Einfuhrung in die Analysis - homepage.univie.ac.at · 79 Landau schreibt 1929 im Vorwort zu seinen...
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Skriptum zur Vorlesung2
Einfuhrung in die Analysis3
von Bernhard Kron4
Version vom 02.02.20145
Sommersemester 20136
VO LV-Nr.: 250053, 5 ECTS7
UE LV-Nr.: 250054, 4 ECTS8
http://homepage.univie.ac.at/bernhard.kroen/Analysis.html9
Inhaltsverzeichnis10
Vorwort 111
Zum Vorlesungsaufbau 112
Einleitung 413
Kapitel 1. Zahlen und Folgen 714
1.1. Konstruktion und Axiomatik 715
1.2. Naturliche Zahlen 716
1.3. Ganze Zahlen 817
1.4. Zur Konstruktion der Zahlenbereiche 918
1.5. Rationale Zahlen 1019
1.6. Folgen 1220
1.7. Konvergenz und geometrische Folgen 1421
1.8. Cauchy-Folgen und Grenzwertsatze 1722
1.9. Intervallschachtelungen 2023
1.10. Reelle Zahlen 2124
1.11. Erweiterte reelle Zahlen 2425
1.12. Vollstandigkeit der reellen Zahlen 2526
1.13. Haufungswerte und Haufungspunkte 2727
1.14. Wurzeln 2928
1.15. Komplexe Zahlen 3129
1.16. Konvergenzkriterien fur Reihen 3230
1.17. Das Cauchy-Produkt von Reihen 3731
1.18. Die Exponentialreihe 3932
Kapitel 2. Stetigkeit 4133
2.1. Metrische Raume 4134
2.2. Stetigkeit in metrischen Raumen 4135
2.3. Stetigkeit reeller Funktionen 4636
2.4. Stetige Umkehrabbildungen 4937
2.5. Limiten zu Exponentialfunktion und Logarithmus 5038
2.6. Trigonometrische Funktionen 5139
Kapitel 3. Differentiation 5740
3.1. Differenzierbarkeit 5741
3.2. Erste Ableitungsregeln 5842
Literaturverzeichnis 6343
i
Vorwort44
Auch wenn mehrere Personen einen langeren mathematischen Text genau korrigiert45
haben, werden sich beim erneuten Lesen wieder Fehler finden lassen. In diesem Sinne bitte46
ich Sie, dieses Skriptum aufmerksam zu studieren; berichten Sie mir Fehler, auch wenn es sich47
nur um Tippfehler handelt. Ich bin auch an kritischen Anmerkungen jeder Art zu Aufbau,48
fehlenden Beispielen oder zu unverstandlichen Argumenten interessiert. Ihre Kommentare49
werde ich laufend einarbeiten und immer wieder aktualisierte Fassungen des Skriptums50
auf http://homepage.univie.ac.at/bernhard.kroen/Analysis.html online stellen und51
zwar in zwei Versionen: mit Zeilennummerierung, die Ihnen helfen, auf Fehler hinzuweisen,52
und ohne Zeilennummerierung, fur eine optisch ungestorte Lekture. Herzlichen Dank an53
Lukas Hobel, Stefanie Hofbauer, Andreas Kalb, Florian Konig, Doris Laßnig, Peter Leitner,54
Christine Neuhuber, Christine Punner, Katrin Schonegger, Tobias Slowiak und Stephan55
Wastyn fur die Korrektur zahlreicher kleiner Fehler.56
Beispiele zu den Ubungen finden Sie im Text am Ende der Kapitel und noch einmal in57
gesammelter Form. Auch am Ende jedes Kapitels sind sogenannte Theoriefragen formuliert,58
die Ihnen bei der Vorbereitung zur Prufung helfen sollen.59
Ich halte mich im Aufbau an kein bestimmtes Lehrbuch. W. Rudins “Principles of60
Mathematical Analysis” [10] (nicht zu verwechseln mit seinem Buch “Real and Complex61
Analysis”) ist ein Standardwerk im englischsprachigen Raum und auf Deutsch als “Analy-62
sis” [8] erschienen (nicht zu verwechseln mit “Reelle und Komplexe Analysis”). Der deutsche63
Klassiker von H. Heuser [2] ist ausfuhrlich geschrieben und enthalt viele Beispiele. In der64
Literaturliste finden Sie weitere wichtige Lehrbucher zur Analysis, die meisten stammen65
aus dem deutschsprachigen Raum. Zu empfehlen ist auch das Vorlesungsskriptum [3] von66
G. Hormann und D. Langer, sowie als Nachschlagwerk zum Kurs “Einfuhrung in das mathe-67
matische Arbeiten” das gleichnamige Buch [11] von H. Schichl, R. Steinbauer. Dieser Kurs68
wird in der Vorlesung vorausgesetzt.69
Zum Vorlesungsaufbau70
Die folgenden Gedanken zum Aufbau der Lehrveranstaltung richten sich an die mathe-71
matisch erfahrenere Leserschaft. Im Weiteren setze ich nur die Lehrveranstaltung “Einfuhrung72
in das mathematische Arbeiten” voraus.73
Es gibt unzahlige Unterlagen und einfuhrende Bucher zur reellen Analysis und trotzdem74
habe ich mich entschlossen, ein neues Vorlesungsskriptum zu verfassen. Die Frage, wie die75
Vorlesung zur Analysis aufgebaut sein soll und insbesondere, wie reelle Zahlen eingefuhrt76
werden, beschaftigt die universitare Lehre seit dem ausgehenden 19. und fruhen 20. Jahr-77
hundert, als die Mathematik auf ein strenges formales Fundamet gestellt wurde. Edmund78
Landau schreibt 1929 im Vorwort zu seinen “Grundlagen der Analysis” [6]:79
“Dies Buchlein ist eine Konzession an die (leider in der Mehrzahl befindlichen) Kollegen,80
welche meinen Standpunkt in der folgenden Frage nicht teilen.81
Auch wer Mathematik hauptsachlich fur die Anwendungen auf Physik und andere Wis-82
senschaften lernt, also vielfach sich selbst weitere mathematische Hilfssatze zurechtlegen83
muß, kann auf dem betretenen Pfade nur dann sicher weiterschreiten, wenn er gehen gelernt84
hat, d.h. zwischen falsch und wahr, zwischen Vermutungen und Beweisen (oder, wie manche85
so schon sagen, zwischen unstrengen und strengen Beweisen) unterscheiden kann.86
Darum finde ich es (. . . ) richtig, daß der Studierende bereits im ersten Semester lernt,87
auf welchen als Axiomen angenommenen Grundtatsachen sich luckenlos die Analysis auf-88
baut und wie dieser Aufbau begonnen werden kann. Bei der Wahl der Axiome kann man89
bekanntlich verschieden verfahren; ich erklare es also nicht etwa fur falsch, sondern fur mei-90
nem personlichen Standpunkt fast diametral entgegengesetzt, wenn man fur reelle Zahlen91
zahlreiche der ublichen Rechengesetze als Axiome postuliert.”92
1
Ganz ahnlich sieht das Charles Chapman Pugh in [7, Section 1.2] “The current mathe-93
matics teaching trend treats the real number system R as a given — it is defined axiomati-94
cally. Ten or so of its properties are listed, called axioms of a complete ordered field, and the95
game becomes: deduce its other properties from the axioms. This is something of a fraud,96
considering that the entire structure of analysis is built on the real number system. For what97
if a system satisfying the axioms failed to exist? Then one would be studying the empty set!98
However, you need not take the existence of the real numbers on faith alone — we will give99
a concise mathematical proof of it.”100
Landau geht von den Peano-Axiomen aus, wohingegen Pugh naturliche Zahlen ohne101
Axiomatik als gegeben annimmt. Wenn wir eine Mathematik betreiben wollen, in der Men-102
gen verwendet werden (und das wollen wir), dann stellt sich eine weitere Frage: Gibt es die103
(oder eine) Menge naturlicher Zahlen? Gibt es eine Menge, die die Peano-Axiome der naturli-104
chen Zahlen erfullt? Auch diese Frage muss beantwortet werden, auch wenn die Antwort105
einfach und kurz ist: Die Existenz einer solchen Menge folgt aus dem Unendlichkeitsaxiom106
der Zermelo-Fraenkelschen Mengenlehre. Und gibt es uberhaupt eine Menge? Eine solche107
Frage ist als mathematische Frage nicht ganz richtig gestellt, weil ein Objekt offenbar außer-108
halb der formalen Theorie in der realen Welt gesucht wird. Die Frage musste lauten: Ist das109
Axiomensystem der Mengenlehre widerspruchsfrei? Hier wird die Sache etwas komplizier-110
ter: Godel hat gezeigt, dass jedes hinreichend große widerspruchsfreie formale System die111
eigene Widerspruchsfreiheit nicht zeigen kann. Dies trifft auch auf die Zermelo-Fraenkelsche112
Mengenlehre zu. Das heißt, wenn wir mit ihr arbeiten, konnen wir nicht beweisen, dass sie113
widerspruchsfrei ist, auch wenn sie es wohl doch ist, woran niemand zweifelt.114
“Bei der Wahl der Axiome kann man bekanntlich verschieden verfahren;” (Landau, siehe115
oben). Man muss sich nur bewusst werden, welche die axiomatische Basis ist. Grundsatzlich116
ware es moglich, eine rein arithmetische Mathematik zu betreiben (zum Beispiel in der117
Zahlentheorie), in der es keine Mengen und auch keine Geometrie gibt, dann genugen die118
Peano-Axiome oder andere.119
Ein besonderes Axiom der Mengenlehre ist das Auswahlaxiom (axiom of choice), weil120
es die Existenz von Objekten impliziert, die nicht konstruktiv beschreibbar sind, weswegen121
es von manchen Mathematiker/innen vermieden oder gar abgelehnt wird. Mit ZFC wird die122
Zermelo-Fraenkelsche Mengenlehre (ZF) zusammen mit dem Auswahlaxiom (C) bezeichnet.123
Sie hat sich als machtige Grundlage der Mathematik etabliert. Zusammen mit der Pradika-124
tenlogik im Hintergrund lasst sich mit ihr die gesamte Mathematik in einer Theorie vereinen,125
das macht ZFC so attraktiv.126
Die fur uns relevanten Zahlenbereiche lassen sich aus ZF ableiten. Weder die Peano-127
Axiome noch die Axiome der reellen Zahlen als vollstandig geordneter Korper sind fur uns128
also eine Grundlegung der Zahlenbereiche, sondern nutzliche Charakterisierungen. Das heißt,129
sie helfen uns, Theoreme folgender Art zu formulieren: Die aus der Zermelo-Fraenkelschen130
Mengenlehre konstruierten Zahlenbereiche (insb. die naturlichen und die reellen Zahlen)131
erfullen (zusammen mit den darauf definierten Rechenoperationen) eine bestimmte Liste von132
Axiomen und jedes andere Objekt, das diese Axiome auch erfullt, ist isomorph zu den aus der133
Mengenlehre konstruierten Zahlenbereichen. Auch wenn die Axiomatiken der Zahlenbereiche134
keine Grundlegungen darstellen, dienen sie als Basislager auf halber Hohe des Berges, von135
dem aus wir den Gipfel besteigen konnen. Unten im Tal befinden sich Logik und Mengenlehre136
als Ausgangspunkt.137
Das erste Problem bei der von Landau empfohlenen Vorgehensweise ist der enorme138
Zeitaufwand, der notig ist um dies rigoros und vollstandig zu tun. Ich beschranke mich139
daher bei der Konstruktion der Zahlenbereiche aus der Mengenlehre auf wenige wesentliche140
Schritte und verzichte auf die in der Analysis sonst erforderliche Vollstandigkeit.141
Nachdem Rudin 1953 in [9] die reellen Zahlen zunachst rigoros uber Dedekindschnitte142
eingefuhrt hat, schreibt er in seinem Vorwort zur dritten Auflage [10] von 1976 uber das143
zweite, namlich das mathematisch-didaktische Problem bei der Konstruktion reeler Zahlen:144
2
“Experience has convinced me that it is pedagogically unsound (though logically correct) to145
start off with the construction of the real numbers from the rational ones. At the beginning,146
most students simply fail to appreciate the need for doing this.”147
Die Vollstandigkeit ist die wichtigste der Eigenschaften, die die reellen von den rationalen148
Zahlen unterscheidet. Um sich der Bedeutung dieser Eigenschaft bewusst zu werden, habe ich149
gerade aus didaktischen Grunden nicht auf eine Konstruktion der reellen Zahlen verzichtet.150
Allerdings stelle ich diese nicht wie sonst ublich an den Beginn der Vorlesung, sondern151
arbeite erst eine Zeit nur mit rationalen Zahlen und behandle Konvergenz, Cauchy-Folgen152
und Grenzwertsatze bis wir an einen Punkt kommen, wo sich die Konstruktion der reellen153
Zahlen zwingend und gleichzeitig auf naturliche Weise ergibt. Allerdings muss man bei dieser154
Vorgehensweise spater an einer Stelle festhalten, dass vieles, was zuvor uber rationale Folgen155
gesagt wurde, nun auch fur reelle Zahlen gilt. Dies trifft auf alle Aussagen zu, die nur aus den156
Korperaxiomen abgeleitet wurden und die Eigenschaft rationaler Zahlen, dass sie Quotienten157
ganzer Zahlen sind, nicht verwenden.158
Anstatt den Aufbau der Mathematik auszublenden, sollte begrundet werden, warum159
es notwendig ist, ihn zu kennen. Gerade in allgemein bildenden Schulen sollte auch Platz160
fur Reflexionen uber das Fach an sich sein. Das mathematische Theoriegebaude dient als161
Beispiel einer Wissenschaft und hilft das Wesen der Wissenschaft besser zu verstehen. Es ist162
wichtig, auch in der Schule uber Moglichkeiten und Grenzen einer naturwissenschaftlichen163
Theorie nachzudenken und unterscheiden zu lernen zwischen Phanomenen der realen Welt164
und erklarenden Thesen, zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft, zwischen Glaube,165
Spekulation, Empirie und - wie im Fall der Mathematik - einer formalen Theorie. Deswegen166
sollten Lehrkrafte zumindest eine grobe Vorstellung davon haben, was das Theoriegebaude167
Mathematik ist, auch wenn Grundlagen der Mathematik in der Schule nicht standardmaßig168
unterrichtet werden.169
Wir mussen davon ausgehen, dass die meisten Studierenden spater nie eine Lehrveran-170
staltung uber Mengenlehre oder Grundlagen der Mathematik belegen werden und dass die171
Analysis ihre einzige Chance ist, einen Einblick in dieses Theoriegebaude zu bekommen.172
Die verbreitetsten Konstruktionen der reellen Zahlen sind jene mit Cauchy-Folgen und173
jene mit Dedekind-Schnitten. Man kann reelle Zahlen auch direkt uber Dezimalbruche174
einfuhren. Dedekind-Schnitte sind intuitiv leicht zu verstehen, das ist ihr Vorteil. Ein Nach-175
teil ist wohl, dass sie abgesehen von der Konstruktion der reellen Zahlen kaum eine Verwen-176
dung finden. Das heißt, es wird Zeit und Energie fur eine kleine Theorie investiert, deren177
einziger Zweck die Konstruktion der reellen Zahlen ist. Ich habe mich fur die Konzepte der178
Cauchy-Folgen und Intervallschachtelungen entschieden, weil diese auch im spateren Aufbau179
der Analysis von großer Bedeutung sind. Bis wir zu dem Punkt gelangen, wo wir reelle Zah-180
len als Aquivalenzklassen von Cauchy-Folgen definieren, muss viel gearbeitet werden. Diese181
Arbeit ist aber nicht umsonst, denn das Kapitel uber Folgen und Konvergenz wird im Laufe182
dieser Konstruktion bereits großteils abgearbeitet. Auch bekommen wir wichtige Satze wie183
jenen von Bolzano-Weierstrass im Zuge der Konstruktion praktisch geschenkt.184
Ich will mit dieser Vorlesung zeigen, wie die Konstruktion der reellen Zahlen auf naturli-185
che Weise motiviert und in den Aufbau der Analysis integriert werden kann, ohne den Um-186
fang der Lehrveranstaltung zu erhohen.187
Potenzen mit reellen Exponenten konnen bequem uber Exponentialfunktion und Lo-188
garithmus eingefuhrt werden. Wenn dafur erst Umkehrfunktionen und stetige Funktionen189
behandelt werden mussen, bedeutet das, dass die Exponentialfunktion erst relativ spat be-190
handelt wird. Die Exponentialreihe selbst spielt in verschiedenen Bereichen der Mathematik191
eine ganz zentrale Rolle. Aus diesem Grund behandle ich die Exponentialfunktion schon rela-192
tiv fruh im Kapitel uber Reihen. Um zu zeigen, dass ihre Umkehrfunktion auf allen positiven193
reellen Zahlen definiert ist, verwende ich den Zwischenwertsatz. Daher wird der Logarith-194
mus erst spater eingefuhrt. Wir wollen jedoch schon zu einem fruheren Zeitpunkt Wurzeln195
ziehen, zum Beispiel beim Wurzelkriterium fur Reihen. Wurzeln und rationale Exponenten196
3
werden daher schon fruher direkt uber die Vollstandigkeit der reellen Zahlen definiert. An197
dieser Stelle konnten durch einen Grenzubergang direkt reelle Exponenten eingefuhrt wer-198
den (siehe z.B. [4, 2]), worauf ich aus Zeitgrunden in den Kapiteln zu Reihen verzichte, weil199
wir irrationale Exponenten ohnehin erst ab den Kapiteln zur Stetigkeit brauchen.200
Einleitung201
0.0.1. Die Frage nach dem “Was” und das Fundament. Was ist eine Funktion?202
Eine Funktion ist eine Relation. Und was ist eine Relation? Eine Relation ist eine Menge203
von Paaren. Egal bei welchem mathematischen Objekt wir die Frage nach dem “Was” stel-204
len, am Ende landen wir immer bei den Mengen. Mathematik beschaftigt sich nicht mit205
der Wirklichkeit, sondern mit formalen Modellen. Mengen haben sich als Einheitsmodell206
bewahrt. Mengen mit bestimmten Eigenschaften bekommen Namen, zum Beispiel “Funkti-207
on”. Die Frage, was in der realen Welt tatsachlich eine Funktion ist, stellt sich uns nicht. Fur208
ontologische Diskussionen ist in der Mathematik kein Platz, das ist Sache der Philosophie209
und auch dort ist umstritten, ob sie sinnvoll sind.210
Die zweite Zutat, mit der wir das Fundament der Mathematik errichten, ist die Logik.211
Moderne hohere Mathematik ist das Treffen von Aussagen uber Mengen, sonst nichts. Men-212
gen sind die Objekte, Logik ist die Sprache. So wie die Chemiker ihre Welt aus Atomen213
aufbauen, so bauen Mathematiker ihre Welt aus Mengen und Logik.214
Nun gibt es auch Kernphysiker, die nicht wissen wollen, was man aus Atomen bauen215
kann, sondern die auf der Suche nach dem Ursprung der Dinge Atome in moglichst kleine216
Einzelteile zerlegen. Wie sieht das in der Mathematik aus? Was passiert, wenn wir die Frage217
nach dem “Was” weiter treiben? Was ist eine Menge? Was ist eine Ausage? Was ist das218
Urteilchen der Mathematik? Irgendwann mussen wir ein Zeichen auf ein Papier machen, ein219
“x” oder ein “t”, ohne dabei sagen zu konnen, was das sein soll. Am Ende baut auch die220
strengste aller Wissenschaften auf etwas auf, das unsicher und unklar ist, uber das wir nichts221
wissen und nichts sagen konnen. Das letzte Urteilchen der Mathematik gibt es nicht. Ab der222
ersten Grundsteinlegung ist die Mathematik allerdings zu hundert Prozent sicher und, wenn223
wir so wollen, “wahr”. Das ist, was diese Wissenschaft vor allen anderen auszeichnet.224
Wie das Gebaude der Analysis auf das Fundament aus Mengenlehre und Logik aufgebaut225
wird, ist Inhalt dieser Vorlesung. Im ubertragenen Sinn: Dies ist eine Vorlesung uber Chemie226
und nicht uber Kernphysik.227
Die Kernphysik der Mathematik wird in Vorlesungen zu Mengenlehre und Logik behan-228
delt. Einige Aspekte daraus sind auch fur uns relevant. Ich will insbesondere dazu anregen,229
folgende Fragen zu geeigneten Zeitpunkten immer wieder zu stellen.230
(1) Wir konnen zwei Arten von Axiomensystemen unterscheiden: solche, die bis auf Iso-231
morphie ein eindeutiges Objekt bestimmen, von jenen Systemen, die eine moglichst232
allgemeine Klasse von Objekten bestimmen. Was sind Beispiele solcher Axiomen-233
systeme und worin besteht der Vorteil einer solchen Axiomatik?234
(2) Was besagen die Godelschen Unvollstandigkeitssatze und welche Auswirkungen235
haben sie fur die Mathematik?236
(3) Welche Folgen hat das Auswahlaxiom? Wie sind Objekte beschaffen, deren Exi-237
stenz mit dem Auswahlaxiom aber nicht ohne das Auswahlaxiom gezeigt werden238
kann?239
(4) Welche Probleme konnen sich ergeben, wenn Mathematik ohne axiomatisches Fun-240
dament betrieben wird und welche Probleme sind in fruheren Jahrhunderten auf-241
grund fehlender Axiomatiken aufgetreten?242
(5) In welchen Studienrichtungen sollten Logik, Mengenlehre oder zumindest die dar-243
auf basierende Konstruktion der Mathematik behandelt werden?244
4
0.0.2. Mathematik von Menschenhand oder naturgegeben? Die reelle Analy-245
sis ist Ergebnis einer Entwicklung, die sich vom 17. Jahrhundert bis in das 19. Jahrhun-246
dert gezogen hat. Manche fundamentalen Erkenntnisse zu den Grundlagen der modernen247
Mathematik konnten erst im 20. Jahrhundert erlangt werden (z.B. die Godelschen Unvoll-248
standigkeitssatze). Ob Mathematik naturgegeben existiert und wir sie Schritt fur Schritt249
entdecken, oder ob Mathematik etwas ist, das der Mensch erschafft, ist eine philosophische250
und keine mathematische Frage. Unbestritten ist, dass es auch historische Grunde dafur251
gibt, dass das Gebaude der modernen Analysis ist so, wie es ist. Es konnte genauso gut ganz252
anders aussehen. Der Aufbau der heutigen Mathematik ist, uberspitzt formuliert, nur eine253
vorherrschende Lehrmeinung, die sich durchgesetzt hat. In der Nichtstandardanalysis wird254
beispielsweise mit unendlich kleinen Großen gerechnet und in der konstruktiven Mathematik255
auf das Auswahlaxiom verzichtet, denn es impliziert die Existenz von Objekten, die insofern256
pathologisch sind, als sie nicht genau beschrieben werden konnen. Die “vorherrschende Lehr-257
meinung” die in dieser Vorlesung prasentiert wird, behandelt “gewohnliche” reelle Zahlen258
(nicht jene der Nichtstandardanalysis) und verwendet bei Bedarf das Auswahlaxiom.259
Aber nicht nur wie die Analysis aufgebaut ist, sondern auch die Gestalt ihrer Grund-260
lagen (Mengenlehre und Logik) ist ein zum Teil zufalliges Produkt einer historischen Ent-261
wicklung. In diesem Sinn ist klar, dass die Mathematik als Theoriegebaude ein Werk von262
Menschenhand ist. Dass hingegen das Verhaltnis aus Kreisumfang und Kreisdurchmesser263
als Grenzwert von verschiedenen schonen Zahlenreihen auftritt, ist nicht uns Menschen zu264
verdanken, sondern das ist ein Wunder der Natur. In der aktuellen Forschung der reinen265
Mathematik haben gerade jene Teilgebiete, die die spektakularsten Erkenntnisse liefern und266
die meisten Forscherinnen und Forscher in ihren Bann ziehen, auch immer wieder verbluffen-267
de Anwendungen außerhalb der Mathematik bzw. tragen diese Teilgebiete externe (d.h. der268
realen Welt zuzurechnende) Inputs in sich. Es ist interessant danach zu fragen, ob dies daran269
liegt, dass tiefe Mathematik etwas Naturgegebenes ist, oder ob das eine Folge des Umstan-270
des ist, dass unsere Hirne Maschinen unserer Welt und unserer Korper sind und somit von271
Natur aus kaum andere interessante Modelle beschreiben konnen, als solche, die in unserer272
Welt Anwendung finden.273
0.0.3. Was ist Analysis? Das zentrale Objekt dieser Vorlesung sind reelle Funktio-274
nen, also Funktionen von R nach R. In weiteren Lehrveranstaltungen zur Analysis werden275
auch Funktionen in mehreren Veranderlichen betrachtet. In der komplexen Analysis (auch276
“Funktionentheorie” genannt) wird mit komplexen anstatt reellen Zahlen gearbeitet.277
Reelle Funktionen sind ein absolut unverzichtbares Modell in Naturwissenschaft, Technik278
und praktischen Anwendungen aller Art. Um als Mathematiker sinnvoll mit ihnen arbeiten279
zu konnen, mussen wir sie im “unendlich Kleinen” betrachten und verstehen, das heißt,280
wir zoomen mit einem Mikroskop immer tiefer und tiefer an einer Stelle hinein. Das ist die281
herausragende Eigenschaft der reellen Zahlen: Egal wo wir uns mit dem Mikroskop unendlich282
tief hineinzoomen, immer wird dort, wo wir das tun, am Ende etwas zu sehen sein, ein283
Punkt und kein Loch. Die Menge der reellen Zahlen ist aber nicht mit dieser Eigenschaft284
vom Himmel gefallen, sondern eben so konstruiert, dass sie diese Eigenschaft hat, dass sie285
eben keine “Locher” hat. Die Mathematiker nennen das Vollstandigkeit.286
Das sich-beliebig-nahe-Annahern heißt in der Mathematik Konvergenz. Sie steckt in al-287
len zentralen Begriffen der Analysis: in der Stetigkeit, der Ableitung, im Integral usw. Damit288
Konvergenz funktioniert, brauchen wir Zahlenbereiche, die keine “Locher” haben, die eben289
vollstandig sind. Um die zentralen Begriffe der Analysis wirklich zu begreifen, ist es also290
hilfreich, schon die reellen Zahlen zu begreifen und zu verstehen, warum Analysis mit ganz-291
zahligen Bruchen alleine nicht funktionieren kann, denn die Menge der ganzzahligen Bruche292
(die Menge der rationalen Zahlen) hat sehr wohl “Locher”. Betrachten wir die rationalen293
Zahlen als Zahlenstrahl und zoomen uns mit dem Mikroskop an jener Stelle in die Tiefe,294
wo die Zahlen, deren Quadrat großer 2 ist, auf die Zahlen treffen, deren Quadrat kleiner als295
5
6
2 ist, dann zeigt sich an dieser Stelle ein Loch. Es gibt keinen ganzzahligen Bruch, dessen296
Quadrat gleich 2 ist.297
Eine offene Kugel ist die Menge aller Punkte, die zu einem bestimmten Punkt (dem298
Mittelpunkt) einen Abstand haben, der kleiner als der gegebene Radius ist. Im dreidimen-299
sionalen Raum, sind Kugeln das, was wir uns gemeinhin unter Kugeln vorstellen. In der300
Ebene sind offene Kugeln Kreisscheiben ohne Randlinie und am Zahlenstrahl sind Kugeln301
offene Intervalle (ohne Randpunkte). Ein innerer Punkt einer Menge ist ein Punkt, der Mit-302
telpunkt einer Kugel (bzw. eines Intervalls) ist, welche ganz in der Menge enthalten ist. Im303
Gegensatz zu den inneren Punkten beruhren Randpunkte einer Menge den Bereich außer-304
halb der Menge. Wenn eine Menge nur aus inneren Punkten besteht, nennen wir sie offen.305
Beispiele sind offene Intervalle aber auch Vereinigungen von offenen Intervallen. Offene Men-306
gen sind Gegenstand der Topologie, der Lehre von der Gestalt von Objekten und Raumen.307
In der Topologie werden offene Mengen nicht uber Kugeln sondern allgemeiner durch eine308
Axiomatik definiert.309
Begriffe wie offene Mengen, Kompaktheit, Konvergenz oder Stetigkeit sind Grundbegriffe310
der Topologie. Wenn Studierenden die Analysis beigebracht wird, gibt es zwei Ansatze:311
Entweder man geht der Terminologie der Topologie soweit wie moglich aus dem Weg und312
jongliert stattdessen vermehrt mit kleinen Parametern (meist ε und δ), oder man versucht,313
diese manchmal technisch erscheinenden Rechnungen mit Parametern zu vermeiden und314
greift auf die Terminologie der Topologie zuruck. Topologische Grundbegriffe im Kontext315
reeller Zahlen zu begreifen, bedeutet zwar, eine gewisse Abstraktion vollziehen zu mussen,316
dies ist jedoch ohnehin notwendig, um die notigen Grundvorstellungen zu entwickeln. Ist317
dieser Schritt der topologischen Abstraktion einmal getan, werden die Grundbegriffe besser318
verstandlich und mit ihnen zu arbeiten wird leichter.319
Die Analysis ist gepragt durch das Aufeinandertreffen von Arithmetik und Topologie,320
von konkreten Rechnungen und abstrakten Uberlegungen, in deren Mittelpunkt der Grenz-321
wertbegriff steht.322
0.0.4. Bevor wir beginnen. Kommen Sie nicht in Versuchung, zu glauben, dass es323
ausreicht, sich beim Studieren auf die rechnerischen Aspekte der Analysis zu beschranken.324
Ihre wichtigste Aufgabe ist es, die theoretischen Grundbegriffe gut zu verstehen und sie in325
Beweisen anwenden zu konnen. Lernen Sie nichts auswendig, sondern bemuhen Sie sich zu326
verstehen.327
Es ist in diesem Kurs nicht moglich, das Semester auch nur ein paar Wochen ohne inten-328
sive Arbeit vorruber ziehen zu lassen, um dann vor der Prufung punktuell den versaumten329
Stoff nachzuholen. Der Stoff ist aufbauend. Sie mussen theoretische Konzepte verinnerlichen330
und sich mit ihnen aktiv auch im Rahmen der Ubungen auseinandersetzen, um Sicherheit331
zu gewinnen. Das erfordert viel Zeit. Ein oder zwei Vorlesungen zu versaumen und den Stoff332
nicht nachzuholen, kann bereits dazu fuhren, dass Sie den Anschluss verlieren.333
KAPITEL 1
Zahlen und Folgen334
1.1. Konstruktion und Axiomatik335
Von der Schule kommend mussen wir uns davon verabschieden, Zahlen als etwas bloß336
Naturgegebenes zu behandeln. Jeder weiß zwar, wie man Schafe zahlt, 1, 2, 3,. . . , aber was337
ist diese Eins, was ist dieser Zweier? Im Alltagsgebrauch ist es nicht notwendig, den Begriff338
einer Zahl zu prazisieren, aber in der hoheren Mathematik hat sich eine rein anschauliche339
Herangehensweise als nicht praktikabel erwiesen. Wenn wir ohne klare Definitionen komplexe340
Mathematik betreiben wollen, entstehen schnell Missverstandnisse und Widerspruche.341
Naturliche, ganze, rationale, relle und komplexe Zahlen sowie ihre grundlegenden Ei-342
genschaften sind Stoff der Lehrveranstaltung “Einfuhrung in das mathematische Arbeiten”.343
Die Konstruktionen der Zahlen werden in dieser Einfuhrung in die Analysis in kurzgefasster344
Form dargestellt und nur einzelne Punkte genauer besprochen. Fur eine ausfuhrlichere Dar-345
stellung sei auf [11, Kapitel 6] verwiesen. Auch die im Folgenden erwahnten Axiomensysteme346
konnen dort nachgelesen werden.347
Die Zahlenbereiche benotigen keine axiomatische Grundlegung, sondern werden auf348
Mengenlehre und Pradikatenlogik aufgebaut und danach axiomatisch charakterisiert. Wich-349
tig sind vor allem die Peano-Axiome der naturlichen Zahlen sowie die Axiome eines vollstandig350
geordneten Korpers fur die reellen Zahlen.351
1.2. Naturliche Zahlen352
Das Fundament, auf das wir aufbauen, besteht aus Mengenlehre und Logik. Mengen wer-353
den heute meistens durch das sogenannte Zermelo-Fraenkelsche Axiomensystem eingefuhrt,354
welches Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde.355
Die leere Menge, die mit { } oder ∅ bezeichnet wird, ist ein Urteilchen der hoheren356
Mathematik. Das Unendlichkeitsaxiom ist eines der Zermelo-Fraenkelschen Axiome und be-357
sagt, dass es eine Menge M gibt, die die leere Menge als Element enthalt, und die mit jedem358
ihrer Elemente x auch die Menge x∪{x} enthalt. Eine Menge, die das Unendlichkeitsaxiom359
erfullt, enthalt die leere Menge ∅ und somit auch ∅ ∪ {∅} = {∅}. Da sie {∅} enthalt, muss360
sie nach dem Unendlichkeitsaxiom auch {∅} ∪ {{∅}} = {∅, {∅}} enhalten, usw. Die Menge361
der naturlichen Zahlen inklusive der Null ist definiert als der Durchschnitt aller Mengen,362
die das Unendlichkeitsaxiom erfullen:363
N0 := {∅, {∅}, {∅, {∅}}, {∅, {∅}, {∅, {∅}}}, . . .},
das ist die Menge die nur das enthalt, was sie enthalten muss um das Unendlichkeitsaxiom364
zu erfullen - und nicht mehr. Fur x in N0 heißt x ∪ {x} der Nachfolger von x, er wird mit365
x′ bezeichnet.366
Definition 1.2.1. Die Abbildung + : N0 × N0 → N0 ist rekursiv gegeben durch367
(1.2.1.1) +(x, ∅) = x und368
(1.2.1.2) +(x, y′) = +(x, y)′.
Den Elementen von N0 geben wir Namen. Wir schreiben 0 statt ∅, 1 statt 0′ = {∅},369
2 statt 0′′ = {∅, {∅}}, 3 statt 0′′′ = {∅, {∅}, {∅, {∅}}} usw. Außerdem schreiben wir x + y370
7
8 1. ZAHLEN UND FOLGEN
statt +(x, y). Also entspricht (1.2.1.1) der Identitat x + 0 = x und (1.2.1.2) entspricht371
x+ (y + 1) = (x+ y) + 1 bzw. x+ y′ = (x+ y)′.372
Wieviel ist 1 + 1 bzw. +(0′, 0′)? Aus (1.2.1.2) folgt +(0′, 0′) = +(0′, 0)′ und (1.2.1.1)373
impliziert +(0′, 0)′ = (0′)′ = 0′′ = 2. Also ist 1+1 = 2. Es ist 0′′ nur eine andere Schreibweise374
fur (0′)′, das ist also der Nachfolger des Nachfolgers von 0, den wir mit 2 bezeichnen.375
Die Multiplikation naturlicher Zahlen wird uber wiederholte Addition definiert. Kom-376
mutativitat und Distributivgesetze lassen sich Induktiv zeigen, was wir aus Zeitgrunden377
nicht durchfuhren wollen.378
Die Multiplikation naturlicher Zahlen ergibt sich durch wiederholte Addition. Fur naturli-379
che Zahlen x, y schreiben wir x < y, wenn x ∈ y ist. Zum Beispiel ist 0 < 2 weil ∅ ∈ {∅, {∅}}380
ist. Diese Relation ist eine totale Ordnung auf N0.381
Das Prinzip der vollstandigen Induktion lasst sich ebenfalls aus Axiomen der Mengen-382
lehre ableiten, insbesondere mithilfe des Unendlichkeitsaxioms: Wenn fur alle n ∈ N0 eine383
Aussage A(n) die Aussage A(n+ 1) impliziert und die Aussage A(0) wahr ist, dann ist die384
Aussage A(n) fur alle n ∈ N0 wahr.385
Die Peano-Axiome, welche die naturlichen Zahlen charakterisieren, sind etwas alter als386
die Zermelo-Fraenkelschen Axiome der Mengenlehre. Dass die oben mengentheoretisch ein-387
gefuhrten naturlichen Zahlen die Peano-Axiome erfullen, ist fur alle, die mit Mengen arbeiten388
wollen, ein zu beweisendes Theorem und nicht die Grundlegung der naturlichen Zahlen.389
Beispiel 1.2.2 (Ubungsbeispiel 1). Zeigen Sie 3 + 2 = 5 bzw. +(0′′′, 0′′) = 0′′′′′ unter390
Verwendung der Definition der Addition naturlicher Zahlen.391
1.2.3 (Theoriefrage 1). Was besagt das Unendlichkeitsaxiom und wie kann damit die392
Menge der naturlichen Zahlen definiert werden?393
1.3. Ganze Zahlen394
Wir schreiben (a, b) ∼ (c, d), wenn a+ d = b+ c ist. Das ist eine Aquivalenzrelation auf395
N0 × N0.396
Definition 1.3.1. Die Menge der ganzen Zahlen Z ist definiert als Quotientenmenge(N0×N0)/∼. Verknupfungen Summe ⊕ : Z×Z→ Z und Produkt � : Z×Z→ Z definierenwir durch
[(a, b)]⊕ [(c, d)] := [(a+ c, b+ d)],
[(a, b)]� [(c, d)] := [(ac+ bd, ad+ bc)].
Zum Beispiel entspricht die Aquivalenzklasse397
{(0, 2), (1, 3), (2, 4), (3, 5), (4, 6), . . .}.der ganzen Zahl -2 in unserem naturlich-anschaulichen Zahlenverstandnis. Die Zahl 3 ent-398
spricht z.B. [(3, 0)] oder [(5, 2)]. Die Summe 3 + (−2) ist formal [(5, 2)] ⊕ [(0, 2)] = [(5, 4)].399
Der Aquivalenzklasse [(5, 4)] entspricht die Zahl 1 in unserer Anschauung. Die Definition400
des Produkts wird verstandlicher durch die Identitat401
ac+ bd− ad− bc = (a− b)(c− d).
Um zu zeigen, dass die Summe von [(a, b)] und [(c, d)] wohl definiert ist, muss gezeigt wer-402
den, dass [(a + c, b + d)] nicht von der Wahl der Reprasentanten (a′, b′) ∈ [(a, b)] und403
(c′, d′) ∈ [(c, d)] abhangt. Es seien also (a′, b′) ∈ [(a, b)] und (c′, d′) ∈ [(c, d)] zwei beliebige404
Reprasentanten. Wegen (a′, b′) ∼ (a, b) und (c′, d′) ∼ (c, d) ist a′+b = a+b′ und c′+d = d′+c.405
Daraus folgen a′ + c′ + b + d = a + c + b′ + d′ und somit (a + c, b + d) ∼ (a′ + c′, b′ + d′)406
und [(a + c, b + d)] = [(a′ + c′, b′ + d′)]. Also erhalten wir unabhangig von der Wahl der407
Reprasentanten immer die gleiche Summe, was zu zeigen war.408
Ganze Zahlen mit einem Reprasentanten (n, 0), n ∈ N, nennen wir positiv, die mit einem409
Reprasentanten (0, n) negativ und die ganze Zahl, die (0, 0) enthalt, nennen wir die Null.410
1.4. ZUR KONSTRUKTION DER ZAHLENBEREICHE 9
Fur zwei naturliche Zahlen m, n ist [(m, 0)] ⊕ [(n, 0)] = [(m + n, 0)]. Das heißt, wenn wir411
naturliche Zahlen n durch [(n, 0)] ersetzen und die Addition + der naturlichen Zahlen durch412
die Addition ⊕ der ganzen Zahlen ersetzen, sehen wir, dass die naturlichen Zahlen zusammen413
mit ihrer Addition sich als Teil der ganzen Zahlen darstellen lassen. Im Folgenden betrachten414
wir N0 daher als Teilmenge von Z und schreiben auch + und · statt ⊕ und �. Wir halten415
fest, dass (Z,+, ·) ein Ring ist, ohne alle Rechengesetze zu uberprufen.416
Die Ordnung der ganzen Zahlen konstruieren wir mithilfe der Ordnung der naturlichen417
Zahlen, indem wir [(a, b)] < [(c, d)] schreiben, falls a+ d < b+ c ist.418
Beispiel 1.3.2 (Ubungsbeispiel 2). Zeigen Sie x ·2 = x+x, fur alle x ∈ Z bzw. [(2, 0)]�419
[(a, b)] = [(a, b)]⊕ [(a, b)] unter Verwendung der Definition von Addition und Multiplikation420
ganzer Zahlen.421
Beispiel 1.3.3 (Ubungsbeispiel 3). Zeigen Sie das Distributivgesetz fur ganze Zahlen,422
also423
[(a, b)]� ([(c, d)]⊕ [(e, f)]) = [(a, b)]� [(c, d)]⊕ [(a, b)]� [(e, f)],
fur alle [(a, b)], [(c, d)] und [(e, f)] in Z.424
1.3.4 (Theoriefrage 2). Wie ist die Menge der ganzen Zahlen definiert? Definieren Sie425
Addition und Multiplikation ganzer Zahlen und zeigen Sie, dass die Addition wohl definiert426
ist.427
1.4. Zur Konstruktion der Zahlenbereiche428
Bevor wir weitere Zahlenbereiche definieren, wollen wir das Prinzip beschreiben, das hin-429
ter diesen Konstruktionen steht. Ganze Zahlen sind Aquivalenzklassen von Paaren naturli-430
cher Zahlen. Naturliche Zahlen werden also verwendet, um Ganze Zahlen zu konstruieren,431
gleichzeitig sehen wir naturliche Zahlen auch als ganze Zahlen an. Welche ist nun die rich-432
tige naturliche Zahl 2, jene Zahl 2 = {∅, {∅}}, die wir durch das Unendlichkeitsaxiom aus433
der Mengenlehre erhalten haben, oder die Aquivalenzklasse [(2, 0)] = [({∅, {∅}}, {})], die ein434
Element von Z ist?435
Die fur uns relevanten Zahlenbereiche N, Z, Q, R und C konnen alle axiomatisch charak-436
terisiert werden, siehe [11, Kapitel 6]. Das heißt, sie erfullen jeweils eine Liste an Axiomen437
und je zwei Zahlenbereiche, die diese Axiome erfullen, sind zueinander isomorph in dem Sinn,438
dass sie strukturell gleich sind. Isomorphe Zahlenbereiche sind bis auf die Bezeichnung ihrer439
Elemente gleich. Formal: Wenn +1 : M1×M1 →M1 und +2 : M2×M2 →M2 zwei Abbildun-440
gen (Verknupfungen) sind, dann nennen wir (M1,+1) und (M1,+2) isomorph, wenn es eine441
Bijektion f : M1 →M2 gibt, fur die x+1 y = z genau dann gilt, wenn f(x) +2 f(y) = f(z)442
ist.443
Es sei N = N0 \ {0} = {1, 2, 3, . . .} und Z+ = {[(n, 0)] ∈ Z | n ∈ N}. Dann ist444
f : N→ Z+, n 7→ [(n, 0)],
ein Isomorphismus (N,+)→ (Z+,⊕), weil445
k +m = n ⇐⇒ [(k, 0)]⊕ [(m, 0)] = [(n, 0)].
Strukturell sind (N,+) und (Z+,⊕) also gleich, nur ihre Elemente sehen anders aus. Da wir446
uns nur fur die strukturellen (algebraischen) Eigenschaften der Zahlenbereiche interessieren447
und nicht fur das Aussehen ihrer Elemente, sprechen wir auch nicht von diesen und jenen448
naturlichen Zahlen, sondern nur von den naturlichen Zahlen.449
Andere Axiomensyteme sind hingegen so formuliert, dass sie moglichst allgemein gehal-450
ten sind, das heißt, dass sie moglichst viele Mengen umfassen. Beispiele sind die Axiomen-451
systeme fur Halbgruppen, Gruppen, Ringe oder Korper. Die ganzen Zahlen zusammen mit452
ihrer Addition bilden zum Beispiel eine Gruppe. Es gibt jedoch noch viele andere Grup-453
pen, die sich strukturell wesentlich voneinander unterscheiden. Sich mit diesen Gruppen zu454
befassen, ist eine eigene wichtige Teildisziplin der Mathematik: die Gruppentheorie.455
10 1. ZAHLEN UND FOLGEN
Die naturlichen Zahlen sind ein Beispiel einer Halbgruppe, die ganzen Zahlen mit ihrer456
Addition und Multiplikation sind ein Beispiel eines Rings und die rationalen, reellen und457
komplexen Zahlen sind Beispiele von Korpern, vergleiche [11, Kapitel 5].458
1.4.1 (Theoriefrage 3). Was bedeutet es, dass (Z+,⊕) und (N,+) isomorph sind?459
1.5. Rationale Zahlen460
Wir schreiben ab statt a · b fur ganze Zahlen a, b und (a, b) ≈ (c, d), wenn ad = cb.461
Lemma 1.5.1. Die Relation ≈ auf Z× N ist eine Aquivalenzrelation.462
Beweis. Reflexivitat und Symmetrie sind klar. Angenommen, es ist (a, b) ≈ (c, d) und463
(c, d) ≈ (e, f), also ad = cb und cf = ed. Dann ist adf = cbf , cfb = edb und daher adf = edb,464
woraus af = eb bzw. (a, b) ≈ (e, f) folgt. Das heißt, die Relation ist auch transitiv. �465
In diesem Beweis haben wir nur mit ganzen Zahlen gerechnet. Daher durfen wir keine466
Division verwenden.467
Die Menge der rationalen Zahlen definieren wir als468
Q := (Z× N)/≈ .Statt (a, b) schreiben wir auch469
a
boder a/b.
Zum Beispiel sind470
1
2und
3
6
Elemente der selben ≈-Aquivalenzklasse. Es ist (1, 2) 6= (3, 6) aber [(1, 2)] = [(3, 6)]. Man471
beachte, dass per Definition die Nenner dieser Bruche stets positiv sind.472
Lemma 1.5.2. Jede rationale Zahl enthalt genau ein Paar (x, y) mit ggT(x, y) = 1.473
Umgekehrt, wenn ggT(x, y) = 1 und (x, y) ≈ (a, b), dann gibt es ein n ∈ N0, sodass (a, b) =474
(nx, ny).475
Beweis. Es sei q eine rationale Zahl und (a, b) ∈ q. Wenn wir a und b in ihrer eindeu-476
tigen Primfaktorzerlegung (siehe [11, Satz 5.3.45]) anschreiben und gemeinsame Faktoren477
streichen, erhalten wir (x, y) mit ggT(x, y) = 1.478
Es sei (x′, y′) ein beliebiges Paar in q mit ggT(x′, y′) = 1. Aus (x, y) ≈ (x′, y′) folgt479
xy′ = x′y. Jeder Primfaktor von y′ teilt y, weil er x′ nicht teilt, folglich ist y′|y. Umgekehrt480
folgt mit dem gleichen Argument y|y′. Da y und y′ naturliche Zahlen sind, ist y = y′. Somit481
ist auch x = x′. Also ist (x, y) = (x′, y′) und (x, y) eindeutig.482
Es sei ggT(x, y) = 1 und (x, y) ≈ (a, b). Aus (x, y) ≈ (a, b) folgt xb = ay und ggT(x, y) =483
1 impliziert x|a und y|b. Also gibt es naturliche Zahlen m,n mit a = mx und b = ny. In xb =484
ay eingesetzt ergibt das nxy = mxy und daher m = n beziehungsweise (a, b) = (nx, ny). �485
Die Verknupfung � : Q×Q→ Q sei definiert durch486
[(a, b)] � [(c, d)] := [(ad+ bc, bd)]
Es ist zu zeigen, dass diese Abbildung wohl definiert ist, dass also die Wahl des Reprasen-487
tanten der Aquivalenzklasse keine Auswirkung auf das Ergebnis der Verknupfung hat. Nach488
Lemma 1.5.2 gibt es (a′, b′) ∈ [(a, b)] und (c′, d′) ∈ [(c, d)] mit489
ggT(a′, b′) = ggT(c′, d′) = 1,
(a, b) = (ma′,mb′) und (c, d) = (nc′, nd′). Die Gleichung490
[(a, b)] � [(c, d)] = [(ad+ bc, bd)] = [(ma′nd′ +mb′nc′,mb′nd′)] =491
[(mn(a′d′ + b′c′),mn(b′d′))] = [(a′d′ + b′c′, b′d′)] = [(a′, b′)] � [(c′, d′)]
1.5. RATIONALE ZAHLEN 11
besagt, dass die Verknupfung � fur beliebige Reprasentanten (a, b), (c, d) immer dasselbe492
Ergebnis wie die eindeutig bestimmten relativ primen Reprasentanten (a′, b′), (c′, d′) liefert.493
Somit ist die Wahl der Reprasentanten (a, b), (c, d) unerheblich und die Verknupfung wohl494
definiert.495
Wenn wir z.B. von der rationalen Zahl 23 sprechen, meinen wir deren Aquivalenzklasse.496
Wir schreiben497
2
3=
4
6
und meinen damit, dass die Aquivalenzklassen dieser Bruche ident sind, auch wenn (2, 3)498
und (4, 6) verschiedene Elemente von Z× N sind. Statt499
−1
2kann − 1
2
geschrieben werden, auch wenn dieser Ausdruck nicht die Form500
a
b
mit a ∈ Z und b ∈ N hat.501
Aus der Ordnungsrelation auf Z erhalten wir eine Ordnungsrelation auf Q, indem wir502
[(a, b)] ≤ [(c, d)] schreiben, falls ad ≤ bc ist. Fur diese Relation auf Q muss gezeigt werden,503
dass sie wohl definiert ist und die Axiome einer Ordnungsrelation erfullt. Die rationalen504
Zahlen bilden mit ihrer Addition, ihrer Multiplikation und dieser Ordnungsrelation einen505
geordneten Korper, siehe [11, Kapitel 6.3].506
Definition 1.5.3. Wir sagen, dass zwei Mengen gleich machtig sind, bzw. gleich viele507
Elemente haben, wenn sie bijektiv aufeinander abgebildet werden konnen. Eine Menge heißt508
unendlich abzahlbar wenn sie gleich viele Elemente wie N hat und abzahlbar, wenn sie endlich509
oder unendlich abzahlbar ist.510
Anschaulich ist eine Menge abzahlbar, wenn alle ihre Elemente in einer Reihe aufge-511
schrieben werden konnen: Es wird ein erstes Element gewahlt, dann ein zweites, drittes usw.512
und zwar so, dass jedes Element der Menge in dieser Aufzahlung einmal vorkommt. Die513
Bijektion bildet das erste Element der Aufzahlung auf die naturliche Zahl 1 ab, das zweite514
auf die Zahl 2 ab usw.515
Satz 1.5.4. Die Mengen Z und Q sind abzahlbar.516
Beweis. Die ganzen Zahlen konnen abgezahlt werden durch517
0, 1,−1, 2,−2, 3,−3, . . .
Die ganzzahligen Bruche ordnen wir nach folgendem Diagonalschema an, wobei kurzbare518
Bruche weggelassen werden. Die verbleibenden nicht kurzbaren Bruche sind Reprasentanten519
der positiven rationalen Zahlen.520
1/1 → 1/2 1/3 → 1/4 1/5 →↙ ↗ ↙ ↗
2/1 2/2 2/3 2/4↓ ↗ ↙ ↗
3/1 3/2 3/3↙ ↗
4/1 4/2↓ ↗
5/1
521
Nehmen wir die Null und die negativen Zahlen hinzu, erhalten wir folgende Abzahlung522
der rationalen Zahlen Q (bzw. ihrer gekurzten Reprasentanten):523
12 1. ZAHLEN UND FOLGEN
0,1
1, −1
1,
1
2, −1
2,
2
1, −2
1,
3
1, −3
1,
1
3, −1
3,
1
4, −1
4,
2
3, −2
3, . . .
�524
Beispiel 1.5.5 (Ubungsbeispiel 4). Zeigen Sie, dass die Verknupfung � : Q × Q → Q525
mit526
[(a, b)] � [(c, d)] := [(ac, bd)]
wohl definiert ist.527
Beispiel 1.5.6 (Ubungsbeispiel 5). Zeigen Sie, dass es fur jede nicht leere endliche Menge528
M eine Bijektion zwischen der Menge der Teilmengen von M mit gerader Machtigkeit und529
der Menge der Teilmengen von M mit ungerader Machtigkeit gibt.530
Beispiel 1.5.7 (Ubungsbeispiel 6). Es sei M eine nicht leere Menge und F die Menge531
aller Funktionen M → {0, 1}. Zeigen Sie, dass es keine Bijektion zwischen M und F geben532
kann und leiten Sie daraus ab, dass die Potenzmenge einer Menge stets mehr Elemente als533
die Menge selbst hat.534
Hinweis: Angenommen es gabe eine Bijektion f : M → F , dann betrachten Sie die535
Funktion g : M → {0, 1}, die jedes m ∈M abbildet auf536
g(m) =
{1, falls f(m)(m) = 0
0, falls f(m)(m) = 1.
1.5.8 (Theoriefrage 4). Konstruieren Sie die Menge der rationalen Zahlen aus den gan-537
zen und den naturlichen Zahlen uber eine Relation. Zeigen Sie, dass diese Relation eine538
Aquivalenzrelation ist. Definieren Sie Addition und Multiplikation rationaler Zahlen.539
1.5.9 (Theoriefrage 5). Zeigen Sie, dass Q abzahlbar ist.540
1.6. Folgen541
Definition 1.6.1. Ein Folge in einer Menge ist eine Abbildung von den naturlichen542
Zahlen in diese Menge.543
Eine Folge f : N→M bezeichnet man oft mit (xn)n∈N, wobei xn = f(n) ist. Wir nennen544
f(n) = xn das n-te Folgenglied und n den Index von xn. Wenn klar ist, dass die Folge den545
Index n hat und dieser N durchlauft, dann schreiben wir auch kurz (xn) statt (xn)n∈N.546
Beispiel 1.6.2.547
1. Es ist f : N→ Z mit f : n 7→ 2n− 3 eine Folge in Z. Die alternative Schreibweise548
ist (2n− 3)n∈N. Gliedweise angeschrieben ist diese Folge549
−1, 1, 3, 5, 7, . . .
2. Die Folge f : N→ Q mit f : n 7→ (−1)n3n ist in den anderen Schreibweisen ( (−1)n
3n )n∈N550
bzw.551
−1
3,
1
6,−1
9,
1
12, . . .
3. Fur M = { D, 7,♥, ∗} ist f : N→M mit552
f(n) =
{ D n = 1, 2
♥ n ≥ 3
eine Folge in M . Gliedweise angeschrieben ergibt das553
D, D,♥,♥,♥,♥,♥, . . .
1.6. FOLGEN 13
Definition 1.6.3. Ein Folge (xn)n∈N ist konstant, wenn xm = xn fur alle m und n ist.554
Ein rationale Folge heißt nach oben (bzw. nach unten) beschrankt, wenn es eine rationale555
Zahl c gibt, sodass xn ≤ c (bzw. c ≤ xn) fur alle n in N ist. Eine Folge heißt beschrankt,556
wenn die Folge ihrer Betrage (|xn|)n∈N nach oben beschrankt ist.557
Die Folge (xn)n∈N heißt monoton steigend (bzw. monoton fallend) wenn xn ≤ xn+1558
(bzw. xn ≥ xn+1) ist fur alle n ∈ N. Eine Folge, die entweder monoton steigend oder559
monoton fallend ist, heißt monoton. Gilt < statt ≤ oder > statt ≥, nennen wir die Folge560
streng monoton.561
Fur eine (Vorzeichen-)alternierende Folge (xn)n∈N gilt entweder x2n > 0 und x2n+1 < 0562
fur alle n oder x2n < 0 und x2n+1 > 0.563
Wir sagen, dass (xn)n∈N eine Eigenschaft ab einer Stelle (oder ab einem Index ) hat,564
wenn es ein N ∈ N gibt, sodass die Folge565
(xn)n≥N = xN , xN+1, xN+2, . . .
diese Eigenschaft hat. Fast alle Elemente einer Menge sind alle Elemente bis auf endlich566
viele.567
Anstatt zu sagen, eine Folge habe eine Eigenschaft ab einer Stelle, konnen wir auch568
sagen, dass fast alle ihre Glieder diese Eigenschaft haben.569
Die erste Folge in Beispiel 1.6.2 ist streng monoton steigend, sie ist nach unten, jedoch570
nicht nach oben beschrankt. Die zweite Folge ist alternierend, beschrankt und nicht monoton.571
Fur die dritte Folge macht es keinen Sinn, nach Monotonie oder Beschranktheit zu fragen,572
da unsere entsprechenden Definitionen nur fur Folgen rationaler Zahlen gelten. Diese Folge573
ist aber ab einer Stelle konstant.574
Folgen werden sowohl als Abbildung als auch als Menge ihrer Bildpunkte betrachtet,575
also ohne die Indices der Folgenglieder zu berucksichtigen. Zum Beispiel sagen wir “Die576
Folge ( 1n )n∈N ist in [0, 1] enthalten” wobei die Folge als Abbildung ja keine Teilmenge des577
Einheitsintervalls [0, 1] ist, sondern die Menge ihrer Bildpunkte578
{1, 1
2,
1
3,
1
4, . . .}
in [0, 1] enthalten ist. Diese Ungenauigkeit in der Terminologie akzeptieren wir, solange579
dadurch keine Missverstandnisse entstehen.580
Eine Abbildung N0 →M bezeichnen wir ebenfalls als Folge. Manchmal ist es praktischer,581
Folgenglieder mit x0, x1, x2 . . . zu bezeichnen anstatt mit x1, x2, x3 . . .582
Beispiel 1.6.4 (Ubungsbeispiel 7). Finden Sie rekursive Darstellungen (mit Anfangs-583
bedingung) und explizite Darstellungen der Folgen584
(1) 5, 7, 9, 11, 13, 15 . . .585
(2) −2, 1,− 12 ,
14 ,−
18 ,
116 ,−
132 , . . .586
(3) 4, 1, 0, 1, 4, 9, 16, 25, 36, . . .587
Beispiel 1.6.5 (Ubungsbeispiel 8). Ist die Folge (xn) mit588
xn =n− 1
n2 + 2
ab einer Stelle monoton oder alternierend? Wenn ja, ab welcher Stelle? Ist die Folge be-589
schrankt? Hinweis: Berechnen Sie die ersten Glieder der Folge, leiten Sie daraus Vermutun-590
gen ab und beweisen Sie diese Vermutungen dann.591
Beispiel 1.6.6 (Ubungsbeispiel 9). Eine rationale Folge ist rekursiv gegeben durch592
xn+1 = xn2 + 1.593
(1) Fur welche Werte von x0 ist diese Folge monoton steigend, monoton fallend, kon-594
stant, beschrankt bzw. alternierend?595
(2) Bestimmen Sie xn explizit (nur in Abhangigkeit von x0).596
14 1. ZAHLEN UND FOLGEN
Beispiel 1.6.7 (Ubungsbeispiel 10). Wie Ubungsbeispiel 9 nur mit xn+1 = −2xn + 1.597
Beispiel 1.6.8 (Ubungsbeispiel 11). Die Fibonacci-Zahlen sind rekursiv definiert durch598
F0 = 0, F1 = 1 und Fn = Fn−1 + Fn−2. Es sei599
xn =Fn+1
Fn.
Bestimmen Sie das Monotonieverhalten der Folgen (x2n)n∈N0und (x2n+1)n∈N0
.600
Hinweis: Berechnen Sie die ersten Werte und leiten Sie daraus eine Vermutung ab. Diese601
beweisen Sie dann z.B. indem sie die Rekursionsgleichung im Zahler der Folgenglieder an-602
wenden. Sollten Sie bereits etwas uber Konvergenz von Folgen wissen: Das werden wir auch603
fur diese Folge zu einem spateren Zeitpunkt behandeln.604
1.6.9 (Theoriefrage 6). Was ist eine Folge? Was bedeutet es, dass eine Folge eine Eigen-605
schaft ab einer Stelle besitzt? Stellen Sie zu gegebenen Folgen fest, ob diese ab einer Stelle606
konstant, beschrankt, alternierend oder (streng) monoton steigend bzw. fallend sind.607
1.7. Konvergenz und geometrische Folgen608
Mit Q+ bezeichnen wir die Menge der positiven rationalen Zahlen {x ∈ Q | x > 0}.609
Der folgende Hilfssatz ist sehr einfach. Wir formulieren ihn trotzdem als solchen, weil er610
insbesondere fur die axiomatische Charakterisierung der reellen Zahlen, welche wir noch611
nicht definiert haben, wichtig ist.612
Lemma 1.7.1 (Archimedische Eigenschaft der rationalen Zahlen).613
Fur alle ε ∈ Q+ gibt es ein n ∈ N mit 1n < ε. Fur alle x, y ∈ Q+ gibt es ein n ∈ N, sodass614
nx > y ist.615
Beweis. Es sei ε = ab aus Q+. Dann ist fur n = b + 1 die erste Ungleichung 1
n < ε616
erfullt. Insbesondere gibt es also fur ε = xy ein n ∈ N mit 1
n < xy und somit auch y < nx,617
wodurch auch die zweite Ungleichung gezeigt ist. �618
Wir definieren n0 = 1 fur alle n ∈ N0. Potenzen mit Exponenten aus N ergeben sich aus619
der Definition der Multiplikation.620
Satz 1.7.2 (Ungleichung von Bernoulli). Wenn x ∈ Q, x ≥ −1, und n ∈ N0, dann ist621
(1 + x)n ≥ 1 + nx.
Beweis. Wir beweisen die Aussage mit Induktion nach n. Fur n = 0 erhalten wir 1 ≥ 1und somit ein wahre Aussage. Nach der Induktionsannahme (I.A.) ist die Ungleichung furn erfullt; dann ist
(1 + x)n+1 = (1 + x)n(1 + x) I.A.≥ (1 + nx)(1 + x)
= 1 + (n+ 1)x+ nx2 ≥ 1 + (n+ 1)x,
womit der Indutionsschritt von n nach n+ 1 bewiesen ist. �622
Definition 1.7.3. Ein offenes rationales Intervall ist eine Menge der Form623
(a, b) := {x ∈ Q | a < x < b}oder624
(a,∞) := {x ∈ Q | a < x} bzw. (−∞, b) := {x ∈ Q | x < b}.Ein abgeschlossens rationales Intervall ist ein Menge625
[a, b] := {x ∈ Q | a ≤ x ≤ b}.Eine Umgebung in Q einer rationalen Zahl a in Q ist eine Menge U ⊂ Q, fur die es ein626
ε ∈ Q+ gibt, sodass (a− ε, a+ ε) in U enthalten ist.627
Eine Menge rationaler Zahlen heißt offen, wenn sie Umgebung jedes ihrer Punkte ist.628
1.7. KONVERGENZ UND GEOMETRISCHE FOLGEN 15
Beispiel 1.7.4. Jedes offene Intervall I ist Umgebung in Q jedes seiner Punkte, denn629
wenn ε der kleinere der Abstande von x zu den Randpunkten von I ist, dann ist ε > 0,630
x ∈ (x − ε, x + ε) ⊂ I und (x − ε, x + ε) eine Umgebung von x in I. Ein abgeschlossenes631
Intervall [a, b] ist Umgebung aller Punkte aus (a, b), aber keine Umgebung der Randpunkte632
a und b. Eine Menge ganzer Zahlen ist keine Umgebung in Q irgendeines ihrer Punkte.633
Lemma 1.7.5. Eine Menge rationaler Zahlen ist genau dann offen, wenn sie eine Verei-634
nigung von offenen Intervallen ist.635
Beweis. Es sei O ⊂ Q Umgebung jedes ihrer Punkte. Fur jedes x ∈ O gibt es ein636
ε(x) > 0 mit (x− ε(x), x+ ε(x)) ⊂ O. Dann ist637
O =⋃x∈O
(x− ε(x), x+ ε(x))
und somit eine Vereinigung offener Intervalle.638
Umgekehrt, wenn O ⊂ Q eine Vereinigung offener Intervalle ist, gibt es fur jedes x ∈ O639
eines dieser Intervalle I mit x ∈ I ⊂ O und dieses I ist nach Beispiel 1.7.4 eine Umgebung640
von x in O. �641
Definition 1.7.6. [Konvergenz einer Folge – topologische Formulierung]642
Eine Folge konvergiert gegen einen Punkt, wenn sie in jeder offenen Umgebung des Punktes643
ab einer Stelle enthalten ist. So ein Punkt heißt Grenzwert oder Limes der Folge.644
Wenn x Grenzwert der Folge (xn)n∈N ist, schreiben wir645
limn→∞
xn = x,
oder wenn klar ist, welcher der Index ist, dann auch limxn. Wenn wir limxn = x schreiben,646
ohne das weiter zu kommentieren, dann sind damit zwei Aussagen gemeint: Erstens, dass647
die Folge (xn)n∈N konvergent ist und zweitens, dass ihr Grenzwert x ist.648
Gelegentlich sagt man auch, die Folge (xn)n∈N geht gegen x. Folgen, die nicht konvergent649
sind, heißen divergent.650
Die Folge, der Grenzwert und die Umgebungen mussen in einer vorher festgelegten651
Grundmenge liegen. Was unter einer offenen Menge zu verstehen ist, hangt von der Grund-652
menge ab. In Q sind das offene Intervalle, in der Ebene offene Kreisscheiben (ohne Rand).653
Die allgemeinste Definition einer Umgebung findet sich in der Topologie. Dort werden of-654
fene Umgebungen uber allgemeine offene Mengen definiert, die bestimmte Axiome erfullen655
mussen.656
Verbreitet in der Literatur ist folgende Definition, die fur rationale Folgen aquivalent zu657
Definition 1.7.6 ist.658
Definition 1.7.7. [Konvergenz einer Folge – ε-Formulierung]659
Eine Folge (xn)n∈N rationaler Zahlen konvergiert gegen x ∈ Q, wenn es fur alle ε > 0 ein660
n0 ∈ N gibt, sodass |xn − x| < ε fur alle n ≥ n0.661
Satz 1.7.8. Eine Folge rationaler Zahlen hat hochstens einen Grenzwert.662
Beweis. Angenommen (xn)n∈N hat zwei verschiedene Grenzwerte a und b, wobei wir663
mit a den großeren der Grenzwerte bezeichnen. Dann sind664 (b− a− b
2, b+
a− b2
)und
(a− a− b
2, a+
a− b2
)zwei disjunkte Umgebungen dieser Grenzwerte; siehe Abbildung 1. Eine Folge kann aber665
nicht ab einer Stelle in einer Menge und zugleich ab einer Stelle in einer dazu disjunkten666
Menge liegen. Daher fuhrt die Annahme, dass es zwei verschiedene Grenzwerte gibt, auf667
einen Widerspruch. �668
16 1. ZAHLEN UND FOLGEN
( )( )a−b2
ba−b2
a−b2
aa−b2
Abbildung 1. Eindeutigkeit des Grenzwerts
Definition 1.7.9. Eine Folge, die gegen 0 konvergiert, heißt Nullfolge. Die Folge ( 1n )n∈N669
heißt harmonische Folge und (qn)n∈N0geometrische Folge.670
Beispiel 1.7.10 (Konvergente rationale Folgen).671
672 (1) Eine Folge, die ab einer Stelle konstant ist, ist konvergent.673
(2) Die harmonische Folge ist eine Nullfolge.674
(3) Fur |q| < 1 ist die geometrische Folge (qn)n∈N0eine Nullfolge.675
Beweis. Die Konvergenz einer Folge, die ab einer Stelle konstant ist, folgt unmittelbar676
aus der Definition der Konvergenz.677
In jedem Intervall (−ε, ε) liegt die harmonische Folge ab einer Stelle, siehe dazu Lem-678
ma 1.7.1.679
Fur q 6= 0 sei x = 1|q| − 1, also |q| = 1
1+x . Wegen |q| < 1 ist x > 0. Nach der Ungleichung680
von Bernoulli (Satz 1.7.2) gilt681
|q|n =1
(1 + x)n≤ 1
1 + nx
fur alle n ∈ N0. Es sei (−ε, ε) eine beliebig kleine Umgebung von 0. Die Ungleichung682
1
1 + nx< ε
ist aquivalent zu683
1− εεx
< n.
Fur alle n > 1−εεx ist also684
|q|n =1
(1 + x)n≤ 1
1 + nx< ε.
Daher ist die Folge (|q|n)n∈N0fur jedes ε > 0 ab einer Stelle in (−ε, ε), was zu zeigen war. �685
Beispiel 1.7.11 (Ubungsbeispiel 12). Aus der Vorlesung wissen wir, dass eine Menge686
rationaler Zahlen genau dann offen ist, wenn sie eine Vereinigung von offenen Intervallen ist.687
Daher ist die Vereinigung von beliebig vielen offenen Mengen offen. Gilt dies auch fur den688
Durchschnitt? Wenn nicht, geben Sie eine Gegenbeispiel an.689
Beispiel 1.7.12 (Ubungsbeispiel 13). Es sei690
xn =n+ (−1)n
n+ 1
und691
Ui = (1− 1
10i, 1 +
1
10i).
Finde fur i = 1, 2, 3 jeweils ein N(i), sodass xn ∈ Ui fur alle n ≥ N(i).692
Anmerkung: Die N(i) mussen nicht minimal gewahlt werden.693
Beispiel 1.7.13 (Ubungsbeispiel 14). Zeigen Sie, dass die Folge (xn) mit694
xn =
(1− 28
n2
)ngegen 1 konvergiert, indem Sie mit Ihren Argumenten von der Definition der Konvergenz695
ausgehen. Hinweis: Beroulli-Ungleichung fur genugend große n.696
1.8. CAUCHY-FOLGEN UND GRENZWERTSATZE 17
Beispiel 1.7.14 (Ubungsbeispiel 15). Zeigen Sie, dass die Folge ((−1)n)n∈N nicht kon-697
vergent ist. Hinweis: Sie konnen z.B. einen indirekten Beweis fuhren, indem Sie eine Zahl698
a als Grenzwert annehmen, dann ein geeignetes ε > 0 wahlen und einen Widerspruch zur699
Definition der Konvergenz ableiten.700
1.7.15 (Theoriefrage 7). Formulieren und beweisen Sie die Ungleichung von Bernoulli.701
1.7.16 (Theoriefrage 8). Zeigen Sie, dass eine konvergente rationale Folge nur einen702
Grenzwert hat.703
1.7.17 (Theoriefrage 9). Zeigen Sie die Konvergenz der geometrischen Folge (zum Bei-704
spiel mithilfe der Ungleichung von Bernoulli).705
1.8. Cauchy-Folgen und Grenzwertsatze706
Definition 1.8.1. Eine Folge rationaler Zahlen ist eine Cauchy-Folge, wenn fur alle707
rationalen ε > 0 ab einer Stelle die Abstande der Folgenglieder zueinander kleiner als ε sind.708
Formal: Es ist (xn)n∈N eine Cauchy-Folge, wenn es fur alle ε > 0 ein N ∈ N gibt, sodass709
|xm − xn| < ε fur alle n,m mit n,m ≥ N .710
Satz 1.8.2. Jede konvergente Folge ist Cauchy-Folge.711
Beweis. Um zu zeigen, dass eine gegen x konvergente Folge (xn)n∈N eine Cauchy-Folge712
ist, wahlen wir ein beliebiges ε > 0. Da die Folge konvergent ist, liegt sie ab einer Stelle in713
(x − ε/2, x + ε/2). Daher gilt auch |xm − xn| < ε ab dieser Stelle und die Folge ist somit714
eine Cauchy-Folge. �715
Satz 1.8.3. Jede Cauchy-Folge ist beschrankt.716
Beweis. Wenn (xn) eine Cauchy-Folge ist, gibt es ein N , sodass |xm − xn| < 1 fur alle717
m,n ≥ N . Insbesondere ist |xm − xN | < 1 fur alle m ≥ N . Daraus folgt, dass die ganze718
Folge in der beschrankten Menge719
{x0, x1, . . . , xN−1} ∪ [xN − 1, xN + 1]
enthalten und somit selbst beschrankt ist. �720
Korollar 1.8.4. Jede konvergente Folge ist beschrankt.721
Satz 1.8.5. Wenn (xn) und (yn) konvergent sind, dann konvergieren auch (xn + yn)und (xnyn) und es ist
lim(xn + yn) = limxn + lim yn,(1.8.5.1)
lim(xnyn) = limxn lim yn.(1.8.5.2)
Beweis. Es sei x := lim(xn) und y := lim(yn). Fur jedes ε > 0 sind |(xn − x)| und722
|(yn − y)| ab einer Stelle kleiner als ε/2. Also ist ab einer Stelle723
|(xn + yn)− (x+ y)| = |(xn − x) + (yn − y)| ≤ |(xn − x)|+ |(yn − y)| < ε
2+ε
2= ε.
Somit konvergiert (xn + yn) gegen den Grenzwert x+ y. Fur das Produkt der Folgen gehenwir ahnlich vor:
|xnyn − xy| = |xnyn − xny + xny − xy| = |xn(yn − y) + (xn − x)y|≤ |xn||yn − y|+ |xn − x||y|.
Letzterer Term geht mit wachsendem Index n gegen Null, weil |yn − y| und |xn − x| gegen724
Null gehen, weil |xn| beschrankt und y eine Konstante ist. Also ist auch |xnyn − xy| eine725
Nullfolge und somit lim(xnyn) = xy.726
18 1. ZAHLEN UND FOLGEN
Wenn wir die Großen benennen, sieht dieser Beweis so aus: Nach Korollar 1.8.4 ist727
(xn)n∈N beschrankt. Daher ist auch (|xn|)n∈N von einer positiven Zahl c nach oben be-728
schrankt. Es sei K := max{c, y} und ε > 0 beliebig. Es gibt ein N sodass |yn− y| < ε/(2K)729
und |xn − x| < ε/(2K) fur alle n ≥ N . Nun ist730
|xnyn − xy| ≤ |xn||yn − y|+ |xn − x||y| ≤ Kε
2K+K
ε
2K= ε
fur alle n mit n ≥ N und somit lim(xnyn) = xy. �731
Korollar 1.8.6. Wenn lim(xn) = x und c eine Zahl ist, dann ist732
lim(cxn) = cx.
Beweis. Fur yn := c folgt aus Satz 1.8.5:733
lim(cxn) = lim(ynxn) = lim(yn) lim(xn) = lim(c) lim(xn) = cx.
�734
Satz 1.8.7 (Sandwich-Theorem). Wenn lim(xn) = lim(zn) = a, und xn ≤ yn ≤ zn fur735
fast alle n, dann ist auch lim(yn) = a.736
Beweis. Fur jedes ε > 0 ist ab einer Stelle737
a− ε < xn ≤ yn ≤ zn < a+ ε
und daher738
−ε < yn − a < ε
beziehungsweise739
|yn − a| < ε.
Somit ist lim yn = a. �740
Lemma 1.8.8. Wenn lim(xn) = 0 und (yn) beschrankt ist, dann ist741
lim(xnyn) = 0.
Beweis. Wenn a ≤ yn ≤ b fur alle n, dann ist axn ≤ xnyn ≤ bxn fur alle n. Aus742
Korollar 1.8.6 folgen lim axn = 0 und lim bxn = 0. Nach dem Sandwich-Teorem 1.8.7 ist nun743
auch limxnyn = 0. �744
Satz 1.8.9. Wenn (xn) und (yn) konvergent sind, yn 6= 0 fur alle n und lim(yn) 6= 0,745
dann ist746
limxnyn
=limxnlim yn
.
Beweis. Es sei limxn = x und lim yn = y. Wir betrachten erst die Folge ( 1yn
)n∈N:747 ∣∣∣∣ 1
yn− 1
y
∣∣∣∣ =
∣∣∣∣y − ynyny
∣∣∣∣ =1
|yn|︸︷︷︸beschr.
1
|y|︸︷︷︸konst.
|y − yn|︸ ︷︷ ︸→0
.
Der erste Faktor der rechten Seite ist beschrankt, der zweite konstant und der dritte strebt748
gegen Null. Nach Korollar 1.8.6 ist |y − yn|/|y| eine Nullfolge und nach Lemma 1.8.8 auch749
der ganze letztere Term, also strebt 1/yn gegen 1/y. Aus 1.8.5.2 folgt750
lim(xn1
yn) = limxn lim
1
yn= x lim
1
yn,
was nach dem soeben Gezeigten gleich x/y ist. �751
Beispiel 1.8.10 (Ubungsbeispiel 16). Ist die Folge (xn) konvergent? Wenn ja, wohin752
konvergiert sie? Sie durfen Satz 1.8.5 und Korollar 1.8.6 verwenden.753
(1) xn =(1− 4n2)2
(1 + 2n)(1− 2n)(4n+ 4)2754
1.9. INTERVALLSCHACHTELUNGEN 19
(2) xn =n3
(n+ 1)2755
Beispiel 1.8.11. Fur Zahlen a0, a1, . . . , ak, b0, b1, . . . , bl, ak 6= 0, bl 6= 0, ist756
limn→∞
a0 + a1n+ a2n2 + . . .+ akn
k
b0 + b1n+ b2n2 + . . . blnl=
{akbl
falls k = l,
0 falls k < l.
wobei wir annehmen, dass ak, bl und der ganze Nenner stets ungleich 0 sind.757
Beweis. Wenn k = l, dann ist obiger Term gleich758
(1.8.11.1)a0 + a1n+ a2n
2 + . . .+ aknk
b0 + b1n+ b2n2 + . . . bknk=
a0nk
+ a1nk−1 + a2
nk−2 + . . .+ ak−1
n + akb0nk
+ b1nk−1 + b2
nk−2 + . . .+ bk−1
n + bk.
Nach Beispiel 1.7.10.2 ist lim 1n = 0. Aus Satz 1.8.5.2 folgt759
lim1
n2=
(lim
1
n
1
n
)=
(lim
1
n
)(lim
1
n
)= 0.
Mittels Induktion sehen wir, dass760
limn→∞
1
ni= 0
ist fur alle naturlichen i ≥ 1. Nach Korollar 1.8.6 ist761
limn→∞
ai1
ni= 0
und Satz 1.8.5.1 impliziert, dass der Zahler der rechten Seite der Gleichung 1.8.11.1 gegen762
ak strebt und der Nenner gegen bk. Aus Satz 1.8.9 folgt schließlich die Aussage. �763
Beispiel 1.8.12 (Ubungsbeispiel 17). Ist die Folge (xn) konvergent? Wenn ja, wohin764
konvergiert sie? Verwenden Sie Lemma 1.8.8.765
(1) xn =(−1)nn2
(n+ 3)3766
(2) xn =(−1)nn
1 + n767
Beispiel 1.8.13 (Ubungsbeispiel 18). Zeigen Sie, dass die Folge(n3/2n
)n∈N eine Null-768
folge ist.769
Hinweis: Es folgt n3/2n ≤ 1/n aus n4 ≤ 2n. Zum Induktionsschritt: Fur ausreichend770
große n, ist der Faktor, der n4 in (n+ 1)4 umwandelt, kleiner als 2.771
1.8.14 (Theoriefrage 10). Zeigen Sie, dass jede konvergente Folge eine Cauchy-Folge ist772
und dass jede Cauchy-Folge beschrankt ist.773
1.8.15 (Theoriefrage 11). Zeigen Sie, dass der Grenzwert der Summe bzw. des Produktes774
zweier Folgen gleich der Summe bzw. dem Produkt der Grenzwerte ist.775
1.8.16 (Theoriefrage 12). Zeigen Sie, dass der Grenzwert des Quotienten zweier Folgen776
gleich dem Quotienten der Grenzwerte ist. Was muss fur die Folge im Nenner des Quotienten777
vorausgesetzt werden?778
1.8.17 (Theoriefrage 13). Formulieren und beweisen Sie das Sandwich-Theorem.779
20 1. ZAHLEN UND FOLGEN
1.9. Intervallschachtelungen780
Definition 1.9.1. Die Lange `(I) eines offenen Intervalls I = (a, b) oder abgeschlosse-781
nen Intervalls I = [a, b] ist definiert als |b−a|. Eine Folge von Mengen (Mn) heißt abnehmende782
oder fallende Mengenfolge, wenn Mn ⊃Mn+1 ist fur alle n.783
Eine abnehmende Mengenfolge abgeschlossener Intervalle heißt Intervallschachtelung,784
wenn ihre Langen gegen Null gehen. Eine Folge liegt in einer Intervallschachtelung, wenn sie785
in jedem der Intervalle ab einer Stelle enthalten ist.786
Beispiel 1.9.2. Die Folge (1/n)n∈N liegt in ([0, 1/2n])n∈N.787
Um die Aussage des Beispiels zu beweisen, ist fast nichts zu zeigen; wir mussen beachten,788
dass nicht zweimal der selbe Buchtabe “n” verwendet werden darf, wenn der Index der789
Intervallschachtelung mit dem Index der Folge verglichen wird, denn das Folgenglied 1/n790
liegt nicht im Intervall [0, 1/2n]. Zum Beispiel liegt 1 nicht in [0, 1/2] und 1/2 nicht in [0, 1/4].791
Beweis von Beispiel 1.9.2. Die Archimedische Eigenschaft fur rationale Zahlen (Lem-792
ma 1.7.1) impliziert, dass es fur alle ε = 1/2m ein N ∈ N gibt mit 1/N < ε. Fur alle n ≥ N793
gilt also 1/n ∈ [0, 1/2m], das heißt, die Folge liegt in jedem der Intervalle [0, 1/2m] ab einer794
Stelle. �795
Satz 1.9.3. Eine Folge ist genau dann Cauchy-Folge, wenn sie in einer Intervallschach-796
telung liegt.797
Beweis. Wir nehmen an, die Folge (xn)n∈N liegt in einer Intervallschachtelung (In)n∈N.798
Es sei ε > 0 beliebig und IN eines der Intervalle mit `(IN ) ≤ ε. Die Glieder xn liegen ab einer799
Stelle in IN . Daher ist |xm−xn| < ε fur alle m,n ab einer Stelle und (xn) eine Cauchy-Folge.800
Es sei umgekehrt (xn)n∈N eine Cauchy-Folge. Dann gibt es fur jedes k ∈ N ein N(k),801
sodass |xm − xn| < 1k ist fur alle m,n ≥ N(k). Daraus folgt insbesondere |xN(k) − xn| < 1
k802
fur alle n ≥ N(k). Das heißt, dass803
Jk :=
[xN(k) −
1
k, xN(k) +
1
k
]alle Folgenglieder ab xN(k) enthalt. Es ist im Allgemeinen nicht Jk+1 ⊂ Jk, aber fur804
Ik = J1 ∩ J2 ∩ . . . ∩ Jkgilt Ik ⊃ Ik+1. Außerdem ist `(Ik) ≤ 2/k und jedes Ik enthalt fast alle Glieder der Folge,805
weil auch jedes der Jk fast alle Folgenglieder enthalt. Also ist (Ik) eine Intervallschachtelung,806
in der die Folge liegt. �807
Satz 1.9.4. In einer Intervallschachtelung liegen entweder nur konvergente Folgen, oder808
nur Cauchy-Folgen, die nicht konvergent sind.809
Im ersten Fall enthalt der Durchschnitt aller Intervalle der Intervallschachtelung genau810
einen Punkt und die Folgen, die in der Intervallschachtelung liegen, sind genau jene, die811
diesen Punkt als Grenzwert haben. Im zweiten Fall ist der Durchschnitt der Intervalle leer.812
Beweis. Dass im Durchschitt aller Intervalle einer Intervallschachtelung nicht zwei ver-813
schiedene Punkte liegen, folgt daraus, dass die Langen der Intervalle gemaß der Definition814
einer Intervallschachtelung eine Nullfolge bilden.815
Wenn der Durchschnitt aller Intervalle nur einen Punkt x enthalt, dann sind in jeder816
Umgebung (x− ε, x+ ε) alle Intervalle enthalten, deren Langen kleiner als ε sind, und das817
sind fast alle. Somit enthalt eine beliebig kleine Umgebung (x − ε, x + ε) von x fast alle818
Glieder einer jeden Folge, die in der Intervallschachtelung liegt. Das heißt, alle Folgen, die819
in der Intervallschachtelung liegen, konvergieren gegen x.820
Nehmen wir nun an, der Durchschnitt der Intervalle sei leer. Wenn eine Folge, die in821
der Intervallschachtelung liegt, einen Grenzwert x hat, dann muss es ein Intervall IN geben,822
das x nicht enthalt. Da x von IN einen positiven Abstand ε hat, ist (x − ε, x + ε) eine823
1.10. REELLE ZAHLEN 21
Umgebung von x, die mit IN disjunkt ist. Es liegen fast alle Glieder der Folge in IN und824
nicht in (x− ε, x+ ε), das ist ein Widerspruch zur Konvergenz. Also sind die Folgen in der825
Intervallschachtelung nicht konvergent. �826
Um zu erkennen, dass es Cauchy-Folgen gibt, die nicht konvergieren, stellen wir zunachst827
ein paar Uberlegungen zu Potenzen rationaler Zahlen an:828
Beispiel 1.9.5. Wenn x in Q \ Z ist, dann liegt auch xk in Q \ Z fur alle k ∈ N.829
Beweis. Es sei x = ab aus Q+ \ N mit ggT(a, b) = 1 (siehe Lemma 1.5.2), wobei b ≥ 2,830
da x /∈ N. In ihrer eindeutigen Primfaktorzerlegung [11, Satz 5.3.45] haben a und b keinen831
Faktor gemeinsam. Dasselbe gilt fur die eindeutigen Primfaktorzerlegung von ak und bk.832
Das bedeutet, dass ak
bknicht gekurzt werden kann und (ab )k keine ganze Zahl ist. �833
Korollar 1.9.6. Es gibt keine rationale Zahl, deren k-te Potenz in834
N \ {nk | n ∈ N}ist, fur k ≥ 2. Das heißt, es gibt in Q keine k-te Wurzel einer naturlichen Zahl, es sei denn835
die Wurzel ist ganzzahlig.836
Beispiel 1.9.7. Es sei I0 = [a0, b0] = [1, 2]. Wir definieren rekursiv837
In+1 = [an+1, bn+1] :=
{[an,
an+bn2 ] falls (an+bn2 )2 ≥ 2,
[an+bn2 , bn] falls (an+bn2 )2 < 2.
Die ersten drei Intervalle der Folge sind I1 = [1, 1.5], I2 = [1.25, 1.5] und I3 = [1.375, 1.5].838
Mit Induktion folgt, dass a2n < 2 < b2n fur alle n. Es ist `(In) = 12n eine Nullfolge und839
In+1 ⊂ In, das heißt, diese Intervalle bilden eine Intervallschachtelung.840
Angenommen, die Folgen (an)n∈N und (bn)n∈N sind konvergent, dann haben sie densel-841
ben Grenzwert, und nach Satz 1.8.5.2 ist842
lim a2n = (lim an)2 = (lim bn)2 = lim b2n.
Wegen a2n < 2 < b2n ist nach dem Sandwich-Theorem 1.8.7 dieser Wert gleich lim 2 = 2. Eine843
rationale Zahl, deren Quadrat gleich 2 ist, gibt es aber nach Korollar 1.9.6 nicht. Also sind844
die Folgen (an)n≥0 und (bn)n≥0 Cauchy-Folgen, weil sie in einer Intervallschachtelung liegen845
(Satz 1.9.3), die jedoch nicht konvergent sind, weil sie keinen Grenzwert in Q haben.846
1.9.8 (Theoriefrage 14). Zeigen Sie, dass jede Folge, die in einer Intervallschachtelung847
liegt, eine Cauchy-Folge ist.848
1.9.9 (Theoriefrage 15). Zeigen Sie: Wenn eine konvergente (rationale) Folge in einer849
(rationalen) Intervallschachtelung liegt, dann besteht der Durchschnitt aller Intervalle aus850
genau einem Punkt, namlich dem Grenzwert der Folge.851
1.9.10 (Theoriefrage 16). Zeigen Sie, dass es ganze Zahlen gibt, die in Q keine Qua-852
dratwurzel haben und leiten Sie daraus ab, dass es in Q Cauchy-Folgen gibt, die nicht853
konvergieren.854
1.10. Reelle Zahlen855
Definition 1.10.1. Wir schreiben (xn) ∼ (yn), wenn lim |xn − yn| = 0.856
Lemma 1.10.2. Die Relation aus Definition 1.10.1 ist eine Aquivalenzrelation auf der857
Menge der rationalen Folgen.858
Beweis. Es seien (xn), (yn), (zn) beliebige rationale Folgen.859
Aus lim |xn − xn| = 0 folgt (xn) ∼ (xn) fur alle Folgen (Relfexivitat).860
Wenn lim |xn − yn| = 0, dann ist auch lim |yn − xn| = 0, also folgt y ∼ x aus x ∼ y861
(Symmetrie).862
22 1. ZAHLEN UND FOLGEN
Wegen der Dreiecksungleichung ist863
|zn − xn| = |(zn − yn) + (yn − xn)| ≤ |zn − yn|+ |yn − xn|.
Daher ist (xn) ∼ (zn) falls (xn) ∼ (yn) und (yn) ∼ (zn). �864
Mit C bezeichnen wir die Menge aller rationalen Cauchy-Folgen.865
Definition 1.10.3. Die Menge der reellen Zahlen ist definiert als Quotientenmenge866
R := C/ ∼ .
Jede rationale Zahl q wird auch als reelle Zahl aufgefasst, namlich als jene Aquivalenz-867
klasse von rationalen Cauchy-Folgen, die die konstante Folge (q)n∈N enthalt.868
Lemma 1.10.4. Die Intervalle von Intervallschachtelungen, in denen die Cauchy-Folgen869
unterschiedlicher reeller Zahlen liegen, haben ab einer Stelle einen positiven Abstand von-870
einander.871
Beweis. Abgeschlossene Intervalle, die keinen positiven Abstand voneinander haben,872
haben ein gemeinsames Element. Falls die Intervallschachtelungen keinen positiven Abstand873
haben, gibt es also eine Folge, die in beiden liegt, was der Annahme widerspricht, das in den874
Intervallschachtelungen die Cauchy-Folgen unterschiedlicher reeller Zahlen liegen. �875
Wir haben bereits in Satz 1.8.5 gesehen, dass der Grenzwert von Summe oder Produkt876
konvergenter Folgen wieder gleich der Summe bzw. dem Produkt der Grenzwerte ist. Um877
zu zeigen, dass reelle Zahlen addiert und multipliziert werden konnen, mussen wir einen878
analogen Satz fur Cauchy-Folgen zeigen:879
Satz 1.10.5. Wir nehmen an, es liegt (xn)n∈N in der Intervallschachtelung ([an, bn])n∈N880
und (yn)n∈N in der Intervallschachtelung ([cn, dn])n∈N.881
Dann ist ([an + cn, bn + dn])n∈N eine Intervallschachtelung, in der (xn + yn)n∈N liegt.882
Wenn an > 0 und cn > 0, fur alle n dann liegt (xn · yn)n∈N in der Intervallschachtelung883
([an · cn, bn · dn])n∈N.884
Beweis. Aus an ≤ an+1 < bn+1 ≤ bn und cn ≤ cn+1 < dn+1 ≤ dn folgt an + cn ≤885
an+1 + cn+1 < bn+1 + dn+1 ≤ bn + dn, also ist886
[an+1 + cn+1, bn+1 + dn+1] ⊂ [an + cn, bn + dn].
Nach Satz 1.8.5 ist887
lim(bn − an) + lim(dn − cn) = lim((bn + dn)− (an + cn)) = 0.
Das heißt, die Langen der Intervalle [an + cn, bn + dn] gehen gegen Null. Also ist gezeigt,888
dass ([an + cn, bn + dn])n∈N eine Intervallschachtelung ist.889
Fur jedes n sind ab einem Index N die Glieder xm in [an, bn] und die Glieder ym in890
[cn, dn] enthalten und somit an+cn ≤ xm+ym ≤ bn+dn fur alle m ≥ N . Also liegt (xn+yn)891
in ([an + cn, bn + dn])n∈N.892
Fur das Produkt ist893
bndn − ancn = (bn − an)dn + (dn − cn)an.
Weil (an)n∈N und (dn)n∈N beschrankt und (bn − an)n∈N und (dn − cn)n∈N Nullfolgen sind,894
ist nach Lemma 1.8.8895
lim(bn − an)dn = lim(dn − cn)an = 0
und somit nach Satz 1.8.5896
lim(bndn − ancn) = 0.
Außerdem ist897
[an+1cn+1, bn+1dn+1] ⊂ [ancn, bndn]
1.10. REELLE ZAHLEN 23
und wieder gibt es fur jedes n ein N , sodass fur alle m ≥ N gilt: xm ∈ [an, bn] , ym ∈ [cn, dn]898
und weil beide linken Intervallgrenzen positiv sind, folgt899
xmym ∈ [ancn, bndn]
fur alle m ≥ N . �900
Satz 1.10.5 gilt auch fur Produkte beliebiger (nicht notwendigerweise positiver) Zahlen,901
es mussen nur die Vorzeichen angepasst werden. Sind z.B. beide Folgen ab einer Stelle902
negativ, dann sind die linken Intervallgrenzen an und cn auch alle negativ, und aus an <903
xn < 0 und bn < yn < 0 folgt −anbn < −xnyn < 0, daher sind −anbn die gesuchten linken904
Intervallgrenzen fur das Produkt.905
Korollar 1.10.6. Summen von beliebigen und Produkte von positiven Cauchy-Folgen906
sind wieder Cauchy-Folgen.907
Definition 1.10.7. Fur x, y ∈ R definieren wir908
(1.10.7.1) x+ y := {(xn + yn)n∈N | (xn)n∈N ∈ x, (yn)n∈N ∈ y},909
(1.10.7.2) x · y := {(xn · yn)n∈N | (xn)n∈N ∈ x, (yn)n∈N ∈ y}.Wenn x 6= 0, definieren wir910
(1.10.7.3)1
x:= {(zn)n∈N | (znxn)n∈N ∼ (1)n∈N fur eine Folge (xn)n∈N ∈ x}.
Nach der Definition reeller Zahlen, ist die reelle Zahl 0 genau die Mengen aller ratio-911
nalen Nullfolgen. In 1.10.7 bedeutet x 6= 0 also, dass die Aquivalenzklasse x nicht jene der912
Nullfolgen ist.913
Lemma 1.10.8. Die Verknupfungen aus Definition 1.10.7 sind Abbildungen R×R→ R.914
Beweis. Nach Korollar 1.10.6 bestehen die Mengen in 1.10.7.1 und 1.10.7.2 aus Cauchy-915
Folgen, die zueinander aquivalent sind. Noch zu zeigen ist, dass diese Mengen tatsachlich alle916
Folgen dieser Aquivalenzklassen enthalten. Wenn (zn) aus dieser Aquivalenzklasse ist, wenn917
also (zn) ∼ (xn+yn) mit (xn) ∈ x und (yn) ∈ y, dann ist (zn−yn) ∼ (xn+yn−yn) = (xn).918
Also ist919
(zn)n∈N = (zn − yn)n∈N + (yn)n∈N
die Summe aus zwei Folgen, von denen die erste Element von x und die zweite Element von920
y ist. Somit ist (zn)n∈N in x+y, was zu zeigen war. Der Beweis fur 1.10.7.2 lauft analog. �921
Definition 1.10.9. Fur x, y ∈ R schreiben wir x ≤ y, wenn es eine Folge (xn) in x und922
eine Folge (yn) in y gibt mit xn ≤ yn fur alle n. Wir schreiben x < y, wenn x ≤ y und x 6= y.923
Ist 0 < x, dann heißt x positiv, wenn x < 0 ist, dann heißt x negativ.924
Lemma 1.10.10. Es ist (R,≤) eine total geordnete Menge.925
Beweis. Wenn (xn) ∈ x, (yn) ∈ y und x 6= y, dann sind zwei rationale Intervallschach-926
telungen, die diese Folgen enthalten, ab einer Stelle disjunkt. Daraus ergibt sich entweder927
x < y oder y < x. Reflexivitat, Antisymmerie und Transitivitat ubertragen sich von den928
entsprechenden Eigenschaften der Ordnung von Q. �929
Reelle Zahlen konnen in eindeutiger Weise durch sogenannte Dezimalbruche darge-930
stellt werden. Das heißt, zu jeder reellen Zahl x ∈ [0, 1) gibt es eine Folge (an)n∈N in931
{0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9}, sodass die Folge (sn)n∈N mit932
sn = a11
10+ a2
1
102+ a3
1
103+ . . .+ an
1
10n
gegen x konvergiert. Wir konnen dann 0.a1a2a3 . . . statt x schreiben. Wenn wir den Fall,933
dass (an) ab einer Stelle nur aus Ziffern 9 besteht ausschließen, dann ist diese Dezimalbruch-934
darstellung eindeutig, was wir erkennen, wenn wir Intervallschachtelungen mit halboffenen935
24 1. ZAHLEN UND FOLGEN
Intervallen betrachten: Wir teilen [0, 1) in 10 gleich große Intervalle. Liegt x im ersten dieser936
Intervalle, ist a1 = 0, liegt es im zweiten ist a2 = 1 und so fort. Nun teilen wir jenes Intervall,937
in dem x liegt, wieder in zehn halboffene Intervalle und bestimmen so a2. Auf diese Weise938
bestimmen wir die Folge (an). Sollte jedoch x einmal am linken Randpunkt eines der In-939
tervalle liegen, brechen wir diesen Algorithmus ab und stellen x als endlichen Dezimalbruch940
dar, also durch eine endlich Folge in {0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9}. Der Fall, dass ab einer Stelle941
alle an = 9 sind, kann nicht eintreten, denn dann ware x gleich dem rechten Randpunkt von942
jenem halboffenen Intervall, ab dem alle an = 9 sind.943
Definition 1.10.11. Mengen, die nicht abzahlbar sind, nennen wir uberabzahlbar.944
Satz 1.10.12. Die Menge der reellen Zahlen ist uberabzahlbar.945
Beweis. Angenommen R hatte eine Abzahlung, dann hatte auch [0, 1) eine Abzahlung946
y1, y2, y3,. . . mit947
y1 = 0. x1,1 x1,2 x1,3 x1,4 . . .y2 = 0. x2,1 x2,2 x2,3 x2,4 . . .y3 = 0. x3,1 x3,2 x3,3 x3,4 . . .y4 = 0. x4,1 x4,2 x4,3 x4,4 . . ....
......
......
Wir wahlen nun zn ∈ {0, 1} so, dass zn 6= xn,n ist. Dann ist z = 0.z1z2z3 . . . in (0, 1] und948
unterscheidet sich von jedem der yn in mindestens einer Ziffer. Wegen der Eindeutigkeit949
der Dezimalbruchentwicklung ist z verschieden von allen yn. Das ist ein Widerspruch dazu,950
dass eine Abzahlung alle Elemente der Menge enthalt. Also ist [0, 1) und somit auch R951
uberabzahlbar. �952
1.10.13 (Theoriefrage 17). Wie werden die reellen Zahlen mithilfe rationaler Cauchy-953
Folgen konstruiert?954
1.10.14 (Theoriefrage 18). Zeigen Sie, dass die Summe zweier rationaler Cauchy-Folgen955
wieder eine Cauchy-Folge ist.956
1.10.15 (Theoriefrage 19). Zeigen Sie, dass die Menge der reellen Zahlen uberabzahlbar957
ist.958
1.11. Erweiterte reelle Zahlen959
Definition 1.11.1. Wenn eine Folge ab einer Stelle großer (bzw. kleiner) als jede be-960
liebig gewahlte reelle Zahl ist, nennen wir sie bestimmt divergent gegen +∞ (sprich: “plus961
Unendlich”), bzw. bestimmt divergent gegen −∞ (sprich: “minus Unendlich”).962
Formal: Wenn (xn) eine Folge ist und es fur jedes x ∈ R ein N ∈ N gibt, sodass xn > x963
bzw. xn < x ist fur alle n > N , nennen wir (xn) bestimmt divergent gegen +∞ bzw. bestimmt964
divergent gegen −∞ und schreiben lim an = +∞ bzw. lim an = −∞.965
Wenn limxn =∞ und lim yn ∈ R, dann ist966
lim(xn + yn) = lim(xn − yn) =∞.
Wenn y > 0, ist außerdem967
lim(xnyn) = lim(xn/yn) =∞.
Wenn auch lim yn =∞ ist, dann gilt968
lim(xn + yn) = lim(xnyn) =∞.
Fur das Konvergenzverhalten der Folgen (xn − yn)n∈N und (xn/yn)n∈N gibt es in diesem969
Fall jedoch keine allgemeinen Regeln.970
1.12. VOLLSTANDIGKEIT DER REELLEN ZAHLEN 25
Beispiel 1.11.2 (Ubungsbeispiel 19). Finden Sie jeweils ein Beispiel fur Folgen (xn)971
und (yn) mit lim(xnyn) = 0 und972
(1) limxn =∞ (2) limxn ∈ R \ {0} (3) (xn) divergent, aber nicht bestimmt diverent.973
1.12. Vollstandigkeit der reellen Zahlen974
Wir erinnern uns daran, dass rationale Zahlen einerseits jene Zahlen sind, die in der975
Konstruktion der reellen Zahlen verwendet werden, und dass andererseits eine rationale976
Zahl q auch selbst als reelle Zahl aufgefasst werden kann, namlich als jene Aquivalenzklasse977
von rationalen Cauchy-Folgen, welche die konstante Folge (q)n∈N enthalt, siehe dazu auch978
Kapitel 1.4.979
Definition 1.12.1. Wir nennen I = R \Q die Menge der irrationalen Zahlen.980
Lemma 1.12.2. Wenn x rational und y irrational ist, dann ist x + y irrational. Wenn981
außerdem x 6= 0 ist, dann ist xy irrational.982
Beweis. Wenn die Summe z = x + y (bzw. das Produkt z = xy) rational ware, dann983
ware auch z−x (bzw. z/x) und somit y rational, also ist z = x+ y (bzw. z = xy) irrational.984
�985
Satz 1.12.3. Zwischen allen Paaren verschiedener reeller Zahlen liegen unendlich viele986
rationale und unendlich viele irrationale Zahlen.987
In der Topologie sagen wir, dass sowohl Q als auch I in R dicht liegen.988
Beweis von Satz 1.12.3. Von zwei gegebenen verschiedenen reellen Zahlen bezeich-989
nen wir mit x die kleinere und mit y die großere. Es sei ([an, bn])n∈N eine rationale Intervall-990
schachtelung, in der eine Cauchy-Folge von x liegt, und ([cn, dn])n∈N eine, in der eine Folge991
von y liegt. Nach Lemma 1.10.4 gibt es ein N , sodass992
x < bn < cn < y,
ist fur alle n ≥ N . Zwischen den rationalen Zahlen bn und cn lassen sich nun leicht unendlich993
viele rationale Zahlen konstruieren; diese liegen zwischen x und y.994
Fur p, q ∈ Q mit p < q ist995
p < p+1√2
(q − p) < q
wegen 0 < 1/√
2 < 1. Dass der mittlere Term der Ungleichungskette irrational ist, folgt996
aus Korollar 1.9.6 und Lemma 1.12.2. Also liegt zwischen je zwei verschiedenen rationalen997
Zahlen eine irrationale Zahl. Da zwischen x und y unendlich viele verschiedene rationale998
Zahlen liegen, mussen auch unendlich viele irrationale Zahlen zwischen x und y liegen. �999
Mit R+ bezeichnen wir die Menge der positiven reellen Zahlen {x ∈ R | x > 0}, und mit1000
R− die Menge der negativen reellen Zahlen {x ∈ R | x < 0}.1001
Lemma 1.12.4 (Archimedische Eigenschaft der reelle Zahlen). Fur alle ε ∈ R+ gibt es1002
ein n ∈ N mit 1n < ε. Fur alle x, y ∈ R+ gibt es ein n ∈ N, sodass y < nx ist.1003
Beweis. Nach Satz 1.12.3 liegt eine rationale Zahl q = m/n zwischen 0 und ε. Also ist1004
1n < ε fur n ∈ N. Auch fur ε = x
y gibt es ein n ∈ N mit 1n <
xy und somit y < nx. �1005
Bemerkung 1.12.5. Die reellen Zahlen bilden wie die rationalen Zahlen einen Korper,1006
siehe zum Beispiel [11, Kapitel 5.4]. Unsere bisherigen Argumente in den Satzen uber ratio-1007
nale Zahlen basieren meist nur auf den Axiomen eines Korpers, also auf den Rechenregeln1008
fur die vier Grundrechnungsarten. Aus diesem Grund lassen sie sich unverandert auf die1009
reellen Zahlen ubertragen. Insbesondere gelten daher folgende Definitionen und Aussagen1010
auch fur reelle Zahlen: 1.7.2–1.7.9, 1.8.1–1.8.9 und 1.9.1–1.9.4.1011
26 1. ZAHLEN UND FOLGEN
Eine Ausnahme bildet die Archimedische Eigenschaft der rationalen Zahlen (Lemma 1.7.1),1012
weil in ihrem Beweis verwendet wird, dass rationale Bruche einen ganzzahligen Nenner und1013
einen ganzzahligen Zahler haben, was auf reelle Zahlen im Allgemeinen nicht zutrifft. Da-1014
her haben wir fur die Archimedische Eigenschaft der reellen Zahlen in Lemma 1.12.4 einen1015
eigenen Beweis angegeben.1016
Folgen reeller Zahlen nennen wir auch kurz reelle Folgen.1017
Satz 1.12.6. Die reellen Zahlen sind vollstandig, das heißt, jede reelle Cauchy-Folge1018
konvergiert.1019
Beweis. Jede reelle Cauchy-Folge liegt nach Bemerkung 1.12.5 und Satz 1.9.3 in einer1020
Intervallschachtelung. Die Intervalle konnen so gewahlt werden, dass die Endpunkte rational1021
sind, aber auch aus Satz 1.12.3 folgt, dass in jedem Intervall eine rationale Folge liegt. Diese1022
ist eine rationale Cauchy-Folge und die durch sie nach Definition 1.10.3 bestimmte reelle1023
Zahl ist Grenzwert der reellen Cauchy-Folge, von der wir ausgegangen sind. �1024
Die Vollstandigkeit ist die wesentlichste Eigenschaft, die die reellen von rationalen Zahlen1025
unterscheidet.1026
Wir erinnern uns daran, dass ein Supremum einer Menge eine kleinste obere Schranke1027
ist. Diese kann Element der Menge sein, dann ist sie ein Maximum, sie muss aber nicht1028
Element der Menge sein. Ein Infimum ist eine großte untere Schranke. In total geordneten1029
Mengen (d.h. alle Paare von Elementen sind vergleichbar) kann es nicht passieren, dass eine1030
Menge zwei Suprema oder zwei Infima hat. Fur die im folgenden Satz verwendeten Begriffe1031
siehe bei Bedarf Definitionen 4.2.28, 4.2.32., 6.3.1 und 6.4.1 aber auch Proposition 6.4.2 in1032
[11].1033
Satz 1.12.7 (Supremums- und Infimumseigenschaft). Die reellen Zahlen sind ordnungs-1034
vollstandig, das heißt, jede nicht leere nach oben beschrankte Menge hat ein eindeutiges1035
Supremum und jede nach unten beschrankte Menge hat ein eindeutiges Infimum.1036
Beweis. Eine nach oben beschrankte Menge A reeller Zahlen ist auch durch eine ra-1037
tionale Zahl b0 nach oben beschrankt. Es sei a0 eine rationale Zahl, die kleiner als irgendein1038
Element von A ist. Im Folgenden betrachten wir Intervalle reeller Zahlen mit rationalen1039
Endpunkten. Wir definieren I0 = [a0, b0] und fur n ≥ 1 sei1040
In = [an, bn] =
{[an−1,
an−1+bn−1
2 ], falls [an−1+bn−1
2 , bn−1] ∩A = ∅,[an−1+bn−1
2 , bn−1] sonst.
Vollstandige Induktion impliziert, dass bn fur alle n eine obere Schranke von A ist und dass1041
[an, bn] ein Element von A enthalt. Da die Langen dieser Intervalle gegen Null gehen, ist1042
die rationale Folge (bn)n∈N eine Cauchy-Folge. Um zu sehen, dass die reelle Zahl x, die1043
diese Cauchy-Folge enthalt, das gesuchte Supremum von A ist, mussen wir uns zwei Punkte1044
uberlegen: Erstens, dass x eine obere Schranke von A ist. Dies folgt aus der Definition der1045
Zahlen bn die alle großer oder gleich jedem Element von A sind. Und zweitens, dass x die1046
kleinste obere Schranke von A ist: Wir nehmen an, es gibt eine kleinere obere Schranke y.1047
Die Langen der Intervalle der Intervallschachtelung sind ab einem Index N kleiner als x−y.1048
Da x in [aN , bN ] ist, kann y nicht in [aN , bN ] liegen, wegen y < x ist y < aN . Nun ist aber y1049
kleiner als ein Punkt in A, was der Annahme widerspricht, dass y eine obere Schranke von1050
A ist. �1051
Beispiel 1.12.8 (Ubungsbeispiel 20). Haben folgende Mengen ein Supremum bzw. ein1052
Infimum in Q und/oder in R? Wenn ja, welches?1053
(1)⋂n∈N
((− 1
n, 1
)∪ {k ∈ N | k ≥ n}
)(2) {q ∈ Q | q2 < 2}
1.13. HAUFUNGSWERTE UND HAUFUNGSPUNKTE 27
Beispiel 1.12.9 (Ubungsbeispiel 21). Es sei A ⊂ R nicht leer, nach unten beschrankt1054
und −A = {−x | x ∈ A}. Zeigen Sie:1055
inf A = − sup(−A).
1.12.10 (Theoriefrage 20). Zeigen Sie, dass zwischen je zwei verschiedenen reellen Zahlen1056
unendlich viele rationale und unendlich viele irrationale Zahlen liegen.1057
1.12.11 (Theoriefrage 21). Zeigen Sie, dass Q nicht vollstandig und dass R vollstandig1058
ist. Gehen Sie von der Konstruktion der reellen Zahlen uber Cauchy-Folgen aus.1059
1.12.12 (Theoriefrage 22). Zeigen Sie, dass R ordnungsvollstandig ist.1060
1.13. Haufungswerte und Haufungspunkte1061
Definition 1.13.1. Ein Punkt heißt Haufungswert einer Folge, wenn jede seiner Um-1062
gebungen unendlich viele Glieder der Folge enthalt.1063
Expliziter und formaler: Ein Punkt x ist Haufungswert der Folge (xn)n∈N, wenn es fur1064
jede Umgebung U von x eine unendliche Menge I ⊂ N gibt, sodass {xi | i ∈ I} ⊂ U ist.1065
Beispiel 1.13.2. Die Folge ((−1)n)n∈N hat zwei Haufungswerte, namlich −1 und 1. Die1066
Folge (1/n+ (−1)n)n∈N hat ebenfalls die Haufungswerte -1 und 1.1067
Definition 1.13.3. Eine Teilfolge einer Folge (xn)n∈N ist eine Folge (xnk)k∈N, wobei1068
(nk)k∈N eine streng monoton steigende Folge naturlicher Zahlen ist.1069
Ein Teilfolge entsteht also durch das Weglassen von Gliedern der Folge. Zum Beispiel1070
ist 2, 4, 6,. . . eine Teilfolge von 1, 2, 3, 4,. . .1071
Lemma 1.13.4. Ein Punkt ist genau dann Haufungswert einer Folge, wenn er Grenzwert1072
einer Teilfolge ist.1073
Beweis. Dass ein Grenzwert einer Teilfolge ein Haufungswert ist, folgt aus der Definiti-1074
on der Konvergenz (Definition 1.7.6). Umgekehrt, wenn x ein Haufungswert ist, wahlen wir1075
fur jede Umgebung (x− 1/k, x+ 1/k), k ∈ N, ein nk ∈ N mit xnk ∈ (x− 1/k, x+ 1/k) und1076
nk > nk−1. Dies ist moglich, da in (x−1/k, x+1/k) unendlich viele Folgenglieder liegen. �1077
Satz 1.13.5 (Satz von Bolzano-Weierstraß). Jede beschrankte reelle Folge hat einen1078
Haufungswert.1079
Beweis. Es sei (xn)n∈N durch a0 nach unten und durch b0 nach oben beschrankt. Wir1080
definieren rekursiv1081
[am+1, bm+1] :=
[am,
am + bm2
],
falls unendlich viele xn in [am,am+bm
2 ] liegen und anderenfalls1082
[am+1, bm+1] :=
[am + bm
2, bm
].
Induktiv wird eine Teilfolge von (xn)n∈N definiert, die in ([am, bm])m∈N liegt:1083
Wir setzen xn0 = x0 und wahlen ein weiters Glied der Folge aus [a1, b1], das wir mit1084
xn1 bezeichnen. Von den unendlich vielen Gliedern der Folge (xn)n∈N, die in [am, bm] lie-1085
gen, wahlen wir eines, das verschieden von den Folgengliedern xn0, xn1
,. . .xnm−1ist und1086
bezeichnen es mit xnm und so fort. Die so definierte Folge (xnm)m∈N ist eine Cauchy-Folge1087
und liegt in der Intervallschachtelung ([am, bm])m∈N. Die dadurch definierte reelle Zahl ist1088
Grenzwert von (xnm)m∈N und somit Haufungswert von (xn)n∈N. �1089
Lemma 1.13.6. Eine beschrankte reelle Folge, die genau einen Haufungswert hat, ist1090
konvergent.1091
28 1. ZAHLEN UND FOLGEN
Beweis. Wenn x der einzige Haufungswert einer beschrankten Folge ist, muss jede1092
Umgebung von x fast alle Glieder der Folge enthalten, denn sonst wurden die Folgenglieder1093
außerhalb der Umgebung eine beschrankte Folge bilden, die nach dem Satz von Bolzano-1094
Weierstraß einen Haufungswert hat und dieser ware dann von x verschieden. �1095
Beispiel 1.13.7. Lemma 1.13.6 gilt nur fur beschrankte Folgen, denn die unbeschrankte1096
Folge (n+ (−1)nn)n∈N hat zwar genau einen Haufungswert, ist aber trotzdem nicht konver-1097
gent.1098
Satz 1.13.8. Jede beschrankte monotone reelle Folge ist konvergent.1099
Beweis. Nach dem Satz Bolzano-Weierstraß hat eine solche Folge zumindest einen1100
Haufungswert. Wir nehmen indirekt an, es gabe zwei Haufungswerte. Zwei disjunkte Um-1101
gebungen dieser Punkte enthalten jeweils unendlich viele Glieder der Folge, was jedoch nur1102
moglich ist, wenn die Folge unendlich oft zwischen den Umgebungen hin und her wechselt.1103
Das wiederum widerspricht ihrer Monotonie. Also hat die Folge genau einen Haufungswert1104
und ist nach Lemma 1.13.6 konvergent. �1105
Es spricht nichts gegen verbal gefuhrte Beweise wie jenen von Satz 1.13.8. Wichtig ist,1106
dass man bei Bedarf in der Lage ist, eine Argumentation beliebig detailliert und explizit1107
auszufuhren. Wenn die zwei Haufungswerte im letzten Beweis zum Beispiel mit x und y1108
bezeichnet werden, konnen die disjunkten Umgebungen als1109 (x− y − x
2, x+
y − x2
)und
(y − y − x
2, y +
y − x2
)oder als
1110 (x− y − x
3, x+
y − x3
)und
(y − y − x
3, y +
y − x3
)angegeben werden. Außerdem konnten die Indices der Folgenglieder, die in der einen und1111
der anderen Umgebung liegen bezeichnet werden. Wie genau und explizit Beweise gefuhrt1112
werden, ist bis zu einem gewissen Grad eine Frage des Geschmacks.1113
Definition 1.13.9. Ein Punkt x heißt Haufungspunkt einer Menge M , wenn fur jede1114
Umgebung U von x die Menge U \ {x} unendliche viele Elemente von M enthalt.1115
Lemma 1.13.10. Jeder Haufungspunkt der Menge {xn | n ∈ N} ist Haufungswert der1116
Folge (xn)n∈N.1117
Beweis. Die folgende Konstruktion ist jener im Beweis des Satzes von Bolzano-Weier-1118
straß (Satz 1.13.5) ahnlich. Wir setzen xn0= x0. Fur m ≥ 1 wahlen wir von den unendlich1119
vielen Gliedern der Folge, die in (x − 1/m, x + 1/m) liegen, eines aus, das verschieden von1120
den Folgengliedern xn0, xn1
,. . . ,xnm−1ist und bezeichnen es mit xnm . Die so definierte1121
Folge (xnm)m∈N konvergiert gegen x. Also ist der Haufungspunkt x auch Haufungswert der1122
Folge. �1123
Beispiel 1.13.11. Die Umkehrung der Aussage von Lemma 1.13.10 gilt im Allgemeinen1124
nicht, denn c ist zwar Haufungswert der konstanten Folge (c)n∈N, aber kein Haufungspunkt1125
der Menge {c}.1126
Definition 1.13.12. Mit lim supxn bzw. lim inf xn bezeichnen wir das Supremum bzw.1127
das Infimum der Haufungswerte einer Folge (xn)n∈N.1128
Das folgende Lemma besagt, dass das Supremum und das Infimum aus Definition 1.13.121129
in Wahrheit ein Maximum und ein Minimum sind.1130
Lemma 1.13.13. Existiert der Limes superior (bzw. der Limes inferior) einer reellen1131
Folge, dann hat sie eine Teilfolge, die gegen ihn konvergiert.1132
1.14. WURZELN 29
Beweis. Es sei z = lim supxn. Fur jedes k ∈ N muss es einen Haufungswert zk der Folge1133
in [z − 1/k, z] geben, da z ja die kleinste obere Schranke der Haufungswerte ist. Eines der1134
Folgenglieder in [zk−1/k, zk+1/k] bezeichnen wir mit xnk . Also ist xnk ∈ (z−2/k, z+1/k)1135
und daher1136
limk→∞
xnk = z
und z ein Haufungswert von (xn)n∈N. �1137
Beispiel 1.13.14 (Ubungsbeispiel 22). Bestimmen Sie die Menge der Haufungswerte1138
der Folge1139
x1 = 1, x2 =1
2, x3 = 1, x4 =
1
2, x5 =
1
3, x6 = 1, x7 =
1
2, x8 =
1
3, x9 =
1
4, x10 = 1, . . .
Finden Sie eine Teilfolge, die gegen den Limes superior konvergiert und eine, die gegen den1140
Limes inferior konvergiert.1141
1.13.15 (Theoriefrage 23). Definieren Sie Teilfolgen und Haufungswerte einer Folge.1142
Zeigen Sie, dass jeder Haufungswert Grenzwert einer Teilfolge ist.1143
1.13.16 (Theoriefrage 24). Formulieren und beweisen Sie den Satz von Bolzano-Weierstraß.1144
1.13.17 (Theoriefrage 25). Zeigen Sie mithilfe des Satzes von Bolzano-Weierstraß, dass1145
eine beschrankte Folge mit genau einem Haufungswert konvergent ist. Ist die Voraussetzung1146
der Beschranktheit hier notwendig? Leiten Sie daraus ab, dass jede beschrankte monotone1147
reelle Folge konvergent ist.1148
1.13.18 (Theoriefrage 26). Definieren Sie Haufungspunkte einer Menge und Haufungs-1149
werte einer Folge. Ist jeder Haufungswert einer Folge (xn)n∈N auch Haufungspunkt von1150
{xn | n ∈ N}? Gilt die Umkehrung der letzten Aussage?1151
1.13.19 (Theoriefrage 27). Wie sind Limes superior und Limes inferior einer Folge de-1152
finiert? Zeigen Sie, dass Limes superior und Limes inferior einer Folge Haufungswerte der1153
Folge sind.1154
1.14. Wurzeln1155
Definition 1.14.1. Wenn xk = c fur k ∈ N, dann nennen wir x eine k-te Wurzel von c1156
und bezeichnen sie mit k√c oder c1/k.1157
Um zu zeigen, dass es in R im Gegensatz zu Q (siehe Korollar 1.9.6) moglich ist, Wurzeln1158
zu ziehen, verwenden wir das Verfahren der Intervallhalbierung, das wir schon aus 1.9.7,1159
1.12.7 und 1.13.5 kennen.1160
Lemma 1.14.2. Fur jedes k ∈ N haben alle positiven reellen Zahlen eine eindeutig1161
bestimmte k-te Wurzel in R+.1162
Beweis. Wegen der Supremumseigenschaft (Satz 1.12.7) hat fur jedes c ∈ R+ die Menge1163
{a ∈ R | ak ≤ c} ein eindeutiges Supremum x. Fur alle n ∈ N ist (x− 1/n)k ≤ c, denn wenn1164
(x−1/n)k > c ware, dann ware x−1/n eine kleinere Schranke der Menge als x und somit x1165
nicht das Supremum. Außerdem ist (x+ 1/n)k > c, denn falls (x+ 1/n)k ≤ c, ware x keine1166
obere Schranke der Menge. Also ist (x− 1/n)k ≤ c < (x+ 1/n)k und daher1167
lim
(x− 1
n
)k≤ c < lim
(x+
1
n
)k.
Wegen dem Grenzwertsatz fur Produkte (1.8.5.2) ist das gleichbedeutend mit1168 (lim
(x− 1
n
))k≤ c <
(lim
(x+
1
n
))kund somit1169
xk ≤ c ≤ xk beziehungsweise xk = c.
30 1. ZAHLEN UND FOLGEN
Also ist x die k-te Wurzel von c in R+. �1170
Fur m,n ∈ N und x ∈ R+ ist (xm)n = (xn)m = xmn. Aus1171
xm = (( n√x)n)m = (( n
√x)m)n
folgt1172
n√xm = ( n
√x)m,
was folgende Definition gerechtfertigt:1173
Definition 1.14.3. Fur m,n ∈ N und x ∈ R+ ist xmn := n
√xm = ( n
√x)m.1174
Lemma 1.14.4. Wenn x ∈ R und p, q ∈ Q, dann ist1175
xp < xq ⇐⇒ p < q, falls x > 1,1176
xp > xq ⇐⇒ p < q, falls 0 < x < 1.
Beweis. Wir schreiben p = mp/n und q = mq/n als ganzzahlige Bruche mit gemein-1177
samem Nenner. Wenn x > 1 folgt n√x > 1, denn n
√x ≤ 1 wurde ( n
√x)n = x ≤ 1n = 11178
implizieren. Somit ist mp < mq aquivalent zu1179
xp = ( n√x)mp < ( n
√x)mq = xq.
Wenn 0 < x < 1 ist n√x < 1 und mp < mq ist aquivalent zu1180
xp = ( n√x)mp > ( n
√x)mq = xq.
�1181
Beispiel 1.14.5. Es ist lim n√n = 1.1182
Beweis. Wir definieren xn = n√n−1. Diese xn sind alle positiv. Nach dem Binomischen1183
Lehrsatz ist1184
n = (1 + xn)n =
n∑k=0
(n
k
)xkn = 1 + nxn +
n(n− 1)
2x2n + . . .
Daraus folgen1185
n >n(n− 1)
2x2n
und1186 √2
n− 1> xn.
Also bilden die xn eine Nullfolge. �1187
Beispiel 1.14.6 (Ubungsbeispiel 23). Konvergiert die Folge (n(√n+ 1 −
√n))n∈N?1188
Wenn ja, wohin? Hinweis: Erweitern Sie in geeigneter Weise zu einem Bruch.1189
Beispiel 1.14.7 (Ubungsbeispiel 24). Zu einer beliebigen positiven reellen Zahl c sei die1190
Folge (xn)n∈N rekursiv definiert, indem fur x0 ein beliebiger positiver Wert gewahlt wird,1191
dessen Quadrat großer als c ist und fur n ≥ 1 ist1192
xn :=1
2
(xn−1 +
c
xn−1
).
Zeigen Sie, dass diese Folge in R gegen eine Zahl konvergiert, deren Quadrat c ist.1193
Hinweis: Zeigen Sie, dass alle xn positiv sind, dass x2n > c ist und danach, dass die Folge1194
monoton fallt. Da die Folge dann konvergiert, konnen Sie Grenzwertsatze anwenden.1195
Beispiel 1.14.8 (Ubungsbeispiel 25). Fortsetzung zu den Fionacci-Zahlen: Es sei xn1196
der Quotient der Fibonacci-Zahlen Fn+1/Fn. Zeigen Sie, dass die Folge (xn) konvergiert1197
und bestimmen Sie den Grenzwert. Welche Satze aus der Vorlesung verwenden Sie dabei?1198
1.15. KOMPLEXE ZAHLEN 31
1.14.9 (Theoriefrage 28). Zeigen Sie, dass jede naturliche Zahl fur jedes naturliche k1199
eine k-te Wurzel in R+ hat.1200
1.14.10 (Theoriefrage 29). Warum ist n√xm = ( n
√x)m fur alle m,n ∈ N und x ∈ R+?1201
Zeigen Sie fur p, q ∈ Q:1202
xp < xq ⇐⇒ p < q, falls x > 1,1203
xp > xq ⇐⇒ p < q, falls 0 < x < 1.
1.14.11 (Theoriefrage 30). Zeigen Sie, dass lim n√n = 1 ist.1204
1.15. Komplexe Zahlen1205
Definition 1.15.1. Die komplexen Zahlen C sind definiert als die Menge aller Paarereeller Zahlen zusammen mit den Verknupfungen
(a, b) + (c, d) = (a+ c, b+ d),
(a, b) · (c, d) = (ac− bd, ad+ bc).
Mit diesen Verknupfungen ist C ein Korper mit Nullelement (0, 0) und Einselement1206
(1, 0).1207
Definition 1.15.2. Der Realteil einer komplexen Zahl z = (a, b) ist Re(z) = a, der1208
Imaginarteil Im(z) = b und die Konjugierte z = (a,−b). Die Imaginare Einheit ist i = (0, 1).1209
Die reellen Zahlen werden als Teilmenge von C aufgefasst, wobei eine relle Zahl x der1210
komplexen Zahl (x, 0) entspricht. Den Umgang mit den vier Grundrechnungsarten in C set-1211
zen wir als bekannt voraus. Man beachte dass (0, 1) · (0, 1) = (−1, 0) ist. Anders geschrieben,1212
heißt das i2 = −1 bzw. i =√−1. Die Wurzel aus −1 ist also kein Mysterium, uber das es1213
sich zu philosophieren lohnt, sondern ein Element eines Zahlenbereichs, den wir auf einfache1214
Weise aus den reellen Zahlen erhalten.1215
Die komplexen Zahlen konnen als Ebene interpretiert werden. Der Betrag einer komple-1216
xen Zahl ist definiert wie die Lange des entsprechenden Vektors als |(a, b)| =√a2 + b2. Das1217
ergibt den Abstand zweier komplexer Zahlen als1218
|(a, b)− (c, d)| =√
(a− c)2 + (b− d)2.
Konvergenz komplexer Folgen wird ahnlich behandelt wie fur reelle Folgen, wobei statt1219
reeller Intervalle Kreisscheiben betrachtet werden, die uber diesen Abstandsbegriff definiert1220
sind.1221
Definition 1.15.3. Ein komplexe Folge (zn)n∈N heißt Cauchy-Folge, wenn es fur alle1222
reellen ε > 0 ein N gibt, sodass |zm − zn| < ε fur alle m,n ≥ N . Eine Menge U heißt1223
Umgebung von z, wenn es ε > 0 gibt, sodass1224
{y ∈ C : |z − y| < ε} ⊂ Uist. Die Folge konvergiert gegen z ∈ C, wenn sie in jeder Umgebung von z ab einer Stelle1225
enthalten ist. Aquivalent: Wenn es fur jedes ε > 0 ein N gibt sodass |z − zn| < ε fur alle1226
n ≥ N .1227
Lemma 1.15.4. Es seien zn = (an, bn) und z = (a, b) komplexe Zahlen, dann gilt:1228
lim zn = z ⇐⇒ lim an = a und lim bn = b.
Beweis. Es ist1229
lim zn = z ⇐⇒ lim |zn − z| = 0 ⇐⇒ lim√
(an − a)2 + (bn − b)2 = 0 ⇐⇒1230
lim(an − a)2 = 0 und lim(bn − b)2 = 0 ⇐⇒ lim an = a und lim bn = b.
�1231
Satz 1.15.5. Die komplexen Zahlen sind vollstandig.1232
32 1. ZAHLEN UND FOLGEN
Beweis. Es sei (zn) mit zn = (an, bn) eine komplexe Cauchy-Folge. Das heißt, fur alle1233
ε > 0 gibt es ein N , sodass |zm − zn| < ε fur alle m,n ≥ N . Dann ist1234
|zm − zn|2 = (am − an)2 + (bm − bn)2 < ε2
und folglich |am − an| < ε und |bm − bn| < ε. Das heißt, (an) und (bn) sind reelle Cauchy-1235
Folgen, die wegen der Vollstandigkeit von R (siehe Satz 1.12.6) konvergieren. Nach Lem-1236
ma 1.15.4 konvergiert auch (zn), was bedeutet, dass C vollstandig ist. �1237
Aus der Konstruktion der Zahlenbereiche N, Z, Q, R und C sehen wir, dass die mit Ab-1238
stand aufwandigste Konstruktion jene der reellen Zahlen ist. Die wichtigsten algebraischen1239
Eigenschaften, die diese Zahlenbereiche voneinander unterscheiden sind folgende:1240
N: In N kann addiert und multipliziert werden werden.1241
Z: In Z gibt es im Gegensatz zu N eine Umkehrung der Addition.1242
Q: In Q gibt es im Gegensatz zu Z eine Umkehrung der Multiplikation.1243
R: In R ist im Gegensatz zu Q jede Cauchy-Folge konvergent.1244
C: In C hat im Gegensatz zu R jedes Polynom eine Nullstelle.1245
Diese Eigenschaft von C nennt man algebraische Abgeschlossenheit. Was die rellen Zahlen1246
gegenuber C auszeichnet, ist, dass sie einen geordneten Korper bilden.1247
Die Erweiterungen der Zahlenbereiche ergeben sich auf naturliche Weise durch die alge-1248
braischen Eigenschaften, die im jeweiligen mathematischen Arbeitsbereich benotigt werden.1249
Zum Beispiel fur einfache Schluss- oder Prozentrechnungen im Alltag benotigen wir weder1250
Limiten noch stetige Funktionen, hier reichen rationale Zahlen vollkommen aus.1251
Beispiel 1.15.6 (Ubungsbeispiel 26). Sind die Folgen (xn)n∈N konvergent? Bestimmen1252
Sie die Menge der Haufungswerte.1253
(1) xn =
(3
4+
3i
4
)n(2) xn =
(2
3+
2i
3
)n(3) xn =
n
2n+ 1(1 + in)1254
Hinweis: Beispiel 1.7.10.3 gilt nicht nur fur rationale und reelle Folgen, sondern auch fur1255
komplexe Folgen. Warum ist das so? Verwenden Sie auch Lemma 1.15.4.1256
1.15.7 (Theoriefrage 31). Wie ist die Menge der komplexen Zahlen definiert? Leiten Sie1257
aus der Vollstandigkeit von R ab, dass C vollstandig ist.1258
1.16. Konvergenzkriterien fur Reihen1259
Definition 1.16.1. Eine Reihe∑∞k=0 ak ist definiert als Folge der Partialsummen1260
(sn)n∈N0 , wobei sn =∑nk=0 ak und ak ∈ R. Die Zahlen ak nennen wir Summanden der1261
Reihe.1262
Wir schreiben∑
statt∑∞k=0,
∑∞n=0,
∑∞i=0 usw., wenn klar ist, was der Summations-1263
index ist und der Index von 0 weg lauft.1264
Beispiel 1.16.2. Fur alle q 6= 1 lasst sich mit Induktion zeigen, dass1265
1 + q + q2 + . . .+ qn =1− qn+1
1− qist. Die sogenannte geometrische Reihe
∑qk ist nach Definition 1.16.1 die Folge1266 (
n∑k=0
qk
)n∈N0
=
(1− qn+1
1− q
)n∈N0
.
Wenn die Reihe∑ak konvergiert, bezeichnen wir mit
∑ak auch gleichzeitig ihren1267
Grenzwert, sofern das nicht zu Missverstandnissen fuhrt. Wenn∑ak bestimmt gegen ∞1268
divergiert, schreiben wir∑ak =∞.1269
Nach Beispiel 1.7.10.3 konvergiert die Folge (qn+1) genau dann, wenn |q| < 1 ist. Also1270
konvergiert die geometrische Reihe auch genau dann, wenn |q| < 1 ist, und zwar gegen 11−q .1271
1.16. KONVERGENZKRITERIEN FUR REIHEN 33
Satz 1.16.3 (Cauchy-Kriterium fur Reihen). Eine komplexe Reihe∑ak konvergiert1272
genau dann, wenn es fur alle ε > 0 ein N ∈ N gibt, sodass1273 ∣∣∣∣∣n∑
k=m
ak
∣∣∣∣∣ < ε
fur alle m,n ≥ N .1274
Beweis. Wegen der Vollstandigkeit der reellen Zahlen (Satz 1.12.6) konvergiert die1275
Folge der Partialsummen genau dann, wenn sie eine Cauchy-Folge ist, also wenn es fur alle1276
ε > 0 ein N gibt, sodass fur alle m− 1, n ≥ N1277
|sn − sm−1| =
∣∣∣∣∣n∑
k=m
ak
∣∣∣∣∣ < ε
ist, wobei wir n ≥ m annehmen. �1278
Korollar 1.16.4. Wenn∑∞k=0 ak konvergiert, ist die Folge ihrer Summanden (ak)k∈N0
1279
eine Nullfolge.1280
Beweis. Satz 1.16.3 gilt insbesondere fur m = n. Fur jedes ε > 0 ist daher |∑mk=m ak| =1281
|am| ≤ ε ab einer Stelle. �1282
Lemma 1.16.5. Eine Reihe mit positiven Summanden ist genau dann konvergent, wenn1283
sie beschrankt ist.1284
Beweis. Wenn die Summanden positiv sind, bilden die Partialsummen eine streng stei-1285
gende Folge. Wenn diese beschrankt ist, ist sie nach Satz 1.13.8 konvergent. �1286
Satz 1.16.6 (Minoranten- und Majorantenkriterium). Es sei∑bk eine reelle Reihe.1287
(1) Fur eine komplexe Reihe∑ak gilt: Wenn ab einer Stelle |ak| ≤ bk ist und
∑∞k=0 bk1288
konvergiert, dann konvergiert auch∑∞k=0 ak.1289
(2) Wenn∑ak eine reelle Reihe ist, ab einer Stelle 0 ≤ bk ≤ ak ist und
∑∞k=0 bk1290
divergiert, dann divergiert auch∑∞k=0 ak.1291
Beweis. Ob die Abschatzungen in (1) und (2) fur fast alle oder fur alle Summanden der1292
Reihe erfullt sind, macht fur ihr Konvergenzverhalten keinen Unterschied. Daher nehmen1293
wir der Einfachheit halber an, dass sie fur alle Summanden erfullt sind.1294
In (1) sind die Partialsummen∑nk=0 |ak| wegen1295
0 ≤n∑k=0
|ak| ≤∞∑k=0
bk
beschrankt. Daher konvergiert∑∞k=0 |ak| nach Lemma 1.16.5.1296
In (2) sind die Partialsummen∑nk=0 ak nicht beschrankt und
∑∞k=0 ak ist daher nach1297
Lemma 1.16.5 divergent. �1298
Definition 1.16.7. Die Reihe∑∞k=0 bk aus Satz 1.16.6 heißt in (1) konvergente Majo-1299
rante und in (2) divergente Minorante von∑∞k=0 ak.1300
Beispiel 1.16.8. Die Reihe1301
∞∑n=1
1
ns
divergiert fur s ≤ 1 und konvergiert fur 1 < s.1302
34 1. ZAHLEN UND FOLGEN
Beweis. Fur s = 1 ist
2k∑n=1
1
n= 1 +
1
2+
(1
3+
1
4
)︸ ︷︷ ︸
> 12
+
(1
5+
1
6+
1
7+
1
8
)︸ ︷︷ ︸
> 12
+ . . .+
(1
2k−1 + 1+ . . .+
1
2k
)︸ ︷︷ ︸
> 12
≥ 1 + k1
2.
Letzterer Term divergiert gegen∞, wenn k gegen∞ geht. Also divergieren auch die Partial-summen gegen ∞. Fur s < 1 ist 1/ns > 1/n nach Lemma 1.14.4, und
∑∞n=0 1/ns divergiert
nach Satz 1.16.6.2. Fur s > 1, ist
2k+1−1∑n=1
1
ns= 1 +
(1
2s+
1
3s
)︸ ︷︷ ︸≤2 1
2s
+
(1
4s+ . . .+
1
7s
)︸ ︷︷ ︸
≤22 122s
+ . . .+
(1
2ks+ . . .+
1
(2k+1 − 1)s
)︸ ︷︷ ︸
≤2k 1
2ks
≤ 1 +1
2s−1+
(1
2s−1
)2
+ . . .+
(1
2s−1
)k=
1− ( 12s−1 )k+1
1− 12s−1
<1
1− 12s−1
,
somit beschrankt und die Reihe nach Lemma 1.16.5 konvergent, wobei wir hier die Sum-1303
menformel fur die geometrische Reihe verwendet haben, siehe Beispiel 1.16.2. �1304
Die Reihe∑∞n=1 1/n wird harmonische Reihe genannt.1305
Definition 1.16.9. Eine Reihe∑∞k=0 ak heißt absolut konvergent, wenn
∑∞k=0 |ak| kon-1306
vergiert.1307
Lemma 1.16.10. Absolut konvergente Reihen konvergieren.1308
Beweis. Nach Satz 1.16.3 bedeutet absolute Konvergenz von∑∞k=0 ak, dass es fur alle1309
ε > 0 ein N gibt, sodass fur alle m,n ≥ N der Betrag |∑nk=m |ak|| < ε ist. Daraus folgt1310
durch die Dreiecksungleichung |∑nk=m ak| < ε, womit die Reihe konvergiert. �1311
Satz 1.16.11 (Leibnitz-Kriterium). Wenn (ak)k∈N0monoton fallend gegen 0 konver-1312
giert, dann konvergiert1313 ∑k∈N
(−1)kak = a0 − a1 + a2 − a3 + . . .
gegen eine Zahl s und |s− sn| ≤ an+1, genauer:1314
s2n − s ≤ a2n+1 und s− s2n+1 ≤ a2n+2,
wobei sn die n-te Partialsumme der Reihe bezeichnet.1315
Beweis. Fur die n-ten Partialsummen sn =∑nk=0(−1)kak gilt1316
s0 ≥ s2 ≥ s4 ≥ . . . und s1 ≤ s3 ≤ s5 ≤ . . .weil s2n+2 − s2n = a2n+2 − a2n+1 ≤ 0 und s2n+3 − s2n+1 = −a2n+3 + a2n+2 ≥ 0. Außerdem1317
ist1318
s2n ≥ s2n+1 und lim(s2n − s2n+1) = lim−a2n+1 = 0 bzw.1319
s2n+2 ≥ s2n+1 und lim(s2n+2 − s2n+1) = lim a2n+2 = 0.
Also ist1320
[s1, s0] ⊃ [s1, s2] ⊃ [s3, s2] ⊃ [s3, s4] ⊃ . . .eine Intervallschachtelung, in der (sn)n∈N liegt. Die Reihe konvergiert daher gegen eine Zahl1321
s und es ist |s− sn| ≤ |sn+1 − sn| = an+1. �1322
Anschaulich gesagt, springen die Partialsummen links-rechts-links usw. um den Grenz-1323
wert s und nahern sich diesem dabei.1324
1.16. KONVERGENZKRITERIEN FUR REIHEN 35
Beispiel 1.16.12. Die Reihe∑
(−1)n 1n konvergiert nach dem dem Leibnitz-Kiriterium1325
(Satz 1.16.11). Sie ist jedoch nicht absolut konvergent, weil die harmonische Reihe divergiert.1326
Satz 1.16.13 (Wurzel-Kriterium). Ist n√|an| ≤ c fur ein festes positives c < 1 ab einem1327
Index, dann ist∑an absolut konvergent. Wenn n
√|an| ≥ 1 fur unendlich viele n, dann1328
divergiert∑an.1329
Beweis. Wenn ab einer Stelle |an| ≤ cn ist, dann ist∑cn eine konvergente Majorante1330
von∑|an|. Wenn |an| ≥ 1 fur unendlich viele n, dann ist (an)n∈N keine Nullfolge und
∑an1331
divergiert. �1332
Satz 1.16.14 (Quotienten-Kriterium). Ist |an+1/an| ≤ c fur ein festes c < 1 ab einem1333
Index n, dann ist∑an absolut konvergent. Wenn |an+1/an| ≥ 1 ab einer Stelle, dann1334
divergiert∑an.1335
Beweis. Wenn |an+1/an| ≤ c ab einem Index N , dann ist |aN+1| ≤ c|aN | und |aN+2| ≤1336
c|aN+1| ≤ c2|aN |. Mittels Induktion folgt |aN+k| ≤ ck|aN | fur alle k ∈ N. Also ist |aN |∑cn1337
eine konvergente Majorante.1338
Wenn |an+1/an| ≥ 1 ab einer Stelle, dann ist die Folge der Betrage |an| steigend und1339
daher keine Nullfolge. �1340
Definition 1.16.15. Wenn k 7→ nk eine Bijektion N0 → N0 ist, nennen wir1341
∞∑k=0
ank
eine Umordnung der Reihe∑∞k=0 ak bzw.
∑∞n=0 an.1342
Beispiel 1.16.16. Die alternierende harmonische Reihe∑
(−1)n+1/n konvergiert nach1343
dem Leibnitz-Kriterium (Satz 1.16.11). Es ist1344
1− 1
2+
1
3+
(−1
4+
1
5
)︸ ︷︷ ︸
<0
+
(−1
6+
1
7
)︸ ︷︷ ︸
<0
+ · · · < 1− 1
2+
1
3=
5
6.
Fur die folgende Umordnung ist1345
1 +1
3− 1
2+
(1
5+
1
7− 1
4
)+
(1
9+
1
11− 1
6
)+ · · · > 1− 1
2+
1
3=
5
6,
weil fur alle k1346
1
4k − 3+
1
4k − 1− 1
2k> 0
ist. Das heißt, der Grenzwert einer Reihe kann sich durch Umordnung andern.1347
Satz 1.16.17 (Umordnungssatz). Wenn eine Reihe absolut konvergiert, dann konvergiert1348
auch jede ihrer Umordnungen und zwar gegen denselben Grenzwert.1349
Beweis. Es sei∑∞k=0 ank eine Umordnung von
∑an. Fur jedes N gibt es ein k, so-1350
dass {n0, n1, n2, . . . , nk} die Zahlen 0, 1, 2, . . . , N enthalt. Wenn m > k, dann treten die1351
Summanden a0, . . . , aN sowohl in∑mn=0 an als auch in
∑mi=0 ani auf. Also ist1352 ∣∣∣∣∣
m∑n=0
an −m∑i=0
ani
∣∣∣∣∣ ≤nm∑n=0
|an| −N∑n=0
|an|.
Da∑an absolut konvergiert, ist die rechte Seite der letzteren Ungleichung ab einem hin-1353
reichend großen N (und dementsprechend gewahlten k und m) kleiner als jedes positive ε.1354
Somit wird auch die linke Seite kleiner als jedes ε. Das bedeutet, dass auch die umgeordnete1355
Reihe konvergiert, und zwar gegen den Grenzwert der ursprunglichen Reihe. �1356
36 1. ZAHLEN UND FOLGEN
Beispiel 1.16.18 (Ubungsbeispiel 27). Sind folgende Reihen konvergent, sind sie absolut1357
konvergent?1358
(1)∑ (−1)n
n√n
(2)
∞∑n=0
(n!)2
(2n)!1359
Beispiel 1.16.19 (Ubungsbeispiel 28). Sind folgende Reihen konvergent, sind sie absolut1360
konvergent?1361
(1)∑ 1
2n+ 1(2)
∑ (−1)nn− 7
2n2 − 11362
Beispiel 1.16.20 (Ubungsbeispiel 29). Berechne1363
∞∑n=1
2
n2 + 3n.
Hinweis: Partialbruchzerlegung.1364
Beispiel 1.16.21 (Ubungsbeispiel 30). Drucken Sie den Wert der Reihe1365
∞∑n=1
1
(2n− 1)2durch
∞∑n=1
1
n2
aus.1366
Beispiel 1.16.22 (Ubungsbeispiel 31). Finden Sie eine Umordnung der Reihe1367
∞∑n=3
(−1)n+1
n,
deren Partialsummen alle negativ sind.1368
1.16.23 (Theoriefrage 32). Formulieren und beweisen Sie das Cauchy-Kriterium fur re-1369
elle Reihen und leiten Sie daraus ab, dass die Summanden einer konvergenten Reihe eine1370
Nullfolge bilden.1371
1.16.24 (Theoriefrage 33). Warum sind beschrankte reelle Reihen mit positiven Sum-1372
manden konvergent? Formulieren und beweisen Sie das Majoranten- und das Minoranten-1373
kriterium fur Reihen.1374
1.16.25 (Theoriefrage 34). Zeigen Sie, fur welche positiven s die Reihe∑
1ns konvergent1375
bzw. divergent ist.1376
1.16.26 (Theoriefrage 35). Formulieren und beweisen Sie das Leibnitz-Kriterium fur1377
Reihen. Geben Sie (ohne weiteren Beweis) ein Beispiel einer Reihe an, die nach dem Leibnitz-1378
Kriterum konvergent ist, die aber nicht absolut konvergiert.1379
1.16.27 (Theoriefrage 36). Formulieren und beweisen Sie das Wurzel-Kriterium fur Rei-1380
hen. Geben Sie (ohne weiteren Beweis) ein Beispiel einer Reihe an, die nach dem Wurzel-1381
Kriterum konvergiert.1382
1.16.28 (Theoriefrage 37). Formulieren und beweisen Sie das Quotienten-Kriterium1383
fur Reihen. Geben Sie (ohne weiteren Beweis) ein Beispiel einer Reihe an, die nach dem1384
Quotienten-Kriterum konvergiert.1385
1.16.29 (Theoriefrage 38). Formulieren und beweisen Sie den Umordnungssatz fur abso-1386
lut konvergente Reihen. Zeigen Sie durch ein Gegenbeispiel, dass dieser Satz im Allgemeinen1387
nicht fur alle konvergenten Reihen gilt.1388
1.17. DAS CAUCHY-PRODUKT VON REIHEN 37
1.17. Das Cauchy-Produkt von Reihen1389
Definition 1.17.1. Das Produkt (oder Cauchy-Produkt) der Reihen∑an und
∑bn ist1390
definiert als1391 ∑an∑
bn =
∞∑n=0
n∑k=0
akbn−k = (a0b0) + (a0b1 + a1b0) + (a0b2 + a1b1 + a2b0) + . . .
Eine Potenzreihe ist eine Reihe der Form∑anz
n. Die Zahlen an sind ihre Koeffizienten.1392
Die Notation∑an∑bn hat zwei Bedeutungen, denn abgesehen vom Cauchy-Produkt1393
kann damit auch der Zahlenwert des Produktes der Limiten gemeint sein, sofern diese exi-1394
stieren. Es sollte daher stets aus dem Zusammenhang klar sein, was mit dieser Schreibweise1395
gemeint ist.1396
Fur Potenzreihen sind die Koeffizienten∑nk=0 akbn−k des Cauchy-Produkts gerade die1397
Koeffizienten der Potenz zn:1398
∑anz
n∑
bnzn =
∞∑n=0
n∑k=0
akzkbn−kz
n−k =
∞∑n=0
(n∑k=0
akbn−k
)zn.
Das folgende Beispiel zeigt, dass das Produkt konvergenter Reihen nicht immer konver-1399
gent ist.1400
Beispiel 1.17.2. Die Reihe1401
∞∑n=1
(−1)n√n
= −1 +1√2− 1√
3+
1√4· · ·
konvergiert nach Satz 1.16.11. Das Produkt der Reihe mit sich selbst ist jedoch divergent:1402
∞∑n=1
(−1)n√n
∞∑n=1
(−1)n√n
=
1403
=1√1 · 1
−(
1√1 · 2
+1√2 · 1
)+
(1√1 · 3
+1√2 · 2
+1√3 · 1
)− · · ·
∞∑n=2
(n−1∑k=1
(−1)k√k
(−1)n−k√n− k
)=
∞∑n=2
(−1)nn−1∑k=1
1√k(n− k)
=
Wir erganzen k(n− k) = nk − k2 zu einem Quadrat1404
n2
4− nk + k2 = (
n
2− k)2 ≥ 0
und erhalten1405
k(n− k) ≤ n2
4bzw.
1
k(n− k)≥ 4
n2und
1√k(n− k)
≥ 2
n.
Also ist1406
n−1∑k=1
1√k(n− k)
≥n−1∑k=1
2
n=
2(n− 1)
n.
Letzterer Ausdruck konvergiert gegen 2, daher bilden die Summanden (−1)n∑n−1k=1
1√k(n−k)
1407
der Produktreihe keine Nullfolge. Folglich divergiert die Produktreihe.1408
Lemma 1.17.3. Das Produkt einer absolut konvergenten Reihe mit einer Reihe, die1409
gegen 0 konvergiert, konvergiert absolut gegen 0.1410
38 1. ZAHLEN UND FOLGEN
Beweis. Es sei∑an absolut konvergent und
∑bn konvergent gegen 0. Wir setzen1411
α =∑|an| und βn =
∑nk=0 bk. Die n-te Partialsumme des Produkts ist die Summe aller1412
Paare akbl mit k + l ≤ n, also1413
n∑k=0
k∑i=0
aibk−i = a0(b0 + . . .+ bn) + a1(b0 + . . .+ bn−1) + . . .+ an(b0) =
n∑i=0
aiβn−i.
Wegen limβn = 0 gibt es fur jedes ε > 0 ein N , sodass |βn| < ε fur alle n > N . Es ist1414 ∣∣∣∣∣n∑i=0
aiβn−i
∣∣∣∣∣ = |a0βn + a1βn−1 + . . .+ anβ0| ≤
1415
|a0|ε+ |a1|ε+ . . .+ |an−(N+1)|ε+ |an−NβN + . . .+ anβ0| ≤ αε+ |an−NβN + . . .+ anβ0| .Bei fest gewahltem ε und davon abhangigem festen N ist1416
limn→∞
|an−NβN + . . .+ anβ0| = 0
und daher1417
lim supn→∞
∣∣∣∣∣n∑i=0
aiβn−i
∣∣∣∣∣ ≤ αεfur jedes ε > 0. Also ist dieser Limes superior ein Limes und gleich Null. Das heißt,1418
|∑an∑bn| = 0 und somit
∑an∑bn = 0. �1419
Satz 1.17.4. Das Produkt einer absolut konvergenten Reihe mit einer konvergenten Rei-1420
he ist absolut konvergent und der Grenzwert des Produkts ist das Produkt der Grenzwerte.1421
Beweis. Es sei∑an absolut konvergent gegen α und
∑bn konvergent gegen β. Dann1422
konvergiert∑bn − β gegen 0. Nach Lemma 1.17.3 ist1423 ∑an
(∑bn − β
)= 0 und daher
∑an∑
bn =(∑
an
)β = αβ.
�1424
Beispiel 1.17.5 (Ubungsbeispiel 32). Zeigen Sie mithilfe von Satz 1.17.4, dass die Reihe1425
∞∑n=1
(−1)nn−1∑k=1
1
k2(n− k)
konvergent ist.1426
Beispiel 1.17.6 (Ubungsbeispiel 33). Bestimmen Sie (1) (an) und (2) (bn) so, dass1427
1
(1− z)2=
∞∑n=0
anzn und
1
(1− z)3=
∞∑n=0
bnzn
ist, wobei z ∈ C mit |z| < 1.1428
1.17.7 (Theoriefrage 39). Definieren Sie das Cauchy-Produkt von Reihen. Nach welchem1429
Kriterium konvergiert∑∞n=1(−1)n/
√n?1430
1.17.8 (Theoriefrage 40*). Zeigen Sie, dass das Cauchy-Produkt von∑∞n=1(−1)n/
√n1431
mit sich selbst divergiert.1432
1.17.9 (Theoriefrage 41*). Zeigen Sie, dass das Produkt einer absolut konvergenten1433
Reihe mit einer Reihe, die gegen 0 konvergiert, absolut gegen 0 konvergiert. Zeigen Sie, dass1434
dies auch gilt, wenn die zweite Reihe gegen eine andere Zahl als 0 konvergiert.1435
1.18. DIE EXPONENTIALREIHE 39
1.18. Die Exponentialreihe1436
Als Konvention definieren wir 00 = 1 und 0! = 1.1437
Definition 1.18.1. Die Exponentialfunktion ist definiert fur alle z ∈ C als1438
exp(z) =
∞∑n=0
zn
n!
Satz 1.18.2. Es konvergiert exp(z) fur alle komplexen z, es ist1439
(1) exp(0) = 11440
und fur alle z, w ∈ C gilt1441
(2) exp(z + w) = exp(z) exp(w),1442
(3) exp(z) 6= 0.1443
Fur alle x, y ∈ R ist1444
(4) exp(x) > 0,1445
(5) x < y ⇐⇒ exp(x) < exp(y).1446
Außerdem ist1447
(6) limn→∞
exp(n) =∞ und limn→∞
exp(−n) = 0.1448
Beweis. Aus der Definition von exp(z) folgt unmittelbar exp(0) = 1. Nach dem Quo-1449
tientenkriterium ist exp(z) fur alle komplexen z absolut konvergent, denn1450
lim supn→∞
zn+1n!
(n+ 1)!zn= lim sup
n→∞
z
(n+ 1)= 0.
Nach Satz 1.17.4 konvergiert daher das Produkt exp(z) exp(w) dieser Reihen und es ist
exp(z) exp(w) =
∞∑n=0
zn
n!
∞∑n=0
wn
n!=
∞∑n=0
n∑k=0
zkwn−k
k!(n− k)!
=
∞∑n=0
1
n!
n∑k=0
(n
k
)zkwn−k =
∞∑n=0
(z + w)n
n!= exp(z + w).
Aus exp(z) exp(−z) = exp(z − z) = exp(0) = 1 folgt1451
exp(−z) =1
exp(z)
und exp(z) 6= 0 fur alle komplexen z. Fur alle reelle Zahlen x folgt exp(x) > 0.1452
Wenn x > 0, folgt aus Definition 1.18.1, dass exp(x) > 1 ist. Wenn x, y ∈ R und x < y,1453
dann ist y = x+h und exp(y) = exp(x+h) = exp(x) exp(h), wobei exp(h) > 1 wegen h > 0.1454
Also ist exp(y) > exp(x).1455
Fur n ∈ N ist nach Definition 1.18.1 exp(n) > 1 + n und somit limn→∞ exp(n) = ∞.1456
Wegen exp(−n) exp(n) = 1 folgt limn→∞ exp(−n) = 0.1457
�1458
Definition 1.18.3. Die Eulersche Zahl ist definiert als e = exp(1).1459
Satz 1.18.4.
lim
(1 +
1
n
)n= e.
Beweis. Nach dem Binomialsatz ist1460 (1 +
1
n
)n=
n∑k=0
(n
k
)1
nn−k=
n∑k=0
n
n
n− 1
n. . .
n− (k − 1)
n
1
k!≤
n∑k=0
1
k!= e.
40 1. ZAHLEN UND FOLGEN
Daraus folgt lim sup(1 + 1
n
)n ≤ e. Andererseits ist fur m ≤ n1461 (1 +
1
n
)n≥
m∑k=0
(n
k
)1
nk=
m∑k=0
n
n
n− 1
n. . .
n− (k − 1)
n
1
k!.
Wenn wir in der letzten Summe m konstant und n gegen∞ gehen lassen, strebt diese Summe1462
gegen1463m∑k=0
1
k!.
Also ist1464
lim infn→∞
(1 +
1
n
)n≥∞∑k=0
1
k!= e.
Das heißt1465
lim inf
(1 +
1
n
)n≥ e ≥ lim sup
(1 +
1
n
)n,
woraus die Aussage folgt. �1466
Beispiel 1.18.5 (Ubungsbeispiel 34). Sind folgende Reihen konvergent?1467
(1)
∞∑n=0
( ∞∑k=0
(−1)k
k!
)n(2)
∑(n
n+ 1
)2n
1468
1.18.6 (Theoriefrage 42). Wie ist die Exponentialreihe exp(z) definiert? Zeigen Sie1469
exp(z) exp(w) = exp(z + w) fur alle z, w ∈ C und exp(x) > 0 fur alle x ∈ R.1470
1.18.7 (Theoriefrage 43). Zeigen Sie lim(1 + 1
n
)n=∑∞n=0
1n! .1471
KAPITEL 2
Stetigkeit1472
2.1. Metrische Raume1473
Definition 2.1.1. Wenn X eine Menge und d eine Abbildung X × X → R ist, dann1474
heißt das Paar (X, d) metrischer Raum, wenn fur alle x, y und z gilt:1475
(1) d(x, y) > 0 wenn x 6= y und d(x, x) = 0 (Definitheit),1476
(2) d(x, y) = d(y, x) (Symmetrie),1477
(3) d(x, y) + d(y, z) ≥ d(x, z) (Dreiecksungleichung).1478
Die Abbildung d heißt Metrik.1479
Beispiel 2.1.2. Alle bisher kennengelernten Zahlenbereiche N, Z, Q, R, C sowie alleTeilmengen davon sind metrische Raume. Auch R2 = R × R ist ein metrischer Raum, z.B.mit
d1((x1, y1), (x2, y2)) =√
(x2 − x1)2 + (y2 − y1)2,
d2((x1, y1), (x2, y2)) = |x2 − x1|+ |y2 − y1| oder
d3((x1, y1), (x2, y2)) = max{|x2 − x1|, |y2 − y1|}.
In der Ebene ist d1 der direkte euklidische Abstand und d2 ist die Lange eines kurzesten1480
Weges, der sich in waagrechte und senkrechte Teilabschnitte zerlegen lasst.1481
Definition 2.1.3. Wenn x ∈ X und ε > 0, dann heißt1482
Uε(x) = {y ∈ X | d(x, y) < ε}
offene ε-Umgebung von x im metrischen Raum (X, d). Ein Punkt x heißt innerer Punkt1483
einer Menge M ⊂ X und M heißt Umgebung von x, wenn M eine offene ε-Umgebung von x1484
enthalt. Die Menge M heißt offen, wenn sie nur aus inneren Punkten besteht, und sie heißt1485
abgeschlossen, wenn ihr Komplement X \M offen ist.1486
Beispiel 2.1.4. Offene Intervalle in Q bzw. in R sind offene Mengen, abgeschlossene1487
Intervalle sind abgeschlossene Mengen in Q bzw. in R. Die offene Kreisscheibe1488
{(x, y) ∈ R2 | (x− a)2 + (y − b)2 < r2}
mit Mittelpunkt (a, b) und Radius r ist eine offene Teilmenge von (R2, d1) mit d1 aus Bei-1489
spiel 2.1.2, aber auch bezuglich der anderen Abstandsfunktionen d2 oder d3.1490
Beispiel 2.1.5 (Ubungsbeispiel 35). Ist (R2, d) ein metrischer Raum fur1491
d((x1, y1), (x2, y2)) = (x2 − x1)2 + (y2 − y1)2?
2.2. Stetigkeit in metrischen Raumen1492
Definition 2.2.1. Wenn f eine Funktion X → Y ist, bezeichnet1493
f−1(A) = {x ∈ X | f(x) ∈ A}
das Urbild oder das f -Urbild der Menge A.1494
Es seien (X1, d1) und (X2, d2) metrische Raume und x0 ∈ X1. Eine Funktion X1 → X21495
heißt stetig in x0, wenn das Urbild jeder Umgebung von f(x0) eine Umgebung von x0 ist.1496
41
42 2. STETIGKEIT
Die Funktion heißt stetig auf einer Menge, wenn sie in jedem Punkt der Menge stetig ist,1497
und sie heißt stetig, wenn sie auf dem ganzen Definitionsbereich stetig ist.1498
Eine Funktion ist unstetig an einer Stelle, wenn sie an dieser Stelle definiert, aber nicht1499
stetig ist. Eine solche Stelle heißt Unstetigkeitsstelle.1500
Beispiel 2.2.2. Es seien f1, f2, f3, f4 : R → R Funktionen mit f1(x) = x, f2(x) = 11501
f3(x) = |x| und f4(x) = sign(x). Die Funktionen f1, f2, f3 sind auf ganz R stetig, f4 ist auf1502
R \ {0} stetig, jedoch unstetig in 0.1503
Fur x ∈ R und ein beliebiges ε > 0 betrachten wir die Urbilder der Umgebungen1504
(fi(x)− ε, fi(x) + ε).
Fur i = 1 ist das Urbild von (f1(x)− ε, f1(x) + ε) = (x− ε, x+ ε) gleich1505
f−11 ((x− ε, x+ ε)) = (x− ε, x+ ε)
und daher eine Umgebung von x. Also ist f1 stetig in jeder Stelle x.1506
Fur i = 2 ist das Urbild von (f2(x) − ε, f2(x) + ε) = (1 − ε, 1 + ε) gleich R und somit1507
eine Umgebung von jedem Punkt x. Also ist f2 stetig auf R.1508
Das f3-Urbild von (f3(x)− ε, f3(x) + ε) fur x 6= 0 ist (−x− ε,−x+ ε)∪ (x− ε, x+ ε) fur1509
ε < |x|. Fur x = 0 ist f3(0) = 0 und das f3-Urbild von (−ε, ε) ist wieder (−ε, ε) und somit1510
eine Umgebung von 0.1511
Die Funktion f4 ist auf R+ und auf R− stetig, weil sie dort konstant ist. Fur x < 01512
ist das Urbild jeder Umgebung von f4(x) = −1 gleich R− und wenn x > 0 ist das Urbild1513
jeder Umgebung von f4(x) = 1 gleich R+. Es ist (−1/2, 1/2) eine Umgebung von f4(0) = 0,1514
jedoch ist das Urbild dieser Umgebung {0} und somit keine Umgebung von 0. Daher ist 01515
eine Unstetigkeitsstelle von f4.1516
Die Funktion f : R \ {0} → R mit f(x) = 1/x ist auf ihrem ganzen Definitionsbereich1517
stetig. Es ware falsch zu sagen, dass die Funktion in 0 unstetig ist, weil sie dort nicht definiert1518
ist.1519
x
f1(x)f1(x) = x
x
f2(x)
f2(x) = c
x
f3(x)
f3(x) = |x|
x
f4(x)
f4(x) = sign(x)
Abbildung 1. Stetige und unstetige Funktionen
2.2. STETIGKEIT IN METRISCHEN RAUMEN 43
Definition 2.2.3. Ein Punkt x ∈ X in einem metrischen Raum (X, dX) heißt isoliert,1520
wenn er kein Haufungspunkt von X ist. In so einem Fall gibt es eine Umgebung von x, die nur1521
endlich viele Elemente hat. Wenn dies der Fall ist, dann gibt es ε > 0, sodass Uε(x) = {x}1522
ist. Anders formuliert: Der Punkt x ist genau dann isoliert, wenn {x} eine Umgebung von1523
x ist.1524
In einem isolierten Punkt p ist jede Funktion stetig, denn das Urbild jeder Umgebung1525
von f(p) enthalt p und ist daher eine Umgebung von p. Im Folgenden setzen wir fur alle1526
metrischen Raume voraus, dass sie keine isolierten Punkte haben. Solche metrischen Raume1527
werden auch perfekt genannt.1528
Definition 2.2.4. Es seien (X, dX) und (Y, dY ) metrische Raume, D ⊂ X, f : D → Y1529
eine Abbildung, p ein Haufungspunkt von D und q ∈ Y . Wir schreiben1530
limx→p
f(x) = q
oder f(x) → q fur x → p, falls es fur alle ε > 0 ein δ > 0 gibt, sodass fur alle x ∈ D mit1531
0 < dX(x, p) < δ die Ungleichung dY (f(x), q) < ε erfullt ist.1532
Anders formuliert: Wir schreiben limx→p f(x) = q, wenn es fur jede Umgebung V in Y1533
von q eine Umgebung U von p in X gibt, sodass f((U ∩D) \ {p}) ⊂ V ist.1534
Anschaulich formuliert ist der Limes einer Funktion an einer Stelle der Wert, gegen den1535
sich die Funktion annahert, wobei die Stelle p selbst außer Acht gelassen wird. Es kann p1536
sogar außerhalb des Definitionsbereichs D liegen.1537
Beispiel 2.2.5. Es sei f : R→ R gegeben durch1538
f(x) =
{1 wenn x = 0,
0 wenn x 6= 0.
Dann existiert limx→0 f(x) und ist gleich 0 und somit ungleich dem Funktionswert f(0) = 1.1539
x
f(x)
Abbildung 2. Funktion mit limx→0 f(x) 6= f(0)
1540
Die reelle Vorzeichenfunktion f mit f(x) = sign(x) aus Beispiel 2.2.2 hat in 0 jedoch1541
keinen Limes.1542
Gelegentlich wird der Funktionenlimes auch anders definiert und die Stelle selbst beruck-1543
sichtigt. In so einem Fall wird also verlangt, dass der Limes mit dem Funktionswert an der1544
betreffenden Stelle ubereinstimmt.1545
Satz 2.2.6. Es seien (X, dX) und (Y, dY ) metrische Raume ohne isolierte Punkte, f1546
eine Abbildung X → Y . Dann sind folgende Aussagen aquivalent:1547
(1) Die Funktion f ist stetig in p. Das heißt, fur jede Umgebung U von f(p) ist f−1(U)1548
eine Umgebung von p.1549
(2) Fur alle ε > 0 gibt es ein δ > 0, sodass dY (f(x), f(p)) < ε ist fur alle x mit1550
dX(x, p) < δ (“ε-δ-Definition” der Stetigkeit).1551
(3) Es ist limx→p f(x) = f(p).1552
44 2. STETIGKEIT
(4) Fur jede Folge (xn) in X mit limxn = p und xn 6= p ist lim f(xn) = f(p). (Fol-1553
genkriterium)1554
Beweis. Wenn (1) erfullt ist, dann ist fur jedes ε > 0 das Urbild f−1(Uε(f(p)) ei-1555
ne Umgebung von p. Folglich gibt es ein δ > 0 mit Uδ(p) ⊂ f−1(Uε(f(p)). Daraus folgt1556
f(Uδ(p)) ⊂ Uε(f(p)) und es ist dY (f(x), f(p)) < ε fur alle x mit dX(x, p) < δ. Also gilt1557
(1)⇒ (2).1558
Wenn (2) erfullt ist, gibt es fur alle ε > 0 ein δ > 0 mit f(Uδ(p)) ⊂ Uε(f(p)). Das1559
bedeutet nach Definition 2.2.4, dass limx→p f(x) = f(p) ist, also folgt Bedingung (3).1560
Angenommen es gilt (3) und limxn = p. Dann sei Uε(f(p)) eine beliebig kleine Umge-1561
bung von f(p). Nach Definition 2.2.4 gibt es δ > 0, sodass1562
f(Uδ(p)) ⊂ Uε(f(p)).
Wegen limxn = p liegt die Folge (xn) ab einer Stelle in Uδ(p) und daher die Folge (f(xn)) ab1563
einer Stelle in f(Uδ(p)) und somit in Uε(f(p)). Das bedeutet, dass (f(xn)) in jeder beliebig1564
kleinen Umgebung von f(p) ab einer Stelle liegt und gegen f(p) konvergiert, womit (3)⇒1565
(4) gezeigt ist.1566
Um die Implikation (4) ⇒ (1) zu zeigen, nehmen wir indirekt an, dass (4) erfullt und1567
(1) nicht erfullt ist. Dann gibt es eine Umgebung Uε(f(p)) von f(p), deren Urbild keine1568
Umgebung von p ist. Das heißt, es liegen Punkte x beliebig nahe bei p mit x /∈ f−1(Uε(f(p)))1569
bzw. f(x) /∈ Uε(f(p)). Daher existieren xn mit |xn − p| < 1/n und f(xn) /∈ Uε(f(p)). Somit1570
ist limxn = p, aber (f(xn)) konvergiert nicht gegen f(p). Das ist ein Widerspruch, folglich1571
muss (1) doch gelten.1572
Damit haben wir die Implikationskette (1) ⇒ (2) ⇒ (3) ⇒ (4) ⇒ (1) bewiesen. Das1573
bedeutet, die vier Aussagen sind aquivalent. �1574
Korollar 2.2.7. Es seien f und g komplexwertige Abbildungen auf einem metrischen1575
Raum, die stetig an einer Stelle p sind. Dann sind auch die Funktionen f + g und f · g stetig1576
in p und es ist limx→p(f(x)+g(x)) = limx→p(f+g)(x) bzw. limx→p(f(x)·g(x)) = limx→p(f ·1577
g)(x). Wenn g(x) 6= 0 fur alle x, dann ist auch f/g stetig in p und limx→p(f(x)/g(x)) =1578
limx→p(f/g)(x).1579
Beweis. Es sei f stetig in p und (xn) eine beliebige Folge mit limxn = p. Dann ist1580
nach Satz 2.2.6.4 lim f(xn) = f(p) und lim g(xn) = g(p). Mit Satz 1.8.5 folgt1581
lim(f + g)(xn) = lim(f(xn) + g(xn)) = lim f(xn) + lim g(xn) = f(p) + g(p) = (f + g)(p).
Daher ist f+g nach Satz 2.2.6 stetig in p. Dass f ·g und f/g stetig in p sind, folgt analog. �1582
Lemma 2.2.8. Fur alle N ∈ N und z ∈ C mit |z| ≤ N+22 ist1583
ez =
N∑n=0
zn
n!+RN+1(z) mit |RN+1| ≤ 2
|z|N+1
(N + 1)!.
Beweis.
RN+1(z) =
∞∑n=0
zn
n!−
N∑n=0
zn
n!=
∞∑n=N+1
zn
n!,
|RN+1(z)| ≤∞∑
n=N+1
|z|n
n!=|z|N+1
(N + 1)!
(1 +
|z|N + 2
+|z|2
(N + 2)(N + 3)︸ ︷︷ ︸≤ |z|2
(N+2)2
+ . . .)
≤ |z|N+1
(N + 1)!
∞∑k=0
(|z|
N + 2
)k≤
|z|≤N+22
|z|N+1
(N + 1)!
∞∑k=0
(1
2
)k= 2 · |z|
N+1
(N + 1)!.
�1584
2.2. STETIGKEIT IN METRISCHEN RAUMEN 45
Lemma 2.2.9. Die Exponentialfunktion ist stetig auf ganz C.1585
Beweis. Es sei p ∈ C und ε > 0. Dann ist1586
|ez − ep| = |epez−p − ep| = |ep| · |ez−p − 1|.Nach Lemma 2.2.8 ist fur N = 01587
|ez−p| ≤ 1 + 2|z − p| und |ep−z| ≤ 1 + 2|z − p| woraus |e|z−p|| ≤ 1 + 2|z − p|
folgt. Wegen e|z−p| ≥ 1 ist1588
|e|z−p|| − 1 = |e|z−p| − 1| ≤ 2|z − p|.Insgesamt erhalten wir1589
|ez − ep| = |ep| · |ez−p − 1| ≤ |ep| · 2|z − p|.Daher ist fur alle z mit |z − p| < ε/(2|ep|) =: δ der Betrag |ez − ep| < ε. Also ist die1590
Exponentialfunktion nach Satz 2.2.6.2 stetig. �1591
Satz 2.2.10. Es seien (X, dX) und (Y, dY ) metrische Raume und f : X → Y , dann ist1592
f genau dann stetig, wenn das Urbild jeder offenen Menge offen ist.1593
Beweis. Wenn das Urbild jeder offenen Menge offen ist, ist das Urbild einer offenen1594
Umgebung von f(p) offen und somit eine Umgebung von p. Also ist f stetig in p.1595
Es sei f stetig und O eine offene Menge in Y . Fur jedes p ∈ X mit f(p) ∈ O gibt es eine1596
offene Umgebung U(p) mit f(U(p)) ⊂ O. Das Urbild f−1(O) ist die Vereinigung all dieser1597
offenen Umgebungen und somit offen. �1598
Satz 2.2.11. Es seien (X, dX), (Y, dY ) und (Z, dZ) metrische Raume, g : X → Y und1599
f : g(X)→ Z. Wenn g stetig in p und f stetig in g(p) ist, dann ist auch f ◦ g stetig in p.1600
Beweis. Es sei p ∈ X und ε > 0 beliebig. Weil f stetig an der Stelle g(p) ist, gibt es1601
ein δ > 0, sodass1602
f (Uδ(g(p))) ⊂ Uε (f(g(p))) = Uε (f ◦ g(p)) .
Weil g stetig in p ist, gibt es ein η > 0, sodass1603
g (Uη(p)) ⊂ Uδ (g(p)) .
Daraus folgt1604
f ◦ g (Uη(p)) ⊂ Uε (f ◦ g(p)) .
Das bedeutet, dass f ◦ g stetig in p ist. �1605
Beispiel 2.2.12 (Ubungsbeispiel 36). Es seien f, f1, f2, f3 : R → R reelle Funktionen1606
mit f1(x) = f(−x), f2(x) = f(2x) und f3(x) = (x + 2). Wie sehen die Graphen von f1, f21607
und f3 im Vergleich zu jenem von f aus? Veranschaulichen Sie durch Skizzen.1608
Beispiel 2.2.13 (Ubungsbeispiel 37). Auf welcher Menge ist die Funktion f : R → R1609
mit1610
f(x) =
1, falls x < 0,
x, falls 0 ≤ x ≤ 1,
ex, falls x > 1,
stetig? Begrunden Sie, an welchen Stellen die Funktion nicht stetig ist, indem Sie von einer1611
Umgebung des Bildpunktes zeigen, dass sie die Definition der Stetigkeit nicht erfullt.1612
Beispiel 2.2.14 (Ubungsbeispiel 38). Es sei f : R→ R mit1613
f(x) =
{0, wenn x < 0,
1, fur x ≥ 0..
(1) Finden Sie eine Umgebung von 1, deren f -Urbild keine um Umgebung von 0 ist.1614
46 2. STETIGKEIT
(2) Finden Sie ein ε > 0, fur das es kein δ > 0 mit1615
|x− 0| < δ =⇒ |f(x)− f(0)| < ε
gibt.1616
(3) Finden Sie ein Folge (xn)n∈N in R \ {0} mit limn→∞ xn = 0, fur die (f(xn)) nicht1617
gegen f(0) konvergiert.1618
Beispiel 2.2.15 (Ubungsbeispiel 39). Zeigen Sie, dass e zwischen 2 und 3 liegt. Sie1619
konnen dafur die Restgliedabschatzung der Exponentialreihe verwenden.1620
2.2.16 (Theoriefrage 44). Was ist ein metrischer Raum? Wie ist Stetigkeit einer Funktion1621
zwischen metrischen Raumen an einer Stelle definiert? Zeigen Sie von einfachen gegebenen1622
Funktionen (ahnlich wie in Beispiel 2.2.2), dass sie unstetig bzw. stetig an einer Stelle sind.1623
2.2.17 (Theoriefrage 45). Es sei f eine Funktion zwischen metrischen Raumen. Wie1624
lautet die sogenannte ε-δ-Definition der Stetigkeit an einer Stelle? Definieren Sie den Limes1625
einer Funktion. Zeigen Sie, dass limx→p f(x) = f(p) ist, wenn f in p die ε-δ-Definition der1626
Stetigkeit erfullt.1627
2.2.18 (Theoriefrage 46). Wie lautet das Folgenkriterium fur die Stetigkeit von Funk-1628
tionen zwischen metrischen Raumen? Zeigen Sie, dass eine Funktion stetig ist, wenn sie das1629
Folgenkriterium erfullt.1630
2.2.19 (Theoriefrage 47*). Zeigen Sie eine Restgliedabschatzung fur die Exponentialreihe1631
und leiten Sie daraus ab, dass die komplexe Exponentialfunktion stetig ist.1632
2.2.20 (Theoriefrage 48). Zeigen sie, dass eine Funktion zwischen metrischen Raumen1633
genau dann stetig ist, wenn das Urbild jeder offenen Menge offen ist.1634
2.2.21 (Theoriefrage 49). Welche Resultate konnen verwendet werden um zu zeigen,1635
dass die Summe zweier stetiger Funktionen stetig ist? Zeigen sie, dass die Zusammensetzung1636
stetiger Funktionen stetig ist.1637
2.3. Stetigkeit reeller Funktionen1638
Zwei Eigenschaften zeichnen die reellen Zahlen gegenuber allgemeinen metrischen Raum-1639
en aus: Vollstandigkeit und lineare Ordnung. In diesem Kapitel behandeln wir Aussagen uber1640
reelle Funktionen, bei denen diese beiden Eigenschaften eine zentrale Rolle spielen.1641
Definition 2.3.1. Es sei D ⊂ R, p ein Haufungspunkt von D ∩ (p,∞) und f : D → R.1642
Dann schreiben wir1643
limx→p+
f(x) = q
wenn fur jede Folge (xn) in D ∩ (p,∞) die Folge (f(xn)) gegen q konvergiert und wir1644
nennen q den rechtsseitigen Grenzwert von f in p. Den linksseitigen Grenzwert von f in p1645
limx→p− f(x) = q definieren wir analog fur Folgen in D ∩ (−∞, p).1646
Wenn D unbeschrankt nach oben ist, ist der Grenzwert von f in Unendlich1647
limx→∞
f(x) = q,
wenn fur jede Folge in D, die bestimmt gegen ∞ divergiert, die Folge f(xn) gegen q konver-1648
giert. Analog definieren wir1649
limx→−∞
f(x) = q,
uber Folgen, die bestimmt gegen −∞ divergieren.1650
Wenn die Folgen f(xn) bestimmt divergieren, bezeichnen wir die entsprechenden unei-1651
gentlichen Limiten mit1652
limx→p±∞ und lim
x→±∞±∞.
2.3. STETIGKEIT REELLER FUNKTIONEN 47
Fur eine reelle Funktion existiert limx→p f(x) genau dann, wenn limx→p+ f(x) und1653
limx→p− f(x) existieren und limx→p+ f(x) = limx→p− f(x) ist. Die Funktion f ist genau1654
dann stetig in p, wenn limx→0+ f(x) = limx→0− f(x) = f(p) ist.1655
Beispiel 2.3.2. (1) Es ist limx→0+ sign(x) = 1 und limx→0− sign(x) = −1.1656
(2) Die Abbildung x 7→ 1/x ist auf R \ {0} definiert und es ist1657
limx→0+
1
x=∞, lim
x→0−
1
x= −∞ und lim
x→∞
1
x= limx→−∞
1
x= 0.
(3) Analog zu Beispiel 1.8.11 seien a0, a1, . . . , ak, b0, b1, . . . , bl Zahlen mit ak 6= 0, bl 6=1658
0, und f : D → R eine Funktion mit1659
f(x) =a0 + a1x+ a2x
2 + . . .+ akxk
b0 + b1x+ b2x2 + . . . blxl,
wobei D die Menge der reellen Zahlen ist, fur die obiger Nenner nicht Null ist.1660
Solche Funktionen werden auch rationale Funktionen genannt. Dann ist1661
limx→∞
f(x) =
akbl, falls k = l,
0, falls k < l,
∞, falls l < k und akbl> 0,
−∞, falls l < k und akbl< 0.
Die Falle k = l und k < l folgen aus Beispiel 1.8.11. Wenn l < k, erhalten wir1662
f(x) = xk−la0x−k + a1x
1−k + a2x2−k + . . .+ ak
b0x−l + b1x1−l + b2x2−l + . . . bl.
Der Grenzwertsatz 1.8.5 fur Folgen impliziert, dass der letztere Bruch gegen ak/bl1663
strebt. Angenommen, es ist ak/bl > 0, dann gibt es ein x0, sodass f(x) fur x > x01664
in der Umgebung (ak/(2bl),∞) von ak/bl liegt, wobei c = ak/(2bl) > 0 ist. Also ist1665
f(x) > cxk−l ≥ cx fur x ≥ x0. Fur x → ∞ strebt cx → ∞ und somit f(x) → ∞.1666
Der Fall ak/bl wird analog gezeigt.1667
Satz 2.3.3 (Zwischenwertsatz). Es sei f : [a, b]→ R eine stetige Abbildung.1668
Wenn f(a) ≤ f(b), dann gibt es fur alle q ∈ [f(a), f(b)] ein p ∈ [a, b] mit f(p) = q.1669
Falls f(b) ≤ f(a), dann gibt es fur alle q ∈ [f(b), f(a)] ein p ∈ [a, b] mit f(p) = q.1670
Beweis. Wir definieren eine Intervallschachtelung rekursiv durch I0 = [a, b] und wenn1671
In = [an, bn], dann setzen wir1672
In+1 = [an+1, bn+1] =
{[an,
bn+an2 ], wenn f
(bn+an
2
)≥ q und
[ bn+an2 , bn], wenn f(bn+an
2
)< q.
Fur alle n ∈ N ist somit f(an) ≤ q ≤ f(bn). Es sei p die reelle Zahl, die durch die Intervall-1673
schachtelung definiert ist. Dann ist1674
lim(an) = lim(bn) = p.
Weil f stetig ist, gilt1675
lim(f(an)) = lim(f(bn)) = f(p).
Nach dem Sandwich Theorem 1.8.7 folgt aus f(an) ≤ q ≤ f(bn), dass f(p) = q ist und somit1676
die erste Aussage des Satzes.1677
Wenn f(b) ≤ f(a), ist −f(a) ≤ −f(b) und die bereits bewiesene Aussage angewendet1678
auf −f liefert zu jedem −q ∈ [−f(a),−f(b)] ein p ∈ [a, b] mit −f(p) = −q und somit1679
f(p) = q. �1680
48 2. STETIGKEIT
Beispiel 2.3.4. Jede reelle Polynomfunktion mit ungeradem Grad hat eine Nullstelle.1681
Formal: Es sei f : R→ R eine Polynomfunktion ungeraden Grades, also1682
f(x) = c2n+1x2n+1 + . . .+ c0
mit c2n+1 6= 0 und n ≥ 0. Nach Beispiel 2.3.2.3 ist limn→∞ f(x) =∞ und limn→−∞ f(x) =1683
−∞, wenn c2n+1 > 0 bzw. limn→∞ f(x) = −∞ und limn→−∞ f(x) = ∞, wenn c2n+1 < 0.1684
Also gibt es ein Intervall [a, b] mit f(a) ≤ 0 ≤ f(b) oder ein Intervall [a, b] mit f(b) ≤ 0 ≤1685
f(a). Nach dem Zwischenwertsatz existiert ein p mit f(p) = 0.1686
Definition 2.3.5. Eine reelle Funktion f : D → R heißt beschrankt, wenn die Bildmenge1687
f(D) beschrankt ist.1688
Satz 2.3.6. Eine stetige Funktion auf einem abgeschlossenen Intervall ist beschrankt1689
und nimmt Supremum und Infimum ihres Wertebereichs an (und besitzt daher Minimum und1690
Maximum). Anders ausgedruckt: Wenn f : [a, b] → R stetig ist, dann gibt es p1, p2 ∈ [a, b],1691
sodass f(p1) ≤ f(x) ≤ f(p2) fur alle x ∈ [a, b].1692
Beweis. Wir definieren q2 = sup f([a, b]), wobei q2 ∈ R∪{∞}. Es sei (xn) eine beliebige1693
(nicht notwendigerweise konvergente) Folge in [a, b] mit lim f(xn) = q2. Nach dem Satz1694
von Bolzano-Weierstraß 1.13.5 gibt es eine konvergente Teilfolge (xnk) und es sei p2 =1695
limk→∞ xnk . Weil f stetig ist, ist limk→∞ f(xnk) = f(p2) = q2, also ist q2 ein reelle Zahl1696
und f(x) ≤ f(p2) fur alle x ∈ [a, b]. �1697
Beispiel 2.3.7. Die folgenden Beispiele zeigen, dass Satz 2.3.6 im Allgemeinen nicht1698
gilt, wenn eine der Voraussetzungen verletzt ist.1699
(1) Auf dem halboffenen Intervall (0, 1] ist f1 mit f1(x) = x zwar beschrankt, es hat1700
aber die Bildmenge f1((0, 1]) kein Minimum. Die Funktion f2 : x 7→ 1/x ist auf1701
diesem Intervall stetig, aber trotzdem unbeschrankt.1702
(2) Die Funktion f3 : [0, 1]→ R mit f3(x) = sign(x)−x ist zwar auf einem abgeschlos-1703
senen Intervall definiert und beschrankt, es ist sup f3([0, 1]) = 1, aber es gibt kein1704
p ∈ [0, 1] mit f(p) = 1. Die Funktion f3 ist nicht stetig in 0.1705
Korollar 2.3.8. Das stetige Bild eines Intervalls ist ein Intervall. Das stetige Bild eines1706
abgeschlossenen Intervalls ist ein abgeschlossenes Intervall.1707
Anders formuliert: Wenn I ein Intervall ist und f : I → R stetig ist, dann ist f(I) ein1708
Intervall. Ist I abgeschlossen, dann ist auch f(I) abgeschlossen.1709
Beweis. Dass das Bild f(I) einer stetigen Funktion f eines Intervalls I ein Intervall1710
ist, folgt aus dem Zwischenwertsatz 2.3.3: Angenommen f(I) ware kein Intervall, dann gabe1711
es y1 < q < y2 mit y1, y2 ∈ f(I) und q 6∈ f(I). Nach dem Zwischenwertsatz muss es aber ein1712
p ∈ I geben mit f(p) = q. Man beachte, dass Intervalle auch einelementig oder unbeschrankt1713
sein konnen.1714
Wenn I abgeschlossen und f stetig ist, dann ist nach Satz 2.3.6 f(I) = [f(p1), f(p2)]1715
mit f(p1) ≤ f(x) ≤ f(p2) fur alle x ∈ I. �1716
Beispiel 2.3.9. Der zweite Teil von Korollar 2.3.8 gilt nur fur abgeschlossene Intervalle.1717
Das stetige Bild eines offenen Intervalls kann offen oder abgeschlossen sein. Fur f1 mit1718
f1(x) = x ist jedes Bild eines offenen Intervalls offen.1719
Wenn f2(x) = c ist das Bild jedes Intervalls {c} = [c, c] und somit ein abgeschlossenes1720
Intervall.1721
Es sei der Graph f3 : (−2, 2) → R stuckweise linear zwischen den Punkten mit den1722
Koordinaten (−2, 0), (−1, 1), (1,−1), (2, 0), also1723
f3(x) =
x+ 2 fur − 2 < x ≤ −1,
−x fur − 1 < x ≤ 1,
x− 2 fur 1 < x < 2.
2.4. STETIGE UMKEHRABBILDUNGEN 49
Dann ist f3 stetig und f3((−2, 2)) = [−1, 1].1724
Beispiel 2.3.10 (Ubungsbeispiel 40). Es sei f : R \ {3} → R mit1725
f(x) =2x− 1
3− x.
Bestimmen Sie1726
limx→3+
f(x), limx→3−
f(x), limx→∞
f(x) und limx→−∞
f(x).
2.3.11 (Theoriefrage 50). Geben Sie ein allgemeines Kriterium, um limx→∞ f(x) fur1727
rationale reelle Funktion zu bestimmen, und wenden Sie dieses fur konkrete Beispiele an.1728
2.3.12 (Theoriefrage 51). Formulieren und beweisen Sie den Zwischenwertsatz.1729
2.3.13 (Theoriefrage 52). Zeigen Sie, dass eine stetige reelle Funktion auf einem ab-1730
geschlossenen Intervall Maximum und Minimum annimmt. Leiten Sie daraus mithilfe des1731
Zwischenwertsatzes ab, dass das stetige Bild eines abgeschlossenen Intervalls wieder ein ab-1732
geschlossenes Intervall ist.1733
2.4. Stetige Umkehrabbildungen1734
Definition 2.4.1. Fur eine Menge A bezeichnen wir mit idA die Identitat A→ A mit1735
x 7→ x. Wenn f : A→ B, g : f(A)→ A und g◦f = idA, dann nennen wir g Umkehrabbildung1736
von f und schreiben f−1 statt g.1737
Eine Abbildung f hat genau dann eine Umkehrabbildung, wenn sie injektiv ist. Wenn1738
f : A → B injektiv ist, dann ist f : A → f(A) bijektiv. Die Umkehrabbildung f−1 ist1739
ebenfalls bijektiv. Die Abbildung f ist auch die Umkehrabbildung von f−1. Es ist f−1 ◦ f =1740
idA und f ◦ f−1 = idf(A).1741
Satz 2.4.2. Eine stetige Abbildung auf einem Intervall ist genau dann injektiv, wenn1742
sie streng monoton ist.1743
Beweis. Jede Funktion f : [a, b]→ R, die streng monoton ist, ist injektiv. Angenommen1744
f ist injektiv und stetig. Wir nehmen indirekt an, f sei nicht streng monoton. Dann gibt1745
es x1, x2, x3 ∈ [a, b], x1 < x2 < x3 mit f(x1) ≤ f(x2) und f(x2) ≥ f(x3) oder mit f(x1) ≥1746
f(x2) und f(x2) ≤ f(x3). Im ersteren Fall gibt es fur jedes q ∈ [f(x1), f(x2)]∩ [f(x3), f(x2)]1747
Punkte p1, p2 mit x1 < p1 < x2 < p2 < x3 und f(p1) = f(p2) = q, im Widerspruch zur1748
Injektivitat von f . Im zweiten Fall folgt Gleiches fur q ∈ [f(x2), f(x1)] ∩ [f(x2), f(x3)]. �1749
Lemma 2.4.3. Die Umkehrfunktion einer streng monoton steigenden (bzw. fallenden)1750
reellen Funktion ist streng monoton steigend (bzw. fallend).1751
Beweis. Es sei f : D → R injektiv. Streng steigend zu sein, bedeutet fur f1752
x1 < x2 ⇐⇒ f(x1) < f(x2).
Fur f−1 und y1, y2 ∈ f(D) mit y1 = f(x1) und y2 = f(x2) folgt1753
f−1(y1) < f−1(y2) ⇐⇒ y1 < y2.
Also ist auf f−1 streng monoton steigend. Streng fallend zu sein, bedeutet fur f1754
x1 < x2 ⇐⇒ f(x1) > f(x2),
beziehungsweise1755
f−1(y1) < f−1(y2) ⇐⇒ y1 > y2.
�1756
Satz 2.4.4. Existiert die Umkehrabbildung einer stetigen Funktion auf einem Intervall,1757
dann ist sie stetig.1758
50 2. STETIGKEIT
Beweis. Nach Satz 2.4.2 sind f und f−1 streng monoton. Wir nehmen an, f ist steigend1759
auf dem Intervall I, dies gilt nach Lemma 2.4.3 auch fur f−1 auf f(I). Es sei q = f(p) ein1760
innerer Punkt von f(I) und ε > 0 beliebig mit (p− ε, p+ ε) ⊂ I. Wegen der Monotonie ist1761
f(p− ε) < f(p) = q < f(p+ ε).
Es gibt ein δ > 0 mit1762
f(p− ε) < q − δ < q + δ < f(p+ ε) bzw.
Uδ(q) ⊂ f(Uε(p)) und f−1(Uδ(q)) ⊂ Uε(p). Wenn f fallend ist, lauft der Beweis analog. �1763
Beispiel 2.4.5. Die reelle Exponentialfunktion ist nach Lemma 2.2.9 stetig und nach1764
Satz 1.18.2.5 streng monoton. Ihre Umkehrfunktion bezeichnen wir mit log und nennen sie1765
(naturlichen) Logarithmus. Der Logarithmus ist nach den Satzen 1.18.2.6 und 2.4.4 definiert1766
und stetig auf exp(R) = R+. Aus Satz 1.18.2.2 folgt fur x, y ∈ R1767
exp(log(x) + log(y)) = exp(log(x)) exp(log(y)) = xy und folglich1768
log(x) + log(y) = log(xy).
Außerdem ist log(xn) = n log(x).1769
Definition 2.4.6. Fur a ∈ R+ und x ∈ R definieren wir ax = ex log(a).1770
Dach dieser Definition folgt unmittelbar log(ax) = x log(a). Es ist ax eine Verallgemei-1771
nerung ganzzahliger Potenzen, denn fur n ∈ N ist1772
an = elog(an) = en log(a) = elog(a)+···+log(a) = elog(a) · · · elog(a) = a · · · a.
2.4.7 (Theoriefrage 53). Zeigen Sie, dass eine stetige Abbildung auf einem Intervall1773
genau dann injektiv ist, wenn sie streng monoton ist.1774
2.4.8 (Theoriefrage 54). Zeigen Sie, dass eine Umkehrabbildung einer stetigen reellen1775
Funktion stetig ist.1776
2.4.9 (Theoriefrage 55). Wie ist der reelle Logarithmus definiert? Aus welchen Satzen1777
konnen Sie ableiten, dass er stetig ist?1778
2.5. Limiten zu Exponentialfunktion und Logarithmus1779
Lemma 2.5.1. (1) Fur alle k ∈ N ist1780
limx→∞
ex
xk=∞, lim
x→∞
xk
ex= 0 und lim
x→0+xke1/x =∞,
denn fur x > 0 ist1781
ex =
∞∑n=0
xn
n!>
xk+1
(k + 1)!und daher
ex
xk>
x
(k + 1)!→∞ fur x→∞.
Daraus folgt unmittelbar limx→∞xk
ex = 0. Fur y = 1/x ist1782
limx→0+
xke1/x = limy→∞
ey
yk=∞.
(2) Es folgen1783
limx→∞
ex =∞ und limx→−∞
ex = 0,
aus dem entsprechenden Limes fur ganzzahlige n statt reeller x, siehe Satz 1.18.2.6,1784
sowie aus der Monotonie und der Stetigkeit der Exponentionalfunktion (Satz 1.18.2.5,1785
Lemma 2.2.9). Fur den Logarithmus (Beispiel 2.4.5) gilt daher1786
limx→∞
log(x) =∞ und limx→0+
log(x) = −∞.
2.6. TRIGONOMETRISCHE FUNKTIONEN 51
(3) Fur alle α ∈ R+ ist1787
limx→0+
xα = 0 und limx→0+
x−α =∞.
Die erste Aussage folgt aus xα = eα log(x) und (2). Die zweite Aussage folgt aus der1788
ersten.1789
(4) Fur alle α ∈ R+ ist1790
limx→∞
log(x)
xα= 0 und lim
x→0+xα log(x) = 0,
denn1791
limx→∞
log(x)
xα= limx→∞
log(x)
eα log(x)= limy→∞
y/α
ey=
1
αlimy→∞
y
ey= 0,
wobei y = α log(x). Daraus folgt außerdem1792
limx→0+
xα log(x) = limy→∞
log(1/y)
yα= limy→∞
− log(y)
yα= 0
mit y = 1/x.1793
(5) Fur alle x ∈ R ist1794
limh→0
eh − 1
h= 1 und lim
h→0
ex+h − ex
h= ex.
Die Restgliedabschatzung 2.2.8 von eh fur N = 1 mit |h| ≤ (N + 2)/2 = 3/21795
bedeutet1796
|eh − h− 1| ≤ 2|h|2
2!= h2
und somit1797 ∣∣∣∣eh − 1
h− 1
∣∣∣∣ =
∣∣∣∣eh − h− 1
h
∣∣∣∣ ≤ |h|,woraus die erste Aussage folgt. Schließlich ist1798
limh→0
ex+h − ex
h= ex lim
h→0
eh − 1
h= ex.
2.5.2 (Theoriefrage 56). Zeigen Sie limx→∞ex
xk=∞ fur alle k ∈ N sowie limx→∞
log(x)xα =1799
0 fur alle α ∈ R+.1800
2.5.3 (Theoriefrage 57). Zeigen Sie limh→0eh−1h = 1 unter Verwendung der Restglie-1801
dabschatzung der Exponentialfunktion.1802
2.6. Trigonometrische Funktionen1803
Es ist1804
eix =
∞∑n=0
inxn
n!= 1 + ix− x2
2− ix
3
3!+x4
4!+ i
x5
5!− x6
6!− ix
7
7!+x8
8!+ i
x9
9!− · · ·
Definition 2.6.1. Wir definieren Cosinus und Sinus als
cos(x) = Re(eix) =
∞∑n=0
(−1)nx2n
(2n)!= 1− x2
2+x4
4!− x6
6!+x8
8!− · · ·
sin(x) = Im(eix) =
∞∑n=0
(−1)nx2n+1
(2n+ 1)!= x− x3
3!+x5
5!− x7
7!+x9
9!− · · ·
Satz 2.6.2. Fur alle x ∈ R gilt:1805
(1) Die Reihen cos(x) und sin(x) sind absolut konvergent,1806
(2)|eix| = cos2(x) + sin2(x) = 1,
52 2. STETIGKEIT
(3)
cos(x) =eix + e−ix
2, sin(x) =
eix − e−ix
2i,
(4)
cos(x) = cos(−x) und sin(x) = − sin(−x),
(5) die Summenformeln lauten
sin(x± y) = sin(x) cos(y)± cos(x) sin(y),
cos(x± y) = cos(x) cos(y)∓ sin(x) sin(y),
(6)
cos(x)− cos(y) = −2 sinx+ y
2sin
x− y2
sin(x)− sin(y) = 2 cosx+ y
2sin
x− y2
.
(7) Sinus und Cosinus sind stetig.1807
Beweis. Die absolute Konvergenz folgt zum Beispiel aus dem Quotientenkriterium wie1808
fur die Exponentialfunktion. Es ist1809
cos2(x) + sin2(x) = (Re(eix))2 + (Im(eix))2 = |eix|2 = eixeix =1810
eix(
1− ix− x2
2+ i
x3
3!+x4
4!− · · ·
)= eix
∞∑n=0
(−i)nxn
n!= eixe−ix = e0 = 1.
Ebenfalls direkt aus der Reihendarstellung folgen (3) und (4). Es ist1811
cos(x+ y) + i sin(x+ y) = ei(x+y) = eixeiy = (cos(x) + i sin(x))(cos(y) + i sin(y)) =1812
(cos(x) cos(y)− sin(x) sin(y)) + i(sin(x) cos(y) + cos(x) sin(y)).
Durch den Vergleich von Real- und Imaginarteil dieser Gleichung ergibt sich (5). Die Aussage1813
fur x− y statt x+ y folgt aus (4). Fur1814
u =x+ y
2und v =
x− y2
bzw. x = u+ v und y = u− v
ist1815
cos(x)− cos(y) = cos(u+ v)− cos(u− v) =1816
cos(u) cos(v)− sin(u) sin(v)−(
cos(u) cos(v) + sin(u) sin(v))
=1817
−2 sin(u) sin(v) = −2 sinx+ y
2sin
x− y2
.
Die Aussage fur sin(x)− sin(y) folgt analog.1818
Nach Korollar 2.2.7 sind Sinus und Cosinus stetig, weil sie sich als Summe bzw. Differenz1819
der stetigen Exopnentialfunktionen darstellen lassen. �1820
In der komplexen Zahlenebene liegen die Punkte (cos(x), sin(x)) wegen Satz 2.6.2.21821
auf dem Einheitskreis. Daraus gibt sich das gewohnte Bild rechtwinkeligen Dreiecks mit1822
Hypthenusenlange 1.1823
Lemma 2.6.3. (1) Es ist cos(0) = 1 und cos(2) ≤ −1/3.1824
(2) Fur 0 < x ≤ 2 ist sin(x) > 0.1825
(3) Der Cosinus ist streng fallend auf [0, 2].1826
2.6. TRIGONOMETRISCHE FUNKTIONEN 53
Beweis. Zunachst ist klar, dass cos(0) = Re(ei0) = 1 ist. Die Reihe1827
cos(2) =
∞∑k=0
(−1)k22k
(2k)!
erfullt das Leibnitz-Kriterium 1.16.11, in dessen Notation ist s ≤ a0 − a1 + a2. Fur cos(2)1828
bedeutet das1829
cos(2) ≤ 1− 22
2!+
24
4!= 1− 2 +
2
3= −1
3.
Fur 0 < x ≤ 2 gilt fur die Reihe des Sinus s ≥ a0 − a1, also1830
sin(x) ≥ x− x3
6= x(1− x2
6) ≥ x(1− 4
6) =
x
3> 0,
womit (2) gezeigt ist. Es sei 0 ≤ x1 < x2 ≤ 2, dann ist1831
0 <x1 + x2
2≤ 2 und 0 <
x2 − x12
≤ 2.
Nach Satz 2.6.2.7 ist1832
cos(x2)− cos(x1) = −2 sinx1 + x2
2︸ ︷︷ ︸>0
· sin x2 − x12︸ ︷︷ ︸
>0
< 0
und der Cosinus daher fallend. �1833
Satz 2.6.4. Es gibt genau ein x0 ∈ [0, 2] mit cos(x0) = 01834
Beweis. Wegen cos(0) > 0 und cos(2) < 0 und weil cos stetig ist, gibt es nach dem1835
Zwischenwertsatz 2.3.3 ein x0 mit cos(x0) = 0. Dass der Cosinus auf [0, 2] keine weitere1836
Nullstelle hat, folgt aus seiner strengen Monotonie. �1837
Definition 2.6.5. Wir definieren die Zahl Pi als π = 2x0, wobei x0 die Nullstelle des1838
Cosinus aus Satz 2.6.4 ist.1839
Nach dieser Definition und nach Lemma 2.6.3 ist1840
cos(x) > 0 fur 0 ≤ x < π
2, cos
(π2
)= 0, cos(x) < 0 fur
π
2< x ≤ 2.
Nach Satz 2.6.2.2 ist cos2(x) + sin2(x) = 1 und daher sin(π2
)= 1. Daher ist1841
cos(kπ
2
)+ i sin
(kπ
2
)= eik
π2 = (ei
π2 )k =
(cos(π
2
)+ i sin
(π2
))k= ik.
Fur k = 0, 1, 2, 3, 4 erhalten wir die folgende Tabelle1842
x 0 π2 π 3π
2 2π
sin(x) 0 1 0 −1 0cos(x) 1 0 −1 0 1
Lemma 2.6.6. Fur alle x ∈ R gilt Folgendes:1843
(1) Cosinus und Sinus sind periodisch mit Periode 2π. Das heißt, es ist1844
cos(x+ 2π) = cos(x) und sin(x+ 2π) = sin(x).
(2) Es ist1845
cos(x+ π) = − cos(x) und sin(x+ π) = − sin(x),
(3)
cos(π
2− x)
= sin(x) und sin(π
2− x)
= cos(x),
(4)
cos(x) = 0 ⇐⇒ wenn x =π
2+ kπ und
1846
sin(x) = 0 ⇐⇒ x = kπ, wobei k ∈ Z.
54 2. STETIGKEIT
(5)
limx→0
cos(x)− 1
x= 0 und lim
x→0
sin(x)
x= 1.
Beweis. Wegen ei2π = i4 = 1 ist1847
cos(x+ 2π) = Re(ei(x+2π)) = Re(eixei2π) = Re(eix) = cos(x),1848
sin(x+ 2π) = Im(ei(x+2π)) = Im(eixei2π) = Im(eix) = sin(x),
somit ist (1) gezeigt. Wegen eiπ = i2 = −1 folgt (2) auf gleiche Weise. Aussage (3) folgt aus1849
eiπ2 = i, denn1850
cos(π
2− x)
= Re(ei(π2−x)) = Re(ei
π2 e−ix) = Re(i(cos(−x) + i sin(−x))) =
1851
Re(i cos(−x)− sin(−x)) = − sin(−x) = sin(x), bzw.1852
sin(π
2− x)
= Im(ei(π2−x)) = Im(ei
π2 e−ix) = Im((cos(−x) + i sin(−x))i) =
1853
Im(i cos(x)− sin(−x)) = cos(x).
Wir wissen, dass der Cosinus auf [0, π2 ) großer als 0 ist. Wegen cos(x) = cos(−x) gilt dies1854
auch fur (−π2 ,π2 ). Aus cos(x+π) = − cos(x) folgt, dass der Cosinus auf (π2 ,
3π2 ) kleiner als 01855
ist. Folglich hat er auf [−π2 ,3π2 ] genau die Nullstellen −π2 , π2 und 3π2 . Wegen der Periodizitat1856
folgt die Aussage (4) fur den Cosinus. Die Beziehung (3) impliziert nun (4) fur den Sinus.1857
Aus i = − 1i und den Definitionen von Cosinus folgt1858
cos(x)− 1
x= Im
(i(cos(x)− 1)
x
)= − Im
(cos(x)− 1
ix
)=
1859
− Im
(cos(x) + i sin(x)− 1
ix
)= − Im
(eix − 1
ix
).
Wenn h gegen 0 strebt, geht letzterer Ausdruck wegen Lemma 2.5.1.5 gegen − Im(1) = 0.1860
Ebenfalls nach Lemma 2.5.1.5 strebt1861
sin(x)
x= Re
(cos(x) + i sin(x)− 1
ix
)= Re
(eix − 1
ix
)gegen Re(1) = 1. �1862
Definition 2.6.7. Der Tangens ist die Funktion tan : R \ {π2 + kπ | k ∈ Z} → R mit1863
tan(x) =sin(x)
cos(x).
Der Cotangens ist cot : R \ {kπ | k ∈ Z} → R mit1864
cot(x) =cos(x)
sin(x).
Tangens und Kotangens sind ungerade Funktionen, das heißt tan(x) = − tan(−x) und1865
cot(x) = − cot(−x), was daraus folgt, dass der Sinus ungerade und der Cosinus gerade1866
ist. Auch die Periodizitat ubertragt sich von Sinus und Cosinus. Dass cos(x) auf [0, π2 ]1867
streng fallend ist folgt aus Lemma 2.6.3.3, der Sinus ist auf [0, π2 ] streng steigend. Also1868
ist der Tangens auf [0, π2 ) streng steigend, und weil er ungerade ist, auch auf (−π2 ,π2 ) streng1869
steigend. Somit ist der Tangens steigend auf den Intervallen (−π2 + kπ, π2 + kπ) fur k ∈ Z.1870
Der Cotangens ist fallend auf den Intervallen (kπ, (k + 1)π).1871
Außerdem ist tan((−π2 ,π2 )) = R und cot((0, π)) = R wegen des Zwischenwertsatzes 2.3.31872
und weil der Nenner an den Randpunkten der Intervalle gegen Null strebt, wahrend die1873
Zahler gegen -1 bzw. 1 streben.1874
Aus dem zuvor Gezeigten ergibt sich der folgende Satz.1875
2.6. TRIGONOMETRISCHE FUNKTIONEN 55
Satz 2.6.8. (1) Der Cosinus ist streng fallend auf [0, π], cos([0, π]) = [−1, 1], und1876
er besitzt eine streng abnehmende Umkehrfunktion, genannt Arcuscosiuns,1877
arccos : [−1, 1]→ [0, π].
(2) Der Sinus ist streng steigend auf [−π2 ,π2 ], sin([−π2 ,
π2 ]) = [−1, 1], und er besitzt1878
eine streng steigende Umkehrfunktion, genannt Arcussiuns,1879
arcsin : [−1, 1]→[−π
2,π
2
].
(3) Der Tangens ist streng steigend auf (−π2 ,π2 ), tan((−π2 ,
π2 )) = R, und er besitzt eine1880
streng steigende Umkehrfunktion, genannt Arcustangens,1881
arctan : R→(−π
2,π
2
).
2.6.9 (Theoriefrage 58). Wie sind Sinus und Cosinus definiert? Warum ist Cosinus eine1882
gerade und Sinus eine ungerade Funktion? Warum ist1883
cos2(x) + sin2(x) = 1
fur alle x ∈ R?1884
2.6.10 (Theoriefrage 59). Formulieren und beweisen Sie die Summenformeln fur1885
sin(x+ y) und cos(x+ y).
2.6.11 (Theoriefrage 60). Zeigen Sie, dass der Cosinus auf [0, 2] nicht mehr als eine1886
Nullstelle hat.1887
2.6.12 (Theoriefrage 61). Geben Sie eine kurze Begrundung fur1888
cos(kπ
2
)+ i sin
(kπ
2
)= ik,
mit k ∈ Z. Leiten Sie daraus die Werte des Sinus und Cosinus an den Stellen 0, π2 , π, 3π2 ab.1889
Zeigen Sie, dass Sinus und Cosinus die Periode 2π haben.1890
KAPITEL 3
Differentiation1891
3.1. Differenzierbarkeit1892
Definition 3.1.1. Es sei D ⊂ R eine Menge ohne isolierter Punkte und f eine Funktion1893
D → R. Fur ξ 6= x heißt1894
f(ξ)− f(x)
ξ − xDifferenzialquotient. Die Funktion f ist differenzierbar in x, wenn der Grenzwert1895
f ′(x) = limξ→x
f(ξ)− f(x)
ξ − xexistiert. Der Wert f ′(x) heißt Differenzialquotient oder Ableitung von f an der Stelle x.1896
Die Funktion heißt differenzierbar, wenn sie in allen Punkten von D differenzierbar ist. Die1897
Funktion f ′ : D → R heißt Ableitung von f .1898
Die Sekante uber dem Intervall [ξ, x] (bzw. [x, ξ]) ist die Gerade durch die Punkte1899
(ξ, f(ξ)) und (x, f(x)). Die Tangente an der Stelle x ist die Gerade im R2, die durch den1900
Punkt (x, f(x)) geht und die Steigung f ′(x) hat.1901
Der Differenzenquotient gibt die Steigung der Sekante uber dem Intervall [ξ, x] (bzw.1902
[x, ξ]) an.1903
Ableitung von Funktionen, die einen metrischen Raum auf C oder R abbilden, werden1904
auf dieselbe Weise definiert. Wir beschranken uns jedoch hier auf reelle Funktionen.1905
Anders angeschrieben, ist1906
f ′(x) = limh→0
f(x+ h)− f(x)
h.
Wenn eine Funktion f nur durch den Term ihrer Zuordnungsvorschrift gegeben ist, also1907
zum Beispiel y2z, und nicht klar ist, welcher Buchstabe die Variable ist, oder f auf Rn mit1908
mehreren Variablen definiert ist, dann macht es Sinn, die Variable in der Ableitung f ′ zu1909
spezifizieren. Man schreibt dann1910
df
dybzw.
df
dz.
Diese Notation ist in der Physik gangig, wo mit den Symbolen dy und dz oft gerechnet wird,1911
als waren es reelle Zahlen, auch wenn dies nicht der Fall ist.1912
Beispiel 3.1.2. (1) Fur die konstante Funktion f : R→ R, f(x) = c ist1913
f ′(x) = limh→0
f(x+ h)− f(x)
h= limh→0
c− ch
= 0.
(2) Wenn f(x) = cxn mit n ∈ N, dann ist1914
f ′(x) = limh→ 0
c(x+ h)n − cxn
h= c lim
h→ 0
1
h
(n∑k=0
(n
k
)hkxn−k − xn
)=
1915
c limh→ 0
1
h
n∑k=1
(n
k
)hkxn−k = c lim
h→ 0
n∑k=1
(n
k
)hk−1xn−k =
57
58 3. DIFFERENTIATION
1916
c limh→ 0
((n
1
)xn−1 +
n∑k=2
(n
k
)hk−1xn−k
)= c
(n
1
)xn−1 = cnxn−1.
(3) Fur f : R \ {0} → R mit f(x) = 1/x ist1917
f ′(x) = limh→0
1x+h −
1x
h= limh→0
x− (h+ x)
hx(h+ x)= limh→0
−1
x(h+ x)= − 1
x2.
(4) Aus der Additionseigenschaft der Exponentialfunktion 1.18.2.2 und dem Grenzwert1918
2.5.1.5 folgt1919
(ex)′ = limh→0
ex+h − ex
h= ex lim
h→0
eh − 1
h= ex · 1 = ex.
(5) Es ist1920
sin′(x) = limh→0
sin(x+ h)− sin(x)
hnach Satz 2.6.2.6 und Lemma 2.6.6.5 gleich1921
limh→0
2 cos(x+ h
2
)sin(h2
)h
= limh→0
cos
(x+
h
2
)limh→0
sin(h2
)h2
= cos(x),
wobei wir bei der Bildung der Limiten Lemma 2.6.6.5 verwendet haben. Fur den1922
Cosinus gilt1923
cos′(x) = limh→0
cos(x+ h)− cos(x)
h= limh→0
−2 sin(x+ h2 ) cos(h2 )
h=
1924
− limh→0
sin
(x+
h
2
)limh→0
sin(h2
)h2
= − sin(x).
Satz 3.1.3. Ist eine reelle Funktion differenzierbar an einer Stelle, dann ist sie dort1925
auch stetig.1926
Proof. Wenn f differenzierbar in x ist, gilt1927
limξ→x
(f(ξ)− f(x)) = limξ→x
(f(ξ)− f(x)
ξ − x· (ξ − x)
)=
1928
limξ→x
(f(ξ)− f(x)
ξ − x
)limξ→x
(ξ − x) = f ′(x) · 0 = 0
und somit limξ→x f(ξ) = limξ→x f(x) bzw. limξ→x f(ξ) = f(x). Daher ist f stetig in x. �1929
3.1.4 (Theoriefrage 62). Wie ist die Differenzierbarkeit einer Funktion an einer Stelle1930
definiert. Bestimmen Sie die Ableitung der Exponentialfunktion und die Ableitung von f1931
mit f(x) = xn, wobei n eine beliebige naturliche Zahl ist.1932
3.1.5 (Theoriefrage 63). Zeigen Sie, dass eine Funktion, die an einer Stelle differenzierbar1933
ist, dort auch stetig ist.1934
3.2. Erste Ableitungsregeln1935
Satz 3.2.1. Es seien f und g differenzierbare Funktion D → R, D ∈ R.1936
(1) Fur alle c, d ∈ R ist cf + dg differenzierbar und (cf + dg)′(x) = cf ′(x) + dg′(x).1937
(2) Produktregel: Es ist f · g differenzierbar und1938
(f · g)′(x) = f ′(x)g(x) + f(x)g′(x)
fur alle x ∈ D.1939
3.2. ERSTE ABLEITUNGSREGELN 59
(3) Quotientenregel: Es sei g(x) 6= 0 fur alle x ∈ D, dann ist f/g differenzerbar und1940 (f
g
)′(x) =
f ′(x)g(x)− f(x)g′(x)
g2(x).
Beweis. (1)
(cf + dg)′(x) = limh→0
cf(x+ h) + dg(x+ h)− (cf(x) + dg(x))
h=
1941
limh→0
cf(x+ h)− cf(x)
h+ limh→0
dg(x+ h)− dg(x)
h= cf ′(x) + dg′(x)
(2)
(f · g)′(x) = limh→0
1
h(f(x+ h)g(x+ h)− f(x)g(x)) =
1942
limh→0
1
h(f(x+ h)(g(x+ h)− g(x)) + (f(x+ h)− f(x))g(x)) = f(x)g′(x) + f ′(x)g(x),
wobei wir im letzten Schritt limh→0 f(x+ h) = f(x) verwenden, was gilt, da f in1943
x stetig ist und die Stetigkeit aus der Differenzierbarkeit folgt, siehe Satz 3.1.3.1944
(3) Es ist1945 (1
g(x)
)′= limh→0
1g(x+h) + 1
g(x)
h= limh→0
g(x)− g(x+ h)
hg(x)g(x+ h)=
1946
− limh→0
g(x+ h)− g(x)
hlimh→0
1
g(x)g(x+ h)= − g
′(x)
g(x)2.
Mit der Produktregel folgt1947 (f · 1
g
)′= f ′(x)
1
g(x)− f(x)
g′(x)
g(x)2=f ′(x)g(x)− f(x)g′(x)
g(x)2.
�1948
Beispiel 3.2.2. (1) Wenn f : R → R mit f(x) = a0 + a1x + a2x2 + . . . + anx
n1949
mit beliebigen ai ∈ R, ist f ′(x) = a1 + 2a2x + . . . + nanxn−1. Das folgt aus1950
Beispiel 3.1.2.2 und Satz 3.2.1.1.1951
(2) Fur f : R \ {0} → R mit f(x) = 1/xn und n ∈ N ist nach der Quotientenregel1952
Satz 3.2.1.21953
f ′(x) =
(1
xn
)=
0− nxn−1
x2n= −nx−n−1.
(3) Fur den Tangens tan : R \ (π2 + πZ)→ R gilt1954
(tanx)′ =
(sin(x)
cos(x)
)′=
cos(x) cos(x)− sin(x)(− sin(x))
cos2(x)=
cos2(x) + sin2(x)
cos2(x)=
1
cos2(x),
wobei wir die Ableitungen von Cosinus und Sinus (siehe Beispiel 3.1.2.5) und die1955
Quotientenregel verwenden.1956
Satz 3.2.3 (Kettenregel). Es sei D ⊂ R, f : D → R und g : f(D) → R. Wenn f in x1957
und g in f(x) differenzierbar ist, dann ist die Zusammensetzung g ◦ f differenzierbar in x1958
und1959
(g ◦ f)′(x) = g′(f(x)) · f ′(x).
Wir hatten gerne einen einfachen Beweis der Form1960
(g ◦ f)′(x) = limξ→x
g(f(ξ))− g(f(x))
ξ − x= limξ→x
g(f(ξ))− g(f(x))
f(ξ)− f(x)
f(ξ)− f(x)
ξ − x=
1961
limξ→x
g(f(ξ))− g(f(x))
f(ξ)− f(x)limξ→x
f(ξ)− f(x)
ξ − x= g′(f(x))f ′(x).
60 3. DIFFERENTIATION
Leider ist dieser “Beweis” falsch, denn f(ξ)−f(x) konnte gleich 0 sein, zum Beispiel f konnte1962
eine konstante Funktion sein und wir wollen, dass unsere Kettenregel auch fur stuckweise1963
konstante Funktionen gilt. Fur einen korrekten Beweis der Kettenregel benotigen wir ein1964
Hilfsmittel:1965
Definition 3.2.4. Die Sekantensteigungsfunktion g∗x einer in x differenzierbaren reellen1966
Funktion g definieren wir durch1967
g∗x(ξ) =
{g(ξ)−g(x)ξ−x wenn ξ 6= x
g′(x) wenn ξ = x.
Beweis von Satz 3.2.3. Wegen g(ξ)− g(x) = g∗x(ξ)(ξ − x) und limξ→x g∗x(ξ) = g′(x)1968
ist1969
(g ◦ f)′(x) = limξ→x
g(f(ξ))− g(f(x))
ξ − x= limξ→x
g∗x(f(ξ))(f(ξ)− f(x))
ξ − x=
1970
limξ→x
g∗x(f(ξ)) limξ→x
f(ξ)− f(x)
ξ − x= g′(f(x))f ′(x).
�1971
Das Symbol dx, dem wir bei der Integralrechnung in der Form∫f(x)dx noch begegnen1972
werden, steht fur Differenzen, die gegen 0 streben. Diese Notation bezieht sich zuachst nicht1973
auf eine Funktion, sondern auf einen Term, in dem x vorkommt. Dieser Term wird dann1974
in unserem Sinn als Funktion in x aufgefasst. In der Physik wird mit diesen Symbolen1975
oft gerechnet wie mit reellen Zahlen. Fur den “Beweis” der Kettenregel wurden Physiker1976
zunachst statt der Funktionsbezeichnungen f, g Termbezeichnungen wahlen, zum Beispiel1977
z(y(x)), wobei z als Term (Funktion) in y und y als Term (Funktion) in x gesehen wird.1978
Das dx-Rechenkalkul ergibt dann1979
z′(y)y′(x) =dz
��dy��dy
dx=dz
dx= z′(x),
wobei das Symbol dy so weggekurzt wird, als ware es eine feste reelle Zahl ungleich Null.1980
Definition 3.2.5. Ein Funktion heißt stetig differenzierbar, wenn sie differenzierbar1981
und ihre Ableitung stetig ist.1982
Beispiel 3.2.6. Es sei fn : N→ N mit1983
fn(x) =
{xn sin 1
x , wenn x 6= 0
0, wenn x = 0.
Fur welche n ∈ N ist fn stetig, differenzierbar oder stetig differenzierbar?1984
(1) Fur n = 0 ist f0(x) = sin(1/x) und f0 ist nicht stetig in 0, denn fur1985
xk =1
2πk + π2
ist limk→∞
xk = 0,
1986
jedoch fk(xk) = 1 und daher limk→∞
f(xk) = 1 6= 0 = f(0).
Interessant an diesem Beispiel ist, das der Funktionsgraph bzw. die Funktion1987
(d.h. die Menge aller Punkte (x, f0(x)) als Teilmenge des R2 topologisch zusam-1988
menhangend ist. Das heißt, er lasst sich nicht als Vereinigung zweier offener Mengen1989
darstellen.1990
(2) Fur n ≥ 1 ist f1(x) = xn sin(1/x) und limx→0 fn(x) = 0. Also ist fn in 0 stetig.1991
(3) Der Limes1992
limh→0
f1(h)− f1(0)
h= limh→0
1
hh sin
(1
h
)= limh→0
sin
(1
h
)existiert nicht, daher ist f1 nicht in 0 nicht differenzierbar.1993
3.2. ERSTE ABLEITUNGSREGELN 61
(4) Fur n ≥ 2 ist1994
f ′n(0) = limh→0
f1(h)− f1(0)
h= limh→0
hn−1 sin
(1
h
)= 0
und somit fn differenzierbar in 0.1995
(5) Fur n ≥ 2 und x 6= 0 ist1996
f ′n(x) = nxn−1 sin
(1
x
)− xn−2 cos
(1
x
).
Also ist f2 zwar uberall differenzierbar aber nicht stetig diffenrenzierbar in 0. Fur1997
n ≥ 3 hingegen ist fn auch stetig differenzierbar.1998
3.2.7 (Theoriefrage 64). Formulieren und beweisen Sie die Produkt- und die Quotien-1999
tenregel.2000
Literaturverzeichnis2001
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[12] H. Rinder, Analysis, Skriptum zur Einf. in die Analysis und zu Analysis 1 (teilw.), Fak. f. Math., Univ.2016
Wien, 2012.2017
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