Einführung ins wissenschaftliche Arbeiten - mjwaibel.de · und Physiotherapie eine entscheidende...

14
________________________________________________________________________________________________________________________________________________ 1 Verfasst von: Sperling/Waibel 3-2012 Aktualisiert Waibel 1-2015 Heilkunde gliedert sich zunächst in zwei Hauptbereiche, wenn man von religiösen oder kryptoreligiösen Weltanschauungen absieht: E E i i n n f f ü ü h h r r u u n n g g i i n n s s w w i i s s s s e e n n s s c c h h a a f f t t l l i i c c h h e e A A r r b b e e i i t t e e n n Interdisziplinärer Projekt- unterricht Ursprünge Wissenschaftliche Theorieforschung gewann ihre ersten erkenntnisse durch hygienemassnahmen während der nach- kriegszeit... Wissenschafts- theoretische Welt „Heiler“ Esoterik-Welt

Transcript of Einführung ins wissenschaftliche Arbeiten - mjwaibel.de · und Physiotherapie eine entscheidende...

________________________________________________________________________________________________________________________________________________

1

Verfasst von: Sperling/Waibel 3-2012 Aktualisiert Waibel 1-2015

Heilkunde gliedert sich zunächst in zwei Hauptbereiche, wenn man von religiösen oder kryptoreligiösen Weltanschauungen absieht:

EEiinnffüühhrruunngg iinnss wwiisssseennsscchhaaffttlliicchhee

AArrbbeeiitteenn IInntteerrddiisszziipplliinnäärreerr PPrroojjeekktt--

uunntteerrrriicchhtt

Ursprünge

Wissenschaftliche

Theorieforschung

gewann ihre ersten

erkenntnisse durch

hygienemassnahmen

während der nach-

kriegszeit...

Wissenschafts-

theoretische Welt

„Heiler“

Esoterik-Welt

________________________________________________________________________________________________________________________________________________

2

Inhalt 1. Warum sollen wir Ergotherapeuten/Physiotherapeuten wissenschaftlich fundiert

arbeiten? 2. Wo gibt es für mich zugängiges wissenschaftliches Material? 3. Wie finde ich wissenschaftliche Studien? 4. Was ist die Evidenzhierarchie? 5. Wie formuliere ich eine Forschungsfrage richtig? 6. Exkurs: Wie wird eine Forschungsstudie eigentlich durchgeführt? 7. Worauf muss ich bei der Integration von Forschungsergebnissen in den Alltag

achten? 8. Wissenschaftspyramide: Wo stehen wir Ergotherapeuten/Physiotherapeuten,

und was ist unser Ziel? 9. Weiterführende Literatur, Zeitschriften und Internetlinks

1. Warum sollen wir Ergotherapeuten/Physiotherapeuten wissenschaftlich fundiert arbeiten? Die Ergotherapie un die Physiotherapie mit all ihren Bereichen bewegt sich in der Welt der Wissenschaftstheorie und Forschung. Unser Wissen basiert auch auf praktischer Erfahrung, fundiertem Wissen und Erkenntnissen. Die Wissenschaftstheorie gilt es von der esoterischen Welt der „Heiler“ zu unterscheiden, deren Heilwirkung mit naturwissenschaftlichem Verständnis nicht nachvollziehbar ist. Die Anwendung der Physiotherapie/Ergotherapie mit wissenschaftlichen Fakten zu belegen hilft uns dabei, den nötigen Nachweis der Wirksamkeit gegenüber Leistungsträgern zu erbringen. Die wissenschaftstheoretische Begründung verschiedener Therapiemaßnahmen spielt eine besonders wichtige Rolle, wenn es um die Kostenübernahme geht. Wissensstagnation im Beruf des Ergotherapeuten/Physiotherapie kann sich schnell zu Ungunsten des Patienten entwickeln. Durch ständige Aktualisierung des Wissens wird die Professionalität im Umgang mit der aktuellen Wissenschaft beibehalten, und somit das hohe Qualitätsniveau der Ergotherapie/Physiotherapie gehalten. Dies ist für Nachweise und Argumente gegenüber Ärzten und Krankenkassen von großem Nutzen.

________________________________________________________________________________________________________________________________________________

3

Vor allem jungen, verhältnismäßig unerfahrenen Therapeuten bietet wissenschaftliches Arbeiten eine wichtige Sicherheit und dient als klarer Richtungsweiser, sofern man es versteht, sich mit den verfügbaren Informationen kritisch auseinanderzusetzen. Durch Studien und Forschung können Entscheidungen besser überdacht und aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet werden. Wie in jedem Arbeitsbereich ist es auch für uns Ergotherapeuten und Physiotherapeuten wichtig, unser Wissen ständig zu erweitern, nachzulesen, Informationen einzuholen, sich mit Problemstellungen auseinanderzusetzen und unser Handeln kritisch zu hinterfragen 2. Wo gibt es für mich zugängiges wissenschaftliches Material? Wissenschaftliche Artikel sind auf vielen Wegen zu erreichen. Die einfachsten Methoden sind eine aufmerksame Suche in Bibliotheken, Literaturanschaffung oder eine detaillierte Internetrecherche. Manchmal stößt man aber auf Barrieren: die benötigten Arbeiten sind nur als Zusammenfassung erhältlich, Vollversionen sind meist kostenpflichtig. Alternativ sollte man sich in diesem Fall nach einer Möglichkeit zur Fernleihe umsehen, oder Kontakt zu den Autoren aufnehmen. Weitere Möglichkeiten sind: Hochschulen (Z.B. Brutkasten an der PH/FH Weingarten; Bachelor-/Master- und Diplomarbeiten...) Internetdatenbanken (Google; MedLine; Cochrane Library; PubMed; FPI Embase...) Literatur (ergotherapeutischer Bereich und benachbarte Arbeitsgebiete)

ERGO-

Physio!?

Bei der Auswertung wissenschaftlicher Artikel brauchen wir evidenzbasierte Inhalte und verlässliche Ergebnisse. Beim Filtern aller Suchergebnisse müssen wir also genau zwischen relevanten Informationen und Werbung bzw. unbegründeten Inhalten unterscheiden.

Tipp: �Google Scholar beschränkt und/oder erweitert die gesuchten Parameter auf wissenschaftliche Artikel und Dossiers. Dadurch lässt sich die Suche vereinfachen, da irrelevante kleine Beiträge mit mangelhaften Quellenangaben rausgefiltert werden.

________________________________________________________________________________________________________________________________________________

4

Expertennetz (Wissenschaftler, Dozenten, Professoren, Ärzte...) Fachzeitschriften (ergoscience, ergopraxis, Ergotherapie&Rehabilitation) (auch physiotherapeutische Zeitschriften) Fortbildungen (man erhält viel Praxiswissen und anschauliche Beispiele) (kritische Urteilskraft gefragt: gibt es wissenschaftliche Grundlagen?) Vorträge, Kongresse, Symposien Fernsehdokumentationen, Radio Eine ausführliche Literatur- und Linkliste finden Sie im Anhang. 3. Wie finde ich wissenschaftliche Studien? Das Internet verspricht schnelle Suchergebnisse zu nahezu jeder Thematik. Allerdings müssen wir wissen, wie und wonach wir genau suchen, um aus der Informationsflut die für unsere Zwecke relevanten wissenschaftlichen Arbeiten herauszufiltern. Einen guten Einstieg bieten Datenbanken wie: - www.fpi-publikation.de/polyloge/index.php - www.cochrane.de/de/index - www.dve.info - www.ebede.net (Forum für ET bei Demenz) - www.studis-online.de ( > „studium“ > „suche“ ) - www.schulz-kirchner.de/filesep/reichel_aota.pdf - www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed Bei der Suche nach verlässlichen wissenschaftlichen Artikeln und relevanten Publikationen gilt es, die Verfasser/Autoren auf deren Bildung, den Bildungsort und Hintergründe zu ihrem Werdegang und Wirkungskreis zu untersuchen, sowie sich über einflussgebende Personen, Institutionen und Quellen zu informieren! Internetrecherche evidenzbasierter Studien zur Ergotherapie und Physiotherapie www.google.de >> „studien ergotherapie“ www.ergotherapie.org >> runterscrollen bis Rubrik „Wichtige Links“ Link „Verbleib von Ergotherapeuten ...“ >> www.ergotherapie.org/2010/10/ergotherapie-studie Downloadmöglichkeit „Hier kostenlos ansehen und runterladen“

________________________________________________________________________________________________________________________________________________

5

www.ergotherapie.org/download/Verbleib-der-Ergotherapeuten-im-beruflichen-Umfeld-1.pdf >> „Verbleib in medizinischen Assistenzberufen am Beispiel der Ergotherapie“ www.google.de >> „studie ergotherapie“ www.timmermann-und-partner.de/ergotherapie%20hilft.pdf >> „Studien zeigen: Ergotherapie hilft nach einem Schlaganfall“ „Einen Zustand zu halten bedeutet auch Erfolg.“ Auswertung des Ergebnisses: - genaue Quellenangaben - sehr aussagekräftiges Review Internetrecherche evidenzbasierter Studien zur Physiotherapie www.google.de >> „physiotherapeutische studie schlaganfall“ www.ifk.de/inhalt/index.php?option=com_content&task=view&id=1695&Itemid=69 >> „Neue Schlaganfallstudie“ Auswertung des Ergebnisses: - Quellen fehlen, wenige Verweise - letzter Absatz enthält nur Werbung für Physiotherapi Internetrecherche evidenzbasierter Studien zur Ergotherapie scholar.google.de (Herr Schwandt's Vorschlag) >> Suchbegriffe „ergotherapie wirksamkeit“, „potentiale der ergotherapie“, „handwerk in der ergotherapie“ oder „wirksamkeit der ergotherapie und physiotherapie auf mobilität“ >> „demenz ergotherapie“ www.springerlink.com/content/jhn21yp38e89l7h0 >> „Kontrollierte Studien zur Wirksamkeit...“ >> den orangefarbigen Text kopieren und googeln www.inter-uni.net/static/download/publication/psychosozial/SZ_Streitwieser.pdf >> „Strukturierte Zusammenfassung“ der oben angegebenen kontrollierten, monozentrier- ten, einfach verblindeten Interventionsstudie im Seniorenheim. Beschrieben wird die Wirkung klientenzentrierter therapeutischer Intervention im Kontext von Alltagshandlungen. Auswertung des Ergebnisses: - Einleitung gut verständlich - Sowohl Problem als auch Lösungen und Ziele sind angegeben

________________________________________________________________________________________________________________________________________________

6

4. Was ist die Evidenzhierarchie? Da nicht jede Studie gleich bewertet werden darf, gibt es eine sogenannte Evidenzhierarchie, mit deren Hilfe wir die auszuwertende Studie beurteilen können. Die Hierarchie ist in einer Tabelle klar gegliedert und erleichtert die Unterscheidung aussagekräftiger Studien von eher weniger qualitativen. Je nach Quelle, Genauigkeit und Größe lässt sich die Studie leicht einordnen und bewerten. Die Bewertung von Studien führen z.B. Professoren, Institute und Wissenschaftler durch. Jede Studie, die einer entsprechenden Bewertung unterzogen wurde, wurde auf wichtige Kriterien wie Ausmaß der Studie, Glaubwürdigkeit, Aussagekraft, Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Durchführung, Aktualität der Studie usw. überprüft.

Stufe Evidenz- Typ

Ia

wenigstens ein systematischer Review auf der Basis methodisch hochwertiger kontrollierter, randomisierter Studien (RCTs)

Ib

wenigstens ein ausreichend großer, methodisch hochwertiger RCT

IIa

wenigstens eine hochwertige Studie ohne Randomisierung

IIb

wenigstens eine hochwertige Studie eines anderen Typs quasi-experimenteller Studien

III

mehr als eine methodisch hochwertige nichtexperimentelle Studie

IV

Meinungen und Überzeugungen von angesehenen Autoritäten (aus klinischer Erfahrung); Expertenkommissionen; beschreibende Studien

________________________________________________________________________________________________________________________________________________

7

Begriffserklärung Randomisiert-kontrollierte Studie (RCT) Für uns am aussagekräftigund wertvoll sind die RCTs, da sie kontrolliert werden und in der Regel große Patientenmengen untersuchen. Es gibt immer mindestens eine Kontrollgruppe. Die Standards sind sehr hoch und damit die Studie qualitativ hochwertig. Randomisiert bedeutet dass die Patienten vor Beginn der Studie nicht willkürlich ausgesucht werden und das Ergebnis damit nicht verfälscht werden kann. Kontrollierte Studie Bei einer kontrollierten Studie gibt es parallel zur Hauptuntersuchungsgruppe mindestens eine Kontollgruppe, die keine Intervention erhält. (z.B. eine Gruppe mit ET, eine ohne ET). Die Gruppen werden in regelmäßigen zeitlichen Abständen miteinander verglichen. Nicht randomisierte Studie Die Teilnehmer einer nicht randomisierten Studie werden vor dem eigentlichen Studienbeginn „ausgewählt“, z.B. nach Krankheit, Motivation für eine Therapie, Altersgruppe oder anderen personenspezifischen Faktoren. (z.B. „Machen wir eine Zwischenbewertung des Unterrichts, aber zuvor gehen Frau K., Frau B. und Frau M. raus, weil ich weiß, dass sie eine schlechte Bewertung geben

würden“ - das wäre Manipulation! Die zu bewertende Studie wird mit steigender Glaubwürdigkeit und Qualität der Durchführung höher eingestuft. Demnach ist eine randomisiert-kontrollierte Studie höher einzuordnen als z.B. eine Expertenmeinung aus klinischem Umfeld. Da sie eine Vielzahl von Probanden untersucht und die Ergebnisse nicht verfälscht wurden (randomisiert).

Alle Studien spielen zunächst in der Ergotherapie und Physiotherapie eine entscheidende Rolle, da es noch zu wenige gibt. Gut sind natürlich die Evidenzstufen 1-2, hier liegt aber noch wenig Material derzeit vor.

________________________________________________________________________________________________________________________________________________

8

5. Wie formuliere ich eine Forschungsfrage richtig? Wie zuvor erwähnt, erleichtert eine präzise Fragestellung die Suche nach gewünschten Studien. Anhand eines Beispiels aus dem Unterricht lässt sich eine Verfeinerung einer zu Anfang einfachen Frage verfolgen: Wirkung klientinnenzentrierter ergotherapeutischer Interventionen im Kontext von Alltagshandlungen. Kontrollierte, monozentrische, einfach verblindete Interventionsstudie im Seniorenheim >>http://www.inter-uni.net/static/download/publication/psychosozial/SZ_Streitwieser.pdf Fragestellung: „Hilft Ergotherapie beim selbstständigen Leben im Alter?“ Das Beispiel ist eine zu offene Frage; es gibt viel zu viele Faktoren, die berücksichtigt werden müssten. Genauere Formulierung: Welche Altersspanne ist in der Studie? Welche therapeutischen Maßnahmen werden angewandt? Was ist unter „selbstständigem Leben“ gemeint? Lässt sich eine offene Frage formulieren? Lösungsvorschlag: „Können ergotherapeutische Interventionen die Selbstständigkeit / die selbstständige Durchführung der ADLs im häuslichen Umfeld bei >80-jährigen demenzerkrankten Patienten erhalten?“ Studienbedingungen: Bei der Laufzeit gilt es, das Alter der TeilnehmerInnen zu beachten. In diesem Fall wäre eine Studie über 5 bis 10 Jahre sinnvoll. Es sollte mindestens eine Kontrollgruppe zum Vergleich vorliegen, mit der die Ergebnisse der zu untersuchenden Gruppe etwa alle 3 bis 5 Jahre in Form von Checklisten abgeglichen werden. Dazu kann z.B. der Canadian Occupational Performance Measure Bogen (COPM) verwendet werden. Problembereiche: Bei der Studie handelt es sich um eine nicht randomisierte Studie, da vor der Durchführung eine Vorauswahl der TeilnehmerInnen stattfindet. Die Studienstufe ist demnach 3. Das COPM ist hier nur bedingt geeignet, weil die körperliche Untersuchung subjektiv beeinflusst ist und somit auch verfälschte Ergebnisse liefern kann. Bei der Interpretation der Studie erfolgt eine sehr gute Reflexion durch die Autoren. Jedoch schießen sie sich mit der Selbstkritik selbst ins Aus, sodass diese Studie als Beweis für die Wirksamkeit bei Krankenkassen oder anderen Leistungsträgern als eher ungeeignet erscheint.

________________________________________________________________________________________________________________________________________________

9

6. Exkurs: Wie wird eine Forschungsstudie eigentlich durchgeführt? Wir untersuchen zuhause lebende, an Demenz erkrankte Probanden im Hinblick auf die selbst-ständige Ausführung der ADLs. Die Probanden sind über 85 Jahre alt. >> Wann hört die Selbstständigkeit auf (Alter)? >> Kann Ergotherapie die Selbstständigkeit von >85jährigen Demenzpatienten erhalten? Vorgehen bei einer Studie:

Die Studie wird auf mindestens 10 Jahre ausgelegt werden. Für aussagekräftige Ergebnisse müssen mindestens 50-60 Probanden teilnehmen (Suche durch Anzeigen bei Arzt/Zeitung). Ist die Teilnehmerzahl erreicht, unterteilen wir sie per Zufallsverfahren in drei Gruppen (randomisierte Gruppenzuteilung, z.B. per Lose, Münze werfen ...):

Die Messungen müssen immer identisch (zur gleichen Zeit, mit gleichen Messzeitpunkten, gleichen Bedingungen und in immer gleicher Behandlung durchgeführt werden. Die prüfende Person darf nicht wissen, zu welcher Gruppe der zu Untersuchende gehört (blinde Durchführung). Wir führen nun 10 Jahre lang mit der

Intervention (ET) Kontrollgruppe Vergleichsmethode (Physiotherapie)� 33 Pers. 34 Pers. 33 Pers.

Intervention (ET) Kontrollgruppe Vergleichsmethode (Physiotherapie)� 33 Pers. 34 Pers. 33 Pers.� > 13 Pers. > 2 Pers. > 18 Pers.

Wäre das Ergebnis nach einer 10-jährigen ergotherapeutischen Intervention zu sehen, dann wäre die Differenz zwischen den 2 Personen der Kontrollgruppe und den 13 Personen der Interventionsgruppe ein Nachweis dafür, dass Ergotherapie eine gewünschte Wirkung zeigt und somit eine sinnvolle Intervention ist.

________________________________________________________________________________________________________________________________________________

10

Interventionsgruppe Ergotherapie durch, die Kontrollgruppe nimmt nur an den Vergleichsmessungen teil. Die Vergleichsgruppe erhält eine physiotherapeutische Behandlung. Folgende Messungen ergeben sich nach 10 Jahren: Da wir hier ein betagtes Klientel haben, kann die Zahl z.B. durch Todesfälle oder Ausscheiden aus der Studie aufgrund einer schweren Krankheit beeinflusst worden sein. Man muss also bei der Auswertung einer Studie immer auf die Hintergründe achten.

7. Worauf muss ich bei der Integration von Forschungsergebnissen in den Alltag achten? Relevanz Eine Handvoll aussagekräftiger Studien gefunden zu haben nützt dem Klientel wenig, wenn die Studienergebnisse und -erkenntnisse nicht individuell an den jeweiligen Patienten bzw. Klienten anpassbar sind. Daher muss man sich als Therapeut die Frage stellen: „Hat diese Studie bzw. das Wissen, das ich dank ihr habe, etwas mit meinem Klientel zu tun und wenn ja, inwieweit?“ Praktikabilität Das aus Studien, wissenschaftlichen Artikeln etc. gewonnene Wissen müssen wir in die Praxis umsetzen können. Hierbei ist es wichtig zu prüfen, ob und wie sich wissenschaft-liche Erkenntnisse praktisch anwenden und in den eigenen Praxisalltag nachprüfbar integrieren lassen. Qualität Die Auswertung gefundener Studien sollte nach Möglichkeit durch die Evidenzhierarchie erfolgen. Damit ist die Aussagekraft und Glaubwürdigkeit der verwendeten Artikel gewährleistet. (siehe Kapitel 4)

________________________________________________________________________________________________________________________________________________

11

8. Wissenschaftspyramide: Wo stehen wir Ergotherapeuten, und was ist unser Ziel?

Wenn wir als frisch ausgebildete Ergotherapeuten aus der Ausbildung kommen, befinden wir uns dank unseren theoretischen Grundlagen und den Erfahrungen während des Praktikums auf der untersten Stufe des hier veranschaulichten Diagramms: Zwar ist die Praxis die unterste Stufe. Doch auf den Erkenntnissen aus der Praxis basieren alle darauf folgenden Strukturen. Mit ihren positiven Therapieerfolgen, lehrreichen Fehlern und langjährigen Erfahrungen bildet sie die Grundlage. Durch eine kritische Auseinandersetzung mit den gesammelten Erfahrungen können wir unser therapeutisches Handeln überprüfen und gegebenenfalls verbessern. Unter Einbezug der Praxiserfahrungen können differenziertere, neue Theorien entwickelt werden. Somit ist gewährleistet, dass die Ergotherapie auf einem hohen Qualitätsniveau bleibt. Ebenso stehen die Meta-Theorien mit den anderen Stufen in enger Verbindung. Ihre Grundprinzipien wirken bis in unseren praktischen Alltag mit Patienten; beispielsweise bei der Frage, wie ich mit einem Patienten umgehe, wenn dieser die Behandlung nicht möchte (Ethik).

Metatheorien sind Theorien mit großer Reichweite: über das Wesen von Menschen (Anthropologie), den Sinn des Lebens und über Werte (Ethik), die Entstehung und die Geheimnisse der Welt (Kosmologie, Ontologie), sozialpolitische Annahmen (Gesellschaftstheorie), über das menschliche Bewusstsein und Erkenntnisprozesse (Erkenntnistheorie).

Klinische (realexplikative) Theorien haben eine mittlere Reichweite. Hierzu gehören insbesondere die Entwicklungstheorie, Persönlichkeitstheorie, Gesundheits- und Krankheitslehre, als auch Ergebnisse der Psychotherapieforschung. Dieses Wissen ist von erheblicher Bedeutung für die Praxis, z.B. Indikationsstellung, Interventions- und Methodenauswahl.

________________________________________________________________________________________________________________________________________________

12

Praxeologie ist die Lehre von der Umsetzung theoretischer Konzepte in Praxis bzw. von der Theorie methodisch-praktischer Massnahmen. Zur Praxeologie gehören Prozesstheorien, Interventionslehre, Theorien zu Settings, Fokal-, Kurzzeit- und Langzeittherapie, Lehre von den Techniken, Methoden, Stilen. In der Leib- und Bewegungsarbeit werden vielfältige Techniken, Stile, Medien (s. Abb.1.2) eingesetzt, die praxeologisch systematisch reflektiert werden müssen, gerade in Bezug auf störungsspezifisches Vorgehen. Aus dem ständigen Prozeß kritischer Reflektion werden theoretische Konstrukte und Konzepte generiert, die sich zu Theorien von zunehmender Komplexität entwickeln können, welche wiederum in die Praxis zurückwirken und diese möglicherweise verändern. Gleichzeitig werden auf der Grundlage elaborierter und damit konsistenter Praxis erst Forschung und Maßnahmen der Qualitätssicherung bzw. -entwicklung möglich, die für die Entwicklung einer Disziplin, von Verfahren, Methoden und von Professionalität grundlegend sind.

Die Praxis ist schließlich die konkrete Umsetzung der oben angegebenen Theoriekonzepte in die therapeutische Arbeit. Der Praktiker wählt auf dem Boden seines theoretischen und Erfahrungswissens seine Interventionen. Diese sind wesentlich beeinflusst von den durch den Patienten/Klienten hervorgerufenen Resonanzen beim Therapeuten. Das praktische Handeln gründet sich stets in intersubjektiver Bezogenheit.

Unser Ziel sollte es sein, uns verstärkt zum Bereich der Praxeologie hin zu entwickeln. Wir fangen in der Praxis an mit dem Grundwissen, das wir vermittelt bekommen. Aber erst durch kritisches Hinterfragen des eigenen Handelns, Auseinandersetzen mit Problemen und stetige Aktualisierung und Integration neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse kann jeder seinen Teil zur Erweiterung und Verbesserung der ergotherapeutischen Maßnahmen beitragen.

________________________________________________________________________________________________________________________________________________

13

9. Weiterführende Literatur, Zeitschriften und Internetlinks - Internetrecherche - www.fpi-publikation.de/polyloge/index.php - www.cochrane.de/de/index - www.dve.info - www.ebede.net (Forum für ET bei Demenz) - www.studis-online.de ( > „studium“ > „suche“ ) - www.schulz-kirchner.de/filesep/reichel_aota.pdf - www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed - Literatur (ergotherapeutischer Bereich und benachbarte Arbeitsgebiete) Ergotherapie systematisch beschreiben und erklären - Kathrin Reichel, ISBN 978-3824803828 Psychiatrische Ergotherapie heute - Ulrike Marotzki, ISBN 978-3884144121 Evidenzbasiertes Arbeiten in der Physio- und Ergotherapie - Sabine Mangold, ISBN 978-3642172014 Forschung verstehen - beatwortet Fragen der EbM wie „wie liest man eine Forschungsstudie?“, „was ist Validität?“ oder „was ist ein Vergleichswert, und wie erstelle ich diesen?“ - Fachzeitschriften (ergoscience, ergopraxis, Ergotherapie&Rehabilitation), auch Kollegen (physiopraxis, physioscience...) Zeitschrift ergoscience

- Artikel werden streng überpfüft (bis zu 6 Wochen), ggf. abgelehnt - eher junge Zeitschrift, erhält aber sehr gute Kriterien - arbeitet sehr wissenschaftlich Zeitschrift physiotherapie/pt - Rubriken wie EbM, Praxis, Erfahrungsberichte - früher reine Praktikerzeitschrift, heute auch wissenschaftlich orientiert - gute, informative, übersichtliche Artikel/Reviews Zeitschrift ergo praxis - enthält Anleitungen zur Suche zu Quellen von Artikeln/Studien - erklärt kostenlosen Weg zu Studien („vom Suchen und Finden der Studien“ - wie, wo,

was) - baut Wissenschaftsteil „internationale Studienergebnisse“ aus Zeitschrift Ergotherapie&Rehabilitation - wissenschaftlich informative Beiträge zu Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit - Erfahrungsberichte und praxisnahe Artikel, wissenschaftliche Studien noch wenig vertreten

________________________________________________________________________________________________________________________________________________

14