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Einführung in die Geschichte der Sprachwissenschaft

Renate Raffelsiefen, FUB

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Sprachwissenschaft

• Phonetik

• Phonologie

• Morphologie

• Syntax

• Semantik

• (Pragmatik)

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Phonetik

beobachtbare, messbare Eigenschaften von Sprachlauten

- artikulatorisch

- akustisch

- auditiv

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Phonologie

• -bedeutungsunterscheidende Funktion von

Sprachlauten

Beispiel [t] - [th]

Khmer: [t]u: ‘Kiste’ - [th]u: ‘entspannt’

Deutsch: S[t]au ‘Stau’ - [th]au ‘Tau’

- Kombinatorik: [pr]eis ‘Preis’, [pl]an ‘Plan’

*[pt] (Russ. [ptits\] ‘Vogel’

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Morphologie

• bedeutungstragende sprachliche Einheiten

Beispiel: erblich ‘hereditary’ -erblich ‘paled’

[[erb]STAMM[lich]SUFFIX]

[[er]PRÄFIX[blich]STAMM]

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Morphologie

• bedeutungstragende sprachliche Einheiten

Beispiel: erblich ‘hereditary’ -erblich ‘paled’

[[erb]STAMM[lich]SUFFIX]

[[er]PRÄFIX[blich]STAMM]

[[er]PRÄFIX[örter]STAMM]

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Syntax

• Kombinatorik von Wörtern zur Bildung von Phrasen und Sätzen

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Syntax

Beispiel: Maria kennt den Lehrer.

Den Lehrer kennt Maria.

Kennt Maria den Lehrer?

Englisch: Mary knows the teacher.

The teacher knows Mary.

*Knows Mary the teacher?

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Semantik/Pragmatik

• “Es ist kalt hier”

• Semantische Paraphrase:

“Die Temperatur in diesem Raum ist niedrig”

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Semantik/Pragmatik

“Es ist kalt hier”

Pragmatische Paraphrase:

“Mach die Heizung an”

“Mach das Fenster zu”

“Gehen wir in die Küche”

“Du hast schon wieder vergessen zu heizen”

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Semantik/Pragmatik

fressen

/ \

/ \

‘agent’ ‘patient’

Vogel Wurm

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Semantik/Pragmatik

fressen

/ \

/ \

‘agent’ ‘patient’

Vogel Wurm

(1) Der Vogel frisst einen Wurm.

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Semantik/Pragmatik

fressen

/ \

/ \

‘agent’ ‘patient’

Vogel Wurm

(1) Der Vogel frisst einen Wurm.

(2) (2) Der Wurm wird von einem Vogel gefressen.

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Wortsemantik

• Semasiologie

Untersuchung von

Wortbedeutung und

Bedeutungswandel

-Ausgangspunkt: Lautgestalt eines Wortes

• Onomasiologie

Bezeichnungslehre

Ausgangspunkt: Dinge,

Geschehnisse

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Sprachwissenschaft

• synchron

Deskriptive Linguistik

Untersuchung von Sprache zu einer gegebenen Zeit in einem bestimmten Raum

• Diachron

Historische Linguistik

Untersuchung von Ursachen und Wirkungen des Sprachwandels

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Sprachwissenschaft

• Theoretisch

- Erkenntnisgewinn

• Angewandt

-Fremsprachenunterricht

-Literaturstudium

-Sprachheilkunde

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Was ist der Gegenstand der Geschichte der

Sprachwissenschaft?

• 1. Nur “Vorläufer” heutiger Auffassungen

und Theorien?

2. Alle Überlieferungen, die sich wissenschaftlich mit Sprache und/oder Kommunikation befassen?

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Was ist der Gegenstand der Geschichte der

Sprachwissenschaft?

• “internalistische” Herangehensweise: ausschließliche Berücksichtigung von Texten, die Reflexionen über Sprache enthalten.

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Was ist der Gegenstand der Geschichte der

Sprachwissenschaft?• “externalistische” Herangehensweise:

zudem Berücksichtigung der biographischen, gesellschaftlichen, der gesamten geistes- und zivilisationsgeschichtlichen Entstehungsbedingungen.

- Interessengeleitetheit sprachwissenschaftlicher Produktion

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Motiv: möglichst wortgetreue Sicherung heiliger oder

klassischer Texte • Konfuzianische Texte in China

• Homerische Epen in Griechenland

• Vedische Texte in Indien

• Koran in arabischen Ländern

• Sagas in Island

• Traditionelle Bardenpoesie in Irland

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Frage nach dem Urheber sprachwissenschaftlicher Texte

• Externalistisch: Frage ist von großem

Interesse. Anfertigung detaillierter Biographien von Wissenschaftlern samt deren geistes- und kulturgeschichtliche Einbettung

• Internalistisch:

Frage nahezu irrelevant. Berücksichtigt wird lediglich die Beeinflussung eines Autors durch andere Autoren.

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Externe versus interne Sicht

• Extern:

rein empirische Sicht der beobachteten akustisch oder visuell wahrnehmbaren Daten.

(Bloomfield, Amerik. Strukturalismus)

• Intern:

Kenntnis der eigenen Sprache, Intuitionen, Sprachgefühl.

(Chomsky, Generative Grammatik)

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Interne Sicht (Mentalismus):

• “Eine linguistische Beschreibung einer natürlichen Sprache ist der Versuch, aufzudecken, was der flüssigen Beherrschung einer Muttersprache zugrunde liegt.” (Katz/Postal 1964)

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Externe versus interne Sicht

• Externe Sicht:

Material: Sprachen aus aller Welt, insbesondere “exotische” Sprachen

• Interne Sicht:

Material: jeweilige Muttersprache

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Warum die Beschäftigung mit der Geschichte der

Sprachwissenschaft • 2. Teil der allgemeinen

Geschichtsschreibung menschlicher Tätigkeiten und Erkenntnisinteressen

=> allgemeinmenschliche Bedürfnis, zu wissen, was früher gewesen ist.

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Warum die Beschäftigung mit der Geschichte der

Sprachwissenschaft • 1. Systematische Kenntnisnahme von

Forschungsergebnissen anderer, die auf Erkenntnisgewinn im gleichen Bereich aus waren. => Bestreben, einmal akkumuliertes Wissen verfügbar zu halten (z.B.1966. Chomsky.Cartesian Linguistics )

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Tatsächliche Geschichte der Sprachwissenschaft

• Nicht unbedingt kumulativ

• Nicht unbedingt kontinuierlicher Fortschritt

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Sprachwissenschaft in der Antike

• Theoretisch

- Erkenntnisgewinn

• Angewandt

-Fremsprachenunterricht

-Literaturstudium

-Sprachheilkunde

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Ursprünge (angewandt)

• Entwicklung der Schrift

• 1. 2000 - 1000 v. Chr. “Linear B”

(Repräsentation von Silben und Wörtern)

2. Nach 1000 v. Chr. < Phöniziern

(Repräsentation von Sprachlauten)

grammatikós ‘einer der lesen und schreiben kann’, grámmata ‘Buchstabe’

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Sprachwissenschaft in der Antike

• Externe Sicht

< Literaturwissenschaft

Bewahrung der “echten”

klassischen Sprache

Homers

• Interne Sicht

< Philosophie

Interesse gilt der Beziehung zwischen der formalen Strutur des Satzes und der logischen Struktur der Proposition

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Antike; externe Sicht

• Aristarch (2. Jhdt v. Chr.)

• Dionysios Thrax (1. Jhdt v. Chr.)

“Grammatik ist die auf Erfahrung beruhende Kenntnis dessen, was meistens von den Dichtern und Prosaschriftstellern gesagt wird.”

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Antike; interne Sicht

• Aristoteles (384 - 322 v. Chr)

“Rede ist die Darstellung der Erfahrungen des Geistes, und die Schrift ist die Darstellung von Rede”

Primär: geistige Vorstellungen des einzelnen Sprechers

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Stoa

• Zenon (ca. 350 - 260 v. Chr.)

• Kleanthes von Assos (311 - 232 v. Chr.)

• Chrysipp (280 - ca. 205 v. Chr.)

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Stoische Philosophie

• Physik: Welt, die unserer Erfahrung

zugänglich ist

Logik: Art und Weise, wie wir

Erkenntnisse gewinnen und mitteilen

Ethik: Bewertung der Erkenntnisse von

Physik und Logik für die Prinzipien einer

vernunftgemäßen Lebensführung

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Logik

• Rhetorik

Gegenstand : gutes und wirkungsvolles Sprechen

• Dialektik

Gegenstand: allgemeine Verwendungsweisen von Sprache

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Kontroversen in der Antike I:Natur vs. Konvention (nómos)

• Natur (ph´ysis)

Beziehung zwischen

Lautgestalt und

Bedeutung eines Wortes

ist naturgegeben.

Basis: Lautmalerei

Lautsymbolismus

• Konvention (nómos)

Beziehung zwischen

Lautgestalt und

Bedeutung eines Wortes

ist beliebig (konventionell).

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Lautmalerei

• D. kikeriki

• E. cockadoodledoo

• Dän. kykeliky

• Fr. cocorico

• Lit. kakaríeku

• Finn. kukku kiekuu

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Konvention

• [erwachsen, weiblich]

-D. Frau

-E. woman

-S. kvinna

Mhd. wi:p .> Nhd. Frau

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Natur vs. Konvention

Natur:

Stoiker

Ursprung: lautmalerisch, konventionell nur als Ergebnis historischer Modifikationen

Konvention:

Aristoteles

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Kontroversen in der Antike II:Analogie versus Anomalie

• Aristoteles:

Analogie

Dominantes Prinzip:

Proportionale Analogie

• Stoiker (Chrysipp)• Anomalie

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Proportionale Analogie

• lachen : lachte = machen : X

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Proportionale Analogie

• lachen : lachte = machen : X

X = machte

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Proportionale Analogie

• lachen : lachte = backen : X

X =

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Proportionale Analogie

• lachen : lachte = backen : X

X = backte

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Proportionale Analogie

• lachen : lachte = backen : X

X = backte

Historisch belegt:

• lachen : lachte = backen : buk

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Anomalie

• true - truth

• happy - happiness

• possible - possibility

• free - freedom

• hot - heat

------------

• true : truth = free : X

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Anomalie: Wichtigkeit von Kollokation

Bedeutung des englischen Adjektivs flatflat boxflat tireflat beerflat feeflat refusal

Einsicht: box: flat box ≠ fee : flat fee

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Anomalie: Mangelnde Übereinstimmung zwischen

Form und BedeutungErwartet:

Privative Bedeutung - Komplexe Form ohne Ziel ziel+los

nicht fein un+fein

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Anomalie: Mangelnde Übereinstimmung zwischen

Form und BedeutungAber oft: privative Bedeutung, einfache Form

nicht sehend blind

nicht hörend taub

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Anomalie: Mangelnde Übereinstimmung zwischen

Form und BedeutungErwartet:

positive Bedeutung - einfache Form

mit Freude froh

Aber oft: positive Bedeutung, komplexe Form

ewig lebend unsterblich

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Anomalie: Mangelnde Übereinstimmung zwischen

Form und BedeutungErwartet:

weibliches Geschlecht - die Frau

Aber:

weibliches Geschlecht - das Weib

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Anomalie: Mangelnde Übereinstimmung zwischen

Form und Bedeutung Pluralbildung

das Bett - die X

das Brett - die X

das Fett - die X

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Anomalie: Mangelnde Übereinstimmung zwischen

Form und BedeutungPluralbildung:

das Bett - die Betten

das Brett - die Bretter

das Fett - die Fette

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Analogie: Entdeckung von Regelmäßigkeiten

Pluralbildung:

die Xe - die Xen

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Analogie: Entdeckung von Regelmäßigkeiten

Pluralbildung:

die Wiese - die Wiesen

die Fahne - die Fahnen

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Analogie: Entdeckung von Regelmäßigkeiten

i a u

finden fand gefunden

sinken sank gesunken

e a o

werfen warf geworfen

helfen half geholfen

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Analogie: Entdeckung von Regelmäßigkeiten

iNC a u

finden fand gefunden

sinken sank gesunken

eLC a o

bergen barg geborgen

helfen half geholfen

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Analogie: Entdeckung von Regelmäßigkeiten

• Mittel: immer genauere Erforschung sprachlicher Formen

• Ergebnis: Ausbildung der beschreibenden Grammatik

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Wichtigste Interessen der antiken Sprachwissenschaftler

• Etymologie (Wissenschaft von der Herkunft und Geschichte der Wörter und ihrer

Bedeutungen)

-Phonetik (Aussprache)

-Grammatik

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Etymologie

teilweise beherrscht von der

Natur-versus-Konvention Kontroverse

=> “Etymogeleien”

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Phonetik

Basis: das griechische Alphabet

• Beginn einer artikulatorischen Klassifikation

Plato: Vokale vs. Konsonanten;

Plosive vs. Frikative

• Einführung der Silbe

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Stoische Phonetik

• Unterscheidung von 3 Aspekten eines Buchstaben:

- der phonetische Wert [b]

- die geschriebene Form <b>

- Der Name “be”

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Stoische Phonetik

• Unterscheidung von 3 phonotaktischen Möglichkeiten:

- Das Vorkommen einer Sequenz als Wort in der Sprache (d. blau)

- Das zufällige Nicht-Vorkommen einer Sequenz als Wort in der Sprache (d. plau)

- Das systematische Nicht-Vorkommen einer Sequenz als Wort in der Sprache (d. bnau)

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Griechisch-römische Phonetik

• Schwächen: impressionistische akustische

Beschreibung

Sehr viel wichtiger für die Phonetik des 19. Jhdts. : altindische Phonetik

Panini (ca. 450 v. Chr.)

arabische Phonetik

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Griechisch-römische Phonetik

• Schwächen: impressionistische akustische

Beschreibung

Beispiele: Thrax:

[p], [t], [k] ‘sanft’

[ph], [th], [kh] ‘rau’

[b], [d], [g] ‘mittel’

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Griechisch-römische Phonetik

• Schwächen: impressionistische akustische

Beschreibung

Beispiele: Thrax:

[l], [r], [m], [n] ‘liquid’

---------------------------

[l], [r] ‘Liquidä’ (Engl. ‘liquids’)

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Grammatik

• Wichtige und bleibende Beiträge zur

deskriptiven Linguistik:

“Wort- und Paradigmenmodell”

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Vergleich der Modelle

• Wort- und Paradigmenmodell

Dritte Ps. Zweite Ps

Singular Singular

Präsens Präsens

Xt -> Xst

• Morphemmodell

[geh]Verbstamm

[st] 2.Ps.Sg

[t] 3.Ps. Sg.

[e] 1.Ps. Sg.

[geh]+[st] 2.Ps.Sg

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Vergleich der Modelle

• Wort- und Paradigmenmodell

Dritte Ps. Zweite Ps

Singular Singular

Präsens Präsens

geht gehst

• Morphemmodell

[geh]Verbstamm

[st] 2.Ps.Sg

[t] 3.Ps. Sg.

[geh]+[st] 2.Ps.Sg

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Vergleich der Modelle

• Wort- und Paradigmenmodell

Dritte Ps. Zweite Ps

Singular Singular

Präsens Präsens

nimmt nimmst

• Morphemmodell

[nehm], [nimm]

[st] 2.Ps.Sg

[t] 3.Ps. Sg.

[e] 1.Ps. Sg.

!![nehm]+[st] 2.Ps.Sg

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Wort- und Paradigmenmodell

Präsens

Infinitiv

Aktiv

X ->

Erste Ps.

Singular

Imperfekt

Konjunktiv

Xm

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Wort- und ParadigmenmodellPriscianische Regeln

vocáre ->

monére ->

péllere ->

ésse ->

vocárem

monérem

péllerem

éssem

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Wichtige Beiträge zur Grammatik

• Die beiden fundamentalen Einheiten der grammatischen Beschreibung:

(1) obere Grenze: der Satz “Ausdruck eines vollständigen Gedankens”

(2) Untere Grenze: das Wort

(nicht: das “Morphem”)

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Imperativbildung im Finnischen

Infinitiv Imperativ

Singular

anta/a ‘geben’ anna[÷]

sulke/a ‘schließen’ sulje[÷]

juos/ta ‘rennen’ juokse[÷]

tavat/a ‘finden’ tapaa[÷]

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Imperativbildung im FinnischenAbondolo (1998)

Infinitiv Imperativ

Singular

anta/a ‘geben’ anna[÷]

tavat/a ‘finden’ tapaa[÷]

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Imperativbildung im Finnischen

Infinitiv 1. Ps. Sg.

2. PräsensImperativ

Singular

anta/a ‘geben’ annan anna[÷]

sulke/a ‘schließen’ suljen sulje[÷]

juos/ta ‘rennen’ juoksen juokse[÷]

tavat/a ‘finden’ tapaan tapaa[÷]

Page 77: Einführung in die Geschichte der Sprachwissenschaft Renate Raffelsiefen, FUB.

Imperativbildung im FinnischenKarlsson (2000)

1. Ps. Sg.

Präsens

X[n] ->

Imperativ

Singular

X[÷]

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Imperativbildung im FinnischenKarlsson (2000)

1. Ps. Sg.

Präsens

anna[n] ->

Imperativ

Singular

anna[÷] ‘Gib!’

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Imperativbildung im FinnischenKarlsson (2000)

1. Ps. Sg.

Präsens

tee[n] ->

Imperativ

Singular

tee[÷] ‘Mach!’

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Wichtige Beiträge zur Grammatik

• Zwei Grundeinheiten: Satz, Wort

• Primat des Satzes (Aristoteles)

=> Wörter haben sekundären Status: sie sind nur aus ihrer jeweiligen Funktion als Bestandteile von Sätzen zu konstruieren.

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Schöpfung linguistischer Terminologie

• Seit Plato

Fundamentale Zweiteilung des Satzes in

ónoma + rhêmaUrspr. ‘Name’ ‘Prädikat’

nominale Komponente verbale Komponente

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Schöpfung linguistischer Terminologie: ‘ptôsis’ (‘Fall’)

• Aristoteles:

‘ptôsis’: ‘Abwandlung’

(Flexion) außer

Genus bei Substantiven

• Stoiker:

‘klísis’: Flexion

‘ptôsis’: Kasus

1. ‘aufrechte Fall’

2. ‘Herkunftsfall’

3. ‘Gebefall’

4. ‘Verursachungsfall’

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Schöpfung linguistischer Terminologie

Stoiker: Kasusflexion:

Nominativ versus oblique Kasus

- Nominative markiert das Subjekt

- Die Wahl der obliquen Kasus hängt von Verben oder Präpositionen ab.

Folge: Substantive/Adjektive versus Verben

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Schöpfung linguistischer Terminologie

Stoiker: Verbflexion

Tempus| Gegenwart Vergangenheit

Aspekt |

-----------------------------------------------------------

unvollendet | Präsens Imperfekt

vollendet | Perfekt Plusquamperfekt

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Dionysios Thrax (100 v. Chr.)(1. abendländische Grammatik)

(Arens 1955: 19-25)

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Dionysios Thrax (100 v. Chr.)(1. abendländische Grammatik)

-Phonologie (Richtige Aussprache)

-Morphologie (Analogie)

-keine Syntax

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Dionysios Thrax (100 v. Chr.)(1. abendländische Grammatik)

-Phonologie (Richtige Aussprache)

-Morphologie (Analogie)

-keine Syntax

erst Apollonios Dyskolos (2. Jhdt)

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Dionysios Thrax Wortklassifizierung

8 Klassen {Nomen, Verb, Partizip, Artikel, Pronomen, Präposition, Adverb, Konjunktion}

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Dionysios Thrax Wortklassifizierung

Nomen / | \

Eigenname Substantiv Adjektiv

| | |

‘Sokrates’ ‘Pferd’ ‘schnell’

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Dionysios Thrax Wortklassifizierung

Nomen / | \

Eigenname Substantiv Adjektiv

| | |

‘Sokrates’ ‘Pferd’ ‘schnell’

[+ Kasus] [+Kasus] [+Kasus]

Page 91: Einführung in die Geschichte der Sprachwissenschaft Renate Raffelsiefen, FUB.

Dionysios Thrax Wortklassifizierung

Verb | Partizip | |

‘backen’ ‘gebacken’

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Dionysios Thrax Wortklassifizierung

Verb | Partizip | |

‘backen’ ‘gebacken’

[+Tempus] [+Kasus]

Page 93: Einführung in die Geschichte der Sprachwissenschaft Renate Raffelsiefen, FUB.

Dionysios Thrax Wortklassifizierung

Verb | Partizip | Nomen | | |

‘backen’ ‘gebacken’ ‘schnell’

[+Kasus] [+Kasus]

Page 94: Einführung in die Geschichte der Sprachwissenschaft Renate Raffelsiefen, FUB.

Dionysios Thrax Wortklassifizierung

Verb | Partizip | Nomen | | |

‘backen’ ‘gebacken’ ‘schnell’

[+Kasus] [+Kasus]

[+Tempus] [+Tempus]

Page 95: Einführung in die Geschichte der Sprachwissenschaft Renate Raffelsiefen, FUB.

Wortklassifizierung

Thrax (1. Jhdt v. Chr)Nomen

Verb

Partizip

Artikel

Pronomen

Präposition

Adverb

Konjunktion

Priscian (5. Jhdt.)Nomen

Verb

Partizip

> Interjektion

Pronomen

Präposition

Adverb

Konjunktion

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Interjektion

-syntaktisch unabhängig vom Verb

-zeigt ein Gefühl oder Geisteszustand an

oh, ah, pscht,

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Römische Grammatiker

• Varro (116-27 v. Chr.)

De lingua Latina (25 Bände, 5-10 erhalten)

- Etymologie

- Morphologie

- Syntax

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Mögliche Ursachen für Form-Bedeutung Entsprechungen in 2

Sprachen

1. Genetische Verwandtschaft:

[Wort]

/ \

/ \

[Wort A] [Wort B]

Sprache X Sprache Y

2. Entlehnung

[Wort A] -> [Wort B]

Sprache X Sprache Y

Page 99: Einführung in die Geschichte der Sprachwissenschaft Renate Raffelsiefen, FUB.

Mögliche Ursachen für Form-Bedeutung Entsprechungen in 2

Sprachen

1. Genetische Verwandtschaft:

[t]ooth - [ts]ahn

[t]wo - [ts]wei

[t]ongue - [ts]unge

Englisch Deutsch

2. Entlehnung

[t]icket - [t]icket

[t]ake-off - [t]ake-off

[t]alk-show - [t]alk-show

Englisch Deutsch

Page 100: Einführung in die Geschichte der Sprachwissenschaft Renate Raffelsiefen, FUB.

Mögliche Ursachen für Form-Bedeutung Entsprechungen in 2

Sprachen

1. Genetische Verwandtschaft:

[t]anthuz

/ \

/ \

[t]ooth - [ts]ahn

Englisch Deutsch

Page 101: Einführung in die Geschichte der Sprachwissenschaft Renate Raffelsiefen, FUB.

Mögliche Ursachen für Form-Bedeutung Entsprechungen in 2

Sprachen

1. Genetische Verwandtschaft:

[t]anthuz

/ \

/ \

[t]ooth - [ts]ahn

Englisch Deutsch

2. Entlehnung

[t]icket > [t]icket

[t]ake-off > [t]ake-off

[t]alk-show >[t]alk-show

Englisch Deutsch

Page 102: Einführung in die Geschichte der Sprachwissenschaft Renate Raffelsiefen, FUB.

Varro: Flexion vs. Derivation

Flexion:

“ declinatio naturalis”

Aufgrund einer

Wortform können alle

übrigen erschlossen

werden

backen> backst, backe

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Varro: Flexion vs. Derivation

Flexion:

“ declinatio naturalis”

Aufgrund einer

Wortform können alle

übrigen erschlossen

werden

backen> backst, backe

Derivation:

“ declinatio voluntaria”

Milch - milchig

Wasser - wässrig

Saft - saftig (*säftig)

Wein - ?

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Varro: Wortklassifikation

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Varro: Wortklassifikation

KASUS TEMPUS

Nomen + -Verb - +Partizip + +Adverb - -

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Wortklassifizierung

Thrax (1. Jhdt v. Chr)

Nomen:

-kasusflektiert-bezeichnet Person oder

Sache

Priscian (5. Jhdt.)Nomen:-bezeichnet Substanz

oder Qualität-weist jeder Person

oder Sache eine allgemeine oder bestimmte Qualität zu

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Priscian (5. Jhdt)

• 18bändige Grammatik (1000 Seiten)

- enge Anlehnung an die griechische Grammatik von Dionysios Thrax

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Priscian (5. Jhdt)

• 18bändige Grammatik (1000 Seiten)

- enge Anlehnung an die griechische Grammatik von Dionysios Thrax

- sehr detaillierte morphologische Beschreibung

- zwei Syntax-Bände

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Priscian (5. Jhdt)

• 800 Jahre: Basis von Grammatiktheorie• Bis jetzt: Basis von Latein-Lehrbüchern

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Präsens Erste Ps. Sg.

Infinitiv Imperfekt

Aktiv Konjunktiv

X -> Xm

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Plan

• Chronologische Entwicklung (Schwerpunkt Deutschland)

-

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Plan

• Themen

-Geschichte der Semasiologie

-Syntax 1955 -1975

-Pragmatik

-Phonologie (20. Jhdt.)

-Geschichte der Schrift