Eine nie vergessene GEschichte 2.pdf

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seinem Schwager W wissen, _war um mußtest du deiner Schwester das antun? Seelen ruhig pellte Alfred. sei n Ei ab, halbierte es mit einem Messer und strich eine Schicht schwaru:n Kaviar auf beide lcile. du nichts essen?-, erwiderte er, Schrippe mit russ i- schem Kaviar? Du hast vergessen, was maßgeblich iSI. Maßgeblich ist, ob du st ark oder schwach bist, und mein Schwesterehen ist lc i- der schwac h. __ "Sie licbt entgegnete Vater, .. und hat deine Herllosigkcit nicht verdienr .• - .Mhm., mach tc Alfred, dcr in se ine Schrippe biß, .laß uns nicht seruimcnral werdcn, Schwager. Wir haben strengerc Id een als eine vom Weltschmerl befallcne Dienstmagd, nicht wahr? Und henlos, nein, hcn.los war meine EIHscheidung nicht. Ich wollte zu Clara nicht gr:1usam und roh sein. Es war dieses Leiden, das ich nicht mehr aushielt. Ich hielt es nicht aus, eine Schwester zu haben, die hilflos und schwa chsi nnig ist. Und sie wollte bei mir bleiben, stell dir das vor. Sie woll re auf immer und ewig bei mir bleiben. Als ich meinte, das ginge nicht, kam es Will Streit. Sie entwendete meine Pistole und schoß in de n Garten. Und als vom Nachbarn benachrichtigte Poli7 .istcn ins Haus kamen, wg sie sich splinernackt aus. Es war ein grauenhaf- ter Auftritt.- Er stccktc sich eine Murani an, um wieder ruhig zu werden, und stieß ei nen Seufzer aus. _Ach was_, sagtc Alfred, _sie war nicht bcrechenbar, und wcr nicht beredtcnbar ist, muß vcrwahrt we r- den. Ich bin in einer Panei, die das Kranke, Verfaulte und Mor- sche vern ichtcn will. Soll ich etwa vor meinen Kameraden cin Sch lappschwanz sei n. dcr seinc Prilll.ipien verleugnet? Vater ver- 7.ichrete auf einen Abschiedsgruß und holtc licfLufr, er endlich im freien war. Eine Erlaubnis zum AllStaltsbesuch 'LU erhalten erwies si ch als schwierig. Man mußte beglaubigte Urkunden vorweisen, die eine Verwandtschaftsbeziehung belegten, und die harre Vater nicht bei sich. Er reistc heim. kramte Tauf- und Geburtsscheine und sein Familienbuch aus der Schublade. brachte sie zu einem Schlawer Notar, der sie mit blauen Stempeln versah. Wieder in Potsdam, erfuhr er vom leitenden Ara, ßesucherrer- mine se i en keine mehr frei, vor Miue Januar solle er nicht wieder vorspreche n. Vater beging ei nen Fehler, und zwar einen groben, .Ils er dem von Schmisscn entstellten Mann einen Papierumschlag IlLstec kcn wolltc. Er sci ni cht bestechlich, verSelltc der AnstaJrs- ,Irll. Mit dem ]lorLCllanknopf am unteren Ende dcr Schnur, die von der Decke auf seinen Sch reibti sch hing, alarmiertc er das Personal. Von Korridorende zu Korridorende schrillte eine clektri- <,t;he Klingel. Zwei Aufseher rannten ins Zimmer und schJeiften den strampelnd en Vater zum Hof. Und der Winter verging. Vater beriet sich mit Dehmel und bat um den Rechtsbeistand einer Steniner KamJei. DoklO r Dehme! ein Gutachten, in dem er Muncr als vollkommen normal heschrieb. von nichts anderem belastCt als starker Errcgbarkeit und einer Neigung zu heftigen StimmungswechscJn. Mut machte er Kannmacher keinen. Er sei nicht vom Fach, und bei ei nem Ge- richrsprozeß werdc sein Gutachten nicht ins Ccwiclll fallen. In der Srerri ner Kanzlei lehnte man Vaters Ansinnen ab, gegen Pots- (J,lm zu klagen, Wer erst in ei nem Irren haus einsil'le. hieß es, sei IIrdn wieder frcizubekommcn. besst: r erging es dem Vater in anderen Kanzleien. Ledig- Ird! ein vcrsoffe ner Gauner am Bollwerk war bereit, ein Verfahren .IU/I/strenge n, und vertrank seinen Vorschuß in einer Spelunke. Als man Vater im Fcbruar endlich zu Mutter ließ, verlor er den lt'llten Rcst Zuversicht. Blaß und mit Hcn..schrner/.cn karn er 11.11.11 Hause und mußte sich wieder zu Bett legen, das er zwei Mo- tim: nicht mehr verließ. Und von seiner Begegnung mit Clara ver- Ill'l er nich ts. Und der Winter verging. Vater rappelte sich mit der Sc hnee- ... hrnelze auf, tim sich wicder zur Schule zu sch leppen. Erneut hr,llh er zusammen, als drei Wochen verstrichcn waren, und Dch-

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  • seinem Schwager W wissen, _warum mutest du deiner Schwester das antun?

    Seelen ruhig pellte Alfred. sei n Ei ab, halbierte es mit einem Messer und strich eine Schicht schwaru:n Kaviar auf beide lcile.

    ~Wi11St du nichts essen?-, erwiderte er, ~keine Schrippe mit russi-schem Kaviar? Du hast vergessen, was mageblich iSI. Mageblich ist, ob du stark oder schwach bist, und mein Schwesterehen ist lci-der schwach. __ "Sie licbt dich~. entgegnete Vater, .. und hat deine Herllosigkcit nicht verdienr . - .Mhm., mach tc Alfred, dcr in seine Schrippe bi, .la uns nicht seruimcnral werdcn, Schwager. Wir haben strengerc Ideen als eine vom Weltschmerl befallcne Dienstmagd, nicht wahr? Und henlos, nein, hcn.los war meine EIHscheidung nicht. Ich wollte zu Clara nicht gr:1usam und roh sein. Es war dieses Leiden, das ich nicht mehr aushielt. Ich hielt es nicht aus, eine Schwester zu haben, die hilflos und schwachsi nnig ist. Und sie wollte bei mir bleiben, stell dir das vor. Sie woll re auf immer und ewig bei mir bleiben. Als ich meinte, das ginge nicht, kam es Will Streit. Sie entwendete meine Pistole und scho in den Garten. Und als vom Nachbarn benachrichtigte Poli7.istcn ins Haus kamen, wg sie sich splinernackt aus. Es war ein grauenhaf-ter Auftritt.-

    Er stccktc sich eine Murani an, um wieder ruhig zu werden, und stie ei nen Seufzer aus. _Ach was_, sagtc Alfred, _sie war nicht bcrechenbar, und wcr nicht beredtcnbar ist, mu vcrwahrt wer-den. Ich bin in einer Panei, die das Kranke, Verfaulte und Mor-sche vern ichtcn will. Soll ich etwa vor meinen Kameraden cin Sch lappschwanz sein. dcr seinc Prilll.ipien verleugnet? Vater ver-7.ichrete auf einen Abschiedsgru und holtc licfLufr, al~ er endlich im freien war.

    Eine Erlaubnis zum AllStaltsbesuch 'LU erhalten erwies sich als schwierig. Man mute beglaubigte Urkunden vorweisen, die eine Verwandtschaftsbeziehung belegten, und die harre Vater nicht bei sich. Er reistc heim. kramte Tauf- und Geburtsscheine und sein

    Familienbuch aus der Schublade. brachte sie zu einem Schlawer Notar, der sie mit blauen Stempeln versah.

    Wieder in Potsdam, erfuhr er vom leitenden Ara, esucherrer-mine seien keine mehr frei, vor Miue Januar solle er nicht wieder vorsprechen. Vater beging ei nen Fehler, und zwar einen groben, .Ils er dem von Schmisscn entstellten Mann einen Papierumschlag IlLsteckcn wolltc. Er sci nicht bestechlich, verSelltc der AnstaJrs-,Irll. Mit dem ]lorLCllanknopf am unteren Ende dcr Schnur, die von der Decke bi~ auf seinen Sch reibtisch hing, alarmiertc er das Personal. Von Korridorende zu Korridorende schrillte eine clektri-

  • mel sprach von einem drohenden Infarkt. Er fordene Kannma-cher eindringlich auf, sich vom Dienst in der Schule entbinden zu lassen und sei nen Ruhestand einzureichen. Vater lehnte den Rat sei nes Freundes barsch ab. Wenn er ;n sei nem Alter in Rente gehe. werde er eine zu kleine Pension beziehen. um imstande zu sein, dcn Kredit bei der Bank abzustottern.

    M:lIhilde bot an, kei nen Lohn zu beanspruchen, bis der Kred it-vertrag auslaufe - Vater bekam feuchte Augen und lehn tc ab. Lud-wig berechnete Einnahmen und Ausgaben und trug seine Sum-mcn am Mittagstisch vor. ,.Oeine Kredin insen lassen sich mit der von Sielaff versprochenen Mitgift begleichen . - ,.!eh werde mich nicht an der Mitgift vergre i ren~. erwiderte Schulmeister Kannma-cher schroff, ,.das ist euer Geld, Junge, Emilies und deines . Als milder Wind von der OStsce anwehte und Flicdergeruch ins Sm-dierLimmer drang, stand er aus .sei nem Krankcnben auf, um zur Schule zu stapfen.

    ,. Es kommt schlimmer, als es bereits ist~, sagte Weidern:m n. . Wenn das man gutgeht., bemerkte Marhilde. ,. Dein Vater ist von einer atemberaubenden Sturhei t beschwerte sich Dehmel bei Fclix, als er sei nen Gipsverband abnahm . Wesemlich bcsser~, be-merkte er strahlend, .wenigstens deine Schnen sind wieder auf Vordermann . Und wenn ich mich einmischen darf., sagte Oeh-mcl und wischte sein Brillenglas linkisch am Arztkinel sauber, nimm den Posten als Kantor im Dom von Freiwaldc an . Es wird deinem Vater den Abschied vom Sch uldienst erleichtern. wenn du etwas Geld mit nach Hause bringst.~

    April, Mai und Juni vergingen, und Fdix befolgte den Dehme!-schen Rat. Freitags leitete er Liebherrs Chor aus zehn AltsirLCrin-nen, zwei Hebammen und einer Handvoll dem Kinderchoraher entwachsener Backfische. Als Pf.1r rer rriehe ei n Pflngstkon1.crt vorschlug, entschuldigte Fdix sich mit seinen Sehnen und der feh-lenden Orgderfahrung. Anstrengend war sein Leben als Kantor

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    hei reiehe nicht. Aus dem Gesangbuch, das Fel ix aus Kinder- und ,,"onflrmationszcitcn auswendig kannte, verlangte der PF.urer von Woche zu Woche nie mehr als zehn Lieder, die sich mit der Zeit wiederholten. Fdix hatte sein Ei nkommen, mit dem er zum I bushaltsgcld beitrug, was Vater erlaubte, in Rente zu gehen.

    Bald wollte Alma im Kirchenchor mitsingen. In einem Brief 1).1( sie um seine Zustimmung. Felix erwideCle, seinerseits schrift-11Lh, ausschlaggebend sei Almas Begabu ng, sonst nichts, sie solle ,1111 Freitag um viertel vor sieben zum Vorsingen ins Gotteshaus kommen.

    Am Freitag, um sechs, als er mit einern NOlenpaket in der Iland zu r Empore hochkletterte, lehnte A1ma bereits an der Or-~d. Sie wirkte befangener als in der Vergangenheit, sei es aus kind-11Lher Ehrfurcln vor seiner Kantorsstc!lung, sei LOS aus Bammel, heim Singen .tu versagen. Vorbeugend behauptete sie, nicht bei "',imme zu ~ciJl. ~\ch habe ein scheuliches Kr.lI'l.cn im R.1chen und werde bcstinullI eine Grippe bekommen . Er machte den Vorschlag, sie solle bei anderer Gelegenheit probesingen, wenn sie hei Stimme sei. Sie wollte von einer Verschiebung nichts wissen.

    Almas Sopranst imme klirrte und schcppene, kam nicht in tie-fere Lagen, und wen n sie sich hochschraubte, piepste sie schau-derhaft. Von einer beachtlichen Anzah l an Noten zu schweigen, dIe sie, oh ne es l.U bemerken, verfehlte. Was Ainu nicht entging, war sein verkn iffenes Gesicht - und um so verbissener warf sie \I',;h ins Zeug.

    Mi t ei nem Wink brachte er sie zum Schweigen. "Du mu t mich l)('urreilen_, sagte sie, als er schwieg, und fing eine Fliege vom Pfeiler, die sie voller Ekel im Handschuh zerquetschte . Mhm~, machte Fclix und starrte das zuckende Fliegenbcin an, das den .... hnccweicn Handschuh beschmunte. Er gab sich einen Ruck lind nahm sie in den Kirchenchor auf, teils, um ~ ich einen Streit ,u ersparen, teils aus Mitleid mit Siclaffs ehrgei7.iger Tochter.

    In den ersten drei Chorprobcsrunden benahm sie sich folgsam,

  • nichts als erpicht, sich mit Alrsinerinnen- und Hebammenstim-men zu messen. Sie vermied es. dem Kantor zu nahe kommen, und legte keine Vertraulichkeit an den Tag, was seine Bedenken zerstreute.

    Almas Besonnenheit war nicht von Dauer. Rasch legte sie sich mit den Backfischen an, die den Kantor zu auffallend anhimmel-ten venankte sich mit einer Hebamme. die sich erlaubt hatte.

    AI~la den Rat zu erteilen. in oberen lonlagen leiser zu singen. Bei Probenschlu rannten sie bdde 'Wm Chorleiter, den sie vor die Wahl stellten: .Die oder Ich!.

    Mit Hebamme und Backfischen 7.ankte sie nicht mehr. Zum Ausgleich kam sie mit Paketen 7.ur Probe. die sie auf sein ~otenpult stellte, Paketen , die Fleisch in Aspik und Pa.st~ten ~nth,ehen. In den Begleitkarten bat sie um seine Besuche Im Sielaffschen Haus. Ludwig beabsichtige eine Nachrwanderung 'l.ur Kraur-Glaw-nit-z, die gruselig zu werden verspreche, und plane, am Sonn~ag ins Strandbad zu gehen, ob er sich nicht anschlieen wolle. Z~ 'lien sei es lustiger, schrieb sie, lind Schwester Emilie rechne m ll seiner Begleitung. Als er diese Zeilen las, mute er schlucken. Pas-tete und 1:leischgallen lieferte er bei Mathilde ab und verkroch sich an seiner von Weiden und Erlen beschatteten FluufersteIle, als Ludwig 3m Sonntag sein BadC'LCug packte.

    Sein Bruder sprach neuerdings ausschlielich lobend von AJma. Vergangenheit waren seine Spottnamen ,. Hasclnugert~ .. ~lIld "reife ProvinzpAaume". Wenn sie sich launisch und schlllppisch verhalte. habe das mit den Anforderungen 1.U (Un. hohen Anfor-derungen, die sie an sich stelle. Ansonsten sei Alma ein .klug~, bc-.sc.heidellcs Wesen, zudem herzlicher. als es den Anschem besu:ze.

    Er rechnete es Sielaffs Tochter hoch an, seine Heiratsabsichl nicht vereitelt 7.ll haben. Aus Dankbarkeit schwang er sich zu AJ mas Anwalt auf.

    Und cr war von Emilie beeinflut - das stritt er nicht ab -, keine Zweifel an Alma erlaubte, sei es aus ehrlicher

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    verbundenheit, sei es aus schlechtem Gewissen. Sie hatte sich mil dem Kannmachersohn verlobt, in den sich Alma als erste verliebt hane. was gemein und verletzend gewesen war. Diese Hartherzig-keil wolhe sie wiedergutmachen. Und wiedergulmachen lie sie \ich mit der Verlobung von Felix mit Alma.

    Ludwig bekniete den Bruder, Vernunft anzunehmen. Er solle Alma mit anderen Augen betrachten, die eine ernste, erwachsene hau sei, keine schielende Gans ohne Sinn und Verstand.

    Als seine Ermahnungen wirkungslos blieben, griff Ludwig ZU Jnderen Mitteln. Zusammen mit Emilie weihle er Alma ein. wo

    ~elll Bruder sich aufhahe, wenn er allein bleiben wolle. Alma lieh ~lLh bei der Schwester das Fahrrad aus. Mit einem baumelnden Hechlkorb am Lenker, der Heringe und saure Gurken emhieh. hdbeeren, Pf..nnkuchen und Karamellen, fo lgte sie schlenkernd lind schlackernd der Wipper und tauchle 3m Uferr-J nd auf. wo sie ~kn sich splillernackt sonnenden Felix entdeckte. Mit einem Auf-\{hrei flel Alma vom S:mel.

    Sie hinkte zum Baumstamm und rieb sich den Fu, den sie sich 1'K:lm EIJlcn verstaucht hatte. ~Sage mir, wann ich mich umdrehen k.llln. Und wenn du fenig bist, hilfst du mir bitte beim Erdbee-Irn- und Karamelleneinsammeln. Mit meinem schmerzenden

    lu/~ kann ich mich nicht bewegen ... In Null Komma nichtS raffle n \ei ne Kleider zus.,mmen und schlich sich ans andere Ufer. Und

    .III~ der Ferne crkannle er Alma, die Flcchlkorb und Fahrrad vom /loden aufhob und mit humpclnden Schritten im Weizen ver-, hwand.

    Am Freitag nahm sie an der Chorprobc teil und verehne dem ....ullor ei n schweres Paket, das von einer straff sitzenden Kordel umwickelt war, an der sich ein Holzgriff befand. Almas stumme Iinlicllstele stelhe es vorsichtig, vorsichtig in einer Kirchenbank .110 lind lief mit einem Knicks zum Altar aus dem Dom.

    Al\ sie gegen 7.chn mit der Chorprobe fertig waren, verbum-IIIrhc Alma sich nicht, brach zusammen mit Hebammen und

  • Backfischen auf. Und im schweren Paket. das er fluchend nach Hause trug, befand sich ei n richtiger Radioappar.n, mit Dreh-schaltern und einem Skalenam.eiger, der sich von Lendon bis Moskau bewegen lie. Fassungslos starne Felix den Radiokasten an, in dem man ein Brahmschcs Klavierkonzert sendete.

    A1mas Begleitbrief las er ers! am anderen Tag. Sie beteuerte, niemals mehr aufdringlich in sei n Versteck;tn der Wipper 7.U plal-zen. Schwester Ernilie werfe sich vor, seine FluufersteIle verraten LU haben , lind sei mit einer kleineren Summe am Kauf dieses Ra-dios beteiligt gewesen.

    Neugierig berrachte!e Ludwig den Apparat, als er 3m Samstag aus Lauenburg kam, stie einen Pfiff aus und spielte den Ah-nungslosen. ~ Radios von Seibt kostt:n richt iges Geld~, sagte er. Beim Essen vertilgte er Quark lind Kanoffcln mil Heihunger -in Lauenburg a er nichts anderes als Brot und Konservenflcisch-und forderte Felix zu einem Besuch bei den Schwestern auf. Im Flur lie er sich von Madlilde den Schlips richten, schn:appte sich einen Spazierstock und sagte streng: ~ DlI nimmst :an unserer Nachtwanderung wr Kraut-Gbwnin teil!.

    Bei einserzender Dunkelheit liefen sie los, mit Signalpfeife, G:aslampe und einern Seil, das Ludwig sich um seine Schuhern legte, festem Sch uhwerk und w:armen Kbmotten. Wei:t.en- und Rapsfelder blinkten im Mondschein, der aus zerrissenen Wolken aufs Land fiel. Als sich eine Eule vom Turm der Sr. Gertrudska-pelle warf, um mit den Kbuen eine Fcldm:aus zu packen, erschau-dene Alma bereits. Und vorm Sumpf der Kraut-Glawnin behaup-tete sie, schwere Beine lind einen Mordshunger zu haben , und machte den Vorschlag, zu Hause Pastclen"l.ll cssen. Ludwig stell tC sich taub, und Emilie lehnte es ab, Alma hei mzubeglcilen.

    Ludwig hob seine Gaslampe hoch und bef.1hl, man solle sich an seinem Vordermann fcsfhalten. Der Pfad. den er kenne, sei stel-lenweise keine zwei Meier breit. und wer sich einen Fehltrin er-laube, der werde vom Boden verschlungen. Emilie, die von sei ner

    Warnung begeistcrI war, konnIe es nicht erwarten, das Moor zu betreten , und A1ma begann, um so schlimmer zu bibbern. Wenn sie sich bis zum Sumpfrand auffallend beherrscht und befangen gegen Felix benommen hatte, fiel diese Von;icht schlag:artig VOll A1ma ab. als Ludwig in sei ne Signalpfeife blies. ~Darf ich deine I land nehmen? flehte sie Fe\ix an, was er mil einem Murren er-laubte. KrampF.mig verkno!eren sich Almas Finger in sei nen.

    Im Moor war es duster und {orenstill. Anders als auf den Wie-sen, die sich um Freiwalde ersl rcckten, ging in der Kr.ulI-G lawnirz kei n Wind. Sie begegneten Gruppen au.~ Baumleichen, knorrigen, morschen. von Pilzcn befallenen Gesellen, die sich krumm vor dem nachtblauen Himmel verbeugten.

    Emilie deu{cte auf einen schimmernden Stcin . ~ Wenn das man kei n TOIenkopf ist., flachstc sie. _Und das keine Hand, die ver~ geblich ins Leere greift.. Sie zeigte zum Wassetpfuhl, aus dem ei n Wurzelsrrunk ragtc. ~Du spi nnst", sagte Alma verdrossen. Ludwig kam seiner Verlobten zu Hilfe. ~Ulld ob! Eille Knochenhand iSI das, verserLte er trocken, ~eine Knochenhand mit ein paar Flcischrcslen. Und bei diesem Verwcsungsgrad mu sie von ei nem Kadaver st;lInmen, der kei ne drei Tage alt iSI . - "Das iSI bei einer Nachtwanderung passiert, sagte Emilie. "wollen wir wc[(en?~ Ekelhaft fauliger Modergeruch kam vom w'1Sscrioch, in dem 1,wei Blasen zerplat7.tell.

    ~ Und was ist mit den lrrlichtern ?~ maulle Emilie und klatschle Beifall zu Ludwigs Idee, sie mit seiner Signalpfcife munter zu ma-lhen. Mit hohl klingender Stim me beteuerte Alma, diese Schauer-legende der dreiig erlrunkenen Matrosen habe keinen nalurwis~ \enschahlichell Wen, und zuckte zusammen, als ein Schrei in der J'erne erklang. "Das war ei n menschlicher Schrei, sagte Ludwig. Alma erwiderte nichts. VerLwei fclt und wi ld quetschte sie Felix' J land, bis Ludwig Entwarnung gab, Hanfseil und Gaslampe von ,ich warf und mit seiner Verloblen zum Ostsecstrand ranllle. der ,111 dieser Seile ans Moor grenue.

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  • Alma plumpste erleichtert z.u Lampe und Strick in den Flug-sand. ~Puhh, seufJ.te sie. war das aufregend. Und stcll dir vor, meine Beine sind nicht mehr schwer. Als wir losliefen, waren sie aus Blei. Und du warst mein Reuer_, bemerkte sie atemlos, rich-tete sich aus dem Str:Jndhafer auf und ;reute an seinem Schuh, bis er neben sie fiel. Er konnte den Lippen nicht rechtzeitig :Juswei-Lhen. die sich mit den seinen begierig vereinten. Vor dieser ver-wirrenden, entfesselten Gier brach sein Widerstand in sich z.usam-mcn. Fassungslos wischte er sich seine Lippen :Jb, als sie sich keuchend zur Seite war und ohne erwas zu sagen den Himmel be-trachtelC.

    Fdix verlobte sich mit Alma SiciafT und w:lr bereit, sie im kom-menden Juli zu heiraten. Elf Monate muten vergehen. bis er ein-undzwanzig war und sie zur Frau nehmen konnte.

    An diesen elf Monaten kaute sein Bruder schwer. Erst hane Mutters Einweisung ins Irrenhaus seine bevorstehende Hochzei t vereitelt, und im April war es Vaters Erkrankung gewe5(:n. Di~ drine Verschiebuns war biner - und wenn sie sich nicht abwen-den lie, war das Almas Idee einer Doppelhochzeit zuz.uschreiben, die Emi]je beharrlich verteidigte. Sie lehnte es ab, vor der Schwe-ster zu heiraten. Erstens war Alma bereits vierundzwanz.ig, nicht erst kn:Jppe zwanz.ig wie sie. Zweitens konnte sie mit der bewiese-nen Gromut von Schwester Emilie Beherrschung verlangen. Drittens besa sie im I-bushah das Sagen und begann mit den Planungen zu einer doppelten. aufsehenerregenden Hochzeit. Emilie war nicht im geringsten bereit, Alma an diesen Planungen zu hindern.

    Felix betrachtete diese elf Monate Aufschub im stillen als Gal-genfrist. A1ma 1.U lieben, das bildete er sich nicht ein. Aus Mutlo-sigkeit hatte er sich mit Sic1afTs bevorwgter Tochter verlob!. Er war nichts als ein lausiger Kirchenchorleiter und Organist, der keine andere Wahl hatte.

    Auerdem konnte er Almas besinnungslos gierigen Ku nicht vergessen. In sein Begehren. das wild und verworren war, misch. (en sich Kummer und Trorl. Verbinert betrachtete er scinen ru-d~r, der sich von Emilies Leichtigkeit anstccken lie. Ludwig harle mchts Rauhes mehr an sich. nichrs Ruppiges, wenn er mit Emilie .un Badestrand Sand burgen baute und w'lsserball spielte. Vergan-genheit war sein zerrissenes Wesen, er war nichrs als kindisch und \c1 ig verliebr.

    .Mi t seiner Verlobten verhielt es sich anders. Emilics Leicluig. kClt konnte abrupt einer Stimmung Platz machen, die Schwermut verrief und verhangener war als ein grauer Novembertag. Ludwig \erlte dem Sandburgenturm ei ne Muschel auf. f.lnd Bernsteine, die sich im Scclang verfangen hatten, ranllte ins Wasser und tauchte. EmiJies elegische Stimmung hielt keine Minute vor und leilte sich niemandem mit auer Felix, der neben Alma im Lie-gellslUhl hockte. ~Mhm~, sagte er zu den Hod17.ei tsschmausvor. ,tcl lungen AJrnas, rnhm. zu dem Vorschlag, zwei Wochen Paris III besuchen, wenn sie e(l;! verheiratet seien. -Mhm. , sagte er wie-dl'r und zuckte zusammen, als Emilie, im Sand killend , zu seinem 1.legestuhl starrte.

    In Emilies Augen erkannte er Schmerz und Bedauern. Sie mach-tl' den Eindruck, als wolle sie sich in ein Zimmer einschlieen und wei nen. Sein Befremden bemerkend, sprang sie aur die Beine und tnlgte dem winkenden Ludwig ins Wasser.

    Alma waren Leichtigkeit oder Verspidtheit vollkolllmen fremd. \i~' vel'5chwand in der weiblauen Badekabine, ohne wieder zum Vorschei n zu kommen. Am Ufc'r war niemand mcllT auer dem Itldestrandaufseher, der den Sand rechte und seine Srurmflagge Imd17.og. Fc1ix starrte zum glunoten Horizont, sammelte Mu-,~ llcJn und Steine, die er wieder von sich warf.

    Als er keine Geduld mehr besa, klopfte er ans Kabinenholh lind wollte wissen, was los sei, mute versichern, allein zu sein, lIud durfte eintreten. Mit verheultem Gesicht hockte sie auf der

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  • Umkleidebank. .lch halte es nich t mehr aus", schluch"'le Alma. _rehn MonalC sind eine endlose Zeit!. Mil einem Ruck sland sie von der Kabinenbank auf. lie das l-IandllLch zu Boden fallen, das sie von den Schi('nbein('n bis zu den Schuhern bedeckt haue. _Du bisl der eme Mensch, dem ich mich nackt zeige .. , sagle sie krarzig und behend vor Lus!. .Soll ich mich umdrehen? Sie hob beide Arme, bewegte sich Irippelnd im Kreis . Nicht anfassen!., schnapple sie. als er sie an sich ziehen wolhe, und 7.erne das Handtllch vom Lanenrost hoch. Und auf dem Heimweg vertrau te sie Fclix an. er sei gegen Ludwig im Vorteil, Emilie sei schamhaf-ter in diesen Dingen als sie, mehr als ei nen Ku habe er nie be-kommen .

    Warum ich mich dir nackt zeigen wollte, das weit du, nielu wahr~. Er mule bekennen, keinen Schimmer zu haben . Zeh n Monale sind eine Ewigkeil, Liebster! Sie machen mich rasend und krank, diese Monate. und dir soll es nicht besser ergehen als mir! Ja. du sollst dich verlehren und leiden wie ich., und das sagte sie mil einem bitteren Ernst. bei dem sich sein Nackenhaar aufstclhe.

    ~Well n das mit der Ilochzeil mall gutgehl, bemerkte Math ilde am Momag zu Weidemann, dem sie Wacholderschnaps in sei ne Tt'Ctasse kippte, .wenn das man kein Fehler war, heie ich Josefi n Baaker!" - .Josephine Baker., erwiderte Postku tseher Wcidemann, der auf seine englischen Aussprachekenntnissc stolz war, was Ma-thilde nicht davon abhielt. stur MJosefln Baaker .. zu sagen. Ein schlimmeres Frauenzimmer als diese Negerin. die Busen und Po in Pariser Lokalen schwenkle und nichts anderes anhatte als ei nen Rock aus Bananen, konnte sie sich nicht vorstellen!

    Fclix, der beide belauscht hatte. nahm seine Joppe vom Haken und stahl sich ins Freie. Er lief querfeldein, bis er Presscl erkannte. der von sei nen Schafen umgeben im Wiesengras lehnte, als sei er Gottvater, der auf einer Wolke schwebt. Zwei Tage bereils hatte er diesen Fleck nicht verlassen. Was sich an Pressei bewegte, war nichts als sein Schafsfell im brisigen Wind.

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    Sein Alter war sdlwer zu bestimmen. Presseis Fransenhaar wollte nicht wei werden, und dieses RlInzclgesichl haue er vor {lem Krieg besessen, ganz zu schweigen von seinem verkrumpelten Ilirtenhut, der Presse! als Sonnenschirm und Dachrinne diente und allen Unwenern trorzte.

    "Warum sollte ich mich vom Fleck bewegen~. sagte er mit sei-lief knarrenden Stimme, wenn das Wiesengras hoch Sieht und \,Jfrig ist. Nachrs regnet es, und mit der Sonne am Vormiuag \priet es wieder frisch aus der Erde. Ich kann es beim Wachsen heobachten . Wie alt er war, wllle er nicht. - Das spielt keine Rolle. erwiderte er, ~ob sechsundsechzig, ob siebenundsiebzig, was schert es mich, ich lebe in einef anderen Zeil. Und ich werde lucht slerben, das la dir man sagen ... - .Sie werden nicht ster-hen? - In meiner Zeit kann man das nicht., sagte Pressei, *sie kennt keinen Tod. Sie kennt nichts als Ebbe und Flut, Wind und Wolken. Fa meine Haut an! Das ist keine menschliche Haut mehr. Das iSI l3aumrinde. oder, mein Junge? In ei ner Nach l wer-den sich meine Zehen in den Erdboden graben und wird aus mei-nem milchigen Auge ein Ast ragen. Das wird bald sein, verspreche Ilh dir .. , sagle Presse!, und es ist besser, wenn wir uns verabschie-den ... - _Das hai keine Eilc.., enrgegnete Felix, und als er sich er-kundigte, wie Alma SielafT roch. spuckte Schafhirte Presscl IIlS (,ras und gab vor, sein Geruchssinn sei nichl mehr der alle.

  • Kontrapunkt, Menschenskind!

    September, Oktober, November vergingen. Schafhir~e Pr~1 stand auf seiner Wiese in Regen und Nebclund regte sICh mcht. Kein Ast ragte aus seinem milchigen Auge und seine Zehen gru-ben sich nicht ins Erdreich ein. _GOtt hat mich in seiner riesigen Herde vergessen bemerkte er seufu:nd und spuckte zu Boden, _was macht es, ich habe Geduld ...

    November, Dezember und Januar vergingen und vom Steil-hang am Meer kam Kanonendonner. Alma besorgte zwei Ringe in Lauenburg, lie sich ein Hocll'l.eitskleid schneidern. Andauernd sprach sie beim Brixschen Hote1koch vor und stie den vereinbar-ten J-Iodl1.citsschmausspciseplan um. Sie kaufte SchlaFwagenfahr-karten bis an die Seine, besann sich eines Besseren und wollte wm 'riber, l3USclHC sie gegen 1.wei andere Fahrkarten ei n. Und der Winter verging, und es sollte April werden, und im Mai wehte Fliederduft in alle Zimmer, und Wiesen und Weiden am Flu wa-ren bunter bestickt als ein persischer Teppich.

    An einem Tag Anf.lng Juli bemerkte er in seinem Wipperver-stock eine Staubfahne. Fe!ix warf sich in seine Klamonen und folgte der glitternden Wolke, die bald bis wm Ringgrabenufa vor Bogislaws Schlo reichte. Aus den drei Automobilen stieg ei ne Gesellschaft von aclll7.chn Personen. Hermg Bogislaws Schlo konnte man nicht besichtigen, es war mit Brettern und Lauen vernagelt, im Ilof wuchsen Grindkraut und BrennesseIn. Die drei AutomobilmOloren sprangen wieder an und entfernten sich knal-teT!ld wr See.

    ~ Das ist hoher Besuch, sagte Postkutscher Weidemann, _der bei uns eine Ferienwoche verbringen will. Er hat sich im Brix-schen Hotd einquartiert. Bei Brix ist der Teufel los, kann ich euch sagen. Sie haben eine komplette Etage verlangt - die mit der Ter-rasse zu r Badeanstalt -, und Hermann Brix mute umbuchen und

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    zwei Berliner Familien auf andere Zimmer verlegen. Und als man den Steinway anliefene, kam es im Treppenhaus zu einem Wand-schaden. ~ - _Einen Sleinway? Warum brauchen die einen Stein-~ay? .. Fclix. der sich seine Sroppeln rasieren wollte, eilre mit Schaum im Gesicht aus dem Bad. _Ach Gon, wenn man Kalk in der Birne hat! .. bnlUehe Weidemann, . ich habe vergessen ?u sa-gen, um wen es sich handelt. Er heit Vicror Marcu und iSI Pia-nisl. Und er kommt aus der Walachei, meim Hermann Brix. Ver-gangene Woche hat er in Stcnin konzenien, bald soll er in Dall1.ig

    u~\d Warschau auftreten. Alle anderen sind seine Begleirer. Er reisl IlIC ohne Anhang, haI Brix mir versichen. Zwei. drei Leute nimmt cr sieh aus Bubrcsf mit, und von Stadt zu Stadt .schwillt seine Reisegesellschaft an. Sie sind ja vom Fach, kennen Sie seinen Na-men, Herr Fclix?"

    Und ob er den Namen ViclOr Marcu kanrHc!, den man vor ~echs T:1gen im Radio verlesen hane, Illn sein Rundfunkkonzerl ,H1zuzeig~n .. Victor Marcu war mehr als ein Vollblutklavierspicler, der schwlengste Siellen mit Leicluigkeit meisterte. Ohne Anstren-l\u ng wechselte er von verhaltenen Stellen zu wilden Akkordfolgen oder spannte sich zu einem hanen Slakkato an, das wieder in ",:h merthafte Weichheir umkippte. An seinem Spiel war nichtS Aufdri ngliches. Mit diesem Anschlag, der streng war und rein, konnte man ke~nc billig~n Wirk.ungen erzielen. VOll Verzweiflung lind Schwere bIS zu lufnger Heiterkeit - nichts klang bei Marcu cr.rwungell oder falsch.

    h~lix hane zwei schwindelerregende Stunden vorm Radioka-\{cn verbracht und kam sich vcrnichlel vor, als er ins Bell kroch. I-r schwor sich, nit" mehr ein Klavier anzufassen, an dem er, ver-~Jidlen mil Marcu, ein Hudler und Pfuscher war. der sich vor \dlam in der Erde verkriechen mute. Er hatte nichrs Besseres verdiellI, als auf seiner KalHorsstclJe zu verschimmeln!

    Zwei lage schlich Fclix ums Brixsche Hotel, wo Vicrar Marcu lind seine Begleiter zur Minagszeir auf der Terrasse zusarnmentra-

    ' 77

  • fen, um zwischen flanernden Sonnenschirmen zu essen. Nachts waren sie am Schwadronieren und Rauchen, zankten erbittert, vertrugen sich wieder und schwangen das Tam.bein zu schmissiger Blechblasmusik aus dem Grammophontrichter. VielOr Marcus Gesicht konnte er nicht erkennen, es blieb von einem Schlapphut beschattet.

    Es verstrichen drei lage, bis sie sich begegneten. Marcus Hut tauch te zwischen den Badekabinen auf, seine Krempe bewegte sich flauernd im Wind. Vor dem Meer stehend, betrachtete Mareu den glutroten Himmclund lutschte an seiner Zigarre. An-scheinend war sie erloschen. er kramte vergeblich in Anzug und Weste. Als er kein Streich holz fand, winkte er Fdix. der Muscheln und Steine vom Boden aufklaubte ... Haben Sie Feuer? erku ndigte er sich auf Deutsch. das er mit einem weichen Akzent aussprach, "haben Sie Feuer, mein Herr? .. - Nein., sagte Felix bed:luernd. "ich rauche nichh, und trat unsicher von einem Fu auf den an-deren. Ein peinliches Schweigen entstand. Marcu wandte sich nicht etwa ab. Er schnuppene an seiner kalten Zigarre und I1m-sterte Felix mit forschenden Augen. Sta mmen Sie aus diesem

    On?~ fragte Mareu. Er hob sei nen Arm, setzte sich in Bewegung. und das konnte nichts anderes als eine Ei nladung zu einern Ufer-spaziergang sein.

    Sie emfermen sich drei Kilometer von llafen und rixschem Hotel bis zur Beelkower Nehru ng. Marcu verlangte als erstes zu wissen. was 1:c1 ix berufshalber Ireibe. "Ah. ein Kantor .. , verSef'lte er nickend, .das ist eine Stelle. die wir nicht vergeben. In unseren Kirchen kommen Orgeln nicht vor . Er bat Felix, von seiner fa-milie zu sprechen, er liebe Familiengesch ichten -selber stamme er aus einem KuhdorfOlreniens. wo er seine Kindheit in Armut und Kot verbracht habe. ~Mei ne Kindheitserlebnisse si nd nicht der Rede wen.~

    Stammelnd, mit klopfendem Herzen, berichtete Fdix von sei-ner Familie . Verstehe, verSiehe .. , erwiderte Marcu, "zwei Mahl-

    ~tei ne haben Sie zerrieben, der eine hie .reine Vernu nft. und der .mdere >Irrsinn., vor diesem Schicksal verneige ich mich. mein

    Hcrr!~ Er zog seinen Schlapphut vom Kopf und verbeugte sich. Zu Schu lmeister Kannmachers Spruch vom wurmstichigen

    Ilolz, das sich Menschheit nennt, sch nalZle er anerkennend, und Mathildes Erwiderung .Wir kommen ja nicht aus der Walachei .. Lind er Zum Umwerfen komisch. Sein Deutsch muf~ te er nicht zu-\am menkr-.lmen. Er sprach es flieend, mit singender Stimme _ und bei dieser Stimme karn Felix sein eigenes, karges und eckiges l'ommerndelltsch abstoend vor.

    Als sie im Dunkeln beim Strandbad eintrafen, ruderte Victor Marcu mit seinem rechten Arm, um Fclix zur Treppe zu scheu-lhen, die neben den Badekabinen zum rixschen Hotel hoch-\ueg.

    Seine Gesellschafl erwies sich als bunter Haufen aus L1ndsleuren, die zu bcrunichen Zwecken :111 Spree, Eibe, Oder und Rhei n leb-ten, wo sie bald birteres Heimweh befallen halle. Es befanden sich Sdl/lOHer in Marcus Begleitung: Orchcslermusiker, die stellungs-los waren und seine lkliehungen in Anspruch nehmen wollten; ein adliger Freund. der sich aushalten lid~ - Vietor Marcu beglich ,.1 Hotelkosten, Essen und Kanenspieleinsat'l aus seiner Schatulle; lind ein verfressener K1avicrfabrikanrcnsohn, der nichts anderes 1111 Sinn ha.tte, als Victor Mareu ein Firmeninstrumelll auFw-\lhwal'l,cn.

    Drei von den Vereh rern in seiner Gefolgschaft waren Frauen. llrte Telefonistin mit modischem Bubikopf, eine Schauspielerin JUS Italien und eine Dichlerin, die fuchsteufelswild werden konnte. wenn Schauspielcrin oder lelefonistin es wagten, sein Knie zu befummeln. Let'llere kam aus der Weddinger Gosse und h~ute ein Louermaul, das keine Grobheiten scheure. Wieder und wieder brach grimmiger Slreir aus, den Marcu becndete, indem er I'.lxen schnitt und eine Vorstellung als PanIamine gab.

    '79

  • Vorstellungen W geben, das war seine Leidenschaft - nicht nur am Klavier. Er imitierte den plumpen Klavierfubrikantensohn, der gegen Steinwayklaviert: vom Leder zieht, bis S("ine Gesellschaft in Johlen ausbl1lch. Mit einer anderen Vorstellung, bei der er Faust und sein Gretchen in einer Person spielte. bl"3chte er seine Schau-spielerfreundin Will Schluchzen.

    Marcu war ein belesener Mann. Ob es Goethe und Schiller wa-ren. die er Liliene. Shakcspeare oder Moliere. alle kannte er aus-wendig. Er wechselte von einer Sprache zur anderen, vom Deut-schen ins Englische und Italienische, lediglich Ungarisch konnte er nicht, was er vor seinem Begleiter aus Budapesl weumachte. in-dem er SteHen aus ~Lohengrin" und Figaros Hochzeit. sang, die der Mann von der Oper mit schmeuernder Ihriwnstimme - und Stellen aus Fidelio, La Traviata .. und ~Missa solemnis - erwi dene. Swndenlang tauschten sie Ansichten oder Geschichten aus und muten niemals um passende Opernstcllen ringen, und mUs sie sich stritten, was vorkommen konnte .s.'lngen sie mit besonde-rer Leidenschaft.

    In der ersten Nacht, als sich sein Anhang zerstreut haue. bis auf zwei ineinander verklammerte L1ndsleule - und sei nen drei Freundinnen, die sich gegenseitig bclauenen -. stapfte Marcu ins mitdere Zimmer der Luxussuitt:. wo er siell auf dem Sofa allS' meckte. Er wickelte sich eine Wolldecke um seine Beine. und um es bequemer zu haben, schob er zwischen Nacken und Lehne ZWcl Kissen. Seinen Schlapphut zum Kinn ziehend, winkte er Felix, der scheu und betreten im Zimmer stand, neben sich. ~Kannst du mit einer Geschichte dienen? wollte er wissen, _mit einer Geschichte aus deinem Freiwalde? Ob sie komisch ist oder zu HerLen geht. spielt keine Rolle. Was dir in den Sinn kommt, und wenn du es dir aus den Fingern saugst! Ich brauche Geschichten. um ruhig 'I.U werden .

    Fcl ix war zu benommen von dem, was er in den vergangenen Stunden erlebt harte. Zu einer bcs.scren Geschichte als der von

    ,80

    lien dreiig im Sumpf der Kl"3m-Glawnirz versunkenen Seelemen reichte es nicht. Marcu erhob keinen Einwand und schnarchte, als (' r seine Schauerlegende beendet hane, was Felix ermluigtc, sich .HIS dem Sessel zu schieben.

    .. Willsl du mich allein lassen? wetterte Marcu, .. allein lassen {brfst du mich niehl! Du legst dich aufs Sof.'l. und ich werde mich 111 mein Ben hauen!. Er stapfte zur Spanischen Wand, um in sei-nen Pyjama zu steigen. der schwarlrmgesrreifr lind aus Seide war. und mil einem Tauhen .. GUtC Nacht. kroch er in seine Federn. "Cule Nacht~. sagte Felix und lie sich aufs SOf..l fullen. das bereits .lI1heimelnd warm war.

    Am anderen Morgen erwachte er mit einer M07~lrt.Sonale. HJrfu. im Schlafanzug, mit schwarLem Banschauen, hochste-henden Haaren. sich wiegend und summend, hockee Marcu Olm \teinway. Felix schlo seine Augen und stellte sich schlafend. Er I.lllschte dem munteren ersten San und dem ergreifenden zweiten und scufLU:: vor Seligkeit. Sein SeufLer kam Marcu zu Ohren, der prnmpl seinen Mozart abbrach und mit klatschenden Sohlen zum \ofa marschiene. vor dem er sich breilbeinig aufbaute. _I loch mit lkm Hintern, Herr Kantor. Sie sind an der Reihe. Marsch, m,lrsch. ans Klavier!.

    Felix rappelte sich aus der Wolldecke hoch. Er sollte vor Marcu ' ]lIden, er. der ein mickriger Kirchenchorleiter und Domorga.

    nl~t war? .Das bnn icll nicht, stammelte er. ~Ach was, wider. ' prach Vicror Marcu, _bescheiden sind ausschlielich Lumpen, das .... hreibt euer Goethe. Soll ich annehmen, du seiest ein Lump? ()(Ier deinen Nationaldichier anzweifeln? leh erlaube dir, erst ei-nen Mokka zu trinken. und anschlieend spielst du mir vor. Er flhe zum Telefon. das an der Wand hing, und kurbelte. bi.s er Ver. hmdung bekam, um zwei Tassen mit MSuhanskaffee. zu bestellen.

    Fclix trank seinen bitteren -Sultanskalfee. , der belebender war ..1, ein Bad in der Februarwipper, und sente sich mutig ans Stein-.... . Iypiano. Er stimmte sein achschcs Choralvorspiel an. VictQr

    ,8,

  • Marcu, der eine Zigarre anbrannte, stand lauschend im Zimmer und muc\mc sich nicht. .Mehr., sagte er, _meh r! Goldberg-Varia-tioncn oder Wohlcemperiertes Klavier._

    Zu Anfang lie er sich nieh!s anmerken. Er vt:rLOg keinen Mundwinkel, hob keine Braue und nuckehe schweigend an sei ner Zigarre. Mi! der .Aria ... verfins!ene sich sei n Gesicht . Das ist nicht reif., warf er an einer Stel le ein, um bei anderen zu fauchen: .Erspare mir diese Effekthascherei. Das ist reine Effekthascherei von der billigsten Sone! ... Und als Felix aufgeben wollte, versente er grimmig: .Was ist? Keine Fisimatt:llIen! Schlu machen, das darfst du. wenn ich es verlange!.

    Er wanderte um seinen Stcinway und zeterte: ,.Dei nem ver-dammten Klavierlehrer sollte man alle zehn Finger abhacken!. Oder beschwerte sich: .Kontrapunkt , Menschenskind! Verstehst du den Kontrapunkt nichl? La dich nicht vom Flu linearer Er-eignisse mitreien, Beim Kontrapunkt muI du den Tiefenver-st rebungen folgen. Keine Note kommt ohne Verg

  • Jankcnbcrg aufmachen wollte, um Abschicd vom Schafhirten Pres-seI zu nehmen, st icg Emilic vom Fahrrad und lehntc es an ei ncn Baumstamm. Er betrachtctc sic halb vcrwirrt, halb beklommen. Haue sie seine Absicht erraten, 'lum Reisebegleiter von Marcu zu werden und vor seiner Hochzeit mit Alma Rei.1us zu nchmen?

    Emilie wirkte erregt, und es dauene, bis er in seiner Verwirrung begriff, warum sie sich auff.tl lend komisch anstellte, teils anstek-kend hein::r, Icils wiedcr bcf.1ngen war. Sie hakte dcn Sonnenhut auf eine Astgabel, stieg aus dcn Schuhen und eilte zu m Fahrrad. um sich den Flcchtkorb am Lenker 1.U schnappen, der Spreegu r-ken, Heringe, pf.-umkuchell und eine Hasche Zitronenlimonade etHhiclr, die sic auf eine Decke im Ufergras legte.

    . Hast du keinen Appetit?~ wollte Emilie wissen, als er keine Anstalten maehte. von dcn Leckereien zu essen. -Zu einer Zeit konntest du dich mit Heringen vollstopfen, bis sie dir aus heiden Ohren hingen~, sagte sie mit einem kehligen Lachen, an dcm niclus Befreiendes war. _Du hast recht ~, sagtc er, _als wir Kinder waren, konnte ich das.

    Schlagartig packte sie diese verhangene Stimmung. Sie war nicht mehr munter und legte den Hcring, dcn sie in den Fingern hich. wiedcr aufs Zeitungspapicr . Soll ich sic in den Flu wer-fen? fragte sie schwach. "Und warum?, sagtC Felix mit kraniger Stimmc. _sie werden nicht wieder lebendig.

    Emilics Augen vcrrictcn Bcdauern, dieses schmerLhafte, ticfe Bedaucrn, das er bei dcn Strandaufcmhaltcn bemerkt hanc . lch habe dich in meincm HerLen bewahrt sagtC sie, nicht anders als scinerLCit in der Kcmpinschen Wirtschaft, ~ ich wcrde dich nie-mals verstoen . Und sic sagte andere Dingc, die scine Vcrwirrung und Anspannung steigcrten. "Du weit ja, ich wolhe als Ki nd ci nc Wolke sein, um von eincm Ende der Welt bis zum anderen zu segeln. Und mit dreizehn schrieb ich dem BaHonf.,hrcr Kaulen, er solle mich zu ciner Luftrcise ei nladen. Ich weinte nachts, wenn ich mir vorstellte, er werde sich ei ne andcrc zur Frau nehmen als

    mich. Ich wollte mit Kaulen bis Afrika sch be' . k b d . . . we n tn eitlem Ballon-or, Cf nlc wieder landen mute und unser >vI I ' D' K' d 'd wo lnZlmmer war lese III Cfl een haben mich nie vcrlassen, und als ich dich ken~

    nenlernte, hcftelen sie sich an dich D h . h ' , KI' . I . . u ast IlIiC nm delllcm av~e~sple ergnffen und mit dcillen Geschichtcn von Puddin

    und ZIIlHStangen, die auf unsere Dachspeicher pi dd g E I h .. a crn. r ausc IC Emllic und schaute den Wesnt'n z d' I' k

    1 d H . r- U, le ums a ct I Ht en eflngcn schwirrten. Als ein Windsto E T So hut packte und n I _1111 1(5 nnen-11 d

    zum u we HC, sprang er nicht hoch um den ut aus Cill Wasser z . I '

    . .11 reiten, mn (cm er Zum Meer eilte. kfa~:~:;e bckankl es !lIch, n~it. Ludwig ist praktisch veran lagt. ein

    er, star er, entschiedener Mcnsch und ", ,_,' I" \I,:h' d I . k . ' ..... ner : nt-IC en lCII ;lnn Ich mich aufrichten. KanllSt du das ni I '

    hen) fra . . ' C 11 emsc '. gte sie !raung. Odcr sie s,1gte: .Und wenn du mit Alma

    verhcl ratet bist, wird uns niemand mchr trenncn. Wir W d . \,lIlunenbleil>en b' . k' er eil zu-h . h IS wir vcr nJllcrt und krumm sind.w Sie kon nte \IC nlc t mehr beherrschen und wcinte.

    Es war bereits dunkel aJ . . h -I1 . ' . s sie SIC zum Zeirungspaket mit den crlllgen beugtc, Pfannkuchen und Gurken im Flechtk b

    \lautc E '1' , k or ver-. . Im le Wlf TC eIltsch lulos al' h I. - . d d .. s aue SIC etwas vergessen

    \tan zau ernd vor Fclix und starrte zu Bad S' ," I ' , G . cn. le Ile cn zusal11

    l11en 1115 ras. Sic roHIt:n ans Ufer wo sie sich kl " . d um ammerren und

    lIlelllan cr verscnktcn w; .' . 1FT . as paSSierte, war mcht zu vcrstehen. Und .1 \ .ml I.e, 7.cr/1USt und mit schmu'ligen Kleidern zu R d "I~lIlhte, s~~~ au~ den Sanel schwang, ohne Flcchtkorb un~l So~~ 11m ur uclm J'eld . bo

    I ~eg ell1 g lind im flirrendcn Wei~.cn ver-

    \l lwand, se,lIc er SIch 7. 11 . I, I' . 'u cn ngen lind Gurken und Pf.1flnku-~ l~n. se Ig, vcrlwelfcl! ul1d ratlos.

    M' d H em aus der Fernc erklingenden Glockenschia v S i\1.men erwacht' g on t.

    c er aus seltler Starre und stapfte 1. \'(I; 'd 1.lrlk~nberg Es . h Uf el e :101 . war IllC t schwer, Pressch Herdc z fi d I'

    '.Idl auf der Ber ku . J . U Itl en, ( IC W-, I d ? ppe 111 a le RIChtungen zcrst rellt hatte und das

    lesen an schImmernd befleckte.

  • Presse! selber war nicht zu entdecken. Fclix rief seinen Namen-eine Antwort bekam t:r nicht. Jaulend stand Presseis Hinenhund vor einem Baum, schnuppen e an seiner Rinde und leche sie ab, fing aufs neue zu jaulen und winseln an.

    Diesen einsamen, knorrigen Baum auf dcm Jankcllberg hatte cr bis zum heUligen Tag nicht bemerkt. Fclix krauhe den Presscl-schen Hund an der Kehle und kniff seine Augen 'lusam men. [n den Zweigen, die sich in der Seebrise wiegten, erkann te er einen vcrkrumpehen HUI . Und an t:iner Stelle im Baumstamm ein mil-chiges Augc, verholl.tc, sich knarrend bewegende Lippen. Was sie sagtcn, war nicht zu verstehen.

    In der Nacht, gegen elf, br:l.ch er auf, und beeiltc sich mit sc= i-ncm Koffcr, dcr schwer war, um rechzeitig beim rixschen I lord zu sc=in. Davor standen drei Automobile mitlaufendem Moror. Er sticg in das erste und quctschtt: sich zu Marcus Freundinnen. zwi-schen Tclefonistin und Dichterin , und Vicror M:trcu rief: ~H a i

    dcti! ~ - und los ging's!

    IV

    Ein Spiel mit dem Teufel 1926- 1945

  • Sielaffs seelischer Panzerwagen

    Tror-l. der im Bierlokal laufenden Wenen nahm Alma kein Gift und ging nicht aus Verzweiflung ins Meer. Sie trotzte den Gassen-lungen. Knechten und Arbeitern, die sie mit Pferde- und Kuhmist bewarfen. Sie stelIre sich taub gegen spir-/.c Bemerkungen und Sti-cheleien der Freiwalder Gesellschaft. b falsches Bedauern, ob ehrliches Mitleid - sie blieb kalt und vemaute sich niemandem an.

    Am Sonntag schlo Priebe sie in seine Predigt ein und verglich Alma Sic1aff mit Hiob. Ahsirlerinllell, Hebammen. Bedienstete '>Chneuzten sich. Vater Sidaffbekam feuchte Augen. Alma lausch-te dem Pastor mit hartem Gesicht - und reichte der schluchz.en-den Schwester ein "nlschcIlfUch.

    Im Kempinschen ierlokal waren sich Zollassistemen und Buchhalter einig: An eine Verbindung Emilies mit K.1.nnmachers I udwig war nicht tlH:hr zu denken. SiclalT konnte der Ileirat Ilicht zustimmen. das war er sein('r verlas!>

  • Emilie verkroch sich vor Scham in der Dachbodenkammer, die sie neben der Schwester bewohnte, und zeigte sich nicht. Sie fehl-te am Miuagstisch, anders als A1ma, die sich an den Herd stellte, Socken ausbesserte, den Hinterhof fegte und Feuerhol ... hackte. Alma bekniete den Vater, sich nicht zu verren nen und an seine andere Tochter zu denken, die keine Schuld an der Flucht Fclix Kannmachers habe . Du bist der Meinung, ich sei ein zu stolzer Mensch, um diese Schmach zu ertragen, nicht wahr? .. - .Ja, er-widerte SiclafT, .das bin ich . - _Du sollu:st mich besser kennen,

    Vater~, entgegnete Ahmt, ich bin w stoh, um sie nicht lU enra-gen.

    Diese sich mit der Zeit in Freiwalde verbreitende Antwort ver-half Alma zu dcm Ruf, ei ne starke Person zu sein, die sich von kei-nem Schicksalsschlag umwerfen lie - und im Kempinschen Bier-lokal nannte man sie .Sielaffs seelischen Panzerwagen.

    SieiafT schrieb einen Brief, den sei n L1dengchi.lfe am anderen Miuag zu Kannmachcrs brachte, und tr:1I mit dem Sehulmcister-haus in Verhandlungen ei n. Er war kein versponnener Pillendre-her _ er war ein Kaufmann, und aus I:clix Kannmachcrs 1:lucht vor der Doppelhochzeit wolltc er Kapital schlage n. SiclafT stellte Bedingungen, die halb materieller lind halb ideeller Natur WoI ren. Mit der Emi lic und Ludwig versprochenen Aussteuer konntc er nicht mehr di enen. die als SchadensersarI. - oder Schmen.cnsgdd _ seiner verratenen Alma zustand. Er strich PoltergeseIlschaft und Hochzeitsschmaus. Em ilies Heirat mit Kannmachers Sohn solle oh ne besonderen Aufwand erfolgen, schrieb Sielaff. sei es, um K0-sten zu sparen. sei es. um der peinlichen Aufmerksamkeit zu ent-gehen, die sich mit dem Ereignis verband. Erwas anderes als eine }-loch1.cir im engsten Familienkreis konnte er sich nicht vorsrelIen. Und was den kirchlichen Ablaufbetraf. drang Sielaff auf ei ne Ver-ei nbanmg mir Pastor Priebc, der Emi lic und Ludwig bei Sonnen-aufgang und klammheimlich verehelichen sollte. .

    Alma hatte an SiclafTs Bedingungen nichts zu beanstanden, die

    ein Beweis seiner Zuneigung waren. Und im Rechnen war Alma nich t schlechter als er. Ja, Familie Kannmacher mute bestraft werden. Und es schadete Schwester Emi lie nicht, wenn sie als ar-mes Ding in den Ehestand eintrat. Mit diesem Schu vor den Bug konnte man sie vor Il och muI und Leichtsinn bewahren!

    -Wer von uns beiden hat Anla 7.tI Sedellschmerz. du oder ich?_ schimpfte Alma. als sie an Emilies verschlossene Dachbm-mer klopfte . Wenn du nichts zu dir nimmst, wirs t du am kom-menden Sonntag ein klappriges Scheusal sein . Ein klappriges Scheusal wird Ludwig nicht wollen. Soll er sich am Ende vor dir ,HIS dem Staub machen, wie dieser Sdllawi ner, der stiftengegan-~en ist? Komm aus deinem Zimmer, sonst bin ich nicht meh r deine Schwester!. Mit verheultem Gesicht schlo Emilic auf und warf ~ich, vor Dankbarkeit stam melnd, an Almas Hals . Ist ja ~u[., sagte Alma . ich wei nicht. warum du heulst. Oder willst tlu dich nicht mehr verhei raten, SchwestcrdlclI, und mit mir zu. \,llll lllen vert rocknen? Und als Emilie weinend verneinte, grunzte Alma: ~ Das dachte ich mir .

    Alrna verhandelte Illit Plrrer Pricbe. bis er einer kirchlichen Ilochzcit bei Sonnenaufgang zustimmte. Sie ging Kannmachers Il.lusangesteiller zur Hand. wusch vergilbte Gardinen und pUrJ.:le IIll Wohnzimmer, wo Ill:lll den Hochzei tsschma us einnehmen wollte. mischte sich wieder und wieder beim Kochen und I~acken l'In, belehrte Malhilde mit herrischer Stimme.

    I,udwig Kannmachers kirchliche IIoch7.ei t mit Siclaffs Emilie luhm knapp zehn Minuten in Anspruch - Pfarrer Priebe beeilte \llh. wieder ins Bell zu kommen. Als beide Familien vorm Got-1(',IIJus ein trafen, weigerte sich Vater SielafT beharrlich, Lcopold ".lIInmachers Hand zu ergreifen. Und beim Hochzeitssch maus. ~kn er am Kopfende einnahm - Kannmacher hockte am anderen lude -. sprach er kein WOrt mit dem Schulmeister . Wollen wir 111\ In anstoen? polterte Kannmacher und schwenkte sein Bir-'hlhchnapsglas. SieJafT wandte sich knurrend an Emilie . lch bin

  • nicht in Stimmung~. erwiderte er. ~kan nst du das dem Herrn Schulmeister ausrichten? .. Als Emilie rot anlief. kam Alma der Schwester zur Hilfe . Vater ist nicht in Stimmung. Herr Kannma-cheu _ .Sage dem Schulmeister grummclte Siclaff ich sei in Beerdigungslaune ... Alma 7.3uderte nicht, seine Worte zu wieder-holen, und das mit ei ner Stimme, die heiter und schwungvoll klang, als ob sie den Hackbraten anpreisen wolle, den Kannma-chers Dienstmagd ins Wohnzimmer br:J.chte.

    Alma lie sich vom peinlichen Schweigen nichr anstecken, das von der Bohncnsuppe bis zum Pudding am Sch lu reichte. Sie war von einer grimmigen Lustigkeit, die sich aus den vencrrten Gesichtern der anderen nichts machte. Vater SiciafT blieb reizbar und einsilbig. Leopold Kannmacher reuele sich in den Birnen-schnaps, und Emilie war 1.lI befangen, um zu plaudern.

    Ludwig erging es nicht anders. Um einen klaren Gedanken 1 lI fassen, war er 7.U verwirrt - und zu selig. Auerdem mute er J3 seine Seligkei t vor Apotheker und Alma verbergen, wenn er sie nicht vor den Kopf stoen wollte, und nichts konnIe anstrengen-der sein. Hunger hatte er absolut keinen. Er kaure und schluckte mech:misch, er r:J.uchte und spr:J.ch Vaters irnenschnaps ,.u. Und wenn sich eine Gelegenheit bOl, prete er heimlich Emilies I land. .. Was ist? .. , wollte Al ma erfahren, als Emilie aufseuflte. Endlich lie Ludwig Emilies Finger los, die ef vor Anspannung in seiner Pr:J.nke zerquetscht halte, und Emilie stammelte: .Nichts.~

    Es war Alma, die pausenlos sch nackte und schnackelte ... Zu In-ternatS"LCiten habe ich Briefe an unseren Kaiser verfat, mit der Bille, mich in sei nem Schlo lU cmpfungen. In meinem Back-fischverstand bildete ich mir ein, ich lebte in sei nem besonderen Schun, und bei allen Sorgen um seine Soldaten habe Wilhclm ein Auge auf mich. Es dauerte Monate, bis eine A~lWort ;-intraf, u~d sie kam nicht vom Kaiser, versteht sich. Von emem Empfang IIn Berliner Schlo war keine Rede. Und soll ich euch sagen, was in dieser Antwort stand~ Zum Beweis meiner Kaiser- und Vatcr~

    '9'

    landsliebe solle ich unserem Wilhclm zehn Kinder schenken! Ich war erst vierzehn., bemerkte sie kichernd, IOund nahm mir fest \'or meinem K.1iser zehn Kinder zu schenken.. '

    Vater Siclaff lie Messer und Gabel fallen, die klirrend auf sei-nem Porlcllantcller landeten ... Wie man das anstellt, das wute' ich leider nicht. Ich dachte, es reicht, saure Gurken zu csscn und um Gones Segen zu bitten . Als das nichts half, stah l ich mich alls dem Intern:H. Ich lief zu einem schmut7_igen Gassenjungen, der vor der Schule Kastanien einsammelte, um mir einen Ku abzu-holen .

    Kannmacher verschluckte sich an seincm irnenschnaps. und Vater Sielaff rief Alma zur Ordnung ... Du solltcst uns dicsc Ge-schichte ersparen, mein Kind . - .Vater, es ist keine sch limme Ge~ schichte., erwiderte Alma mit heiterer Stimme, ~dieser Dreckfink verweigerte mir einen Ku. Ja, dieser Dreckfink in widerlich rie-chenden Lumpen verweigerte mir einen Ku! Er lie seinen Sack mit Kastanien f.1 11en und ranllle, als sei er dcm Teufel begegnet. Ist das nicht zum Schieflachen, Vater?

    Niemand lachte auer Alma ... Ach ja. Sprcegurken, Spreegur-ken., winclte sie. Mit der Holzzange fisclHe sie sich eine Gurke aus dem auf der Anrichte stehenden Ker:J.mikporr. ~Es mu GOltes W ille gewesen sein, wenn mir ver5;Igt blieb, dem Kaiser zehn Kinder zu schenken. Gott wute, was von unserem Wilhclm zu halten ist. Bei Nacht und Nebel ins Ausland 7.ll fliehen, dieser

    Feigli ng!~ ~Richtig~, warf K:wnmacller ein, ~einen Tritt hat er sich ver-

    dient. Nichts llcsseres als ei nen Trin in den I lintern! .. _ .Sage dem Schu lmeister .. , polterte Sielaff los, .. er solle nicht politisieren! Wenn wir dicscn Feldzug verloren haben, war das nicht Wilhe1ms Schu ld , das steht man fest. Schuld war der Mangel an Mut und Moral an der Heimatfront. Und wer hat den Kampfgeist zu Hau-'iC versaut? Drohend stierte Sielaff zum Schulmeister. -Ich dachte, wir wollten nicht politisieren., 5.1gte Alma. IOJa, du hast recht,

    '93

  • mein Kind~, brunche Sielaff und wandte sich wieder dem Hack-braten w.

    Alma lie sich nicht kleinkriegen von der erlittenen Schande. Alle zwei Tage besuchte sie Kannmachers, um Schwester EmilieZli hel-fen, die Cl:tras verla.s$(!nes Zimmer ausmistete.

    Diesen Floh halle Alma Emilie ins Ohr gescUl. _Du brauchS( ein Zimmer. in dem du allein sein kannst. Das mur du deinem Mann und dem Schulmeister beibringen.

    Leopold Kannmacher wehne sich nicht, als sein Sohn Muners Zimmer beanspruchte. Mit Claras Heimkehr war nicht mehr zu rechnen. Zweitens harte er nichts mehr im Haus zu vermelden, in dem er sich fremder und fremder vorkam. Vorzeitig hatte er sich pensionieren lassen, was ein heilloser Unfug gewesen war. Ein krankes Herz lie sich nicht in den Ruhestand schicken! Er halle nichtS anderes mehr zu erledigen, als seine restliche Lebenszeit :lb-ZUSI'LCn.

    Es war mageblich Alma, die Cbras Kommode, Matratze und Bettrost wm Dachboden hochschleppre und wegwarf, was alt und vergammel! war. Und zu Emilic, die Skrupel besa, sagte Alma: .. Du wirst dich nicht anstecken, Schwestcrchen. Am Irrsinn kann man sich nicht anstecken ... Sie lie Deckensruck. Ofen und Fuboden ausbessern, kaufte Gardinen und VorhangstofT. Und an einem Vormittag kamen aus Stenin neuer Kleiderschrank und neucs Ben.

    Erst im DC'LCmbcr brach A1ma zusammen. Als sie sich einen Tag in der pommerschen Hauptstadt aufhieb, begegnete sie ei-nem Drehorgdspieler. der eine Ballade zu Schautafeln sang. Auf den als .. Mariechen sa weinend im Garten. bekannten Bedien-stetenschmachtferr.en schmeuerte er seine Spotrverse, die von ei-ner milungenen Doppelhochzeit auf der pomrncrschen Seen-plane h;tndeltcn:

    ' 94

    Er schaute mit Schaudern auf seine Magre und knochige Braut Mit einem Paar krummer Beine Und ledriger Moorleichenhaur Bucklig und rom:lSig schniefend Vorm Traualter in weiem KJeid BaI sie vor Seligkeit triefend: Bis in alle Eh-he-wigkeit.

    Man kann den Verlobten verstehen Wenn er sich aufs Pferd schwang und !loh Und von den pommerschen Seen Galopp rin bis Sarajcwo Au~ Rachsucht beF.thl seine BraU! der Schwcster du kriegst deinen Mann Erst wenn ich den entflohenen Bruder Zu guter Le,lt heir:tren kann.

    Vor Gr:Ull nahm die Schwester zwei Steine Die wogen schwerer als En: Und stand in der Mondnacht alleine Am Klippenrand seufZend im Schmert Sie warf sich in eisige Wasser Oie verschluckten das Kindchen im Nu Am Ilimmelszclt blasser und blasser Schauten Mondmann und Sternjungfrau zu.

    Was Alma besonders in Weiglut versentc, war dieser erfundene tragische Schlu. Als er sich vor den klatschenden Leuten ver-heugte, fing sich der Drehorgelspicler zwei Ohrfeigen Almas ein. die kein WOrt an den speckigen Menschen verschwendete. Sie r.llTre den Rock vor den Schenkeln zusammen und kicHerte in t'lne bimmelnde Pferdebahn.

    ' 95

  • Es war dieses Erlebnis, das sie aus dem Gleichgewicht brachte. Was nurlte es, stark zu sein und seinen Swlz zu bewahren, wenn man sie wr Hexe abstempelte? Wenn sie zu nichtS Besserem mug-te. als von einem Drehorgclspieler verleumdet :LU werden! Wenn man sie in der pommerschen Hauptstadt verunglimpfte! Und was nurne es. Gott 7U venrauen, wenn er sie mit menschlicher Roh-heit belohnte? Als Schiebudenfigur wollte Ainu nicht enden -und in den Augen der Leute war sie ja nichts anderes. Sie be-schlo, aus dem Leben zu scheiden.

    Am folgenden Mittag pfiff sie einem Gassenjungen, der sie ge-gen B~/A1hlung zum Bahndamm begleitete. Er mute sich anstren-gen, SdlTin zu hahen, Alma wolhe den Zug nicht verpassen, der in 'lwam.ig Minuten aus Lauenburg andampfte. Als sie die Gleise erreicht hatten, zog sie einen Strick aus dem Pclzmantel. den sie sich von dem schlotternden SchmurLlink ums Handgelenk kno-ten lie.

    "Du mut mich am Schienenstrang festbinden, hast du verstan-den? .. Sie streckte sich quer zu den Bahngleisen aus . Na, wird's bald? .. befahl sie dem Gassenjungen. der keine Anstalten machte. sich niederzuknien. um Ainus Anweisung Folge zu leisten . .. Wa-rum habe ich dich belA1hh .. , keuchte sie . wenn du dir ins Ilemd machst , du Feigling? ..

    Endlich beugte der Kleine sich vor, UIll mit seinen Fingern ein Loch in den Schoner w graben und zwischen zwei Bohlen den Strick um das Eisen zu schlingen . .. Das ist zu locker .. , beschwerte sich Alma, .. wenn du nicht fester zurrst, kann ich mich wil-der be-freien . _ ~ Fcster kann ich nicht .. , greinte der Kleine. der rorotes Haar hatte lind neun oder zehn war.

    ~ Dir geht es ums Geld. nicht wahr? sagte sie grollend. Gassenjungen iSI ja nichts anderes heilig. Ich habe zeh n Mark mir, lind wenn ich tot bin, darf SI du dir mein Geld nehmen Leine ziehen." - . An Toten vergreift man sich nicht, meillC Dame., versetzle der Junge mit schluch'u:nder Stimme. _Du

    meine Erlaubnis, beruhigte Alma d K I I d . Hand beide Au e b ' . ~s er elen, as Sich mit der ' . g n a wl.schtc. Er weinte um sie und d h

    sie welch. ' as mac te

    _Kann ieh gehen?~ rief der Junge und wollte sich b cl I In der Ferne ein gellender Pfiff .. kl N . a wen en, a s

    .. r ang . ein. erw'd AI ~t;bbhle.ibstd" Scharfe ~~fehle ertei len, das konn:e sie I n~;~: m~:' a mg as an der IOdesa r ' . S h' d ' ngs[, (Ie sie erfat hane, halb an d

    . I.: lene, le Almas Kehle querschte. er I . T~ot7.dem entfernte der Bengel sich nicht. Wollte er sie nicht l_ ein asscn? Oder war es das Geld von de ' . a konnte} -Es . . I I ' ' m er Sich !licht rrennen

    . . ISt nrc 1IS a scm Sehen. nicht wahr)~ fl I d "Imte sagen Sie mir. wenn ich Sie wk-der losma~he~ d'" ["E~unge, \lIe der La b :Ir. rneut

    ein Gr.ollelhl ~:~c::r~:~li~~'!l~i~tll, :~1;~::;C~nl~ie~~r~;sr~:~~~kte ,agte sle.sc wach. . n,

    Als sie den KOllf I b . k . cl

    10 ,cr anllle sie gegen dcn Wie d F I er bedecke d S h sen Ull 'e -

    on en c nee schwarLC Dan f\v Ik V. :~,lr7;iv~i::L~I~lichts zu erkennen. Sie b;ie~an ~ie:~ St:~~ed:~I~~~: g g zum StJdtforst bc.

  • Sic wadHc erst wicder zu Hause auf. Links auf der Be"kalUe hockte Emilie, rechrs Vater Sielaff, der weinend Almas Finger lieb-koste, und Doktor Dehmel behorchte sie mit seinem Stethoskop. .Bin ich Olm Leben? .. bemerkte sie biuer. Fabricius Sielaff erwi-derte: .. Ja, Gon sei Dank, mein Kind .. , und zuckte zusammen, als Alm:! entgegnetc: .Vcrschone mich bitte mil Gott, V;uer! Und dieser Quacksalber soll mich nicht anfitsscn.~

    Alm;1 beglei tete Sielaff nicht mehr, wenn er son ntags zum Kirchgang antrat. Und sic lie Pastor Priebc kalt abblirLen, der sie 1.U Kaffee und Kuchen ins Pfarrhaus einl ud . Mit diesem graus:.-mcn GOll, der sie peinigte, wolhe sie nichts mehr 7.U tun haben. Bitte Gott um Vergebung und sei nicht verstockt, mein Kind .. , $.1g1C Sielaff, wenn er mir dem TischgebeI fertig w:.r, an dcm scinc Tochter sich nicht mehr beteiligte . lch bin nicht vcrsrockt .. , sagte Alm:! . Er ist es. Gon sollie bei mir um Verzeihung bitten." Das war ei ne Antwort, die Siel:lfT elUse(7.te. Und er war halb crleich-tert, als Alma beschlo, zur schwangeren Emilie ins Schulmeister-haus um1.ll1.iehen.

    Bis zu dem Tag, als man Alma bewutlos, mil blutigen Snie-men Olm Handgelenk. vom Bahndamm Freiwaides ins Sielaffi\aus braelue, hattc Em ilie verheim licht, ein Kind auszutragen. Als sie im Dachhodcn1.immer allei n waren, kroch sie 7.ur fiebernden Schwester ins Ben ... Es wird IUlJl'r Kind sein. Alma, ulJur Kind. Nicht allein Ludwig und meines, verstehst du? .. Sie nahm Almas H:md, die sie sich auf den Bauch legte, der warm war und Sch menerl i ngsschwi ngu ngen aussandte.

    Das war ein Versprechcn, das Alm:. nicht mehr verga. Und als sie im Februar '27 vor dem Schulmeisterhaus mit zwei Korrern auftauchte, wagte es niemand, sic wieder Will Vater zu schicken.

    Alma schlief eine Nacht auf dem Wohnzimmersofil, und Olm anderen Mittag entl ie sie Mathilde . Eine Bedienstete brauchen wi r nicht mehr, ich werde in Zukunft den Haushalt versorgen . Leopold Kannmacher spuckte sein Suppen fl eisch aus, und Emilic

    sagte kein WOrt. Niemand veneidigle sie, und Mathilde mar-schierte zur DiensIbodenkammer, in der sie zusammenpackte . . "'"

    sIe an Habseligkeiten besa. Grulos verl ie sie das Schulmeisler-haus, in dem sie im Alter von sechzehn als Dienstmagd begonnen hatfe, und als Emilie seuFae: ,.M:nhilde, es tUt mir leid. Und bitte bcsuche uns, wenn ich mein Kind habe .. , verneinte sie stumm mit dem Kopf.

    In den kommenden Monaten war es Emilics Schwester, dic kochte und einkaufte, "Ieppiche klopfte und Slaub wischle, sich nicht zu schade w:tr, um sechs Uh r aufwstehen, Kohlen aus dem Keller zu holen und Feuer zu machen. Sie stellte das Schulmeister-haus auf den Kopf, bis alle MOllen und Spin nen vern ichtct waren . Man konnte vom Fuboden csscn, der blank poliert war und nach Bohnerwachs SI:lIlk. Mit Lcopold Kannmacher strin sie er-bitrert, als er sie nicht ins SllIdicrlimlller vorlie, in das sie mit Be-sen und Kchrschaufcl ei ndringen wolltc. ~Was ist eine Bibliothek ohne Staub!~ schimpfte Kannrnacher, willst du meinem Zimmer Jen Geist 3ustreiben~ .. Da.~ wiederum lie sich Alm3 nicht bieten. Was sie an Milben und Schaben entdeckte, (;lIId Leopold Kann" macher auf seinem Teller, wenn er sich Olm Mittagstisch nied _ I. a oc.

    Und sie brach einen Si reit mit dem Schwager vom Zaun d C<

    111.\ Lauenburger Geldinstitut seinen Hut nahm, um wochentags Wieder zu Hause zu wohnen lind mehr mit Emilie zusa mmen zu \CII1. Nich t sei n verringertes Einkommen erregte sie, als er im na-hen Sch lawe als Buchhalter anfing. Sch limmer war cs, von wem er \Il:h einstellen lie. Es war kein anderer als Samuel Sch lomow. >'I]th von einem Juden anstellen zu lassen, besudeltcs Geld zu ver-tllenen - vom Juden erpretcs Geld! - war eine Schande! .Schlo-II1I)W hat sich im :

  • . Diesen Wechsel zu Schlomow wird Ludwig bereuen .. , sagte Alma bei einem Spaz.iergang zur Schwester. Auf der Mole von Freiwalde-Bad weiHen eiskalte Briscn. Leinen k1atschtcn an Ma-sren, Gischt spri n te am Bug eines Kuners hoch, der in den Hafen ei nlief. "Das ist ei n Fluch~, zischte Alma . der sich gegen euch richten wi rd. Eure Ehe lind euer Kind!~ Emilie erwiderte nichts und hieh sich beide O hren zu . Das willst du nicht wissen. was? .. giftete Al ma. Emilie, die einem glin.emden Heringsschwarm 7.~ schaute, der sich im Wasser vorm Molenkopf tummelt e, erwi-dert e: . Nein, Alm:l, es ist der Wind ...

    MEs ist der Wind~ sollte zu einer Red ensart werden, die Alma mit Hohn in der Slim me be.nul"l.te, wenn sie bei der Schwester mit Warnungen oder Beschwerden nichts ausrichten k~nnte. Emilie beherrschte es aus dem Effeff, Almas herrische Auftrllte stumm zu erdulden. Aufwbegehren wa r vollkommen fu.l sch, das mute sie reizen und fuchtsteufelswild machen. Und Emilie wollte sie ja nicht zur Weiglut bringen oder verlerlen, besonders in dieser Zeit.

    .Es ist "flur Kind. betome Em ilie wieder und wieder. was Alma als Freischein zur Namensbcstimmung verstand: . Wenn es ei ne Blage wird . mut du sie Alma nennen. - . lch kann d_ir ~~rsichern, es wird keine Blage. Es wircl ein Junge sein ... sagte Emilie. MAch was_, f.'llIchte Alma, . das kann man nie wissen. Glaubst du. dei ne Schwangerschaft macht dich zur seligen Bertha ~ i ms? Di.e kOnlue weissagen, du kan nst es nicht. .. - . Und wen n ICh es dIr sage! .. beharrte Emilie und bi sich elHserzt auf d ie Zunge . Ei ne Gans .. , zischte Al ma, . die schwanger ist, bleibt eine dunllne Gans, und scheuchte Em ilie verbiesterl zur Treppe, auf der sie zum Brix-schen Strandhotel hochstiegen.

    An einem sonn igen Vorrninag, Mille April , als Emilie Pun kt zehn einen Jungen zur Welt brachte, der, Alma zuliebe, mit ers te~ Namen Alfred hie - ein Name, auf dem sie bestanden halle, SCI es aus Rache an Schulmeister Kannmacher, der seinen Schwager

    '00

    als Todfei nd betrachtete, sei es, um sich vor dem Mann zu verbeu-gen, der einen C harakter aus Eisen besa - , klellerle Weidemann von seinem Bock, um im Kannmacherhaus einen Rrief abzuge-ben, der mit italienischen Marken beklebt war.

    Im Hausflur stand Schulmeister Leopold Kallnmacher mit er-himem Gesicht und verwirbehem Haar . Weidcmann! Weide-mann! .. keuchte er . es is t ein Jungd. nahm Weidemanns Pranke und prete sie fcs ter als sonst. . Ach, du liebet Gon , stammelte P~s t kut scher Weidemall ll, Mich komme besser am Nachm ittag Wieder." - Iwo, ~agte K:mnmacher, ~wicderkommen. Wir be-gieen das mit einem Schnaps! .. Weidemann, der seit Mathildes Vertreibung den Fliescngang nicht mehr betrat, wehrte ab.

    Um Kannmacher nicht zu beleidigen, wollte er leutsel ig wissen: . Und wie wird er heien? - ,.Alfred .. , erwiderte Alma an K:lIln -machers Stelle, d ie eincn Bottich mit bhnigem Wasser ins Bad ~chleppte . Fassungslos staunte Weidernan n: MAlfred. All a", und \Ieckre Kallnmacher ei lig dell Brief zu, als Alma den Bot tich ent-leerte.

    Er raunte dem Schu lmeister zu: . Den verstecken Sie lieber. Sonst wird er zerrissen und landet im Iierd fe uer . Und im Nu hockte er auf dem Post ku tschen bock, seine H:lnnoveraner zur Eile .tntreibclld.

  • Pommerseher Holzkopf und Gott 3m Klavier

    Felj" verschwendete keine zehn Zeilen, um seine Flucht vor der Doppelhochzeit zu rechtfertigen, besonders 1.Crknirsch ( oder reue* voll wirkte er nicht. Freiwaide klammheimlich verlassen zu haben, ohne Abschied vom Vater zu nehmen, bedauerte er. Er bereute die Ludwig bereiteten Scherereien mit der Familie SidafT. Zu Alma verlor er kein Wort.

    In seinem Brief an den Vater. der zwei Dutzend randlos be* schriebene Seiten umfate, sprach er mit Begeisterung von den vergangenen neun Monaten. Als Reisebegleiter von Marc.u war Feli" in Budapest, Karlsbad und elgrad gewesen, an Welchscl* und Elbcsrrand, Moldau und Adria, bis er im J:l.fluar '27 ilaliens Hauptstadt erreicht halte.

    Sie be'wgen ein Haus auf dem Aventin, das sein Besir.ocr, ein Reeder aus Brai la, nie nurlte und 'LU ei nem Spoltpreis an MarCH vermietete. Felix bestaume den Giebel, den Eierstabsleisten und Dreischlit1.C zierten, und streichelte eine der Karyatiden im Ein* gang, als Marcu mit den auf der Treppe versammelten lind sich verbeugenden Dienern Bekanntschaft schlo.

    Victor Marcu erteihe Befehle. Er bestellte beim Koch ei ne Vor* speisenplatte, Polema, L1mmkeulen und Schweinekoteleus,. be-auftragte seinen C hauffeur, den verschlammten lind staubIgen Wagen auf Hochglanz zu bringen, schickte '/wei Diener 1.U~1 Hauptbahnhof Termini, um seine P,\kete li nd KolTer z.u holen, dte er der Eisenbahn anvertraut hatte. Schweigend besich tigte er alle Zimmer. Dem maulenden K!avierfabrikanren wies er eine Dienst* botcnkammer im Erdgescho zu, der Telefonistin ein zugiges Dachbodenzimmer.

    Orchcstermusiker und Opefluenor hatte er in der serbischen Hauptstadt veruieben, scinen adligen Freund kur? vorm Auf* bruch aus Prag im Hotelzimrner einschlieen lassen. Der Schau-

    spielerin hane er eine Rolle in Bclgrad verschafft. seine Dichrerin an einen schwerreichen Landsman n verkuppelt. Es blicb sein Ge* heirnnis. wanlm er Klavierfabrikam und Weddinger Telefonistin bis heute verschont halle.

    .. Und was wird aus dem pommerschen Holzkopf?~ beschwerte sich sei ne Berliner egleiterin, ~warum kann der nicht im Dach* boden wohnen?~ Sie betrachtete Feli x halb neidisch. halb feindse* lig. ~Wenn es dir nicht pat, kannst du Lei ne ziehen., grummelte Marcu und wandt e sich ab.

    .. leh vergesse nie. was ich verspreche, du pommerscher Holz* kopf., versicherte Marcu beim Kofferauspacken, -ich werde dich in meine Klasse aurnehmen - Verzeihung, in die unseres armen Sergej. Ich weftt~ , du hast mehr Begabu ng als alle Siovaken, Fran* zosen und Polen zusammen . An seiner Zigarre kauend, lie er sich von einem alterslos wirkenden Diener ernkleiden _ ei nem die-ser schweigsamen und vornehmen Lurtgeister _ und Illarschierte ins dampfende Marmorbad.

    Fclix hatte ein sonniges Zimmer bekommen, vor dem sich zwei Pinien im Mecreswind wiegten, angrem.end an das seines Freun* des, der sich ohne einen Vertrauten in seiner Umgebu ng verlassen und einsam vorkam.

    Im Speisesaal ei nes HOlcls an der Belgrader Donau harre Marcu vom Tod sei nes .. armen Sergej .. erfuhren, ei nes aus Petcrsbu rg sta mmenden russischen Adl igen und Pianisten. Sergej Ivanovs Name war Fel ix bekan nt. Er verehrte den Hofpianisten und Za* renfreund, der ei n strdhlender Stern am Musikhimmel war, einem Himmel, der sich von Paris bis New Vork, von uenos Ai res bis tondon erstreckte. Vor den Bolschewiki war er em igriert, um sei* ner Verhaftung und Liquidation zu entgehen, die angeblich be* \l.hlosscne Sache gewesen war.

    Marcu hane Serge; von Herzen verachtet und bei einem Gast* \piel in Moskau verlautbaren lassen, dessen Flucht in den kapitali*

    '1

  • stischen Westen sei kein VerlusL Ein Scharlatan bleibe ein Schar-latan. Sergej lvanov hat es verstanden, aus seinem Emigr.lI1ten-schicksal Kapital zu schlagen. Mehr hat dieser Mann nicht zu bie-ten." In den sowjetischen Pres.seorganen hatte man diese Spitze begeistert verbreitet.

    Wieder daheim, von Protesten empfangen, bestritt er, sei nen Kollegen in Moskau verunglimpft 7.lI haben. Er sch rieb einen Brief an den . Iieben Sergej .. mit der Bitte. dem Prawdabericht kei-nen C,lallben zu schenken. Postwendend hatte er AntwOrt vom Tiber erhalten. Wenn einer der Prawda mitraue, sei er es, hatte der "liebe Sergej versicher!.

    Mit seinem Schreiben. da~ frei von Beschuldigungen war, konn-te Ivanov Marcll im Handstreich erobern. Sie tauschten Briefe, schworen sich ewige Freundschaft, versprachen sich eine Begeg-nung in Wien oder Mailand - zu der es nicht kam.

    Im lelegramm, das ein Bote im Speisesaal abgab , meldete man dem . verehrten Herrn Marcu~, sein russischer Freund sei verstor-ben. Er werde am kommenden Sonntag in Anwese nheit Mussoli-nis beerdigl. lvanovs Tod sei ein schwerer Verlust. Und man sorge sich um seine Konserv:l.loriulllsklasse aus jungen, hochbegabten Pianisten, Italienern, Fran1.Osen, Siovakcn und Polen. Sergej habe sie bis zum Schlu unterrichtet lind sein let7.ter Seuher sei . Mar-cu ... gewesen. Was man als Verpfl ichtung betrachte.

    Marcu brachte als erstes den Stehgeiger und seine Schranuncl-kapelle Will Schweigen, stemmte sich an der Tischkame hoch und befahl: . Kippt euren Schnaps auf den Fu boden, LelHe. Zu Ehren meines armen Sergej. Tote sind durstig, na wi rd 's bald!~ Dem K1a-vierfabrikantensohn, der es zu schade fu nd, seinen Slibowitz mir ei nem Toten zu teilen, und schleunigst sein Glas leenrank, packte er grimmig im Nacken. E.r SlUmpte sei n schmenhaft verLOgenes Gesicht in den Teller mit dampfender Suppe. Kein Volk auf dem Erdball ist geiziger als diese DeutsChen!.

    Als eine Schweigeminute zu Ehren des armen Sergej verstrichen

    war, sagte er wieder lind wieder, ins Leere starrend: ,.Sein lerner Seuner ist Marcu gewesen., bis er mit der Faust auf den Tisch sch lug. ,.lch sage euch. das ist Erpressung! Sie wollen mich mit ei-nem Toten erpressen. Ich kann nicht in dieses kulturlose Land zie-hen, das von ei nem blutigen Affen regiert wird! Was sie mir amra-gen, ist eine Frechheit! Sergej wird in Anwesenheit Mussolinis beerdigt, folglich mu Mussolini mieh einladen. Dieser blutige A~e mu :lUf seinen Knien rurschen, SOllSt wird es keinen Venrag mit dem Konservatorium geben!.

    Ohne je eine Einladung von Mussolini erhallell zu habcn, ver-pAichtetc er sich zum UllIerricht an der Musikschule Roms. Ei-nen 'Iag nach der Ankunft Olm Tiber lie er sich zum Konservato-f1l1m bringen. Als er wiederkam, meinte er einsilbig: . Schlecht in sie nicht, diese Klasse von Meisrersmdemen ... Er bestellte Klavier-fabrikan t und Weddinger Telefonistin ins Herrenzimmer. um bis zum Morgengrauen Bridge und Canast:1 zu spielen.

    Wenn er zu Canasra und Bridge keine Lust halte, bat er Felix um eine Gesch ichte. Das konnte bei einern Verdauungsspazier_ gang zu r Orangerie bei der Pietro-d'lIliria-Kirche sein, wo sie Ap-felsinen- und Zi rronenduft atmend den naehtschwarlen Tiber be-trachteten. Oder er fand keinen Schlaf und rief Felix _ dem es nicht erlaubr war Zli schlafen, wenn er es niehr konnte _ halb for-dernd, halb weinerlich 7.U sich ans Ber!.

    ~ Was sagte dein Schafhirte, wenn er vom Wind in den Weizen-und Rapsfddern sprach? .. fragre Marcll. ,. ich habe es leider verges-~m . Felix, der seine verquoJlenen Augen rieb, erwiderte heiser: .Was Presse! vom Wind sagte? Er 5.'gre, es sei Gones Hand. Gon \ treichelt sein Land, sagte Schafhirte Pressei, das vor seiner Liebe crschauderr. .. Mareu verserlTC versonnen: .)a, vor seiner Liebe . Er nduete sich in den schimmernden Kissen auf, . Und das mit dem "l t~ub? Wiederhole das mit dem Sraub! .. - Mhm .. , sagre Felix. wlr selen aus Staub, meinte Pressel, zu dem wir am Ende verfal-

    '0,

  • len. Unsere Vorfahren scicn aus Staub, unsere Kindcr und Enkel und allc lebendigen Wesen. Es sei falsch und verwerflich, den Staub zu verachten . - . Ehn und verherrlicht den Staub!. seuf'l. te Marcu, "dein SchaO, inc Presse! hat recht. .. Felix konnte sich nicht mehr zusammenreien. _Wollten Sie mich nicht ins Konservato-rium mitnehmen und mir Klavierstunden geben ?~ - "Herrgon!. schimpfte Marcu, .ich kann endlich einschlafen, und aus purem Eigennutt weckst du mich auf ...

    Er war nic vcrlegen um Ausreden. Erst mu te er ei n Konzerl vorbereiten mit 'Zwei jungen Polen aus der Konservatoriulllsklasse. Als er sich mit der Hauptstadlgcscllschaft bek:ulIlt machte, Thea-tcr. und Opcrnvorstdlungen besuchte und auf ei nem Karnevals-ball als Vampir antrat - eine Verkleidung, die Aufsehen erregte-, hane er keine freie Minute mehr, um seinem "pommerschen Hob.kopf. Klavierstunden zu erteilen. Er frcundetc ~ich mit Poli-tikern und Diplomaten an, Schauspielern und Redakteuren und war bei den adligen Damen belieb!. Vorm Haus hielten KUlSchen und AUtomobile, die Marcu zu Tivoliausflug, Casinobcsuch und Premierenfeier abholten. Ende ]:ebruar brach er ZUIll Gastspiel in Mailand auf. anschlieend zu Rundfunkaufnahmen in Prag.

    Zu Opcrnvorstcllungen oder Gesellschaften lie er sich in. der Regel von Fc1ix begleiten, der hopplahopp! in seinen Frnck Stelg~n mute. Sie brnusten zusammen 'Zu einem Violinkonzert. das elll namhafter Geiger im Pantheon g:lb, oder stiegen vor ei nem Ilabst an der Spanischen Treppe aus, um im Kreis einer Adclsfamilie Austern l.lI schlrfen und Krebse zu essen.

    Ob er Felix als Sohn oder Neffen vorstellte, als jungen Piani-sten, der Weltruhm erlangen werde, als seine rechte Hand oder als taubstummen Diener, war niemals vorhersehbar. Das hi ng von Marcus Launen ab und von den Menschen. die Felix neugierig be-schnupperten. Im Beisein begehrenswerter Frauen spielte er seine Rolle als taubsrummer Bursche, der an einem Kanemisch Plan nehmen mute, zusammen mit affigen Kindern und strengen Er-

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    zieherinnen. Wenn sie in politischen Kreisen verkehrten, war er sein vom Faschismus begeisterter Soh n, der Mussolinis Bewegung studieren wollte.

    _Ich verstehe nichts 'ion Politik. , meinte Marcu 7.erknirscht, ,um mir.ein~ Meinung zu bilden, mu ich meinen Sohn fragen. Er beabSIchtigt, Parlamentarier zu werden, und bei seinem Ehr-geiz schafft er das bestimmt! .. - .. Und was wollen Sie anfangen als Parlamentarier? erkundigte sich ein faschistischer Redakteur _ forschend starrte er Felix durch sein Monokel an _, .. Abgeordne-tenkammern sind Quasselbuden, beserJ:t mit bestechl ichen Lum-pen und Faulpelzen, die sich auf Kosten des Volkes bereichern wollen . - ,. Das sind exakt seine Worte .. , vel"liicherte Marcu, um seinem vermeintlichen Sohn aus der Patsche zu helfen, ~zu kei-nem anderen Zweck will er ins Parlament einziehen, als diesen Schweinestall aUS""Illlnisten. VerlCihen Sie, wenn er nicht anrwor-tet. Sein Italienisch ist fehlerhaft, lind er weigen sich, anders als druckreif zu sprechen ... Das war - ausnahmsweise _ kein Schwin-del. Fclix' gramma tikalische Kenntnisse waren bescheiden, tTOrz. der sechs Wochenstunden, die er !xi einem von Marcu berufenen Hauslehrer nahm.

    Wenn er :115 Mussoliniverehrer an mangelnder Sprachkcnnmis litt und nichts als seine Hand zum fasch istischen Gru heben mute - ralls er es verga, zerrte Mareu verstohlen an seinem Arm -, verging er in Musikerkreisen vor Scham, wo Marcu VOll seinem IJegleiter als aufgehendem Stern am KonlCrthimmcl sprach. Ser-~cj habe mit seiner Konservatoriumsklasse begabte Klavierspider um sich versammelt - .verglichen mit meiner Entdeckung aus

    l)e~HS.chland .. , trornpetete er, ~sind es Nullen und Zwerge. Was meHl Junger Freund am Klavier anstellt, ist, mit Verlaub, eine Re-vol ution! .. - "Warum spielt er nichts vor? .. hie es von allen Sei-tl'll. Fclix hall e den Eindruck, sein Her!. set'le aus. _Von wegen!. cl1Igegnete Marcu mit Hohn in der Sti mme, .. soll er etwa sein Pul. wr verschieen? Was er auf dem Kasten hat, wird er in ei nem

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  • Konzertsaal beweisen - ich verhandele zur Zeit mi t Berlin und Pa~ ris _ und vor der versammelten Wcltpresse, nicht vor einem Hau-fen verkommener Sinfoniker, die in acht Monaten zwei Dirigcn~ ten verschlissen haben.-

    Mit dieser Bemerkung, die sei ne Kollegen in Weiglut ver~ sente, war er aus dem Schneider.

    Felix war cs erlaubt, Marcus Steinway zu nur.t..en, wenn dieser ins KonservaLOrium fuhr und zu anderen VerpAichtungen auf~ brach. Es handel te sich um ein himml isches Instrument , mit einer Mechani k. die reibungslos umsente, was die Tasten befahlen. Bei diesem makellos reinen und vollen Klang lie sich kein Fehler ver~ tuschen. Stu nde um Stunde verbrachte er vor dem Klavier. das den Spieler 1.lL Strenge und Sparsamkei t zwang.

    Bald ka m es zum Streit mit der Wcddinger Tclefonisti n, die r:dix um sei ne bevoITugte Su:llung beneidete . Dei ne Pfuscherei ist nicht zum Aushal!en, f:lUchte sie, ~will st du mich um den Ver-stand bringen? Sie warf mit einem Knall den Klavierdeckel zu, scheuchte Fcl ix vom Schemel und aus dem Musikzimmer. das sie vor seinen Augen verschlo.

    Es verging eine qualvolle Woche, bis Marcu vom Rundfunk~ konzert an der Moldau heimkehrte. Und als er von Felix erfuh r, was passiert war, machte er kU fZC ll Proze. Er lie seine Weddin~ ger Telefonistin vorn Dienstpersonal aus dem Haus werfe n. Dem Klavierfab rikant erging es nicht besser. Marcu schleif te den M:lnn aus dem Dienstbotenloch, wo er schlaff und bequem seine -rage Verra,l ! halle.

    Es dauerte dreiig Minuten, bis sich der K1avicrfabrikantcn-soh n wei nend ins Automobil neben die Weddinger l e lefonistin quetschte, die Marcu beschimpftc. Mich bin keine b illige Schlam-pe, du Schweinehu nd, die man von vorne und hinten besteigt und am Ende ins Klo kippen darf. Kein Loch war dir heilig, du Luder, du fa lsches Aas, du hast mich behandel t, als sei ich ein schmuniges Ofenrohr. Du wirsr es bereuen, walachische Ratte,

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    balkanischer Pipott , du wirst es berell en! ~ heulte sie, als das Au-tomobil auf dem kn irschenden Kiesweg zum Tor rollte. " ~arc.us Verhalten war schwer zu verstehen. Warum verso rgte er J'chx nlll Essen und Kleidung - die er bei einem angeblich im Hause Savoia verkehrenden Schneider anfertigen lie _ und z,1hlte ei nen Lehrer aus sei ner Schatulle? Warum ging er in seiner Beglei-tung zu Opcrnvorstell ungen und Essensci nladungen? An seiner Zu neigung konnte kei n Zweifel bestehen _ um so verwirrender wa r sei n Benehmen. Ins Konservatorium fuhr er alleine, vom ver~ sprochenen Unterricht war keine Rede mehr.

    Als ViclOr M:lrcu kein Geld mehr besa. reiste Bubi G iurgiuC3 aus Bukarest an. Dieser Bubi Giurgiuca w:lr Marcus Verlrauensmann bei dem alle Strippen zusammenliefen. Er handelte Ru ndfllnbllf~ nah men und Kon7.erte aus, fe ilschte mit den Veranstaltern , hielt zu O rchcstern und I'rcssevert re tern Kontakte. Bubi wa r mehr als ein guter Verwalter, der sich im KOIl7.ertbctrieb auskannte und keinen Spa verstand, wen n es um Geld gi ng. Er war seine ~ Ki nderfr.IU K und ~ rcchte Hand. Giurgiuca _ mit richtigem Vorna-men Rom ulus - hielt Marcu von schlechten Gewohnheiten ab, wo er konnte: seiner Verschwendungssucht und seiner Lust, mit erfundenen Geschichtcn zu prahlen.

    Nicht zu verhindern war seine Gewohnheit, in groer Gesell-schaft zu reisen. Bubi betrachtctc MarcHs Begleiter mit Argwohn . und wer sich als frecher Sdllll,lrorzcr erwies, den enrfcrnte er gna-de.nlos. Er h.id t Marcu auf Trab, lind wenn der lieber Bridge "plelte, als sCillen Konzertauftritt vorl.U bereiten, konrlle Bubi zur I'urie werden!

    O hne Bubi Gi urgiuca war Marcu verloren. Angesichts seiner Kollten, d ie leer wa ren, und cines milungenen Gastspiels in Mailand mit Buhrufe n, Pfi ffe n und ei nem Verri im .Corriere. konnte er sich dieser Einsicht nicht melH enTl iehen. *lch komme nicht ohne d ich aus., schimpfte Marcu ins Telefon. verfluchte den

  • Hurensohn, drohtc und schmeichelte, bor an, sein Gehalt zu ver-doppeln. Ein Bubi Giurgiuca lie sich nicht btcchen. Ein Bubi Giurgiuca, der sparsam war bis zum Geiz, erfol greich mit Geldern jongliene und Schmiergelder zahlte. wenn er keine andere W~hl hane. lie sich von niemandem kaufen. Was er verlangte, war eine Entschuldigung.

    ~Warum haben wir uns entzweit, Bubi? Mir ist entfallen, warum wir uns enn:weit haben. Ich kann mich nicht in einer Sa-che entschuldigen, von der ich nicht mehr wei, was es war. Marcu lauschte der Stimme am anderen Ende. ~Na, wenn du nicht mehr weit als ich, kann ich mich nicht entschuld igen! Ro-mulus! flehte er augen rollend, . Romulus! Bubi! Nicht auflegen! Bitte! Kein Mensch kann ein Kriegsbeil begrJ.hen, das spurlos ver-schwunden iSL Na gut_, keuchte der sich im Ohrens~scl flegelnde Marcu. ~ ich knie bereits auf dem Fuboden. Ich knie bereits auf dem Boden, und der ist aus Stein!~ Und als Bubi Giurgiuca ver-sprach, scine Koffer zu packen und hinnen zweier Tage am liber zu sein, spuckte Marcu verstimmt in den kalten Kamin. "Dieser Ilurensohn will meine Seele, das ist es. Er will meine Seele besit-zen!.

    Romulus Bubi Giurgiuca ma keine 1,60, war hager und hatte ein schmales Gesicht, um das sich ein Ilsseliger Ziegenbart rankte, der an seinen Spinen versengt war. Bubi war wasserscheu, Rei n-lichkeit kannte er nicht. Aus seinem Ban roch es rant.ig und sauer, er hane verkninerte, fleckige Hemden an, steckte in monenzer-fressenen Pullovern, und wenn seine Hose ein Loch halte, flickte er es.

    Um so strenger und kleinlicher ging er mit Mareu um, dem er keine schmmzigen Kragen erlaubte. Vor Aufniften legte er sei ne Garderobe fest, zog an Marcus Fliegen, bis sie nicht mehr schief saen. Er verbot Victor Marcu 1.U rauchen, damit dieser sich keine Asche aufs Hemd schnickte. Seinerseits kam er nie olme Glimm-stengel aus, quahme ergiebiger als eine Da.mpflok und nebel re

    seine Umgebung ein . "Bubi steckr sich im Schlaf Zigareften an, wetterte M:ucu . ich wefte, er wird eines Tages sein Bettzeug in Hrand ser/.cn und bei lehendigem Leibe verkohlen.~

    Bubi Giurgiuca verlor keine Zeit, als er in der Tibetstadt ein-traf. Er machte sich in einem Erdgescho1.immer breit, das der Reeder aus Braila ZUIll Hilbrdspicl nu'ae. i llard- und Raucher-tisch lie er enrfernen, schaffte Regale und Rechenmaschine an und schrieb einen Antrag auflwci lclefonleitungen, den er selber I.ur Postdirektion brachte - nicht ohne sich vorsorglich Geld ein-zustccken. Zwei persische Teppiche muten Europa- und Welt-karte weichen, die er an der Mauer befestigte. Er versah sie mit Wimpeln in Wei, Gelb und Rot und in winziger Handschrift Ix-krit7.clten Zelteln.

    Grimmig kam Bubi Giurgiuca ins Iierrelllimmer. ~Dein Ver-trag mit dem Konservatorium ist ei ne Schande., schrie er in ISdlaikowskis Klavierkonzert. "Und du bist ein Ban:Hlse~. erwi-

    derte MarCli rauh. ~ Und was du mit der Steinway-Venfetllng ver-einhart hash. keifte Bubi und drehte den Grammopholllrichter I.ur Wand, "ist ein Abschlu :Iuf Leher1S7.cit. Ein Abschlu auf Le-bensLCit , bist du von Sinnen? Und bei deinen Rundfunkaufnah-men in Prag hast du nicht einen Pfennig verdien!. Dich kann man keine Minute allein lassen., tobte Bubi und ri sich verlweifelt ,Im Ziegenbart.

    Gegen Fclix verhieli er sich mitrauisch. Vorteile bot seine Ge-genwart keine. Sie verursachte laufende Kosten, sonsl nichts. .Warum braucht dieser Mensch ei nen Sprach lehrer? wollte er wissen, "warum einen Anzug vorn Maschneider?~ _ .Oh, den braucht er, den braucht er .. , entgegncte Mareu mir einer Entschie-denheit, die keinen Widerspruch duldete, Her soll mich zum Bot-\lhaftscmpf.-lIlg bei den Briten begleiten ...

    Vcrgeblidl warb Felix um Bubis Vcrtrauen. Ein Bubi Giurgiuca hesa keine Freunde und machte sich nichts aus Beziehungen zu 'rauen. Wcnn es notwendig war, ging er in ein Bordell. Es kam

    2"

  • wesendich billiger, mit sieben Huren zu sch lafen, als sich eine Freundin zu halten. Er hane nichts als seine Arbei t im Sinn, in die sich kein anderer einmischen durfte.

    Furchtsam trat I=elix ins Erdgeschozimmer. in dem Bubi Giur~ giuca gleichzeitig mit Wien und New York sprach - in grauenhaf-tem Englisch und holprigem Deutsch ... Ich kann Bleistifte anspit~ zen, Marken befeuchten und Briefe in Deutsdl oder Englisch verfassen . , bot er dem telefonierenden Bubi an. Giurgiuca stie nichts J.ls ei n warnendes Knurren aus, und Felix beeilte sich. Leine w ziehen.

    Als er um acht Uhr ins Ezimmer schlurfte. trank Bubi Giur-giuCl sechs Eier im Stehen. Er bohne ein Loch in die Schale und kipptc das schlcimige Eiwei samt Dom:r in sei nen Rachen. Als vier Wochen vorbei waren, erledigte er das nicht mehr mit ver~ knifTenem Gesicht. Bubi konnte Erfolge vermelden: eine Reise mit Gastspielen in Bucnos Aires und Rio, Santiago de Ch ile und Me-xiko-Stadt. auerdem zwei New Yorker KOIl1.erte und Rundfunk-aufnahmen mit Berlins Philharmonikern. Es werde Geld regnen, teilte er strahlend mit, sert.le ein Ei an und schlurfte es leer. Eigelb rann in seinen Ziegenb:lTI. ~Du bist absohll widerlich~, kramerte Mareu. Mkan nSt du nicht besser aufpassen mit deinen Eiern?_ -.. Es wird Geld rcgnen. kicherte Buhi Giurgiuca und schm ierte sieh Eidotter an seine Weste.

    [n ei ner warmen und sternklaren Nacht, als er auf einer eiser-nen Gartenbank hockte, erlaubte er Felix. sich an seine Seite zu serzcn. Ein riesigcr, roter Mond rollte am Hi mmel. ums Haus huschten Fledermaussch:men, und Bubi Giu rgiuca sog gierig an seinen Zigarrellcn. ~lch kann mich mir Marcu nicht einigen~, sagte er endlich. _der wieder ein anderes Programm spielen will als das mit den New Yorkern vereinbarte. Wir brauchen Bekannteres als Schumanns ,Sinfon ische Studicn. Du mut mir helfen und diesen IdiOten beeinflussen . Konnte es eine bessere Gelegenhei t geben, mit Bubi vertrauter zu werden? .lch wwe, er wird sich von

    mir nicht beeinflussen lassen, entgegnete Felix bedauernd, ~ich bin in seinen Augen ein NiclllS.~ - .Ach was .. , sagte Bubi. "er hat eine bessere Meinung von dir, als du denkst. Und wenn du es sch lau anstellst. spielt er, was dir in den Kram pat. Wenn du zum Beispiel von M07~1rr behauptest, er sei ein musikalischer Simpel gewesen und seine Kompositionen seien frivol, wird er ausschlie~ lieh M07..3rt spielen wollen. Bei mir klappt das leider ni cht mehr. Er kenm meine Schliche und Kniffe bereits .

    Felix versprach seine Hilfe . Mhm., machte Giurgiuca erleich~ rcn, ~er hat einen Knacks abbekommen, ;Ils seine lleana starb. Den Tod seiner Frau hat er niemals verkraftet. .. __ Er war verheirater? .. stammelte Felix. - .. Oh ja, das verschweigt er ... erwiderte Bubi und srcrkte an seiner Soh le ein Streich holz in Brand. Um an die~ sen Schmer!. nicht eri nnert zu werden, weigert er sich beharrl ich, sein Kind zu besuchen, d:u bei einerTante in IJukarest lebt ...

    Vietor Marcu bcsag eine lochter! Und er stamnue nicht aus ei-ner Bauernfamilie . .. Aus einer Bauernf

  • Es war schwer zu entscheiden, ob diese Geschichte der Wahrheit entsprach oder Bubis Erfindung war. Verwirrenderweise verbrei ~ tete Marcu bei ei ner Gesellschaft in Tivoli, sein Assistent sei ein Gerichtsschreiberspro. Kleinlichkeit, Habgier und Knickerigkeit habe er von seinem Vater ererbt. Im Allgemeinen sei Bubi ei n Menschenfeind, und besonders verachte er Frauen, was wiederum mit diesem schamlosen Flinehen zusammenhinge, das seine MUl~ ter gewesen SC I.

    Und ich bin ein Findelkind. , sagte er i'U ei nem namhaften Kri tiker vo m "Messagero~, _ein Findelkind aus den Karpaten. In den ersten zehn Monaten Icbte ich bei einem Wolfsrudel, trank Wolfsmilch und lernte, den Mond anzuheulen . Und er stim mte ei n schauriges Heulen an, das jeden Zweifel an seiner Behauptung i'.crstreute.

    Wenn er kein Findelkind war und nicht aus ei ner Bauernf.lm i ~ lie Stam mte, war Marcu entfernt mit Mihai, dem Tapferen, ver-wandt, harte angeblich adlige Ahnen, blaues Blut, was er vor Ba~ ronen und Grafen betonte.

    .Mein erstes Konzert halte ich in Paris~, sagte Mareu zu einer Conte5S.1, die an der . Ecole normale de musique~ studiert halle. _Das war minen im Krieg, meine Liebe. Dieses Kom.crt hat den Weltkrieg entscheidend binflut. Mit meinem Auftritt verlieh ich dem Publikum, in der Hauptsache Offiziere und Soldaten, neue Kampfmoral. Frankreich verdankt mir den Sieg!.

    Diese junge Contessa, Giovanna Lopapa, war Anfang zwanzig und bereits verwitwet. Sie langweilte sich am Ihaccianosce, wo sie ein Anwesen von sieben Hektar besa. Sich in der Hauptstadtge-sellschaft '1.U tummeln, ins Theater zu gehen und Konzerten zu lauschen, konnte sich eine [aufrische Witwe nicht leisten. Um so dringlicher haue sie Marcu in Briefen zu ei nem Besuch in den Bergen ermuntert.

    Diesen Ei nladungen hane cr widetstanden, bis er der Wi twe leibhaftig begegnet war, die sich als anziehend, lebhaft und klug

    erwies. KU/'7.Crhand brach er zu einem Ausfl ug ins Bergland auf. -Und warum hat Frankreich kein Denkmal errich lel, das Sie als V:lterlandsrener verehrt? erkundigtc sie sich mit Spon in der Stimme. Felix. der wieder sein taubstummer Diener war und auf der sonncnbcschienenen Terrasse am glinernden See einen Sche-mel im Schatten ~hockte, rt."Chnere mit einer scharfen Erwiderun Marcus. Er ertrug keinen Spott. Von wegen. -Sie haben ja rocht.~ sagte Marcu erheirert , "tun ein Denkmal hat man mich bis heute bet rogen. Gerechtigkeit ist ein Fremdwort in unserer Welt!

    Sie verplauderten Stunde um Stunde und fanden kein Ende. Sich in der Hio:e dem Schlaf zu verweigern fiel Feli x schwer. Pinien und Palmen am Seeufer fl irrten im warmen Wi nd und GioVOlnna Lopapa in weiem, besticktem Kleid, mit weiem' Son-nenschirm und weiem Hut und weiem Gesich t, das ein Ne['l~ ~hleier halb verbarg, verflimmerte vor seinen Augen. Als sie end-lich, um Mitternacht, aufbr.lchen, prete sich Marctl ins Polster und seunte. Er zerrte am Schlapphut und schwieg, bis sie wieder daheim waren - und wenn sich Marcu nicht mitteilte, war er er-griffen!

    , Er hatte sich in Giovanna verliebl und besuchte sie alle drei lage. Bei sei ner KonservalOri umsklasse lie er sich von Bubi (~iurgiuca emschu ldigen, von anderen Verabredungen wollte er mchts mehr wissen. Wenn er nicht zum BraccianoStt aufbrach hlicb Marcu zu Hause und serac sich an seinen Stei ll way, spielt;

    ~Wohllempcriertcs Klavier. oder Schumanlls .Sinfonische SI U-dien .. mil einer leidenschaft, die er in letzter Zeit hatte vermissen I.lssen . Ja , Leidenschaft braucht er. Mit Leidenschaft wird er zu (;Oll ~ , sagte Bubi und nickte begeistert.

    Nicht begeistert war er von den Ausgaben Marcus, der seiner (,Iovanna Armreifen und Ringe verehrte. -Sic ist millionen-

    \dl\ver~, wellerte Bubi am Mittagstisch, . kann sich vor Schmuck nicht mehr retten, und du wirfst dein Geld einer slei nrcichen Frau 111 den Rachen?~ Um sich mit Bubi zu streiten,