Einführung in die „Geschichte der Menagerien von der Antike bis zum heutigen Tage“ von Gustave...

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Zool. Garten N.F. 81 (2012) 260–263 www.journals.elsevier.de/zooga Einführung in die ,,Geschichte der Menagerien von der Antike bis zum heutigen Tage“ von Gustave Loisel (1912) Introduction to the reading of the ,,History of menageries from antiquity to our days“ by Gustave Loisel (1912) Jonas Livet 8 rue de l’Aqueduc, 67500 Haguenau, France Eingegangen am 25. Juli 2012 Abstract The book ,,Histoire des Ménageries de l’Antiquité à nos jours“, published in 1912 by Gustave Loisel (1864-1933), is a historical review of the evolution of zoos and an overview of their status in the early twentieth century. Loisel had been first involved in the reorganization of the Ménagerie du Jardin des Plantes in Paris and realized for this purpose three missions to visit and to study zoological institutions in Europe and North America. His approach was as comprehensive as possible, full of rigor and prepared with care. He tried “first place to understand the organization and mode of operation of the various zoological institutions [he visited], to study ways to house and to feed the wild animals, and to note any specifics regarding the captive breeding of the rarest and most precious species”. Loisel was also gradually getting interested in the history and the development of all the zoological gardens he had visited, and about the origin and the evolution of zoos as a whole. The main result of all his research and visits is the “Histoire of menageries from antiquity to our days”, now one hundred years old. It is probably the dual approach, systematic modern study and historical research, which gave this compilation all his strength and singularity, even nowadays. The background, the development and the contents of this book are reviewed here. Keywords: Zoos; menageries; history; evolution; twentieth century; Loisel; Jardin des Plantes; Paris Gustave Loisel (1864-1933), Doktor der Wissenschaften und der Medizin, Biologe und Professor an der Universität Sorbonne in Paris, hat uns vor hundert Jahren eines der bedeu- tendsten Werke über die Welt der Zoologischen Gärten hinterlassen. Sein Buch ,,Histoire des Ménageries de l’Antiquité à nos jours“, 1912 veröffentlicht, ist eine historische Beschrei- bung der Entwicklung der Zoos und eine bis heute bemerkenswerte Gesamtansicht ihres Zustandes und ihres Status zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. E-Mail: [email protected]

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Zool. Garten N.F. 81 (2012) 260–263www.journals.elsevier.de/zooga

Einführung in die ,,Geschichte der Menagerien vonder Antike bis zum heutigen Tage“ von GustaveLoisel (1912)Introduction to the reading of the ,,History of menageriesfrom antiquity to our days“ by Gustave Loisel (1912)

Jonas Livet8 rue de l’Aqueduc, 67500 Haguenau, France

Eingegangen am 25. Juli 2012

Abstract

The book ,,Histoire des Ménageries de l’Antiquité à nos jours“, published in 1912 by GustaveLoisel (1864-1933), is a historical review of the evolution of zoos and an overview of their status inthe early twentieth century. Loisel had been first involved in the reorganization of the Ménagerie duJardin des Plantes in Paris and realized for this purpose three missions to visit and to study zoologicalinstitutions in Europe and North America. His approach was as comprehensive as possible, full ofrigor and prepared with care. He tried “first place to understand the organization and mode of operationof the various zoological institutions [he visited], to study ways to house and to feed the wild animals,and to note any specifics regarding the captive breeding of the rarest and most precious species”.Loisel was also gradually getting interested in the history and the development of all the zoologicalgardens he had visited, and about the origin and the evolution of zoos as a whole. The main resultof all his research and visits is the “Histoire of menageries from antiquity to our days”, now onehundred years old. It is probably the dual approach, systematic modern study and historical research,which gave this compilation all his strength and singularity, even nowadays. The background, thedevelopment and the contents of this book are reviewed here.

Keywords: Zoos; menageries; history; evolution; twentieth century; Loisel; Jardin des Plantes; Paris

Gustave Loisel (1864-1933), Doktor der Wissenschaften und der Medizin, Biologe undProfessor an der Universität Sorbonne in Paris, hat uns vor hundert Jahren eines der bedeu-tendsten Werke über die Welt der Zoologischen Gärten hinterlassen. Sein Buch ,,Histoire desMénageries de l’Antiquité à nos jours“, 1912 veröffentlicht, ist eine historische Beschrei-bung der Entwicklung der Zoos und eine bis heute bemerkenswerte Gesamtansicht ihresZustandes und ihres Status zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts.

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1905 startete Gustave Loisel eine Untersuchung zur Restrukturierung und Nutzungsopti-mierung der Ménagerie du Jardin des Plantes in Paris (Loisel, 1912). Diese Menagerie, seit1794 öffentliche Einrichtung, gilt als einer der ältesten noch existierenden Zoos weltweitund hat - dank seiner vielen historischen Bauwerke - bis heute ein historisches Ambientebehalten. Angesichts seiner Bemühungen wurde Loisel im Juli 1906 durch das Ministe-rium für öffentliche Bildung mit der Erstellung von drei Studien über die ZoologischenGärten und ähnliche Einrichtungen in Europa und Nordamerika beauftragt. So begab sichLoisel auf eine Reise zur Erkundung privater und öffentlicher Zoos in England, Belgien,den Niederlanden, Deutschland, Österreich-Ungarn, Schweiz und Dänemark sowie in denVereinigten Staaten und Kanada. Die Studie sollte so umfassend und präzise wie möglichsein und wurde mit größter Sorgfalt vorbereitet. Sein Anliegen war, zunächst die Organisa-tion und Funktionen der unterschiedlichen zoologischen Einrichtungen, die er besichtigte,vor Ort zu verstehen, die unterschiedlichen Möglichkeiten der Unterbringung und Versor-gung der Wildtiere zu untersuchen, und alle Besonderheiten hinsichtlich der Reproduktionder seltensten und kostbarsten, in Gefangenschaft gehaltenen Arten zu notieren (Loisel,1907b). Während seiner Reisen wurde Loisel überall freundlich empfangen, sowohl vonden Wissenschaftlern, deren Laboratorien und Versuchsfelder er besuchte, als auch von denPräsidenten und Sekretären der Gesellschaften, Direktoren und Leitern der ZoologischenGärten, sowie von den Privateigentümern, die ihm ihre Parks öffneten (Loisel, 1907a).

Nach seinen Reisen wurden 1907 und 1908 drei umfangreiche Berichte, illustriert mitFotographien, Plänen, Zeichnungen und Tabellen, veröffentlicht. Loisel beschreibt im Detail87 zoologische Einrichtungen, die er besucht hat und schließt seinen letzten Bericht miteinem wichtigen Kapitel, in dem er seine Schlussfolgerungen ,,zur Wahl der Lage und Größeeines zoologischen Gartens, zur Sammlung von Tieren, welche in einem zoologischenGarten gehalten werden sollen, zu den Beste(n) Lösungen, sich Tiere zu beschaffen undgesund zu erhalten, zu den Verschiedene(n) Nutzungsarten eines zoologischen Gartens undschließlich zur Verwaltung eines Zoos und seines Personals darlegt“.

Zudem beschließt er, seine allgemeine Zusammenfassung anhand eines Konstruktions-beispiels des idealen Zoos zu verbildlichen (Abb. 1). Dieses Kapitel ist außerordentlichpräzise und detailliert ausgeführt und enthält sogar die Pläne und Maßvorgaben für dasvorgestellte Projekt. Es ist tatsächlich die Projektierung eines innovativen, modernen Ortesder Tierhaltung, welche Loisel entwarf, zu einer Zeit, in der die Entwicklung der Zoologi-schen Gärten voranschreitet. Hier sei auf den Tierpark Hagenbeck in Hamburg verwiesen,der gerade 1907 eröffnet wurde. Loisel ging nicht nur seiner Idee nach, den Tieren mehrRaum zuzusprechen, sondern auch innovativen Perspektiven, die den Besuchern eine neu-artige Präsentation und ein Studium der Tiere in Gefangenschaft ermöglichen sollten.Seine Vorstellungen von Lebensgemeinschaften und Gruppierung von Arten sind ebenfallszukunftsweisend!

1910 begab sich Loisel auf eine vierte Studienreise, auf der er zoologische Einrichtun-gen in Polen, Russland, Finnland und Skandinavien besuchte. Obwohl dieser kein eignerwissenschaftlicher Bericht folgte, gingen seine Reisenotizen glücklicherweise in mehrereKapitel der ,,Histoire des Ménageries“ ein, welches hier vorgestellt wird.

Nach seinen ersten drei erkenntnisreichen Reisen begann Loisel, sich auch für dieGeschichte all der zoologischen Sammlungen, die er besucht hatte, zu interessieren, vomUrsprung der Zoologischen Gärten im Allgemeinen bis zu ihrer Evolution. Er erkannte

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Abb. 1. Konstruktionsbeispiel des idealen Zoos von Gustave Loisel, Messe 1908 (Histoire des Ména-geries de l’Antiquité à nos jours, 1912, Bildtafel XXII, Band III).

bereits die Wichtigkeit, zu wissen ,,wie die Dinge früher geschehen waren, um besser zuverstehen, warum sie heute zugrunde gehen und sterben können“ (Loisel, 1912).

Während seiner Reisen war es ihm gelungen, viele Informationen und historische Doku-mente zusammen zu tragen. Er besuchte hiernach die Archive, Bibliotheken und MuseenFrankreichs, um ergänzende und spezifischere Informationen über sein Heimatland, wel-ches zu bestimmten Zeiten eine historische Vorreiterrolle in der Haltung von Wildtieren inGefangenschaft spielte, zu sammeln.

Seine erste historische Publikation, 1911 in zwei Ausgaben der ,,Revue Scientifique“veröffentlicht, verfolgt sehr genau die Geschichte der Ménagerie du Jardin des Plantes, undist voll von Anekdoten und Details über die Leiter und Tiere dieser Einrichtung.

Es ist vermutlich diese ambivalente Herangehensweise aus modernen systematischenStudien und historischen Recherchen, der seine ,,Histoire des Ménageries de l’Antiquitéà nos jours“ ihre ganze Aussagekraft und Eigenartigkeit verdankt. 1912 in drei Bändenveröffentlicht, stellt dieses Werk die Geschichte der Zoologischen Gärten von der Antikebis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts dar und schließt eine ausführliche Beschrei-bung der Zoos und Aquarien Europas und Nordamerikas ein. Die ersten beiden Bände sinddas Ergebnis der geschichtlichen Recherchen Loisels, während der dritte die Beobachtun-gen und Schlussfolgerungen seiner wissenschaftlichen Reisen aufnimmt. Das Gesamtwerkwar sowohl für Zoologen und Direktoren der Zoologischen Gärten als auch für Historikergedacht, und scheint auch bei Kritikern gut aufgenommen worden zu sein (Davillé, 1914).

Es ist interessant, dass Gustave Loisel im Laufe seiner ,,so fesselnden wie komplexen“(Loisel, 1912) Untersuchungen bereits mit der Problematik einer gemeingültigen Definitionfür all die besuchten und beschriebenen Stätten konfrontiert war. Er hatte sich schließlichfür den Namen ,,Menagerie“ im allgemeinen Sinn entschlossen, die jegliche Art der Unter-bringung von Tieren einschließt, ,,sei es in einem Tierhaus, einer Grube, einem Becken, ineinem einfachen Käfig oder halb-frei in einem Park oder Räumen eines Schlosses lebend,

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aus Luxus- oder Unterhaltungsgründen, zu Jagd- oder Konsumzwecken, oder aber, um derWissenschaft und der Kunst zu dienen“ (Loisel, 1912).

Gustave Loisel stirbt im Juli 1933 im Alter von fast 69 Jahren. Er hinterlässt eine ein-zigartige Bibliographie zu den modernen Zoologischen Gärten sowie ihrer Evolution undEntwicklung im Laufe der Jahrhunderte. Die Geschichte verrät nicht, ob er sich schließlichdirekt in die Erneuerung der Ménagerie du Jardin des Plantes einbringen konnte, doch es istsehr wahrscheinlich, dass der Erste Weltkrieg weitere Studienvorhaben erschwert hat. Diezwanziger und dreißiger Jahre bleiben jedoch mit der Errichtung mehrerer Bauwerke, wieeinem kleinen Affenhaus (1928), einem Vivarium (1929), einem neuen Affenhaus (1934)und einem Raubtierhaus (1937) eine prunkvolle Periode für die Ménagerie du Jardin desPlantes. Die Inspiration von Gustave Loisel und seinem Schrifttum spürt man zweifellos ineinigen dieser Bauwerke, aber auch in anderen, teilweise sehr viel jüngeren zoologischenEinrichtungen in verschiedenen europäischen Tiergärten. Hier offenbaren sich beispiel-haft die Einzigartigkeit, Kreativität und Modernität, vor allem aber die Passion und dasEngagement Gustave Loisels!

Im Februar 2003 habe ich das Glück gehabt, die ,,Histoire des Ménageries de l’Antiquitéà nos jours“ bei einem Lyoner Buchhändler zu erstehen, und dieser Kauf bedeutete zujener Zeit eine große Investition! Ich habe die drei Bände von der ersten bis zur letztenSeite in einigen Wochen verschlungen und ihre Lektüre ist mir bis heute sehr präsent. 18Monate zuvor hatte ich die Internet-Seite www.leszoosdanslemonde.com erstellt, um dieBerichte meiner Besuche zoologischer Gärten weltweit zu präsentieren. Die sorgfältigeund gut durchdachte Organisation der umfassenden wissenschaftlichen HerangehensweiseGustave Loisels hat mich bei meinen eigenen Studien fortwährend inspiriert und begleitet,auch wenn ich mir dessen vielleicht nicht immer bewusst bin.

Dieser Artikel wurde geschrieben nach einer Anregung durch Dr. Leszek Solski vomZoo Wroclaw. Ihm sei hier noch einmal gedankt für seine Unterstützung.

Schrifttum

Davillé, L. (1914). Compte-rendu critique G. Loisel Histoire des ménageries de l’antiquité à nos jours. RevueHistorique, 115, 141–148.

Loisel, G. (1907a). Rapport sur une Mission Scientifique dans Les Jardins et Établissements Zoologiques Publicset Privés du Royaume-Uni, de la Belgique et des Pays-Bas. Nouvelles Archives des Missions Scientifiques, 14,1–124.

Loisel, G. (1907b). Rapport sur une Mission Scientifique dans les Jardins et Établissements Zoologiques Publics etPrivés de l’Allemagne, de l’Autriche-Hongrie, de la Suisse et du Danemarck. Nouvelles Archives des MissionsScientifiques, 15, 126–282.

Loisel, G. (1908). Rapport sur une Mission Scientifique dans les Jardins et Établissements Zoologiques Publicset Privés des États-Unis et du Canada, avec Conclusions Générales sur les Jardins Zoologiques. NouvellesArchives des Missions Scientifiques, 16, 217–406.

Loisel, G. (1911a). Histoire de la Ménagerie du Muséum. La Revue Scientifique, 49(9), 262–277.Loisel, G. (1911b). Histoire de la Ménagerie du Muséum (2). La Revue Scientifique, 49(10), 301–304.Loisel, G. (1912). Histoire des Ménageries de l’Antiquité à nos jours. Tome I: Antiquité - Moyen Âge - Renaissance,

319 p. Tome II: Temps modernes (XVIIe et XVIIIe siècles), 392 p. Tome III: Époque contemporaine (XIXe etXXe siècles), 563 p. Paris: Octave Doin et fils & Henri Laurens.