Einflüsse auf den Spracherwerb bei Kindern mit Cochlea ... · CI, die eine komplexe Grammatik...

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Vorbemerkungen Das auffallendste Merkmal des Spracherwerbs bei Kindern mit Cochlea Implantat (CI) ist seine enorme Variabilität. Die- se Beobachtung findet sich in fast allen Studien und in den verschiedensten Sprachen. Warum individuelle Kinder so un- terschiedlich sind, ist eine der interessantesten und unge- klärten Fragen der aktuellen Forschung. In diesem Artikel möchte ich versuchen, auf diese Frage einige Antworten zu geben. Ich werde mich dabei überwiegend auf die Ergebnis- se der neuesten Forschungen unserer ehemaligen Arbeits- gruppe an der Universität Oldenburg 1 stützen, die von 2005 bis 2008 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geför- dert wurde und die vorwiegend in Kooperation mit dem Cochlea Implant Centrum Wilhelm Hirte in Hannover statt- fand 2 . In der Darstellung unserer Forschungsergebnisse ist eine genaue Beschreibung unseres methodischen Vorgehens ent- halten. Das beinhaltet eine Beschreibung der Stichprobe von Kindern und Eltern, unser Forschungsdesign und die statisti- schen Analysen unserer Ergebnisse. Für jede Forschungsfra- ge gibt es auch eine zusammenfassende Darstellung der Er- gebnisse. Wer sich nur für die inhaltliche Darstellung der For- schungsergebnisse interessiert, kann die methodischen Teile übergehen und die zusammenfassenden Darstellungen lesen. Individuelle Variabilität Wie sieht die Variabilität aus? Die Abbildungen 1 und 2 sol- len das verdeutlichen. Die Abbildungen zeigen den Verlauf des MLU (Mean Length of Utterance) über die Zeit des frühen Spracherwerbs bei zwei Stichproben von Kindern mit Cochlea Implantat. Das MLU stellt die durchschnittliche Äußerungs- länge in Morphemen dar. Es wird in der Spracherwerbsfor- schung als das gebräuchlichste Maß für grammatischen Fort- schritt eingesetzt (Szagun, 2006). In den Abbildungen sind durchschnittliche MLU Werte für Subgruppen von Kindern mit CI dargestellt. In den einzelnen Subgruppen sind Kinder mit sehr ähnlichen MLU Werten gemäß den MLU Stufen von Bro- wn (1973) zusammengefasst: I) ein MLU < 2.25: überwiegend Einwortäußerungen; II) ein MLU zwischen 2.25 und 2.75: Zwei- und Dreiwort- äußerungen und auch einige Mehrwortäußerungen; III) ein MLU zwischen 2.76 und 3.50: Mehrwortäußerungen; IV) ein MLU > 3.50: komplexe Grammatik. Abbildung 1 zeigt die MLU Kurven von 22 Kindern mit CI aus unserer ersten Untersuchung Ende der 90 er Jahre, deren Spracherwerb bis zu drei Jahren aufgezeichnet wurde, be- ginnend sechs Monate nach Implantation (Szagun, 2001a, b). Abbildung 2 zeigt die MLU Kurven von 25 Kindern mit CI aus der aktuellen Studie, deren Spracherwerb über die ersten zweieinhalb Jahre des Spracherwerbs aufgenommen wurde, beginnend 12 Monate nach Implantation (Szagun, 2008). In beiden Studien waren die Kinder unter vier Jahren zum Zeit- punkt der Implantation, gebrauchten ihr CI durchgehend während ihrer Wachzeit und erwarben gesprochenes Deutsch als einzige Sprache. Das MLU wurde auf der Basis von aus- gedehnten Stichproben spontanen Sprechens der Kinder in ei- ner freien Spielsituation berechnet. Beide Abbildungen zeigen, dass die Kinder über die ge- samte Spanne der MLU Stufen streuen. Das ist der Fall für die Stichprobe von 22 Kindern, deren Spracherwerb in den Jah- ren 1996 bis 2000 aufgezeichnet wurde, und für die Grup- pe von 25 Kindern, deren Spracherwerb zwischen 2005 und 2008 aufgezeichnet wurde. In dieser letzteren Stichprobe be- finden sich sieben Kinder, die ihr CI vor dem Alter von einem Jahr – also sehr jung – erhielten. Beide Abbildungen zeigen, dass ca. die Hälfte der Kinder mit CI einen Spracherwerb ha- ben, der innerhalb von zweieinhalb Jahren zu komplexer Grammatik – oder zumindest Mehrwortäußerungen – führt, während die andere Hälfte deutlich dahinter zurück bleibt (die Anzahl der Kinder per Subgruppe findet sich in den Legenden zu den Abbildungen). Von diesen langsamen Kindern errei- chen einige noch nicht einmal das Stadium der Zweiwor- täußerungen. 8 »hk« 1/10 Einflüsse auf den Spracherwerb bei Kindern mit Cochlea Implantat: Implantationsalter, soziale Faktoren und die Sprache der Eltern GISELA SZAGUN 1 Der Großteil unserer Datenerhebungen fand am CIC Wilhelm Hirte in Hannover statt. Für die Unterstützung durch die Mitarbeiter möchten wir herzlich danken. Insbesondere geht unser Dank an Herrn Dr. Bodo Ber- tram, Frau Ingeborg Maneke und Herrn Volker Meyer. Weitere Datener- hebungen fanden an den Zentren CIC Ruhr, CI Rehabilitationszentrum Sachsen Anhalt, Implant Zentrum Freiburg und CIC Berlin-Brandenburg statt. Auch den dortigen Mitarbeitern möchten wir für ihre Unterstützung danken. Ganz besonderer Dank geht an die Eltern und Kinder, die so be- reitwillig an der Untersuchung mitgewirkt haben. 2 Diese Forschung wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft fi- nanziell gefördert (Projektnummern Sz 41/11-1 und Sz 41/11-2). Pro- jektmitarbeiter waren: Barbara Stumper, Melanie Franik, Nina Sondag, Mohsen Haj Bagheri, Tim Oesterlau, Sarah Deutscher. Ihnen allen möch- te ich herzlich danken. Sie haben durch ihre verantwortungsvolle und be- ständige Mitarbeit erheblich zum Gelingen dieses Forschungsprojektes beigetragen.

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Vorbemerkungen

Das auffallendste Merkmal des Spracherwerbs bei Kindernmit Cochlea Implantat (CI) ist seine enorme Variabilität. Die-se Beobachtung findet sich in fast allen Studien und in denverschiedensten Sprachen. Warum individuelle Kinder so un-terschiedlich sind, ist eine der interessantesten und unge-klärten Fragen der aktuellen Forschung. In diesem Artikelmöchte ich versuchen, auf diese Frage einige Antworten zugeben. Ich werde mich dabei überwiegend auf die Ergebnis-se der neuesten Forschungen unserer ehemaligen Arbeits-gruppe an der Universität Oldenburg1 stützen, die von 2005bis 2008 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geför-dert wurde und die vorwiegend in Kooperation mit demCochlea Implant Centrum Wilhelm Hirte in Hannover statt-fand2.

In der Darstellung unserer Forschungsergebnisse ist einegenaue Beschreibung unseres methodischen Vorgehens ent-halten. Das beinhaltet eine Beschreibung der Stichprobe vonKindern und Eltern, unser Forschungsdesign und die statisti-schen Analysen unserer Ergebnisse. Für jede Forschungsfra-ge gibt es auch eine zusammenfassende Darstellung der Er-gebnisse. Wer sich nur für die inhaltliche Darstellung der For-schungsergebnisse interessiert, kann die methodischen Teileübergehen und die zusammenfassenden Darstellungen lesen.

Individuelle Variabilität

Wie sieht die Variabilität aus? Die Abbildungen 1 und 2 sol-len das verdeutlichen. Die Abbildungen zeigen den Verlauf des

MLU (Mean Length of Utterance) über die Zeit des frühenSpracherwerbs bei zwei Stichproben von Kindern mit CochleaImplantat. Das MLU stellt die durchschnittliche Äußerungs-länge in Morphemen dar. Es wird in der Spracherwerbsfor-schung als das gebräuchlichste Maß für grammatischen Fort-schritt eingesetzt (Szagun, 2006). In den Abbildungen sinddurchschnittliche MLU Werte für Subgruppen von Kindern mitCI dargestellt. In den einzelnen Subgruppen sind Kinder mitsehr ähnlichen MLU Werten gemäß den MLU Stufen von Bro-wn (1973) zusammengefasst:

I) ein MLU < 2.25: überwiegend Einwortäußerungen;II) ein MLU zwischen 2.25 und 2.75: Zwei- und Dreiwort-

äußerungen und auch einige Mehrwortäußerungen;III) ein MLU zwischen 2.76 und 3.50: Mehrwortäußerungen;IV) ein MLU > 3.50: komplexe Grammatik.

Abbildung 1 zeigt die MLU Kurven von 22 Kindern mit CI ausunserer ersten Untersuchung Ende der 90er Jahre, derenSpracherwerb bis zu drei Jahren aufgezeichnet wurde, be-ginnend sechs Monate nach Implantation (Szagun, 2001a,b). Abbildung 2 zeigt die MLU Kurven von 25 Kindern mit CIaus der aktuellen Studie, deren Spracherwerb über die erstenzweieinhalb Jahre des Spracherwerbs aufgenommen wurde,beginnend 12 Monate nach Implantation (Szagun, 2008). Inbeiden Studien waren die Kinder unter vier Jahren zum Zeit-punkt der Implantation, gebrauchten ihr CI durchgehendwährend ihrer Wachzeit und erwarben gesprochenes Deutschals einzige Sprache. Das MLU wurde auf der Basis von aus-gedehnten Stichproben spontanen Sprechens der Kinder in ei-ner freien Spielsituation berechnet.

Beide Abbildungen zeigen, dass die Kinder über die ge-samte Spanne der MLU Stufen streuen. Das ist der Fall für dieStichprobe von 22 Kindern, deren Spracherwerb in den Jah-ren 1996 bis 2000 aufgezeichnet wurde, und für die Grup-pe von 25 Kindern, deren Spracherwerb zwischen 2005 und2008 aufgezeichnet wurde. In dieser letzteren Stichprobe be-finden sich sieben Kinder, die ihr CI vor dem Alter von einemJahr – also sehr jung – erhielten. Beide Abbildungen zeigen,dass ca. die Hälfte der Kinder mit CI einen Spracherwerb ha-ben, der innerhalb von zweieinhalb Jahren zu komplexerGrammatik – oder zumindest Mehrwortäußerungen – führt,während die andere Hälfte deutlich dahinter zurück bleibt (dieAnzahl der Kinder per Subgruppe findet sich in den Legendenzu den Abbildungen). Von diesen langsamen Kindern errei-chen einige noch nicht einmal das Stadium der Zweiwor-täußerungen.

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Einflüsse auf den Spracherwerb bei Kindernmit Cochlea Implantat: Implantationsalter,soziale Faktoren und die Sprache der Eltern

GISELA SZAGUN

1 Der Großteil unserer Datenerhebungen fand am CIC Wilhelm Hirte inHannover statt. Für die Unterstützung durch die Mitarbeiter möchten wirherzlich danken. Insbesondere geht unser Dank an Herrn Dr. Bodo Ber-tram, Frau Ingeborg Maneke und Herrn Volker Meyer. Weitere Datener-hebungen fanden an den Zentren CIC Ruhr, CI RehabilitationszentrumSachsen Anhalt, Implant Zentrum Freiburg und CIC Berlin-Brandenburgstatt. Auch den dortigen Mitarbeitern möchten wir für ihre Unterstützungdanken. Ganz besonderer Dank geht an die Eltern und Kinder, die so be-reitwillig an der Untersuchung mitgewirkt haben.

2 Diese Forschung wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft fi-nanziell gefördert (Projektnummern Sz 41/11-1 und Sz 41/11-2). Pro-jektmitarbeiter waren: Barbara Stumper, Melanie Franik, Nina Sondag,Mohsen Haj Bagheri, Tim Oesterlau, Sarah Deutscher. Ihnen allen möch-te ich herzlich danken. Sie haben durch ihre verantwortungsvolle und be-ständige Mitarbeit erheblich zum Gelingen dieses Forschungsprojektesbeigetragen.

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EINFLÜSSE AUF DEN SPRACHERWERB BEI KINDERN MIT COCHLEA IMPLANTAT

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Die Abbildung 1 erlaubt auch den Vergleich mit einer Kon-trollgruppe von Kindern mit normalem Hören. Die Kinder mitCI, die eine komplexe Grammatik erreichen, sind normalhörenden Kindern, deren Spracherwerb auch eine beachtli-che Variabilität aufweist, ebenbürtig. Die Schere zwischen CIKindern mit schnellem und langsamem Spracherwerbschließt sich jedoch nicht. Zu ähnlichen Ergebnissen kommenStudien zum Spracherwerb bei Kindern mit CI in verschiede-nen Sprachen: Englisch, Deutsch, Schwedisch, Niederlän-disch, Französisch (Coerts & Mills, 1995; Serry & Blamey,1999; Szagun, 2001a, b; Schauwers et al., 2002; Le Nor-mand et al., 2003; Willstedt-Svensson et al., 2004; Svirskyet al., 2004; Spencer, 2004; Tomblin et al., 2007).

Was bedingt diese Variabilität?

Alter bei Implantation und sensible Phasen

Ein Faktor, der als einflussreich erachtet wird, ist das Alter desKindes bei Implantation. Während schon seit einiger Zeit be-kannt ist, dass der Spracherwerb günstiger verläuft, wennKinder ihr Implantat bis zum Alter von vier Jahren erhalten(Tye-Murray et al., 1995; Fryauf-Bertschy et al., 1997; P.Spencer, 2004; Svirsky et al., 2004), so ist es weniger klar,ob der Spracherwerb günstiger verläuft, je früher die Implan-tation innerhalb der ersten vier Jahre stattfindet.

Die Frage nach dem Vorteil einer sehr frühen Implantati-on wird oft im Zusammenhang mit einer »sensiblen Phase«für sprachliches Lernen und einer »sensiblen Phase« für dieEntstehung neuronaler Systeme zur Verarbeitung auditiver In-formation gesehen. In der Diskussion um mögliche Vorteile ei-ner frühen CI-Implantation werden beide sensible Phasennicht immer getrennt.

Eine sensible Phase ist eine begrenzte Zeitspanne, in derein Organismus eine erhöhte Sensibilität für das Erlernen ei-nes bestimmten Verhaltens hat (Oyama, 1979; Michel &Moore, 1995). Davor und danach hat er eine geringere Sen-sibilität. Die Umwelt stellt in der Regel die für den Erwerb desVerhaltens relevanten Stimuli bereit. Die neurophysiologischeReifung setzt den Beginn der sensiblen Phase. Beendet wirdsie, wenn das Verhalten erworben ist. Die sensible Phase ver-längert sich, wenn die Umweltstimuli suboptimal sind – al-lerdings nicht beliebig. Sensible Phasen sind bei verschiede-nen Tierarten belegt, insbesondere bei Vögeln. Sie gelten füreinzelne, speziestypische Verhaltensbereiche. Im Humanbe-reich sind sie schwieriger nachzuweisen.

Sensible Phase für die Entstehung neuronaler auditiverSysteme

Sharma et al. (2002) konnten in Studien mit Kindern mit CIneurophysiologische Evidenz für die Plastizität bei der Ent-stehung auditiver neuronaler Systeme zur Verarbeitung vonauditiver Information erbringen. So zeigte sich, dass bei Kin-dern, die bis zum Alter von 42 Monaten ihr Cochlea Implan-tat erhielten, Reaktionslatenzen auf auditive Stimuli denenvon gleichaltrigen Kindern mit normalem Hören entsprachen.Bei Kindern, die zwischen 43 und 80 Monaten implantiertwurden, war dies in geringerem Maße der Fall. Hier gab es je-doch sehr deutliche individuelle Unterschiede zwischen denKindern. Kinder, die nach dem Alter von 80 Monaten im-plantiert wurden, hatten Reaktionslatenzen, die deutlichschlechter als die altersangemessenen waren. Das zeigt, dass

das zentrale auditive System vor dem Alter von dreieinhalbJahren eine maximale Plastizität hat. Diese nimmt danach biszum Alter von sieben Jahren allmählich ab und ist danachdeutlich reduziert (Sharma et al., 2002).

Sensible Phase für sprachliches Lernen

In der Diskussion ist auch eine »sensible Phase« für sprach-liches Lernen. In diesem Bereich sind die Auffassungen vonder sensiblen Phase noch im Aufbau begriffen und empirischeEvidenz kaum vorhanden. Ich möchte hier zwei unterschied-liche Auffassungen darstellen. Gemäß der Auffassung von ei-ner »kritischen Periode« muss der Grammatikerwerb zwi-schen 24 und 36 Monaten in Gang kommen, um eine nor-male Sprachentwicklung zu gewährleisten (Locke, 1997).Das Ende der sensiblen Phase setzt abrupt mit 36 Monatenein. Im Unterschied dazu steht die Auffassung von der »sen-siblen Phase«. Gemäß dieser Auffassung gibt es eine erhöh-te Sensibilität des jungen Organismus für sprachliches Ler-nen, die nicht abrupt endet, sondern allmählich ab der mitt-leren Kindheit, ab ca. sechs Jahren, nachlässt (Oyama,1976; Johnson & Newport, 1989). Für diese Auffassungsprechen vor allem Daten vom natürlichen Zweitspracher-werb bei Migranten, der am besten gelingt, wenn er bis zumAlter von sechs Jahren begonnen wird. Wenn er zwischen sie-ben und 15 Jahren begonnen wird, gelingt er schlechter, jeälter die Kinder und Jugendlichen sind. Wenn er im Erwach-senenalter begonnen wird, hat Alter keinen Einfluss mehr,sondern andere Faktoren, wie etwa Motivation (Johnson &Newport, 1989). Gegen die Auffassung eines abrupten En-des einer sensiblen Phase sprechen die Daten zum Spra-cherwerb bei Kindern mit Cochlea Implantat unserer erstenStudie (Szagun, 2001 a, b, 2004a). Die meisten dieser Kin-der erhielten ihr Cochlea Implantat im Alter von zweieinhalbJahren. Ihr Grammatikerwerb begann deutlich danach, einoder eineinhalb Jahr später (s. Abb. 1 und Szagun 2001a,b). Er begann also nach dem Alter von 36 Monaten. Dennochwar es einem Großteil dieser Kinder möglich, einen demnatürlichen Spracherwerb ähnlichen Grammatikerwerb zudurchlaufen. Die wenigen vorhandenen empirischen Ergeb-nisse zur sensiblen Phase sprechen gegen ein frühes abrup-tes Ende einer »kritischen Periode« für Sprache und für einallmähliches Nachlassen der Sensibilität für Spracherwerb abder mittleren Kindheit.

Neurophysiologische Evidenz zur Entstehung neuronalerSysteme für die Verarbeitung von Sprache zeigt, dass dielinkshemisphärische Präferenz für die Verarbeitung vonGrammatik bei Kindern zwischen 28 und 42 Monaten ent-steht (Neville & Bavelier, 2002). Das ist die Zeit, in der Kin-der eine Basisgrammatik aufbauen. Mehr noch: die Entste-hung dieser neuronalen Systeme ist von der Erfahrung mitSprache abhängig. Bei Kindern mit fortgeschrittenererSprachentwicklung entstehen die Systeme eher früher inner-halb der Zeitspanne, und umgekehrt (Neville & Bavelier,2002). Beim Erwerb von amerikanischer Gebärdenspracheentsteht wie bei Lautsprache eine linkshemisphärische Spe-zialisierung für Grammatik, wenn der Erwerb bis zum Altervon vier Jahren begonnen hat. Bei späterem Erwerb entstehtzunehmend eine beidseitige Repräsentation (Neville & Bave-lier, 2002). Diese Ergebnisse zeigen, dass der Spracherwerbam besten gelingt und die typische neuronale Repräsentati-on aufbaut, wenn er in den ersten ca. vier Lebensjahren ge-schieht. Sie zeigen auch, dass wir es bei der Entstehung neu-ronaler Systeme zur Verarbeitung von Sprache mit einem epi-

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genetischen Geschehnis zu tun haben. Es ist die Interaktionvon neurophysiologischer Reifung und Erfahrung mit Sprache,durch die die neuronalen Muster entstehen.

Einfluss des Alters bei Implantation

Die Ergebnisse des besseren Spracherwerbs bei Kindern mitCI, wenn diese bis zum Alter von vier Jahren implantiert wer-den, passen zu den neurophysiologischen Befunden. Was wirnicht wissen, ist, ob frühere Implantation innerhalb dieserZeitspanne einen besseren Spracherwerb ermöglicht als einespätere.

Einige Ergebnisse deuten darauf hin, dass Kinder, die ihrImplantat vor dem Alter von zwei Jahren erhalten, eineschnellere Sprachentwicklung haben als Kinder, die im drit-ten und vierten Lebensjahr implantiert werden (Svirsky et al.,2004; Tomblin et al., 2005; Nicholas & Geers, 2007; Holt& Svirsky, 2008). Allerdings ist der Anteil der Variabilität, derdurch das Implantationsalter erklärt wird, relativ klein – zwi-schen 3 % und 14 % (Geers et al., 2009; Tomblin et al.,2005). Das Problem bei einigen dieser Untersuchungen ist,dass Alter bei Implantation und Zeitdauer, die das Kind fürden Spracherwerb seit Implantation hatte, vermengt sind(Nicholas & Geers, 2007; Geers et al., 2009). In diesen Un-tersuchungen wurden Kinder mit CI nach chronologischemAlter gruppiert. Es wurde verglichen, ob sie den Sprachstandvon normal hörenden Kindern gleichen Alters erreichen(Nicholas & Geers, 2007; Geers et al., 2009). Das Ergebniswar, dass die jünger implantierten Kinder einen besserenSprachstand aufwiesen. Insbesondere Kinder, die ihr Im-plantat bis zum Alter von zwei Jahren erhielten, waren im Al-ter von fünf bis sechs Jahren normal hörenden Kindern glei-chen Alters nach Sprachstand vergleichbar.

Der Schluss, dass die frühere Implantation zu besserensprachlichen Ergebnissen führt, ist jedoch nicht unbedingt be-rechtigt. In den zitierten Untersuchungen hatten jünger im-plantierte Kinder auch mehr Zeit für sprachliches Lernen. Ver-gleicht man den Sprachstand fünfjähriger Kinder – wie das indiesen Untersuchungen geschah (Nicholas & Geers, 2007;Geers et al., 2009) - so haben Kinder, die mit einem Jahr im-plantiert wurden, vier Jahre Erfahrung mit sprachlichem Ler-nen, Kinder, die mit zwei Jahren implantiert wurden, dage-gen nur drei, und Kinder, die mit drei Jahren implantiert wur-den, nur zwei. Der Schluss, dass das frühere Implantations-alter den besseren Spracherwerb bedingt, weil er die sensiblePhase besser nutzt, ist daher nicht der einzig mögliche. Derhöhere Sprachstand kann ebenso durch die längere Erfah-rung mit Sprache bedingt sein. Durch die Ergebnisse zur neu-ronalen Repräsentation von Sprache wissen wir, dass derenAufbau durch die Erfahrung mit Sprache ebenso bedingt istwie durch neurophysiologische Reifung. Um die Effekte vonImplantationsalter und Erfahrung mit Sprache auseinander zu

halten, müssen wir diese Faktoren in unseren Forschungsde-signs trennen.

Genau das haben wir in unserer Studie der Jahre 2005bis 2008 getan. In dieser Studie haben wir drei Hauptfragengestellt:

1. Gibt es einen Einfluss des Implantationsalters auf denSpracherwerb der Kinder, auch wenn dieses innerhalb derersten vier Lebensjahre, also der maximalen Plastizität fürden Spracherwerb, liegt? Machen Kinder bessere sprach-liche Fortschritte, je früher sie innerhalb dieser Zeitspan-ne implantiert werden?

2. Gibt es einen Einfluss des Bildungsstandes der Eltern aufdie sprachlichen Fortschritte der Kinder? Was ist der re-lative Einfluss des Implantationsalters und des Bildungs-standes auf den Spracherwerb?

3. Haben Charakteristika der elterlichen Sprache einen Ein-fluss auf den Spracherwerb der Kinder, und hängen sie mitdem Bildungsstand zusammen?

Die Fragen 2) und 3) beziehen sich auf die Art der Erfahrung,die Kinder mit Sprache machen. Wir gehen davon aus, dassaußer der Zeitdauer der Erfahrung mit Sprache der Bildungs-stand der Eltern und Charakteristika der sprachlichen Umwelteinen Einfluss auf den Spracherwerb der Kinder haben. Es giltjedoch zu überprüfen, ob diese beiden Faktoren unabhängigvoneinander wirken, oder ob Charakteristika der an das Kindgerichteten Sprache vom Bildungsstand abhängen.

Teilnehmer der Studie und Design

Teilnehmer

Teilnehmer der Studie waren 140 Kinder mit Cochlea Im-plantat, 61 Mädchen und 79 Jungen. Die Kinder erhielten ihrCI in den Jahren 2002 bis 2005. Bei Implantation waren siezwischen 6 und 47 Monate alt, durchschnittliches Alter 22.1Monate, Standardabweichung = 11 Monate. Für mancheAnalysen wurden die Kinder in 4 Altersgruppen bei Implan-tation eingeteilt, je nachdem, ob sie ihr CI im ersten, zweiten,dritten oder vierten Lebensjahr erhalten hatten. Die Verteilungder Kinder per Gruppe ist in Tabelle 1 dargestellt, mit Durch-schnittsalter, Standardabweichung, Median und Spanne perGruppe. Wie aus Tabelle 1 hervorgeht, verteilen sich die Kin-der recht gleichmäßig innerhalb einer Altersgruppe. Zwischenden Gruppen ist die Verteilung unterschiedlich und entsprichtder an den Kliniken gehandhabten Praxis. Die meisten Kin-der, 58, wurden im zweiten Lebensjahr implantiert, 29 im er-sten, 32 im dritten, und 21 im vierten Lebensjahr.

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Tabelle 1:Kinder gruppiert nach Implantationsalter: Anzahl der Kinder, durchschnittlichesAlter (AM) bei Implantation, Standardabweichung (SD)und Spannbreite per Gruppe

Altersgruppe bei Implantation Anzahl der KinderAlter bei Implantation in Monaten

AM SD Median Spanne

1) 6 – 11 Monate2) 12 – 23 Monate3) 24 – 35 Monate4) 36 – 47 Monate

29583221

8.617.730.240.4

1.63.53.03.6

9183040

6 - 1112 - 2324 - 3536 - 47

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Alle Kinder waren prälingual ertaubt, 97.2 % waren von Ge-burt ertaubt, 4 Kinder (2.8 %) durch Meningitis während desersten Lebensjahres. Zweiunddreißig Kinder (23.4 %) hattenbilaterale Implantate. Viele der Kinder erhielten das zweiteImplantat nach unserer Datenerhebung, aber der exakte Zeit-punkt ist uns unbekannt. Die folgenden Implantate wurdenverwendet: 45.8 % Nucleus CI24M, 16.5 % Nucleus Free-dom, 8.3 % Advanced Bionics CII, 20.2 % Advanced BionicsHires90K, 4.6 % MedEL C40+, 4.6 % MedEL Pulsar C100.Von 52 Kindern lagen uns Daten zur Qualität des prä-opera-tiven Hörens mit Hörgerät vor. Die Reaktionen lagen zwischen40 und 100 dB SPL oder keiner Reaktion. Die Kinder hattenaußer ihrer Hörschädigung keine anderen diagnostiziertenBeeinträchtigungen. Laut Bericht der Sprachtherapeuten undFrühförderer lag ihre Intelligenz im Normalbereich. Die mei-sten Kinder (89.4 %) wachsen einsprachig mit gesprochenemDeutsch auf, 10 Kinder (7.1 %) mit zwei gesprochenen Spra-chen (Türkisch, Polnisch, Serbokroatisch, Russisch, Arabischoder Englisch). In diesen Fällen ist Deutsch die erste Sprache.

In der vorliegenden Stichprobe erhielten 97 Kinder ihreRehabilitation am CIC Wilhelm Hirte Hannover, 13 Kinder amCIC Ruhr (Essen), 12 Kinder am CI RehabilitationszentrumSachsen Anhalt (Halberstadt), 11 Kinder am Implant Zen-trum Freiburg, und 8 Kinder am CIC Berlin-Brandenburg. Siewaren wohnhaft in diesen und umliegenden Städten sowie inganz Deutschland. Viele Kinder nahmen an dem ganzheitli-chen Rehabilitationsprogramm von Bertram (1991, 2009)teil. Es beinhaltet eine interaktive Methode der Hör- Sprech-und Spracherwerbsförderung, Elternarbeit und Beratung derEltern sowie die Förderung rhythmisch-musikalischer undpsychomotorischer Fähigkeiten (Bertram, 1991, 2009). Eswird keine gebärdete Sprache verwendet. Die Kinder erhal-ten an ihren jeweiligen Wohnorten zusätzlich Therapie durchLogopäden oder Frühförderung.

Tabelle 2 zeigt die Verteilung der Kinder gemäß Bildungs-stand der Mutter. Bildungsstand der Mutter ist das üblicheMaß für soziale Schicht in Untersuchungen zum Spracher-werb bei Kleinkindern, wenn in diesen Gesellschaften Mütterdie häufigsten Gesprächspartner von Kleinkindern sind (Hoff,2003; Fenson et al. 2007, Szagun et al., 2009). Wie die Ta-belle zeigt, entspricht der Bildungsstand der Mütter in unse-

rer Stichprobe recht genau dem in der Bevölkerung von Frau-en zwischen 20 und 40 Jahren (Frauen im Alter der Klein-kinderbetreuung, Statistisches Bundesamt, 2006).

Design, Datenerhebung undDatentranskription

Die Studie hat ein querschnittliches und ein längsschnittlichesDesign. Alle 140 Teilnehmer nahmen an der Querschnittstu-die teil. Sie sind in 4 »Zeitgruppen« gruppiert. Eine »Zeitgrup-pe« ist definiert durch die Zeitdauer, die seit Implantation ver-gangen ist und in der das Kind Erfahrung mit Sprache hat. DieZeitgruppen sind: 12, 18, 24 und 30 Monate nach Implanta-tion. In einer jeweiligen Zeitgruppe ist also die Zeit, die seit Im-plantation vergangen ist gleich, nicht aber das chronologischeAlter. Die Anzahl der Kinder per Zeitgruppe ist – beginnend mitder frühesten Gruppe: 32, 35, 36 und 37 Kinder (s. auch Ta-belle 3). Innerhalb einer Zeitgruppe sind die Kinder per Im-plantationsalter recht gleichmäßig verteilt. Diese Verteilung istin Tabelle 3 mit Median, Spanne, Mittelwert und Standardab-weichung dargestellt und in Abbildung 3 noch einmal grafisch.Beide zeigen, dass die Kinder in einer jeden Zeitgruppe in glei-chem Maße über die gesamte Spanne des Implantationsaltersstreuen. Eine einfaktorielle ANOVA mit Zeitgruppe als Faktor(4) und Implantationsalter als abhängiger Variable ergab kei-nen signifikanten Unterschied zwischen dem Implantationsal-ter der Kinder per Zeitgruppe. Die gleichmäßige Verteilung derKinder hinsichtlich ihres Implantationsalters per Zeitgruppewurde durch unsere Planung der Zeitpunkte der Daten-erhebung bei einzelnen Kindern während der Datenerhe-bungsphase erreicht.

In der Querschnittstudie wurde der Sprachstand mit demElternfragebogen FRAKIS (Szagun et al., 2009) erhoben. DieFragebögen wurden den Eltern bei ihren Aufenthalten an denRehabilitationszentren ausgehändigt oder per Post verschickt.Sie wurden per Post zurückgeschickt. Die Rücklaufquote war71.8 %. Von diesen mussten 15.6 % aus der Studie ausge-schlossen werden, da die Kinder aus verschiedenen Gründennicht die Bedingungen einer homogenen Stichprobe erfüllten:die Erstsprache war nicht Deutsch, die Kinder hatten zusätz-

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EINFLÜSSE AUF DEN SPRACHERWERB BEI KINDERN MIT COCHLEA IMPLANTAT

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Tabelle 3:Anzahl der Kinder pro Zeitgruppe (Zeit seit Implantation) und ihre Verteilung innerhalb einer Zeitgruppe per Alter bei Implantation(Median, Spanne, arithmetisches Mittel (AM), Standardabweichung (SD)

Zeitgruppe(Zeit seit Implantation)

Anzahl der Kinderper Zeitgruppe

Alter bei Implantation in Monaten

Median Spanne AM SD

1) 12 Monate seit Implantation2) 18 Monate seit Implantation3) 24 Monate seit Implantation4) 30 Monate seit Implantation

32353637

20202118

6 - 426 - 447 - 466 - 47

21.523.522.021.4

10.511.610.811.4

Tabelle 2:Bildungsstand der Mütter in der vorliegenden Stichprobe und in der Bevölkerung

Schulabschluss Anzahla % % gemäß dem Bevölkerungszensusfür Frauen zwischen 20 und 40 von 2005

HauptschuleRealschuleGymnasium und FachabiturUniversitätsabschluss

29483128

21.335.322.820.6

21.032.1

41.7b

a) Fünf Personen machten keine Angaben.b) Personen mit Gymnasial- und Universitätsabschluss aufsummiert.

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liche Beeinträchtigungen, sie hatten dauerhafte ernsthaftemedizinische Probleme. Es verblieben 140 Kinder der Stich-probe.

Bei einer Untergruppe von 25 Kindern der Gesamtstichprobevon 140 wurde der Spracherwerb zusätzlich längsschnittlichuntersucht. Die Kinder waren zum Zeitpunkt der Implantati-on zwischen 6 und 42 Monaten, das durchschnittliche Im-plantationsalter war 20.4 Monate, Standardabweichung =11 Monate. Der Sprachstand der Kinder wurde zu den glei-chen Zeitpunkten erhoben wie in der Querschnittstichprobe:12, 18, 24 und 30 Monate nach Implantation. Der Sprach-stand wurde mit FRAKIS und auf der Basis 45-minütigerspontaner Sprechdaten pro Kind und Messzeitpunkt erhoben.Alle 25 Kinder erhielten ihre Rehabilitation am CIC WilhelmHirte Hannover. Die Sprachaufnahmen wurden in einemSpielzimmer des CIC gemacht. Die Situation war freies Spielmit einem Elternteil. Meist war auch ein weiblicher odermännlicher Projektmitarbeiter für einen Teil der Zeit anwe-send und nahm am Spiel teil. Die Spielsachen während derSprachaufnahmen waren: Autos und Autogarage, Zootiere,Farmtiere, Waldtiere, Noahs Arche mit Tieren und Nah-rungsvorräten, Krankenwagen, Krankenhauszimmer mit me-dizinischer Ausstattung, Feuerwehrstation und Feuerwehr,Polizeiauto und Motorrad mit Polizisten. Das Kind konnte ent-scheiden, womit es spielen wollte. Es wurden digitale Ton-aufnahmen gemacht mit tragbarem Sony DAT-Recorder undhoch sensitivem Sony Mikrofon.

Alles vom Kind und Elternteil Gesprochene wurde mit demCHILDES System für Transkription und Analyse von Kinder-sprache (MacWhinney, 2000) transkribiert. In 87 % derSpielsituation war die Mutter anwesend, in 13 % der Vater.Die Transkriptionen wurden von fünf trainierten Transkribie-rern durchgeführt. An 15 % der Transkripte wurde die Relia-bilität zwischen Transkribierern überprüft. Die Übereinstim-mung zwischen verschiedenen Paaren von Transkribierernlag zwischen 96 % und 100 %.

Von den Fragebogendaten der 25 Kinder der Längsschnitt-studie wurde nur jeweils eine Messung über die Querschnitt-stichprobe von 140 Kindern verteilt. Auf diese Art blieb dieStichprobe von 140 querschnittlich und die Varianz wurdenicht durch wiederholte Messungen an einer Person beein-flusst.

Sprachmaße und Kodierung derSpontansprache

Elternfragenbogen FRAKIS

Der Elternfragebogen FRAKIS (Szagun et al., 2009) stellt ei-ne Anpassung des Mac-Arthur-Bates Communicative Deve-lopment Inventory (CDI) von Fenson et al. (2007) dar. Es istim deutschsprachigen Bereich das erste Instrument zur Er-fassung der frühen Kindersprache mit Bevölkerungsnormen.Es wird hier bei Kindern bei CI eingesetzt, für die keine Norm-daten vorliegen aber international bereits Erfahrung mit demEinsatz des vergleichbaren amerikanischen Instrumentes(Thal et al., 2007). Wie das CDI misst der FRAKIS Wort-schatz und Grammatik. Bedingt durch die Flexionen desDeutschen hat er einen ausgedehnteren Grammatikteil. Ins-gesamt gibt es drei Maße des Sprachstandes: Wortschatz,Flexionsmorphologie und Satzkomplexität. Die Wortschatz-liste umfasst 600 Wörter. Der zu erreichende Maximalwert istdaher 600. Die Skala für Flexionsmorphologie erfasst fünfgrammatische Paradigmen: Plural am Substantiv, Genus-markierung an Artikel und Adjektiv, Kasusmarkierung am Ar-tikel, Verbmarkierung für Person und Partizip Perfekt, Auxili-are. Im Fragebogen werden 42 Gruppen von Beispielen fürdiese Strukturen präsentiert und die Eltern gebeten anzu-kreuzen, ob ihr Kind über derartige Formen verfügt oder nicht.Der Maximalwert der Skala ist 42. Die Satzkomplexitätsskalamisst, in wie weit Kinder schon kleine Sätzchen produzierenkönnen. Es werden 32 Paare von kurzen Sätzen unterschied-

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Page 7: Einflüsse auf den Spracherwerb bei Kindern mit Cochlea ... · CI, die eine komplexe Grammatik erreichen, sind normal hörenden Kindern, deren Spracherwerb auch eine beachtli-che

lichen Schwierigkeitsgrades präsentiert. Die Aufgabe der El-tern ist zu entscheiden, ob ihr Kind eine einfachere oder eherkomplexere Version eines kurzen Satzes produziert. Der Ma-ximalwert der Skala ist 32. Der Fragebogen enthält auch ei-nen Teil zu demografischen Informationen über das Kind undbezüglich des Bildungsstandes der Eltern. Der Bildungsstandder Mutter wurde auf einer 4-Punkte Skala gemessen, von 1= Hauptschule bis 4 = Universitätsabschluss (s. Tabelle 2).

Maße basierend auf Spontansprache

Als Sprachmaße basierend auf Spontansprache wurden dasMLU und die Anzahl der Worttypes (Vokabeln) ermittelt.Worttype bezieht sich auf die einzelne Vokabel, unabhängigvon der Häufigkeit ihres Vorkommens in einer Sprachstich-probe. Wenn z.B. das Wort Auto 50 Mal in einer Sprach-stichprobe vorkommt, so wird es lediglich einmal als Wort-type oder Vokabel gezählt. Die Worttypes und das MLU desKindes wurden mit den CLAN Programmen des CHILDES be-rechnet. Die Morphemtrennung für das MLU wurde nach denRegeln für Deutsch kodiert (Szagun, 2004b).

Die Sprache der Eltern wurde ebenfalls analysiert. Es wur-de das MLU nach den gleichen Regeln kodiert und mit CLANberechnet. Außerdem wurde die Sprache der Eltern hinsicht-lich der Erweiterungen von kindlichen Äußerungen kodiert.Das Vorgehen wird an anderer Stelle dargestellt (s. Sprachli-che Fortschritte der Kinder in Abhängigkeit von Charakteri-stika der elterlichen Sprache, Ergebnisse auf der Basis derLängsschnittstudie).

Ergebnisse

Sprachliche Fortschritte in Abhängigkeitvon Zeitdauer seit Implantation undImplantationsalter

In diesem Teil wird unsere erste Forschungsfrage behandelt:

Machen Kinder bessere sprachliche Fortschritte, je frühersie implantiert werden innerhalb der Zeitspanne der erstenvier Lebensjahre?

Spezieller formuliert: Hängen ihre sprachlichen Fortschrittevom Implantationsalter ab oder von der Zeitdauer, die sie fürsprachliches Lernen seit ihrer Implantation hatten?

Diese Frage wurde in der Querschnittstichprobe mitSprachmaßen auf der Basis der Fragebogendaten und in derLängsschnittstudie mit den gleichen Sprachmaßen und zu-sätzlich mit den Sprachmaßen auf der Basis von Spontan-sprache untersucht. Hinter einem Einfluss des Implantati-onsalters steht als Lernmechanismus die erhöhte Sensibilitätfür sprachliches Lernen. Hinter einem Einfluss der Zeitdauerseit Implantation steht als Lernmechanismus die Dauer derErfahrung, die das Kind mit Sprache hat. Der getrennte Ein-fluss beider Faktoren müsste sich zeigen, wenn man diesprachlichen Fortschritte von Kindern unterschiedlichen Im-plantationsalters zu gleichen Zeitpunkten nach der Implanta-tion vergleicht.

Querschnittstudie

Für jedes Sprachmaß wurde eine dreifaktorielle ANCOVA be-rechnet mit den unabhängigen Faktoren Zeitdauer seit Im-plantation (4 Stufen), Alter bei Implantation (4 Stufen) undGeschlecht (2 Stufen). Bildungsstand (4 Stufen) ging als Ko-variate in die Berechnung ein. Die Ergebnisse der ANCOVAssind in Tabelle 4 dargestellt. Für alle drei Skalen, Wortschatz,Flexionsmorphologie und Satzkomplexität ergab sich ein sig-nifikanter Effekt von Zeitdauer seit Implantation. Kein ande-rer Faktor und keine Interaktion waren signifikant. Die Abbil-dungen 4, 5 und 6 zeigen die Mittelwerte mit Standardfehlerfür Wortschatz, Flexionsmorphologie und Satzkomplexität.Vergleiche der sprachlichen Forschritte über die einzelnenStufen der Zeitdauer nach Implantation (post hoc tests, Schef-fé, p < .008, Bonferoni Adjustierung bei 6 Vergleichen) er-gaben für alle drei Sprachmaße signifikante Unterschiedezwischen allen nicht aufeinander folgenden Zeitgruppen undfür einige aufeinander folgende Zeitgruppen. Wortschatz undSatzkomplexität stiegen zwischen 18 und 24 Monaten, Fle-xionsmorphologie zwischen 24 und 30 Monaten nach derImplantation signifikant an (s. Abb. 4, 5 und 6). In den Ab-bildungen sind nur signifikante Unterschiede zwischen auf-einander folgenden Zeitgruppen markiert.

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EINFLÜSSE AUF DEN SPRACHERWERB BEI KINDERN MIT COCHLEA IMPLANTAT

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Tabelle 4:Ergebnisse der ANCOVAs zur Überprüfung der Effekte von Zeitdauer seit Implantation, Implantationsalter,Geschlecht in der Querschnittstudie (N = 140) per Sprachmaß des FRAKIS

Sprachmaß Faktor F df Signifikanzniveau PartiellesEta Quadrat

Wortschatz

Flexions-morphologie

Satzkomplexität

Zeit seit ImplantationImplantationsalterGeschlechtZeit x Implantationalter

Zeit seit ImplantationImplantationsalterGeschlechtZeit x Implantationalter

Zeit seit ImplantationImplantationsalterGeschlechtZeit x Implantationalter

25.80n.s.n.s.n.s.

21.67n.s.n.s.n.s.

18.96n.s.n.s.n.s.

3,102

3,102

3,102

p < .001

p < .001

p < .001

.427

.389

.358

Page 8: Einflüsse auf den Spracherwerb bei Kindern mit Cochlea ... · CI, die eine komplexe Grammatik erreichen, sind normal hörenden Kindern, deren Spracherwerb auch eine beachtli-che

Wie die Abbildungen 4, 5 und 6 zeigen, steigen Wortschatz,Flexionsmorphologie und Satzkomplexität in Abhängigkeitvon der Zeit seit Implantation an. Der Faktor Implantations-alter hatte keinen Effekt. Der Sprachstand verbessert sich, un-abhängig vom Implantationsalter, je mehr Zeit vergeht und jemehr Erfahrung die Kinder mit Sprache machen. Wohlge-merkt, dies bezieht sich auf ein Implantationsalter zwischen6 und 47 Monaten.

Längsschnittstudie

Sprachmaße basierend auf FRAKIS

Für die Längsschnittstudie wurden für die Sprachmaße Wort-schatz, Flexionsmorphologie und Satzkomplexität zweifakto-rielle ANCOVAs mit dem Messwiederholungsfaktor Zeitdauerseit Implantation (4 Stufen) und dem unabhängigen FaktorImplantationsalter (3 Stufen) gerechnet. Aufgrund der gerin-

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Page 9: Einflüsse auf den Spracherwerb bei Kindern mit Cochlea ... · CI, die eine komplexe Grammatik erreichen, sind normal hörenden Kindern, deren Spracherwerb auch eine beachtli-che

gen Anzahl wurde das Implantationsalter 3. und 4. Lebens-jahr zusammengefasst. Bildungsstand (4 Stufen) ging als Ko-variate in die Berechnung ein. Da nicht alle Eltern die Frage-bögen für jeden der vier Messzeitpunkte zurückgeschickt odernicht in jedem Teil ausgefüllt haben, reduzierte sich die An-zahl der Kinder auf n = 24 für Wortschatz, n = 22 jeweilsfür Flexionsmorphologie und Satzkomplexität. Die Ergebnis-se der ANCOVAs sind in Tabelle 5 dargestellt. Für alle dreiSkalen, Wortschatz, Flexionsmorphologie und Satzkomple-xität ergab sich ein signifikanter Effekt von Zeitdauer seit Im-plantation. Der Faktor Implantationsalter war nicht signifi-kant. Für alle drei Skalen ergab sich jedoch eine signifikanteInteraktion zwischen Zeitdauer seit Implantation und Alter beiImplantation (s. Tabelle 5). Das bedeutet, dass das Implan-tationsalter einen milden Einfluss hat und die sprachlichenFortschritte in Abhängigkeit von der Implantationsaltersgrup-

pe unterschiedlich verlaufen. Diese unterschiedlichen Ver-läufe wollen wir jetzt näher betrachten. Im weiteren Text wer-den die drei Implantationsaltersgruppen wie folgt benannt:jüngste Gruppe (Implantationsalter = 6 – 11 Monate), mitt-lere Gruppe (Implantationsalter = 12 – 23 Monate), ältesteGruppe (Implantationsalter = 24 – 42 Monate).

Die Abbildungen 7, 8 und 9 zeigen die sprachlichen Fort-schritte für Wortschatz, Flexionsmorphologie und Satzkom-plexität. Dargestellt ist der jeweilige Mittelwert per Implanta-tionsaltersgruppe. Beim Wortschatz liegen die Werte für diedrei Implantationsaltergruppen recht nah beieinander – außerbeim letzten Messzeitpunkt. Bei den Grammatikmaßen un-terscheiden sich die Implantationsaltersgruppen ab 24 Mo-nate nach Implantation deutlicher. Die jüngste Gruppe hathöhere Werte als die mittlere Gruppe, und diese höhere Werte

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EINFLÜSSE AUF DEN SPRACHERWERB BEI KINDERN MIT COCHLEA IMPLANTAT

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Tabelle 5:Ergebnisse der ANCOVAs zur Überprüfung der Effekte von Zeitdauer seit Implantation und Implantationsalter in der Längsschnittstudie(n = 24 und n = 22)1 per Sprachmaß des FRAKIS

Sprachmaß Faktor F df Signifikanzniveau PartiellesEta Quadrat

Wortschatz

Flexions-morphologie

Satzkomplexität

Zeit seit ImplantationImplantationsalterZeit x Implantationalter

Zeit seit ImplantationImplantationsalterZeit x Implantationalter

Zeit seit ImplantationImplantationsalterZeit x Implantationalter

24.55n.s.4.42

6.40n.s.4.62

6.31n.s.3.51

3,57

6,57

3,51

6,51

3,51

6,51

p < .001

p < .001

p < .001

p < .001

p < .001

p < .01

.564

.318

.273

.352

.271

.292

1 Die Anzahl der Kinder reduziert sich, da einige Eltern die Fragebögen nicht für jeden Messzeitpunkt zurückgegeben bzw. nicht für jeden Teil ausgefüllthaben.

Page 10: Einflüsse auf den Spracherwerb bei Kindern mit Cochlea ... · CI, die eine komplexe Grammatik erreichen, sind normal hörenden Kindern, deren Spracherwerb auch eine beachtli-che

als die älteste Gruppe. Diese Unterschiede sind jedoch nur beider Satzkomplexität bedeutungsvoll. Hier hat die jüngsteGruppe 24 Monate und 30 Monate nach der Implantation sig-nifikant höhere Werte als die älteste Gruppe (post hoc tests,Scheffé, p < .016, Bonferoni Adjustierung bei 3 Verglei-chen).

Für alle drei Sprachmaße steigen die Werte über die Zeitan, signifikant zwischen allen nicht aufeinander folgenden

Zeitpunkten und auch für einige aufeinander folgende Zeit-punkte (abhängige t-tests, p < .008, Bonferoni Adjustierungbei 6 Vergleichen). Die sprachlichen Fortschritte zwischenaufeinander folgenden Zeitpunkten variieren per Sprachmaßund Implantationsaltersgruppe (s. Abb. 7, 8 und 9). Signifi-kante Unterschiede zwischen aufeinander folgenden Mess-zeitpunkten sind in den Abbildungen wie folgt markiert: mit»a« für die jüngste Gruppe, mit »b« für die mittlere Gruppe,

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Page 12: Einflüsse auf den Spracherwerb bei Kindern mit Cochlea ... · CI, die eine komplexe Grammatik erreichen, sind normal hörenden Kindern, deren Spracherwerb auch eine beachtli-che

mit »c« für die älteste Gruppe. Beim Wortschatz ist der An-stieg in der jüngsten Gruppe zwischen 12 und 18 Monatennach Implantation besonders stark, bei der mittleren zwi-schen 12 und 24 Monaten (s. Abb. 7). Beim Grammatik-erwerb erfolgen die ausgeprägteren Anstiege später. Der Ge-brauch von Flexionen steigt für die beiden jüngeren Gruppenzwischen 18 und 24 Monaten signifikant an (s. Abb. 8), dieSatzkomplexität bei der jüngsten Gruppe ebenfalls zwischen18 und 24 Monaten, bei der mittleren und ältesten jedocherst zwischen 24 und 30 Monaten nach Implantation.

Sprachmaße basierend auf Spontansprache

Für die auf Spontansprache basierenden Sprachmaße MLUund Häufigkeit der Worttypes wurden ebenfalls zweifaktoriel-le ANCOVAs mit dem Messwiederholungsfaktor Zeitdauer seitImplantation (4 Stufen) und dem unabhängigen Faktor Im-plantationsalter (3 Stufen) gerechnet. Bildungsstand (4 Stu-fen) ging als Kovariate in die Berechnung ein. Die Ergebnis-se der ANCOVAs sind in Tabelle 6 dargestellt. Für MLU undWorttypes ergab sich ein signifikanter Effekt von Zeitdauer seitImplantation. Der Faktor Implantationsalter war nicht signifi-

kant. Für beide Skalen ergab sich jedoch eine signifikante In-teraktion zwischen Zeitdauer seit Implantation und Alter beiImplantation (s. Tabelle 6). Das bedeutet, dass auch für MLUund Worttypes die sprachlichen Fortschritte in Abhängigkeitvon der Implantationsaltersgruppe unterschiedlich verlaufen.

Abbildung 10 zeigt die Verlaufskurven für MLU, darge-stellt am Mittelwert per Implantationsaltersgruppe. Die Ver-laufskurven der Implantationsaltersgruppen 6 – 11 Monateund 12 – 23 Monate liegen sehr eng beieinander, bis auf ei-nen nicht signifikanten Unterschied bei 30 Monaten nach Im-plantation. Die stärksten Anstiege im MLU verzeichnet diejüngste Gruppe zwischen 18 und 30 Monaten, die mittlereGruppe zwischen 18 und 24 Monaten, und die älteste Grup-pe zwischen 24 und 30 Monaten nach Implantation (abhän-gige t-tests, p < .008, Bonferoni Adjustierung bei 6 Verglei-chen, s. Abb. 10). Das MLU der ältesten Gruppe liegt ab 24Monate nach Implantation unter dem der beiden anderenGruppen. Allerdings ist dieser Unterschied nicht signifikant.

Abbildung 11 zeigt den Verlauf des Anstiegs des Ge-brauchs von Worttypes, dargestellt am Mittelwert per Im-

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Tabelle 6:Ergebnisse der ANCOVAs zur Überprüfung der Effekte von Zeitdauer seit Implantation und Implantationsalter in der Längsschnittstudie(n = 25) per Sprachmaß basierend auf Spontansprache

Sprachmaß Faktor F df Signifikanzniveau PartiellesEta Quadrat

MLU

Wort Types

Zeit seit ImplantationImplantationsalterZeit x Implantationalter

Zeit seit ImplantationImplantationsalterZeit x Implantationalter

4.98n.s.4.24

7.23n.s.2.64

3,51

6,51

3,57

6,57

p < .01

p < .01

p < .001

p < .05

.226

.333

.276

.218

Page 13: Einflüsse auf den Spracherwerb bei Kindern mit Cochlea ... · CI, die eine komplexe Grammatik erreichen, sind normal hörenden Kindern, deren Spracherwerb auch eine beachtli-che

plantationsaltersgruppe. Auch liegen die Verlaufskurven derjüngsten und mittleren Altersgruppe eng beieinander. BeideGruppen verzeichnen den stärksten Anstieg im Gebrauch vonWorttypes zwischen 12 und 18 Monaten nach Implantation(abhängige t-tests, p < .008). Anders sieht das bei der älte-sten Gruppe aus. Hier liegt der stärkste Anstieg später, zwi-schen 18 und 30 Monaten (s Abb. 11). Ab 18 Monate nachImplantation liegt die Anzahl der Worttypes in der ältestenGruppe deutlicher unter dem der beiden anderen Gruppen.Dieser Unterschied ist jedoch nicht signifikant.

Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse zumsprachlichen Fortschritt in Abhängigkeit von Zeitdauer seitImplantation und Implantationsalter

Die Ergebnisse zeigen, dass die Zeitdauer seit Implantationden stärksten Einfluss auf die sprachlichen Fortschritte derKinder hat. Mit dem Fortschreiten der Zeit und der verbun-denen vermehrten Erfahrung mit Sprache machen die Kindersprachliche Fortschritte. Der Faktor Implantationsalter hatdarauf keinen oder nur einen geringen Einfluss. In diesemPunkt unterscheiden sich die Ergebnisse der Querschnitt-und Längsschnittstudie leicht. Während es in der Quer-schnittstudie mit 140 Kindern keinen Einfluss des Implanta-tionsalters gibt, so zeigt die Längsschnittstudie mit 25 Kin-dern einen milden Einfluss des Implantationsalters. Dieserführt zu unterschiedlichen Entwicklungsverläufen. Auf allenSprachmaßen sind sich die beiden jüngeren Implantationsal-tersgruppen recht ähnlich und haben spätestens ab einemJahr nach der Implantation höhere Werte als die älteste Grup-pe. Jedoch sind diese Unterschiede – außer bei der Satz-komplexität – im statistischen Sinne nicht bedeutsam. Ge-meinsam ist allen Implantationsaltersgruppen, dass die deut-lichsten Fortschritte im Wortschatz und Wortgebrauch dendeutlichsten Fortschritten in der Grammatik zeitlich voraus-gehen. Die beiden jüngeren Altersgruppen machen diese

deutlichen Fortschritte auf den meisten Sprachmaßen früherals die älteste Gruppe, bei der sie erst einige Monate späterzu verzeichnen sind.

Unsere Ergebnisse sind aus verschiedenen Gründen alsrobust zu betrachten. In der Querschnittstudie basieren sie aufeiner großen Stichprobe von 140 Kindern. Diese Stichprobeist repräsentativ für die Bevölkerung, was den Bildungsstandder Mütter betrifft. Hervorzuheben ist auch, dass diese Stich-probe 29 Kinder enthält, die im ersten Lebensjahr implantiertwurden. Eine solch hohe Anzahl sehr früh implantierter Kin-der ist bisher in internationalen Studien nicht vorhanden. Un-sere Ergebnisse machen daher auch für diese sehr früh im-plantierten Kinder eine überzeugende Aussage. Ein weiteresMerkmal, dass für die Robustheit unserer Ergebnisse spricht,ist, dass sie auf verschiedenen Sprachmaßen beruhen, die ei-ne hohe Übereinstimmung zeigen. Die Übereinstimmung derFragebogenmaße und der Maße, die auf Spontansprache ba-sieren, ist eine Bestätigung der Validität des ElternfragebogenFRAKIS beim Einsatz bei Kindern mit Cochlea Implantat – zu-sätzlich zu der exzellenten Validität, die dieser Fragebogen fürKinder mit normalem Hören hat (Szagun et al., 2009).

Was den Effekt des Implantationsalters angeht, so zeigendie Ergebnisse leichte Unterschiede in der Querschnitt- undder Längsschnittstudie. Während das Implantationsalter kei-nen Effekt hatte in der Gesamtstichprobe der Querschnittstu-die, so hatte es einen milden Effekt bei einer Subgruppe vonKindern, deren sprachliche Fortschritte längsschnittlich un-tersucht wurden. Der Effekt ist milde, weil er sich lediglich inder Interaktion zwischen Zeitdauer und Implantationsalter alssignifikant erweist, nicht aber für den Faktor Implantations-alter selber. Dass sich ein solch milder Effekt in der Längs-schnittstudie zeigt, liegt vermutlich daran, dass hier die Vari-anz aufgrund der wiederholten Messungen reduziert ist. In derQuerschnittstudie werden in jeder Zeitgruppe andere Kinderverglichen. Die Varianz zwischen den Kindern innerhalb der

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einzelnen Zeitgruppen ist also größer. Dies beeinflusst die Be-rechnungen zur Effektstärke eines Faktors.

Was bedeuten unsere Ergebnisse für die Frage, ob Kinderbessere sprachliche Fortschritte machen, je früher sie inner-halb der Zeitspanne der ersten vier Lebensjahre implantiertwerden? Wann Kinder innerhalb dieser Zeitspanne implantiertwerden, hat kaum eine Wirkung auf ihre späteren sprachli-chen Fortschritte. Aufgrund der Ergebnisse der Längsschnitt-stude können wir jedoch sagen, dass Kinder, die im erstenund zweiten Lebensjahr implantiert wurden, zu Beginn ihrerpost-operativen Sprachentwicklung etwas schnellere Fort-schritte machen als Kinder, die dritten und vierten Lebensjahrihr Implantat erhielten. Hier stimmen unsere Ergebnisse mitden Studien von Tomblin et al. (2005), Nicholas & Geers(2007) und Geers et al. (2009) überein. Allerdings ist der Ef-fekt des Implantationsalters in unserer Studie noch wenigerstark ausgeprägt als in denen der genannten Autoren. Unse-re Ergebnisse bestätigen die Ergebnisse von Holt & Svirsky(2008), dass eine Implantation im ersten Lebensjahr keinenentscheidenden Vorteil bringt. Da Holt & Svirsky (2008) le-diglich acht dieser Kinder in ihrer Studie hatten, wird diesesErgebnis mit der Anzahl von 29 frühst implantierten Kindernin unserer Studie deutlich bestätigt. Der anfängliche Vorteil,den die vor zwei Jahren implantierten Kinder haben, bleibt er-halten. Die älteren Kinder machen zwar etwas später ihrestärksten Fortschritte, aber sie liegen auch nach 30 MonatenSprachentwicklung nicht auf exakt gleichem Niveau wie die

jüngeren. Da die Unterschiede zu den jüngeren Kindern abernur für eines der fünf Sprachmaße statistisch signifikant sind,sind die Unterschiede in den sprachlichen Fortschritten in Ab-hängigkeit vom Implantationsalter als insgesamt eher wenigbedeutsam zu werten.

Ein Nachteil unserer Studie ist, dass der Spracherwerbnicht länger als über zweieinhalb Jahre nach Implantation be-obachtet wurde. Es könnte sein, dass sich der Vorteil einerfrüheren Implantation erst später zeigt. Dagegen spricht al-lerdings Einiges. Gerade die jüngeren Kinder haben ihr stärk-stes sprachliches Wachstum zu Beginn ihrer Sprachentwick-lung, während eine Beschleunigung bei den älteren spätereintritt. Das würde eher dafür sprechen, dass sich dieserTrend bei den älteren Kindern fortsetzt. In einer früheren Stu-die mit 22 Kindern konnte ich zeigen, dass sich die Wachs-tumsrate um zweieinhalb Jahre nach der Implantation stabi-lisiert hat (Szagun, 2001a, b). Das würde bei keiner der Im-plantationsaltersgruppen große Änderungen in der Akzelera-tion des Wachstums erwarten lassen.

Was sagen die Ergebnisse über Lernmechanismen derSprachentwicklung aus? Wie schon erwähnt, vermutet manhinter dem Einfluss des Implantationsalters als Lernmecha-nismus die »sensible Phase« für Sprache. Wenn diese Sensi-bilität in den ersten vier Lebensjahren in umgekehrter Bezie-hung zum Lebensalter stünde, hätten wir eine deutlich bes-sere Sprachentwicklung bei den jüngeren Kindern finden

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müssen. Das ist aber nicht der Fall. Nur in einer Stichprobegibt es einen milden und im statistischen Sinne meist unbe-deutsamen Einfluss des Implantationsalters, der die Kinder,die im ersten und zweiten Lebensjahr implantiert wurden, be-günstigte. Die Schlussfolgerung ist, dass die Sensibilität fürsprachliches Lernen – wenn überhaupt – in den ersten bei-den Lebensjahren nur sehr geringfügig höher ist.

Hinter dem Einfluss der Zeitdauer seit Implantation stehtals Lernmechanismus die Dauer der Erfahrung, die das Kindmit Sprache hat. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen, dass dielängere und vermehrte Erfahrung mit Sprache den entschei-denden Einfluss auf Fortschritte im Spracherwerb hat. WennKinder ihr CI in den ersten vier Lebensjahren erhalten, ist dieSensibilität für sprachliches Lernen fast gleichermaßen hoch,und es ist die über die Zeit vermehrte Erfahrung mit Sprache,die ihre sprachlichen Fortschritte entscheidend beeinflusst.

.Sprachliche Fortschritte in Abhängigkeitvom Bildungsstand der Eltern undImplantationsalter

In den letzten Jahren ist zunehmend die Erkenntnis gewach-sen, dass es nicht ausreicht, lediglich die Einflüsse auf denSpracherwerb bei Kindern mit Cochlea Implantat zu untersu-chen, die spezifisch mit der Gehörlosigkeit und dem Zeitpunktder Implantation zusammenhängen. Aus Studien bei Kindernmit typischer Entwicklung wissen wir, dass der Spracherwerbvon Faktoren der sozialen Umwelt beeinflusst wird. Dazugehört der Bildungsstand der Eltern. Für viele Sprachen – u.a.amerikanisches Englisch, Deutsch, Niederländisch, Dänisch– ist der Einfluss des Bildungsstandes der Eltern schon vonBeginn des Spracherwerbs nachgewiesen (Hoff-Ginsberg,1991; Hoff, 2003; Clark, 2003; Szagun et al., 2009; Zink& Lejaegere, 2002; Fenson et al., 2007; Bleses et al., 2008).Es ist davon auszugehen, dass der Bildungsstand und der In-teraktionsstil der Eltern auch den Spracherwerb bei Kindernmit Cochlea Implantat beeinflusst. In der Tat haben einigeneuere Studien dies auch belegt (Stacey et al., 2002; P.Spencer, 2004; Szagun, 2001b, 2004a; Geers et al., 2009).In der umfangreichen Studie mit 153 Kindern von Geers etal. (2009) war der stärkste Einfluss auf den Spracherwerb beiKindern mit CI der I.Q. der Eltern, gefolgt vom Bildungsstandder Eltern. Beide hatten einen deutlich stärkeren Einfluss alsdas Implantationsalter.

Auch in der vorliegenden Studie sind wir mit unserer zwei-ten Forschungsfrage dem Einfluss des Bildungsstandes nach-gegangen:

Gibt es einen Einfluss des Bildungsstandes der Eltern auf diesprachlichen Fortschritte der Kinder? Was ist der relative Ein-fluss des Implantationsalters und des Bildungsstandes aufden Spracherwerb?

Die Einflüsse des Bildungsstandes und des Implantati-onsalters wurden mit einer korrelationsstatistischen Analysean der Gesamtstichprobe von 140 Kindern untersucht. Dabeiwird das Implantationsalter als kontinuierliche Variable in Mo-naten gemessen. Der Bildungsstand der Mutter wurde auf ei-ner 4-Punkte Skala gemessen, mit 1 als niedrigstem und 4als höchstem Niveau. Die 4 Niveaus entsprechen Haupt-schule, Realschule, Abitur, Hochschulstudium (s. Tabelle 2).Es wurden jeweils partielle Korrelationen (Pearson) gerech-net. Um den Einfluss des Bildungsstandes isoliert zu messen,wurde dieser korreliert mit den drei Fragebogenmaßen dessprachlichen Fortschritts unter Herauspartialisierung der Fak-toren Zeit seit Implantation und Implantationsalter. Um denEinfluss des Implantationsalters isoliert zu messen, wurdedieses korreliert mit den drei Fragebogenmaßen des sprach-lichen Fortschritts unter Herauspartialisierung der FaktorenZeit seit Implantation und Bildungsstand. Die partiellen Kor-relationen sind in Tabelle 7 aufgeführt. Sie zeigen für alle dreiSprachmaße einen signifikanten Zusammenhang zwischendem Bildungsstand der Mutter und den sprachlichen Fort-schritten der Kinder. Die Höhe der Korrelationskoeffizientenist moderat. Für die einzelnen Sprachmaße bedeutet sie, dass16 % der Variabilität im Wortschatzwachstum, 9 % der Va-riabilität bei Fortschritten in der Flexionsmorphologie und13 % der Variabilität bei Fortschritten in der Satzkomplexitätdurch den Bildungsstand der Mutter erklärt werden. Je höherder Bildungsstand der Mutter, desto besser ist der sprachli-che Fortschritt der Kinder. Zwischen Implantationsalter undsprachlichem Fortschritt besteht dagegen kein signifikanterZusammenhang.

Ein weiterer Korrelationskoeffizient wurde berechnet zwi-schen dem Bildungsstand der Mutter und dem Implantati-onsalter des Kindes. Da der Bildungsstand auf einer Ordi-nalskala gemessen ist, wurde für die bivariate Korrelation einnon-parametrischer Korrelationskoeffizient (Spearman) be-rechnet. Es besteht ein signifikanter Zusammenhang zwi-schen Bildungsstand der Mutter und Implantationsalter desKindes. Eltern mit höherem Bildungsstand neigen dazu, dasKind früher implantieren zu lassen. Die Höhe des Korrelati-onskoeffizienten ist moderat. Bildungsstand erklärt 6 % derVariabilität im Implantationsalter.

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EINFLÜSSE AUF DEN SPRACHERWERB BEI KINDERN MIT COCHLEA IMPLANTAT

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Tabelle 7:Partielle Korrelationen zwischen dem Bildungsstand der Mutter und dem sprachlichen Fortschritt der Kinder gemessen mit FRAKIS undKorrelation zwischen Bildungsstand der Mutter und Implantationsalter (N=140)

Bildungsstand der Muttera Implantationsalterb

WortschatzFlexionsmorphologieSatzkomplexitätBildungsstand der Mutter

.39***

.29**

.36***

.07-.03-.04-.25++

a unter Herauspartialisierung der Zeit seit Implantation und des Implantationsaltersb unter Herauspartialisierung der Zeit seit Implantation und des Bildungsstandes der Mutter*** p < .001, Pearson, ** p < .001, Pearson, ++ p < .01, Spearman

Page 16: Einflüsse auf den Spracherwerb bei Kindern mit Cochlea ... · CI, die eine komplexe Grammatik erreichen, sind normal hörenden Kindern, deren Spracherwerb auch eine beachtli-che

Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse zu denZusammenhängen zwischen Bildungsstand, Implantations-alter und sprachlichem Fortschritt

Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem elterlichen Bil-dungsstand und den sprachlichen Fortschritten der Kinder.Dagegen konnten die korrelationsstatischen Analysen keinenZusammenhang zwischen dem Implantationsalter undsprachlichem Fortschritt nachweisen. Es gibt darüber hinauseinen Zusammenhang zwischen dem Bildungsstand und demImplantationsalter. Eltern mit höherem Bildungsstand ten-dieren dazu, ihre Kinder früher implantieren zu lassen. Die In-terpretation dieser Zusammenhänge ist eindeutig, da nur ei-ne Richtung der Einflüsse möglich ist: der elterliche Bil-dungsstand beeinflusst, wann die Kinder implantiert werden,und er beeinflusst auch ihre spätere Sprachentwicklung. Jehöher der Bildungsstand der Eltern, desto jünger sind die Kin-der bei Implantation und desto besser sind ihre späterensprachlichen Fortschritte.

Unsere Ergebnisse sind bedeutsam, weil sie zu den we-nigen gehören, die den Einfluss sozialer Faktoren auf denSpracherwerb bei Kindern mit CI untersucht haben. Da un-sere Stichprobe repräsentativ für den Bildungsstand von El-tern in Deutschland ist, sind unsere Ergebnisse besondersaussagekräftig. Die Ergebnisse bedeuten auch, dass Unter-suchungsergebnisse, die einen Einfluss des Implantationsal-ters nachweisen, ohne dass sie den Bildungsstand der Elternals Variable mit einbezogen haben, in Frage zu stellen sind.Da Eltern mit höherem Bildungsstand dazu neigen, ihre Kin-der früher implantieren zu lassen, so ist jeder vermeintlichfestgestellte Einfluss des Implantationsalters, der das nichtberücksichtigt, unweigerlich mit dem Einfluss des Bildungs-standes vermengt. Der Bildungsstand hat darüber hinaus ei-ne doppelte Wirkung. Nach der Implantation steht er in po-sitivem Zusammenhang mit Fortschritten in der Sprachent-wicklung der Kinder. Zuschreibungen an das Implantations-alter als Ursache für eine bessere Sprachentwicklung, die denBildungsstand der Eltern nicht berücksichtigen, sind in Fragezu stellen.

Für unsere eigene Studie bestätigen die Ergebnisse derkorrelationsstatistischen Analysen einerseits den Mangel ei-nes Einflusses des Implantationsalters für die gesamte Stich-probe. Für den in der Längsschnittstudie festgestellten mildenEinfluss des Implantationsalters bedeuten sie, dass diesernoch mehr eingeschränkt werden muss. Denn auch für dieseStichprobe trifft zu, dass die jünger implantierten Kinder El-tern mit höherem Bildungsstand hatten. Angesichts des nach-gewiesenen Einflusses des Bildungsstandes wäre eineSchlussfolgerung, dass eine bessere Sprachentwicklung er-zielt wird, je früher die Implantation innerhalb der ersten vierLebensjahre stattfindet, nicht berechtigt. Unsere Ergebnissebestätigen auch die von Geers et al. (2009), dass der Einflussdes Bildungsstandes auf die Sprachentwicklung von Kindernmit CI, die innerhalb der ersten vier Lebensjahre implantiertwerden, bedeutend stärker ist als der des Implantationsalters.

Sprachliche Fortschritte in Abhängigkeit vonCharakteristika der elterlichen Sprache

Die wenigen Studien zum Spracherwerb bei Kindern mitCochlea Implantat, die den Bildungsstand der Eltern als Ein-flussvariable mit einbezogen haben, haben allerdings noch

nicht geklärt, über welche Mechanismen der BildungsstandEinfluss auf den Spracherwerb nimmt. Wirkt hier eine allge-mein anregende kognitive Umwelt zu Hause, ein Interakti-onsstil, der entwicklungsfördernd ist, oder sind es spezifischeMerkmale der elterlichen Sprache, die den Spracherwerb be-günstigen?

P. Spencer (2004) konnte in einer Studie mit 13 Kindernmit CI zeigen, dass Aspekte des allgemeinen Interaktionsstilsder Eltern in positivem Zusammenhang mit Fortschritten imSpracherwerb der Kinder standen. In der Studie wurden qua-litative Interviews mit Eltern geführt. Es zeigte sich, dass El-tern, die einen offenen und ausgedehnten Entscheidungspro-zess über die Cochlea Implantation durchlaufen hatten unddie in den Lern- und Spielaktivitäten ihrer Kinder stark invol-viert waren, Kinder mit besseren sprachlichen Fortschrittenhatten. Diese Studie zeigt also, dass ein offener und in denAktivitäten der Kinder involvierter Interaktionsstil mit besse-rer Sprachentwicklung einhergeht.

In der vorliegenden Studie haben wir die speziellen Cha-rakteristika der Sprache, die Eltern an ihre Kinder richten, un-tersucht. Es ist bekannt, dass der Einfluss der elterlichenSprache auf den Spracherwerb von Kindern mit Beeinträch-tigungen einen stärkeren Einfluss hat als bei typischer Ent-wicklung (Snow, 1994). Dies trifft auch bei Kindern mit ei-ner Hörbeeinträchtigung zu (Gallaway & Woll, 1994). Ineigenen früheren Studien mit 22 Kindern mit Cochlea Im-plantat wurden bedeutsame Zusammenhänge zwischen spe-zifischen Merkmalen der elterlichen Sprache und demSpracherwerb der Kinder gefunden (Szagun, 2001b, 2004a;Rüter, 2009; Szagun & Rüter, 2009). Grundlage der Analy-sen war die Spontansprache beider Dialogpartner in einer frei-en Spielsituation. In den Analysen wurde die kindgerichteteSprache der Mutter analysiert und Merkmale dieser Sprachein Beziehung gesetzt zum MLU des Kindes einige Monate spä-ter. Es wurden zeitverschobene Korrelationen berechnet, beidenen die elterliche Sprache zu einem früheren Zeitpunkt inBeziehung gesetzt wurde zur kindlichen Sprache zu einemspäteren Zeitpunkt. Mehrere Dialogmerkmale der elterlichenSprache wiesen eine Beziehung zum späteren Spracherwerbder Kinder auf. Zu Beginn des Spracherwerbs gab es eine po-sitive Beziehung zwischen kurzen Sprechersequenzen derMutter und dem Spracherwerb des Kindes. Das heißt also, jeweniger Äußerungen die Mutter unmittelbar aufeinander fol-gend machte, bevor das Kind antwortete, desto günstigerwirkte dies auf den Spracherwerb. Es gibt dem Kind vermut-lich genug Zeit, die Äußerung zu verarbeiten. Auch die Auf-merksamkeit des Kindes sicherzustellen – etwa durch Nen-nung des Namens – stand anfänglich in positiver Beziehungzu sprachlichen Fortschritten. Eine positive Beziehung gab esauch zwischen Erweiterungen unvollständiger kindlicherÄußerungen und späteren sprachlichen Fortschritten. Auchdies war besonders im ersten Jahr nach der Implantation be-merkbar. Im zweiten Jahr nach der Implantation wirktenAspekte der Erwachsenensprache, die ein reichhaltigesSprachangebot ausmachen. So standen Kommentare überGeschehnisse und Situationen in der unmittelbaren Umge-bung, Informationsfragen und ein längeres elterliches MLU inpositiver Beziehung zu Fortschritten im Spracherwerb derKinder. Ein längeres MLU der Mutter ist im Rahmen der ein-fachen Sätze, die die kindgerichtete Sprache ausmachen, zuverstehen (Snow & Ferguson, 1974). Das MLU der Mutterwies im Übrigen die stärkste Beziehung zu Fortschritten in derSprachentwicklung des Kindes auf – und zwar sowohl im er-

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sten wie im zweiten Jahr nach der Implantation (Szagun,2001b). Aspekte der Erwachsenensprache, die sich positivauf den Spracherwerb der Kinder auswirken, sind solche, dieinteressante Informationen bieten oder zur Weiterführung desDialogs durch das Kind beitragen – wie etwa die Informati-onsfragen.

Korrelative Studien zeigen zwar Zusammenhänge zwi-schen Variablen auf, aber es ist eine Sache der Interpretati-on, ob derartige Zusammenhänge als Einflüsse in einer be-stimmten Richtung oder gar kausal verstanden werden dür-fen. Bei zeitverschobenen Korrelationen ist es einleuchtend,dass das frühere Verhalten (die Sprache der Mutter) das spä-tere Verhalten, (die Sprache des Kindes) beeinflusst. Aller-dings schließt das nicht aus, dass die Sprache der Mutterauch von der Sprache des Kindes beeinflusst wird. Überzeu-gendere Belege, dass die Sprache der Mutter den Grammati-kerwerb des Kindes beeinflusst liegen vor, wenn man zeigenkann, dass das Angebot bestimmter grammatischer Struktu-ren den Erwerb eben dieser Strukturen in der Sprache desKindes verbessert. Genau das konnten wir in einer Re-Analy-

se des Einflusses der elterlichen Sprache in der gleichenStichprobe von 22 Kindern mit CI tun (Rüter, 2009; Szagun& Rüter, 2009). Es wurde analysiert, ob die Erweiterungenbestimmter grammatischer Morpheme durch die Mütter denErwerb eben dieser Morpheme günstig beeinflussen. EineReihe von Studien bei Kindern mit typischer Sprachentwick-lung belegen, dass Erweiterungen von unvollständigen oderfehlerhaften kindlichen Äußerungen den allgemeinen Gram-matikerwerb der Kinder und den Erwerb der erweiterten Mor-pheme positiv beeinflussen (Farrar, 1990; Snow, 1994; Sax-ton et al., 2005). Die Re-Analyse der 22 Kinder mit ist dieerste Analyse, die den Effekt von Erweiterungen bestimmterMorpheme auf den Erwerb spezifischer Morpheme bei Kin-dern mit Cochlea Implantat untersucht.

Untersucht wurden die Morpheme: Plural, Verbendungen,definiter und indefiniter Artikel im Nominativ, Akkusativ undDativ (Rüter, 2009). Beispiele unvollständiger kindlicherÄußerungen und deren Erweiterungen um die korrekten Mor-pheme durch Mütter sind:

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EINFLÜSSE AUF DEN SPRACHERWERB BEI KINDERN MIT COCHLEA IMPLANTAT

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Morphem Unvollständige/inkorrekte kindliche Äußerung Erweiterung des Erwachsenen

PluralVerbmarkierungen

Artikel, Genus

Artikel, Kasus

Huhnersalle umkippein Hammer fundeder Badezimmerda is Tankstellein Zoo fahrender sitzt auf eine Bank

Hühneralle umkippenhast einen Hammer gefundendas Badezimmerda ist eine Tankstellein den Zoo fahrender sitzt auf einer Bank

Für jedes Flexionsparadigma wurden zeitverschobene Korre-lationsanalysen durchgeführt. Es wurde untersucht, ob die Er-weiterungen eines jeweils unvollständig/fehlerhaft gebrauch-ten Morphems zu einem früheren Zeitpunkt nach einigen Mo-naten zum besseren Gebrauch des jeweiligen grammatischenMorphems führten. Dabei wurde noch eine zusätzliche stren-ge Kontrolle durchgeführt. Es wurde der Gebrauch des je-weiligen Morphems des Kindes zum frühen Messzeitpunktheraus gerechnet (partielle Korrelation). Damit erreicht man,dass der aktuelle Stand des Gebrauchs, der von Kind zu Kindunterschiedlich sein mag, nicht mit dem Einfluss der elterli-chen Erweiterung vermengt wird.

Die Analysen zeigen eine positive Beziehung zwischen denErweiterungen von Pluralformen, Verbendungen und Artikel-formen. Das heißt also, je häufiger Mütter inkorrekte Plural-formen, Verbendungen und Artikelformen erweitern, destoschnellere Fortschritte machen die Kinder beim Erwerb die-ser Formen (Rüter, 2009; Szagun & Rüter, 2009). Meist warder Effekt der Erweiterungen erst nach neun Monaten bis ei-nem Jahr beobachtbar. Am stärksten war die Wirkung der Er-weiterungen bei den Artikelformen. Hier trat der Effekt aufmehr Messzeitpunkten ein als bei Plural- und Verbmarkie-rungen. Er trat für alle Artikelformen ein: definite Artikel imNominativ (hier war die Genusmarkierung ausschlaggebend),Akkusativ und Dativ, indefinite Artikel im Nominativ und Ak-kusativ (der Dativ im indefiniten Artikel wurde zu wenig ge-braucht). Diese Analyse zeigt, dass die Erweiterungen spezi-fischer grammatischer Morpheme den Erwerb eben dieserMorpheme positiv beeinflusst. Damit ist ein überzeugenderBeleg für die Wirkung von Erweiterungen gegeben.

Die Studien zum Einfluss des Bildungsstandes und der Spra-che der Eltern zeigen, dass auch bei den früh implantiertenKindern diese beiden Faktoren die entscheidende Wirkung aufdie Sprachentwicklung der Kinder haben. Was wir noch nichtwissen, ist, ob die Dialogmerkmale, die die Sprache der Kin-der positiv beeinflussen, auch mit dem Bildungsstand zu-sammen hängen. Wenn sie das tun, könnte das die Frage be-antworten, über welche Mechanismen der Bildungsstandwirkt. Hoff (2003) konnte für Kinder mit typischer Sprach-entwicklung zeigen, dass der Einfluss des Bildungsstandesder Mutter über einige Charakteristika der Sprache der Mut-ter geschieht. Das wesentliches Merkmal war das MLU derMutter. Mit dem MLU korrelieren viele andere Charakteristi-ka der kindgerichteten Sprache – wie etwa Vokabular, Infor-mationsfragen und Kommentare und Aussagen. Das MLUkann daher als die kindgerichtete Sprache allgemein charak-terisierend gelten. Seine Wirkung ist auf den Grammatiker-werb im Allgemeinen, also die Satzlänge und Morpheme be-treffend. Dagegen haben Erweiterungen in der kindgerichte-ten Sprache eine besondere Stellung. Sie erweisen sich alsförderlich, weil sie allgemein und zusätzlich auf die spezifi-schen grammatischen Morpheme, die sie mit korrektem Feed-back versehen, wirken.

Es ist gut vorstellbar, dass das elterliche MLU mit dem Bil-dungsstand zusammenhängt. Ein höheres MLU und die da-mit einhergehenden Kommentare über Geschehnisse stehenfür ein reichhaltiges Sprachangebot der Eltern. Das macht denZusammenhang mit dem Bildungsstand einleuchtend. An-ders mag das bei Erweiterungen aussehen. Es ist bekannt,dass Eltern Erweiterungen inkorrekter kindlicher Äußerungennicht mit lehrender Absicht produzieren. Sie sind sich mei-

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stens dessen gar nicht bewusst, dass sie etwas Unvollstän-diges oder Falsches mit der korrekten Form wiederholen (Sza-gun, 2006). Erweiterungen sind vermutlich Reaktionen aufdie aktuelle Sprechsituation. Der erwachsene Sprecher ver-fügt über eine Basisgrammatik und setzt diese automatischein, da unser grammatisches Wissen ein automatisch und un-bewusst ablaufender Prozess ist. Erwachsene mögen auf die-se Art auch ganz automatisch mit einer Erweiterung auf eineunvollständige oder inkorrekte grammatische Äußerung rea-gieren. Hier mag der Bildungsstand weniger zum Tragen kom-men. Erweiterungen wären dann ein Mechanismus in derkindgerichteten Sprache, der unabhängig vom Bildungsstandwirkt.

Diese Überlegungen führen zur Beantwortung der drittenForschungsfrage, die wir uns in der vorliegenden Studie ge-stellt haben:

Haben Charakteristika der elterlichen Sprache einen Ein-fluss auf den Spracherwerb der Kinder? Und wenn ja, hän-gen sie mit dem Bildungsstand zusammen?

Spezieller formuliert: Wirkt der elterliche Bildungsstandüber das elterliche MLU, also eine reichhaltige Sprache?Wirkt der Bildungsstand über die Erweiterungen, oder sinddiese ein unabhängiger Mechanismus?

Ob Merkmale der elterlichen Sprache vom Bildungsstand ab-hängig sind oder nicht, hat für die Praxis eine große Bedeu-tung. Die Abhängigkeit vom Bildungssstand würde es für El-tern mit höherem Bildungsstand leichter machen, ihre Kindersprachlich zu fördern. Wenn dagegen, z.B. die Erweiterungenein vom Bildungsstand unabhängiger Mechanismus sind, wä-re das eine Art und Weise, wie alle Eltern ihre Kinder sprach-lich fördern.

Ergebnisse auf der Basis der neueren Längsschnittstudie

Diese Fragen wurden auf der Basis der spontanen Sprechda-ten der Längsschnittstudie untersucht. Nur in dieser kleine-ren Stichprobe war es möglich, die aufwendige Analyse derspontanen Sprechdaten des Kindes und der kindgerichterenSprache der Eltern durchzuführen. Es ist in der Spracher-werbsforschung üblich, derartige Analysen mit kleinerenStichproben durchzuführen (MacWhinney, 2000; Behrens,2008). Die Stichprobe von 25 musste auf 23 reduziert wer-den, da die Eltern von zwei Kindern nicht mit der Analyse ih-rer Sprache einverstanden waren.

Die Analyse der spontanen Sprechdaten von Kind und Er-wachsenem wurde schon im Teil Sprachmaße und Kodie-rung der Spontansprache dargestellt. In diesem Teil wird mit

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dem Maß des MLU bei Kind und Erwachsenem gearbeitet undmit Erweiterungen der Erwachsenen. Alle Erweiterungen un-vollständiger und inkorrekter kindlicher Äußerungen wurdenanalysiert. Einige Beispiele von Erweiterungen aus Dialogensind:

Kind: Die schön. Erwachsener: Die sind schön.

Kind: Den Schlüssel degebt.Erwachsener: Ich hab dir den Schlüssel gegeben, genau.

Kind: Mit die Tiere.Erwachsener: Mit den Tieren.

Alle Erweiterungen in den Transkripten wurden von einem Ko-dierer kodiert. Ein zweiter Kodierer führte davon unabhängigeine Kodierung der Erweiterungen an 35 % der Transkriptedurch. Als Maß der Interkodiererübereinstimmung wurde Co-hen’s Kappa berechnet. Es ergab sich ein Kappa von .92, dasein hohes Maß der Übereinstimmung zwischen Kodierern an-zeigt.

Korrelationsstatische Analysen

Diese Analysen gehen in drei Schritten vor. Als erstes wird un-tersucht, ob das MLU und die Erweiterungen der Mutter ei-nen Zusammenhang mit dem kindlichen MLU aufweisen. Alszweites wird gefragt, ob die Sprachmaße der Mutter und diedes Kindes einen Zusammenhang mit dem Bildungsstand derMutter aufweisen. Falls das der Fall ist, wird in einem drittenSchritt untersucht, ob dieser Zusammenhang an Stärke ver-liert, wenn die Varianz, die durch das MLU der Mutter unddie Erweiterungen der Mutter erklärt werden, durch Her-auspartialisierung entfernt wird. Damit wird die Methode vonHoff (2003) angewandt. Sie argumentiert wie folgt. Die Spra-che der Mutter wirkt als »Mediator« zwischen ihrem Bil-dungsstand und dem sprachlichen Fortschritt des Kindes.Durch sie wird die Wirkung erzielt. Um das zu zeigen, mussman belegen, dass: a) der Bildungsstand in Beziehung stehtmit dem kindlichen Sprachfortschritt und Merkmalen derSprache der Mutter, den sog. »Mediatoren«, und b) dass dieStärke dieser Beziehung substanstiell reduziert wird, wennman die Varianz, die auf die Mediatoren zurückgeht, entfernt(Hoff, 2003).

Es wurden zeitverschobene Korrelationen (Pearson) be-rechnet zwischen jeweils dem MLU und den Erweiterungender Mutter und dem MLU des Kindes. Das MLU/die Erweite-rungen der Mutter zu früheren Messzeitpunkten wurden mitdem MLU des Kindes zu darauf folgenden Messzeitpunktenkorreliert. Das bedeutet, dass das MLU/die Erweiterungen der

Mutter zu den Zeitpunkten 12, 18 und 24 Monate nach derImplantation mit den MLU Werten des Kindes bei jedem dar-auf folgenden Messzeitpunkt korreliert wurden (s. Tabellen 8und 9). Es wurden bivariate und partielle Korrelationen be-rechnet. Die bivariaten Korrelationen korrelieren MLU/Erwei-terungen der Mutter mit dem MLU des Kindes, ohne das kind-liche MLU heraus zu rechnen (partialisieren). Die partiellenKorrelationen rechnen den Effekt des kindlichen MLU zu demZeitpunkt, an dem das MLU/die Erweiterungen der Mutter indie Kalkulation eingehen, heraus. Dieses Verfahren wird vonRichards (1994) empfohlen. Er argumentiert, dass eine kau-sale Wirkung der mütterlichen Sprechmerkmale durch zwei-erlei plausibel wird. Erstens dadurch, dass das sprachlicheVerhalten der Mutter dem Verhalten des Kindes vorausgeht.Das wird durch die zeitverschobenen Korrelationen erreicht.Zweitens dadurch, dass das Verhalten der Mutter nicht vomVerhalten des Kindes beeinflusst ist. Das wird dadurch er-reicht, indem das MLU des Kindes herausgerechnet wird,denn das MLU des Kindes könnte die Sprachproduktion derMutter beeinflussen. Dieses Verfahren ist das strengste zurÜberprüfung der Wirkung der Sprache der Mutter. Man kannauch argumentieren, dass es Sinn macht, das sprachlicheVerhalten der Mutter abhängig vom Sprachstand des Kindeszu betrachten, da dies der Realität der sprachlichen Interak-tion entspricht (Hoff, 2003). In dem Fall wird das kindlicheMLU nicht herauspartialisiert. Ich halte beide Meinungen fürsinnvoll und habe daher bivariate und partielle Korrelationenberechnet.

Tabelle 8 zeigt, dass das MLU der Mutter einen signifi-kanten Zusammenhang mit dem MLU des Kindes zu späte-ren Zeitpunkten aufweist. Dieser Zusammenhang ist stärkerfür die bivariaten Korrelationen, also, wenn das MLU des Kin-des nicht heraus gerechnet wurde. Wenn das MLU des Kin-des heraus gerechnet wird, also bei den partiellen Korrelatio-nen, ist die Stärke des Zusammenhangs geringer und erreichtnicht immer Signifikanz.

Die Erweiterungen der Mutter weisen ebenfalls einen sig-nifikanten Zusammenhang mit dem MLU des Kindes zu spä-teren Zeitpunkten auf (s. Tabelle 9). Auch hier ist der Zu-sammenhang stärker für die bivariaten Korrelationen. Wenndas MLU des Kindes heraus gerechnet wird, erreichen dieKorrelationen nicht immer Signifikanz. Das betrifft besondersden letzten Messzeitpunkt, 30 Monate nach Implantation.

Charakteristika der Sprache der Mutter stehen also im Zu-sammenhang mit dem sprachlichen Fortschritt des Kindes.Längeres MLU der Mutter wirkt sich positiv auf die sprachli-chen Fortschritte des Kindes aus. Es ist ein strukturell reich-haltiges Sprachangebot, das diesen Einfluss hat. Auch Er-

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Tabelle 8:Zeitverschobene bivariate und partielle Korrelationen zwischen MLU der Mutter und MLU des Kindes (n=23)

MLU der Mutter MLU des Kindes

18 24 30 Monate nach Implantation

bivariat partiell bivariat partiell bivariat partiell

12 Monate nach Implantation a18 Monate nach Implantation a24 Monate nach Implantation a

.84*** .37 .75***.80***

.50*

.57**.82***.79***.64***

.67***

.54**

.10

a MLU des Kindes an diesem Messzeitpunkt herauspartialisiert*** p < .001, ** p < .01, * p < .05, Pearson

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weiterungen wirken sich positiv auf die sprachlichen Fort-schritte des Kindes aus. Je häufiger Mütter grammatisch un-vollständige oder inkorrekte Äußerungen des Kindes erwei-tern, desto besser der grammatische Fortschritt. Bei beidenVariablen sind die Zusammenhänge stärker, wenn das MLUdes Kindes nicht heraus gerechnet wird.

Wir kommen nun zur Frage, ob Bildungsstand der Muttermit dem MLU des Kindes, dem MLU und den Expansionender Mutter zusammenhängen. (Korrelationen zwischen Bil-dungsstand und MLU des Kindes sind schon für die Gesamt-stichprobe, müssen aber hier noch einmal für die Längs-schnittprobe berechnet werden). Wie die signifikanten Korre-lationen (Spearman) in Tabelle 10 zeigen, ist dies für das MLUder Mutter und des Kindes der Fall, nicht aber für die Erwei-terungen, außer beim ersten Messzeitpunkt. Was das Sprach-angebot der Mutter angeht, so heißt das, dass die Reichhal-tigkeit des sprachlichen Angebots mit höherem Bildungs-stand einhergeht, nicht aber die Produktion von Erweiterun-gen. Mütter produzieren Erweiterungen kindlicherÄußerungen unabhängig von ihrem Bildungsstand. Ihre Re-aktionen auf Unvollständigkeiten und Inkorrektheiten in derSprache des Kindes sind nicht von ihrem Bildungsstand ab-hängig.

Im letzten Schritt schließlich zeigen die Korrelationen in Ta-belle 11, dass die Stärke des Zusammenhangs zwischen demBildungsstand der Mutter und dem MLU des Kindes sub-stantiell reduziert wird, wenn man das MLU der Mutter ausdieser Beziehung herausrechnet. Sie wird so stark reduziert,dass sie nicht mehr signifikant wird. Der Bildungsstand wirktüber das mit dem MLU implizierten reichhaltigen Sprachan-gebot. Eine solche »vermittelnde« Beziehung zwischen Bil-dungsstand und sprachlichen Fortschritten des Kindes trifftnicht für die Erweiterungen zu. Die einzige signifikante Kor-relation zwischen Bildungsstand der Mutter und sprachli-chem Fortschritt des Kindes bleibt unverändert bestehen,wenn die Varianz, die auf Erweiterungen zurückzuführen ist,heraus gerechnet wird. Erweiterungen haben also unabhän-gig vom Bildungsstand der Mutter eine Wirkung auf diesprachlichen Fortschritte des Kindes (s Tabelle 11).

Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse zum Zu-sammenhang von sprachlichem Fortschritt in Abhängigkeitvon Charakteristika der elterlichen Sprache

Eine frühe Studie (Szagun, 2001b, 2004) hat gezeigt, dassCharakteristika der kindgerichteten Sprache einen positivenEinfluss auf den Spracherwerb von Kindern mit Cochlea Im-

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Tabelle 9:Zeitverschobene bivariate und partielle Korrelationen zwischen Erweiterungen der Mutter und MLU des Kindes (n=23)

Expansionen der Mutter MLU des Kindes

18 24 30 Monate nach Implantation

bivariat partiell bivariat partiell bivariat partiell

12 Monate nach Implantation a18 Monate nach Implantation a24 Monate nach Implantation a

.55*** .19 .62***.73***

.42*

.72**.60***.63***.00

.39***

.49**

.07

a MLU des Kindes an diesem Messzeitpunkt herauspartialisiert*** p < .001, ** p < .01, * p < .05, Pearson

Tabelle 10:Korrelationen zwischen Bildungsstand der Mutter und MLU des Kindes, MLU der Mutter und Erweiterungen der Mutter (n=23)

Sprachmaßdes Kindes/der Mutter

Monate nach der Implantation:

12 18 24 30

Bildungsstand der MutterBildungsstand der MutterBildungsstand der Mutter

MLU des KindesMLU der MutterExpansionen der Mutter

.53**

.42*

.41*

.70***

.64***

.24

.57**

.61**

.01

.52**

.65***-.29

*** p < .001, ** p < .01, * p < .05, Spearman

Tabelle 11:Korrelationen zwischen Bildungsstand der Mutter und MLU des Kindes unter Herauspartialisierung der Varianz, die auf das MLU und dieErweiterungen der Mutter zurückzuführen ist (n=23)

heraus partialisiert MLU des KindesMonate nach der Implantation:

12 18 24 30

Bildungsstand der MutterBildungsstand der Mutter

MLU des KindesExpansionen der Mutter

.25**

.42*.35---

.30---

.28---

*** p < .001, ** p < .01, * p < .05, Pearson

Page 21: Einflüsse auf den Spracherwerb bei Kindern mit Cochlea ... · CI, die eine komplexe Grammatik erreichen, sind normal hörenden Kindern, deren Spracherwerb auch eine beachtli-che

plantat haben. Das sind zu Beginn des Spracherwerbs Merk-male, die die Aufmerksamkeit des Kindes sicherstellen undinnerhalb dieser Zeit Information bieten, die verarbeitet wer-den kann. Es sind dann zunehmend Aspekte, die eine reich-haltige Sprache beinhalten, wie ein längeres MLU und vieleKommentare. Einen ganz besonders positiven Einfluss habendie Erweiterungen spezifischer grammatischer Morpheme,die Kinder fehlerhaft benutzen. In der ersten derartigen Ana-lyse bei Kindern mit Cochlea Implantat konnte für wesentli-che Flexionsparadigmen des Deutschen gezeigt werden, dasssolche Erweiterungen den Erwerb der spezifischen Morphe-me fördern, die sie erweitern (Rüter 2009, Szagun & Rüter,2009). Im Bereich der Forschungen zum Spracherwerb beiKindern mit Cochlea Implantat sind unsere Analysen weltweitdie ersten, die den Einfluss der elterlichen Sprache auf denSpracherwerb von Kindern mit CI in solch einem Detail be-legt haben.

In der vorliegenden Studie ging es darum zu klären, wieder Bildungsstand der Mutter seinen Einfluss auf den Spra-cherwerb des Kindes ausübt. Es konnte gezeigt werden, dasser das über die kindgerichtete Sprache tut. Mütter mit höhe-rem Bildungsstand richten eine reichhaltige Sprache an ihreKinder, und dies beeinflusst den Spracherwerb von Kindernmit CI positiv. Erweiterungen allerdings produzieren Mütterunabhängig von ihrem Bildungsstand. Sie wirken ebensosprachförderlich wie eine reichhaltige Sprache. Da ihre Pro-duktion aber unabhängig vom Bildungsstand der Mutter ge-schieht, sind sie für die Praxis der Sprachförderung besondersrelevant. Auch Eltern, die sie weniger einsetzen, können - ein-mal darauf aufmerksam gemacht - lernen, dieses mehr zu tun.

Ich meine, dass die Einflussnahme der Charakteristika derkindgerichteten Sprache in den vorliegenden Ergebnissen ein-drucksvoll demonstriert worden ist. Strenge methodischeKontrollen wurden angewendet. So ist der Einfluss der Er-wachsenensprache zeitlich verschoben, er ist vorhanden,wenn der Einfluss des Erwachsenen auf das Kind ausge-schlossen wird, und er ist in ganz spezifischen Flexionspara-digmen vorhanden.

Dennoch ist es auch sinnvoll, den Einfluss der Erwachse-nensprache zu betrachten, wenn dieser abhängig ist vom Ein-fluss der kindlichen Sprache. Das dürfte der Realität des Dia-logs entsprechen. Die Sprache der Mutter und die des Kindesbeeinflussen sich gegenseitig. Wenn Kinder längere Äuße-rungen produzieren, neigen Mütter dazu, ihrerseits längereÄußerungen zu produzieren. Auch für die Produktion von Ex-pansionen trifft zu, dass diese bis zu einem gewissen Gradvon der Sprachproduktion des Kindes abhängig ist. Kindermüssen einen gewissen Grammatikstand erreicht haben, uminkorrekte Äußerungen zu produzieren. Das gibt Erwachsenendie Gelegenheit, mit Expansionen zu reagieren. Es macht al-so Sinn, den Einfluss des sprachlichen Verhaltens der Mutterauch in Abhängigkeit vom Sprachstand des Kindes zu analy-sieren.

Bewältigung der Lebenssituation durchdie Eltern

In diesem Teil möchte ich auf ein Thema kommen, dass inden Forschungen über Kinder mit Cochlea Implantation we-nig Beachtung findet. Das ist die Bewältigung der Lebenssi-

tuation durch die Eltern. Forschungen über Kinder mitCochlea Implantat sind häufig motiviert, den Erfolg des Im-plantats zu demonstrieren. Das Gebiet, auf dem das über-wiegend getan wird, ist die kommunikative und sprachlicheEntwicklung des Kindes. Es erwartet, dass Kinder mit CI diegesprochene Sprache erwerben wie normal hörende Kinder.Und nicht nur das, es wird zunehmend erwartet, dass sie biszur Schulzeit mit diesen gleich ziehen (Nicholas & Geers,2007; Geers et al., 2009). Das erzeugt einen hohen Erfolgs-druck für Eltern. Wie gehen Eltern mit dieser Situation um?Eltern gehen jahrelang durch eine Zeit intensiver Belastung,beginnend mit der Diagnose der Gehörlosigkeit des Kindes,der Entscheidungsfindung über die Cochlea Implantation undweiterhin in den Jahren der aufwendigen Rehabilitation (Ar-chbold et al., 2002; Burger et al., 2005; Yoshinaga-Itano,2006; Zaidman-Zaid, 2007; Weisel et al., 2007). Es ist er-staunlich, wie wenig Untersuchungen – insbesondere inDeutschland – es dazu gibt, wie Eltern diese Situation be-wältigen.

Die Erwartungen der Eltern an das Cochlea Implantat sindhoch – laut Weisel et al. (2007) oft zu hoch. Eltern habenüberwiegend eine sehr positive Einstellung zur Implantationund Rehabilitation des Kindes (Archbold et al., 2006; Wei-sel et al., 2007; Zaidman-Zaid, 2007). Sie sind sich derWichtigkeit ihrer Rolle bei der Rehabilitation bewusst und ver-stehen ihre Einstellung als einflussreich auf die weitere Ent-wicklung des Kindes. Sie wünschen sich jedoch von den me-dizinischen Teams deutlich mehr Information über die Im-plantation und den Rehabilitationsprozess vor der Operation(Archbold et al., 2006), und sie wünschen sich fortlaufendeUnterstützung von professioneller Seite, die über die medizi-nischen und audiologischen Kontrollen hinausgehen (Arch-bold et al., 2006; Spahn et al., 2003; Weisel et al., 2007).

In einer Studie aus Israel wurden Stress und Erwartungender Mütter von Kindern über die ersten drei Jahre nach derImplantation untersucht (Weisel et al., 2007). Es zeigte sichüber den gesamten Zeitraum ein mittlerer, aber unveränder-ter Stress. Die Erwartungen der Eltern an die kommunikativeund sprachliche Entwicklung der Kinder sowie ihren Schu-lerfolg zu Beginn der Untersuchung waren sehr hoch, nahmenaber im Laufe der drei Jahre deutlich ab. Es setzte sich all-mählich die Erkenntnis durch, dass die Kinder die hohen Er-wartungen nicht erfüllten, dass sie weiterhin hörbeeinträch-tigt bleiben und fortlaufende Rehabilitation notwendig ist. DieEltern, die glaubten, ihr Kind sei wie ein normal hörendes, er-lebten eine größere Enttäuschung. Die Autoren meinen, dassdie Erwartungen an das CI bei den Eltern zu hoch und un-realistisch sind. Zu dieser Einstellung wird ihrer Meinungnach von Seiten der Medizin beigetragen. Die hohen Erwar-tungen verleiten die Eltern dazu, den Schweregrad der Hör-beeinträchtigung ihres Kindes vor sich selber zu leugnen. Erstwenn das CI das erwartete »Wunder« nicht vollbringt, erken-nen sie, dass die Probleme der Hörbeeinträchtigung bleiben.Erst dann entstehen realistische Erwartungen.

In Ermangelung einer ähnlichen Untersuchung inDeutschland, kann nur vermutet werden, dass Eltern in einerähnlichen Lage sind. Nach 12 Jahren Forschung und Kontaktmit Eltern von Kindern mit CI würde ich eine solche Vermu-tung wagen. Für Eltern in Deutschland erhöht sich der Er-folgsdruck hinsichtlich des Gelingens der Lautsprachent-wicklung, da die Möglichkeit einer Zweisprachigkeit mit Ge-bärdensprache in der Regel nicht in Betracht gezogen wird.

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EINFLÜSSE AUF DEN SPRACHERWERB BEI KINDERN MIT COCHLEA IMPLANTAT

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In einer Studie aus Kanada (Zaidman-Zaid, 2007) wur-den auf der Basis von qualitativen Interviews mit Müttern undVätern von Kindern mit CI die Verhaltensweisen analysiertund in ihrer Wichtigkeit plaziert, die den Eltern bei der Be-wältigung der Situation geholfen haben. Die drei wichtigstenVerhaltensweisen waren: 1. unmittelbar nach der Operationden Verlauf von Erfolgen zu identifizieren – so die ersten Re-aktionen des Kindes auf Geräusche und Wahrnehmung vonSprache, die ersten Sprachlaute und Sprachproduktionen; 2.der Austausch von Erfahrungen mit anderen Eltern von Kin-dern mit CI; 3. die Unterstützung durch Fachkräfte wieSprachtherapeuten und Gehörlosenlehrer - auch deren emo-tionale Unterstützung. Die drei nächst wichtigen waren: 4. diekontinuierliche Unterstützung durch Familie und Freunde – imemotionalen Bereich, bei der Informationssuche und bei derDurchführung der Rehabilitation; 5. die Rehabilitation selbermit ihren Angeboten an Sprachtherapie und Gebärdenspra-che und integrativen Kindergärten; 6. das eigene Handeln:aus der emotionalen Erschütterung herauskommen, zu ler-nen, wie Eltern ihr Kind unterstützen können. Neben diesensechs wichtigsten Verhaltensweisen gab es eine Reihe vonanderen, die etwas weniger wichtiger eingeschätzt wurdenund wie folgt zusammengefasst werden können. Einige be-zogen sich darauf, das Wissen zu erweitern: über Gehörlo-sigkeit und Sprachentwicklung, über Gebärdensprache unddiese zu erlernen. Andere bezogen sich auf gemeinsame Ak-tivitäten zusammen mit anderen Eltern in der gleichen Situa-tion und auf die Beobachtung der CI Kinder, um ihre Schwie-rigkeiten besser zu verstehen sowie auf den Kontakt mitgehörlosen Erwachsenen. Hilfreich bei der Bewältigung fan-den die Eltern auch, die Art, wie ihr Kind die Situation mei-

stert, besser zu verstehen, und vor allem, wenn es ihnen ge-lang, die Rehabilitation in ihren Alltag zu integrieren.

Diese Untersuchung macht klar, dass Eltern ein Gefühl derBeherrschung und Kontrolle über die schwierige Lebenssi-tuation erreichen müssen. Zaidman-Zaid (2007) ist der Auf-fassung, dass sie dabei professionelle Unterstützung brau-chen, die ihren gesamten Lebensbereich – nicht nur dieSprachtherapie und audiologische Kontrollen – umfasst.

Auch von dieser Untersuchung ist sicher vieles auf diedeutsche Situation übertragbar. Aber auch hier muss – wie inBezug auf die israelische Untersuchung – gesagt werden, dassder Mangel der Möglichkeit zur Zweisprachigkeit mit Gebär-densprache die Situation erschwert. In Ländern wie Kanada,Israel, USA und UK, in denen die Gebärdensprache eine Prä-sens hat und als eine Möglichkeit auch für Kinder mit CI inBetracht gezogen wird, wird vermutlich die Angst vor demNicht- oder nur unzureichenden Gelingen des gesprochenenSpracherwerbs reduziert. Das dürfte die Situation für Elternerleichtern.

Schlussfolgerungen für die Praxis

Auf der Grundlage unserer Studien möchte ich einige Schlus-sfolgerungen für die Praxis ziehen. Diese beziehen sich auf Er-wartungen an den Spracherwerb bei Kindern mit CI, auf dieEntscheidung für eine sehr frühe Implantation, den sprachli-chen Umgang mit CI-Kindern und die Möglichkeit einer Zwei-sprachigkeit mit Gebärdensprache.

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Erwartungen und Prognosen

Wie bereits erwähnt, sind die Erwartungen an das CI unge-heuer hoch. Glaubt man Medienberichten und manchen Dar-stellungen von »Starkindern« auf (wissenschaftlichen) Ta-gungen, so ersetzt das CI das natürliche Hören vollkommen.Ein natürlicher Spracherwerb, äquivalent dem normal hören-der Kinder, ist zu erwarten – besonders dann, wenn die Im-plantation sehr früh stattfand. Eine realistische Darstellung,die die ganze Spannbreite an unterschiedlichen Entwick-lungsfortschritten der Kinder darstellt, findet sich selten.

Wir haben gesehen, dass es normal ist, dass die Sprach-entwicklung bei Kindern mit CI extrem unterschiedlich ver-läuft. Eine sehr frühe Implantation – etwa im ersten Lebens-jahr - ändert daran nichts. Was sind realistische Erwartungenan den Spracherwerb der Kinder? Ich möchte das auf der Ba-sis meines jetzigen Kenntnisstandes für Kinder, die ihr CI zwi-schen sechs und 47 Monaten erhalten, wie folgt zusammen-fassen.

� Ein Spracherwerb, der dem natürlichen gleicht, ist mög-lich.

� Es gibt jedoch keine Garantie auf einen solchen Spra-cherwerb.

� Wenn der Spracherwerb dem natürlichen äquivalent ver-läuft, kommt er mit der Bildung kleiner Sätze bis ungefährzwei Jahre nach der Operation voll in Gang.

� Werden um diese Zeit oder kurz danach noch keine klei-nen Sätze gebildet, so gibt es wahrscheinlich keinen demnatürlichen gleichenden Spracherwerb.

� Selbst bei optimalem Spracherwerb ist es wahrscheinlich,dass kleine Schwächen in der Sprache verbleiben, die je-doch vermutlich durch den späteren Schriftspracherwerbausgeglichen werden können.

Lassen sich Prognosen stellen? Diese Frage ist weitausschwieriger zu beantworten. Forschungsergebnisse in allenSprachen haben gezeigt, dass der Spracherwerb bei Kindernmit CI durch viele Faktoren beeinflusst wird. Dazu gehörendas Implantationsalter, die Qualität des prä-operativenHörens, der Bildungsstand der Eltern, die Qualität der kind-gerichteten Sprache der Eltern, ihr Grad der Involviertheit inden Lernaktivitäten des Kindes, und – sofern praktiziert, Zwei-sprachigkeit mit Gebärdensprache. Alle diese Faktoren wir-ken, und sie beeinflussen sich gegenseitig. Weiterhin sind unsnicht alle Einflussfaktoren auf den Spracherwerb der Kinderbekannt. Die genannten Faktoren erklären nur einen Teil derUnterschiede zwischen den Kindern, ein Großteil bleibt un-erklärt. Es wäre daher unangemessen, sichere Prognosen zustellen. Vollkommen unmöglich ist eine Prognose für ein ein-zelnes Kind. Forschungsergebnisse lassen nur Rückschlüsseauf Gruppen von Kindern zu, die denen, mit denen die For-schung durchgeführt wurde, gleichen. Zusammen fassendmöchte ich auf der Basis unserer Forschungen sagen:

� Eine Prognose für ein individuelles Kind lässt sich nichtstellen.

� Kinder, die im ersten und zweiten Lebensjahr implantiertwurden, machen anfänglich bessere Fortschritte.

� Bei Kindern, die im dritten und vierten Lebensjahr im-plantiert wurden, treten diese Fortschritte etwas später ein.

� Der Bildungsstand und die Sprache der Eltern beeinflus-sen den Spracherwerb der Kinder. Eltern mit höherem Bil-

dungsstand machen ein reichhaltigeres Sprachangebot.Ihre Kinder machen bessere sprachliche Fortschritte.

� Unabhängig vom Bildungsstand wirken Erweiterungengrammatikalisch inkorrekter kindlicher Äußerungen. Jemehr Eltern diese im Verlauf des natürlichen Dialogs an-bieten, desto förderlicher ist dies für den Spracherwerb.

Vorteile einer sehr frühen Implantation?

Aktuell wird diskutiert, ob der Spracherwerb besser verläuft,je früher die Kinder ihr Implantat innerhalb der ersten vier Le-bensjahre erhalten. Besonders die sehr frühe Implantationschon im ersten Lebensjahr wird mancherorts favorisiert, inmanchen Ländern jedoch nicht zugelassen oder wenig prak-tiziert. Empirische Belege über sensible Phasen für auditivesund sprachliches Lernen führen nicht zwingend zu demSchluss, dass eine Implantation im ersten Lebensjahr zu ei-nem besseren Spracherwerb führt. Einige Forschungsergeb-nisse zeigen einen leicht besseren Spracherwerb bei Kindern,die vor ihrem zweiten Geburtstag implantiert wurden ge-genüber solchen, die im dritten und vierten Lebensjahr im-plantiert wurden. Diese Tendenz war in unserer neuestenStudie nur sehr schwach ausgeprägt. Die Ergebnisse unsererStudie sind bedeutungsvoll, da sie bisher weltweit die ersteist mit einer Stichprobe, die auch eine große Anzahl von imersten Lebensjahr implantierten Kindern enthält und dieaußerdem den Bildungsstand der Eltern repräsentativ für dieBevölkerung widerspiegelt. Eine deutliche Überlegenheit imSpracherwerb von sehr früh implantierten Kindern war darinnicht zu erkennen.

Bei der Frage einer sehr frühen Implantation ist zu berück-sichtigen:

� Es gibt bisher keine fundierten Belege dafür, dass derSpracherwerb bei Implantation im ersten Lebensjahr bes-ser verläuft.

� Es gibt Belege für einen leichten Vorteil im Spracherwerbbei Implantation vor 24 Monaten.

Neben der Berücksichtigung eines möglichen Vorteils fürsprachliches Lernen gilt es, psychosoziale Aspekte bei derEntscheidung über den Zeitpunkt der Implantation zu beach-ten. Eltern müssen genügend Zeit haben, ihre Gefühle zu ver-arbeiten, sich gründlich über verschiedene Möglichkeiten fürihr hörgeschädigtes Kind zu informieren und vor allem ihre Le-bens- und Berufsplanung in Einklang mit der zeitaufwendi-gen, anstrengenden Rehabilitation ihres Kindes zu bringen. Indiesem Prozess kommt es nicht auf einige Monate früher oderspäter an. Kein Forschungsergebnis stützt diese Sicht. Den-noch gewinnt man in Gesprächen mit Eltern oft den Eindruck,dass sie von medizinischer Seite gelegentlich zu einer sehrschnellen Entscheidung und sehr frühen Implantation ge-drängt werden.

Worauf es ankommt, ist, dass ein Zeitpunkt gefundenwird, der positiv für den Spracherwerb ist und positiv für dieLebenssituation der Eltern. Nach dem jetzigen Stand der For-schung scheint mir dieser Zeitpunkt innerhalb der ersten bei-den Lebensjahre des Kindes zu liegen. Er berücksichtigt denleichten Vorteil für den Spracherwerb bei Implantation vordem zweiten Geburtstag und lässt genügend Zeit für denGrammatikerwerb, innerhalb der sensiblen Phase für sprach-liches Lernen in Gang zu kommen.

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� Aus meiner Sicht ist ein Zeitpunkt im Verlauf des zweitenLebensjahres geeignet für die Implantation. Das berück-sichtigt den leichten Vorteil für den Spracherwerb undpsychosoziale Aspekte.

Wie können Eltern den Spracherwerb ihresKindes fördern?

Im Leben eines Kindes ist der Spracherwerb ein natürlicherProzess. Der optimale Fall bei Kindern mit CI ist, dass er ge-nauso natürlich und selbstverständlich abläuft wie bei Kin-dern mit normalem Hören. Dieser Fall tritt vermutlich nur sel-ten ein. Es bleibt eine Hörschädigung, und diese erfordert Un-terstützung beim Spracherwerb. Eines aber bleibt bei gleich:der Wunsch von Kindern und Erwachsenen nach Kommuni-kation. Es sollte niemals vergessen werden, dass die stärksteTriebfeder im Spracherwerb der Wunsch ist, miteinander zureden, sich etwas zu erzählen. Daher ist die oberste Maximebeim Sprechen mit CI Kindern:

� Die natürliche Kommunikation erhalten.

In ihrem Sprechen mit kleinen Kindern zu Beginn des Spra-cherwerbs neigen Erwachsene dazu, kürzere Sätze, viele Fra-gen und Wiederholungen und eine stark ausgeprägte Sprach-melodie zu benutzen, wenn sie mit Kleinkindern sprechen(Szagun, 2006, 2007). Sie passen sich damit dem Kleinkindan und machen die Sprache leichter verständlich, ohne dassdieses »künstlich« wirkt. Auch mit CI-Kindern muss mannicht »künstlich« sprechen. Gelegentlich muss man etwaslangsamer sprechen als mit normal hörenden Kindern, kei-neswegs aber überdeutlich und mit vielen wörtlichen Wie-derholungen. Es muss kein lehrender Stil praktiziert werden,– etwa viele Aufforderungen an das Kind, ein Wort nachzu-sprechen, oder viele Bewertungen des Kindes, ob etwas rich-tig oder falsch ist.

� Dem Thema des Kindes folgen und über das sprechen,was seine Aufmerksamkeit fesselt und es interessiert.

Ein Kind nimmt Sprache dann besser auf, wenn es aufmerk-sam ist und die Sprache sich auf das Thema bzw. den Ge-genstand bezieht, an dem es gerade interessiert ist. Auchwenn das Kind die Themen schnell wechselt, sollte man demThema des Kindes folgen und das neue Thema sprachlich be-gleiten. Es ist für kleine Kinder ganz typisch, schnell von ei-nem Thema zum anderen zu springen. Für Erwachsene istdas manchmal anstrengend. Viele Forschungen haben je-doch gezeigt, dass es für sprachliche Fortschritte förderlichist, wenn Erwachsene dem Thema des Kindes folgen und sichdamit dem Kind anpassen (Szagun, 2006, 2007).

� Sprechen in kurzen bis moderat langen Sätzen, die für dasKind interessanten Inhalt bieten.

»Moderat lang« ist im Vergleich zu den manchmal doch sehrlangen Sätzen gemeint, die in Gesprächen Erwachsener un-tereinander zu finden sind. Beispiele für moderat lange Sät-ze aus Gesprächen mit Kindern sind:

Moderat lange Sätze

Puppe sitzt im Puppenwagen.Mutter: So, jetz is die Puppe angeschnallt.

Mutter: Legen kann man die vielleicht noch.Kind: Hm?Mutter: Ich sag, vielleicht kann man die ja noch legen.Mutter: So ein bisschen nach hinten genügt.Mutter: Kann die liegen.

Moderat lange Sätze wirken deswegen förderlich, weil sie ge-rade das richtige Maß an Inhalt bieten. Die kindgerichteteSprache muss inhaltlich interessant bleiben, sonst entstehtLangeweile. Das würde der Maxime der natürlichen Kommu-nikation widersprechen. Wir unterhalten uns über Dinge, dieuns interessieren.

� Nicht wörtlich, wohl aber inhaltlich wiederholen.

Es kann sein, dass gerade bei hörgeschädigten Kindern Wie-derholungen in stärkerem Maße hilfreich sein können als beinormal hörenden, weil die Kinder beim ersten Mal vielleichtzu viel verpasst haben. Aber zu häufiges wörtliches Wieder-holen wirkt sich eher negativ auf die Sprachentwicklung aus(Szagun, 2001b, 2004a, Szagun & Rüter, 2009). Vermutlichlangweilt es die Kinder. Inhaltliche Wiederholungen dagegenwirken sich positiv auf den Spracherwerb aus (Szagun,2001b, 2004a) – vermutlich, weil sie auch Neues enthalten.Beispiele für inhaltliche Wiederholungen sind:

Mutter: Pack mal alles aus deinem Laden hier wieder ein.Mutter: Das tun wir da mal wieder rein in dein’n Laden.Mutter: Is sie runtergefall’n?Kind: Ja.Mutter: Is das Mädchen vom Pferd gefall’n?Mutter: Ich glaube, die fühlt sich ganz glücklich.Mutter: Ich glaube, die kleine Lucy is jetz ganz glücklich.

� Informationsfragen stellen.

Informationsfragen sind meist Fragen, die mit Fragewörternwie was, wie, wo, warum beginnen. Solche Fragen entlockendem Kind mehr Sprache als Fragen, auf die es nur mit ja odernein antworten muss. Daher sind Informationsfragen förder-lich für die Sprachentwicklung, und auch, weil sie das Ge-spräch weiter führen. Die Antwort des Kindes fügt neue In-formation in das Gespräch ein, und das führt wiederum da-zu, dass der Erwachsene das Gespräch weiter führen kann.Beispiele von Informationsfragen sind:

Vater: Wo schieb’ du denn mit Mogli hin jetzt?Kind: Ich schieb da in Kreis.Mutter: Was is denn passiert?Kind: Da is was gegen gefahren.Mutter: Warum musst ‘e denn da sitzen?Kind: Ich da was bauen muss.Vater: Wer muss noch mit rein?Kind: Der andere kleine Mann.

� Nicht zu viele Sätze hintereinander sprechen. Auf eine Re-aktion des Kindes warten.

Gerade zu Beginn der Sprachentwicklung, wenn Kinder nochwenige sprachliche Reaktionen zeigen, kann es passieren,dass der erwachsene Sprecher sehr viele Sätze hintereinan-der spricht. Das mögen dann zu viele sein, und das Kind weißnicht mehr, auf was es reagieren soll. Es wirkt sich eher po-sitiv auf den Spracherwerb aus, wenn man Erwachsene kur-ze Sprechersequenzen produzieren (Szagun, 2001b, 2004a).

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Das Kind muss eine Chance zu einer sprachlichen Reaktionhaben, auch wenn es nur eine Vokalisierung ist. Es kann al-lerdings schwer für den Erwachsenen sein, lange genug zuwarten. Je weniger aktiv der eine Sprecher ist, desto mehr re-det der andere. Das ist ganz natürlich. Vielleicht meint manauch, gerade durch mehr Reden und Nachhaken das Kind zueiner Reaktion zu bringen. Das Gegenteil ist oft der Fall. DieChance, dass eine Reaktion erfolgt, ist höher, wenn man ei-ne Weile wartet. Kleine Kinder sind langsamer in ihren Re-aktionen als Erwachsene.

� Unvollständige oder grammatisch fehlerhafte Äußerun-gen des Kindes erweitern.

Unvollständige und grammatisch fehlerhafte Sätze bei Kin-dern sind ganz normal und kein Grund zur Beunruhigung. Un-sere Forschungen haben gezeigt, dass Kinder mit CI mehrFehler machen als normal hörende, und dass die Fehler be-sonders den Bereich der Artikel betreffen (Szagun, 2001b,2004b). Dennoch muss man diese Fehler nicht explizit kor-rigieren. Eine direkte Korrektur mag dazu führen, dass Kinderweniger sprechen, denn Kinder – wie Erwachsene – werdennicht gerne korrigiert. Die Spracherwerbsforschung hat denwirksamen Mechanismus gezeigt, der die Fehler weniger unddie korrekten Formen mehr werden lässt. Das sind die Er-weiterungen. Wir konnten darüber hinaus in unseren For-schungen zeigen, wie wirksam Erweiterungen bei Kindern mitCI sind (Szagun, 2001b, 2004a; Rüter, 2009; Szagun & Rü-ter, 2009, und die vorliegenden Ergebnisse). Erweiterungensind wirksam, weil sie im Fluss des Gesprächs erfolgen, oh-ne dieses zu stören. Das Kind nimmt die grammatikalisch kor-rekte Struktur wahr, weil sie unmittelbar auf den Fehler folgtund es den Inhalt schon kennt. So kann es daraus lernen. Alldies passiert unbewusst. Damit bleiben Erweiterungen ein-gebettet in den natürlich erfolgenden Prozess des Spracher-werbs. Viele Erwachsene produzieren in ihren Gesprächen mitKindern ganz unbewusst die angemessene Menge an Erwei-terungen. Wenn das nicht der Fall ist, kann ein Sprachthera-peut sicherlich darauf aufmerksam machen, dass mehr Er-weiterungen hilfreich sein könnten.

Einige Beispiele von Erweiterungen sind:

Erweiterung der Form:Kind: Die Maus schön.Mutter: Die Maus is schön?Kind: Zwei Bär.Mutter: Zwei Bären.Kind: Mit die Tiere.Mutter: Mit den Tieren.

Erweiterung der Form und des Inhaltes:Kind: Alles weg.Mutter: Gestern war alles weg.Kind: Schmeiße.Mutter: Du schmeißt alles darein?

� Artikel alleine ohne das Substantiv benutzen.

Das Artikelsystem des Deutschen ist für Kinder mit norma-lem Hören schwer, und es bereitet Kindern mit Hörbeein-trächtigung noch größere Schwierigkeiten (Szagun, 2001b,2004b). Der Hauptgrund ist, dass die Artikel und ihre gram-matischen Formveränderungen im Fluss der Rede schlecht

wahrnehmbar sind. Zum Glück verfügen wir im gesprochenenUmgangsdeutsch über eine exzellente Methode, die Artikelbesser hörbar zu machen. Wir verwenden sie in der Um-gangssprache als Pronomen. Beispiele sind:

Mutter: Die wird jetz verkauft, die Kuh.Mutter: Und weg mit der Kuh.Mutter: Weg mit der.Mutter: Den nehm’n wir mal einfach so.Kind: Ich hab den gezaubert.Mutter: Den has‘ du gezaubert.Mutter: Die Giraffe hat sogar Hörnchen.Mutter: Kleine Hörner ha‘ die.

Wie die Beispiele zeigen, sind die pronominalen Artikel oft amAnfang oder Ende eines Satzes plaziert. Das macht sie nochdeutlicher wahrnehmbar. Ein derartiger Artikelgebrauch istvermutlich gerade für Kinder mit einer Hörbeeinträchtigunghilfreich, das Artikelsystem zu lernen.

� Die Personen in der unmittelbaren Umgebung des Kindessind am wichtigsten für die Sprachförderung.

Der Spracherwerb geschieht nicht nur in der Therapiestunde.Diese gibt wichtige Anstöße für Kind und Eltern. Aber das ei-gentliche Lernen geschieht im alltäglichen Dialog mit denMenschen, mit denen das Kind häufig spricht. Daher ist esbesonders wichtig, dass diese Personen eine förderliche Spra-che anbieten. Das gelingt am besten, je besser der Spracher-werb des Kindes fortschreitet, da die Dialogpartner sich ge-genseitig beeinflussen. Bei wenig Sprache von Seiten des Kin-des bedarf es einer größeren Anstrengung, einen natürlichenund sprachförderlichen Dialog im Alltag aufrecht zu erhalten.

Andere Kommunikationsmittel: Stellenwertvon Gebärden und Gebärdensprache

Der Erwerb der gesprochenen Sprache ist das angestrebte Zielfür Kinder mit CI. Jedoch variiert die Toleranz gegenüber demNebeneinander von gesprochener und gebärdeter Sprache inunterschiedlichen Ländern. In vielen Ländern – so etwa UK,USA, Kanada, Israel – wird das praktiziert, was funktioniert.Das kann gesprochene Sprache allein oder gekoppelt mit be-gleitenden Gebärden oder mit Gebärdensprache sein. InDeutschland existiert jedoch immer noch weitgehend eine Ab-lehnung der Gebärdensprache, teilweise eine Ablehnung je-der Form von Gebärden im weitesten Sinne. Das können Ge-sten, Lautsprache begleitende Gebärden, selbst erfundeneGebärden des Kindes und sogar das Mundbild der gespro-chenen Sprache sein. Das macht die Spracherwerbssituationvon Kindern mit CI besonders dann problemreicher, wenn derErwerb der gesprochenen Sprache nicht angemessen in Gangkommt.

Ich möchte den Stellenwert von Gebärden und Gebär-densprache im Hinblick auf den Spracherwerb bei Kindernmit CI erörtern.

� Sind Gebärden nützlich, oder sollen sie verhindert wer-den?

Gebärden sind eine Form der Kommunikation, und sie sollennicht verhindert werden. Sie sind – im Gegenteil – nützlich,weil das Kind damit ein kommunikatives Angebot macht. Der

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Ratschlag, nicht auf Gebärden zu reagieren, ist kein guter.Wenn auf eine Gebärde nicht reagiert wird, verweigert mandie Reaktion auf ein Kommunikationsangebot. Das Kind ver-steht nicht, dass der Erwachsene diese Kommunikation nurin Form von Lautsprache möchte. Daher versteht es die man-gelnde Reaktion als Ablehnung. Die Folge sind weniger Kom-munikationsversuche von Seiten des Kindes und die Abnah-me der Freude an der Kommunikation. Die Ablehnung von Ge-bärden verletzt also die Maxime, die natürliche Kommunika-tion zu erhalten. Die Lösung ist ganz einfach: Elternakzeptieren die Gebärden und reagieren lautsprachlich miteiner Antwort auf das, was das Kind inhaltlich mit den Ge-bärden mitgeteilt hat. Auf diese Art erhält das Kind den In-halt ebenfalls in Form der Lautsprache.

In der generellen Ablehnung gegenüber jeder bedeu-tungstragenden Bewegung wird auch die Bedeutung desMundbildes von Lauten und Wörtern diskutiert.

� Muss das Mundbild beim Sprechen versteckt werden?

Aus sprachentwicklungspsychologischer Sicht ist allein dieFrage eine Absurdität. Beim typischen Spracherwerb orien-tieren sich Kinder mit normalem Hören am Mundbild. War-um sollte das für Kinder mit einer Hörbeeinträchtigung nichtgelten? Ein Verstecken des Mundbildes würde die Bedingun-gen für den Lautspracherwerb für hörgeschädigte Kinderschwieriger als für normal hörende machen. Damit ist es si-cherlich unproduktiv. Das Mundbild beim Sprechen mussnicht nur nicht versteckt werden, sondern es wirkt geradezuförderlich im Lautspracherwerb.

Welche Funktion hat die Gebärdensprache für Kinder mitCI?

Die schwierigste Frage ist die nach dem Stellenwert derdeutschen Gebärdensprache für Kinder mit CI. Auf wissen-schaftlichen Tagungen, in Gesprächen mit Fachkräften in derRehabilitation und mit Eltern bin ich immer wieder Einstel-lungen begegnet, die von einer empörten Ablehnung bis zueiner zögerlichen Anerkennung der Nützlichkeit des Erlernensder Gebärdensprache für manche Kinder mit CI rangierten.Meistens fehlte das Wissen darum, dass die deutsche Ge-bärdensprache eine Sprache mit einer vollwertigen Gramma-tik ist. Es fehlte auch das Wissen, warum es für die Denk-entwicklung eines Kindes unabdingbar ist, eine Sprache, d.h.ein Symbolsystem, zu erwerben. Der Erwerb der Gebärden-sprache ist daher für die CI Kinder nützlich – und meiner Mei-nung nach unabdingbar – bei denen der Erwerb der gespro-chenen Sprache nur unzureichend gelingt.

� Die Gebärdensprache ist eine vollwertige Sprache.� Sprache gibt uns Symbole.� Das gilt für Gebärdensprache ebenso wie für Lautsprache.� Wir brauchen Symbole, um zu denken.

Wenn der Erwerb der Lautsprache nur unzureichend ge-schieht, ist das nicht nur ein Problem der mangelndenSprachfähigkeit. Eine stark eingeschränkte Sprachentwick-lung wirkt auf die geistige Entwicklung, insbesondere die In-telligenz, zurück. Sprache dient nicht nur der Kommunikati-on, sondern auch, unser Weltbild aufzubauen. Um zu denkenund die Welt zu verstehen, brauchen wir Symbole. Es ist dieSprache, die uns Symbole gibt. Das gilt sowohl für Lautspra-che wie für Gebärdensprache. Wörter stehen symbolisch fürDinge, Ereignisse und Sachverhalte. Die Beziehungen zwi-

schen Wörtern, die Grammatik, erlauben uns, immer wiederneue Kombinationen von Ereignissen und Sachverhalten aus-zudrücken. In der Regel sind die Dinge und Sachverhalte,über die wir reden, nicht anwesend. Die Sprache symbolisiertsie. Ohne Sprache ist das nicht möglich. Ohne Sprache sindauch keine abstrakten und übergeordneten Begriffe wie Le-ben und Säugetier möglich.

Mit Symbolen umzugehen, ist eine der wichtigstenmenschlichen Fähigkeiten. Kinder bauen mit der Sprache einSymbolsystem auf. Das ist Teil der normalen kindlichen Ent-wicklung. Kinder gebrauchen Sprache, um sich die Welt ver-ständlich zu machen. Das wird an den vielen Fragen, die sieim Kindergartenalter stellen, deutlich. Sie wollen wissen, wiehoch das Gras wächst, woher die Sachen im Supermarktkommen, woher das Geld im Geldautomaten kommt, obPflanzen auch lebendig sind, oder sogar was Zeit ist. Kinderfragen nach Zusammenhängen und Erklärungsmustern, diesie nicht unmittelbar beobachten können.

Kinder ohne – oder mit nur rudimentärer Sprache - kön-nen derartige Fragen nicht stellen. Sie können auch Zusam-menhänge und Erklärungen nicht gut verstehen. Damit wirdaber ihre Denkfähigkeit und Intelligenz in Mitleidenschaft ge-zogen. Wenn die Sprachentwicklung bei CI Kindern zu lang-sam verläuft, kein adäquater Wortschatz und keine ausrei-chende Basisgrammatik aufgebaut werden, besteht die Ge-fahr, dass die Denkentwicklung und Intelligenz der Kinder ne-gativ beeinflusst wird. Ein Weg, das zu verhindern, ist derErwerb der Gebärdensprache. Sie baut – genau wie die Laut-sprache – ein abstraktes Symbolsystem auf. Wichtig für dieDenkentwicklung ist, dass dieses zur Verfügung steht. DieModalität – ob auditiv oder visuell – spielt keine Rolle.

� Bei allzu verlangsamter Sprachentwicklung besteht dieGefahr einer beeinträchtigten Denkentwicklung.

� Wenn der Lautspracherwerb nur unzureichend geschieht,sollte die Gebärdensprache erworben werden.

Die in Deutschland verbreitete Meinung, dass Kinder, wennsie gebärden, nicht die Lautsprache erwerben, entsprichtnicht den Tatsachen. Wie die sprachlichen Fortschritte vonhörgeschädigten Kindern in anderen Ländern zeigen, sindKinder sehr wohl fähig, zweisprachig mit einer Gebärden-sprache und einer Lautsprache aufzuwachsen. Der Erwerbder Gebärdensprache kann sogar den Lautspracherwerb för-dern. Bei Schwierigkeiten mit der Lautsprache gibt sie dieMöglichkeit, eine erste Sprache aufzubauen. Das sollte sorechtzeitig geschehen, dass die sensible Phase für sprachli-ches Lernen gut genutzt wird, und dass die Denkentwicklungnicht verzögert wird. Die Lautsprache kann später als zweiteSprache gelernt werden.

� Der Erwerb der Gebärdensprache behindert den Erwerbder Lautsprache keineswegs.

� Im Gegenteil, die Lautsprache kann auf der Gebärden-sprache aufbauen.

Natürlich ist es für die Eltern schwieriger, wenn ihr Kind diedeutsche Gebärdensprache erwirbt, da sie diese in den mei-sten Fällen selber erst lernen müssen. Es reicht aber für dasKind, wenn es in einen Kindergarten geht, in dem Erwachse-ne und andere Kinder gebärden, von denen es lernen kann.Die Eltern können dann wieder von ihrem Kind lernen. Die-ses mag ein anstrengender Weg für die Eltern sein. Für dasKind ist er es nicht. Die entscheidende Abwägung für die El-

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tern sollte sein, wie sie ihrem Kind eine Entwicklung ermög-lichen, in der zusätzliche Beeinträchtigungen vermiedenwerden.

Ausklang

In diesem Artikel geht es um den Spracherwerb bei Kindernmit CI, die außer der Hörbeeinträchtigung keine anderen Be-einträchtigungen haben, und die einsprachig mit Deutsch alsgesprochener Sprache aufwachsen. Eine Situation, die immerhäufiger wird, ist, dass Kinder mit CI mit zwei gesprochenenSprachen aufwachsen. Dabei ist die erste Sprache häufignicht Deutsch, die Therapie findet aber in Deutsch statt. Esgibt international kaum Forschungen oder Interventionsstra-tegien, die dieser Situation der Mehrsprachigkeit bei hörbe-einträchtigten Kindern gerecht werden. Die Kinder mit CI, diesich in dieser Situation befinden, werden aber zahlreicher. AmUniversity College London widmen wir uns der Frage, wie derSpracherwerb dieser Kinder verläuft und welche Interventi-onsstrategien die geeigneten sind (Mahon, zur Publikationeingereicht). Es dürfte allerdings noch einige Zeit vergehen,bevor wir erste Ergebnisse vorlegen können.

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Anschrift der Verfasserin:Prof. em. Dr. Gisela SzagunDivision of Psychology and Language2 Wakefield StreetLondon WC1N [email protected]

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GISELA SZAGUN

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