Einfuhrung in die Analysis - homepage.univie.ac.at · 79 Landau schreibt 1929 im Vorwort zu seinen...

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1 Skriptum zur Vorlesung 2 Einf ¨ uhrung in die Analysis 3 von Bernhard Kr¨ on 4 Version vom 02.02.2014 5 Sommersemester 2013 6 VO LV-Nr.: 250053, 5 ECTS 7 UE LV-Nr.: 250054, 4 ECTS 8 http://homepage.univie.ac.at/bernhard.kroen/Analysis.html 9

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Skriptum zur Vorlesung2

Einfuhrung in die Analysis3

von Bernhard Kron4

Version vom 02.02.20145

Sommersemester 20136

VO LV-Nr.: 250053, 5 ECTS7

UE LV-Nr.: 250054, 4 ECTS8

http://homepage.univie.ac.at/bernhard.kroen/Analysis.html9

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Inhaltsverzeichnis10

Vorwort 111

Zum Vorlesungsaufbau 112

Einleitung 413

Kapitel 1. Zahlen und Folgen 714

1.1. Konstruktion und Axiomatik 715

1.2. Naturliche Zahlen 716

1.3. Ganze Zahlen 817

1.4. Zur Konstruktion der Zahlenbereiche 918

1.5. Rationale Zahlen 1019

1.6. Folgen 1220

1.7. Konvergenz und geometrische Folgen 1421

1.8. Cauchy-Folgen und Grenzwertsatze 1722

1.9. Intervallschachtelungen 2023

1.10. Reelle Zahlen 2124

1.11. Erweiterte reelle Zahlen 2425

1.12. Vollstandigkeit der reellen Zahlen 2526

1.13. Haufungswerte und Haufungspunkte 2727

1.14. Wurzeln 2928

1.15. Komplexe Zahlen 3129

1.16. Konvergenzkriterien fur Reihen 3230

1.17. Das Cauchy-Produkt von Reihen 3731

1.18. Die Exponentialreihe 3932

Kapitel 2. Stetigkeit 4133

2.1. Metrische Raume 4134

2.2. Stetigkeit in metrischen Raumen 4135

2.3. Stetigkeit reeller Funktionen 4636

2.4. Stetige Umkehrabbildungen 4937

2.5. Limiten zu Exponentialfunktion und Logarithmus 5038

2.6. Trigonometrische Funktionen 5139

Kapitel 3. Differentiation 5740

3.1. Differenzierbarkeit 5741

3.2. Erste Ableitungsregeln 5842

Literaturverzeichnis 6343

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Vorwort44

Auch wenn mehrere Personen einen langeren mathematischen Text genau korrigiert45

haben, werden sich beim erneuten Lesen wieder Fehler finden lassen. In diesem Sinne bitte46

ich Sie, dieses Skriptum aufmerksam zu studieren; berichten Sie mir Fehler, auch wenn es sich47

nur um Tippfehler handelt. Ich bin auch an kritischen Anmerkungen jeder Art zu Aufbau,48

fehlenden Beispielen oder zu unverstandlichen Argumenten interessiert. Ihre Kommentare49

werde ich laufend einarbeiten und immer wieder aktualisierte Fassungen des Skriptums50

auf http://homepage.univie.ac.at/bernhard.kroen/Analysis.html online stellen und51

zwar in zwei Versionen: mit Zeilennummerierung, die Ihnen helfen, auf Fehler hinzuweisen,52

und ohne Zeilennummerierung, fur eine optisch ungestorte Lekture. Herzlichen Dank an53

Lukas Hobel, Stefanie Hofbauer, Andreas Kalb, Florian Konig, Doris Laßnig, Peter Leitner,54

Christine Neuhuber, Christine Punner, Katrin Schonegger, Tobias Slowiak und Stephan55

Wastyn fur die Korrektur zahlreicher kleiner Fehler.56

Beispiele zu den Ubungen finden Sie im Text am Ende der Kapitel und noch einmal in57

gesammelter Form. Auch am Ende jedes Kapitels sind sogenannte Theoriefragen formuliert,58

die Ihnen bei der Vorbereitung zur Prufung helfen sollen.59

Ich halte mich im Aufbau an kein bestimmtes Lehrbuch. W. Rudins “Principles of60

Mathematical Analysis” [10] (nicht zu verwechseln mit seinem Buch “Real and Complex61

Analysis”) ist ein Standardwerk im englischsprachigen Raum und auf Deutsch als “Analy-62

sis” [8] erschienen (nicht zu verwechseln mit “Reelle und Komplexe Analysis”). Der deutsche63

Klassiker von H. Heuser [2] ist ausfuhrlich geschrieben und enthalt viele Beispiele. In der64

Literaturliste finden Sie weitere wichtige Lehrbucher zur Analysis, die meisten stammen65

aus dem deutschsprachigen Raum. Zu empfehlen ist auch das Vorlesungsskriptum [3] von66

G. Hormann und D. Langer, sowie als Nachschlagwerk zum Kurs “Einfuhrung in das mathe-67

matische Arbeiten” das gleichnamige Buch [11] von H. Schichl, R. Steinbauer. Dieser Kurs68

wird in der Vorlesung vorausgesetzt.69

Zum Vorlesungsaufbau70

Die folgenden Gedanken zum Aufbau der Lehrveranstaltung richten sich an die mathe-71

matisch erfahrenere Leserschaft. Im Weiteren setze ich nur die Lehrveranstaltung “Einfuhrung72

in das mathematische Arbeiten” voraus.73

Es gibt unzahlige Unterlagen und einfuhrende Bucher zur reellen Analysis und trotzdem74

habe ich mich entschlossen, ein neues Vorlesungsskriptum zu verfassen. Die Frage, wie die75

Vorlesung zur Analysis aufgebaut sein soll und insbesondere, wie reelle Zahlen eingefuhrt76

werden, beschaftigt die universitare Lehre seit dem ausgehenden 19. und fruhen 20. Jahr-77

hundert, als die Mathematik auf ein strenges formales Fundamet gestellt wurde. Edmund78

Landau schreibt 1929 im Vorwort zu seinen “Grundlagen der Analysis” [6]:79

“Dies Buchlein ist eine Konzession an die (leider in der Mehrzahl befindlichen) Kollegen,80

welche meinen Standpunkt in der folgenden Frage nicht teilen.81

Auch wer Mathematik hauptsachlich fur die Anwendungen auf Physik und andere Wis-82

senschaften lernt, also vielfach sich selbst weitere mathematische Hilfssatze zurechtlegen83

muß, kann auf dem betretenen Pfade nur dann sicher weiterschreiten, wenn er gehen gelernt84

hat, d.h. zwischen falsch und wahr, zwischen Vermutungen und Beweisen (oder, wie manche85

so schon sagen, zwischen unstrengen und strengen Beweisen) unterscheiden kann.86

Darum finde ich es (. . . ) richtig, daß der Studierende bereits im ersten Semester lernt,87

auf welchen als Axiomen angenommenen Grundtatsachen sich luckenlos die Analysis auf-88

baut und wie dieser Aufbau begonnen werden kann. Bei der Wahl der Axiome kann man89

bekanntlich verschieden verfahren; ich erklare es also nicht etwa fur falsch, sondern fur mei-90

nem personlichen Standpunkt fast diametral entgegengesetzt, wenn man fur reelle Zahlen91

zahlreiche der ublichen Rechengesetze als Axiome postuliert.”92

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Ganz ahnlich sieht das Charles Chapman Pugh in [7, Section 1.2] “The current mathe-93

matics teaching trend treats the real number system R as a given — it is defined axiomati-94

cally. Ten or so of its properties are listed, called axioms of a complete ordered field, and the95

game becomes: deduce its other properties from the axioms. This is something of a fraud,96

considering that the entire structure of analysis is built on the real number system. For what97

if a system satisfying the axioms failed to exist? Then one would be studying the empty set!98

However, you need not take the existence of the real numbers on faith alone — we will give99

a concise mathematical proof of it.”100

Landau geht von den Peano-Axiomen aus, wohingegen Pugh naturliche Zahlen ohne101

Axiomatik als gegeben annimmt. Wenn wir eine Mathematik betreiben wollen, in der Men-102

gen verwendet werden (und das wollen wir), dann stellt sich eine weitere Frage: Gibt es die103

(oder eine) Menge naturlicher Zahlen? Gibt es eine Menge, die die Peano-Axiome der naturli-104

chen Zahlen erfullt? Auch diese Frage muss beantwortet werden, auch wenn die Antwort105

einfach und kurz ist: Die Existenz einer solchen Menge folgt aus dem Unendlichkeitsaxiom106

der Zermelo-Fraenkelschen Mengenlehre. Und gibt es uberhaupt eine Menge? Eine solche107

Frage ist als mathematische Frage nicht ganz richtig gestellt, weil ein Objekt offenbar außer-108

halb der formalen Theorie in der realen Welt gesucht wird. Die Frage musste lauten: Ist das109

Axiomensystem der Mengenlehre widerspruchsfrei? Hier wird die Sache etwas komplizier-110

ter: Godel hat gezeigt, dass jedes hinreichend große widerspruchsfreie formale System die111

eigene Widerspruchsfreiheit nicht zeigen kann. Dies trifft auch auf die Zermelo-Fraenkelsche112

Mengenlehre zu. Das heißt, wenn wir mit ihr arbeiten, konnen wir nicht beweisen, dass sie113

widerspruchsfrei ist, auch wenn sie es wohl doch ist, woran niemand zweifelt.114

“Bei der Wahl der Axiome kann man bekanntlich verschieden verfahren;” (Landau, siehe115

oben). Man muss sich nur bewusst werden, welche die axiomatische Basis ist. Grundsatzlich116

ware es moglich, eine rein arithmetische Mathematik zu betreiben (zum Beispiel in der117

Zahlentheorie), in der es keine Mengen und auch keine Geometrie gibt, dann genugen die118

Peano-Axiome oder andere.119

Ein besonderes Axiom der Mengenlehre ist das Auswahlaxiom (axiom of choice), weil120

es die Existenz von Objekten impliziert, die nicht konstruktiv beschreibbar sind, weswegen121

es von manchen Mathematiker/innen vermieden oder gar abgelehnt wird. Mit ZFC wird die122

Zermelo-Fraenkelsche Mengenlehre (ZF) zusammen mit dem Auswahlaxiom (C) bezeichnet.123

Sie hat sich als machtige Grundlage der Mathematik etabliert. Zusammen mit der Pradika-124

tenlogik im Hintergrund lasst sich mit ihr die gesamte Mathematik in einer Theorie vereinen,125

das macht ZFC so attraktiv.126

Die fur uns relevanten Zahlenbereiche lassen sich aus ZF ableiten. Weder die Peano-127

Axiome noch die Axiome der reellen Zahlen als vollstandig geordneter Korper sind fur uns128

also eine Grundlegung der Zahlenbereiche, sondern nutzliche Charakterisierungen. Das heißt,129

sie helfen uns, Theoreme folgender Art zu formulieren: Die aus der Zermelo-Fraenkelschen130

Mengenlehre konstruierten Zahlenbereiche (insb. die naturlichen und die reellen Zahlen)131

erfullen (zusammen mit den darauf definierten Rechenoperationen) eine bestimmte Liste von132

Axiomen und jedes andere Objekt, das diese Axiome auch erfullt, ist isomorph zu den aus der133

Mengenlehre konstruierten Zahlenbereichen. Auch wenn die Axiomatiken der Zahlenbereiche134

keine Grundlegungen darstellen, dienen sie als Basislager auf halber Hohe des Berges, von135

dem aus wir den Gipfel besteigen konnen. Unten im Tal befinden sich Logik und Mengenlehre136

als Ausgangspunkt.137

Das erste Problem bei der von Landau empfohlenen Vorgehensweise ist der enorme138

Zeitaufwand, der notig ist um dies rigoros und vollstandig zu tun. Ich beschranke mich139

daher bei der Konstruktion der Zahlenbereiche aus der Mengenlehre auf wenige wesentliche140

Schritte und verzichte auf die in der Analysis sonst erforderliche Vollstandigkeit.141

Nachdem Rudin 1953 in [9] die reellen Zahlen zunachst rigoros uber Dedekindschnitte142

eingefuhrt hat, schreibt er in seinem Vorwort zur dritten Auflage [10] von 1976 uber das143

zweite, namlich das mathematisch-didaktische Problem bei der Konstruktion reeler Zahlen:144

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“Experience has convinced me that it is pedagogically unsound (though logically correct) to145

start off with the construction of the real numbers from the rational ones. At the beginning,146

most students simply fail to appreciate the need for doing this.”147

Die Vollstandigkeit ist die wichtigste der Eigenschaften, die die reellen von den rationalen148

Zahlen unterscheidet. Um sich der Bedeutung dieser Eigenschaft bewusst zu werden, habe ich149

gerade aus didaktischen Grunden nicht auf eine Konstruktion der reellen Zahlen verzichtet.150

Allerdings stelle ich diese nicht wie sonst ublich an den Beginn der Vorlesung, sondern151

arbeite erst eine Zeit nur mit rationalen Zahlen und behandle Konvergenz, Cauchy-Folgen152

und Grenzwertsatze bis wir an einen Punkt kommen, wo sich die Konstruktion der reellen153

Zahlen zwingend und gleichzeitig auf naturliche Weise ergibt. Allerdings muss man bei dieser154

Vorgehensweise spater an einer Stelle festhalten, dass vieles, was zuvor uber rationale Folgen155

gesagt wurde, nun auch fur reelle Zahlen gilt. Dies trifft auf alle Aussagen zu, die nur aus den156

Korperaxiomen abgeleitet wurden und die Eigenschaft rationaler Zahlen, dass sie Quotienten157

ganzer Zahlen sind, nicht verwenden.158

Anstatt den Aufbau der Mathematik auszublenden, sollte begrundet werden, warum159

es notwendig ist, ihn zu kennen. Gerade in allgemein bildenden Schulen sollte auch Platz160

fur Reflexionen uber das Fach an sich sein. Das mathematische Theoriegebaude dient als161

Beispiel einer Wissenschaft und hilft das Wesen der Wissenschaft besser zu verstehen. Es ist162

wichtig, auch in der Schule uber Moglichkeiten und Grenzen einer naturwissenschaftlichen163

Theorie nachzudenken und unterscheiden zu lernen zwischen Phanomenen der realen Welt164

und erklarenden Thesen, zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft, zwischen Glaube,165

Spekulation, Empirie und - wie im Fall der Mathematik - einer formalen Theorie. Deswegen166

sollten Lehrkrafte zumindest eine grobe Vorstellung davon haben, was das Theoriegebaude167

Mathematik ist, auch wenn Grundlagen der Mathematik in der Schule nicht standardmaßig168

unterrichtet werden.169

Wir mussen davon ausgehen, dass die meisten Studierenden spater nie eine Lehrveran-170

staltung uber Mengenlehre oder Grundlagen der Mathematik belegen werden und dass die171

Analysis ihre einzige Chance ist, einen Einblick in dieses Theoriegebaude zu bekommen.172

Die verbreitetsten Konstruktionen der reellen Zahlen sind jene mit Cauchy-Folgen und173

jene mit Dedekind-Schnitten. Man kann reelle Zahlen auch direkt uber Dezimalbruche174

einfuhren. Dedekind-Schnitte sind intuitiv leicht zu verstehen, das ist ihr Vorteil. Ein Nach-175

teil ist wohl, dass sie abgesehen von der Konstruktion der reellen Zahlen kaum eine Verwen-176

dung finden. Das heißt, es wird Zeit und Energie fur eine kleine Theorie investiert, deren177

einziger Zweck die Konstruktion der reellen Zahlen ist. Ich habe mich fur die Konzepte der178

Cauchy-Folgen und Intervallschachtelungen entschieden, weil diese auch im spateren Aufbau179

der Analysis von großer Bedeutung sind. Bis wir zu dem Punkt gelangen, wo wir reelle Zah-180

len als Aquivalenzklassen von Cauchy-Folgen definieren, muss viel gearbeitet werden. Diese181

Arbeit ist aber nicht umsonst, denn das Kapitel uber Folgen und Konvergenz wird im Laufe182

dieser Konstruktion bereits großteils abgearbeitet. Auch bekommen wir wichtige Satze wie183

jenen von Bolzano-Weierstrass im Zuge der Konstruktion praktisch geschenkt.184

Ich will mit dieser Vorlesung zeigen, wie die Konstruktion der reellen Zahlen auf naturli-185

che Weise motiviert und in den Aufbau der Analysis integriert werden kann, ohne den Um-186

fang der Lehrveranstaltung zu erhohen.187

Potenzen mit reellen Exponenten konnen bequem uber Exponentialfunktion und Lo-188

garithmus eingefuhrt werden. Wenn dafur erst Umkehrfunktionen und stetige Funktionen189

behandelt werden mussen, bedeutet das, dass die Exponentialfunktion erst relativ spat be-190

handelt wird. Die Exponentialreihe selbst spielt in verschiedenen Bereichen der Mathematik191

eine ganz zentrale Rolle. Aus diesem Grund behandle ich die Exponentialfunktion schon rela-192

tiv fruh im Kapitel uber Reihen. Um zu zeigen, dass ihre Umkehrfunktion auf allen positiven193

reellen Zahlen definiert ist, verwende ich den Zwischenwertsatz. Daher wird der Logarith-194

mus erst spater eingefuhrt. Wir wollen jedoch schon zu einem fruheren Zeitpunkt Wurzeln195

ziehen, zum Beispiel beim Wurzelkriterium fur Reihen. Wurzeln und rationale Exponenten196

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werden daher schon fruher direkt uber die Vollstandigkeit der reellen Zahlen definiert. An197

dieser Stelle konnten durch einen Grenzubergang direkt reelle Exponenten eingefuhrt wer-198

den (siehe z.B. [4, 2]), worauf ich aus Zeitgrunden in den Kapiteln zu Reihen verzichte, weil199

wir irrationale Exponenten ohnehin erst ab den Kapiteln zur Stetigkeit brauchen.200

Einleitung201

0.0.1. Die Frage nach dem “Was” und das Fundament. Was ist eine Funktion?202

Eine Funktion ist eine Relation. Und was ist eine Relation? Eine Relation ist eine Menge203

von Paaren. Egal bei welchem mathematischen Objekt wir die Frage nach dem “Was” stel-204

len, am Ende landen wir immer bei den Mengen. Mathematik beschaftigt sich nicht mit205

der Wirklichkeit, sondern mit formalen Modellen. Mengen haben sich als Einheitsmodell206

bewahrt. Mengen mit bestimmten Eigenschaften bekommen Namen, zum Beispiel “Funkti-207

on”. Die Frage, was in der realen Welt tatsachlich eine Funktion ist, stellt sich uns nicht. Fur208

ontologische Diskussionen ist in der Mathematik kein Platz, das ist Sache der Philosophie209

und auch dort ist umstritten, ob sie sinnvoll sind.210

Die zweite Zutat, mit der wir das Fundament der Mathematik errichten, ist die Logik.211

Moderne hohere Mathematik ist das Treffen von Aussagen uber Mengen, sonst nichts. Men-212

gen sind die Objekte, Logik ist die Sprache. So wie die Chemiker ihre Welt aus Atomen213

aufbauen, so bauen Mathematiker ihre Welt aus Mengen und Logik.214

Nun gibt es auch Kernphysiker, die nicht wissen wollen, was man aus Atomen bauen215

kann, sondern die auf der Suche nach dem Ursprung der Dinge Atome in moglichst kleine216

Einzelteile zerlegen. Wie sieht das in der Mathematik aus? Was passiert, wenn wir die Frage217

nach dem “Was” weiter treiben? Was ist eine Menge? Was ist eine Ausage? Was ist das218

Urteilchen der Mathematik? Irgendwann mussen wir ein Zeichen auf ein Papier machen, ein219

“x” oder ein “t”, ohne dabei sagen zu konnen, was das sein soll. Am Ende baut auch die220

strengste aller Wissenschaften auf etwas auf, das unsicher und unklar ist, uber das wir nichts221

wissen und nichts sagen konnen. Das letzte Urteilchen der Mathematik gibt es nicht. Ab der222

ersten Grundsteinlegung ist die Mathematik allerdings zu hundert Prozent sicher und, wenn223

wir so wollen, “wahr”. Das ist, was diese Wissenschaft vor allen anderen auszeichnet.224

Wie das Gebaude der Analysis auf das Fundament aus Mengenlehre und Logik aufgebaut225

wird, ist Inhalt dieser Vorlesung. Im ubertragenen Sinn: Dies ist eine Vorlesung uber Chemie226

und nicht uber Kernphysik.227

Die Kernphysik der Mathematik wird in Vorlesungen zu Mengenlehre und Logik behan-228

delt. Einige Aspekte daraus sind auch fur uns relevant. Ich will insbesondere dazu anregen,229

folgende Fragen zu geeigneten Zeitpunkten immer wieder zu stellen.230

(1) Wir konnen zwei Arten von Axiomensystemen unterscheiden: solche, die bis auf Iso-231

morphie ein eindeutiges Objekt bestimmen, von jenen Systemen, die eine moglichst232

allgemeine Klasse von Objekten bestimmen. Was sind Beispiele solcher Axiomen-233

systeme und worin besteht der Vorteil einer solchen Axiomatik?234

(2) Was besagen die Godelschen Unvollstandigkeitssatze und welche Auswirkungen235

haben sie fur die Mathematik?236

(3) Welche Folgen hat das Auswahlaxiom? Wie sind Objekte beschaffen, deren Exi-237

stenz mit dem Auswahlaxiom aber nicht ohne das Auswahlaxiom gezeigt werden238

kann?239

(4) Welche Probleme konnen sich ergeben, wenn Mathematik ohne axiomatisches Fun-240

dament betrieben wird und welche Probleme sind in fruheren Jahrhunderten auf-241

grund fehlender Axiomatiken aufgetreten?242

(5) In welchen Studienrichtungen sollten Logik, Mengenlehre oder zumindest die dar-243

auf basierende Konstruktion der Mathematik behandelt werden?244

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0.0.2. Mathematik von Menschenhand oder naturgegeben? Die reelle Analy-245

sis ist Ergebnis einer Entwicklung, die sich vom 17. Jahrhundert bis in das 19. Jahrhun-246

dert gezogen hat. Manche fundamentalen Erkenntnisse zu den Grundlagen der modernen247

Mathematik konnten erst im 20. Jahrhundert erlangt werden (z.B. die Godelschen Unvoll-248

standigkeitssatze). Ob Mathematik naturgegeben existiert und wir sie Schritt fur Schritt249

entdecken, oder ob Mathematik etwas ist, das der Mensch erschafft, ist eine philosophische250

und keine mathematische Frage. Unbestritten ist, dass es auch historische Grunde dafur251

gibt, dass das Gebaude der modernen Analysis ist so, wie es ist. Es konnte genauso gut ganz252

anders aussehen. Der Aufbau der heutigen Mathematik ist, uberspitzt formuliert, nur eine253

vorherrschende Lehrmeinung, die sich durchgesetzt hat. In der Nichtstandardanalysis wird254

beispielsweise mit unendlich kleinen Großen gerechnet und in der konstruktiven Mathematik255

auf das Auswahlaxiom verzichtet, denn es impliziert die Existenz von Objekten, die insofern256

pathologisch sind, als sie nicht genau beschrieben werden konnen. Die “vorherrschende Lehr-257

meinung” die in dieser Vorlesung prasentiert wird, behandelt “gewohnliche” reelle Zahlen258

(nicht jene der Nichtstandardanalysis) und verwendet bei Bedarf das Auswahlaxiom.259

Aber nicht nur wie die Analysis aufgebaut ist, sondern auch die Gestalt ihrer Grund-260

lagen (Mengenlehre und Logik) ist ein zum Teil zufalliges Produkt einer historischen Ent-261

wicklung. In diesem Sinn ist klar, dass die Mathematik als Theoriegebaude ein Werk von262

Menschenhand ist. Dass hingegen das Verhaltnis aus Kreisumfang und Kreisdurchmesser263

als Grenzwert von verschiedenen schonen Zahlenreihen auftritt, ist nicht uns Menschen zu264

verdanken, sondern das ist ein Wunder der Natur. In der aktuellen Forschung der reinen265

Mathematik haben gerade jene Teilgebiete, die die spektakularsten Erkenntnisse liefern und266

die meisten Forscherinnen und Forscher in ihren Bann ziehen, auch immer wieder verbluffen-267

de Anwendungen außerhalb der Mathematik bzw. tragen diese Teilgebiete externe (d.h. der268

realen Welt zuzurechnende) Inputs in sich. Es ist interessant danach zu fragen, ob dies daran269

liegt, dass tiefe Mathematik etwas Naturgegebenes ist, oder ob das eine Folge des Umstan-270

des ist, dass unsere Hirne Maschinen unserer Welt und unserer Korper sind und somit von271

Natur aus kaum andere interessante Modelle beschreiben konnen, als solche, die in unserer272

Welt Anwendung finden.273

0.0.3. Was ist Analysis? Das zentrale Objekt dieser Vorlesung sind reelle Funktio-274

nen, also Funktionen von R nach R. In weiteren Lehrveranstaltungen zur Analysis werden275

auch Funktionen in mehreren Veranderlichen betrachtet. In der komplexen Analysis (auch276

“Funktionentheorie” genannt) wird mit komplexen anstatt reellen Zahlen gearbeitet.277

Reelle Funktionen sind ein absolut unverzichtbares Modell in Naturwissenschaft, Technik278

und praktischen Anwendungen aller Art. Um als Mathematiker sinnvoll mit ihnen arbeiten279

zu konnen, mussen wir sie im “unendlich Kleinen” betrachten und verstehen, das heißt,280

wir zoomen mit einem Mikroskop immer tiefer und tiefer an einer Stelle hinein. Das ist die281

herausragende Eigenschaft der reellen Zahlen: Egal wo wir uns mit dem Mikroskop unendlich282

tief hineinzoomen, immer wird dort, wo wir das tun, am Ende etwas zu sehen sein, ein283

Punkt und kein Loch. Die Menge der reellen Zahlen ist aber nicht mit dieser Eigenschaft284

vom Himmel gefallen, sondern eben so konstruiert, dass sie diese Eigenschaft hat, dass sie285

eben keine “Locher” hat. Die Mathematiker nennen das Vollstandigkeit.286

Das sich-beliebig-nahe-Annahern heißt in der Mathematik Konvergenz. Sie steckt in al-287

len zentralen Begriffen der Analysis: in der Stetigkeit, der Ableitung, im Integral usw. Damit288

Konvergenz funktioniert, brauchen wir Zahlenbereiche, die keine “Locher” haben, die eben289

vollstandig sind. Um die zentralen Begriffe der Analysis wirklich zu begreifen, ist es also290

hilfreich, schon die reellen Zahlen zu begreifen und zu verstehen, warum Analysis mit ganz-291

zahligen Bruchen alleine nicht funktionieren kann, denn die Menge der ganzzahligen Bruche292

(die Menge der rationalen Zahlen) hat sehr wohl “Locher”. Betrachten wir die rationalen293

Zahlen als Zahlenstrahl und zoomen uns mit dem Mikroskop an jener Stelle in die Tiefe,294

wo die Zahlen, deren Quadrat großer 2 ist, auf die Zahlen treffen, deren Quadrat kleiner als295

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2 ist, dann zeigt sich an dieser Stelle ein Loch. Es gibt keinen ganzzahligen Bruch, dessen296

Quadrat gleich 2 ist.297

Eine offene Kugel ist die Menge aller Punkte, die zu einem bestimmten Punkt (dem298

Mittelpunkt) einen Abstand haben, der kleiner als der gegebene Radius ist. Im dreidimen-299

sionalen Raum, sind Kugeln das, was wir uns gemeinhin unter Kugeln vorstellen. In der300

Ebene sind offene Kugeln Kreisscheiben ohne Randlinie und am Zahlenstrahl sind Kugeln301

offene Intervalle (ohne Randpunkte). Ein innerer Punkt einer Menge ist ein Punkt, der Mit-302

telpunkt einer Kugel (bzw. eines Intervalls) ist, welche ganz in der Menge enthalten ist. Im303

Gegensatz zu den inneren Punkten beruhren Randpunkte einer Menge den Bereich außer-304

halb der Menge. Wenn eine Menge nur aus inneren Punkten besteht, nennen wir sie offen.305

Beispiele sind offene Intervalle aber auch Vereinigungen von offenen Intervallen. Offene Men-306

gen sind Gegenstand der Topologie, der Lehre von der Gestalt von Objekten und Raumen.307

In der Topologie werden offene Mengen nicht uber Kugeln sondern allgemeiner durch eine308

Axiomatik definiert.309

Begriffe wie offene Mengen, Kompaktheit, Konvergenz oder Stetigkeit sind Grundbegriffe310

der Topologie. Wenn Studierenden die Analysis beigebracht wird, gibt es zwei Ansatze:311

Entweder man geht der Terminologie der Topologie soweit wie moglich aus dem Weg und312

jongliert stattdessen vermehrt mit kleinen Parametern (meist ε und δ), oder man versucht,313

diese manchmal technisch erscheinenden Rechnungen mit Parametern zu vermeiden und314

greift auf die Terminologie der Topologie zuruck. Topologische Grundbegriffe im Kontext315

reeller Zahlen zu begreifen, bedeutet zwar, eine gewisse Abstraktion vollziehen zu mussen,316

dies ist jedoch ohnehin notwendig, um die notigen Grundvorstellungen zu entwickeln. Ist317

dieser Schritt der topologischen Abstraktion einmal getan, werden die Grundbegriffe besser318

verstandlich und mit ihnen zu arbeiten wird leichter.319

Die Analysis ist gepragt durch das Aufeinandertreffen von Arithmetik und Topologie,320

von konkreten Rechnungen und abstrakten Uberlegungen, in deren Mittelpunkt der Grenz-321

wertbegriff steht.322

0.0.4. Bevor wir beginnen. Kommen Sie nicht in Versuchung, zu glauben, dass es323

ausreicht, sich beim Studieren auf die rechnerischen Aspekte der Analysis zu beschranken.324

Ihre wichtigste Aufgabe ist es, die theoretischen Grundbegriffe gut zu verstehen und sie in325

Beweisen anwenden zu konnen. Lernen Sie nichts auswendig, sondern bemuhen Sie sich zu326

verstehen.327

Es ist in diesem Kurs nicht moglich, das Semester auch nur ein paar Wochen ohne inten-328

sive Arbeit vorruber ziehen zu lassen, um dann vor der Prufung punktuell den versaumten329

Stoff nachzuholen. Der Stoff ist aufbauend. Sie mussen theoretische Konzepte verinnerlichen330

und sich mit ihnen aktiv auch im Rahmen der Ubungen auseinandersetzen, um Sicherheit331

zu gewinnen. Das erfordert viel Zeit. Ein oder zwei Vorlesungen zu versaumen und den Stoff332

nicht nachzuholen, kann bereits dazu fuhren, dass Sie den Anschluss verlieren.333

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KAPITEL 1

Zahlen und Folgen334

1.1. Konstruktion und Axiomatik335

Von der Schule kommend mussen wir uns davon verabschieden, Zahlen als etwas bloß336

Naturgegebenes zu behandeln. Jeder weiß zwar, wie man Schafe zahlt, 1, 2, 3,. . . , aber was337

ist diese Eins, was ist dieser Zweier? Im Alltagsgebrauch ist es nicht notwendig, den Begriff338

einer Zahl zu prazisieren, aber in der hoheren Mathematik hat sich eine rein anschauliche339

Herangehensweise als nicht praktikabel erwiesen. Wenn wir ohne klare Definitionen komplexe340

Mathematik betreiben wollen, entstehen schnell Missverstandnisse und Widerspruche.341

Naturliche, ganze, rationale, relle und komplexe Zahlen sowie ihre grundlegenden Ei-342

genschaften sind Stoff der Lehrveranstaltung “Einfuhrung in das mathematische Arbeiten”.343

Die Konstruktionen der Zahlen werden in dieser Einfuhrung in die Analysis in kurzgefasster344

Form dargestellt und nur einzelne Punkte genauer besprochen. Fur eine ausfuhrlichere Dar-345

stellung sei auf [11, Kapitel 6] verwiesen. Auch die im Folgenden erwahnten Axiomensysteme346

konnen dort nachgelesen werden.347

Die Zahlenbereiche benotigen keine axiomatische Grundlegung, sondern werden auf348

Mengenlehre und Pradikatenlogik aufgebaut und danach axiomatisch charakterisiert. Wich-349

tig sind vor allem die Peano-Axiome der naturlichen Zahlen sowie die Axiome eines vollstandig350

geordneten Korpers fur die reellen Zahlen.351

1.2. Naturliche Zahlen352

Das Fundament, auf das wir aufbauen, besteht aus Mengenlehre und Logik. Mengen wer-353

den heute meistens durch das sogenannte Zermelo-Fraenkelsche Axiomensystem eingefuhrt,354

welches Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde.355

Die leere Menge, die mit { } oder ∅ bezeichnet wird, ist ein Urteilchen der hoheren356

Mathematik. Das Unendlichkeitsaxiom ist eines der Zermelo-Fraenkelschen Axiome und be-357

sagt, dass es eine Menge M gibt, die die leere Menge als Element enthalt, und die mit jedem358

ihrer Elemente x auch die Menge x∪{x} enthalt. Eine Menge, die das Unendlichkeitsaxiom359

erfullt, enthalt die leere Menge ∅ und somit auch ∅ ∪ {∅} = {∅}. Da sie {∅} enthalt, muss360

sie nach dem Unendlichkeitsaxiom auch {∅} ∪ {{∅}} = {∅, {∅}} enhalten, usw. Die Menge361

der naturlichen Zahlen inklusive der Null ist definiert als der Durchschnitt aller Mengen,362

die das Unendlichkeitsaxiom erfullen:363

N0 := {∅, {∅}, {∅, {∅}}, {∅, {∅}, {∅, {∅}}}, . . .},

das ist die Menge die nur das enthalt, was sie enthalten muss um das Unendlichkeitsaxiom364

zu erfullen - und nicht mehr. Fur x in N0 heißt x ∪ {x} der Nachfolger von x, er wird mit365

x′ bezeichnet.366

Definition 1.2.1. Die Abbildung + : N0 × N0 → N0 ist rekursiv gegeben durch367

(1.2.1.1) +(x, ∅) = x und368

(1.2.1.2) +(x, y′) = +(x, y)′.

Den Elementen von N0 geben wir Namen. Wir schreiben 0 statt ∅, 1 statt 0′ = {∅},369

2 statt 0′′ = {∅, {∅}}, 3 statt 0′′′ = {∅, {∅}, {∅, {∅}}} usw. Außerdem schreiben wir x + y370

7

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8 1. ZAHLEN UND FOLGEN

statt +(x, y). Also entspricht (1.2.1.1) der Identitat x + 0 = x und (1.2.1.2) entspricht371

x+ (y + 1) = (x+ y) + 1 bzw. x+ y′ = (x+ y)′.372

Wieviel ist 1 + 1 bzw. +(0′, 0′)? Aus (1.2.1.2) folgt +(0′, 0′) = +(0′, 0)′ und (1.2.1.1)373

impliziert +(0′, 0)′ = (0′)′ = 0′′ = 2. Also ist 1+1 = 2. Es ist 0′′ nur eine andere Schreibweise374

fur (0′)′, das ist also der Nachfolger des Nachfolgers von 0, den wir mit 2 bezeichnen.375

Die Multiplikation naturlicher Zahlen wird uber wiederholte Addition definiert. Kom-376

mutativitat und Distributivgesetze lassen sich Induktiv zeigen, was wir aus Zeitgrunden377

nicht durchfuhren wollen.378

Die Multiplikation naturlicher Zahlen ergibt sich durch wiederholte Addition. Fur naturli-379

che Zahlen x, y schreiben wir x < y, wenn x ∈ y ist. Zum Beispiel ist 0 < 2 weil ∅ ∈ {∅, {∅}}380

ist. Diese Relation ist eine totale Ordnung auf N0.381

Das Prinzip der vollstandigen Induktion lasst sich ebenfalls aus Axiomen der Mengen-382

lehre ableiten, insbesondere mithilfe des Unendlichkeitsaxioms: Wenn fur alle n ∈ N0 eine383

Aussage A(n) die Aussage A(n+ 1) impliziert und die Aussage A(0) wahr ist, dann ist die384

Aussage A(n) fur alle n ∈ N0 wahr.385

Die Peano-Axiome, welche die naturlichen Zahlen charakterisieren, sind etwas alter als386

die Zermelo-Fraenkelschen Axiome der Mengenlehre. Dass die oben mengentheoretisch ein-387

gefuhrten naturlichen Zahlen die Peano-Axiome erfullen, ist fur alle, die mit Mengen arbeiten388

wollen, ein zu beweisendes Theorem und nicht die Grundlegung der naturlichen Zahlen.389

Beispiel 1.2.2 (Ubungsbeispiel 1). Zeigen Sie 3 + 2 = 5 bzw. +(0′′′, 0′′) = 0′′′′′ unter390

Verwendung der Definition der Addition naturlicher Zahlen.391

1.2.3 (Theoriefrage 1). Was besagt das Unendlichkeitsaxiom und wie kann damit die392

Menge der naturlichen Zahlen definiert werden?393

1.3. Ganze Zahlen394

Wir schreiben (a, b) ∼ (c, d), wenn a+ d = b+ c ist. Das ist eine Aquivalenzrelation auf395

N0 × N0.396

Definition 1.3.1. Die Menge der ganzen Zahlen Z ist definiert als Quotientenmenge(N0×N0)/∼. Verknupfungen Summe ⊕ : Z×Z→ Z und Produkt � : Z×Z→ Z definierenwir durch

[(a, b)]⊕ [(c, d)] := [(a+ c, b+ d)],

[(a, b)]� [(c, d)] := [(ac+ bd, ad+ bc)].

Zum Beispiel entspricht die Aquivalenzklasse397

{(0, 2), (1, 3), (2, 4), (3, 5), (4, 6), . . .}.der ganzen Zahl -2 in unserem naturlich-anschaulichen Zahlenverstandnis. Die Zahl 3 ent-398

spricht z.B. [(3, 0)] oder [(5, 2)]. Die Summe 3 + (−2) ist formal [(5, 2)] ⊕ [(0, 2)] = [(5, 4)].399

Der Aquivalenzklasse [(5, 4)] entspricht die Zahl 1 in unserer Anschauung. Die Definition400

des Produkts wird verstandlicher durch die Identitat401

ac+ bd− ad− bc = (a− b)(c− d).

Um zu zeigen, dass die Summe von [(a, b)] und [(c, d)] wohl definiert ist, muss gezeigt wer-402

den, dass [(a + c, b + d)] nicht von der Wahl der Reprasentanten (a′, b′) ∈ [(a, b)] und403

(c′, d′) ∈ [(c, d)] abhangt. Es seien also (a′, b′) ∈ [(a, b)] und (c′, d′) ∈ [(c, d)] zwei beliebige404

Reprasentanten. Wegen (a′, b′) ∼ (a, b) und (c′, d′) ∼ (c, d) ist a′+b = a+b′ und c′+d = d′+c.405

Daraus folgen a′ + c′ + b + d = a + c + b′ + d′ und somit (a + c, b + d) ∼ (a′ + c′, b′ + d′)406

und [(a + c, b + d)] = [(a′ + c′, b′ + d′)]. Also erhalten wir unabhangig von der Wahl der407

Reprasentanten immer die gleiche Summe, was zu zeigen war.408

Ganze Zahlen mit einem Reprasentanten (n, 0), n ∈ N, nennen wir positiv, die mit einem409

Reprasentanten (0, n) negativ und die ganze Zahl, die (0, 0) enthalt, nennen wir die Null.410

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1.4. ZUR KONSTRUKTION DER ZAHLENBEREICHE 9

Fur zwei naturliche Zahlen m, n ist [(m, 0)] ⊕ [(n, 0)] = [(m + n, 0)]. Das heißt, wenn wir411

naturliche Zahlen n durch [(n, 0)] ersetzen und die Addition + der naturlichen Zahlen durch412

die Addition ⊕ der ganzen Zahlen ersetzen, sehen wir, dass die naturlichen Zahlen zusammen413

mit ihrer Addition sich als Teil der ganzen Zahlen darstellen lassen. Im Folgenden betrachten414

wir N0 daher als Teilmenge von Z und schreiben auch + und · statt ⊕ und �. Wir halten415

fest, dass (Z,+, ·) ein Ring ist, ohne alle Rechengesetze zu uberprufen.416

Die Ordnung der ganzen Zahlen konstruieren wir mithilfe der Ordnung der naturlichen417

Zahlen, indem wir [(a, b)] < [(c, d)] schreiben, falls a+ d < b+ c ist.418

Beispiel 1.3.2 (Ubungsbeispiel 2). Zeigen Sie x ·2 = x+x, fur alle x ∈ Z bzw. [(2, 0)]�419

[(a, b)] = [(a, b)]⊕ [(a, b)] unter Verwendung der Definition von Addition und Multiplikation420

ganzer Zahlen.421

Beispiel 1.3.3 (Ubungsbeispiel 3). Zeigen Sie das Distributivgesetz fur ganze Zahlen,422

also423

[(a, b)]� ([(c, d)]⊕ [(e, f)]) = [(a, b)]� [(c, d)]⊕ [(a, b)]� [(e, f)],

fur alle [(a, b)], [(c, d)] und [(e, f)] in Z.424

1.3.4 (Theoriefrage 2). Wie ist die Menge der ganzen Zahlen definiert? Definieren Sie425

Addition und Multiplikation ganzer Zahlen und zeigen Sie, dass die Addition wohl definiert426

ist.427

1.4. Zur Konstruktion der Zahlenbereiche428

Bevor wir weitere Zahlenbereiche definieren, wollen wir das Prinzip beschreiben, das hin-429

ter diesen Konstruktionen steht. Ganze Zahlen sind Aquivalenzklassen von Paaren naturli-430

cher Zahlen. Naturliche Zahlen werden also verwendet, um Ganze Zahlen zu konstruieren,431

gleichzeitig sehen wir naturliche Zahlen auch als ganze Zahlen an. Welche ist nun die rich-432

tige naturliche Zahl 2, jene Zahl 2 = {∅, {∅}}, die wir durch das Unendlichkeitsaxiom aus433

der Mengenlehre erhalten haben, oder die Aquivalenzklasse [(2, 0)] = [({∅, {∅}}, {})], die ein434

Element von Z ist?435

Die fur uns relevanten Zahlenbereiche N, Z, Q, R und C konnen alle axiomatisch charak-436

terisiert werden, siehe [11, Kapitel 6]. Das heißt, sie erfullen jeweils eine Liste an Axiomen437

und je zwei Zahlenbereiche, die diese Axiome erfullen, sind zueinander isomorph in dem Sinn,438

dass sie strukturell gleich sind. Isomorphe Zahlenbereiche sind bis auf die Bezeichnung ihrer439

Elemente gleich. Formal: Wenn +1 : M1×M1 →M1 und +2 : M2×M2 →M2 zwei Abbildun-440

gen (Verknupfungen) sind, dann nennen wir (M1,+1) und (M1,+2) isomorph, wenn es eine441

Bijektion f : M1 →M2 gibt, fur die x+1 y = z genau dann gilt, wenn f(x) +2 f(y) = f(z)442

ist.443

Es sei N = N0 \ {0} = {1, 2, 3, . . .} und Z+ = {[(n, 0)] ∈ Z | n ∈ N}. Dann ist444

f : N→ Z+, n 7→ [(n, 0)],

ein Isomorphismus (N,+)→ (Z+,⊕), weil445

k +m = n ⇐⇒ [(k, 0)]⊕ [(m, 0)] = [(n, 0)].

Strukturell sind (N,+) und (Z+,⊕) also gleich, nur ihre Elemente sehen anders aus. Da wir446

uns nur fur die strukturellen (algebraischen) Eigenschaften der Zahlenbereiche interessieren447

und nicht fur das Aussehen ihrer Elemente, sprechen wir auch nicht von diesen und jenen448

naturlichen Zahlen, sondern nur von den naturlichen Zahlen.449

Andere Axiomensyteme sind hingegen so formuliert, dass sie moglichst allgemein gehal-450

ten sind, das heißt, dass sie moglichst viele Mengen umfassen. Beispiele sind die Axiomen-451

systeme fur Halbgruppen, Gruppen, Ringe oder Korper. Die ganzen Zahlen zusammen mit452

ihrer Addition bilden zum Beispiel eine Gruppe. Es gibt jedoch noch viele andere Grup-453

pen, die sich strukturell wesentlich voneinander unterscheiden. Sich mit diesen Gruppen zu454

befassen, ist eine eigene wichtige Teildisziplin der Mathematik: die Gruppentheorie.455

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10 1. ZAHLEN UND FOLGEN

Die naturlichen Zahlen sind ein Beispiel einer Halbgruppe, die ganzen Zahlen mit ihrer456

Addition und Multiplikation sind ein Beispiel eines Rings und die rationalen, reellen und457

komplexen Zahlen sind Beispiele von Korpern, vergleiche [11, Kapitel 5].458

1.4.1 (Theoriefrage 3). Was bedeutet es, dass (Z+,⊕) und (N,+) isomorph sind?459

1.5. Rationale Zahlen460

Wir schreiben ab statt a · b fur ganze Zahlen a, b und (a, b) ≈ (c, d), wenn ad = cb.461

Lemma 1.5.1. Die Relation ≈ auf Z× N ist eine Aquivalenzrelation.462

Beweis. Reflexivitat und Symmetrie sind klar. Angenommen, es ist (a, b) ≈ (c, d) und463

(c, d) ≈ (e, f), also ad = cb und cf = ed. Dann ist adf = cbf , cfb = edb und daher adf = edb,464

woraus af = eb bzw. (a, b) ≈ (e, f) folgt. Das heißt, die Relation ist auch transitiv. �465

In diesem Beweis haben wir nur mit ganzen Zahlen gerechnet. Daher durfen wir keine466

Division verwenden.467

Die Menge der rationalen Zahlen definieren wir als468

Q := (Z× N)/≈ .Statt (a, b) schreiben wir auch469

a

boder a/b.

Zum Beispiel sind470

1

2und

3

6

Elemente der selben ≈-Aquivalenzklasse. Es ist (1, 2) 6= (3, 6) aber [(1, 2)] = [(3, 6)]. Man471

beachte, dass per Definition die Nenner dieser Bruche stets positiv sind.472

Lemma 1.5.2. Jede rationale Zahl enthalt genau ein Paar (x, y) mit ggT(x, y) = 1.473

Umgekehrt, wenn ggT(x, y) = 1 und (x, y) ≈ (a, b), dann gibt es ein n ∈ N0, sodass (a, b) =474

(nx, ny).475

Beweis. Es sei q eine rationale Zahl und (a, b) ∈ q. Wenn wir a und b in ihrer eindeu-476

tigen Primfaktorzerlegung (siehe [11, Satz 5.3.45]) anschreiben und gemeinsame Faktoren477

streichen, erhalten wir (x, y) mit ggT(x, y) = 1.478

Es sei (x′, y′) ein beliebiges Paar in q mit ggT(x′, y′) = 1. Aus (x, y) ≈ (x′, y′) folgt479

xy′ = x′y. Jeder Primfaktor von y′ teilt y, weil er x′ nicht teilt, folglich ist y′|y. Umgekehrt480

folgt mit dem gleichen Argument y|y′. Da y und y′ naturliche Zahlen sind, ist y = y′. Somit481

ist auch x = x′. Also ist (x, y) = (x′, y′) und (x, y) eindeutig.482

Es sei ggT(x, y) = 1 und (x, y) ≈ (a, b). Aus (x, y) ≈ (a, b) folgt xb = ay und ggT(x, y) =483

1 impliziert x|a und y|b. Also gibt es naturliche Zahlen m,n mit a = mx und b = ny. In xb =484

ay eingesetzt ergibt das nxy = mxy und daher m = n beziehungsweise (a, b) = (nx, ny). �485

Die Verknupfung � : Q×Q→ Q sei definiert durch486

[(a, b)] � [(c, d)] := [(ad+ bc, bd)]

Es ist zu zeigen, dass diese Abbildung wohl definiert ist, dass also die Wahl des Reprasen-487

tanten der Aquivalenzklasse keine Auswirkung auf das Ergebnis der Verknupfung hat. Nach488

Lemma 1.5.2 gibt es (a′, b′) ∈ [(a, b)] und (c′, d′) ∈ [(c, d)] mit489

ggT(a′, b′) = ggT(c′, d′) = 1,

(a, b) = (ma′,mb′) und (c, d) = (nc′, nd′). Die Gleichung490

[(a, b)] � [(c, d)] = [(ad+ bc, bd)] = [(ma′nd′ +mb′nc′,mb′nd′)] =491

[(mn(a′d′ + b′c′),mn(b′d′))] = [(a′d′ + b′c′, b′d′)] = [(a′, b′)] � [(c′, d′)]

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1.5. RATIONALE ZAHLEN 11

besagt, dass die Verknupfung � fur beliebige Reprasentanten (a, b), (c, d) immer dasselbe492

Ergebnis wie die eindeutig bestimmten relativ primen Reprasentanten (a′, b′), (c′, d′) liefert.493

Somit ist die Wahl der Reprasentanten (a, b), (c, d) unerheblich und die Verknupfung wohl494

definiert.495

Wenn wir z.B. von der rationalen Zahl 23 sprechen, meinen wir deren Aquivalenzklasse.496

Wir schreiben497

2

3=

4

6

und meinen damit, dass die Aquivalenzklassen dieser Bruche ident sind, auch wenn (2, 3)498

und (4, 6) verschiedene Elemente von Z× N sind. Statt499

−1

2kann − 1

2

geschrieben werden, auch wenn dieser Ausdruck nicht die Form500

a

b

mit a ∈ Z und b ∈ N hat.501

Aus der Ordnungsrelation auf Z erhalten wir eine Ordnungsrelation auf Q, indem wir502

[(a, b)] ≤ [(c, d)] schreiben, falls ad ≤ bc ist. Fur diese Relation auf Q muss gezeigt werden,503

dass sie wohl definiert ist und die Axiome einer Ordnungsrelation erfullt. Die rationalen504

Zahlen bilden mit ihrer Addition, ihrer Multiplikation und dieser Ordnungsrelation einen505

geordneten Korper, siehe [11, Kapitel 6.3].506

Definition 1.5.3. Wir sagen, dass zwei Mengen gleich machtig sind, bzw. gleich viele507

Elemente haben, wenn sie bijektiv aufeinander abgebildet werden konnen. Eine Menge heißt508

unendlich abzahlbar wenn sie gleich viele Elemente wie N hat und abzahlbar, wenn sie endlich509

oder unendlich abzahlbar ist.510

Anschaulich ist eine Menge abzahlbar, wenn alle ihre Elemente in einer Reihe aufge-511

schrieben werden konnen: Es wird ein erstes Element gewahlt, dann ein zweites, drittes usw.512

und zwar so, dass jedes Element der Menge in dieser Aufzahlung einmal vorkommt. Die513

Bijektion bildet das erste Element der Aufzahlung auf die naturliche Zahl 1 ab, das zweite514

auf die Zahl 2 ab usw.515

Satz 1.5.4. Die Mengen Z und Q sind abzahlbar.516

Beweis. Die ganzen Zahlen konnen abgezahlt werden durch517

0, 1,−1, 2,−2, 3,−3, . . .

Die ganzzahligen Bruche ordnen wir nach folgendem Diagonalschema an, wobei kurzbare518

Bruche weggelassen werden. Die verbleibenden nicht kurzbaren Bruche sind Reprasentanten519

der positiven rationalen Zahlen.520

1/1 → 1/2 1/3 → 1/4 1/5 →↙ ↗ ↙ ↗

2/1 2/2 2/3 2/4↓ ↗ ↙ ↗

3/1 3/2 3/3↙ ↗

4/1 4/2↓ ↗

5/1

521

Nehmen wir die Null und die negativen Zahlen hinzu, erhalten wir folgende Abzahlung522

der rationalen Zahlen Q (bzw. ihrer gekurzten Reprasentanten):523

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12 1. ZAHLEN UND FOLGEN

0,1

1, −1

1,

1

2, −1

2,

2

1, −2

1,

3

1, −3

1,

1

3, −1

3,

1

4, −1

4,

2

3, −2

3, . . .

�524

Beispiel 1.5.5 (Ubungsbeispiel 4). Zeigen Sie, dass die Verknupfung � : Q × Q → Q525

mit526

[(a, b)] � [(c, d)] := [(ac, bd)]

wohl definiert ist.527

Beispiel 1.5.6 (Ubungsbeispiel 5). Zeigen Sie, dass es fur jede nicht leere endliche Menge528

M eine Bijektion zwischen der Menge der Teilmengen von M mit gerader Machtigkeit und529

der Menge der Teilmengen von M mit ungerader Machtigkeit gibt.530

Beispiel 1.5.7 (Ubungsbeispiel 6). Es sei M eine nicht leere Menge und F die Menge531

aller Funktionen M → {0, 1}. Zeigen Sie, dass es keine Bijektion zwischen M und F geben532

kann und leiten Sie daraus ab, dass die Potenzmenge einer Menge stets mehr Elemente als533

die Menge selbst hat.534

Hinweis: Angenommen es gabe eine Bijektion f : M → F , dann betrachten Sie die535

Funktion g : M → {0, 1}, die jedes m ∈M abbildet auf536

g(m) =

{1, falls f(m)(m) = 0

0, falls f(m)(m) = 1.

1.5.8 (Theoriefrage 4). Konstruieren Sie die Menge der rationalen Zahlen aus den gan-537

zen und den naturlichen Zahlen uber eine Relation. Zeigen Sie, dass diese Relation eine538

Aquivalenzrelation ist. Definieren Sie Addition und Multiplikation rationaler Zahlen.539

1.5.9 (Theoriefrage 5). Zeigen Sie, dass Q abzahlbar ist.540

1.6. Folgen541

Definition 1.6.1. Ein Folge in einer Menge ist eine Abbildung von den naturlichen542

Zahlen in diese Menge.543

Eine Folge f : N→M bezeichnet man oft mit (xn)n∈N, wobei xn = f(n) ist. Wir nennen544

f(n) = xn das n-te Folgenglied und n den Index von xn. Wenn klar ist, dass die Folge den545

Index n hat und dieser N durchlauft, dann schreiben wir auch kurz (xn) statt (xn)n∈N.546

Beispiel 1.6.2.547

1. Es ist f : N→ Z mit f : n 7→ 2n− 3 eine Folge in Z. Die alternative Schreibweise548

ist (2n− 3)n∈N. Gliedweise angeschrieben ist diese Folge549

−1, 1, 3, 5, 7, . . .

2. Die Folge f : N→ Q mit f : n 7→ (−1)n3n ist in den anderen Schreibweisen ( (−1)n

3n )n∈N550

bzw.551

−1

3,

1

6,−1

9,

1

12, . . .

3. Fur M = { D, 7,♥, ∗} ist f : N→M mit552

f(n) =

{ D n = 1, 2

♥ n ≥ 3

eine Folge in M . Gliedweise angeschrieben ergibt das553

D, D,♥,♥,♥,♥,♥, . . .

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1.6. FOLGEN 13

Definition 1.6.3. Ein Folge (xn)n∈N ist konstant, wenn xm = xn fur alle m und n ist.554

Ein rationale Folge heißt nach oben (bzw. nach unten) beschrankt, wenn es eine rationale555

Zahl c gibt, sodass xn ≤ c (bzw. c ≤ xn) fur alle n in N ist. Eine Folge heißt beschrankt,556

wenn die Folge ihrer Betrage (|xn|)n∈N nach oben beschrankt ist.557

Die Folge (xn)n∈N heißt monoton steigend (bzw. monoton fallend) wenn xn ≤ xn+1558

(bzw. xn ≥ xn+1) ist fur alle n ∈ N. Eine Folge, die entweder monoton steigend oder559

monoton fallend ist, heißt monoton. Gilt < statt ≤ oder > statt ≥, nennen wir die Folge560

streng monoton.561

Fur eine (Vorzeichen-)alternierende Folge (xn)n∈N gilt entweder x2n > 0 und x2n+1 < 0562

fur alle n oder x2n < 0 und x2n+1 > 0.563

Wir sagen, dass (xn)n∈N eine Eigenschaft ab einer Stelle (oder ab einem Index ) hat,564

wenn es ein N ∈ N gibt, sodass die Folge565

(xn)n≥N = xN , xN+1, xN+2, . . .

diese Eigenschaft hat. Fast alle Elemente einer Menge sind alle Elemente bis auf endlich566

viele.567

Anstatt zu sagen, eine Folge habe eine Eigenschaft ab einer Stelle, konnen wir auch568

sagen, dass fast alle ihre Glieder diese Eigenschaft haben.569

Die erste Folge in Beispiel 1.6.2 ist streng monoton steigend, sie ist nach unten, jedoch570

nicht nach oben beschrankt. Die zweite Folge ist alternierend, beschrankt und nicht monoton.571

Fur die dritte Folge macht es keinen Sinn, nach Monotonie oder Beschranktheit zu fragen,572

da unsere entsprechenden Definitionen nur fur Folgen rationaler Zahlen gelten. Diese Folge573

ist aber ab einer Stelle konstant.574

Folgen werden sowohl als Abbildung als auch als Menge ihrer Bildpunkte betrachtet,575

also ohne die Indices der Folgenglieder zu berucksichtigen. Zum Beispiel sagen wir “Die576

Folge ( 1n )n∈N ist in [0, 1] enthalten” wobei die Folge als Abbildung ja keine Teilmenge des577

Einheitsintervalls [0, 1] ist, sondern die Menge ihrer Bildpunkte578

{1, 1

2,

1

3,

1

4, . . .}

in [0, 1] enthalten ist. Diese Ungenauigkeit in der Terminologie akzeptieren wir, solange579

dadurch keine Missverstandnisse entstehen.580

Eine Abbildung N0 →M bezeichnen wir ebenfalls als Folge. Manchmal ist es praktischer,581

Folgenglieder mit x0, x1, x2 . . . zu bezeichnen anstatt mit x1, x2, x3 . . .582

Beispiel 1.6.4 (Ubungsbeispiel 7). Finden Sie rekursive Darstellungen (mit Anfangs-583

bedingung) und explizite Darstellungen der Folgen584

(1) 5, 7, 9, 11, 13, 15 . . .585

(2) −2, 1,− 12 ,

14 ,−

18 ,

116 ,−

132 , . . .586

(3) 4, 1, 0, 1, 4, 9, 16, 25, 36, . . .587

Beispiel 1.6.5 (Ubungsbeispiel 8). Ist die Folge (xn) mit588

xn =n− 1

n2 + 2

ab einer Stelle monoton oder alternierend? Wenn ja, ab welcher Stelle? Ist die Folge be-589

schrankt? Hinweis: Berechnen Sie die ersten Glieder der Folge, leiten Sie daraus Vermutun-590

gen ab und beweisen Sie diese Vermutungen dann.591

Beispiel 1.6.6 (Ubungsbeispiel 9). Eine rationale Folge ist rekursiv gegeben durch592

xn+1 = xn2 + 1.593

(1) Fur welche Werte von x0 ist diese Folge monoton steigend, monoton fallend, kon-594

stant, beschrankt bzw. alternierend?595

(2) Bestimmen Sie xn explizit (nur in Abhangigkeit von x0).596

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14 1. ZAHLEN UND FOLGEN

Beispiel 1.6.7 (Ubungsbeispiel 10). Wie Ubungsbeispiel 9 nur mit xn+1 = −2xn + 1.597

Beispiel 1.6.8 (Ubungsbeispiel 11). Die Fibonacci-Zahlen sind rekursiv definiert durch598

F0 = 0, F1 = 1 und Fn = Fn−1 + Fn−2. Es sei599

xn =Fn+1

Fn.

Bestimmen Sie das Monotonieverhalten der Folgen (x2n)n∈N0und (x2n+1)n∈N0

.600

Hinweis: Berechnen Sie die ersten Werte und leiten Sie daraus eine Vermutung ab. Diese601

beweisen Sie dann z.B. indem sie die Rekursionsgleichung im Zahler der Folgenglieder an-602

wenden. Sollten Sie bereits etwas uber Konvergenz von Folgen wissen: Das werden wir auch603

fur diese Folge zu einem spateren Zeitpunkt behandeln.604

1.6.9 (Theoriefrage 6). Was ist eine Folge? Was bedeutet es, dass eine Folge eine Eigen-605

schaft ab einer Stelle besitzt? Stellen Sie zu gegebenen Folgen fest, ob diese ab einer Stelle606

konstant, beschrankt, alternierend oder (streng) monoton steigend bzw. fallend sind.607

1.7. Konvergenz und geometrische Folgen608

Mit Q+ bezeichnen wir die Menge der positiven rationalen Zahlen {x ∈ Q | x > 0}.609

Der folgende Hilfssatz ist sehr einfach. Wir formulieren ihn trotzdem als solchen, weil er610

insbesondere fur die axiomatische Charakterisierung der reellen Zahlen, welche wir noch611

nicht definiert haben, wichtig ist.612

Lemma 1.7.1 (Archimedische Eigenschaft der rationalen Zahlen).613

Fur alle ε ∈ Q+ gibt es ein n ∈ N mit 1n < ε. Fur alle x, y ∈ Q+ gibt es ein n ∈ N, sodass614

nx > y ist.615

Beweis. Es sei ε = ab aus Q+. Dann ist fur n = b + 1 die erste Ungleichung 1

n < ε616

erfullt. Insbesondere gibt es also fur ε = xy ein n ∈ N mit 1

n < xy und somit auch y < nx,617

wodurch auch die zweite Ungleichung gezeigt ist. �618

Wir definieren n0 = 1 fur alle n ∈ N0. Potenzen mit Exponenten aus N ergeben sich aus619

der Definition der Multiplikation.620

Satz 1.7.2 (Ungleichung von Bernoulli). Wenn x ∈ Q, x ≥ −1, und n ∈ N0, dann ist621

(1 + x)n ≥ 1 + nx.

Beweis. Wir beweisen die Aussage mit Induktion nach n. Fur n = 0 erhalten wir 1 ≥ 1und somit ein wahre Aussage. Nach der Induktionsannahme (I.A.) ist die Ungleichung furn erfullt; dann ist

(1 + x)n+1 = (1 + x)n(1 + x) I.A.≥ (1 + nx)(1 + x)

= 1 + (n+ 1)x+ nx2 ≥ 1 + (n+ 1)x,

womit der Indutionsschritt von n nach n+ 1 bewiesen ist. �622

Definition 1.7.3. Ein offenes rationales Intervall ist eine Menge der Form623

(a, b) := {x ∈ Q | a < x < b}oder624

(a,∞) := {x ∈ Q | a < x} bzw. (−∞, b) := {x ∈ Q | x < b}.Ein abgeschlossens rationales Intervall ist ein Menge625

[a, b] := {x ∈ Q | a ≤ x ≤ b}.Eine Umgebung in Q einer rationalen Zahl a in Q ist eine Menge U ⊂ Q, fur die es ein626

ε ∈ Q+ gibt, sodass (a− ε, a+ ε) in U enthalten ist.627

Eine Menge rationaler Zahlen heißt offen, wenn sie Umgebung jedes ihrer Punkte ist.628

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1.7. KONVERGENZ UND GEOMETRISCHE FOLGEN 15

Beispiel 1.7.4. Jedes offene Intervall I ist Umgebung in Q jedes seiner Punkte, denn629

wenn ε der kleinere der Abstande von x zu den Randpunkten von I ist, dann ist ε > 0,630

x ∈ (x − ε, x + ε) ⊂ I und (x − ε, x + ε) eine Umgebung von x in I. Ein abgeschlossenes631

Intervall [a, b] ist Umgebung aller Punkte aus (a, b), aber keine Umgebung der Randpunkte632

a und b. Eine Menge ganzer Zahlen ist keine Umgebung in Q irgendeines ihrer Punkte.633

Lemma 1.7.5. Eine Menge rationaler Zahlen ist genau dann offen, wenn sie eine Verei-634

nigung von offenen Intervallen ist.635

Beweis. Es sei O ⊂ Q Umgebung jedes ihrer Punkte. Fur jedes x ∈ O gibt es ein636

ε(x) > 0 mit (x− ε(x), x+ ε(x)) ⊂ O. Dann ist637

O =⋃x∈O

(x− ε(x), x+ ε(x))

und somit eine Vereinigung offener Intervalle.638

Umgekehrt, wenn O ⊂ Q eine Vereinigung offener Intervalle ist, gibt es fur jedes x ∈ O639

eines dieser Intervalle I mit x ∈ I ⊂ O und dieses I ist nach Beispiel 1.7.4 eine Umgebung640

von x in O. �641

Definition 1.7.6. [Konvergenz einer Folge – topologische Formulierung]642

Eine Folge konvergiert gegen einen Punkt, wenn sie in jeder offenen Umgebung des Punktes643

ab einer Stelle enthalten ist. So ein Punkt heißt Grenzwert oder Limes der Folge.644

Wenn x Grenzwert der Folge (xn)n∈N ist, schreiben wir645

limn→∞

xn = x,

oder wenn klar ist, welcher der Index ist, dann auch limxn. Wenn wir limxn = x schreiben,646

ohne das weiter zu kommentieren, dann sind damit zwei Aussagen gemeint: Erstens, dass647

die Folge (xn)n∈N konvergent ist und zweitens, dass ihr Grenzwert x ist.648

Gelegentlich sagt man auch, die Folge (xn)n∈N geht gegen x. Folgen, die nicht konvergent649

sind, heißen divergent.650

Die Folge, der Grenzwert und die Umgebungen mussen in einer vorher festgelegten651

Grundmenge liegen. Was unter einer offenen Menge zu verstehen ist, hangt von der Grund-652

menge ab. In Q sind das offene Intervalle, in der Ebene offene Kreisscheiben (ohne Rand).653

Die allgemeinste Definition einer Umgebung findet sich in der Topologie. Dort werden of-654

fene Umgebungen uber allgemeine offene Mengen definiert, die bestimmte Axiome erfullen655

mussen.656

Verbreitet in der Literatur ist folgende Definition, die fur rationale Folgen aquivalent zu657

Definition 1.7.6 ist.658

Definition 1.7.7. [Konvergenz einer Folge – ε-Formulierung]659

Eine Folge (xn)n∈N rationaler Zahlen konvergiert gegen x ∈ Q, wenn es fur alle ε > 0 ein660

n0 ∈ N gibt, sodass |xn − x| < ε fur alle n ≥ n0.661

Satz 1.7.8. Eine Folge rationaler Zahlen hat hochstens einen Grenzwert.662

Beweis. Angenommen (xn)n∈N hat zwei verschiedene Grenzwerte a und b, wobei wir663

mit a den großeren der Grenzwerte bezeichnen. Dann sind664 (b− a− b

2, b+

a− b2

)und

(a− a− b

2, a+

a− b2

)zwei disjunkte Umgebungen dieser Grenzwerte; siehe Abbildung 1. Eine Folge kann aber665

nicht ab einer Stelle in einer Menge und zugleich ab einer Stelle in einer dazu disjunkten666

Menge liegen. Daher fuhrt die Annahme, dass es zwei verschiedene Grenzwerte gibt, auf667

einen Widerspruch. �668

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16 1. ZAHLEN UND FOLGEN

( )( )a−b2

ba−b2

a−b2

aa−b2

Abbildung 1. Eindeutigkeit des Grenzwerts

Definition 1.7.9. Eine Folge, die gegen 0 konvergiert, heißt Nullfolge. Die Folge ( 1n )n∈N669

heißt harmonische Folge und (qn)n∈N0geometrische Folge.670

Beispiel 1.7.10 (Konvergente rationale Folgen).671

672 (1) Eine Folge, die ab einer Stelle konstant ist, ist konvergent.673

(2) Die harmonische Folge ist eine Nullfolge.674

(3) Fur |q| < 1 ist die geometrische Folge (qn)n∈N0eine Nullfolge.675

Beweis. Die Konvergenz einer Folge, die ab einer Stelle konstant ist, folgt unmittelbar676

aus der Definition der Konvergenz.677

In jedem Intervall (−ε, ε) liegt die harmonische Folge ab einer Stelle, siehe dazu Lem-678

ma 1.7.1.679

Fur q 6= 0 sei x = 1|q| − 1, also |q| = 1

1+x . Wegen |q| < 1 ist x > 0. Nach der Ungleichung680

von Bernoulli (Satz 1.7.2) gilt681

|q|n =1

(1 + x)n≤ 1

1 + nx

fur alle n ∈ N0. Es sei (−ε, ε) eine beliebig kleine Umgebung von 0. Die Ungleichung682

1

1 + nx< ε

ist aquivalent zu683

1− εεx

< n.

Fur alle n > 1−εεx ist also684

|q|n =1

(1 + x)n≤ 1

1 + nx< ε.

Daher ist die Folge (|q|n)n∈N0fur jedes ε > 0 ab einer Stelle in (−ε, ε), was zu zeigen war. �685

Beispiel 1.7.11 (Ubungsbeispiel 12). Aus der Vorlesung wissen wir, dass eine Menge686

rationaler Zahlen genau dann offen ist, wenn sie eine Vereinigung von offenen Intervallen ist.687

Daher ist die Vereinigung von beliebig vielen offenen Mengen offen. Gilt dies auch fur den688

Durchschnitt? Wenn nicht, geben Sie eine Gegenbeispiel an.689

Beispiel 1.7.12 (Ubungsbeispiel 13). Es sei690

xn =n+ (−1)n

n+ 1

und691

Ui = (1− 1

10i, 1 +

1

10i).

Finde fur i = 1, 2, 3 jeweils ein N(i), sodass xn ∈ Ui fur alle n ≥ N(i).692

Anmerkung: Die N(i) mussen nicht minimal gewahlt werden.693

Beispiel 1.7.13 (Ubungsbeispiel 14). Zeigen Sie, dass die Folge (xn) mit694

xn =

(1− 28

n2

)ngegen 1 konvergiert, indem Sie mit Ihren Argumenten von der Definition der Konvergenz695

ausgehen. Hinweis: Beroulli-Ungleichung fur genugend große n.696

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1.8. CAUCHY-FOLGEN UND GRENZWERTSATZE 17

Beispiel 1.7.14 (Ubungsbeispiel 15). Zeigen Sie, dass die Folge ((−1)n)n∈N nicht kon-697

vergent ist. Hinweis: Sie konnen z.B. einen indirekten Beweis fuhren, indem Sie eine Zahl698

a als Grenzwert annehmen, dann ein geeignetes ε > 0 wahlen und einen Widerspruch zur699

Definition der Konvergenz ableiten.700

1.7.15 (Theoriefrage 7). Formulieren und beweisen Sie die Ungleichung von Bernoulli.701

1.7.16 (Theoriefrage 8). Zeigen Sie, dass eine konvergente rationale Folge nur einen702

Grenzwert hat.703

1.7.17 (Theoriefrage 9). Zeigen Sie die Konvergenz der geometrischen Folge (zum Bei-704

spiel mithilfe der Ungleichung von Bernoulli).705

1.8. Cauchy-Folgen und Grenzwertsatze706

Definition 1.8.1. Eine Folge rationaler Zahlen ist eine Cauchy-Folge, wenn fur alle707

rationalen ε > 0 ab einer Stelle die Abstande der Folgenglieder zueinander kleiner als ε sind.708

Formal: Es ist (xn)n∈N eine Cauchy-Folge, wenn es fur alle ε > 0 ein N ∈ N gibt, sodass709

|xm − xn| < ε fur alle n,m mit n,m ≥ N .710

Satz 1.8.2. Jede konvergente Folge ist Cauchy-Folge.711

Beweis. Um zu zeigen, dass eine gegen x konvergente Folge (xn)n∈N eine Cauchy-Folge712

ist, wahlen wir ein beliebiges ε > 0. Da die Folge konvergent ist, liegt sie ab einer Stelle in713

(x − ε/2, x + ε/2). Daher gilt auch |xm − xn| < ε ab dieser Stelle und die Folge ist somit714

eine Cauchy-Folge. �715

Satz 1.8.3. Jede Cauchy-Folge ist beschrankt.716

Beweis. Wenn (xn) eine Cauchy-Folge ist, gibt es ein N , sodass |xm − xn| < 1 fur alle717

m,n ≥ N . Insbesondere ist |xm − xN | < 1 fur alle m ≥ N . Daraus folgt, dass die ganze718

Folge in der beschrankten Menge719

{x0, x1, . . . , xN−1} ∪ [xN − 1, xN + 1]

enthalten und somit selbst beschrankt ist. �720

Korollar 1.8.4. Jede konvergente Folge ist beschrankt.721

Satz 1.8.5. Wenn (xn) und (yn) konvergent sind, dann konvergieren auch (xn + yn)und (xnyn) und es ist

lim(xn + yn) = limxn + lim yn,(1.8.5.1)

lim(xnyn) = limxn lim yn.(1.8.5.2)

Beweis. Es sei x := lim(xn) und y := lim(yn). Fur jedes ε > 0 sind |(xn − x)| und722

|(yn − y)| ab einer Stelle kleiner als ε/2. Also ist ab einer Stelle723

|(xn + yn)− (x+ y)| = |(xn − x) + (yn − y)| ≤ |(xn − x)|+ |(yn − y)| < ε

2+ε

2= ε.

Somit konvergiert (xn + yn) gegen den Grenzwert x+ y. Fur das Produkt der Folgen gehenwir ahnlich vor:

|xnyn − xy| = |xnyn − xny + xny − xy| = |xn(yn − y) + (xn − x)y|≤ |xn||yn − y|+ |xn − x||y|.

Letzterer Term geht mit wachsendem Index n gegen Null, weil |yn − y| und |xn − x| gegen724

Null gehen, weil |xn| beschrankt und y eine Konstante ist. Also ist auch |xnyn − xy| eine725

Nullfolge und somit lim(xnyn) = xy.726

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18 1. ZAHLEN UND FOLGEN

Wenn wir die Großen benennen, sieht dieser Beweis so aus: Nach Korollar 1.8.4 ist727

(xn)n∈N beschrankt. Daher ist auch (|xn|)n∈N von einer positiven Zahl c nach oben be-728

schrankt. Es sei K := max{c, y} und ε > 0 beliebig. Es gibt ein N sodass |yn− y| < ε/(2K)729

und |xn − x| < ε/(2K) fur alle n ≥ N . Nun ist730

|xnyn − xy| ≤ |xn||yn − y|+ |xn − x||y| ≤ Kε

2K+K

ε

2K= ε

fur alle n mit n ≥ N und somit lim(xnyn) = xy. �731

Korollar 1.8.6. Wenn lim(xn) = x und c eine Zahl ist, dann ist732

lim(cxn) = cx.

Beweis. Fur yn := c folgt aus Satz 1.8.5:733

lim(cxn) = lim(ynxn) = lim(yn) lim(xn) = lim(c) lim(xn) = cx.

�734

Satz 1.8.7 (Sandwich-Theorem). Wenn lim(xn) = lim(zn) = a, und xn ≤ yn ≤ zn fur735

fast alle n, dann ist auch lim(yn) = a.736

Beweis. Fur jedes ε > 0 ist ab einer Stelle737

a− ε < xn ≤ yn ≤ zn < a+ ε

und daher738

−ε < yn − a < ε

beziehungsweise739

|yn − a| < ε.

Somit ist lim yn = a. �740

Lemma 1.8.8. Wenn lim(xn) = 0 und (yn) beschrankt ist, dann ist741

lim(xnyn) = 0.

Beweis. Wenn a ≤ yn ≤ b fur alle n, dann ist axn ≤ xnyn ≤ bxn fur alle n. Aus742

Korollar 1.8.6 folgen lim axn = 0 und lim bxn = 0. Nach dem Sandwich-Teorem 1.8.7 ist nun743

auch limxnyn = 0. �744

Satz 1.8.9. Wenn (xn) und (yn) konvergent sind, yn 6= 0 fur alle n und lim(yn) 6= 0,745

dann ist746

limxnyn

=limxnlim yn

.

Beweis. Es sei limxn = x und lim yn = y. Wir betrachten erst die Folge ( 1yn

)n∈N:747 ∣∣∣∣ 1

yn− 1

y

∣∣∣∣ =

∣∣∣∣y − ynyny

∣∣∣∣ =1

|yn|︸︷︷︸beschr.

1

|y|︸︷︷︸konst.

|y − yn|︸ ︷︷ ︸→0

.

Der erste Faktor der rechten Seite ist beschrankt, der zweite konstant und der dritte strebt748

gegen Null. Nach Korollar 1.8.6 ist |y − yn|/|y| eine Nullfolge und nach Lemma 1.8.8 auch749

der ganze letztere Term, also strebt 1/yn gegen 1/y. Aus 1.8.5.2 folgt750

lim(xn1

yn) = limxn lim

1

yn= x lim

1

yn,

was nach dem soeben Gezeigten gleich x/y ist. �751

Beispiel 1.8.10 (Ubungsbeispiel 16). Ist die Folge (xn) konvergent? Wenn ja, wohin752

konvergiert sie? Sie durfen Satz 1.8.5 und Korollar 1.8.6 verwenden.753

(1) xn =(1− 4n2)2

(1 + 2n)(1− 2n)(4n+ 4)2754

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1.9. INTERVALLSCHACHTELUNGEN 19

(2) xn =n3

(n+ 1)2755

Beispiel 1.8.11. Fur Zahlen a0, a1, . . . , ak, b0, b1, . . . , bl, ak 6= 0, bl 6= 0, ist756

limn→∞

a0 + a1n+ a2n2 + . . .+ akn

k

b0 + b1n+ b2n2 + . . . blnl=

{akbl

falls k = l,

0 falls k < l.

wobei wir annehmen, dass ak, bl und der ganze Nenner stets ungleich 0 sind.757

Beweis. Wenn k = l, dann ist obiger Term gleich758

(1.8.11.1)a0 + a1n+ a2n

2 + . . .+ aknk

b0 + b1n+ b2n2 + . . . bknk=

a0nk

+ a1nk−1 + a2

nk−2 + . . .+ ak−1

n + akb0nk

+ b1nk−1 + b2

nk−2 + . . .+ bk−1

n + bk.

Nach Beispiel 1.7.10.2 ist lim 1n = 0. Aus Satz 1.8.5.2 folgt759

lim1

n2=

(lim

1

n

1

n

)=

(lim

1

n

)(lim

1

n

)= 0.

Mittels Induktion sehen wir, dass760

limn→∞

1

ni= 0

ist fur alle naturlichen i ≥ 1. Nach Korollar 1.8.6 ist761

limn→∞

ai1

ni= 0

und Satz 1.8.5.1 impliziert, dass der Zahler der rechten Seite der Gleichung 1.8.11.1 gegen762

ak strebt und der Nenner gegen bk. Aus Satz 1.8.9 folgt schließlich die Aussage. �763

Beispiel 1.8.12 (Ubungsbeispiel 17). Ist die Folge (xn) konvergent? Wenn ja, wohin764

konvergiert sie? Verwenden Sie Lemma 1.8.8.765

(1) xn =(−1)nn2

(n+ 3)3766

(2) xn =(−1)nn

1 + n767

Beispiel 1.8.13 (Ubungsbeispiel 18). Zeigen Sie, dass die Folge(n3/2n

)n∈N eine Null-768

folge ist.769

Hinweis: Es folgt n3/2n ≤ 1/n aus n4 ≤ 2n. Zum Induktionsschritt: Fur ausreichend770

große n, ist der Faktor, der n4 in (n+ 1)4 umwandelt, kleiner als 2.771

1.8.14 (Theoriefrage 10). Zeigen Sie, dass jede konvergente Folge eine Cauchy-Folge ist772

und dass jede Cauchy-Folge beschrankt ist.773

1.8.15 (Theoriefrage 11). Zeigen Sie, dass der Grenzwert der Summe bzw. des Produktes774

zweier Folgen gleich der Summe bzw. dem Produkt der Grenzwerte ist.775

1.8.16 (Theoriefrage 12). Zeigen Sie, dass der Grenzwert des Quotienten zweier Folgen776

gleich dem Quotienten der Grenzwerte ist. Was muss fur die Folge im Nenner des Quotienten777

vorausgesetzt werden?778

1.8.17 (Theoriefrage 13). Formulieren und beweisen Sie das Sandwich-Theorem.779

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20 1. ZAHLEN UND FOLGEN

1.9. Intervallschachtelungen780

Definition 1.9.1. Die Lange `(I) eines offenen Intervalls I = (a, b) oder abgeschlosse-781

nen Intervalls I = [a, b] ist definiert als |b−a|. Eine Folge von Mengen (Mn) heißt abnehmende782

oder fallende Mengenfolge, wenn Mn ⊃Mn+1 ist fur alle n.783

Eine abnehmende Mengenfolge abgeschlossener Intervalle heißt Intervallschachtelung,784

wenn ihre Langen gegen Null gehen. Eine Folge liegt in einer Intervallschachtelung, wenn sie785

in jedem der Intervalle ab einer Stelle enthalten ist.786

Beispiel 1.9.2. Die Folge (1/n)n∈N liegt in ([0, 1/2n])n∈N.787

Um die Aussage des Beispiels zu beweisen, ist fast nichts zu zeigen; wir mussen beachten,788

dass nicht zweimal der selbe Buchtabe “n” verwendet werden darf, wenn der Index der789

Intervallschachtelung mit dem Index der Folge verglichen wird, denn das Folgenglied 1/n790

liegt nicht im Intervall [0, 1/2n]. Zum Beispiel liegt 1 nicht in [0, 1/2] und 1/2 nicht in [0, 1/4].791

Beweis von Beispiel 1.9.2. Die Archimedische Eigenschaft fur rationale Zahlen (Lem-792

ma 1.7.1) impliziert, dass es fur alle ε = 1/2m ein N ∈ N gibt mit 1/N < ε. Fur alle n ≥ N793

gilt also 1/n ∈ [0, 1/2m], das heißt, die Folge liegt in jedem der Intervalle [0, 1/2m] ab einer794

Stelle. �795

Satz 1.9.3. Eine Folge ist genau dann Cauchy-Folge, wenn sie in einer Intervallschach-796

telung liegt.797

Beweis. Wir nehmen an, die Folge (xn)n∈N liegt in einer Intervallschachtelung (In)n∈N.798

Es sei ε > 0 beliebig und IN eines der Intervalle mit `(IN ) ≤ ε. Die Glieder xn liegen ab einer799

Stelle in IN . Daher ist |xm−xn| < ε fur alle m,n ab einer Stelle und (xn) eine Cauchy-Folge.800

Es sei umgekehrt (xn)n∈N eine Cauchy-Folge. Dann gibt es fur jedes k ∈ N ein N(k),801

sodass |xm − xn| < 1k ist fur alle m,n ≥ N(k). Daraus folgt insbesondere |xN(k) − xn| < 1

k802

fur alle n ≥ N(k). Das heißt, dass803

Jk :=

[xN(k) −

1

k, xN(k) +

1

k

]alle Folgenglieder ab xN(k) enthalt. Es ist im Allgemeinen nicht Jk+1 ⊂ Jk, aber fur804

Ik = J1 ∩ J2 ∩ . . . ∩ Jkgilt Ik ⊃ Ik+1. Außerdem ist `(Ik) ≤ 2/k und jedes Ik enthalt fast alle Glieder der Folge,805

weil auch jedes der Jk fast alle Folgenglieder enthalt. Also ist (Ik) eine Intervallschachtelung,806

in der die Folge liegt. �807

Satz 1.9.4. In einer Intervallschachtelung liegen entweder nur konvergente Folgen, oder808

nur Cauchy-Folgen, die nicht konvergent sind.809

Im ersten Fall enthalt der Durchschnitt aller Intervalle der Intervallschachtelung genau810

einen Punkt und die Folgen, die in der Intervallschachtelung liegen, sind genau jene, die811

diesen Punkt als Grenzwert haben. Im zweiten Fall ist der Durchschnitt der Intervalle leer.812

Beweis. Dass im Durchschitt aller Intervalle einer Intervallschachtelung nicht zwei ver-813

schiedene Punkte liegen, folgt daraus, dass die Langen der Intervalle gemaß der Definition814

einer Intervallschachtelung eine Nullfolge bilden.815

Wenn der Durchschnitt aller Intervalle nur einen Punkt x enthalt, dann sind in jeder816

Umgebung (x− ε, x+ ε) alle Intervalle enthalten, deren Langen kleiner als ε sind, und das817

sind fast alle. Somit enthalt eine beliebig kleine Umgebung (x − ε, x + ε) von x fast alle818

Glieder einer jeden Folge, die in der Intervallschachtelung liegt. Das heißt, alle Folgen, die819

in der Intervallschachtelung liegen, konvergieren gegen x.820

Nehmen wir nun an, der Durchschnitt der Intervalle sei leer. Wenn eine Folge, die in821

der Intervallschachtelung liegt, einen Grenzwert x hat, dann muss es ein Intervall IN geben,822

das x nicht enthalt. Da x von IN einen positiven Abstand ε hat, ist (x − ε, x + ε) eine823

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1.10. REELLE ZAHLEN 21

Umgebung von x, die mit IN disjunkt ist. Es liegen fast alle Glieder der Folge in IN und824

nicht in (x− ε, x+ ε), das ist ein Widerspruch zur Konvergenz. Also sind die Folgen in der825

Intervallschachtelung nicht konvergent. �826

Um zu erkennen, dass es Cauchy-Folgen gibt, die nicht konvergieren, stellen wir zunachst827

ein paar Uberlegungen zu Potenzen rationaler Zahlen an:828

Beispiel 1.9.5. Wenn x in Q \ Z ist, dann liegt auch xk in Q \ Z fur alle k ∈ N.829

Beweis. Es sei x = ab aus Q+ \ N mit ggT(a, b) = 1 (siehe Lemma 1.5.2), wobei b ≥ 2,830

da x /∈ N. In ihrer eindeutigen Primfaktorzerlegung [11, Satz 5.3.45] haben a und b keinen831

Faktor gemeinsam. Dasselbe gilt fur die eindeutigen Primfaktorzerlegung von ak und bk.832

Das bedeutet, dass ak

bknicht gekurzt werden kann und (ab )k keine ganze Zahl ist. �833

Korollar 1.9.6. Es gibt keine rationale Zahl, deren k-te Potenz in834

N \ {nk | n ∈ N}ist, fur k ≥ 2. Das heißt, es gibt in Q keine k-te Wurzel einer naturlichen Zahl, es sei denn835

die Wurzel ist ganzzahlig.836

Beispiel 1.9.7. Es sei I0 = [a0, b0] = [1, 2]. Wir definieren rekursiv837

In+1 = [an+1, bn+1] :=

{[an,

an+bn2 ] falls (an+bn2 )2 ≥ 2,

[an+bn2 , bn] falls (an+bn2 )2 < 2.

Die ersten drei Intervalle der Folge sind I1 = [1, 1.5], I2 = [1.25, 1.5] und I3 = [1.375, 1.5].838

Mit Induktion folgt, dass a2n < 2 < b2n fur alle n. Es ist `(In) = 12n eine Nullfolge und839

In+1 ⊂ In, das heißt, diese Intervalle bilden eine Intervallschachtelung.840

Angenommen, die Folgen (an)n∈N und (bn)n∈N sind konvergent, dann haben sie densel-841

ben Grenzwert, und nach Satz 1.8.5.2 ist842

lim a2n = (lim an)2 = (lim bn)2 = lim b2n.

Wegen a2n < 2 < b2n ist nach dem Sandwich-Theorem 1.8.7 dieser Wert gleich lim 2 = 2. Eine843

rationale Zahl, deren Quadrat gleich 2 ist, gibt es aber nach Korollar 1.9.6 nicht. Also sind844

die Folgen (an)n≥0 und (bn)n≥0 Cauchy-Folgen, weil sie in einer Intervallschachtelung liegen845

(Satz 1.9.3), die jedoch nicht konvergent sind, weil sie keinen Grenzwert in Q haben.846

1.9.8 (Theoriefrage 14). Zeigen Sie, dass jede Folge, die in einer Intervallschachtelung847

liegt, eine Cauchy-Folge ist.848

1.9.9 (Theoriefrage 15). Zeigen Sie: Wenn eine konvergente (rationale) Folge in einer849

(rationalen) Intervallschachtelung liegt, dann besteht der Durchschnitt aller Intervalle aus850

genau einem Punkt, namlich dem Grenzwert der Folge.851

1.9.10 (Theoriefrage 16). Zeigen Sie, dass es ganze Zahlen gibt, die in Q keine Qua-852

dratwurzel haben und leiten Sie daraus ab, dass es in Q Cauchy-Folgen gibt, die nicht853

konvergieren.854

1.10. Reelle Zahlen855

Definition 1.10.1. Wir schreiben (xn) ∼ (yn), wenn lim |xn − yn| = 0.856

Lemma 1.10.2. Die Relation aus Definition 1.10.1 ist eine Aquivalenzrelation auf der857

Menge der rationalen Folgen.858

Beweis. Es seien (xn), (yn), (zn) beliebige rationale Folgen.859

Aus lim |xn − xn| = 0 folgt (xn) ∼ (xn) fur alle Folgen (Relfexivitat).860

Wenn lim |xn − yn| = 0, dann ist auch lim |yn − xn| = 0, also folgt y ∼ x aus x ∼ y861

(Symmetrie).862

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22 1. ZAHLEN UND FOLGEN

Wegen der Dreiecksungleichung ist863

|zn − xn| = |(zn − yn) + (yn − xn)| ≤ |zn − yn|+ |yn − xn|.

Daher ist (xn) ∼ (zn) falls (xn) ∼ (yn) und (yn) ∼ (zn). �864

Mit C bezeichnen wir die Menge aller rationalen Cauchy-Folgen.865

Definition 1.10.3. Die Menge der reellen Zahlen ist definiert als Quotientenmenge866

R := C/ ∼ .

Jede rationale Zahl q wird auch als reelle Zahl aufgefasst, namlich als jene Aquivalenz-867

klasse von rationalen Cauchy-Folgen, die die konstante Folge (q)n∈N enthalt.868

Lemma 1.10.4. Die Intervalle von Intervallschachtelungen, in denen die Cauchy-Folgen869

unterschiedlicher reeller Zahlen liegen, haben ab einer Stelle einen positiven Abstand von-870

einander.871

Beweis. Abgeschlossene Intervalle, die keinen positiven Abstand voneinander haben,872

haben ein gemeinsames Element. Falls die Intervallschachtelungen keinen positiven Abstand873

haben, gibt es also eine Folge, die in beiden liegt, was der Annahme widerspricht, das in den874

Intervallschachtelungen die Cauchy-Folgen unterschiedlicher reeller Zahlen liegen. �875

Wir haben bereits in Satz 1.8.5 gesehen, dass der Grenzwert von Summe oder Produkt876

konvergenter Folgen wieder gleich der Summe bzw. dem Produkt der Grenzwerte ist. Um877

zu zeigen, dass reelle Zahlen addiert und multipliziert werden konnen, mussen wir einen878

analogen Satz fur Cauchy-Folgen zeigen:879

Satz 1.10.5. Wir nehmen an, es liegt (xn)n∈N in der Intervallschachtelung ([an, bn])n∈N880

und (yn)n∈N in der Intervallschachtelung ([cn, dn])n∈N.881

Dann ist ([an + cn, bn + dn])n∈N eine Intervallschachtelung, in der (xn + yn)n∈N liegt.882

Wenn an > 0 und cn > 0, fur alle n dann liegt (xn · yn)n∈N in der Intervallschachtelung883

([an · cn, bn · dn])n∈N.884

Beweis. Aus an ≤ an+1 < bn+1 ≤ bn und cn ≤ cn+1 < dn+1 ≤ dn folgt an + cn ≤885

an+1 + cn+1 < bn+1 + dn+1 ≤ bn + dn, also ist886

[an+1 + cn+1, bn+1 + dn+1] ⊂ [an + cn, bn + dn].

Nach Satz 1.8.5 ist887

lim(bn − an) + lim(dn − cn) = lim((bn + dn)− (an + cn)) = 0.

Das heißt, die Langen der Intervalle [an + cn, bn + dn] gehen gegen Null. Also ist gezeigt,888

dass ([an + cn, bn + dn])n∈N eine Intervallschachtelung ist.889

Fur jedes n sind ab einem Index N die Glieder xm in [an, bn] und die Glieder ym in890

[cn, dn] enthalten und somit an+cn ≤ xm+ym ≤ bn+dn fur alle m ≥ N . Also liegt (xn+yn)891

in ([an + cn, bn + dn])n∈N.892

Fur das Produkt ist893

bndn − ancn = (bn − an)dn + (dn − cn)an.

Weil (an)n∈N und (dn)n∈N beschrankt und (bn − an)n∈N und (dn − cn)n∈N Nullfolgen sind,894

ist nach Lemma 1.8.8895

lim(bn − an)dn = lim(dn − cn)an = 0

und somit nach Satz 1.8.5896

lim(bndn − ancn) = 0.

Außerdem ist897

[an+1cn+1, bn+1dn+1] ⊂ [ancn, bndn]

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1.10. REELLE ZAHLEN 23

und wieder gibt es fur jedes n ein N , sodass fur alle m ≥ N gilt: xm ∈ [an, bn] , ym ∈ [cn, dn]898

und weil beide linken Intervallgrenzen positiv sind, folgt899

xmym ∈ [ancn, bndn]

fur alle m ≥ N . �900

Satz 1.10.5 gilt auch fur Produkte beliebiger (nicht notwendigerweise positiver) Zahlen,901

es mussen nur die Vorzeichen angepasst werden. Sind z.B. beide Folgen ab einer Stelle902

negativ, dann sind die linken Intervallgrenzen an und cn auch alle negativ, und aus an <903

xn < 0 und bn < yn < 0 folgt −anbn < −xnyn < 0, daher sind −anbn die gesuchten linken904

Intervallgrenzen fur das Produkt.905

Korollar 1.10.6. Summen von beliebigen und Produkte von positiven Cauchy-Folgen906

sind wieder Cauchy-Folgen.907

Definition 1.10.7. Fur x, y ∈ R definieren wir908

(1.10.7.1) x+ y := {(xn + yn)n∈N | (xn)n∈N ∈ x, (yn)n∈N ∈ y},909

(1.10.7.2) x · y := {(xn · yn)n∈N | (xn)n∈N ∈ x, (yn)n∈N ∈ y}.Wenn x 6= 0, definieren wir910

(1.10.7.3)1

x:= {(zn)n∈N | (znxn)n∈N ∼ (1)n∈N fur eine Folge (xn)n∈N ∈ x}.

Nach der Definition reeller Zahlen, ist die reelle Zahl 0 genau die Mengen aller ratio-911

nalen Nullfolgen. In 1.10.7 bedeutet x 6= 0 also, dass die Aquivalenzklasse x nicht jene der912

Nullfolgen ist.913

Lemma 1.10.8. Die Verknupfungen aus Definition 1.10.7 sind Abbildungen R×R→ R.914

Beweis. Nach Korollar 1.10.6 bestehen die Mengen in 1.10.7.1 und 1.10.7.2 aus Cauchy-915

Folgen, die zueinander aquivalent sind. Noch zu zeigen ist, dass diese Mengen tatsachlich alle916

Folgen dieser Aquivalenzklassen enthalten. Wenn (zn) aus dieser Aquivalenzklasse ist, wenn917

also (zn) ∼ (xn+yn) mit (xn) ∈ x und (yn) ∈ y, dann ist (zn−yn) ∼ (xn+yn−yn) = (xn).918

Also ist919

(zn)n∈N = (zn − yn)n∈N + (yn)n∈N

die Summe aus zwei Folgen, von denen die erste Element von x und die zweite Element von920

y ist. Somit ist (zn)n∈N in x+y, was zu zeigen war. Der Beweis fur 1.10.7.2 lauft analog. �921

Definition 1.10.9. Fur x, y ∈ R schreiben wir x ≤ y, wenn es eine Folge (xn) in x und922

eine Folge (yn) in y gibt mit xn ≤ yn fur alle n. Wir schreiben x < y, wenn x ≤ y und x 6= y.923

Ist 0 < x, dann heißt x positiv, wenn x < 0 ist, dann heißt x negativ.924

Lemma 1.10.10. Es ist (R,≤) eine total geordnete Menge.925

Beweis. Wenn (xn) ∈ x, (yn) ∈ y und x 6= y, dann sind zwei rationale Intervallschach-926

telungen, die diese Folgen enthalten, ab einer Stelle disjunkt. Daraus ergibt sich entweder927

x < y oder y < x. Reflexivitat, Antisymmerie und Transitivitat ubertragen sich von den928

entsprechenden Eigenschaften der Ordnung von Q. �929

Reelle Zahlen konnen in eindeutiger Weise durch sogenannte Dezimalbruche darge-930

stellt werden. Das heißt, zu jeder reellen Zahl x ∈ [0, 1) gibt es eine Folge (an)n∈N in931

{0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9}, sodass die Folge (sn)n∈N mit932

sn = a11

10+ a2

1

102+ a3

1

103+ . . .+ an

1

10n

gegen x konvergiert. Wir konnen dann 0.a1a2a3 . . . statt x schreiben. Wenn wir den Fall,933

dass (an) ab einer Stelle nur aus Ziffern 9 besteht ausschließen, dann ist diese Dezimalbruch-934

darstellung eindeutig, was wir erkennen, wenn wir Intervallschachtelungen mit halboffenen935

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24 1. ZAHLEN UND FOLGEN

Intervallen betrachten: Wir teilen [0, 1) in 10 gleich große Intervalle. Liegt x im ersten dieser936

Intervalle, ist a1 = 0, liegt es im zweiten ist a2 = 1 und so fort. Nun teilen wir jenes Intervall,937

in dem x liegt, wieder in zehn halboffene Intervalle und bestimmen so a2. Auf diese Weise938

bestimmen wir die Folge (an). Sollte jedoch x einmal am linken Randpunkt eines der In-939

tervalle liegen, brechen wir diesen Algorithmus ab und stellen x als endlichen Dezimalbruch940

dar, also durch eine endlich Folge in {0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9}. Der Fall, dass ab einer Stelle941

alle an = 9 sind, kann nicht eintreten, denn dann ware x gleich dem rechten Randpunkt von942

jenem halboffenen Intervall, ab dem alle an = 9 sind.943

Definition 1.10.11. Mengen, die nicht abzahlbar sind, nennen wir uberabzahlbar.944

Satz 1.10.12. Die Menge der reellen Zahlen ist uberabzahlbar.945

Beweis. Angenommen R hatte eine Abzahlung, dann hatte auch [0, 1) eine Abzahlung946

y1, y2, y3,. . . mit947

y1 = 0. x1,1 x1,2 x1,3 x1,4 . . .y2 = 0. x2,1 x2,2 x2,3 x2,4 . . .y3 = 0. x3,1 x3,2 x3,3 x3,4 . . .y4 = 0. x4,1 x4,2 x4,3 x4,4 . . ....

......

......

Wir wahlen nun zn ∈ {0, 1} so, dass zn 6= xn,n ist. Dann ist z = 0.z1z2z3 . . . in (0, 1] und948

unterscheidet sich von jedem der yn in mindestens einer Ziffer. Wegen der Eindeutigkeit949

der Dezimalbruchentwicklung ist z verschieden von allen yn. Das ist ein Widerspruch dazu,950

dass eine Abzahlung alle Elemente der Menge enthalt. Also ist [0, 1) und somit auch R951

uberabzahlbar. �952

1.10.13 (Theoriefrage 17). Wie werden die reellen Zahlen mithilfe rationaler Cauchy-953

Folgen konstruiert?954

1.10.14 (Theoriefrage 18). Zeigen Sie, dass die Summe zweier rationaler Cauchy-Folgen955

wieder eine Cauchy-Folge ist.956

1.10.15 (Theoriefrage 19). Zeigen Sie, dass die Menge der reellen Zahlen uberabzahlbar957

ist.958

1.11. Erweiterte reelle Zahlen959

Definition 1.11.1. Wenn eine Folge ab einer Stelle großer (bzw. kleiner) als jede be-960

liebig gewahlte reelle Zahl ist, nennen wir sie bestimmt divergent gegen +∞ (sprich: “plus961

Unendlich”), bzw. bestimmt divergent gegen −∞ (sprich: “minus Unendlich”).962

Formal: Wenn (xn) eine Folge ist und es fur jedes x ∈ R ein N ∈ N gibt, sodass xn > x963

bzw. xn < x ist fur alle n > N , nennen wir (xn) bestimmt divergent gegen +∞ bzw. bestimmt964

divergent gegen −∞ und schreiben lim an = +∞ bzw. lim an = −∞.965

Wenn limxn =∞ und lim yn ∈ R, dann ist966

lim(xn + yn) = lim(xn − yn) =∞.

Wenn y > 0, ist außerdem967

lim(xnyn) = lim(xn/yn) =∞.

Wenn auch lim yn =∞ ist, dann gilt968

lim(xn + yn) = lim(xnyn) =∞.

Fur das Konvergenzverhalten der Folgen (xn − yn)n∈N und (xn/yn)n∈N gibt es in diesem969

Fall jedoch keine allgemeinen Regeln.970

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1.12. VOLLSTANDIGKEIT DER REELLEN ZAHLEN 25

Beispiel 1.11.2 (Ubungsbeispiel 19). Finden Sie jeweils ein Beispiel fur Folgen (xn)971

und (yn) mit lim(xnyn) = 0 und972

(1) limxn =∞ (2) limxn ∈ R \ {0} (3) (xn) divergent, aber nicht bestimmt diverent.973

1.12. Vollstandigkeit der reellen Zahlen974

Wir erinnern uns daran, dass rationale Zahlen einerseits jene Zahlen sind, die in der975

Konstruktion der reellen Zahlen verwendet werden, und dass andererseits eine rationale976

Zahl q auch selbst als reelle Zahl aufgefasst werden kann, namlich als jene Aquivalenzklasse977

von rationalen Cauchy-Folgen, welche die konstante Folge (q)n∈N enthalt, siehe dazu auch978

Kapitel 1.4.979

Definition 1.12.1. Wir nennen I = R \Q die Menge der irrationalen Zahlen.980

Lemma 1.12.2. Wenn x rational und y irrational ist, dann ist x + y irrational. Wenn981

außerdem x 6= 0 ist, dann ist xy irrational.982

Beweis. Wenn die Summe z = x + y (bzw. das Produkt z = xy) rational ware, dann983

ware auch z−x (bzw. z/x) und somit y rational, also ist z = x+ y (bzw. z = xy) irrational.984

�985

Satz 1.12.3. Zwischen allen Paaren verschiedener reeller Zahlen liegen unendlich viele986

rationale und unendlich viele irrationale Zahlen.987

In der Topologie sagen wir, dass sowohl Q als auch I in R dicht liegen.988

Beweis von Satz 1.12.3. Von zwei gegebenen verschiedenen reellen Zahlen bezeich-989

nen wir mit x die kleinere und mit y die großere. Es sei ([an, bn])n∈N eine rationale Intervall-990

schachtelung, in der eine Cauchy-Folge von x liegt, und ([cn, dn])n∈N eine, in der eine Folge991

von y liegt. Nach Lemma 1.10.4 gibt es ein N , sodass992

x < bn < cn < y,

ist fur alle n ≥ N . Zwischen den rationalen Zahlen bn und cn lassen sich nun leicht unendlich993

viele rationale Zahlen konstruieren; diese liegen zwischen x und y.994

Fur p, q ∈ Q mit p < q ist995

p < p+1√2

(q − p) < q

wegen 0 < 1/√

2 < 1. Dass der mittlere Term der Ungleichungskette irrational ist, folgt996

aus Korollar 1.9.6 und Lemma 1.12.2. Also liegt zwischen je zwei verschiedenen rationalen997

Zahlen eine irrationale Zahl. Da zwischen x und y unendlich viele verschiedene rationale998

Zahlen liegen, mussen auch unendlich viele irrationale Zahlen zwischen x und y liegen. �999

Mit R+ bezeichnen wir die Menge der positiven reellen Zahlen {x ∈ R | x > 0}, und mit1000

R− die Menge der negativen reellen Zahlen {x ∈ R | x < 0}.1001

Lemma 1.12.4 (Archimedische Eigenschaft der reelle Zahlen). Fur alle ε ∈ R+ gibt es1002

ein n ∈ N mit 1n < ε. Fur alle x, y ∈ R+ gibt es ein n ∈ N, sodass y < nx ist.1003

Beweis. Nach Satz 1.12.3 liegt eine rationale Zahl q = m/n zwischen 0 und ε. Also ist1004

1n < ε fur n ∈ N. Auch fur ε = x

y gibt es ein n ∈ N mit 1n <

xy und somit y < nx. �1005

Bemerkung 1.12.5. Die reellen Zahlen bilden wie die rationalen Zahlen einen Korper,1006

siehe zum Beispiel [11, Kapitel 5.4]. Unsere bisherigen Argumente in den Satzen uber ratio-1007

nale Zahlen basieren meist nur auf den Axiomen eines Korpers, also auf den Rechenregeln1008

fur die vier Grundrechnungsarten. Aus diesem Grund lassen sie sich unverandert auf die1009

reellen Zahlen ubertragen. Insbesondere gelten daher folgende Definitionen und Aussagen1010

auch fur reelle Zahlen: 1.7.2–1.7.9, 1.8.1–1.8.9 und 1.9.1–1.9.4.1011

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26 1. ZAHLEN UND FOLGEN

Eine Ausnahme bildet die Archimedische Eigenschaft der rationalen Zahlen (Lemma 1.7.1),1012

weil in ihrem Beweis verwendet wird, dass rationale Bruche einen ganzzahligen Nenner und1013

einen ganzzahligen Zahler haben, was auf reelle Zahlen im Allgemeinen nicht zutrifft. Da-1014

her haben wir fur die Archimedische Eigenschaft der reellen Zahlen in Lemma 1.12.4 einen1015

eigenen Beweis angegeben.1016

Folgen reeller Zahlen nennen wir auch kurz reelle Folgen.1017

Satz 1.12.6. Die reellen Zahlen sind vollstandig, das heißt, jede reelle Cauchy-Folge1018

konvergiert.1019

Beweis. Jede reelle Cauchy-Folge liegt nach Bemerkung 1.12.5 und Satz 1.9.3 in einer1020

Intervallschachtelung. Die Intervalle konnen so gewahlt werden, dass die Endpunkte rational1021

sind, aber auch aus Satz 1.12.3 folgt, dass in jedem Intervall eine rationale Folge liegt. Diese1022

ist eine rationale Cauchy-Folge und die durch sie nach Definition 1.10.3 bestimmte reelle1023

Zahl ist Grenzwert der reellen Cauchy-Folge, von der wir ausgegangen sind. �1024

Die Vollstandigkeit ist die wesentlichste Eigenschaft, die die reellen von rationalen Zahlen1025

unterscheidet.1026

Wir erinnern uns daran, dass ein Supremum einer Menge eine kleinste obere Schranke1027

ist. Diese kann Element der Menge sein, dann ist sie ein Maximum, sie muss aber nicht1028

Element der Menge sein. Ein Infimum ist eine großte untere Schranke. In total geordneten1029

Mengen (d.h. alle Paare von Elementen sind vergleichbar) kann es nicht passieren, dass eine1030

Menge zwei Suprema oder zwei Infima hat. Fur die im folgenden Satz verwendeten Begriffe1031

siehe bei Bedarf Definitionen 4.2.28, 4.2.32., 6.3.1 und 6.4.1 aber auch Proposition 6.4.2 in1032

[11].1033

Satz 1.12.7 (Supremums- und Infimumseigenschaft). Die reellen Zahlen sind ordnungs-1034

vollstandig, das heißt, jede nicht leere nach oben beschrankte Menge hat ein eindeutiges1035

Supremum und jede nach unten beschrankte Menge hat ein eindeutiges Infimum.1036

Beweis. Eine nach oben beschrankte Menge A reeller Zahlen ist auch durch eine ra-1037

tionale Zahl b0 nach oben beschrankt. Es sei a0 eine rationale Zahl, die kleiner als irgendein1038

Element von A ist. Im Folgenden betrachten wir Intervalle reeller Zahlen mit rationalen1039

Endpunkten. Wir definieren I0 = [a0, b0] und fur n ≥ 1 sei1040

In = [an, bn] =

{[an−1,

an−1+bn−1

2 ], falls [an−1+bn−1

2 , bn−1] ∩A = ∅,[an−1+bn−1

2 , bn−1] sonst.

Vollstandige Induktion impliziert, dass bn fur alle n eine obere Schranke von A ist und dass1041

[an, bn] ein Element von A enthalt. Da die Langen dieser Intervalle gegen Null gehen, ist1042

die rationale Folge (bn)n∈N eine Cauchy-Folge. Um zu sehen, dass die reelle Zahl x, die1043

diese Cauchy-Folge enthalt, das gesuchte Supremum von A ist, mussen wir uns zwei Punkte1044

uberlegen: Erstens, dass x eine obere Schranke von A ist. Dies folgt aus der Definition der1045

Zahlen bn die alle großer oder gleich jedem Element von A sind. Und zweitens, dass x die1046

kleinste obere Schranke von A ist: Wir nehmen an, es gibt eine kleinere obere Schranke y.1047

Die Langen der Intervalle der Intervallschachtelung sind ab einem Index N kleiner als x−y.1048

Da x in [aN , bN ] ist, kann y nicht in [aN , bN ] liegen, wegen y < x ist y < aN . Nun ist aber y1049

kleiner als ein Punkt in A, was der Annahme widerspricht, dass y eine obere Schranke von1050

A ist. �1051

Beispiel 1.12.8 (Ubungsbeispiel 20). Haben folgende Mengen ein Supremum bzw. ein1052

Infimum in Q und/oder in R? Wenn ja, welches?1053

(1)⋂n∈N

((− 1

n, 1

)∪ {k ∈ N | k ≥ n}

)(2) {q ∈ Q | q2 < 2}

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1.13. HAUFUNGSWERTE UND HAUFUNGSPUNKTE 27

Beispiel 1.12.9 (Ubungsbeispiel 21). Es sei A ⊂ R nicht leer, nach unten beschrankt1054

und −A = {−x | x ∈ A}. Zeigen Sie:1055

inf A = − sup(−A).

1.12.10 (Theoriefrage 20). Zeigen Sie, dass zwischen je zwei verschiedenen reellen Zahlen1056

unendlich viele rationale und unendlich viele irrationale Zahlen liegen.1057

1.12.11 (Theoriefrage 21). Zeigen Sie, dass Q nicht vollstandig und dass R vollstandig1058

ist. Gehen Sie von der Konstruktion der reellen Zahlen uber Cauchy-Folgen aus.1059

1.12.12 (Theoriefrage 22). Zeigen Sie, dass R ordnungsvollstandig ist.1060

1.13. Haufungswerte und Haufungspunkte1061

Definition 1.13.1. Ein Punkt heißt Haufungswert einer Folge, wenn jede seiner Um-1062

gebungen unendlich viele Glieder der Folge enthalt.1063

Expliziter und formaler: Ein Punkt x ist Haufungswert der Folge (xn)n∈N, wenn es fur1064

jede Umgebung U von x eine unendliche Menge I ⊂ N gibt, sodass {xi | i ∈ I} ⊂ U ist.1065

Beispiel 1.13.2. Die Folge ((−1)n)n∈N hat zwei Haufungswerte, namlich −1 und 1. Die1066

Folge (1/n+ (−1)n)n∈N hat ebenfalls die Haufungswerte -1 und 1.1067

Definition 1.13.3. Eine Teilfolge einer Folge (xn)n∈N ist eine Folge (xnk)k∈N, wobei1068

(nk)k∈N eine streng monoton steigende Folge naturlicher Zahlen ist.1069

Ein Teilfolge entsteht also durch das Weglassen von Gliedern der Folge. Zum Beispiel1070

ist 2, 4, 6,. . . eine Teilfolge von 1, 2, 3, 4,. . .1071

Lemma 1.13.4. Ein Punkt ist genau dann Haufungswert einer Folge, wenn er Grenzwert1072

einer Teilfolge ist.1073

Beweis. Dass ein Grenzwert einer Teilfolge ein Haufungswert ist, folgt aus der Definiti-1074

on der Konvergenz (Definition 1.7.6). Umgekehrt, wenn x ein Haufungswert ist, wahlen wir1075

fur jede Umgebung (x− 1/k, x+ 1/k), k ∈ N, ein nk ∈ N mit xnk ∈ (x− 1/k, x+ 1/k) und1076

nk > nk−1. Dies ist moglich, da in (x−1/k, x+1/k) unendlich viele Folgenglieder liegen. �1077

Satz 1.13.5 (Satz von Bolzano-Weierstraß). Jede beschrankte reelle Folge hat einen1078

Haufungswert.1079

Beweis. Es sei (xn)n∈N durch a0 nach unten und durch b0 nach oben beschrankt. Wir1080

definieren rekursiv1081

[am+1, bm+1] :=

[am,

am + bm2

],

falls unendlich viele xn in [am,am+bm

2 ] liegen und anderenfalls1082

[am+1, bm+1] :=

[am + bm

2, bm

].

Induktiv wird eine Teilfolge von (xn)n∈N definiert, die in ([am, bm])m∈N liegt:1083

Wir setzen xn0 = x0 und wahlen ein weiters Glied der Folge aus [a1, b1], das wir mit1084

xn1 bezeichnen. Von den unendlich vielen Gliedern der Folge (xn)n∈N, die in [am, bm] lie-1085

gen, wahlen wir eines, das verschieden von den Folgengliedern xn0, xn1

,. . .xnm−1ist und1086

bezeichnen es mit xnm und so fort. Die so definierte Folge (xnm)m∈N ist eine Cauchy-Folge1087

und liegt in der Intervallschachtelung ([am, bm])m∈N. Die dadurch definierte reelle Zahl ist1088

Grenzwert von (xnm)m∈N und somit Haufungswert von (xn)n∈N. �1089

Lemma 1.13.6. Eine beschrankte reelle Folge, die genau einen Haufungswert hat, ist1090

konvergent.1091

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28 1. ZAHLEN UND FOLGEN

Beweis. Wenn x der einzige Haufungswert einer beschrankten Folge ist, muss jede1092

Umgebung von x fast alle Glieder der Folge enthalten, denn sonst wurden die Folgenglieder1093

außerhalb der Umgebung eine beschrankte Folge bilden, die nach dem Satz von Bolzano-1094

Weierstraß einen Haufungswert hat und dieser ware dann von x verschieden. �1095

Beispiel 1.13.7. Lemma 1.13.6 gilt nur fur beschrankte Folgen, denn die unbeschrankte1096

Folge (n+ (−1)nn)n∈N hat zwar genau einen Haufungswert, ist aber trotzdem nicht konver-1097

gent.1098

Satz 1.13.8. Jede beschrankte monotone reelle Folge ist konvergent.1099

Beweis. Nach dem Satz Bolzano-Weierstraß hat eine solche Folge zumindest einen1100

Haufungswert. Wir nehmen indirekt an, es gabe zwei Haufungswerte. Zwei disjunkte Um-1101

gebungen dieser Punkte enthalten jeweils unendlich viele Glieder der Folge, was jedoch nur1102

moglich ist, wenn die Folge unendlich oft zwischen den Umgebungen hin und her wechselt.1103

Das wiederum widerspricht ihrer Monotonie. Also hat die Folge genau einen Haufungswert1104

und ist nach Lemma 1.13.6 konvergent. �1105

Es spricht nichts gegen verbal gefuhrte Beweise wie jenen von Satz 1.13.8. Wichtig ist,1106

dass man bei Bedarf in der Lage ist, eine Argumentation beliebig detailliert und explizit1107

auszufuhren. Wenn die zwei Haufungswerte im letzten Beweis zum Beispiel mit x und y1108

bezeichnet werden, konnen die disjunkten Umgebungen als1109 (x− y − x

2, x+

y − x2

)und

(y − y − x

2, y +

y − x2

)oder als

1110 (x− y − x

3, x+

y − x3

)und

(y − y − x

3, y +

y − x3

)angegeben werden. Außerdem konnten die Indices der Folgenglieder, die in der einen und1111

der anderen Umgebung liegen bezeichnet werden. Wie genau und explizit Beweise gefuhrt1112

werden, ist bis zu einem gewissen Grad eine Frage des Geschmacks.1113

Definition 1.13.9. Ein Punkt x heißt Haufungspunkt einer Menge M , wenn fur jede1114

Umgebung U von x die Menge U \ {x} unendliche viele Elemente von M enthalt.1115

Lemma 1.13.10. Jeder Haufungspunkt der Menge {xn | n ∈ N} ist Haufungswert der1116

Folge (xn)n∈N.1117

Beweis. Die folgende Konstruktion ist jener im Beweis des Satzes von Bolzano-Weier-1118

straß (Satz 1.13.5) ahnlich. Wir setzen xn0= x0. Fur m ≥ 1 wahlen wir von den unendlich1119

vielen Gliedern der Folge, die in (x − 1/m, x + 1/m) liegen, eines aus, das verschieden von1120

den Folgengliedern xn0, xn1

,. . . ,xnm−1ist und bezeichnen es mit xnm . Die so definierte1121

Folge (xnm)m∈N konvergiert gegen x. Also ist der Haufungspunkt x auch Haufungswert der1122

Folge. �1123

Beispiel 1.13.11. Die Umkehrung der Aussage von Lemma 1.13.10 gilt im Allgemeinen1124

nicht, denn c ist zwar Haufungswert der konstanten Folge (c)n∈N, aber kein Haufungspunkt1125

der Menge {c}.1126

Definition 1.13.12. Mit lim supxn bzw. lim inf xn bezeichnen wir das Supremum bzw.1127

das Infimum der Haufungswerte einer Folge (xn)n∈N.1128

Das folgende Lemma besagt, dass das Supremum und das Infimum aus Definition 1.13.121129

in Wahrheit ein Maximum und ein Minimum sind.1130

Lemma 1.13.13. Existiert der Limes superior (bzw. der Limes inferior) einer reellen1131

Folge, dann hat sie eine Teilfolge, die gegen ihn konvergiert.1132

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1.14. WURZELN 29

Beweis. Es sei z = lim supxn. Fur jedes k ∈ N muss es einen Haufungswert zk der Folge1133

in [z − 1/k, z] geben, da z ja die kleinste obere Schranke der Haufungswerte ist. Eines der1134

Folgenglieder in [zk−1/k, zk+1/k] bezeichnen wir mit xnk . Also ist xnk ∈ (z−2/k, z+1/k)1135

und daher1136

limk→∞

xnk = z

und z ein Haufungswert von (xn)n∈N. �1137

Beispiel 1.13.14 (Ubungsbeispiel 22). Bestimmen Sie die Menge der Haufungswerte1138

der Folge1139

x1 = 1, x2 =1

2, x3 = 1, x4 =

1

2, x5 =

1

3, x6 = 1, x7 =

1

2, x8 =

1

3, x9 =

1

4, x10 = 1, . . .

Finden Sie eine Teilfolge, die gegen den Limes superior konvergiert und eine, die gegen den1140

Limes inferior konvergiert.1141

1.13.15 (Theoriefrage 23). Definieren Sie Teilfolgen und Haufungswerte einer Folge.1142

Zeigen Sie, dass jeder Haufungswert Grenzwert einer Teilfolge ist.1143

1.13.16 (Theoriefrage 24). Formulieren und beweisen Sie den Satz von Bolzano-Weierstraß.1144

1.13.17 (Theoriefrage 25). Zeigen Sie mithilfe des Satzes von Bolzano-Weierstraß, dass1145

eine beschrankte Folge mit genau einem Haufungswert konvergent ist. Ist die Voraussetzung1146

der Beschranktheit hier notwendig? Leiten Sie daraus ab, dass jede beschrankte monotone1147

reelle Folge konvergent ist.1148

1.13.18 (Theoriefrage 26). Definieren Sie Haufungspunkte einer Menge und Haufungs-1149

werte einer Folge. Ist jeder Haufungswert einer Folge (xn)n∈N auch Haufungspunkt von1150

{xn | n ∈ N}? Gilt die Umkehrung der letzten Aussage?1151

1.13.19 (Theoriefrage 27). Wie sind Limes superior und Limes inferior einer Folge de-1152

finiert? Zeigen Sie, dass Limes superior und Limes inferior einer Folge Haufungswerte der1153

Folge sind.1154

1.14. Wurzeln1155

Definition 1.14.1. Wenn xk = c fur k ∈ N, dann nennen wir x eine k-te Wurzel von c1156

und bezeichnen sie mit k√c oder c1/k.1157

Um zu zeigen, dass es in R im Gegensatz zu Q (siehe Korollar 1.9.6) moglich ist, Wurzeln1158

zu ziehen, verwenden wir das Verfahren der Intervallhalbierung, das wir schon aus 1.9.7,1159

1.12.7 und 1.13.5 kennen.1160

Lemma 1.14.2. Fur jedes k ∈ N haben alle positiven reellen Zahlen eine eindeutig1161

bestimmte k-te Wurzel in R+.1162

Beweis. Wegen der Supremumseigenschaft (Satz 1.12.7) hat fur jedes c ∈ R+ die Menge1163

{a ∈ R | ak ≤ c} ein eindeutiges Supremum x. Fur alle n ∈ N ist (x− 1/n)k ≤ c, denn wenn1164

(x−1/n)k > c ware, dann ware x−1/n eine kleinere Schranke der Menge als x und somit x1165

nicht das Supremum. Außerdem ist (x+ 1/n)k > c, denn falls (x+ 1/n)k ≤ c, ware x keine1166

obere Schranke der Menge. Also ist (x− 1/n)k ≤ c < (x+ 1/n)k und daher1167

lim

(x− 1

n

)k≤ c < lim

(x+

1

n

)k.

Wegen dem Grenzwertsatz fur Produkte (1.8.5.2) ist das gleichbedeutend mit1168 (lim

(x− 1

n

))k≤ c <

(lim

(x+

1

n

))kund somit1169

xk ≤ c ≤ xk beziehungsweise xk = c.

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30 1. ZAHLEN UND FOLGEN

Also ist x die k-te Wurzel von c in R+. �1170

Fur m,n ∈ N und x ∈ R+ ist (xm)n = (xn)m = xmn. Aus1171

xm = (( n√x)n)m = (( n

√x)m)n

folgt1172

n√xm = ( n

√x)m,

was folgende Definition gerechtfertigt:1173

Definition 1.14.3. Fur m,n ∈ N und x ∈ R+ ist xmn := n

√xm = ( n

√x)m.1174

Lemma 1.14.4. Wenn x ∈ R und p, q ∈ Q, dann ist1175

xp < xq ⇐⇒ p < q, falls x > 1,1176

xp > xq ⇐⇒ p < q, falls 0 < x < 1.

Beweis. Wir schreiben p = mp/n und q = mq/n als ganzzahlige Bruche mit gemein-1177

samem Nenner. Wenn x > 1 folgt n√x > 1, denn n

√x ≤ 1 wurde ( n

√x)n = x ≤ 1n = 11178

implizieren. Somit ist mp < mq aquivalent zu1179

xp = ( n√x)mp < ( n

√x)mq = xq.

Wenn 0 < x < 1 ist n√x < 1 und mp < mq ist aquivalent zu1180

xp = ( n√x)mp > ( n

√x)mq = xq.

�1181

Beispiel 1.14.5. Es ist lim n√n = 1.1182

Beweis. Wir definieren xn = n√n−1. Diese xn sind alle positiv. Nach dem Binomischen1183

Lehrsatz ist1184

n = (1 + xn)n =

n∑k=0

(n

k

)xkn = 1 + nxn +

n(n− 1)

2x2n + . . .

Daraus folgen1185

n >n(n− 1)

2x2n

und1186 √2

n− 1> xn.

Also bilden die xn eine Nullfolge. �1187

Beispiel 1.14.6 (Ubungsbeispiel 23). Konvergiert die Folge (n(√n+ 1 −

√n))n∈N?1188

Wenn ja, wohin? Hinweis: Erweitern Sie in geeigneter Weise zu einem Bruch.1189

Beispiel 1.14.7 (Ubungsbeispiel 24). Zu einer beliebigen positiven reellen Zahl c sei die1190

Folge (xn)n∈N rekursiv definiert, indem fur x0 ein beliebiger positiver Wert gewahlt wird,1191

dessen Quadrat großer als c ist und fur n ≥ 1 ist1192

xn :=1

2

(xn−1 +

c

xn−1

).

Zeigen Sie, dass diese Folge in R gegen eine Zahl konvergiert, deren Quadrat c ist.1193

Hinweis: Zeigen Sie, dass alle xn positiv sind, dass x2n > c ist und danach, dass die Folge1194

monoton fallt. Da die Folge dann konvergiert, konnen Sie Grenzwertsatze anwenden.1195

Beispiel 1.14.8 (Ubungsbeispiel 25). Fortsetzung zu den Fionacci-Zahlen: Es sei xn1196

der Quotient der Fibonacci-Zahlen Fn+1/Fn. Zeigen Sie, dass die Folge (xn) konvergiert1197

und bestimmen Sie den Grenzwert. Welche Satze aus der Vorlesung verwenden Sie dabei?1198

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1.15. KOMPLEXE ZAHLEN 31

1.14.9 (Theoriefrage 28). Zeigen Sie, dass jede naturliche Zahl fur jedes naturliche k1199

eine k-te Wurzel in R+ hat.1200

1.14.10 (Theoriefrage 29). Warum ist n√xm = ( n

√x)m fur alle m,n ∈ N und x ∈ R+?1201

Zeigen Sie fur p, q ∈ Q:1202

xp < xq ⇐⇒ p < q, falls x > 1,1203

xp > xq ⇐⇒ p < q, falls 0 < x < 1.

1.14.11 (Theoriefrage 30). Zeigen Sie, dass lim n√n = 1 ist.1204

1.15. Komplexe Zahlen1205

Definition 1.15.1. Die komplexen Zahlen C sind definiert als die Menge aller Paarereeller Zahlen zusammen mit den Verknupfungen

(a, b) + (c, d) = (a+ c, b+ d),

(a, b) · (c, d) = (ac− bd, ad+ bc).

Mit diesen Verknupfungen ist C ein Korper mit Nullelement (0, 0) und Einselement1206

(1, 0).1207

Definition 1.15.2. Der Realteil einer komplexen Zahl z = (a, b) ist Re(z) = a, der1208

Imaginarteil Im(z) = b und die Konjugierte z = (a,−b). Die Imaginare Einheit ist i = (0, 1).1209

Die reellen Zahlen werden als Teilmenge von C aufgefasst, wobei eine relle Zahl x der1210

komplexen Zahl (x, 0) entspricht. Den Umgang mit den vier Grundrechnungsarten in C set-1211

zen wir als bekannt voraus. Man beachte dass (0, 1) · (0, 1) = (−1, 0) ist. Anders geschrieben,1212

heißt das i2 = −1 bzw. i =√−1. Die Wurzel aus −1 ist also kein Mysterium, uber das es1213

sich zu philosophieren lohnt, sondern ein Element eines Zahlenbereichs, den wir auf einfache1214

Weise aus den reellen Zahlen erhalten.1215

Die komplexen Zahlen konnen als Ebene interpretiert werden. Der Betrag einer komple-1216

xen Zahl ist definiert wie die Lange des entsprechenden Vektors als |(a, b)| =√a2 + b2. Das1217

ergibt den Abstand zweier komplexer Zahlen als1218

|(a, b)− (c, d)| =√

(a− c)2 + (b− d)2.

Konvergenz komplexer Folgen wird ahnlich behandelt wie fur reelle Folgen, wobei statt1219

reeller Intervalle Kreisscheiben betrachtet werden, die uber diesen Abstandsbegriff definiert1220

sind.1221

Definition 1.15.3. Ein komplexe Folge (zn)n∈N heißt Cauchy-Folge, wenn es fur alle1222

reellen ε > 0 ein N gibt, sodass |zm − zn| < ε fur alle m,n ≥ N . Eine Menge U heißt1223

Umgebung von z, wenn es ε > 0 gibt, sodass1224

{y ∈ C : |z − y| < ε} ⊂ Uist. Die Folge konvergiert gegen z ∈ C, wenn sie in jeder Umgebung von z ab einer Stelle1225

enthalten ist. Aquivalent: Wenn es fur jedes ε > 0 ein N gibt sodass |z − zn| < ε fur alle1226

n ≥ N .1227

Lemma 1.15.4. Es seien zn = (an, bn) und z = (a, b) komplexe Zahlen, dann gilt:1228

lim zn = z ⇐⇒ lim an = a und lim bn = b.

Beweis. Es ist1229

lim zn = z ⇐⇒ lim |zn − z| = 0 ⇐⇒ lim√

(an − a)2 + (bn − b)2 = 0 ⇐⇒1230

lim(an − a)2 = 0 und lim(bn − b)2 = 0 ⇐⇒ lim an = a und lim bn = b.

�1231

Satz 1.15.5. Die komplexen Zahlen sind vollstandig.1232

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32 1. ZAHLEN UND FOLGEN

Beweis. Es sei (zn) mit zn = (an, bn) eine komplexe Cauchy-Folge. Das heißt, fur alle1233

ε > 0 gibt es ein N , sodass |zm − zn| < ε fur alle m,n ≥ N . Dann ist1234

|zm − zn|2 = (am − an)2 + (bm − bn)2 < ε2

und folglich |am − an| < ε und |bm − bn| < ε. Das heißt, (an) und (bn) sind reelle Cauchy-1235

Folgen, die wegen der Vollstandigkeit von R (siehe Satz 1.12.6) konvergieren. Nach Lem-1236

ma 1.15.4 konvergiert auch (zn), was bedeutet, dass C vollstandig ist. �1237

Aus der Konstruktion der Zahlenbereiche N, Z, Q, R und C sehen wir, dass die mit Ab-1238

stand aufwandigste Konstruktion jene der reellen Zahlen ist. Die wichtigsten algebraischen1239

Eigenschaften, die diese Zahlenbereiche voneinander unterscheiden sind folgende:1240

N: In N kann addiert und multipliziert werden werden.1241

Z: In Z gibt es im Gegensatz zu N eine Umkehrung der Addition.1242

Q: In Q gibt es im Gegensatz zu Z eine Umkehrung der Multiplikation.1243

R: In R ist im Gegensatz zu Q jede Cauchy-Folge konvergent.1244

C: In C hat im Gegensatz zu R jedes Polynom eine Nullstelle.1245

Diese Eigenschaft von C nennt man algebraische Abgeschlossenheit. Was die rellen Zahlen1246

gegenuber C auszeichnet, ist, dass sie einen geordneten Korper bilden.1247

Die Erweiterungen der Zahlenbereiche ergeben sich auf naturliche Weise durch die alge-1248

braischen Eigenschaften, die im jeweiligen mathematischen Arbeitsbereich benotigt werden.1249

Zum Beispiel fur einfache Schluss- oder Prozentrechnungen im Alltag benotigen wir weder1250

Limiten noch stetige Funktionen, hier reichen rationale Zahlen vollkommen aus.1251

Beispiel 1.15.6 (Ubungsbeispiel 26). Sind die Folgen (xn)n∈N konvergent? Bestimmen1252

Sie die Menge der Haufungswerte.1253

(1) xn =

(3

4+

3i

4

)n(2) xn =

(2

3+

2i

3

)n(3) xn =

n

2n+ 1(1 + in)1254

Hinweis: Beispiel 1.7.10.3 gilt nicht nur fur rationale und reelle Folgen, sondern auch fur1255

komplexe Folgen. Warum ist das so? Verwenden Sie auch Lemma 1.15.4.1256

1.15.7 (Theoriefrage 31). Wie ist die Menge der komplexen Zahlen definiert? Leiten Sie1257

aus der Vollstandigkeit von R ab, dass C vollstandig ist.1258

1.16. Konvergenzkriterien fur Reihen1259

Definition 1.16.1. Eine Reihe∑∞k=0 ak ist definiert als Folge der Partialsummen1260

(sn)n∈N0 , wobei sn =∑nk=0 ak und ak ∈ R. Die Zahlen ak nennen wir Summanden der1261

Reihe.1262

Wir schreiben∑

statt∑∞k=0,

∑∞n=0,

∑∞i=0 usw., wenn klar ist, was der Summations-1263

index ist und der Index von 0 weg lauft.1264

Beispiel 1.16.2. Fur alle q 6= 1 lasst sich mit Induktion zeigen, dass1265

1 + q + q2 + . . .+ qn =1− qn+1

1− qist. Die sogenannte geometrische Reihe

∑qk ist nach Definition 1.16.1 die Folge1266 (

n∑k=0

qk

)n∈N0

=

(1− qn+1

1− q

)n∈N0

.

Wenn die Reihe∑ak konvergiert, bezeichnen wir mit

∑ak auch gleichzeitig ihren1267

Grenzwert, sofern das nicht zu Missverstandnissen fuhrt. Wenn∑ak bestimmt gegen ∞1268

divergiert, schreiben wir∑ak =∞.1269

Nach Beispiel 1.7.10.3 konvergiert die Folge (qn+1) genau dann, wenn |q| < 1 ist. Also1270

konvergiert die geometrische Reihe auch genau dann, wenn |q| < 1 ist, und zwar gegen 11−q .1271

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1.16. KONVERGENZKRITERIEN FUR REIHEN 33

Satz 1.16.3 (Cauchy-Kriterium fur Reihen). Eine komplexe Reihe∑ak konvergiert1272

genau dann, wenn es fur alle ε > 0 ein N ∈ N gibt, sodass1273 ∣∣∣∣∣n∑

k=m

ak

∣∣∣∣∣ < ε

fur alle m,n ≥ N .1274

Beweis. Wegen der Vollstandigkeit der reellen Zahlen (Satz 1.12.6) konvergiert die1275

Folge der Partialsummen genau dann, wenn sie eine Cauchy-Folge ist, also wenn es fur alle1276

ε > 0 ein N gibt, sodass fur alle m− 1, n ≥ N1277

|sn − sm−1| =

∣∣∣∣∣n∑

k=m

ak

∣∣∣∣∣ < ε

ist, wobei wir n ≥ m annehmen. �1278

Korollar 1.16.4. Wenn∑∞k=0 ak konvergiert, ist die Folge ihrer Summanden (ak)k∈N0

1279

eine Nullfolge.1280

Beweis. Satz 1.16.3 gilt insbesondere fur m = n. Fur jedes ε > 0 ist daher |∑mk=m ak| =1281

|am| ≤ ε ab einer Stelle. �1282

Lemma 1.16.5. Eine Reihe mit positiven Summanden ist genau dann konvergent, wenn1283

sie beschrankt ist.1284

Beweis. Wenn die Summanden positiv sind, bilden die Partialsummen eine streng stei-1285

gende Folge. Wenn diese beschrankt ist, ist sie nach Satz 1.13.8 konvergent. �1286

Satz 1.16.6 (Minoranten- und Majorantenkriterium). Es sei∑bk eine reelle Reihe.1287

(1) Fur eine komplexe Reihe∑ak gilt: Wenn ab einer Stelle |ak| ≤ bk ist und

∑∞k=0 bk1288

konvergiert, dann konvergiert auch∑∞k=0 ak.1289

(2) Wenn∑ak eine reelle Reihe ist, ab einer Stelle 0 ≤ bk ≤ ak ist und

∑∞k=0 bk1290

divergiert, dann divergiert auch∑∞k=0 ak.1291

Beweis. Ob die Abschatzungen in (1) und (2) fur fast alle oder fur alle Summanden der1292

Reihe erfullt sind, macht fur ihr Konvergenzverhalten keinen Unterschied. Daher nehmen1293

wir der Einfachheit halber an, dass sie fur alle Summanden erfullt sind.1294

In (1) sind die Partialsummen∑nk=0 |ak| wegen1295

0 ≤n∑k=0

|ak| ≤∞∑k=0

bk

beschrankt. Daher konvergiert∑∞k=0 |ak| nach Lemma 1.16.5.1296

In (2) sind die Partialsummen∑nk=0 ak nicht beschrankt und

∑∞k=0 ak ist daher nach1297

Lemma 1.16.5 divergent. �1298

Definition 1.16.7. Die Reihe∑∞k=0 bk aus Satz 1.16.6 heißt in (1) konvergente Majo-1299

rante und in (2) divergente Minorante von∑∞k=0 ak.1300

Beispiel 1.16.8. Die Reihe1301

∞∑n=1

1

ns

divergiert fur s ≤ 1 und konvergiert fur 1 < s.1302

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34 1. ZAHLEN UND FOLGEN

Beweis. Fur s = 1 ist

2k∑n=1

1

n= 1 +

1

2+

(1

3+

1

4

)︸ ︷︷ ︸

> 12

+

(1

5+

1

6+

1

7+

1

8

)︸ ︷︷ ︸

> 12

+ . . .+

(1

2k−1 + 1+ . . .+

1

2k

)︸ ︷︷ ︸

> 12

≥ 1 + k1

2.

Letzterer Term divergiert gegen∞, wenn k gegen∞ geht. Also divergieren auch die Partial-summen gegen ∞. Fur s < 1 ist 1/ns > 1/n nach Lemma 1.14.4, und

∑∞n=0 1/ns divergiert

nach Satz 1.16.6.2. Fur s > 1, ist

2k+1−1∑n=1

1

ns= 1 +

(1

2s+

1

3s

)︸ ︷︷ ︸≤2 1

2s

+

(1

4s+ . . .+

1

7s

)︸ ︷︷ ︸

≤22 122s

+ . . .+

(1

2ks+ . . .+

1

(2k+1 − 1)s

)︸ ︷︷ ︸

≤2k 1

2ks

≤ 1 +1

2s−1+

(1

2s−1

)2

+ . . .+

(1

2s−1

)k=

1− ( 12s−1 )k+1

1− 12s−1

<1

1− 12s−1

,

somit beschrankt und die Reihe nach Lemma 1.16.5 konvergent, wobei wir hier die Sum-1303

menformel fur die geometrische Reihe verwendet haben, siehe Beispiel 1.16.2. �1304

Die Reihe∑∞n=1 1/n wird harmonische Reihe genannt.1305

Definition 1.16.9. Eine Reihe∑∞k=0 ak heißt absolut konvergent, wenn

∑∞k=0 |ak| kon-1306

vergiert.1307

Lemma 1.16.10. Absolut konvergente Reihen konvergieren.1308

Beweis. Nach Satz 1.16.3 bedeutet absolute Konvergenz von∑∞k=0 ak, dass es fur alle1309

ε > 0 ein N gibt, sodass fur alle m,n ≥ N der Betrag |∑nk=m |ak|| < ε ist. Daraus folgt1310

durch die Dreiecksungleichung |∑nk=m ak| < ε, womit die Reihe konvergiert. �1311

Satz 1.16.11 (Leibnitz-Kriterium). Wenn (ak)k∈N0monoton fallend gegen 0 konver-1312

giert, dann konvergiert1313 ∑k∈N

(−1)kak = a0 − a1 + a2 − a3 + . . .

gegen eine Zahl s und |s− sn| ≤ an+1, genauer:1314

s2n − s ≤ a2n+1 und s− s2n+1 ≤ a2n+2,

wobei sn die n-te Partialsumme der Reihe bezeichnet.1315

Beweis. Fur die n-ten Partialsummen sn =∑nk=0(−1)kak gilt1316

s0 ≥ s2 ≥ s4 ≥ . . . und s1 ≤ s3 ≤ s5 ≤ . . .weil s2n+2 − s2n = a2n+2 − a2n+1 ≤ 0 und s2n+3 − s2n+1 = −a2n+3 + a2n+2 ≥ 0. Außerdem1317

ist1318

s2n ≥ s2n+1 und lim(s2n − s2n+1) = lim−a2n+1 = 0 bzw.1319

s2n+2 ≥ s2n+1 und lim(s2n+2 − s2n+1) = lim a2n+2 = 0.

Also ist1320

[s1, s0] ⊃ [s1, s2] ⊃ [s3, s2] ⊃ [s3, s4] ⊃ . . .eine Intervallschachtelung, in der (sn)n∈N liegt. Die Reihe konvergiert daher gegen eine Zahl1321

s und es ist |s− sn| ≤ |sn+1 − sn| = an+1. �1322

Anschaulich gesagt, springen die Partialsummen links-rechts-links usw. um den Grenz-1323

wert s und nahern sich diesem dabei.1324

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1.16. KONVERGENZKRITERIEN FUR REIHEN 35

Beispiel 1.16.12. Die Reihe∑

(−1)n 1n konvergiert nach dem dem Leibnitz-Kiriterium1325

(Satz 1.16.11). Sie ist jedoch nicht absolut konvergent, weil die harmonische Reihe divergiert.1326

Satz 1.16.13 (Wurzel-Kriterium). Ist n√|an| ≤ c fur ein festes positives c < 1 ab einem1327

Index, dann ist∑an absolut konvergent. Wenn n

√|an| ≥ 1 fur unendlich viele n, dann1328

divergiert∑an.1329

Beweis. Wenn ab einer Stelle |an| ≤ cn ist, dann ist∑cn eine konvergente Majorante1330

von∑|an|. Wenn |an| ≥ 1 fur unendlich viele n, dann ist (an)n∈N keine Nullfolge und

∑an1331

divergiert. �1332

Satz 1.16.14 (Quotienten-Kriterium). Ist |an+1/an| ≤ c fur ein festes c < 1 ab einem1333

Index n, dann ist∑an absolut konvergent. Wenn |an+1/an| ≥ 1 ab einer Stelle, dann1334

divergiert∑an.1335

Beweis. Wenn |an+1/an| ≤ c ab einem Index N , dann ist |aN+1| ≤ c|aN | und |aN+2| ≤1336

c|aN+1| ≤ c2|aN |. Mittels Induktion folgt |aN+k| ≤ ck|aN | fur alle k ∈ N. Also ist |aN |∑cn1337

eine konvergente Majorante.1338

Wenn |an+1/an| ≥ 1 ab einer Stelle, dann ist die Folge der Betrage |an| steigend und1339

daher keine Nullfolge. �1340

Definition 1.16.15. Wenn k 7→ nk eine Bijektion N0 → N0 ist, nennen wir1341

∞∑k=0

ank

eine Umordnung der Reihe∑∞k=0 ak bzw.

∑∞n=0 an.1342

Beispiel 1.16.16. Die alternierende harmonische Reihe∑

(−1)n+1/n konvergiert nach1343

dem Leibnitz-Kriterium (Satz 1.16.11). Es ist1344

1− 1

2+

1

3+

(−1

4+

1

5

)︸ ︷︷ ︸

<0

+

(−1

6+

1

7

)︸ ︷︷ ︸

<0

+ · · · < 1− 1

2+

1

3=

5

6.

Fur die folgende Umordnung ist1345

1 +1

3− 1

2+

(1

5+

1

7− 1

4

)+

(1

9+

1

11− 1

6

)+ · · · > 1− 1

2+

1

3=

5

6,

weil fur alle k1346

1

4k − 3+

1

4k − 1− 1

2k> 0

ist. Das heißt, der Grenzwert einer Reihe kann sich durch Umordnung andern.1347

Satz 1.16.17 (Umordnungssatz). Wenn eine Reihe absolut konvergiert, dann konvergiert1348

auch jede ihrer Umordnungen und zwar gegen denselben Grenzwert.1349

Beweis. Es sei∑∞k=0 ank eine Umordnung von

∑an. Fur jedes N gibt es ein k, so-1350

dass {n0, n1, n2, . . . , nk} die Zahlen 0, 1, 2, . . . , N enthalt. Wenn m > k, dann treten die1351

Summanden a0, . . . , aN sowohl in∑mn=0 an als auch in

∑mi=0 ani auf. Also ist1352 ∣∣∣∣∣

m∑n=0

an −m∑i=0

ani

∣∣∣∣∣ ≤nm∑n=0

|an| −N∑n=0

|an|.

Da∑an absolut konvergiert, ist die rechte Seite der letzteren Ungleichung ab einem hin-1353

reichend großen N (und dementsprechend gewahlten k und m) kleiner als jedes positive ε.1354

Somit wird auch die linke Seite kleiner als jedes ε. Das bedeutet, dass auch die umgeordnete1355

Reihe konvergiert, und zwar gegen den Grenzwert der ursprunglichen Reihe. �1356

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36 1. ZAHLEN UND FOLGEN

Beispiel 1.16.18 (Ubungsbeispiel 27). Sind folgende Reihen konvergent, sind sie absolut1357

konvergent?1358

(1)∑ (−1)n

n√n

(2)

∞∑n=0

(n!)2

(2n)!1359

Beispiel 1.16.19 (Ubungsbeispiel 28). Sind folgende Reihen konvergent, sind sie absolut1360

konvergent?1361

(1)∑ 1

2n+ 1(2)

∑ (−1)nn− 7

2n2 − 11362

Beispiel 1.16.20 (Ubungsbeispiel 29). Berechne1363

∞∑n=1

2

n2 + 3n.

Hinweis: Partialbruchzerlegung.1364

Beispiel 1.16.21 (Ubungsbeispiel 30). Drucken Sie den Wert der Reihe1365

∞∑n=1

1

(2n− 1)2durch

∞∑n=1

1

n2

aus.1366

Beispiel 1.16.22 (Ubungsbeispiel 31). Finden Sie eine Umordnung der Reihe1367

∞∑n=3

(−1)n+1

n,

deren Partialsummen alle negativ sind.1368

1.16.23 (Theoriefrage 32). Formulieren und beweisen Sie das Cauchy-Kriterium fur re-1369

elle Reihen und leiten Sie daraus ab, dass die Summanden einer konvergenten Reihe eine1370

Nullfolge bilden.1371

1.16.24 (Theoriefrage 33). Warum sind beschrankte reelle Reihen mit positiven Sum-1372

manden konvergent? Formulieren und beweisen Sie das Majoranten- und das Minoranten-1373

kriterium fur Reihen.1374

1.16.25 (Theoriefrage 34). Zeigen Sie, fur welche positiven s die Reihe∑

1ns konvergent1375

bzw. divergent ist.1376

1.16.26 (Theoriefrage 35). Formulieren und beweisen Sie das Leibnitz-Kriterium fur1377

Reihen. Geben Sie (ohne weiteren Beweis) ein Beispiel einer Reihe an, die nach dem Leibnitz-1378

Kriterum konvergent ist, die aber nicht absolut konvergiert.1379

1.16.27 (Theoriefrage 36). Formulieren und beweisen Sie das Wurzel-Kriterium fur Rei-1380

hen. Geben Sie (ohne weiteren Beweis) ein Beispiel einer Reihe an, die nach dem Wurzel-1381

Kriterum konvergiert.1382

1.16.28 (Theoriefrage 37). Formulieren und beweisen Sie das Quotienten-Kriterium1383

fur Reihen. Geben Sie (ohne weiteren Beweis) ein Beispiel einer Reihe an, die nach dem1384

Quotienten-Kriterum konvergiert.1385

1.16.29 (Theoriefrage 38). Formulieren und beweisen Sie den Umordnungssatz fur abso-1386

lut konvergente Reihen. Zeigen Sie durch ein Gegenbeispiel, dass dieser Satz im Allgemeinen1387

nicht fur alle konvergenten Reihen gilt.1388

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1.17. DAS CAUCHY-PRODUKT VON REIHEN 37

1.17. Das Cauchy-Produkt von Reihen1389

Definition 1.17.1. Das Produkt (oder Cauchy-Produkt) der Reihen∑an und

∑bn ist1390

definiert als1391 ∑an∑

bn =

∞∑n=0

n∑k=0

akbn−k = (a0b0) + (a0b1 + a1b0) + (a0b2 + a1b1 + a2b0) + . . .

Eine Potenzreihe ist eine Reihe der Form∑anz

n. Die Zahlen an sind ihre Koeffizienten.1392

Die Notation∑an∑bn hat zwei Bedeutungen, denn abgesehen vom Cauchy-Produkt1393

kann damit auch der Zahlenwert des Produktes der Limiten gemeint sein, sofern diese exi-1394

stieren. Es sollte daher stets aus dem Zusammenhang klar sein, was mit dieser Schreibweise1395

gemeint ist.1396

Fur Potenzreihen sind die Koeffizienten∑nk=0 akbn−k des Cauchy-Produkts gerade die1397

Koeffizienten der Potenz zn:1398

∑anz

n∑

bnzn =

∞∑n=0

n∑k=0

akzkbn−kz

n−k =

∞∑n=0

(n∑k=0

akbn−k

)zn.

Das folgende Beispiel zeigt, dass das Produkt konvergenter Reihen nicht immer konver-1399

gent ist.1400

Beispiel 1.17.2. Die Reihe1401

∞∑n=1

(−1)n√n

= −1 +1√2− 1√

3+

1√4· · ·

konvergiert nach Satz 1.16.11. Das Produkt der Reihe mit sich selbst ist jedoch divergent:1402

∞∑n=1

(−1)n√n

∞∑n=1

(−1)n√n

=

1403

=1√1 · 1

−(

1√1 · 2

+1√2 · 1

)+

(1√1 · 3

+1√2 · 2

+1√3 · 1

)− · · ·

∞∑n=2

(n−1∑k=1

(−1)k√k

(−1)n−k√n− k

)=

∞∑n=2

(−1)nn−1∑k=1

1√k(n− k)

=

Wir erganzen k(n− k) = nk − k2 zu einem Quadrat1404

n2

4− nk + k2 = (

n

2− k)2 ≥ 0

und erhalten1405

k(n− k) ≤ n2

4bzw.

1

k(n− k)≥ 4

n2und

1√k(n− k)

≥ 2

n.

Also ist1406

n−1∑k=1

1√k(n− k)

≥n−1∑k=1

2

n=

2(n− 1)

n.

Letzterer Ausdruck konvergiert gegen 2, daher bilden die Summanden (−1)n∑n−1k=1

1√k(n−k)

1407

der Produktreihe keine Nullfolge. Folglich divergiert die Produktreihe.1408

Lemma 1.17.3. Das Produkt einer absolut konvergenten Reihe mit einer Reihe, die1409

gegen 0 konvergiert, konvergiert absolut gegen 0.1410

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38 1. ZAHLEN UND FOLGEN

Beweis. Es sei∑an absolut konvergent und

∑bn konvergent gegen 0. Wir setzen1411

α =∑|an| und βn =

∑nk=0 bk. Die n-te Partialsumme des Produkts ist die Summe aller1412

Paare akbl mit k + l ≤ n, also1413

n∑k=0

k∑i=0

aibk−i = a0(b0 + . . .+ bn) + a1(b0 + . . .+ bn−1) + . . .+ an(b0) =

n∑i=0

aiβn−i.

Wegen limβn = 0 gibt es fur jedes ε > 0 ein N , sodass |βn| < ε fur alle n > N . Es ist1414 ∣∣∣∣∣n∑i=0

aiβn−i

∣∣∣∣∣ = |a0βn + a1βn−1 + . . .+ anβ0| ≤

1415

|a0|ε+ |a1|ε+ . . .+ |an−(N+1)|ε+ |an−NβN + . . .+ anβ0| ≤ αε+ |an−NβN + . . .+ anβ0| .Bei fest gewahltem ε und davon abhangigem festen N ist1416

limn→∞

|an−NβN + . . .+ anβ0| = 0

und daher1417

lim supn→∞

∣∣∣∣∣n∑i=0

aiβn−i

∣∣∣∣∣ ≤ αεfur jedes ε > 0. Also ist dieser Limes superior ein Limes und gleich Null. Das heißt,1418

|∑an∑bn| = 0 und somit

∑an∑bn = 0. �1419

Satz 1.17.4. Das Produkt einer absolut konvergenten Reihe mit einer konvergenten Rei-1420

he ist absolut konvergent und der Grenzwert des Produkts ist das Produkt der Grenzwerte.1421

Beweis. Es sei∑an absolut konvergent gegen α und

∑bn konvergent gegen β. Dann1422

konvergiert∑bn − β gegen 0. Nach Lemma 1.17.3 ist1423 ∑an

(∑bn − β

)= 0 und daher

∑an∑

bn =(∑

an

)β = αβ.

�1424

Beispiel 1.17.5 (Ubungsbeispiel 32). Zeigen Sie mithilfe von Satz 1.17.4, dass die Reihe1425

∞∑n=1

(−1)nn−1∑k=1

1

k2(n− k)

konvergent ist.1426

Beispiel 1.17.6 (Ubungsbeispiel 33). Bestimmen Sie (1) (an) und (2) (bn) so, dass1427

1

(1− z)2=

∞∑n=0

anzn und

1

(1− z)3=

∞∑n=0

bnzn

ist, wobei z ∈ C mit |z| < 1.1428

1.17.7 (Theoriefrage 39). Definieren Sie das Cauchy-Produkt von Reihen. Nach welchem1429

Kriterium konvergiert∑∞n=1(−1)n/

√n?1430

1.17.8 (Theoriefrage 40*). Zeigen Sie, dass das Cauchy-Produkt von∑∞n=1(−1)n/

√n1431

mit sich selbst divergiert.1432

1.17.9 (Theoriefrage 41*). Zeigen Sie, dass das Produkt einer absolut konvergenten1433

Reihe mit einer Reihe, die gegen 0 konvergiert, absolut gegen 0 konvergiert. Zeigen Sie, dass1434

dies auch gilt, wenn die zweite Reihe gegen eine andere Zahl als 0 konvergiert.1435

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1.18. DIE EXPONENTIALREIHE 39

1.18. Die Exponentialreihe1436

Als Konvention definieren wir 00 = 1 und 0! = 1.1437

Definition 1.18.1. Die Exponentialfunktion ist definiert fur alle z ∈ C als1438

exp(z) =

∞∑n=0

zn

n!

Satz 1.18.2. Es konvergiert exp(z) fur alle komplexen z, es ist1439

(1) exp(0) = 11440

und fur alle z, w ∈ C gilt1441

(2) exp(z + w) = exp(z) exp(w),1442

(3) exp(z) 6= 0.1443

Fur alle x, y ∈ R ist1444

(4) exp(x) > 0,1445

(5) x < y ⇐⇒ exp(x) < exp(y).1446

Außerdem ist1447

(6) limn→∞

exp(n) =∞ und limn→∞

exp(−n) = 0.1448

Beweis. Aus der Definition von exp(z) folgt unmittelbar exp(0) = 1. Nach dem Quo-1449

tientenkriterium ist exp(z) fur alle komplexen z absolut konvergent, denn1450

lim supn→∞

zn+1n!

(n+ 1)!zn= lim sup

n→∞

z

(n+ 1)= 0.

Nach Satz 1.17.4 konvergiert daher das Produkt exp(z) exp(w) dieser Reihen und es ist

exp(z) exp(w) =

∞∑n=0

zn

n!

∞∑n=0

wn

n!=

∞∑n=0

n∑k=0

zkwn−k

k!(n− k)!

=

∞∑n=0

1

n!

n∑k=0

(n

k

)zkwn−k =

∞∑n=0

(z + w)n

n!= exp(z + w).

Aus exp(z) exp(−z) = exp(z − z) = exp(0) = 1 folgt1451

exp(−z) =1

exp(z)

und exp(z) 6= 0 fur alle komplexen z. Fur alle reelle Zahlen x folgt exp(x) > 0.1452

Wenn x > 0, folgt aus Definition 1.18.1, dass exp(x) > 1 ist. Wenn x, y ∈ R und x < y,1453

dann ist y = x+h und exp(y) = exp(x+h) = exp(x) exp(h), wobei exp(h) > 1 wegen h > 0.1454

Also ist exp(y) > exp(x).1455

Fur n ∈ N ist nach Definition 1.18.1 exp(n) > 1 + n und somit limn→∞ exp(n) = ∞.1456

Wegen exp(−n) exp(n) = 1 folgt limn→∞ exp(−n) = 0.1457

�1458

Definition 1.18.3. Die Eulersche Zahl ist definiert als e = exp(1).1459

Satz 1.18.4.

lim

(1 +

1

n

)n= e.

Beweis. Nach dem Binomialsatz ist1460 (1 +

1

n

)n=

n∑k=0

(n

k

)1

nn−k=

n∑k=0

n

n

n− 1

n. . .

n− (k − 1)

n

1

k!≤

n∑k=0

1

k!= e.

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40 1. ZAHLEN UND FOLGEN

Daraus folgt lim sup(1 + 1

n

)n ≤ e. Andererseits ist fur m ≤ n1461 (1 +

1

n

)n≥

m∑k=0

(n

k

)1

nk=

m∑k=0

n

n

n− 1

n. . .

n− (k − 1)

n

1

k!.

Wenn wir in der letzten Summe m konstant und n gegen∞ gehen lassen, strebt diese Summe1462

gegen1463m∑k=0

1

k!.

Also ist1464

lim infn→∞

(1 +

1

n

)n≥∞∑k=0

1

k!= e.

Das heißt1465

lim inf

(1 +

1

n

)n≥ e ≥ lim sup

(1 +

1

n

)n,

woraus die Aussage folgt. �1466

Beispiel 1.18.5 (Ubungsbeispiel 34). Sind folgende Reihen konvergent?1467

(1)

∞∑n=0

( ∞∑k=0

(−1)k

k!

)n(2)

∑(n

n+ 1

)2n

1468

1.18.6 (Theoriefrage 42). Wie ist die Exponentialreihe exp(z) definiert? Zeigen Sie1469

exp(z) exp(w) = exp(z + w) fur alle z, w ∈ C und exp(x) > 0 fur alle x ∈ R.1470

1.18.7 (Theoriefrage 43). Zeigen Sie lim(1 + 1

n

)n=∑∞n=0

1n! .1471

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KAPITEL 2

Stetigkeit1472

2.1. Metrische Raume1473

Definition 2.1.1. Wenn X eine Menge und d eine Abbildung X × X → R ist, dann1474

heißt das Paar (X, d) metrischer Raum, wenn fur alle x, y und z gilt:1475

(1) d(x, y) > 0 wenn x 6= y und d(x, x) = 0 (Definitheit),1476

(2) d(x, y) = d(y, x) (Symmetrie),1477

(3) d(x, y) + d(y, z) ≥ d(x, z) (Dreiecksungleichung).1478

Die Abbildung d heißt Metrik.1479

Beispiel 2.1.2. Alle bisher kennengelernten Zahlenbereiche N, Z, Q, R, C sowie alleTeilmengen davon sind metrische Raume. Auch R2 = R × R ist ein metrischer Raum, z.B.mit

d1((x1, y1), (x2, y2)) =√

(x2 − x1)2 + (y2 − y1)2,

d2((x1, y1), (x2, y2)) = |x2 − x1|+ |y2 − y1| oder

d3((x1, y1), (x2, y2)) = max{|x2 − x1|, |y2 − y1|}.

In der Ebene ist d1 der direkte euklidische Abstand und d2 ist die Lange eines kurzesten1480

Weges, der sich in waagrechte und senkrechte Teilabschnitte zerlegen lasst.1481

Definition 2.1.3. Wenn x ∈ X und ε > 0, dann heißt1482

Uε(x) = {y ∈ X | d(x, y) < ε}

offene ε-Umgebung von x im metrischen Raum (X, d). Ein Punkt x heißt innerer Punkt1483

einer Menge M ⊂ X und M heißt Umgebung von x, wenn M eine offene ε-Umgebung von x1484

enthalt. Die Menge M heißt offen, wenn sie nur aus inneren Punkten besteht, und sie heißt1485

abgeschlossen, wenn ihr Komplement X \M offen ist.1486

Beispiel 2.1.4. Offene Intervalle in Q bzw. in R sind offene Mengen, abgeschlossene1487

Intervalle sind abgeschlossene Mengen in Q bzw. in R. Die offene Kreisscheibe1488

{(x, y) ∈ R2 | (x− a)2 + (y − b)2 < r2}

mit Mittelpunkt (a, b) und Radius r ist eine offene Teilmenge von (R2, d1) mit d1 aus Bei-1489

spiel 2.1.2, aber auch bezuglich der anderen Abstandsfunktionen d2 oder d3.1490

Beispiel 2.1.5 (Ubungsbeispiel 35). Ist (R2, d) ein metrischer Raum fur1491

d((x1, y1), (x2, y2)) = (x2 − x1)2 + (y2 − y1)2?

2.2. Stetigkeit in metrischen Raumen1492

Definition 2.2.1. Wenn f eine Funktion X → Y ist, bezeichnet1493

f−1(A) = {x ∈ X | f(x) ∈ A}

das Urbild oder das f -Urbild der Menge A.1494

Es seien (X1, d1) und (X2, d2) metrische Raume und x0 ∈ X1. Eine Funktion X1 → X21495

heißt stetig in x0, wenn das Urbild jeder Umgebung von f(x0) eine Umgebung von x0 ist.1496

41

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42 2. STETIGKEIT

Die Funktion heißt stetig auf einer Menge, wenn sie in jedem Punkt der Menge stetig ist,1497

und sie heißt stetig, wenn sie auf dem ganzen Definitionsbereich stetig ist.1498

Eine Funktion ist unstetig an einer Stelle, wenn sie an dieser Stelle definiert, aber nicht1499

stetig ist. Eine solche Stelle heißt Unstetigkeitsstelle.1500

Beispiel 2.2.2. Es seien f1, f2, f3, f4 : R → R Funktionen mit f1(x) = x, f2(x) = 11501

f3(x) = |x| und f4(x) = sign(x). Die Funktionen f1, f2, f3 sind auf ganz R stetig, f4 ist auf1502

R \ {0} stetig, jedoch unstetig in 0.1503

Fur x ∈ R und ein beliebiges ε > 0 betrachten wir die Urbilder der Umgebungen1504

(fi(x)− ε, fi(x) + ε).

Fur i = 1 ist das Urbild von (f1(x)− ε, f1(x) + ε) = (x− ε, x+ ε) gleich1505

f−11 ((x− ε, x+ ε)) = (x− ε, x+ ε)

und daher eine Umgebung von x. Also ist f1 stetig in jeder Stelle x.1506

Fur i = 2 ist das Urbild von (f2(x) − ε, f2(x) + ε) = (1 − ε, 1 + ε) gleich R und somit1507

eine Umgebung von jedem Punkt x. Also ist f2 stetig auf R.1508

Das f3-Urbild von (f3(x)− ε, f3(x) + ε) fur x 6= 0 ist (−x− ε,−x+ ε)∪ (x− ε, x+ ε) fur1509

ε < |x|. Fur x = 0 ist f3(0) = 0 und das f3-Urbild von (−ε, ε) ist wieder (−ε, ε) und somit1510

eine Umgebung von 0.1511

Die Funktion f4 ist auf R+ und auf R− stetig, weil sie dort konstant ist. Fur x < 01512

ist das Urbild jeder Umgebung von f4(x) = −1 gleich R− und wenn x > 0 ist das Urbild1513

jeder Umgebung von f4(x) = 1 gleich R+. Es ist (−1/2, 1/2) eine Umgebung von f4(0) = 0,1514

jedoch ist das Urbild dieser Umgebung {0} und somit keine Umgebung von 0. Daher ist 01515

eine Unstetigkeitsstelle von f4.1516

Die Funktion f : R \ {0} → R mit f(x) = 1/x ist auf ihrem ganzen Definitionsbereich1517

stetig. Es ware falsch zu sagen, dass die Funktion in 0 unstetig ist, weil sie dort nicht definiert1518

ist.1519

x

f1(x)f1(x) = x

x

f2(x)

f2(x) = c

x

f3(x)

f3(x) = |x|

x

f4(x)

f4(x) = sign(x)

Abbildung 1. Stetige und unstetige Funktionen

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2.2. STETIGKEIT IN METRISCHEN RAUMEN 43

Definition 2.2.3. Ein Punkt x ∈ X in einem metrischen Raum (X, dX) heißt isoliert,1520

wenn er kein Haufungspunkt von X ist. In so einem Fall gibt es eine Umgebung von x, die nur1521

endlich viele Elemente hat. Wenn dies der Fall ist, dann gibt es ε > 0, sodass Uε(x) = {x}1522

ist. Anders formuliert: Der Punkt x ist genau dann isoliert, wenn {x} eine Umgebung von1523

x ist.1524

In einem isolierten Punkt p ist jede Funktion stetig, denn das Urbild jeder Umgebung1525

von f(p) enthalt p und ist daher eine Umgebung von p. Im Folgenden setzen wir fur alle1526

metrischen Raume voraus, dass sie keine isolierten Punkte haben. Solche metrischen Raume1527

werden auch perfekt genannt.1528

Definition 2.2.4. Es seien (X, dX) und (Y, dY ) metrische Raume, D ⊂ X, f : D → Y1529

eine Abbildung, p ein Haufungspunkt von D und q ∈ Y . Wir schreiben1530

limx→p

f(x) = q

oder f(x) → q fur x → p, falls es fur alle ε > 0 ein δ > 0 gibt, sodass fur alle x ∈ D mit1531

0 < dX(x, p) < δ die Ungleichung dY (f(x), q) < ε erfullt ist.1532

Anders formuliert: Wir schreiben limx→p f(x) = q, wenn es fur jede Umgebung V in Y1533

von q eine Umgebung U von p in X gibt, sodass f((U ∩D) \ {p}) ⊂ V ist.1534

Anschaulich formuliert ist der Limes einer Funktion an einer Stelle der Wert, gegen den1535

sich die Funktion annahert, wobei die Stelle p selbst außer Acht gelassen wird. Es kann p1536

sogar außerhalb des Definitionsbereichs D liegen.1537

Beispiel 2.2.5. Es sei f : R→ R gegeben durch1538

f(x) =

{1 wenn x = 0,

0 wenn x 6= 0.

Dann existiert limx→0 f(x) und ist gleich 0 und somit ungleich dem Funktionswert f(0) = 1.1539

x

f(x)

Abbildung 2. Funktion mit limx→0 f(x) 6= f(0)

1540

Die reelle Vorzeichenfunktion f mit f(x) = sign(x) aus Beispiel 2.2.2 hat in 0 jedoch1541

keinen Limes.1542

Gelegentlich wird der Funktionenlimes auch anders definiert und die Stelle selbst beruck-1543

sichtigt. In so einem Fall wird also verlangt, dass der Limes mit dem Funktionswert an der1544

betreffenden Stelle ubereinstimmt.1545

Satz 2.2.6. Es seien (X, dX) und (Y, dY ) metrische Raume ohne isolierte Punkte, f1546

eine Abbildung X → Y . Dann sind folgende Aussagen aquivalent:1547

(1) Die Funktion f ist stetig in p. Das heißt, fur jede Umgebung U von f(p) ist f−1(U)1548

eine Umgebung von p.1549

(2) Fur alle ε > 0 gibt es ein δ > 0, sodass dY (f(x), f(p)) < ε ist fur alle x mit1550

dX(x, p) < δ (“ε-δ-Definition” der Stetigkeit).1551

(3) Es ist limx→p f(x) = f(p).1552

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44 2. STETIGKEIT

(4) Fur jede Folge (xn) in X mit limxn = p und xn 6= p ist lim f(xn) = f(p). (Fol-1553

genkriterium)1554

Beweis. Wenn (1) erfullt ist, dann ist fur jedes ε > 0 das Urbild f−1(Uε(f(p)) ei-1555

ne Umgebung von p. Folglich gibt es ein δ > 0 mit Uδ(p) ⊂ f−1(Uε(f(p)). Daraus folgt1556

f(Uδ(p)) ⊂ Uε(f(p)) und es ist dY (f(x), f(p)) < ε fur alle x mit dX(x, p) < δ. Also gilt1557

(1)⇒ (2).1558

Wenn (2) erfullt ist, gibt es fur alle ε > 0 ein δ > 0 mit f(Uδ(p)) ⊂ Uε(f(p)). Das1559

bedeutet nach Definition 2.2.4, dass limx→p f(x) = f(p) ist, also folgt Bedingung (3).1560

Angenommen es gilt (3) und limxn = p. Dann sei Uε(f(p)) eine beliebig kleine Umge-1561

bung von f(p). Nach Definition 2.2.4 gibt es δ > 0, sodass1562

f(Uδ(p)) ⊂ Uε(f(p)).

Wegen limxn = p liegt die Folge (xn) ab einer Stelle in Uδ(p) und daher die Folge (f(xn)) ab1563

einer Stelle in f(Uδ(p)) und somit in Uε(f(p)). Das bedeutet, dass (f(xn)) in jeder beliebig1564

kleinen Umgebung von f(p) ab einer Stelle liegt und gegen f(p) konvergiert, womit (3)⇒1565

(4) gezeigt ist.1566

Um die Implikation (4) ⇒ (1) zu zeigen, nehmen wir indirekt an, dass (4) erfullt und1567

(1) nicht erfullt ist. Dann gibt es eine Umgebung Uε(f(p)) von f(p), deren Urbild keine1568

Umgebung von p ist. Das heißt, es liegen Punkte x beliebig nahe bei p mit x /∈ f−1(Uε(f(p)))1569

bzw. f(x) /∈ Uε(f(p)). Daher existieren xn mit |xn − p| < 1/n und f(xn) /∈ Uε(f(p)). Somit1570

ist limxn = p, aber (f(xn)) konvergiert nicht gegen f(p). Das ist ein Widerspruch, folglich1571

muss (1) doch gelten.1572

Damit haben wir die Implikationskette (1) ⇒ (2) ⇒ (3) ⇒ (4) ⇒ (1) bewiesen. Das1573

bedeutet, die vier Aussagen sind aquivalent. �1574

Korollar 2.2.7. Es seien f und g komplexwertige Abbildungen auf einem metrischen1575

Raum, die stetig an einer Stelle p sind. Dann sind auch die Funktionen f + g und f · g stetig1576

in p und es ist limx→p(f(x)+g(x)) = limx→p(f+g)(x) bzw. limx→p(f(x)·g(x)) = limx→p(f ·1577

g)(x). Wenn g(x) 6= 0 fur alle x, dann ist auch f/g stetig in p und limx→p(f(x)/g(x)) =1578

limx→p(f/g)(x).1579

Beweis. Es sei f stetig in p und (xn) eine beliebige Folge mit limxn = p. Dann ist1580

nach Satz 2.2.6.4 lim f(xn) = f(p) und lim g(xn) = g(p). Mit Satz 1.8.5 folgt1581

lim(f + g)(xn) = lim(f(xn) + g(xn)) = lim f(xn) + lim g(xn) = f(p) + g(p) = (f + g)(p).

Daher ist f+g nach Satz 2.2.6 stetig in p. Dass f ·g und f/g stetig in p sind, folgt analog. �1582

Lemma 2.2.8. Fur alle N ∈ N und z ∈ C mit |z| ≤ N+22 ist1583

ez =

N∑n=0

zn

n!+RN+1(z) mit |RN+1| ≤ 2

|z|N+1

(N + 1)!.

Beweis.

RN+1(z) =

∞∑n=0

zn

n!−

N∑n=0

zn

n!=

∞∑n=N+1

zn

n!,

|RN+1(z)| ≤∞∑

n=N+1

|z|n

n!=|z|N+1

(N + 1)!

(1 +

|z|N + 2

+|z|2

(N + 2)(N + 3)︸ ︷︷ ︸≤ |z|2

(N+2)2

+ . . .)

≤ |z|N+1

(N + 1)!

∞∑k=0

(|z|

N + 2

)k≤

|z|≤N+22

|z|N+1

(N + 1)!

∞∑k=0

(1

2

)k= 2 · |z|

N+1

(N + 1)!.

�1584

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2.2. STETIGKEIT IN METRISCHEN RAUMEN 45

Lemma 2.2.9. Die Exponentialfunktion ist stetig auf ganz C.1585

Beweis. Es sei p ∈ C und ε > 0. Dann ist1586

|ez − ep| = |epez−p − ep| = |ep| · |ez−p − 1|.Nach Lemma 2.2.8 ist fur N = 01587

|ez−p| ≤ 1 + 2|z − p| und |ep−z| ≤ 1 + 2|z − p| woraus |e|z−p|| ≤ 1 + 2|z − p|

folgt. Wegen e|z−p| ≥ 1 ist1588

|e|z−p|| − 1 = |e|z−p| − 1| ≤ 2|z − p|.Insgesamt erhalten wir1589

|ez − ep| = |ep| · |ez−p − 1| ≤ |ep| · 2|z − p|.Daher ist fur alle z mit |z − p| < ε/(2|ep|) =: δ der Betrag |ez − ep| < ε. Also ist die1590

Exponentialfunktion nach Satz 2.2.6.2 stetig. �1591

Satz 2.2.10. Es seien (X, dX) und (Y, dY ) metrische Raume und f : X → Y , dann ist1592

f genau dann stetig, wenn das Urbild jeder offenen Menge offen ist.1593

Beweis. Wenn das Urbild jeder offenen Menge offen ist, ist das Urbild einer offenen1594

Umgebung von f(p) offen und somit eine Umgebung von p. Also ist f stetig in p.1595

Es sei f stetig und O eine offene Menge in Y . Fur jedes p ∈ X mit f(p) ∈ O gibt es eine1596

offene Umgebung U(p) mit f(U(p)) ⊂ O. Das Urbild f−1(O) ist die Vereinigung all dieser1597

offenen Umgebungen und somit offen. �1598

Satz 2.2.11. Es seien (X, dX), (Y, dY ) und (Z, dZ) metrische Raume, g : X → Y und1599

f : g(X)→ Z. Wenn g stetig in p und f stetig in g(p) ist, dann ist auch f ◦ g stetig in p.1600

Beweis. Es sei p ∈ X und ε > 0 beliebig. Weil f stetig an der Stelle g(p) ist, gibt es1601

ein δ > 0, sodass1602

f (Uδ(g(p))) ⊂ Uε (f(g(p))) = Uε (f ◦ g(p)) .

Weil g stetig in p ist, gibt es ein η > 0, sodass1603

g (Uη(p)) ⊂ Uδ (g(p)) .

Daraus folgt1604

f ◦ g (Uη(p)) ⊂ Uε (f ◦ g(p)) .

Das bedeutet, dass f ◦ g stetig in p ist. �1605

Beispiel 2.2.12 (Ubungsbeispiel 36). Es seien f, f1, f2, f3 : R → R reelle Funktionen1606

mit f1(x) = f(−x), f2(x) = f(2x) und f3(x) = (x + 2). Wie sehen die Graphen von f1, f21607

und f3 im Vergleich zu jenem von f aus? Veranschaulichen Sie durch Skizzen.1608

Beispiel 2.2.13 (Ubungsbeispiel 37). Auf welcher Menge ist die Funktion f : R → R1609

mit1610

f(x) =

1, falls x < 0,

x, falls 0 ≤ x ≤ 1,

ex, falls x > 1,

stetig? Begrunden Sie, an welchen Stellen die Funktion nicht stetig ist, indem Sie von einer1611

Umgebung des Bildpunktes zeigen, dass sie die Definition der Stetigkeit nicht erfullt.1612

Beispiel 2.2.14 (Ubungsbeispiel 38). Es sei f : R→ R mit1613

f(x) =

{0, wenn x < 0,

1, fur x ≥ 0..

(1) Finden Sie eine Umgebung von 1, deren f -Urbild keine um Umgebung von 0 ist.1614

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46 2. STETIGKEIT

(2) Finden Sie ein ε > 0, fur das es kein δ > 0 mit1615

|x− 0| < δ =⇒ |f(x)− f(0)| < ε

gibt.1616

(3) Finden Sie ein Folge (xn)n∈N in R \ {0} mit limn→∞ xn = 0, fur die (f(xn)) nicht1617

gegen f(0) konvergiert.1618

Beispiel 2.2.15 (Ubungsbeispiel 39). Zeigen Sie, dass e zwischen 2 und 3 liegt. Sie1619

konnen dafur die Restgliedabschatzung der Exponentialreihe verwenden.1620

2.2.16 (Theoriefrage 44). Was ist ein metrischer Raum? Wie ist Stetigkeit einer Funktion1621

zwischen metrischen Raumen an einer Stelle definiert? Zeigen Sie von einfachen gegebenen1622

Funktionen (ahnlich wie in Beispiel 2.2.2), dass sie unstetig bzw. stetig an einer Stelle sind.1623

2.2.17 (Theoriefrage 45). Es sei f eine Funktion zwischen metrischen Raumen. Wie1624

lautet die sogenannte ε-δ-Definition der Stetigkeit an einer Stelle? Definieren Sie den Limes1625

einer Funktion. Zeigen Sie, dass limx→p f(x) = f(p) ist, wenn f in p die ε-δ-Definition der1626

Stetigkeit erfullt.1627

2.2.18 (Theoriefrage 46). Wie lautet das Folgenkriterium fur die Stetigkeit von Funk-1628

tionen zwischen metrischen Raumen? Zeigen Sie, dass eine Funktion stetig ist, wenn sie das1629

Folgenkriterium erfullt.1630

2.2.19 (Theoriefrage 47*). Zeigen Sie eine Restgliedabschatzung fur die Exponentialreihe1631

und leiten Sie daraus ab, dass die komplexe Exponentialfunktion stetig ist.1632

2.2.20 (Theoriefrage 48). Zeigen sie, dass eine Funktion zwischen metrischen Raumen1633

genau dann stetig ist, wenn das Urbild jeder offenen Menge offen ist.1634

2.2.21 (Theoriefrage 49). Welche Resultate konnen verwendet werden um zu zeigen,1635

dass die Summe zweier stetiger Funktionen stetig ist? Zeigen sie, dass die Zusammensetzung1636

stetiger Funktionen stetig ist.1637

2.3. Stetigkeit reeller Funktionen1638

Zwei Eigenschaften zeichnen die reellen Zahlen gegenuber allgemeinen metrischen Raum-1639

en aus: Vollstandigkeit und lineare Ordnung. In diesem Kapitel behandeln wir Aussagen uber1640

reelle Funktionen, bei denen diese beiden Eigenschaften eine zentrale Rolle spielen.1641

Definition 2.3.1. Es sei D ⊂ R, p ein Haufungspunkt von D ∩ (p,∞) und f : D → R.1642

Dann schreiben wir1643

limx→p+

f(x) = q

wenn fur jede Folge (xn) in D ∩ (p,∞) die Folge (f(xn)) gegen q konvergiert und wir1644

nennen q den rechtsseitigen Grenzwert von f in p. Den linksseitigen Grenzwert von f in p1645

limx→p− f(x) = q definieren wir analog fur Folgen in D ∩ (−∞, p).1646

Wenn D unbeschrankt nach oben ist, ist der Grenzwert von f in Unendlich1647

limx→∞

f(x) = q,

wenn fur jede Folge in D, die bestimmt gegen ∞ divergiert, die Folge f(xn) gegen q konver-1648

giert. Analog definieren wir1649

limx→−∞

f(x) = q,

uber Folgen, die bestimmt gegen −∞ divergieren.1650

Wenn die Folgen f(xn) bestimmt divergieren, bezeichnen wir die entsprechenden unei-1651

gentlichen Limiten mit1652

limx→p±∞ und lim

x→±∞±∞.

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2.3. STETIGKEIT REELLER FUNKTIONEN 47

Fur eine reelle Funktion existiert limx→p f(x) genau dann, wenn limx→p+ f(x) und1653

limx→p− f(x) existieren und limx→p+ f(x) = limx→p− f(x) ist. Die Funktion f ist genau1654

dann stetig in p, wenn limx→0+ f(x) = limx→0− f(x) = f(p) ist.1655

Beispiel 2.3.2. (1) Es ist limx→0+ sign(x) = 1 und limx→0− sign(x) = −1.1656

(2) Die Abbildung x 7→ 1/x ist auf R \ {0} definiert und es ist1657

limx→0+

1

x=∞, lim

x→0−

1

x= −∞ und lim

x→∞

1

x= limx→−∞

1

x= 0.

(3) Analog zu Beispiel 1.8.11 seien a0, a1, . . . , ak, b0, b1, . . . , bl Zahlen mit ak 6= 0, bl 6=1658

0, und f : D → R eine Funktion mit1659

f(x) =a0 + a1x+ a2x

2 + . . .+ akxk

b0 + b1x+ b2x2 + . . . blxl,

wobei D die Menge der reellen Zahlen ist, fur die obiger Nenner nicht Null ist.1660

Solche Funktionen werden auch rationale Funktionen genannt. Dann ist1661

limx→∞

f(x) =

akbl, falls k = l,

0, falls k < l,

∞, falls l < k und akbl> 0,

−∞, falls l < k und akbl< 0.

Die Falle k = l und k < l folgen aus Beispiel 1.8.11. Wenn l < k, erhalten wir1662

f(x) = xk−la0x−k + a1x

1−k + a2x2−k + . . .+ ak

b0x−l + b1x1−l + b2x2−l + . . . bl.

Der Grenzwertsatz 1.8.5 fur Folgen impliziert, dass der letztere Bruch gegen ak/bl1663

strebt. Angenommen, es ist ak/bl > 0, dann gibt es ein x0, sodass f(x) fur x > x01664

in der Umgebung (ak/(2bl),∞) von ak/bl liegt, wobei c = ak/(2bl) > 0 ist. Also ist1665

f(x) > cxk−l ≥ cx fur x ≥ x0. Fur x → ∞ strebt cx → ∞ und somit f(x) → ∞.1666

Der Fall ak/bl wird analog gezeigt.1667

Satz 2.3.3 (Zwischenwertsatz). Es sei f : [a, b]→ R eine stetige Abbildung.1668

Wenn f(a) ≤ f(b), dann gibt es fur alle q ∈ [f(a), f(b)] ein p ∈ [a, b] mit f(p) = q.1669

Falls f(b) ≤ f(a), dann gibt es fur alle q ∈ [f(b), f(a)] ein p ∈ [a, b] mit f(p) = q.1670

Beweis. Wir definieren eine Intervallschachtelung rekursiv durch I0 = [a, b] und wenn1671

In = [an, bn], dann setzen wir1672

In+1 = [an+1, bn+1] =

{[an,

bn+an2 ], wenn f

(bn+an

2

)≥ q und

[ bn+an2 , bn], wenn f(bn+an

2

)< q.

Fur alle n ∈ N ist somit f(an) ≤ q ≤ f(bn). Es sei p die reelle Zahl, die durch die Intervall-1673

schachtelung definiert ist. Dann ist1674

lim(an) = lim(bn) = p.

Weil f stetig ist, gilt1675

lim(f(an)) = lim(f(bn)) = f(p).

Nach dem Sandwich Theorem 1.8.7 folgt aus f(an) ≤ q ≤ f(bn), dass f(p) = q ist und somit1676

die erste Aussage des Satzes.1677

Wenn f(b) ≤ f(a), ist −f(a) ≤ −f(b) und die bereits bewiesene Aussage angewendet1678

auf −f liefert zu jedem −q ∈ [−f(a),−f(b)] ein p ∈ [a, b] mit −f(p) = −q und somit1679

f(p) = q. �1680

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48 2. STETIGKEIT

Beispiel 2.3.4. Jede reelle Polynomfunktion mit ungeradem Grad hat eine Nullstelle.1681

Formal: Es sei f : R→ R eine Polynomfunktion ungeraden Grades, also1682

f(x) = c2n+1x2n+1 + . . .+ c0

mit c2n+1 6= 0 und n ≥ 0. Nach Beispiel 2.3.2.3 ist limn→∞ f(x) =∞ und limn→−∞ f(x) =1683

−∞, wenn c2n+1 > 0 bzw. limn→∞ f(x) = −∞ und limn→−∞ f(x) = ∞, wenn c2n+1 < 0.1684

Also gibt es ein Intervall [a, b] mit f(a) ≤ 0 ≤ f(b) oder ein Intervall [a, b] mit f(b) ≤ 0 ≤1685

f(a). Nach dem Zwischenwertsatz existiert ein p mit f(p) = 0.1686

Definition 2.3.5. Eine reelle Funktion f : D → R heißt beschrankt, wenn die Bildmenge1687

f(D) beschrankt ist.1688

Satz 2.3.6. Eine stetige Funktion auf einem abgeschlossenen Intervall ist beschrankt1689

und nimmt Supremum und Infimum ihres Wertebereichs an (und besitzt daher Minimum und1690

Maximum). Anders ausgedruckt: Wenn f : [a, b] → R stetig ist, dann gibt es p1, p2 ∈ [a, b],1691

sodass f(p1) ≤ f(x) ≤ f(p2) fur alle x ∈ [a, b].1692

Beweis. Wir definieren q2 = sup f([a, b]), wobei q2 ∈ R∪{∞}. Es sei (xn) eine beliebige1693

(nicht notwendigerweise konvergente) Folge in [a, b] mit lim f(xn) = q2. Nach dem Satz1694

von Bolzano-Weierstraß 1.13.5 gibt es eine konvergente Teilfolge (xnk) und es sei p2 =1695

limk→∞ xnk . Weil f stetig ist, ist limk→∞ f(xnk) = f(p2) = q2, also ist q2 ein reelle Zahl1696

und f(x) ≤ f(p2) fur alle x ∈ [a, b]. �1697

Beispiel 2.3.7. Die folgenden Beispiele zeigen, dass Satz 2.3.6 im Allgemeinen nicht1698

gilt, wenn eine der Voraussetzungen verletzt ist.1699

(1) Auf dem halboffenen Intervall (0, 1] ist f1 mit f1(x) = x zwar beschrankt, es hat1700

aber die Bildmenge f1((0, 1]) kein Minimum. Die Funktion f2 : x 7→ 1/x ist auf1701

diesem Intervall stetig, aber trotzdem unbeschrankt.1702

(2) Die Funktion f3 : [0, 1]→ R mit f3(x) = sign(x)−x ist zwar auf einem abgeschlos-1703

senen Intervall definiert und beschrankt, es ist sup f3([0, 1]) = 1, aber es gibt kein1704

p ∈ [0, 1] mit f(p) = 1. Die Funktion f3 ist nicht stetig in 0.1705

Korollar 2.3.8. Das stetige Bild eines Intervalls ist ein Intervall. Das stetige Bild eines1706

abgeschlossenen Intervalls ist ein abgeschlossenes Intervall.1707

Anders formuliert: Wenn I ein Intervall ist und f : I → R stetig ist, dann ist f(I) ein1708

Intervall. Ist I abgeschlossen, dann ist auch f(I) abgeschlossen.1709

Beweis. Dass das Bild f(I) einer stetigen Funktion f eines Intervalls I ein Intervall1710

ist, folgt aus dem Zwischenwertsatz 2.3.3: Angenommen f(I) ware kein Intervall, dann gabe1711

es y1 < q < y2 mit y1, y2 ∈ f(I) und q 6∈ f(I). Nach dem Zwischenwertsatz muss es aber ein1712

p ∈ I geben mit f(p) = q. Man beachte, dass Intervalle auch einelementig oder unbeschrankt1713

sein konnen.1714

Wenn I abgeschlossen und f stetig ist, dann ist nach Satz 2.3.6 f(I) = [f(p1), f(p2)]1715

mit f(p1) ≤ f(x) ≤ f(p2) fur alle x ∈ I. �1716

Beispiel 2.3.9. Der zweite Teil von Korollar 2.3.8 gilt nur fur abgeschlossene Intervalle.1717

Das stetige Bild eines offenen Intervalls kann offen oder abgeschlossen sein. Fur f1 mit1718

f1(x) = x ist jedes Bild eines offenen Intervalls offen.1719

Wenn f2(x) = c ist das Bild jedes Intervalls {c} = [c, c] und somit ein abgeschlossenes1720

Intervall.1721

Es sei der Graph f3 : (−2, 2) → R stuckweise linear zwischen den Punkten mit den1722

Koordinaten (−2, 0), (−1, 1), (1,−1), (2, 0), also1723

f3(x) =

x+ 2 fur − 2 < x ≤ −1,

−x fur − 1 < x ≤ 1,

x− 2 fur 1 < x < 2.

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2.4. STETIGE UMKEHRABBILDUNGEN 49

Dann ist f3 stetig und f3((−2, 2)) = [−1, 1].1724

Beispiel 2.3.10 (Ubungsbeispiel 40). Es sei f : R \ {3} → R mit1725

f(x) =2x− 1

3− x.

Bestimmen Sie1726

limx→3+

f(x), limx→3−

f(x), limx→∞

f(x) und limx→−∞

f(x).

2.3.11 (Theoriefrage 50). Geben Sie ein allgemeines Kriterium, um limx→∞ f(x) fur1727

rationale reelle Funktion zu bestimmen, und wenden Sie dieses fur konkrete Beispiele an.1728

2.3.12 (Theoriefrage 51). Formulieren und beweisen Sie den Zwischenwertsatz.1729

2.3.13 (Theoriefrage 52). Zeigen Sie, dass eine stetige reelle Funktion auf einem ab-1730

geschlossenen Intervall Maximum und Minimum annimmt. Leiten Sie daraus mithilfe des1731

Zwischenwertsatzes ab, dass das stetige Bild eines abgeschlossenen Intervalls wieder ein ab-1732

geschlossenes Intervall ist.1733

2.4. Stetige Umkehrabbildungen1734

Definition 2.4.1. Fur eine Menge A bezeichnen wir mit idA die Identitat A→ A mit1735

x 7→ x. Wenn f : A→ B, g : f(A)→ A und g◦f = idA, dann nennen wir g Umkehrabbildung1736

von f und schreiben f−1 statt g.1737

Eine Abbildung f hat genau dann eine Umkehrabbildung, wenn sie injektiv ist. Wenn1738

f : A → B injektiv ist, dann ist f : A → f(A) bijektiv. Die Umkehrabbildung f−1 ist1739

ebenfalls bijektiv. Die Abbildung f ist auch die Umkehrabbildung von f−1. Es ist f−1 ◦ f =1740

idA und f ◦ f−1 = idf(A).1741

Satz 2.4.2. Eine stetige Abbildung auf einem Intervall ist genau dann injektiv, wenn1742

sie streng monoton ist.1743

Beweis. Jede Funktion f : [a, b]→ R, die streng monoton ist, ist injektiv. Angenommen1744

f ist injektiv und stetig. Wir nehmen indirekt an, f sei nicht streng monoton. Dann gibt1745

es x1, x2, x3 ∈ [a, b], x1 < x2 < x3 mit f(x1) ≤ f(x2) und f(x2) ≥ f(x3) oder mit f(x1) ≥1746

f(x2) und f(x2) ≤ f(x3). Im ersteren Fall gibt es fur jedes q ∈ [f(x1), f(x2)]∩ [f(x3), f(x2)]1747

Punkte p1, p2 mit x1 < p1 < x2 < p2 < x3 und f(p1) = f(p2) = q, im Widerspruch zur1748

Injektivitat von f . Im zweiten Fall folgt Gleiches fur q ∈ [f(x2), f(x1)] ∩ [f(x2), f(x3)]. �1749

Lemma 2.4.3. Die Umkehrfunktion einer streng monoton steigenden (bzw. fallenden)1750

reellen Funktion ist streng monoton steigend (bzw. fallend).1751

Beweis. Es sei f : D → R injektiv. Streng steigend zu sein, bedeutet fur f1752

x1 < x2 ⇐⇒ f(x1) < f(x2).

Fur f−1 und y1, y2 ∈ f(D) mit y1 = f(x1) und y2 = f(x2) folgt1753

f−1(y1) < f−1(y2) ⇐⇒ y1 < y2.

Also ist auf f−1 streng monoton steigend. Streng fallend zu sein, bedeutet fur f1754

x1 < x2 ⇐⇒ f(x1) > f(x2),

beziehungsweise1755

f−1(y1) < f−1(y2) ⇐⇒ y1 > y2.

�1756

Satz 2.4.4. Existiert die Umkehrabbildung einer stetigen Funktion auf einem Intervall,1757

dann ist sie stetig.1758

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50 2. STETIGKEIT

Beweis. Nach Satz 2.4.2 sind f und f−1 streng monoton. Wir nehmen an, f ist steigend1759

auf dem Intervall I, dies gilt nach Lemma 2.4.3 auch fur f−1 auf f(I). Es sei q = f(p) ein1760

innerer Punkt von f(I) und ε > 0 beliebig mit (p− ε, p+ ε) ⊂ I. Wegen der Monotonie ist1761

f(p− ε) < f(p) = q < f(p+ ε).

Es gibt ein δ > 0 mit1762

f(p− ε) < q − δ < q + δ < f(p+ ε) bzw.

Uδ(q) ⊂ f(Uε(p)) und f−1(Uδ(q)) ⊂ Uε(p). Wenn f fallend ist, lauft der Beweis analog. �1763

Beispiel 2.4.5. Die reelle Exponentialfunktion ist nach Lemma 2.2.9 stetig und nach1764

Satz 1.18.2.5 streng monoton. Ihre Umkehrfunktion bezeichnen wir mit log und nennen sie1765

(naturlichen) Logarithmus. Der Logarithmus ist nach den Satzen 1.18.2.6 und 2.4.4 definiert1766

und stetig auf exp(R) = R+. Aus Satz 1.18.2.2 folgt fur x, y ∈ R1767

exp(log(x) + log(y)) = exp(log(x)) exp(log(y)) = xy und folglich1768

log(x) + log(y) = log(xy).

Außerdem ist log(xn) = n log(x).1769

Definition 2.4.6. Fur a ∈ R+ und x ∈ R definieren wir ax = ex log(a).1770

Dach dieser Definition folgt unmittelbar log(ax) = x log(a). Es ist ax eine Verallgemei-1771

nerung ganzzahliger Potenzen, denn fur n ∈ N ist1772

an = elog(an) = en log(a) = elog(a)+···+log(a) = elog(a) · · · elog(a) = a · · · a.

2.4.7 (Theoriefrage 53). Zeigen Sie, dass eine stetige Abbildung auf einem Intervall1773

genau dann injektiv ist, wenn sie streng monoton ist.1774

2.4.8 (Theoriefrage 54). Zeigen Sie, dass eine Umkehrabbildung einer stetigen reellen1775

Funktion stetig ist.1776

2.4.9 (Theoriefrage 55). Wie ist der reelle Logarithmus definiert? Aus welchen Satzen1777

konnen Sie ableiten, dass er stetig ist?1778

2.5. Limiten zu Exponentialfunktion und Logarithmus1779

Lemma 2.5.1. (1) Fur alle k ∈ N ist1780

limx→∞

ex

xk=∞, lim

x→∞

xk

ex= 0 und lim

x→0+xke1/x =∞,

denn fur x > 0 ist1781

ex =

∞∑n=0

xn

n!>

xk+1

(k + 1)!und daher

ex

xk>

x

(k + 1)!→∞ fur x→∞.

Daraus folgt unmittelbar limx→∞xk

ex = 0. Fur y = 1/x ist1782

limx→0+

xke1/x = limy→∞

ey

yk=∞.

(2) Es folgen1783

limx→∞

ex =∞ und limx→−∞

ex = 0,

aus dem entsprechenden Limes fur ganzzahlige n statt reeller x, siehe Satz 1.18.2.6,1784

sowie aus der Monotonie und der Stetigkeit der Exponentionalfunktion (Satz 1.18.2.5,1785

Lemma 2.2.9). Fur den Logarithmus (Beispiel 2.4.5) gilt daher1786

limx→∞

log(x) =∞ und limx→0+

log(x) = −∞.

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2.6. TRIGONOMETRISCHE FUNKTIONEN 51

(3) Fur alle α ∈ R+ ist1787

limx→0+

xα = 0 und limx→0+

x−α =∞.

Die erste Aussage folgt aus xα = eα log(x) und (2). Die zweite Aussage folgt aus der1788

ersten.1789

(4) Fur alle α ∈ R+ ist1790

limx→∞

log(x)

xα= 0 und lim

x→0+xα log(x) = 0,

denn1791

limx→∞

log(x)

xα= limx→∞

log(x)

eα log(x)= limy→∞

y/α

ey=

1

αlimy→∞

y

ey= 0,

wobei y = α log(x). Daraus folgt außerdem1792

limx→0+

xα log(x) = limy→∞

log(1/y)

yα= limy→∞

− log(y)

yα= 0

mit y = 1/x.1793

(5) Fur alle x ∈ R ist1794

limh→0

eh − 1

h= 1 und lim

h→0

ex+h − ex

h= ex.

Die Restgliedabschatzung 2.2.8 von eh fur N = 1 mit |h| ≤ (N + 2)/2 = 3/21795

bedeutet1796

|eh − h− 1| ≤ 2|h|2

2!= h2

und somit1797 ∣∣∣∣eh − 1

h− 1

∣∣∣∣ =

∣∣∣∣eh − h− 1

h

∣∣∣∣ ≤ |h|,woraus die erste Aussage folgt. Schließlich ist1798

limh→0

ex+h − ex

h= ex lim

h→0

eh − 1

h= ex.

2.5.2 (Theoriefrage 56). Zeigen Sie limx→∞ex

xk=∞ fur alle k ∈ N sowie limx→∞

log(x)xα =1799

0 fur alle α ∈ R+.1800

2.5.3 (Theoriefrage 57). Zeigen Sie limh→0eh−1h = 1 unter Verwendung der Restglie-1801

dabschatzung der Exponentialfunktion.1802

2.6. Trigonometrische Funktionen1803

Es ist1804

eix =

∞∑n=0

inxn

n!= 1 + ix− x2

2− ix

3

3!+x4

4!+ i

x5

5!− x6

6!− ix

7

7!+x8

8!+ i

x9

9!− · · ·

Definition 2.6.1. Wir definieren Cosinus und Sinus als

cos(x) = Re(eix) =

∞∑n=0

(−1)nx2n

(2n)!= 1− x2

2+x4

4!− x6

6!+x8

8!− · · ·

sin(x) = Im(eix) =

∞∑n=0

(−1)nx2n+1

(2n+ 1)!= x− x3

3!+x5

5!− x7

7!+x9

9!− · · ·

Satz 2.6.2. Fur alle x ∈ R gilt:1805

(1) Die Reihen cos(x) und sin(x) sind absolut konvergent,1806

(2)|eix| = cos2(x) + sin2(x) = 1,

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52 2. STETIGKEIT

(3)

cos(x) =eix + e−ix

2, sin(x) =

eix − e−ix

2i,

(4)

cos(x) = cos(−x) und sin(x) = − sin(−x),

(5) die Summenformeln lauten

sin(x± y) = sin(x) cos(y)± cos(x) sin(y),

cos(x± y) = cos(x) cos(y)∓ sin(x) sin(y),

(6)

cos(x)− cos(y) = −2 sinx+ y

2sin

x− y2

sin(x)− sin(y) = 2 cosx+ y

2sin

x− y2

.

(7) Sinus und Cosinus sind stetig.1807

Beweis. Die absolute Konvergenz folgt zum Beispiel aus dem Quotientenkriterium wie1808

fur die Exponentialfunktion. Es ist1809

cos2(x) + sin2(x) = (Re(eix))2 + (Im(eix))2 = |eix|2 = eixeix =1810

eix(

1− ix− x2

2+ i

x3

3!+x4

4!− · · ·

)= eix

∞∑n=0

(−i)nxn

n!= eixe−ix = e0 = 1.

Ebenfalls direkt aus der Reihendarstellung folgen (3) und (4). Es ist1811

cos(x+ y) + i sin(x+ y) = ei(x+y) = eixeiy = (cos(x) + i sin(x))(cos(y) + i sin(y)) =1812

(cos(x) cos(y)− sin(x) sin(y)) + i(sin(x) cos(y) + cos(x) sin(y)).

Durch den Vergleich von Real- und Imaginarteil dieser Gleichung ergibt sich (5). Die Aussage1813

fur x− y statt x+ y folgt aus (4). Fur1814

u =x+ y

2und v =

x− y2

bzw. x = u+ v und y = u− v

ist1815

cos(x)− cos(y) = cos(u+ v)− cos(u− v) =1816

cos(u) cos(v)− sin(u) sin(v)−(

cos(u) cos(v) + sin(u) sin(v))

=1817

−2 sin(u) sin(v) = −2 sinx+ y

2sin

x− y2

.

Die Aussage fur sin(x)− sin(y) folgt analog.1818

Nach Korollar 2.2.7 sind Sinus und Cosinus stetig, weil sie sich als Summe bzw. Differenz1819

der stetigen Exopnentialfunktionen darstellen lassen. �1820

In der komplexen Zahlenebene liegen die Punkte (cos(x), sin(x)) wegen Satz 2.6.2.21821

auf dem Einheitskreis. Daraus gibt sich das gewohnte Bild rechtwinkeligen Dreiecks mit1822

Hypthenusenlange 1.1823

Lemma 2.6.3. (1) Es ist cos(0) = 1 und cos(2) ≤ −1/3.1824

(2) Fur 0 < x ≤ 2 ist sin(x) > 0.1825

(3) Der Cosinus ist streng fallend auf [0, 2].1826

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2.6. TRIGONOMETRISCHE FUNKTIONEN 53

Beweis. Zunachst ist klar, dass cos(0) = Re(ei0) = 1 ist. Die Reihe1827

cos(2) =

∞∑k=0

(−1)k22k

(2k)!

erfullt das Leibnitz-Kriterium 1.16.11, in dessen Notation ist s ≤ a0 − a1 + a2. Fur cos(2)1828

bedeutet das1829

cos(2) ≤ 1− 22

2!+

24

4!= 1− 2 +

2

3= −1

3.

Fur 0 < x ≤ 2 gilt fur die Reihe des Sinus s ≥ a0 − a1, also1830

sin(x) ≥ x− x3

6= x(1− x2

6) ≥ x(1− 4

6) =

x

3> 0,

womit (2) gezeigt ist. Es sei 0 ≤ x1 < x2 ≤ 2, dann ist1831

0 <x1 + x2

2≤ 2 und 0 <

x2 − x12

≤ 2.

Nach Satz 2.6.2.7 ist1832

cos(x2)− cos(x1) = −2 sinx1 + x2

2︸ ︷︷ ︸>0

· sin x2 − x12︸ ︷︷ ︸

>0

< 0

und der Cosinus daher fallend. �1833

Satz 2.6.4. Es gibt genau ein x0 ∈ [0, 2] mit cos(x0) = 01834

Beweis. Wegen cos(0) > 0 und cos(2) < 0 und weil cos stetig ist, gibt es nach dem1835

Zwischenwertsatz 2.3.3 ein x0 mit cos(x0) = 0. Dass der Cosinus auf [0, 2] keine weitere1836

Nullstelle hat, folgt aus seiner strengen Monotonie. �1837

Definition 2.6.5. Wir definieren die Zahl Pi als π = 2x0, wobei x0 die Nullstelle des1838

Cosinus aus Satz 2.6.4 ist.1839

Nach dieser Definition und nach Lemma 2.6.3 ist1840

cos(x) > 0 fur 0 ≤ x < π

2, cos

(π2

)= 0, cos(x) < 0 fur

π

2< x ≤ 2.

Nach Satz 2.6.2.2 ist cos2(x) + sin2(x) = 1 und daher sin(π2

)= 1. Daher ist1841

cos(kπ

2

)+ i sin

(kπ

2

)= eik

π2 = (ei

π2 )k =

(cos(π

2

)+ i sin

(π2

))k= ik.

Fur k = 0, 1, 2, 3, 4 erhalten wir die folgende Tabelle1842

x 0 π2 π 3π

2 2π

sin(x) 0 1 0 −1 0cos(x) 1 0 −1 0 1

Lemma 2.6.6. Fur alle x ∈ R gilt Folgendes:1843

(1) Cosinus und Sinus sind periodisch mit Periode 2π. Das heißt, es ist1844

cos(x+ 2π) = cos(x) und sin(x+ 2π) = sin(x).

(2) Es ist1845

cos(x+ π) = − cos(x) und sin(x+ π) = − sin(x),

(3)

cos(π

2− x)

= sin(x) und sin(π

2− x)

= cos(x),

(4)

cos(x) = 0 ⇐⇒ wenn x =π

2+ kπ und

1846

sin(x) = 0 ⇐⇒ x = kπ, wobei k ∈ Z.

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54 2. STETIGKEIT

(5)

limx→0

cos(x)− 1

x= 0 und lim

x→0

sin(x)

x= 1.

Beweis. Wegen ei2π = i4 = 1 ist1847

cos(x+ 2π) = Re(ei(x+2π)) = Re(eixei2π) = Re(eix) = cos(x),1848

sin(x+ 2π) = Im(ei(x+2π)) = Im(eixei2π) = Im(eix) = sin(x),

somit ist (1) gezeigt. Wegen eiπ = i2 = −1 folgt (2) auf gleiche Weise. Aussage (3) folgt aus1849

eiπ2 = i, denn1850

cos(π

2− x)

= Re(ei(π2−x)) = Re(ei

π2 e−ix) = Re(i(cos(−x) + i sin(−x))) =

1851

Re(i cos(−x)− sin(−x)) = − sin(−x) = sin(x), bzw.1852

sin(π

2− x)

= Im(ei(π2−x)) = Im(ei

π2 e−ix) = Im((cos(−x) + i sin(−x))i) =

1853

Im(i cos(x)− sin(−x)) = cos(x).

Wir wissen, dass der Cosinus auf [0, π2 ) großer als 0 ist. Wegen cos(x) = cos(−x) gilt dies1854

auch fur (−π2 ,π2 ). Aus cos(x+π) = − cos(x) folgt, dass der Cosinus auf (π2 ,

3π2 ) kleiner als 01855

ist. Folglich hat er auf [−π2 ,3π2 ] genau die Nullstellen −π2 , π2 und 3π2 . Wegen der Periodizitat1856

folgt die Aussage (4) fur den Cosinus. Die Beziehung (3) impliziert nun (4) fur den Sinus.1857

Aus i = − 1i und den Definitionen von Cosinus folgt1858

cos(x)− 1

x= Im

(i(cos(x)− 1)

x

)= − Im

(cos(x)− 1

ix

)=

1859

− Im

(cos(x) + i sin(x)− 1

ix

)= − Im

(eix − 1

ix

).

Wenn h gegen 0 strebt, geht letzterer Ausdruck wegen Lemma 2.5.1.5 gegen − Im(1) = 0.1860

Ebenfalls nach Lemma 2.5.1.5 strebt1861

sin(x)

x= Re

(cos(x) + i sin(x)− 1

ix

)= Re

(eix − 1

ix

)gegen Re(1) = 1. �1862

Definition 2.6.7. Der Tangens ist die Funktion tan : R \ {π2 + kπ | k ∈ Z} → R mit1863

tan(x) =sin(x)

cos(x).

Der Cotangens ist cot : R \ {kπ | k ∈ Z} → R mit1864

cot(x) =cos(x)

sin(x).

Tangens und Kotangens sind ungerade Funktionen, das heißt tan(x) = − tan(−x) und1865

cot(x) = − cot(−x), was daraus folgt, dass der Sinus ungerade und der Cosinus gerade1866

ist. Auch die Periodizitat ubertragt sich von Sinus und Cosinus. Dass cos(x) auf [0, π2 ]1867

streng fallend ist folgt aus Lemma 2.6.3.3, der Sinus ist auf [0, π2 ] streng steigend. Also1868

ist der Tangens auf [0, π2 ) streng steigend, und weil er ungerade ist, auch auf (−π2 ,π2 ) streng1869

steigend. Somit ist der Tangens steigend auf den Intervallen (−π2 + kπ, π2 + kπ) fur k ∈ Z.1870

Der Cotangens ist fallend auf den Intervallen (kπ, (k + 1)π).1871

Außerdem ist tan((−π2 ,π2 )) = R und cot((0, π)) = R wegen des Zwischenwertsatzes 2.3.31872

und weil der Nenner an den Randpunkten der Intervalle gegen Null strebt, wahrend die1873

Zahler gegen -1 bzw. 1 streben.1874

Aus dem zuvor Gezeigten ergibt sich der folgende Satz.1875

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2.6. TRIGONOMETRISCHE FUNKTIONEN 55

Satz 2.6.8. (1) Der Cosinus ist streng fallend auf [0, π], cos([0, π]) = [−1, 1], und1876

er besitzt eine streng abnehmende Umkehrfunktion, genannt Arcuscosiuns,1877

arccos : [−1, 1]→ [0, π].

(2) Der Sinus ist streng steigend auf [−π2 ,π2 ], sin([−π2 ,

π2 ]) = [−1, 1], und er besitzt1878

eine streng steigende Umkehrfunktion, genannt Arcussiuns,1879

arcsin : [−1, 1]→[−π

2,π

2

].

(3) Der Tangens ist streng steigend auf (−π2 ,π2 ), tan((−π2 ,

π2 )) = R, und er besitzt eine1880

streng steigende Umkehrfunktion, genannt Arcustangens,1881

arctan : R→(−π

2,π

2

).

2.6.9 (Theoriefrage 58). Wie sind Sinus und Cosinus definiert? Warum ist Cosinus eine1882

gerade und Sinus eine ungerade Funktion? Warum ist1883

cos2(x) + sin2(x) = 1

fur alle x ∈ R?1884

2.6.10 (Theoriefrage 59). Formulieren und beweisen Sie die Summenformeln fur1885

sin(x+ y) und cos(x+ y).

2.6.11 (Theoriefrage 60). Zeigen Sie, dass der Cosinus auf [0, 2] nicht mehr als eine1886

Nullstelle hat.1887

2.6.12 (Theoriefrage 61). Geben Sie eine kurze Begrundung fur1888

cos(kπ

2

)+ i sin

(kπ

2

)= ik,

mit k ∈ Z. Leiten Sie daraus die Werte des Sinus und Cosinus an den Stellen 0, π2 , π, 3π2 ab.1889

Zeigen Sie, dass Sinus und Cosinus die Periode 2π haben.1890

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KAPITEL 3

Differentiation1891

3.1. Differenzierbarkeit1892

Definition 3.1.1. Es sei D ⊂ R eine Menge ohne isolierter Punkte und f eine Funktion1893

D → R. Fur ξ 6= x heißt1894

f(ξ)− f(x)

ξ − xDifferenzialquotient. Die Funktion f ist differenzierbar in x, wenn der Grenzwert1895

f ′(x) = limξ→x

f(ξ)− f(x)

ξ − xexistiert. Der Wert f ′(x) heißt Differenzialquotient oder Ableitung von f an der Stelle x.1896

Die Funktion heißt differenzierbar, wenn sie in allen Punkten von D differenzierbar ist. Die1897

Funktion f ′ : D → R heißt Ableitung von f .1898

Die Sekante uber dem Intervall [ξ, x] (bzw. [x, ξ]) ist die Gerade durch die Punkte1899

(ξ, f(ξ)) und (x, f(x)). Die Tangente an der Stelle x ist die Gerade im R2, die durch den1900

Punkt (x, f(x)) geht und die Steigung f ′(x) hat.1901

Der Differenzenquotient gibt die Steigung der Sekante uber dem Intervall [ξ, x] (bzw.1902

[x, ξ]) an.1903

Ableitung von Funktionen, die einen metrischen Raum auf C oder R abbilden, werden1904

auf dieselbe Weise definiert. Wir beschranken uns jedoch hier auf reelle Funktionen.1905

Anders angeschrieben, ist1906

f ′(x) = limh→0

f(x+ h)− f(x)

h.

Wenn eine Funktion f nur durch den Term ihrer Zuordnungsvorschrift gegeben ist, also1907

zum Beispiel y2z, und nicht klar ist, welcher Buchstabe die Variable ist, oder f auf Rn mit1908

mehreren Variablen definiert ist, dann macht es Sinn, die Variable in der Ableitung f ′ zu1909

spezifizieren. Man schreibt dann1910

df

dybzw.

df

dz.

Diese Notation ist in der Physik gangig, wo mit den Symbolen dy und dz oft gerechnet wird,1911

als waren es reelle Zahlen, auch wenn dies nicht der Fall ist.1912

Beispiel 3.1.2. (1) Fur die konstante Funktion f : R→ R, f(x) = c ist1913

f ′(x) = limh→0

f(x+ h)− f(x)

h= limh→0

c− ch

= 0.

(2) Wenn f(x) = cxn mit n ∈ N, dann ist1914

f ′(x) = limh→ 0

c(x+ h)n − cxn

h= c lim

h→ 0

1

h

(n∑k=0

(n

k

)hkxn−k − xn

)=

1915

c limh→ 0

1

h

n∑k=1

(n

k

)hkxn−k = c lim

h→ 0

n∑k=1

(n

k

)hk−1xn−k =

57

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58 3. DIFFERENTIATION

1916

c limh→ 0

((n

1

)xn−1 +

n∑k=2

(n

k

)hk−1xn−k

)= c

(n

1

)xn−1 = cnxn−1.

(3) Fur f : R \ {0} → R mit f(x) = 1/x ist1917

f ′(x) = limh→0

1x+h −

1x

h= limh→0

x− (h+ x)

hx(h+ x)= limh→0

−1

x(h+ x)= − 1

x2.

(4) Aus der Additionseigenschaft der Exponentialfunktion 1.18.2.2 und dem Grenzwert1918

2.5.1.5 folgt1919

(ex)′ = limh→0

ex+h − ex

h= ex lim

h→0

eh − 1

h= ex · 1 = ex.

(5) Es ist1920

sin′(x) = limh→0

sin(x+ h)− sin(x)

hnach Satz 2.6.2.6 und Lemma 2.6.6.5 gleich1921

limh→0

2 cos(x+ h

2

)sin(h2

)h

= limh→0

cos

(x+

h

2

)limh→0

sin(h2

)h2

= cos(x),

wobei wir bei der Bildung der Limiten Lemma 2.6.6.5 verwendet haben. Fur den1922

Cosinus gilt1923

cos′(x) = limh→0

cos(x+ h)− cos(x)

h= limh→0

−2 sin(x+ h2 ) cos(h2 )

h=

1924

− limh→0

sin

(x+

h

2

)limh→0

sin(h2

)h2

= − sin(x).

Satz 3.1.3. Ist eine reelle Funktion differenzierbar an einer Stelle, dann ist sie dort1925

auch stetig.1926

Proof. Wenn f differenzierbar in x ist, gilt1927

limξ→x

(f(ξ)− f(x)) = limξ→x

(f(ξ)− f(x)

ξ − x· (ξ − x)

)=

1928

limξ→x

(f(ξ)− f(x)

ξ − x

)limξ→x

(ξ − x) = f ′(x) · 0 = 0

und somit limξ→x f(ξ) = limξ→x f(x) bzw. limξ→x f(ξ) = f(x). Daher ist f stetig in x. �1929

3.1.4 (Theoriefrage 62). Wie ist die Differenzierbarkeit einer Funktion an einer Stelle1930

definiert. Bestimmen Sie die Ableitung der Exponentialfunktion und die Ableitung von f1931

mit f(x) = xn, wobei n eine beliebige naturliche Zahl ist.1932

3.1.5 (Theoriefrage 63). Zeigen Sie, dass eine Funktion, die an einer Stelle differenzierbar1933

ist, dort auch stetig ist.1934

3.2. Erste Ableitungsregeln1935

Satz 3.2.1. Es seien f und g differenzierbare Funktion D → R, D ∈ R.1936

(1) Fur alle c, d ∈ R ist cf + dg differenzierbar und (cf + dg)′(x) = cf ′(x) + dg′(x).1937

(2) Produktregel: Es ist f · g differenzierbar und1938

(f · g)′(x) = f ′(x)g(x) + f(x)g′(x)

fur alle x ∈ D.1939

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3.2. ERSTE ABLEITUNGSREGELN 59

(3) Quotientenregel: Es sei g(x) 6= 0 fur alle x ∈ D, dann ist f/g differenzerbar und1940 (f

g

)′(x) =

f ′(x)g(x)− f(x)g′(x)

g2(x).

Beweis. (1)

(cf + dg)′(x) = limh→0

cf(x+ h) + dg(x+ h)− (cf(x) + dg(x))

h=

1941

limh→0

cf(x+ h)− cf(x)

h+ limh→0

dg(x+ h)− dg(x)

h= cf ′(x) + dg′(x)

(2)

(f · g)′(x) = limh→0

1

h(f(x+ h)g(x+ h)− f(x)g(x)) =

1942

limh→0

1

h(f(x+ h)(g(x+ h)− g(x)) + (f(x+ h)− f(x))g(x)) = f(x)g′(x) + f ′(x)g(x),

wobei wir im letzten Schritt limh→0 f(x+ h) = f(x) verwenden, was gilt, da f in1943

x stetig ist und die Stetigkeit aus der Differenzierbarkeit folgt, siehe Satz 3.1.3.1944

(3) Es ist1945 (1

g(x)

)′= limh→0

1g(x+h) + 1

g(x)

h= limh→0

g(x)− g(x+ h)

hg(x)g(x+ h)=

1946

− limh→0

g(x+ h)− g(x)

hlimh→0

1

g(x)g(x+ h)= − g

′(x)

g(x)2.

Mit der Produktregel folgt1947 (f · 1

g

)′= f ′(x)

1

g(x)− f(x)

g′(x)

g(x)2=f ′(x)g(x)− f(x)g′(x)

g(x)2.

�1948

Beispiel 3.2.2. (1) Wenn f : R → R mit f(x) = a0 + a1x + a2x2 + . . . + anx

n1949

mit beliebigen ai ∈ R, ist f ′(x) = a1 + 2a2x + . . . + nanxn−1. Das folgt aus1950

Beispiel 3.1.2.2 und Satz 3.2.1.1.1951

(2) Fur f : R \ {0} → R mit f(x) = 1/xn und n ∈ N ist nach der Quotientenregel1952

Satz 3.2.1.21953

f ′(x) =

(1

xn

)=

0− nxn−1

x2n= −nx−n−1.

(3) Fur den Tangens tan : R \ (π2 + πZ)→ R gilt1954

(tanx)′ =

(sin(x)

cos(x)

)′=

cos(x) cos(x)− sin(x)(− sin(x))

cos2(x)=

cos2(x) + sin2(x)

cos2(x)=

1

cos2(x),

wobei wir die Ableitungen von Cosinus und Sinus (siehe Beispiel 3.1.2.5) und die1955

Quotientenregel verwenden.1956

Satz 3.2.3 (Kettenregel). Es sei D ⊂ R, f : D → R und g : f(D) → R. Wenn f in x1957

und g in f(x) differenzierbar ist, dann ist die Zusammensetzung g ◦ f differenzierbar in x1958

und1959

(g ◦ f)′(x) = g′(f(x)) · f ′(x).

Wir hatten gerne einen einfachen Beweis der Form1960

(g ◦ f)′(x) = limξ→x

g(f(ξ))− g(f(x))

ξ − x= limξ→x

g(f(ξ))− g(f(x))

f(ξ)− f(x)

f(ξ)− f(x)

ξ − x=

1961

limξ→x

g(f(ξ))− g(f(x))

f(ξ)− f(x)limξ→x

f(ξ)− f(x)

ξ − x= g′(f(x))f ′(x).

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60 3. DIFFERENTIATION

Leider ist dieser “Beweis” falsch, denn f(ξ)−f(x) konnte gleich 0 sein, zum Beispiel f konnte1962

eine konstante Funktion sein und wir wollen, dass unsere Kettenregel auch fur stuckweise1963

konstante Funktionen gilt. Fur einen korrekten Beweis der Kettenregel benotigen wir ein1964

Hilfsmittel:1965

Definition 3.2.4. Die Sekantensteigungsfunktion g∗x einer in x differenzierbaren reellen1966

Funktion g definieren wir durch1967

g∗x(ξ) =

{g(ξ)−g(x)ξ−x wenn ξ 6= x

g′(x) wenn ξ = x.

Beweis von Satz 3.2.3. Wegen g(ξ)− g(x) = g∗x(ξ)(ξ − x) und limξ→x g∗x(ξ) = g′(x)1968

ist1969

(g ◦ f)′(x) = limξ→x

g(f(ξ))− g(f(x))

ξ − x= limξ→x

g∗x(f(ξ))(f(ξ)− f(x))

ξ − x=

1970

limξ→x

g∗x(f(ξ)) limξ→x

f(ξ)− f(x)

ξ − x= g′(f(x))f ′(x).

�1971

Das Symbol dx, dem wir bei der Integralrechnung in der Form∫f(x)dx noch begegnen1972

werden, steht fur Differenzen, die gegen 0 streben. Diese Notation bezieht sich zuachst nicht1973

auf eine Funktion, sondern auf einen Term, in dem x vorkommt. Dieser Term wird dann1974

in unserem Sinn als Funktion in x aufgefasst. In der Physik wird mit diesen Symbolen1975

oft gerechnet wie mit reellen Zahlen. Fur den “Beweis” der Kettenregel wurden Physiker1976

zunachst statt der Funktionsbezeichnungen f, g Termbezeichnungen wahlen, zum Beispiel1977

z(y(x)), wobei z als Term (Funktion) in y und y als Term (Funktion) in x gesehen wird.1978

Das dx-Rechenkalkul ergibt dann1979

z′(y)y′(x) =dz

��dy��dy

dx=dz

dx= z′(x),

wobei das Symbol dy so weggekurzt wird, als ware es eine feste reelle Zahl ungleich Null.1980

Definition 3.2.5. Ein Funktion heißt stetig differenzierbar, wenn sie differenzierbar1981

und ihre Ableitung stetig ist.1982

Beispiel 3.2.6. Es sei fn : N→ N mit1983

fn(x) =

{xn sin 1

x , wenn x 6= 0

0, wenn x = 0.

Fur welche n ∈ N ist fn stetig, differenzierbar oder stetig differenzierbar?1984

(1) Fur n = 0 ist f0(x) = sin(1/x) und f0 ist nicht stetig in 0, denn fur1985

xk =1

2πk + π2

ist limk→∞

xk = 0,

1986

jedoch fk(xk) = 1 und daher limk→∞

f(xk) = 1 6= 0 = f(0).

Interessant an diesem Beispiel ist, das der Funktionsgraph bzw. die Funktion1987

(d.h. die Menge aller Punkte (x, f0(x)) als Teilmenge des R2 topologisch zusam-1988

menhangend ist. Das heißt, er lasst sich nicht als Vereinigung zweier offener Mengen1989

darstellen.1990

(2) Fur n ≥ 1 ist f1(x) = xn sin(1/x) und limx→0 fn(x) = 0. Also ist fn in 0 stetig.1991

(3) Der Limes1992

limh→0

f1(h)− f1(0)

h= limh→0

1

hh sin

(1

h

)= limh→0

sin

(1

h

)existiert nicht, daher ist f1 nicht in 0 nicht differenzierbar.1993

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3.2. ERSTE ABLEITUNGSREGELN 61

(4) Fur n ≥ 2 ist1994

f ′n(0) = limh→0

f1(h)− f1(0)

h= limh→0

hn−1 sin

(1

h

)= 0

und somit fn differenzierbar in 0.1995

(5) Fur n ≥ 2 und x 6= 0 ist1996

f ′n(x) = nxn−1 sin

(1

x

)− xn−2 cos

(1

x

).

Also ist f2 zwar uberall differenzierbar aber nicht stetig diffenrenzierbar in 0. Fur1997

n ≥ 3 hingegen ist fn auch stetig differenzierbar.1998

3.2.7 (Theoriefrage 64). Formulieren und beweisen Sie die Produkt- und die Quotien-1999

tenregel.2000

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Wien, 2012.2017

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