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1 E. Klemm, FD Chemie, 2000/2001 Einführung zu den Themen: Frontalunterricht, Projektunterricht und fächerübergreifender Unterricht. Zu den Unterrichtsformen Die Verfasser des Werkes „Das Methoden-Repertoire von Lehrern“ (1985) Klaus Hage u. a. unterscheiden im Unterricht die drei folgenden Sozialformen: Klassenunterricht, Klassenkooperation und Gruppen-, Partner- und Einzelarbeit. W. Klafki spricht in seinem Werk „Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik“ (1985) von vier Grundformen des Unterrichts: Lehrgänge, Trainingsunterricht, Projektunterricht und Unterricht in Gestalt relativ eigenständiger, fachlicher oder fächerübergreifender Themen. Meine eigene Einteilung erfolgt in „Lehrerorientierten Unterricht“ und „Schülerorientierten Unterricht“. Ich möchte die beiden Begriffe erläutern. Lehrerorientierter Unterricht enthält für mich den Frontalunterricht und die vom Lehrer ausgehende Diskussion zu bestimmten Themen. Zum schülerorientierten Unterricht zählen für mich alle Unterrichtsformen, bei denen der Schüler/die Schülerin im Mittelpunkt steht, z.B. Projektunterricht, Freiarbeit, fächerübergreifender Unterricht, Schülerübung, Schülerexperiment, usw. Ich finde, dass der Lehrervortrag und der Lehrerversuch (Lehrerdominanz) ein wenig zurücktreten sollten, zugunsten des handlungsorientierten, aktiven und sozialen Lernens (Schülerdominanz). Die Untersuchung der American Audivisuell Society über menschliche Behaltensleistungen bestätigt auch die Sinnhaftigkeit dieser Unterrichtsformen: Danach behalten wir 20% von dem, was wir hören, 30% von dem, was wir sehen, 80% von dem, was wir selber formulieren können, und 90% von dem, was wir selbst tun. (vgl. Bastian, S. 53). Erzähle mir, und ich vergesse, zeige mir, und ich erinnere, lass es mich tun, und ich verstehe. (Konfuzius) Zu den Begriffen Zum Frontalunterricht (frontal = vorn, an der Stirnseite befindlich). „Frontalunterricht ist eine Sozialform des Unterrichts, und zwar Klassenunterricht mit den beiden Varianten Lehrervortrag und Frageunterricht.“ (Aschersleben, S.7). Hierbei handelt es sich um den modernen Frontalunterricht. Anmerkung: Lehrervorträge sind anstrengend, denn zuhören ist eine anstrengende und ermüdende Tätigkeit (inaktiv sein). Die Lehrerfrage ist vor allem ein Unterrichtsimpuls. Sie kann aktivieren, dirigieren, motivieren, prüfen, usw. Johann Amos Comenius (Jan Komensky) (1592-1670) gilt als Vater des Frontalunterrichts. In der Didactica magna schreibt er: „Die Schul ist eine Werkstatt, in welcher die jungen Gemüter zur Tugend geformet werden, und wird abgetheilt in Classen. Der Schulmeister sitzt auf dem Lehrstuhl; die Schüler auf Bänken: jener lehrt, diese lernen. ........... Etliche schwätzen und erzeigen sich mutwillig und unfleissig: die werden gezüchtigt mit dem Bakel und der Ruhte.“ (Aschersleben, S.13). Die Reformpädagogik (1930) mit Maria Montessori, Rudolf Steiner, usw. stellte den damals üblichen Frontalunterricht sehr in Frage. Die Forderung nach Pädagogik vom Kinde aus, die Förderung der kindlichen Spontaneität und Aktivität, usw. waren gemeinsame Anliegen der reformpädagogischen Bewegung. Die Alte Schule (Wissensschule) ist wesentlich auf Hören eingestellt, in zweiter Linie auf Sehen, nicht aber auf Tun. Die Schüler verhalten sich vorwiegend rezeptiv; es herrscht bei ihnen wenig Selbstbetätigung, die produktiven Kräfte verkümmern. Die Schule sieht nicht das Kind, sondern nur

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1 E. Klemm, FD Chemie, 2000/2001

Einführung zu den Themen: Frontalunterricht, Projektunterricht und fächerübergreifender Unterricht. Zu den Unterrichtsformen ♦ Die Verfasser des Werkes „Das Methoden-Repertoire von Lehrern“ (1985) Klaus Hage u. a.

unterscheiden im Unterricht die drei folgenden Sozialformen: Klassenunterricht, Klassenkooperation und Gruppen-, Partner- und Einzelarbeit.

♦ W. Klafki spricht in seinem Werk „Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik“ (1985) von vier Grundformen des Unterrichts: Lehrgänge, Trainingsunterricht, Projektunterricht und Unterricht in Gestalt relativ eigenständiger, fachlicher oder fächerübergreifender Themen.

♦ Meine eigene Einteilung erfolgt in „Lehrerorientierten Unterricht“ und „Schülerorientierten Unterricht“. Ich möchte die beiden Begriffe erläutern. Lehrerorientierter Unterricht enthält für mich den Frontalunterricht und die vom Lehrer ausgehende Diskussion zu bestimmten Themen. Zum schülerorientierten Unterricht zählen für mich alle Unterrichtsformen, bei denen der Schüler/die Schülerin im Mittelpunkt steht, z.B. Projektunterricht, Freiarbeit, fächerübergreifender Unterricht, Schülerübung, Schülerexperiment, usw. Ich finde, dass der Lehrervortrag und der Lehrerversuch (Lehrerdominanz) ein wenig zurücktreten sollten, zugunsten des handlungsorientierten, aktiven und sozialen Lernens (Schülerdominanz). Die Untersuchung der American Audivisuell Society über menschliche Behaltensleistungen bestätigt auch die Sinnhaftigkeit dieser Unterrichtsformen: Danach behalten wir 20% von dem, was wir hören, 30% von dem, was wir sehen, 80% von dem, was wir selber formulieren können, und 90% von dem, was wir selbst tun. (vgl. Bastian, S. 53).

Erzähle mir, und ich vergesse, zeige mir, und ich erinnere, lass es mich tun, und ich verstehe. (Konfuzius)

Zu den Begriffen Zum Frontalunterricht (frontal = vorn, an der Stirnseite befindlich).

„Frontalunterricht ist eine Sozialform des Unterrichts, und zwar Klassenunterricht mit den beiden Varianten Lehrervortrag und Frageunterricht.“ (Aschersleben, S.7).

Hierbei handelt es sich um den modernen Frontalunterricht. Anmerkung: Lehrervorträge sind anstrengend, denn zuhören ist eine anstrengende und ermüdende Tätigkeit (inaktiv sein). Die Lehrerfrage ist vor allem ein Unterrichtsimpuls. Sie kann aktivieren, dirigieren, motivieren, prüfen, usw.

Johann Amos Comenius (Jan Komensky) (1592-1670) gilt als Vater des Frontalunterrichts. In der Didactica magna schreibt er: „Die Schul ist eine Werkstatt, in welcher die jungen Gemüter zur Tugend geformet werden, und wird abgetheilt in Classen. Der Schulmeister sitzt auf dem Lehrstuhl; die Schüler auf Bänken: jener lehrt, diese lernen. ........... Etliche schwätzen und erzeigen sich mutwillig und unfleissig: die werden gezüchtigt mit dem Bakel und der Ruhte.“ (Aschersleben, S.13).

Die Reformpädagogik (1930) mit Maria Montessori, Rudolf Steiner, usw. stellte den damals üblichen Frontalunterricht sehr in Frage. Die Forderung nach Pädagogik vom Kinde aus, die Förderung der kindlichen Spontaneität und Aktivität, usw. waren gemeinsame Anliegen der reformpädagogischen Bewegung. Die Alte Schule (Wissensschule) ist wesentlich auf Hören eingestellt, in zweiter Linie auf Sehen, nicht aber auf Tun. Die Schüler verhalten sich vorwiegend rezeptiv; es herrscht bei ihnen wenig Selbstbetätigung, die produktiven Kräfte verkümmern. Die Schule sieht nicht das Kind, sondern nur

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das spätere Leben. Die Vertreter der „Neuen Schule“, wie z. B. Georg Kerschensteiner und Peter Petersen äußern eine konsequente Kritik am Frontalunterricht, ohne den Blick für das Machbare in der Schulwirklichkeit zu verlieren. Z.B.: Der klassische Frontalunterricht vernachlässige sozialerzieherische Ziele der Schule .... vor allem bei der Verwirklichung ... Der klassische Frontalunterricht unterdrücke die Eigenständigkeit und die Eigentätigkeit des Schülers ebenso, wie er in einer scheinbar homogenen Schülergruppe individuelle Unterschiede zwischen den Schülern nicht berücksichtig (vgl. Aschersleben). Zum Projektunterricht Der amerikanische Philosoph und Pädagoge John Dewey (1859-1952) ist der Vater der Projektidee. Seine Äußerungen zum Projektunterricht sind meiner Meinung nach sehr treffend: “Nicht allein das sinnliche Erfahren und Tun ist gefragt, sondern Möglichkeiten der denkenden Erfahrung“, oder „ein Gramm Erfahrung sei besser als eine Tonne Theorie“. Kilpatrick – ein Schüler Deweys – formuliert 1918: „Projektunterricht ist planvolles Handeln von ganzem Herzen, das in einer sozialen Umgebung stattfindet.“ (Bastian, S.25).

Besondere Bedeutung hat für mich das Projektlernen im Fachunterricht, das auch bewertet wird (unser zwei- bzw. dreistündiges Fach erlaubt es kaum einige Wochen ausschließlich einem sozialen Prozess zu widmen).

Projektschritte:

♦ Erster Schritt – Die Themenwahl (Lebensbezug und Situationsbezug muss vorhanden sein. Dann erwacht der Wunsch nach Erkenntnis aus dem Inneren heraus).

♦ Zweiter Schritt – Die Planung unter Berücksichtigung der Selbstorganisation und Selbstverantwortung der Schüler/Schülerinnen (Entwicklung eines gemeinsamen Planes zur Lösung).

♦ Dritter Schritt – Die handlungsorientierte Auseinandersetzung mit dem Problem unter Einbeziehung möglichst vieler Sinne (ausprobieren von Lösungen, ziel- und produktorientiertes Arbeiten).

♦ Vierter Schritt – Die Überprüfung des Erarbeiteten (Produkt) an der Wirklichkeit.

Wird Lernen in der Schule als Handlungsprozess im Sinne einer aktiven, zielorientierten und reflektierten Tätigkeit organisiert, dann steht nicht mehr die didaktisch geschickte Aufbereitung des Lehrstoffes im Mittelpunkt, sondern die auf Erkennen gerichtete Planung und Realisierung von Handlungsprozessen der Schüler und Schülerinnen. Zum fächerübergreifenden Unterricht Man versteht darunter diejenigen Ansätze, die die Verfächerung aufbrechen. Man unterscheidet zwischen folgenden Formen eines fächerübergreifenden Unterrichts:

♦ Der fächerüberschreitende Unterricht (es wird dabei bei der Behandlung eines Themas auf die Erkenntnisse und Sichtweisen anderer Fächer zurückgegriffen),

♦ der fächerverknüpfende Unterricht (dazu braucht man ein überfachliches Konzept an der Schule – verbindliche Absprachen in der Fachkonferenz),

♦ der fächerkoordinierende Unterricht (zu einem Oberthema steuern die einzelnen Fächer ihren spezifischen Beitrag bei) und

♦ der fächerergänzende Unterricht (ist keinem bestimmten Fach zugeordnet, ein interdisziplinäres Thema wird behandelt - meist als Wahlpflichtfach angeboten) (vgl. Häußler).

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3 E. Klemm, FD Chemie, 2000/2001

Zur Leistungsbeurteilung „Für die Beurteilung von Lernprozessen, die mehr erreichen sollen als die Fähigkeit zur Reproduktion von Wissen, liegen bislang keine Konzepte vor. Die Literatur schweigt sich aus, aus der Praxis ist wenig bekannt.“ (Bastian, S. 15).

Seit Jahren bin ich auf der Suche nach Literatur zur Bewertung von Projektarbeit im Fachunterricht. Gefunden habe ich lediglich eine Auflistung von Beobachtungsbereichen in der Partner-, Gruppen- oder Projektarbeit: persönlicher Anteil am Ergebnis, Durchsetzung seiner Idee, Übernahme unangenehmer Aufgaben, Hilfestellung den anderen Gruppenmitgliedern gegenüber, organisatorische Tätigkeiten, usw.

Im Laufe meiner langjährigen Praxis habe ich viele Erfahrungen gesammelt. Bewährt hat sich grundsätzlich immer, Schwerpunktsetzung und Art der Leistungsbeurteilung aufeinander abzustimmen. Wenn man erste Schritte wagen will und ein geeignetes Thema projektorientiert bearbeitet, dann sollte man sich dafür entscheiden die Leistungskontrolle weg zu lassen, um sich ganz dem sozialen Prozess widmen zu können.

Nachdem ich in manchen Klassen etwa die Hälfte der Unterrichtszeit projektorientiert gestalte, frage ich geeignete Bereiche der selbständig bearbeiteten Themen in traditioneller Form ab:

♦ schriftliche Wiederholung/Mitarbeitsüberprüfung der enthaltenen Grundlagen

♦ Inhaltliche Bewertung des Produktes, Seriosität beim praktischen Arbeiten und bei der Auswertung der Ergebnisse

♦ Kurzstatement über die Erkenntnisse und aufgetretenen Probleme.

Ergänzt werden muss diese objektivierbare Form der Leistungsbeurteilung durch die Bewertung des Arbeitsprozesses. Dieser für mich wichtigste Bestandteil des persönlichen Einsatzes darf nicht fehlen.

Zur Zeit arbeite ich daran, die Schüler mehr in den Prozess der Leistungsbeurteilung einzubeziehen und ihre eigene Reflexion machen zu lassen. Im Vordergrund steht die Betrachtung der inhaltlichen und sozialen Aspekte. Das verpflichtende Stundenprotokoll der Schüler ist dabei eine große Hilfe für beide Seiten.

Zur verwendeten Literatur Karl Aschersleben: Frontalunterricht - klassisch und modern. Luchterhand Verlag,1999. Johannes Bastian/Herbert Gudjons(Hg.): Das Projektebuch II. Bergmann + Helbig Verlag, 1990. Münzinger/Frey(Hrsg.): Chemie in Projekten. AULIS VERLAG DEUBNER & CO KG, Köln 1999 BMUK (Hrsg.): Schule gestalten – Projekte. Verlag G. Grasl, 1988. Arbeitsgruppe Oberkirchner Lehrmittel (Hrsg.): Das AOL Projekte-Buch. Rowohlt Verlag, 1986. Peter Häußler, Wolfgang Bünder, Reinders Duit, Wolfgang Gräber und Jürgen Mayer: Naturwissenschaftsdidaktische Forschung - Perspektiven für die Unterrichtspraxis. Institut für Pädagogik der Naturwissenschaften an der Universität Kiel. Dietrich Stollberg: Lernen, weil es Freude macht. Einführung in die Themenzentrierte Interaktion. Zweite korr. Auflage. Kösel-Verlag GmbH & Co: München, 1990. Barbara Langmaack: Themenzentrierte Interaktion. Einführende Texte rund ums Dreieck. – Weinheim: Psychologie-Verl.-Union, 1991. Heinz Klippert: Methoden-Training. Übungsbausteine für den Unterricht. 9. Aufl. Weinheim und Basel: Beltz Verlag, 1994. Thomas Seilnacht: Pädagogisch-didaktische Überlegungen zum projektorientierten Unterricht 2000, www.seilnacht.tuttlingen.com Thomas Seilnacht: Komplementäres Lernen und Verstehen im naturwissenschaftlichen Unterricht. 1998, www.seilnacht.tuttlingen.com