge das

Datum angibt (Jahr, Monat, Tag). Doch die

Bedeutung, die diesem nüchternen Kürzel

für die Gravitationswellenforschung zu-

kommt, erschloss sich den Wissenschaft-

lern erst nach und nach. Schließlich trug

GW150914 trotz der verräterischen Signa-

tur nicht den Aufdruck »Ich bin ein Gra-

vitationswellensignal«, sondern es galt

nun, in bewährter wissenschaftlicher Me-

thodik zunächst alle Fehlerquellen auszu-

schließen. Bahnbrechende Entdeckungen

kommen selten in Form eines spontanen

Durchbruchs, sondern schleichen sich oft

in einem langsamen, arbeitsintensiven Er-

kenntnisprozess ins Bewusstsein ein.

In der Zwischenzeit hatten Drago und

Lundgren in Hannover von dem kleinen

Team, das für die verdeckte Einspeisung

von Testsignalen verantwortlich war, die

Bestätigung erhalten, dass nichts Derarti-

ges geschehen sei. In der nächsten Status-

Telekonferenz teilte Lundgren das seinen

Kollegen jenseits des Atlantiks mit. Einer

der Teilnehmer erinnert sich, wie Alan

Weinstein, der die LIGO-Datenanalyse-

Gruppe am Caltech leitet, noch einmal

ganz langsam rückfragte, um sich zu ver-

gewissern: »Andy, du willst damit sagen,

dass es keine verdeckte Einspeisung gege-

ben hat?« Als Lundgren bestätigte, wurde

den Gesprächsteilnehmern bewusst, dass

die Forschungsgruppe wissenschaftliches

Neuland betreten hatte.

In der Folge mussten die LIGO-Wis-

senschaftler ihre Pläne modifizieren.

Anstatt im experimentellen Betrieb der

Detektoren weitere Veränderungen und

Anpassungen vorzunehmen, galt es nun,

die bestehende Konfiguration besser zu

verstehen und insbesondere das Rausch-

verhalten detaillierter zu untersuchen.

Dies erforderte einige Tage. Parallel dazu

lief die Auswertung des Signals GW150914

weiter. Und die Forscher standen vor dem

Problem, einerseits Kollegen aus der beob-

achtenden Astronomie um Nachbeobach-

tungen in möglichst vielen verschiedenen

Bereichen des elektromagnetischen Spek-

trums zu bitten, andererseits aber ein un-

kontrolliertes Brodeln der Gerüchteküche

zu verhindern. Nichts konnten die Wissen-

schaftler jetzt weniger gebrauchen als von

außen ausgeübten Druck, doch endlich

die Entdeckung eines Gravitationswellen-

signals bekannt zu geben. Schließlich gab

es gerade in der jüngsten Vergangenheit

mehrere Beispiele, wo Wissenschaftler

viel zu früh, ohne ausreichende Prüfung

und Begutachtung ihrer Ergebnisse, mit

vermeintlich bahnbrechenden Entde-

ckungen über Pressekonferenzen an die

Öffentlichkeit gegangen waren. Eine sol-

Gravitationswellen:100JahrevonderVorhersagebiszurEntdeckung

1958 Erste Versuche von Joseph Weber an der University of Maryland, Gravitationswellen mittels Resonanzdetektoren nachzuweisen

1915 Albert Einstein präsentiert seine allgemeine Relativitätstheorie

1916 Aus seiner Theorie leitet Albert Einstein die Existenz von Gravitationswellen ab. Karl Schwarzschild be-schreibt Größe und Verhal-ten eines Schwarzen Lochs

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Gravitationswellen sind eine wichtige Vorhersage von Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie. Dieser Theorie

zufolge wird die Gravitation vermittelt durch Verformungen der vierdimensionalen Raumzeit. Griffig ausgedrückt: Unter dem Einfluss von Massen (oder Energie) wird die Raumzeit verzerrt; diese Krümmung gibt wiederum materiellen Körpern und Licht-strahlen vor, wie sie sich in Raum und Zeit zu bewegen haben.

Die Verformbarkeit der Raumzeit ermöglicht die Ausbreitung von Wellen. Immer dann, wenn Massen beschleunigt werden, verursachen sie Kräuselungen der Raumzeit, die sich mit Licht-geschwindigkeit ausbreiten. Einstein selbst folgerte die Existenz solcher Gravitationswellen aus einer mathematischen Lösung der Feldgleichungen seiner Relativitätstheorie. Damit gelangte er zu einer völlig neuen Vorstellung von der Schwerkraft, denn nach der bis dahin anerkannten Gravitationstheorie von Isaac Newton würde sich die Wirkung der Gravitation ohne Zeitver-lust im gesamten Universum bemerkbar machen.

Es besteht eine gewisse Analogie zwischen Gravitationswel-len und elektromagnetischen Wellen (wie zum Beispiel Licht oder Radiostrahlung). Beschleunigte elektrische Ladungen senden elektromagnetische Strahlung aus. Das ist uns von der Rundfunktechnik her vertraut: Oszillierende Elektronen in einer Antenne strahlen die zu übertragende Information als Radio-wellen ab. Auf ähnliche Weise emittieren beschleunigte Massen Gravitationsstrahlung. Und beide Wellenarten breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit aus, und zwar als Transversalwellen: Die Ausbreitung erfolgt senkrecht zur Schwingungs- beziehungs-weise Verzerrungsrichtung. Ansonsten gibt es grundsätzliche Unterschiede zwischen Gravitations- und elektromagnetischen Wellen, da sie auf verschiedenen fundamentalen Wechselwir-kungen beruhen. Da die Schwerkraft um viele Größenordnun-gen schwächer ist als die elektromagnetische Kraft, sind Gravita-tionswellen erheblich schwieriger nachzuweisen als Lichtwellen.

Gravitationswellen–KräuselungenderRaumzeitAber anhand der Analogien können wir ein Verständnis für die Ausbreitung von Gravitationswellen entwickeln.

Betrachten wir ein einfaches geometrisches Modell, und zwar einen Querschnitt durch eine Gravitationswelle, senk-recht zu ihrer Ausbreitungsrichtung: Stellen wir uns zunächst einen Kreis vor, auf dem eine beliebige Anzahl von punktförmi-gen Testmassen liegt; diese Testmassen sollen frei beweglich im Raum schweben und durch keinerlei Kräfte miteinander verbunden sein (siehe Grafik a). Eine Gravitationswelle, die nun senkrecht durch die Papierebene läuft, verformt diesen Kreis zu einer Ellipse: In einer Richtung wird der Kreis gedehnt, in der Richtung senkrecht dazu gestaucht (siehe Grafik b). Beim weite-ren Durchgang der Welle biegt sich die Ellipse wieder zurück zu einem Kreis, und in der nächsten Halbschwingung wird der Kreis in die andere Richtung gedehnt beziehungsweise gestaucht (siehe Grafik c). Nach einer vollständigen Schwingungsperiode haben sich alle Teilchen erneut in eine Kreisform begeben.

Für einen äußeren Beobachter (wie wir als Leser, die den Kreis auf der Papierebene betrachten) sieht es so aus, als würde sich der Abstand der Teilchen, die auf dem Kreis liegen, rhythmisch ändern. Dies ist unmittelbarer Ausdruck der Veränderung der lokalen Geometrie durch die Gravitationswelle.

Stellen wir uns nun viele hintereinanderliegende Kreise vor, so erhalten wir einen Schlauch, dessen Oberfläche wellenförmig zusammen- und auseinandergezogen wird (siehe Grafik d). Eine Animation dieser Wellenbewegung, die Markus Pössel vom Haus der Astronomie in Heidelberg erstellt hat, ist über den beistehenden QR-Code per Smartphone oder Tabletcomputer abrufbar.

Visualisierung einer ebenen Gravitationswelle konstanter Frequenz: http://bit.ly/1OOuTgn

1979 Indirekter Nachweis von Gravita-tions wellen: Hulse und Taylor zeigen, dass das Doppelsternsystem mit dem Pulsar PSR 1913+16 durch Abstrahlung von Gravitationswellen Energie verliert

1974 Russell Hulse und Joseph Taylor entdecken den ersten Pulsar in einem Doppelsystem: PSR 1913+16 umkreist einen Neutronenstern auf enger Bahn in 7,75 Stunden

1975 Das Max-Planck-Institut für Astrophysik in München beginnt als erste Gruppe weltweit mit Forschungen zur Gravita tionswellen-Detektion mit Interferometern

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Stets dann, wenn Massen beschleunigt werden, erzeugen sie Gravitationswellen. Theoretisch lösen wir bereits mit

jeder Handbewegung solche Schwingungen der Raumzeit aus. Auch wenn wir eine Metallkugel auf und ab bewegen oder sie wie beim Hammerwerfen im Kreis herumschleudern, sollte die Raumzeit erzittern (siehe Bild links).

Allerdings sind die Gravitationswellen, die wir mit einem Hammerwurf erzeugen, vernachlässigbar klein. Die im Kasten »Gravitationswellen – Kräuselungen der Raumzeit« gezeigten Grafiken illustrieren zwar die Wellenbewegung, aber sie stellen die Amplitude stark übertrieben dar. In Wahrheit ist die Raum-zeit nämlich äußerst steif und deswegen kaum verformbar.

Dies mag ein Vergleich mit gewöhnlichen Stoffen verdeutli-chen: Elastisches Gummi zum Beispiel hat einen Elastizitätsmo-dul um 0,05 Giga pascal. Demgegenüber beträgt dieser Material-kennwert für Stähle rund 200 Giga pascal. Stahl ist somit etwa 4000 Mal steifer als Gummi. Die Raumzeit ist jedoch nochmals um 22 Größenordnungen steifer – ihr lässt sich ein Elastizitäts-modul von rund 1024 Gigapascal zuschreiben.

Deshalb haben nur die energiereichsten Quellen im Univer-sum eine Chance, messbare Wellen in der Raumzeit auszulösen. Selbst der Umlauf von großen Planeten um ihr Zentralgestirn reicht für detektierbare Gravitationswellen nicht aus (siehe Bild Mitte). Gute Kandidaten sind hingegen Supernova-Explosionen, Doppelsysteme aus Neutronensternen oder Schwarzen Löchern, die sich auf engen Bahnen umkreisen, sowie Verschmelzungen solch kompakter und massereicher Himmelskörper (siehe Bild rechts).

Doch auch die von solchen Quellen verursachten Erschütte-rungen der Raumzeit sind äußerst winzig. Wenn zum Beispiel in unserem Milchstraßensystem zwei Neutronensterne verschmel-zen – was nur alle paar Millionen Jahre geschehen dürfte –, dann sind die durch die Gravitationswellen erzeugten relativen Längenänderungen am Ort der Erde nur in der Größenordnung von 10–20. Der Abstand Erde – Sonne, der rund 150 Millionen Ki-lometer beträgt, würde sich dann nur um etwa den Durchmes-ser eines Atoms verändern. Dies stellt extreme Anforderungen an die Empfindlichkeit eines Gravitationswellendetektors.

GuteKandidatensindDoppelsystemeauskompaktenneutronensternen,diesichinnerhalbwenigerstundenumrun-den.DerDoppelpulsarPsRJ0737-3039beispielsweisestrahltrund1047WattinformvonGravitationswellenab–dasistfastsoviel,wieallesterneimUniver-sumimsichtbarenlichtaussenden.

EinPlanetineinerUmlaufbahnstrahltbereitsstärkereGravitationswellenab.DieErdewandeltabernur200WattausihrerBahnbewegunginGravitationswellenum,derRiesenplanetJupiterimmerhin5300Watt.AuchdiesistfüreinemessbareErschütterungderRaumzeitumvieleGrö-ßenordnungenzuklein.

Einhammerwerferdürftebeimschwungholenwohlkaumdaranden-ken,dassermitderkreisendenMetall-kugelGravitationswellenimGefügederRaumzeitauslöst.DerEffektistfreilichumvieleGrößenordnungenzuklein,alsdassergemessenwerdenkönnte–egalwiestarksichderAthletanstrengt.

QuellenvonGravitationswellen

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1983 Das Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching baut einen interferometrischen Gravitationswellendetektor mit 30 Meter Armlänge

1984 Das Caltech und das MIT in den USA vereinbaren den Bau des interferometrischen Gravitationswellendetektors LIGO

1989 Deutsche und britische Forschergruppen beschließen den gemeinsamen Bau eines interferometrischen Gravi ta-tions wellen detektors

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che Peinlichkeit wollte und musste man

unbedingt vermeiden.

Advanced LIGO beendete schließlich

die erste wissenschaftliche Datenaufnah-

me nach vier Monaten, am 12. Januar 2016.

In dieser Zeit war die Empfindlichkeit der

Detektoren drei bis vier Mal so hoch wie

vor dem Umbau, und die Forscher lernten,

die Eigenheiten und das Verhalten der An-

lagen besser zu verstehen. Am 21. Januar

reichten die LIGO Scientific Collaboration

und die Virgo Collaboration, die das Sig-

nal gemeinsam ausgewertet hatten, eine

Fachpublikation bei dem renommierten

Journal »Physical Review Letters« ein.

Nach Durchlaufen des Gutachterprozesses

erschien der Aufsatz am 11. Februar.

Für diesen Tag wurden zeitgleich meh-

rere Pressekonferenzen in verschiedenen

Ländern anberaumt, um die Medien und

die Öffentlichkeit zu informieren. Als

David Reitze, der Leiter des LIGO-Experi-

ments, an jenem 11. Februar 2016 vor die

Kameras trat, machte er keine langen Um-

schweife: »We have detected gravitational

waves – we did it!«, verkündete er stolz.

Aber was genau hatten die LIGO-Detek-

toren registriert? Und welche Informatio-

nen konnten die Wissenschaftler aus dem

Signal GW150914 herauslesen? Um diese

Fragen zu beantworten, schauen wir uns

zunächst die Messtechnik näher an.

ModernsteDetektortechnologieGravitationswellen sind winzige Erschüt-

terungen der Raumzeit (siehe Kasten

»Gravitationswellen – Kräuselungen der

Raumzeit«, S. 27). Um sie zu messen, be-

dienen sich Forscher des Prinzips eines

Interferometers, wie es bereits Ende des

19. Jahrhunderts von Albert Michelson

und Kollegen entwickelt wurde (siehe

Kasten »Prinzip eines Laserinterferome-

ters«, S. 30). Das LIGO-Experiment in den

USA besteht aus zwei identischen Inter-

ferometern, die allerdings im Detail weit

komplizierter aufgebaut sind als die ur-

sprüngliche Version von Michelson. In

beiden Anlagen wird Laserlicht durch zwei

jeweils vier Kilometer lange, L-förmig

angeordnete Vakuumröhren geschickt.

Aufgabe des Laserstrahls ist es, die Posi-

tion von Spiegeln an den Röhrenenden

hochpräzise zu vermessen. Dies geschieht

durch interferometrische Überlagerung

der beiden Teilstrahlen, welche die beiden

Interferometerarme mehrfach durchque-

ren. Im Normalbetrieb wird die Anlage

so eingestellt, dass sich die überlagerten

Teilstrahlen am Ort des Empfängers, einer

Fotodiode, auslöschen.

Durchläuft nun eine Gravitationswelle

den Detektor, verzerrt dies nach Einsteins

DasGravitationswellensignalGW150914trafzuerstimDetektorl1inlivingstoneinund6,9MillisekundenspäterimDetektorh1inhanford.Währenddersignaldauervon0,2sekundenstiegdiefrequenzvon35auf250hertz,unddiespitzenamplitudeerreichte10–21.WiedieüberlagerungderbeidenMessungenzeigt,sindWellenformundfrequenzverlaufidentisch.GenaueinsolchessignalsagenrelativistischeModellevorher,welchedieVerschmelzungvonzweischwarzenlöchernbeschreiben(mittlereZeile).DieParametereinessolchensystemslassensichausdergemessenenWellen-formermitteln.

Calte

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Hanford, Washington (H1)

Zeit in Sekunden Zeit in Sekunden

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H1 beobachtet

rekonstruiert (Wavelet-Funktion)rekonstruiert (astrophysikalisches Modell)

rekonstruiert (Wavelet-Funktion)rekonstruiert (astrophysikalisches Modell)

L1 beobachtetH1 beobachtet (korrigiert)

Livingston, Louisiana (L1)

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0,400,350,30

Freq

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Rela

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ng (1

0-21 )

relativistisches Wellenformmodell relativistisches Wellenformmodell

1994 Baubeginn für die beiden Gravitationswellendetektoren LIGO in Hanford, Washington, und Livingston, Louisiana

1995 Baubeginn für den deutsch-britischen Gravitationswellen-detektor GEO600 in Ruthe bei Hannover

1997 Gründung der LIGO Scientific Collaboration, der LIGO und GEO600 angehören

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30 April 2016 Sterne und Weltraum

Grundlage eines Gravitationswellendetektors ist ein Interferometer. Darin wird ein Laserstrahl

zunächst an einem Strahlteiler in zwei senkrecht zueinander stehende Lichtwege aufgeteilt. Die Teilstrahlen laufen die beiden Interferometerarme zu den Spiegeln S 1 und S2 entlang (siehe Grafik). Von dort werden sie zurück zum Strahlteiler reflektiert, wo sie sich überlagern und dann als Signalstrahl auf eine Foto diode treffen. Die Helligkeit des Signal-strahls hängt davon ab, in welcher relativen Phase die Teilstrahlen interferieren. Die Anlage wird so ein-gestellt, dass die beiden Strahlen in Ruhe genau um eine halbe Wellenlänge versetzt aufeinandertreffen und sich auslöschen (destruktive Interferenz).

Alle optischen Elemente sind über spezielle Aufhängungen von der Umgebung entkoppelt; auf sie wirken also keine Kräfte. Wenn nun eine Gravi ta-tions welle die Anlage durchläuft, ändert sie nicht die Lage der Testmassen, sondern deren Eigenabstand. (Die Spiegel verhalten sich wie die Testmassen im Kasten »Gravitationswellen – Kräuselungen der Raumzeit«.) Da die Lichtgeschwindigkeit konstant ist, benötigt das Licht nun zum Durchlaufen des ei-nen Arms mehr Zeit als für den anderen. Dadurch lö-schen sich die überlagerten Teilstrahlen nicht mehr vollständig aus, und die Fotodiode misst ein Signal. Mit hinreichend frequenzstabilem Laserlicht lassen sich auf diese Weise Verschiebungen von winzigen Bruchteilen einer Lichtwellenlänge bestimmen.

Die Messempfindlichkeit eines solchen Detek-tors steigt mit der Länge der Interferometerarme. Im Fall der beiden Advanced-LIGO-Detektoren sind sie jeweils vier Kilometer lang. Mit verschiedenen Modifikationen des ursprünglichen Interferometer-prinzips ließ sich die Empfindlichkeit weiter steigern. So wurden zusätzliche Spiegel eingebracht, die mit den Spiegeln S 1 beziehungsweise S2 einen Reso-nator bilden, in dem die Laserstrahlen vielfach hin und her laufen. Damit erhöht sich die verfügbare Lichtleistung (Power-Recycling), und das Rauschen im Signalstrahl wird reduziert (Signal-Recycling).

Spiegelaufhängung

Laser

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2001 Das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam übernimmt in Hannover die Aktivitäten des MPI für Quantenoptik

2002 Erster Koinzidenz-Testlauf von LIGO und GEO600

2007 Inbetriebnahme des französisch-italienischen Gravitationswellendetek-tors Virgo in Italien

LIGO Hanford, Washington

LIGO Livingston, Louisiana

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allgemeiner Relativitätstheorie die Raum-

zeit, wodurch einer der beiden Teilstrahlen

einen etwas kürzeren Weg zu durchlaufen

hat, der andere einen etwas längeren. In

anderen Worten: Die Längen der beiden

Interferometerarme sind nun nicht mehr

gleich, sondern verändern sich relativ zu-

einander. Die Laserstrahlen löschen sich

nun nicht mehr vollständig aus, so dass

die Fotodiode ein Lichtsignal registriert.

Der Betrag dieser relativen Längenän-

derung ist mit einer erwarteten Größen-

ordnung von weniger als 10 –20 äußerst

winzig. Um zumindest die energiereichs-

ten Prozesse im Universum nachweisen zu

können, die Gravitationswellen auslösen,

musste die Messempfindlichkeit der De-

tektoren durch ausgeklügelte Techniken

auf ein kaum vorstellbares Maß gesteigert

werden. Advanced LIGO kann noch erken-

nen, wenn sich die Länge eines der vier

Kilometer langen Interferometerarme um

0,000 000 000 000 000 000 1 Meter ändert,

also um 10 –19 Meter. Dieser Wert ist weit

kleiner als der Durchmesser eines Atoms,

ja sogar noch vier Größenordnungen klei-

ner als der Durchmesser eines Protons.

Es liegt auf der Hand, dass bei solch

winzigen Längenänderungen die Zahl

der natürlichen und künstlichen Rausch-

quellen, die ein Gravitationswellensignal

überdecken können, sehr groß ist. Ein Erd-

beben auf der anderen Seite der Erdkugel,

die Brandung der Wellen an der Atlantik-

küste, das Vorbeifahren eines Zuges oder

eines Autos in der Nähe der Anlage – sol-

che mikroseismischen Erschütterungen

sind in der Regel größer als das nachzu-

weisende Signal. Deshalb wurden in den

vergangenen Jahren Verfahren entwickelt,

mit denen sich die Messstrecken der Gra-

vitationswellendetektoren mechanisch

von ihrer Umgebung entkoppeln lassen.

Aber nicht nur seismische Schwingungen

beeinflussen die exakten Spiegel posi tio-

nen – auch thermisches Rauschen oder

der Strahlungsdruck der Laserstrahlen

sind Störfaktoren, die kompensiert wer-

den müssen.

Eine weitere Kategorie von Rauschquel-

len ist mit der Sensorik verknüpft. Dazu

gehören zum Beispiel das Schrotrauschen

der Fotodiode, das auf die Bewegung der

einzelnen Ladungsträger zurückzuführen

DieQuelle,diedassignalGW150914erzeugte,lässtsichamsüdlichensternhim-melverorten.DiefarbigenKurvenrepräsen-tierenunterschiedlicheWahrscheinlichkei-ten(inschrittenvonzehnProzentpunkten),mitdenendiePositioneingegrenztwerdenkann.MiteinerWahrscheinlichkeitvonzehnProzentkamdassignalausderdurchdieinnerstegelbeKurveumschlossenenRe-gion.DieäußereKurve(lila)markierteine600QuadratgradgroßeRegion,ausderdassignalmiteinerWahrscheinlichkeitvon90Prozentstammt.IndiesemArealgibtesrund100000Galaxien,dieindemvonAdvancedlIGozugänglichenEntfernungs-bereichliegen.DieGroßeMagellanscheWolkescheidetalsQuelleaus,weilsieunsmiteinemAbstandvon170000lichtjahrenvielzunaheliegt.DassignalerreichtedieErdeauseinerEntfernungvon1,3Milliar-denlichtjahren.

Calte

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Lab

Große Magellansche Wolke

Kleine Magellansche Wolke

2010 Der Umbau von LIGO zu Advanced LIGO beginnt

2011 Gemeinsame Messkampagne von GEO600 und Virgo. Im Anschluss beginnt der Umbau von Virgo zu Advanced Virgo

14.9.2015 Erster direkter Nachweis von Gravitationswellen mit Advanced LIGO

Page 9: Eine neue Ära der Astrophysik - NewSunTech · 2021. 2. 15. · 24 April 2016 Sterne und Weltraum Eine neue Ära der Astrophysik Das Zeitalter der Gravitationswellen-Astronomie hat

32 April 2016 Sterne und Weltraum

ist, die Instabilitäten des Laserstrahls und

das unvermeidliche Rauschen in der Aus-

lese elek tro nik.

Mit großem Ideenreichtum haben die

Wissenschaftler und Ingenieure in den

vergangenen Jahren die Messempfind-

lichkeit der interferometrischen Gravita-

tionswellendetektoren verbessert und die

Einflüsse von Rauschquellen vermindert.

Die deutsch-britische Anlage GEO600 bei

Hannover fungierte hierbei als Vorreiter

und Prüfstand. Wesentliche Neuerungen

wurden unter Leitung des Albert-Einstein-

Instituts, der Leibniz Universität Hanno-

ver und des Laser Zentrum Hannover e.V.

entwickelt. Hierzu zählen unter anderem

spezielle Spiegelaufhängungen und fre-

quenzstabilisierte Hochleistungslaser.

RascherlohnnachUmbauIm Zuge der internationalen Koopera tion

wurden solche Neuerungen während des

fünfjährigen Umbaus zu Advanced LIGO

in den US-amerikanischen Detektoren

eingebaut. Nach Abschluss dieser Arbeiten

im September 2015 stehen nun erstmals

die präzisen Technologien zur Verfügung,

die man für den Nachweis der schwachen

Gravitationswellen braucht.

Den Lohn für die aufwändigen Um-

bauarbeiten fuhr die LIGO Scientific Col-

laboration unerwartet schnell ein. Am

14. September 2015, um 09:50:45 Uhr

Weltzeit, registrierten die Detektoren H1

in Hanford und L1 in Livingston das nun

GW150914 genannte Signal (siehe Bild

S. 29). Dieser zeitgleiche Nachweis in ver-

schiedenen Detektoren – in der Fachspra-

che Koinzidenz genannt – ist ein wichtiger

Beleg für ein reales Ereignis. Hätte nur

einer der Detektoren das Signal empfan-

gen, wäre es mit hoher Wahrscheinlich-

keit auf eine Störquelle zurückzuführen

gewesen und deshalb von den Auswerte-

programmen gleich aussortiert worden.

Koinzidenz bedeutet hierbei, dass sich die

Ankunftszeiten der Signale in den beiden

Detektoren um nicht mehr als zehn Mil-

lisekunden unterscheiden dürfen. Dieser

Wert entspricht der Lichtlaufzeit zwischen

den beiden 3000 Kilometer entfernten De-

tektoren. Ein weiterer Beleg für ein reales

Ereignis ist die hohe statistische Signi-

fikanz des Signals: Die Wahrscheinlich-

keit, dass GW150914 durch Fehlerquellen

zufällig entstanden sein könnte, ist sehr

klein – nur einmal in 200 000 Jahren wäre

ein solches Fehlsignal zu erwarten, so die

LIGO-Forscher.

Nur etwa 0,2 Sekunden dauerte das

registrierte Signal GW150914. In diesem

Zeitraum nahmen sowohl die Frequenz

der Welle als auch die Amplitude der re-

lativen Längenänderung zu: Die Frequenz

stieg von 35 Hertz auf 250 Hertz an, und

die Spitzenamplitude erreichte 10 –21. Im

Detektor L1 in Livingston traf das Signal

zuerst ein; 6,9 Millisekunden später er-

reichte es den Detektor H1 in Hanford.

Aus diesem Laufzeitunterschied schlos-

sen die Wissenschaftler, dass die Quelle

des Gravitationswellensignals am südli-

chen Sternenhimmel liegt. Mit zwei De-

tektoren lässt sich der Herkunftsort zwar

nicht genau ermitteln, aber immerhin auf

einen ringförmigen Streifen am Himmel

eingrenzen. Weitere Faktoren wie etwa die

sich verändernde Signalstärke in den De-

tektoren schränken den Bereich zusätzlich

ein (siehe Bild S. 31).

Die grundlegende Form des Signals

GW150914 weist auf die Verschmelzung

zweier Schwarzer Löcher hin, die sich zu-

vor in einem engen Doppelsystem um-

kreist hatten. Anhand von relativistischen

Modellen erwarteten Theoretiker genau

den Kurvenverlauf, der sich durch die Be-

obachtung bestätigte (siehe Bild unten): Je

näher sich die Schwarzen Löcher kommen,

desto kürzer wird ihre Umlaufperiode,

was zu einer höheren Frequenz der Gra-

vitationswellen führt. Gleichzeitig nimmt

die Stärke der Wellen, also die Amplitude

des Signals zu, weil das Gravitationsfeld

immer stärker wird. In jener Phase um-

runden sich die beiden Schwarzen Löcher

WennsichzweischwarzelöcheraufeinerimmerengerwerdendenBahnumrunden(oben)nimmtdiefrequenzdervonihnenausgesendetenGravitationswellenzu(Mitte).KurzvordemKollidierenmachtsichauchdaszunehmendeGravitationsfeldbe-merkbar,waszueinemAnstiegderWellen-amplitudeführt.DiespitzenamplitudewirdimMomentdesVerschmelzenserreicht.DasneuentstandeneschwarzelochnimmtdannnachwenigenhundertstelsekundeneinenGleichgewichtszustandan,wodurchdassignalraschabklingt.Indenletzten0,2sekundenvordemVerschmelzennähernsichdieschwarzenlöchervonfünfaufeinenschwarzschildradiusan(unten,schwarzeKurve);dabeinimmtihrerelativeUmlaufgeschwindigkeitvonetwa30aufmehrals50Prozentderlichtgeschwindig-keitzu(unten,grüneKurve).

Annäherung der Schwarzen Löcher Verschmelzung Abklingen

1,0

0,5

0,0

-0,5

0,3

0,4

0,5

0,6

0

123

4

-1,0

Zeit in Sekunden

Rela

tive

Läng

enän

deru

ng (1

0-21 )

Ges

chw

indi

gkei

t

Abst

and

in

Schw

arzs

child

radi

en

Abstand der Schwarzen Löcher in Schwarzschildradien

Geschwindigkeit der Schwarzen Löcher (Lichtgeschwindigkeit = 1)

0,450,400,350,30

relativistisches Wellenformmodell

Calte

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Lab

Page 10: Eine neue Ära der Astrophysik - NewSunTech · 2021. 2. 15. · 24 April 2016 Sterne und Weltraum Eine neue Ära der Astrophysik Das Zeitalter der Gravitationswellen-Astronomie hat

www.sterne-und-weltraum.de April 2016 33

Neutronensterne sind Überreste von massereichen Sternen. Nach dem Aufbrauchen des Fusionsbrennstoffs kollabiert

die Kernregion eines solchen Sterns, weil nichts mehr die Gravi-tation kompensieren kann. Dabei werden die Protonen und Elek-tronen der Materie derart stark zusammengequetscht, dass sie sich zu Neutronen vereinen. Während der äußere Teil des Sterns als Supernova explodiert, bleibt innen ein Neutronenstern zu-rück – eine kompakte Kugel von etwas mehr als einer Sonnen-masse, aber einem Durchmesser von nur rund 20 Kilometern.

Das Vorhandensein solch bemerkenswerter Objekte, deren Dichte etwa 100 Billionen mal höher ist als diejenige der Sonne, wurde bereits Ende der 1930er Jahre diskutiert. Man hielt sie freilich für zu lichtschwach, um sie tatsächlich beobachten zu können. Im Jahr 1967 erkannte jedoch Franco Pacini von der Eu-ropäischen Südsternwarte ESO, dass Neutronensterne elek tro-magnetische Wellen aussenden würden, falls sie rotierten und starke Magnetfelder aufwiesen.

Tatsächlich entdeckten noch im gleichen Jahr die Doktoran-din Jocelyn Bell und ihr Doktorvater Antony Hewish an der Uni-versity of Cambridge mit einer neuartigen Antennenanlage des Mullard Radio Astronomy Observatory (MRAO) kurze Radiopulse extraterrestrischen Ursprungs, die sich mit außerordentlicher Regelmäßigkeit alle 1,337 Sekunden wiederholten. Aus der Puls-dauer von nur einigen Millisekunden folgte, dass das aussen-dende Objekt nicht größer als wenige tausend Kilometer sein

konnte. Mit diesem »Pulsar« genannten Objekt hatten Bell und Hewish eine neue Klasse von Himmelskörpern entdeckt. Im Jahr 1974 erhielt Hewish dafür den Nobelpreis für Physik (er teilte ihn sich mit Martin Ryle, dem Direktor des MRAO, der für die Entwicklung der Apertursynthese geehrt wurde; damit ließ sich das Auflösungsvermögen von Radioteleskopen erheblich steigern, so dass auch die Positionen von Pulsaren bestimmt werden konnten).

Schon bald nach der Entdeckung setzte sich die Auffassung durch, dass Pulsare Neutronensterne sind, die – wie von Pacini vermutet – tatsächlich schnell rotieren. Dabei senden sie ähnlich wie der Scheinwerfer eines Leuchtturms Strahlung in zwei engen, entgegengesetzten Bündeln aus. Bei jeder Umdrehung, wenn die Strahlen die Position der Erde überstreichen, ist ein kurzer Radiopuls zu empfangen.

Schwarze Löcher entstehen wie Neu tro nen sterne; allerdings hatten ihre Vorgängersterne weit mehr Masse. Die ehema-

lige Kernregion wird dann noch stärker zusammengedrückt als beim Neutronenstern. Das Resultat ist ein kollabiertes Objekt, welches das Mehrfache einer Sonnenmasse in sich vereint.

Wie ein Schwarzes Loch im Innern beschaffen ist, wissen wir nicht. Die uns bekannten Naturgesetze reichen nicht aus, diesen Zustand zu beschreiben. Was wir aber wissen ist: Kein Teilchen, noch nicht einmal Licht kann diesem Gravitationsschlund ent-kommen – es ist, als hätte das Universum hier einen Ausgang erschaffen, in den wie bei einem Badewannenabfluss alles hineinwirbelt, aber nichts mehr herauszukommen vermag.

Dass es massereiche Himmelskörper geben müsse, die sich nicht durch eigene Strahlung bemerkbar machen, also dunkel erscheinen, ist keine Erkenntnis des 20. oder 21. Jahrhunderts. Bereits der Engländer John Michell erkannte 1784 mit erstaunli-cher Weitsicht und auf der Grundlage der newtonschen Gravita-tionstheorie, dass bei einem genügend großen Stern »alles Licht, das von einem solchen Körper ausgesandt würde, durch seine eigene Schwerkraft gezwungen würde, zu ihm zurückzukehren.«

Erst die allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein erlaubte ein tieferes Verständnis der Gravitation und somit ein konsistenteres Bild von Schwarzen Löchern. Ihre erste theo-retische Beschreibung im Rahmen dieser Theorie lieferte Karl Schwarzschild 1916: Nach ihm ist heute der von der Masse des Schwarzen Lochs abhängige Radius benannt, innerhalb dessen

nichts mehr aus diesem Objekt herausgelangen kann. Der Schwarzschild-Radius ist nicht mit der Oberfläche eines Him-melskörpers gleichzusetzen, sondern gibt nur den Horizont an, der die Grenze zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit mar-kiert. Für ein Schwarzes Loch von einer Sonnenmasse beträgt der Schwarzschild-Radius drei Kilometer.

Ein Schwarzes Loch ist für sich genommen nur durch sein äu-ßeres Gravitationsfeld zu bemerken. Gelangen jedoch Gaswol-ken oder Sterne in seinen unmittelbaren Einzugsbereich, dann stürzt diese Materie nicht direkt hinein, sondern bildet einen scheibenförmigen Wirbel, eine Akkretionsscheibe, in der sie langsam nach innen durch den Schwarzschild-Horizont spiralt. Durch das Umwandeln von Gravitationsenergie und durch dy-namische Prozesse in der Scheibe heizt sich diese extrem auf, so dass wir die Vorgänge darin anhand ihrer elektromagnetischen Strahlung – insbesondere im Röntgenbereich – sehen können.

neutronensterne

schwarzelöcher

Dou

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Page 11: Eine neue Ära der Astrophysik - NewSunTech · 2021. 2. 15. · 24 April 2016 Sterne und Weltraum Eine neue Ära der Astrophysik Das Zeitalter der Gravitationswellen-Astronomie hat

34 April 2016 Sterne und Weltraum

mit mehr als der halben Lichtgeschwin-

digkeit. Nach dem Verschmelzen dauert es

einige Hundertstel Sekunden, bis das neu

entstandene Schwarze Loch einen Gleich-

gewichtszustand erreicht hat. In dieser

Abklingphase, im Englischen ringdown

genannt, nimmt die Amplitude der Gravi-

tationswellen rasch ab.

Aus dem gemessenen Verlauf des Wel-

lenzugs lassen sich nun mit Hilfe von

aus der allgemeinen Relativitätstheorie

abgeleiteten Wellenformmodellen die

genauen astrophysikalischen Parameter

des Ereignisses ermitteln. Dazu zählen

die Massen und die Eigendrehungen der

beiden ursprünglichen Schwarzen Löcher,

die Orientierung des Doppelsystems und

seine Entfernung zur Erde sowie die Masse

und die Eigendrehung des neu entstande-

nen Schwarzen Lochs.

Wie die Auswertung ergab, hatten die

beiden kollidierenden Schwarzen Löcher

die 36- und 29-fache Masse unserer Son-

ne. Das resultierende einzelne Schwarze

Loch weist die 62-fache Masse der Sonne

auf. Demnach wurde innerhalb eines Se-

kundenbruchteils eine Masse von dem

Dreifachen unserer Sonne in Gravitations-

wellen umgesetzt. Dies bedeutet, dass für

einen kurzen Moment rund 50-Mal so viel

Energie in Form von Gravitationswellen

freigesetzt wurde, wie alle leuchtenden

Sterne im Universum im sichtbaren Licht

abstrahlen. Dieser gewaltige Ausbruch

ereignete sich in einer Entfernung von

1,3 Milliarden Lichtjahren.

sternleichenimWalzerwirbelalsastrophysikalischelaboreAus diesen Angaben wird deutlich, dass

den Wissenschaftlern gleich ein ganz be-

sonderer Fang gelungen ist. Die LIGO-For-

scher haben nicht nur den engen Umlauf

von zwei Schwarzen Löchern beobachtet,

sondern auch den Vorgang des Verschmel-

zens. Noch nie zuvor in der Geschichte war

das gelungen. Über den direkten Nachweis

von Gravitationswellen hinaus haben die

Wissenschaftler damit auch ein bisher

nur theoretisch untersuchtes Phänomen

gemessen. Und erneut konnte eine Vor-

hersage von Einsteins allgemeiner Relati-

vitätstheorie präzise bestätigt werden.

Damit schließt sich gewissermaßen

nach 100 Jahren ein Kreis: Im November

1915 hatte Albert Einstein der Preußi-

schen Akademie der Wissenschaften die

Grundzüge seiner allgemeinen Relativi-

tätstheorie vorgestellt (siehe SuW 11/2015,

S. 40). Ein halbes Jahr später, im Juni 1916,

beschrieb er anhand von Lösungen seiner

Theorie die Entstehung von Gravitations-

wellen, die sich mit Lichtgeschwindigkeit

ausbreiten. Einstein glaubte allerdings,

dass man diese Wellen nie würde nachwei-

sen können, weil sie so schwach sind.

Andere Wissenschaftler waren da opti-

mistischer. Zu den frühen Pionieren der

Gravitationswellenforschung gehört der

US-amerikanische Physiker Joseph Weber

(1919 – 2000). Er verwendete massive Alu-

miniumzylinder als Resonanzdetektoren.

Eine starke Gravitationswelle sollte in der

Lage sein, die Resonanzfrequenz des Zy-

linders anzuregen. Es gelang jedoch nie,

eindeutige Ergebnisse zu erzielen – auch

nicht, als andere Forscher durch verbes-

serte Ausführungen die Empfindlichkeit

der Weberzylinder auf rund das Tausend-

fache steigern konnten.

Resonanzdetektoren haben neben der

zu geringen Empfindlichkeit einen weite-

ren Nachteil: Selbst wenn sie durch eine

Gravitationswelle zum Schwingen ange-

regt werden, können sie die Wellenform

nicht erfassen. Deshalb ist keine Auskunft

über die Art der Quelle möglich.

Mit interferometrischen Detektoren

jedoch ist die Wellenform messbar. Pio-

nierarbeiten hierzu begannen 1975 am

Max-Planck-Institut für Astrophysik in

München (siehe Zeitleiste in diesem Ar-

tikel). Jetzt, nach 40 Jahren intensiver

Forschung auf diesem Gebiet, führte die

Beharrlichkeit der Wissenschaftler mit

der ersten direkten Messung von Gravi-

tationswellen zum lang ersehnten Erfolg.

Bisher hatte es nur indirekte Hinweise

für die Existenz von Gravitationswellen

gegeben. Im Jahr 1974 entdeckten Russell

Hulse und Joseph Taylor mit dem Radio-

tele skop bei Arecibo (Puerto Rico) den ers-

ten Pulsar in einem Doppelsternsystem.

Pulsare sind Neutronensterne, die rasch

rotieren und auf Grund ihrer starken Ma-

gnetfelder elektromagnetische Strahlung

aussenden (siehe Kasten »Neutronenster-

ne«, S. 33). In detektivischer Kleinarbeit

stellte Hulse fest, dass die Pulse ihres Ob-

jekts PSR 1913+16 mit einer Periode von

7 Stunden und 45 Minuten regelmäßig

schwanken – eine Folge des Umlaufs um

einen zweiten Neutronenstern. Da die

AEI /

Terr

aFor

ma

/ SuW

-Gra

fik

LIGO Livingston

LIGO India

KAGRAVirgo

LIGO Hanford

GEO600

Mit dem Beginn der Gravitationswellenastronomie öffnet sich ein neues Fenster zur Beobachtung des Universums.

Page 12: Eine neue Ära der Astrophysik - NewSunTech · 2021. 2. 15. · 24 April 2016 Sterne und Weltraum Eine neue Ära der Astrophysik Das Zeitalter der Gravitationswellen-Astronomie hat

www.sterne-und-weltraum.de April 2016 35

literaturhinweiseAbbott,B.P.etal.(lIGoscientificcolla-borationandVirgocollaboration): Ob-servation of Gravitational Waves from a Binary Black Hole Merger. In: Physical Review Letters 116, 061102, 2016Belczynski,K.etal.: The Origin and Evo-lution of LIGO’s First Gravitational-Wave Source. arXiv:1602.04531v1, 2016diverseAutoren: Einsteins Kosmos. Moderne Astronomie im Licht der Relativitätstheorie. Sterne und Welt-raum Dossier 2/2015. Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg 2015Einstein,A.: Näherungsweise Integrati-on der Feldgleichungen der Gravitation. In: Sitzungsberichte der Königlich Preu-ßischen Akademie der Wissenschaften (Berlin), S. 688 – 696, 1916Einstein,A.: Über Gravitationswellen. In: Sitzungsberichte der Königlich Preu-ßischen Akademie der Wissenschaften (Berlin), S. 154 – 167, 1918Mokler,f.: Warten auf das große Zittern. Wie Physiker Einsteins Schwingungen der Raumzeit auflauern. In: Sterne und Weltraum 11/2015, S. 28 – 36Pössel,M.: 100 Jahre und quicklebendig. Die astronomische Bedeutung der allge-meinen Relativitätstheorie. In: Sterne und Weltraum 11/2015, S. 40 – 47Reichert,U.: Nobelpreis für Physik – indirekter Nachweis von Gravitations-wellen. In: Spektrum der Wissenschaft 12/1993, S. 21 – 23schwarzschild,K.: Über das Gravita-tionsfeld eines Massenpunktes nach der Einsteinschen Theorie. In: Sitzungs-berichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften (Berlin), S. 189 – 196, 1916

Dieser Artikel und Weblinks im Internet: www.sterne-und-weltraum.de/ artikel/1401529

UWEREIchERtist Astro-physiker und Chefredakteur von Sterne und Weltraum.

beiden kompakten Körper dabei unge-

wöhnlich hohen Beschleunigungen unter-

worfen sind, mussten die Wissenschaftler

relativistische Effekte berücksichtigen,

um die Bahnparameter und die Massen

der beiden Komponenten zu ermitteln.

Dies war das erste Mal, dass Einsteins The-

orie zur Bestimmung astrophysikalischer

Größen aus Messwerten herangezogen

wurde.

Einer der relativistischen Effekte, die

Taylor und sein Team messen konnten,

ist die Verschiebung des Periastrons – des

Punktes auf der Umlaufbahn des Pulsars,

an dem er seinem Begleiter am nächsten

ist. Dieser Effekt entspricht der bekannten

Periheldrehung des Merkur im Sonnen-

system, die nach Einstein eine natürliche

Folge der Krümmung der Raumzeit in der

Nähe der Sonne ist. Allerdings ist der Ef-

fekt bei PSR 1913+16 rund 35 000-mal grö-

ßer als bei Merkur.

Dieser große Unterschied verdeutlicht

den besonderen Wert von engen Doppel-

systemen aus kompakten Neutronen-

sternen oder – noch besser – Schwarzen

Löchern als Testobjekte für die Relati-

vitätstheorie und insbesondere für die

Untersuchung von Gravitationswellen.

Anhand des Pulsars PSR 1913+16 ließ sich

erstmals zeigen, dass das System durch

Abstrahlen von Gravitationswellen Ener-

gie verliert, die der Bahnbewegung ent-

zogen wird: Pro Umlauf kommen sich der

Pulsar und sein Begleiter um 3,1 Millime-

ter näher. Über die entsprechende Ände-

rung in der Umlaufperiode des Pulsars –

die sich pro Jahr um 0,076 Millisekunden

verkürzt – ließ sich dieser Effekt messen.

Für die indirekte Bestätigung der von Ein-

stein vorhergesagten Gravitationswellen

erhielten Hulse und Taylor im Jahr 1993

den Nobelpreis für Physik.

Während es noch rund 320 Millionen

Jahre dauern wird, bis PSR 1913+16 mit

seinem Begleiter kollidiert, sind in der

Zwischenzeit weitere Doppelsysteme aus

Neutronensternen bekannt, die noch klei-

nere Umlaufperioden haben und deshalb

früher verschmelzen werden. So wurde

2003 der Doppelpulsar PSR J0737-3039

entdeckt, dessen Komponenten einander

in nur 2,4 Stunden umkreisen. Dieses Sys-

tem wird bereits in 85 Millionen Jahren

verschmelzen.

Solche Zeitskalen werfen natürlich die

Frage auf, in welchen Abständen ein Gra-

vitationswellendetektor ein Verschmel-

zungsereignis nachweisen kann. Das

hängt wesentlich von der Empfindlichkeit

des Detektors ab, denn je kleiner die Nach-

weisgrenze, desto größer ist das Volumen

im Universum, in dem ein bestimmtes Er-

eignis erfasst werden kann.

BeginneinerneuenÄraFür den Moment bleibt festzuhalten, dass

mit dem direkten Nachweis von Gravita-

tionswellen durch Advanced LIGO eine

neue Ära der Astrophysik begonnen hat.

In der Fachpublikation, in der die Entde-

ckung von GW150914 veröffentlicht wur-

de, sind nur 16 Tage des Detektorbetriebs

ausgewertet. Die erste Messphase von Ad-

vanced LIGO dauerte indessen vier Mona-

te. In dieser Zeitspanne sind weitere Ereig-

nisse hinzugekommen, die gegenwärtig

ausgewertet werden.

Die eigentliche Entdeckungsmeldung

zog rasch eine Flut von weiteren Veröffent-

lichungen nach sich. Allein 25 Forscher-

teams suchten in den Tagen nach dem

14. September das fragliche Himmels areal

nach elektromagnetischen Signalen ab.

Solche sind zwar von einem reinen Dop-

pelsystem aus Schwarzen Löchern nicht

zu erwarten, doch durch Wechselwirkun-

gen mit Materie in der Umgebung könn-

ten solche Signale entstehen.

Auch wenn solche Nachbeobachtungen

dem momentanen Kenntnisstand zufol-

ge negativ ausgefallen sind, wird sich ihr

Wert künftig noch erweisen. Denn nach-

dem sich mit der Gravitationswellenastro-

nomie ein neues Fenster zur Beobachtung

des Universums geöffnet hat, werden die

Astronomen nicht nur das messen, was sie

erwartet haben, sondern auch vieles, was

sie sehr überraschen wird.

EinweltweiterforschungsverbundbeteiligtsichandersuchenachGravitationswellen.DenneinsignalausdemAllgiltnurdannalseindeutignachgewiesen,wennesvonmindestenszweiDetektorengleichzeitigempfangenwurde.DieAnlageGEo600indernähevonhannoveristdiekleinste;dortwurdenabervieletechnologienent-wickelt,dienunindenanderenDetektorenzumEinsatzkommen.DiebeidenlIGo-DetektorenindenUsAwurdentechnischaufgerüstetundgingenimseptember2015alsAdvancedlIGowiederinBetrieb.VirgoinItalienwirdnacheinerlängerenUmbauphaseEnde2016denMessbetriebwiederaufnehmen.DieAnlagenKAGRAinJapanundlIGoIndiasindnochimBau.