Einleitung - Neutestamentliches Repetitorium – Erlangen · 2014-04-02 · Einleitung § 1 Die...

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Einleitung § 1 Die Stadt Thessaloniki D as grundlegende Werk über die Geschichte der Stadt Thessaloniki stammt von dem rumänischen Gelehrten griechischer Herkunft Orestis Tafrali. 1 Ne- ben der Geschichte Thessalonikis von den Anfängen bis ins 14. Jahrhundert hat Tafrali auch eine Monographie über die Stadt Thessaloniki im 14. Jahrhundert und eine Studie zur Topographie Thessalonikis verfaßt. 2 Die Stadt Thessaloniki wurde an der Stelle der älteren Stadt Therme errich- tet, auf die einzugehen in unserem Zusammenhang keine Veranlassung besteht. Thessaloniki ist benannt nach einer Tochter des Makedonenkönigs Philipp II., ei- ner Halbschwester Alexanders des Großen. Diese Thessaloniki war verheiratet mit Kassander, der 316 bzw. 315 v.Chr. die Stadt gründete und nach seiner Frau be- nannte. 3 Wegen ihrer verkehrsgünstigen Lage erlebte die Stadt einen raschen Aufschwung. Noch heute ist Thessaloniki eine wichtige Stadt, in Griechenland steht sie nur hin- ter Athen zurück. Zur makedonischen Zeit gab es in Thessaloniki eine bedeutende Werft; der Hafen war insbesondere für die makedonische Flotte von erheblicher Bedeutung. 4 1 Orestis Tafrali: Thessalonique des origines au quatorzième siècle, Paris 1919. Im Jahr 1994 – pünktlich zur Aachener Vorlesung zum 1. Thessalonicherbrief im WS 1995/96 – ist eine griechische Übersetzung des Werkes erschienen (nach welcher ich im folgenden zitiere): Ορστη Ταφραλ: Η Θεσσαλονκη απ τι απαρχ ω τον 14ο αινα, übersetzt von Αγγελικ Νικολοπολου, Athen 1994. 2 Im Jahr 1913 erschienen Thessalonique au quatorzième siècle (jetzt neu zugänglich in dem griechischen Nachdruck des Institute for Balkan Studies. Archiv of Historical Studies 3: O. Tafrali, Thessalonique au quatorziemè siècle, Αρχεο Ιστορικν Μελετν 3, Thessaloniki 1993) und die Topographie de Thessalonique. 3 Orestis Tafrali, a. a. O. (Anm. 1), S. 20. 4 Ebd. Die Stadt war dazu bestimmt, Hauptstadt der Region zu werden; noch heute wird sie im Neugriechischen als συπρωτεουσα bezeichnet.

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  • Einleitung

    1 Die Stadt Thessaloniki

    Das grundlegende Werk ber die Geschichte der Stadt Thessaloniki stammtvon dem rumnischen Gelehrten griechischer Herkunft Orestis Tafrali.1 Ne-ben der Geschichte Thessalonikis von den Anfngen bis ins 14. Jahrhundert hatTafrali auch eine Monographie ber die Stadt Thessaloniki im 14. Jahrhundertund eine Studie zur Topographie Thessalonikis verfat.2

    Die Stadt Thessaloniki wurde an der Stelle der lteren Stadt Therme errich-tet, auf die einzugehen in unserem Zusammenhang keine Veranlassung besteht.Thessaloniki ist benannt nach einer Tochter des Makedonenknigs Philipp II., ei-ner Halbschwester Alexanders des Groen. Diese Thessaloniki war verheiratet mitKassander, der 316 bzw. 315 v. Chr. die Stadt grndete und nach seiner Frau be-nannte.3

    Wegen ihrer verkehrsgnstigen Lage erlebte die Stadt einen raschen Aufschwung.Noch heute ist Thessaloniki eine wichtige Stadt, in Griechenland steht sie nur hin-ter Athen zurck. Zur makedonischen Zeit gab es in Thessaloniki eine bedeutendeWerft; der Hafen war insbesondere fr die makedonische Flotte von erheblicherBedeutung.4

    1 Orestis Tafrali: Thessalonique des origines au quatorzime sicle, Paris 1919. Im Jahr 1994 pnktlich zur Aachener Vorlesung zum 1. Thessalonicherbrief im WS 1995/96 ist eine griechischebersetzung des Werkes erschienen (nach welcher ich im folgenden zitiere): : 14 , bersetzt von ,Athen 1994.

    2 Im Jahr 1913 erschienen Thessalonique au quatorzime sicle (jetzt neu zugnglich in demgriechischen Nachdruck des Institute for Balkan Studies. Archiv of Historical Studies 3: O. Tafrali,Thessalonique au quatorziem sicle, 3, Thessaloniki 1993) und dieTopographie de Thessalonique.

    3 Orestis Tafrali, a. a. O. (Anm. 1), S. 20.4 Ebd. Die Stadt war dazu bestimmt, Hauptstadt der Region zu werden; noch heute wird sie im

    Neugriechischen als bezeichnet.

  • 2 Einleitung

    Fr unsere Vorlesung ist natrlich die rmische Phase Thessalonikis von beson-derer Bedeutung. Diese rmische Phase beginnt im Jahre 168 v. Chr. Der letztemakedonische Knig Perseus verlor die Schlacht bei Pydna gegen die Rmer unddamit war die makedonische Zeit beendet. Die Rmer erklrten Griechenland frfrei schon damals gab es also Latrinenparolen nach der Art unseres Freie Fahrtfr freie Brger, frei also wurde auch Makedonien. Auf der Konferenz in Am-phipolis im Jahre 167 v. Chr. wurde Makedonien in vier Teile zerlegt, nmlich

    Abb. 1: Die vier Regionen Makedoniens in rmischer Zeit5

    1. Die Region zwischen Strymon und Nestos. Sie wird erster Bezirk genannt,auf Griechisch , vgl. Apg 16,11 (Lukas kennt sich hier genauaus!). Auf Abb. 1 die Region A. Hauptstadt dieser Region war Amphipolis(die Stadt begegnet in Apg 17,1).6

    5 Die Karte ist entnommen aus dem Sammelwerk Macedonia. 4 000 Years of Greek History andCivilization, hg. v. Michael B. Sakellariou, Greek Lands in History [I], Athen 1983; hier S. 198, Abb.133.

    Die Karte zeigt die vier Regionen, von Ost nach West mit A, B, C und D benannt. Sehr anschau-lich wird hier die Bedeutung der via Egnatia (in oranger Farbe dargestellt), die alle vier Regionen vonWest nach Ost durchquert.

    6 Vgl. Orestis Tafrali, a. a. O. S. 29.

  • 2 Die Menschen in Thessaloniki 3

    2. Die Region zwischen dem Axios und dem Strymon mit der HauptstadtThessaloniki, der zweite Bezirk, auf Griechisch auf unsererKarte die Region B.

    3. Daran schlo sich im Westen die dritte Region ( ) mit der Haupt-stadt Pella an auf unserer Karte die Region C.

    4. Die westlichen und sdwestlichen Gegenden des ehemaligen KnigreichesMakedonien bildeten schlielich die vierte Region ( ) aufunserer Karte die Region D.

    Diese Regelung war dazu gedacht, einen Aufstand gegen die rmische Herr-schaft schon im Ansatz zu verhindern. Thessaloniki fuhr dabei im ganzen rechtgut, da die Stadt ihre Autonomie behielt.7

    Trotzdem erlebte Makedonien schon im Jahr 149 v. Chr. einen furchtbaren Auf-stand gegen das rmische Regime. Man war nicht gewillt, sich der pax Romanaso ohne weiteres zu unterwerfen. Angefhrt wurde dieser Aufstand von einem ge-wissen Andriskos, der behauptete, er sei ein Sohn des letzten makedonischen K-nigs Perseus. Dieser machte den Rmern schwer zu schaffen. Erst 146 v. Chr. ge-lang es ihnen, ihre beliebte pax Romana in Makedonien wiederherzustellen. Dies-mal machte man Ngel mit Kpfen. Die alberne Befreiungstheorie mitsamt derFreiheits-Rhetorik wurde ein fr allemal fallengelassen. Makedonien wurde rmi-sche Provinz. Die vier Regionen blieben als Verwaltungseinheiten bestehen. Thes-saloniki wurde die Hauptstadt der neuen Provinz mit dem Sitz des jeweiligen Statt-halters. Sie bekam das Recht, sich freie Stadt (civitas libera) zu nennen.8

    Die Struktur der Stadt Thessaloniki unter der rmischen Herrschaft ist uns auf-grund zahlreicher erhaltener Inschriften recht gut bekannt.9 Eine spezifische Insti-tution sind die Politarchen, die auch Lukas kennt und in Apg 17,6 erwhnt.

    Von besonderem Interesse sind fr unsere Zwecke natrlich die Verhltnisse inThessaloniki im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Denn fr den Brief desPaulus ungefhr aus dem Jahr 50 n. Chr. kommt es darauf an, sich ein mg-lichst przises Bild der Menschen und ihrer religisen und weltanschaulichen ber-zeugungen zu machen, an die der Brief des Paulus gerichtet ist.10

    7 (Orestis Tafrali, a. a. O., S. 30).

    8 Vgl. Orestis Tafrali, a. a. O., S. 33: - .

    9 Vgl. Orestis Tafrali, a. a. O., S. 3340. Heute ist die Sammlung der Inschriften aus Thessalonikiergnzend heranzuziehen: Charles Edson: Inscriptiones Thessalonicae et viciniae, IG X 2,1, Berlin1972. Ergnzungen dazu sind in Vorbereitung.

    10 Dieser Frage ist die bereits im Vorwort erwhnte Dissertation von Christoph vom Brocke gewid-

  • 4 Einleitung

    2 Die Menschen in Thessaloniki

    Die Zusammensetzung der Bevlkerung Thessalonikis mu man sich eini-germaen bunt vorstellen: Thraker, Griechen, Makedonen, Menschen ausKleinasien, Rmer, Juden: Aus vielen Gegenden kamen Leute, um sich in der Me-tropole Makedoniens anzusiedeln. Die hauptschlich gesprochene Sprache war dasGriechische (anders als z. B. in Philippi, wo zur gleichen Zeit das Lateinische do-minierte). Paulus hatte es insofern in Thessaloniki leichter, weil die herrschendeSprache hier das Griechische war.11

    Ebenso bunt wie die Zusammensetzung der Bevlkerung mssen wir uns diereligise Lage in Thessaloniki vorstellen. Neben den althergebrachten griechischenGttern man hat von Thessaloniki aus noch heute (freilich von Jahrzehnt zuJahrzehnt immer seltener . . . ), trotz der gigantischen Luftverschmutzung gelegent-lich einen herrlichen Blick auf den Sitz dieser griechischen Gtter, den Olymp,der auf der gegenberliegenden Seite des thermaischen Meerbusens sich direkt ausdem Wasser zu erheben scheint. Zur Zeit des Paulus war dieser Blick nicht wieheute ein seltenes Geschenk, sondern wohl kaum beachteter Alltag. Neben die-sen griechischen Gttern gab es thrakische von einiger Bedeutung. Ich nenne alsfr Thessaloniki charakteristisch Dionysos (seine Heimat ist vielleicht das nahePangaiongebirge) und die Kabiren von der Insel Samothrake.12

    Als drittes Element sind dann noch stliche Kulte zu nennen ich fhre alsBeispiel den Kult der gyptischen Gtter an, der auch an andern Stellen in Ma-kedonien bezeugt ist. Abschlieend mu man dann auch rmische Bruche und

    met: Thessaloniki Stadt des Kassander und Gemeinde des Paulus. Eine frhe christliche Gemeindein ihrer heidnischen Umwelt, WUNT 2/125, Tbingen 2001.

    11 Orestis Tafrali, a. a. O., S. 43: , , . DieseBeobachtung besttigt sich, wenn man einen Blick in das Corpus von Edson wirft: Von den gut 1 000Inschriften, die Edson publiziert, sind mehr als 950 in griechischer, kaum 50 in lateinischer Sprache.Ganz anders ist das Verhltnis wie im Text erwhnt dagegen in Philippi! Hier dominieren nichtnur zur Zeit des Paulus, sondern auch spter, klar die lateinischen Texte. Vgl. dazu mein Philippi I.Die erste christliche Gemeinde Europas, WUNT 87, Tbingen 1995, S. 118122.

    12 Selbst bei Ernst von Dobschtz, S. 10, erwhnt; seine einschlgigen Bemerkungen zur religisenLage sind freilich beraus drftig. Katastrophal mu man dagegen Traugott Holtz nennen: Er sagt,da sich hier die verschiedensten Religionen und Kulte zusammenfanden (S. 9) und przisiertdiese Aussage wie folgt: So mu mit flukturierenden geistigen und religisen Einflssen gerechnetwerden; umherziehende Propagandisten und Missionare oder auch Reisende verbreiten sie (ebd.)Das ist abgesehen von einem Satz zur Synagoge die gesamte Analyse zur religisen Lage. Beatipossidentes!

    Zu den Kulten in Thessaloniki zur Zeit des Paulus sind die einschlgigen Abschnitte in der Mo-nographie von Christoph vom Brocke heranzuziehen, zum Kabiros besonders a. a. O., S. 117121.

  • 3 Juden in Thessaloniki 5

    Gottheiten nennen, so beispielsweise das Rosalienfest, das auch fr Thessalonikibezeugt ist.13

    Entscheidend ist politisch das rmische Element: Obwohl die rmische Bevl-kerungsgruppe im 1. Jh. n. Chr. im Vergleich zu Griechen, Makedonen und Thra-kern die jngste war, war sie doch die einflureichste. Denn natrlich waren dieSpitzen der provinzialen Verwaltung vom Statthalter bis zum Quaestor ausschlie-lich von Rmern besetzt. Die ersten Rmer, die inschriftlich in Thessaloniki fabarsind, sind dementsprechend fhrende Mitglieder der Provinzialverwaltung: so et-wa der Praetor pro consule ( ) Quintus Caecilius Metellus, der148 v. Chr. den makedonischen Prtendenten Andriskos besiegt hatte (IG X 2,1nr. 134), oder der Quaestor Gnaeus Servilius Caepio, der im Jahre 105 v. Chr. inMakedonien weilte, oder der Quaestor Cornelius Sulla Servii filius (IG X 2,1 nr.29), der die Provinz um 70 v. Chr. verwaltete.14

    Die Rmer spielen nicht nur als Inhaber der wichtigen provinzialen mter diefhrende Rolle, sondern treten auch in wirtschaftlicher und in kultisch-religiserHinsicht hervor. Verbindungen bestehen vor allem auch zu den stlichen Kulten,insbesondere zu den gyptischen Gttern. Hier sind zwei Inschriften aus dem Se-rapeion zu nennen.15 Auch als Priester der Isis und des Sarapis taten sich Rmerhervor.16 Da die Zahl dieser rmischen Hndler im 1. Jh. n. Chr. in Thessalo-niki, wie auch in anderen makedonischen Stdten, recht ansehnlich gewesen seinmu, beweist . . . die Tatsache, da sie bereits in einem greren Verband als - organisiert waren (IG X 2,1 nr. 32. 33). Seine Erwh-nung steht im brigen im Zusammenhang mit dem Kaiserkult.17 Der Kaiserkultist insbesondere fr die Auslegung von 1Thess 5 von Bedeutung; wir kommen aufihn daher noch ausfhrlich zurck!

    Die erhaltenen Familiennamen der Rmer aus der uns interessierenden Zeit wei-sen Verbindungen nach Italien auf: Es spricht vieles dafr, da die meisten derwenigen lateinischen Inschriften, die in Thessaloniki erhalten sind, auf diese itali-schen Hndler zurckgehen.18

    13 Eine bersicht ber die religise Lage in Thessaloniki vor der Ankunft des Paulus bietet OrestisTafrali in seinem fnften Kapitel (S. 4547). Eine neuere Darstellung findet man bei Christoph vomBrocke.

    14 Christoph vom Brocke, a. a. O., S. 94.15 Charles Edson, IG X 2,1, die Nummern 79 und 80, vgl. Christoph vom Brocke, a. a. O., S. 95.16 Charles Edson, IG X 2,1, die Nummer 83, vgl. Christoph vom Brocke, ebd.17 Christoph vom Brocke, a. a. O., S. 9596.18 Christoph vom Brocke, a. a. O., S. 96 (mit Listen solcher Namen und spezieller Literatur, auf

    die ich in diesem Zusammenhang nicht eingehen kann).

  • 6 Einleitung

    3 Juden in Thessaloniki

    Die Juden bekommen einen eigenen Abschnitt und werden nicht im Rahmender brigen Bevlkerung diskutiert, weil hier besonders wichtige Fragen imHinblick auf die christliche Gemeinde von Thessaloniki zu besprechen sind. Wennwir zunchst unseren Brief selbst ansehen, so macht dieser nicht den Eindruck,als bestnde die christliche Gemeinde in Thessaloniki aus ehemaligen Juden. ImGegenteil! Paulus schreibt in 1,9f.: Allenthalben hat sich mittlerweile herumge-1Thess 1,910sprochen, wie ihr euch abgewandt habt von den Gttern hin zu Gott, um demlebendigen und wahren Gott zu dienen, und seinen Sohn aus den Himmeln zuerwarten usw. Von Christen jdischer Herkunft kann man auf keinen Fall sagen,sie htten sich bei ihrer Bekehrung zum Christentum von den Gtzen abgewandt.Somit ergibt sich aus 1Thess 1,9, da mindestens die berwiegende Mehrheit derGemeinde heidenchristlichen Ursprungs gewesen ist.

    Ganz anders steht es allerdings mit dem Bericht des Lukas ber die GrndungApg 17,19der Gemeinde in Thessaloniki (Apg 17,19). Nach Lukas reist Paulus zusammenmit seinen Begleitern aus Philippi ber Amphipolis und Apollonia nach Thessalo-niki, , wo eine Synagoge der Juden war (Apg17,1). Nach seiner Gewohnheit begibt sich Paulus sogleich in diese Synagoge undlehrt dort mehrere Sabbate (17,2f.). Diese Predigt beeindruckt auch die Juden, diesich daraufhin der neuen Lehre anschlieen (17,4). Fr unser Problem ergibt sichaus Apg 17:

    1. In Thessaloniki gab es zur Zeit des Paulus eine jdische Synagoge.

    2. Paulus hat seine Predigt in Thessaloniki dort nicht nur begonnen so daslukanische Schema , sondern er hat ausschlielich in der Synagoge gewirkt.

    3. Die christliche Gemeinde, die Paulus in Thessaloniki grndet, hat auch j-dische Mitglieder.

    Stimmt das paulinische Selbstzeugnis also hier mit dem Bericht in Apg 17 nichtohne weiteres berein, so ergibt sich fr uns die grundlegende Frage: Wie steht esmit dem Judentum in Thessaloniki zur Zeit des Paulus? Vor kurzem ist dazu eingrundlegender Beitrag in der Zeitschrift fr Papyrologie und Epigraphik erschie-nen.19

    19 Pantelis M. Nigdelis: Synagoge(n) und Gemeinden der Juden in Thessaloniki: Fragen aufgrundeiner neuen jdischen Grabinschrift der Kaiserzeit, ZPE 102 (1994), S. 297306. Es handelt sichdabei um die Publikation der Inschrift, die mir dank der freundlichen Vermittlung von

  • 3 Juden in Thessaloniki 7

    Der Verfasser, Pantelis Nigdelis, beginnt seine Studie mit dem Satz: Die jdi-sche Gemeinde von Thessaloniki war bemerkenswerterweise bis jetzt nur aus einem und zwar literarischen Zeugnis bekannt, einer vielzitierten Stelle der Apostel-geschichte[,] 17,19[,] ber den ersten Besuch des Apostels Paulus in der Stadtim Jahre 50 n. Chr.20 Die von Nigdelis als milich bezeichnete Quellenlage hatsich grundstzlich gendert durch eine neue Inschrift, die im Sommer 1965 aufder Baustelle des Verwaltungsgebudes der Universitt, also im Bereich des stli-chen Friedhofs der antiken Stadt, gefunden worden ist.21

    Der Text lautet:

    () () , , - ,

    5 [] () () .22

    Die Inschrift befindet sich heute im Hof des Archologischen Museums in Thes-saloniki.23

    schon seit einigen Jahren bekannt war; auch in Philippi ist eine Inschrift zutage getreten,die eine Synagoge bezeugt (vgl. meinen Kommentar zur Synagogen-Inschrift aus Philippi in meinemPhilippi II. Katalog der Inschriften von Philippi, WUNT 119, Tbingen 2000, Nr. 387a/G813 aufSeite 389390).

    20 Pantelis M. Nigdelis, a. a. O., S. 297.21 Pantelis M. Nigdelis, a. a. O., S. 298. Da die Inschrift 1965 gefunden und 1994 publiziert

    wird, ist leider typisch. Videant consules!Es handelt sich dabei um einen auf einem Marmorsarkophag eingemeielten Text: Der Typ des

    Sarkophags, der sog. Sarkophag mit Kastenrahmung, ist in Thessaloniki gelufig und lt sich vonetwa 120 bis 260 n. Chr. verfolgen. Spuren einer getilgten Inschrift zeigen, da das Grabmal wiederverwendet wurde. Auf der Vorderseite liest man in einer tabula ansata folgenden Text . . . (ebd.).

    22 Bei der Lesung der Zahl folge ich dem in Anm. 30 zitierten Corpus der jdischen Inschriftenaus Osteuropa, S. 96.

    23 Der Sarkophag wird heute im Garten des Archologischen Museums von Thessaloniki unterder Inventarnummer 5674 aufbewahrt. Die Mae sind: Breite 1,59 m., Lnge 2,53 m. und Hhe1,30 m.; Buchstabenhhe 45cm. Zur Lage und den Funden des Ostfriedhofs von Thessaloniki s.jetzt: M. Vitti, , -. (.), Thessaloniki 1990, 47. Fr die Publikationserlaubnis der Inschrift mchteich Frau Dr. I. Vokotopoulou, Vorstand der 16. Ephorie fr die klassischen und prhistorischenAltertmer Thessaloniki danken. (Pantelis M. Nigdelis, a. a. O., S. 298, Anm. 7).

    Die zitierte Studie ist nun auch im Druck erschienen: Massimo Vitti: , 160, Athen 1996.

  • 8 Einleitung

    Auf Deutsch lautet der Text nach meiner bersetzung wie folgt:

    Markus Aurelius Jakob, der auch Eutychios (heit),(hat die Grabsttte) zu seinen Lebzeiten fr seine Frau Anna,die auch Asynkrition24 (heit), und fr sich selbst der Er-innerung halber (errichtet). Wenn aber einer einen andern niederlegt,

    5 soll er den Synagogen zahlenDenare25 75.000.

    Der Herausgeber mchte die Inschrift ins sptere 2. oder 3. Jh. n. Chr. datie-ren.26

    Von besonderem Interesse ist das Studium der Namen unserer Inschrift. Nigde-lis kommt zu dem Ergebnis: Wir haben es . . . hier mit einem Juden zu tun, der. . . seine jdische Identitt bewahrt hat und als seinen Namen bzw. sein Cogno-men Jakob angibt.27 Dies wird dadurch besttigt, da die angedrohte Strafe andie Synagogen zu zahlen ist, nicht etwa an die Stadtkasse oder an den kaiserlichenFiscus. Problematisch ist in diesem Zusammenhang der Plural ,an die Synagogen. Da es sich hier nicht einfach um Zusammenknfte der Ju-den von Thessaloniki handelt, wie man vielleicht annehmen knnte, geht deutlichschon aus der Tatsache hervor, da bei den bekannten Fllen der Empfnger einerGrabmult nie eine Zusammenkunft ist.28

    Es mu daher das Wort hier schon im technischen Sinne gebrauchtsein; dann bezeichnet es entweder eine jdische Gemeinde oder das zugehrigeGebude. Plausibel wre es vielleicht zu vermuten, da es sich um mehrere Syn-agogen handelt, was natrlich wiederum Anla zur Frage gibt, aus welchem Grundes zwei oder drei Synagogen in Thessaloniki gab. In den mir bekannten Parallelenist immer nur von einer Synagoge die Rede.29

    24 Zum Namen Asynkrition vgl. Rm 16,14, wo Paulus einen gren lt; vgl.auch Christoph vom Brocke, a. a. O., S. 225 mit Anm. 87.

    25 Christoph vom Brocke, a. a. O., S. 224 bersetzt [] in Z. 5 mit neu geprgte inmeiner bersetzung versehentlich ganz unbersetzt geblieben . . .

    26 Pantelis M. Nigdelis, a. a. O., S. 299. Zur Begrndung fhrt Nigdelis folgendes an: Dafrsprechen die charakteristische kursive Form der Buchstaben, die mit kleinen apices geschmckt sind,sowie die Syntax und die Orthographie, vor allem aber die Nennung von Praenomen und Nomendes Beigesetzten, der der erste bekannte rmische Brger jdischer Abstammung in Thessalonikiist, was zweifellos mit der Drftigkeit der Belege ber die jdische Gemeinde zusammenhngt. Indiesem Zusammenhang geht Nigdelis dann des genaueren auf die von Jahrhundert zu Jahrhundertsteigenden Preise ein (ebd.) das mu man mit Philippi vergleichen!

    27 Pantelis M. Nigdelis, a. a. O., S. 303.28 Pantelis M. Nigdelis, a. a. O., S. 305.29 Pantelis M. Nigdelis, ebd.

  • 3 Juden in Thessaloniki 9

    Wenn man in Betracht zieht, da in allen bekannten Fllen nur der Singu-lar Synagoge vorkommt, dann haben wir es hier mit einer Abweichung zu tun,die auch historisch interessant sein kann. Htte es nmlich mehrere Synagogen inThessaloniki gegeben, was bezglich der Diasporagemeinde sonst m. W. nur frRom[,] Alexandreia und Antiocheia bezeugt ist, dann mten wir mit einem Zu-wachs des jdischen Bevlkerungselements rechnen. Das liee sich, wie gewhn-lich, durch die lange Tradition der lokalen Gemeinde und vor allem durch dieEinwanderung von Juden, die nach den groen Katastrophen der Jude [lies Jah-re?] 70 (Titus) und 135 (Bar Kokhba) n. Chr. ins Ausland verkauft und selbst bzw.deren Nachkommen freigelassen worden waren, erklren. Htte es in Thessaloni-ki mehrere Synagogen gegeben, wrde das noch bedeuten, da die auf der neuenInschrift erwhnte Grabmult diejenige Synagoge bekme, die den Grabfrevel an-zeigte.30

    Nun ist diese Inschrift zu spt, um przise Schlsse fr das 1. Jahrhundert zuziehen. Immerhin ist sie ein Indiz dafr, da das Judentum zu allen Zeiten (bisauf Adolf Hitler erst durch die Nazis wurden die Juden aus Thessaloniki so gutwie endgltig vertrieben31) stark vertreten war. Daher besteht kein Anla, an derExistenz einer Synagoge zur Zeit des Paulus zu zweifeln. Ob Paulus seine Predigtin der Tat in der Synagoge in Thessaloniki begonnen hat, wie Lukas das in Apg 17beschreibt, ist freilich eine ganz andere Frage. Wir werden bei der Auslegung vonKapitel 2 auf die Juden in Thessaloniki zurckkommen.

    30 Pantelis M. Nigdelis, a. a. O., S. 306.Bleibt fr diese zweite Auflage nachzutragen, da die erstmals von Nigdelis publizierte In-

    schrift seither immer wieder diskutiert wurde, so in dem mehrfach zitierten Werk Christoph vomBrockes, S. 223227 (pldiert fr eine zurckhaltende Auswertung der Inschrift fr die Zeit desPaulus, a. a. O., S. 227) sowie in der Sammlung der jdischen Inschriften aus Osteuropa (DavidNoy/Alexander Panayotov/Hanswulf Bloedhorn: Inscriptiones Judaicae Orientis, Band I: Eastern Euro-pe, Texts and Studies in Ancient Judaism 101, Tbingen 2004; hier S. 9598).

    31 Bei der Erstellung der zweiten Auflage sehe ich zu meinem Schrecken, da dies ein Euphemis-mus ist. Von einer Vertreibung kann allenfalls im stark verharmlosenden Sinne die Rede sein! Diejdischen Brger Thessalonikis wurden natrlich nicht nur vertrieben, sondern vernichtet.

  • 10 Einleitung

    4 Die Grndung der Gemeinde

    Nach dem Bericht der Apostelgeschichte brach Paulus zusammen mit Silasaus Antiochien zur sogenannten zweiten Missionsreise auf (Apg 15,3641).Barnabas schlgt eine andere Richtung ein. Der Konflikt in Antiochien wird durchLukas wie auch sonst in der Apostelgeschichte mglichst harmlos gehalten.Die beiden gewinnen ihm zufolge Timotheus als Mitarbeiter (Apg 16,15) undgelangen auf einem Zickzackkurs durch Kleinasien nach Alexandria Troas (16,610). Die erste eigentliche Station fr die Missionare ist Philippi, wo eine christlicheGemeinde gegrndet wird (Apg 16,1140). Von den Behrden der Stadt Philippigezwungen, reisen die Missionare ber Amphipolis und Apollonia (Apg 17,1) nachThessaloniki (Apg 17,19). Auch diese Stadt mu Paulus fluchtartig verlassen, undso kommt er nach Beroia (Apg 17,1014) und Athen (Apg 17,1534). Schlielichgelangt Paulus nach Korinth, wo er 18 Monate verweilt (Apg 18,111).

    Abb. 2: Von Philippi nach Thessaloniki32

    Dieser Bericht der Apostelgeschichte wird durch das Selbstzeugnis des Paulusinsofern besttigt, als die Route ihn von Philippi nach Thessaloniki, und dannber Athen nach Korinth fhrte. Diese Stationen kann man unserem Brief selbst1Thess 2,12entnehmen. In 1Thess 2,12 kommt Paulus ausdrcklich darauf zu sprechen, daer aus Philippi nach Thessaloniki gekommen war:

    32 Karte aus meinem Philippi I 202: Der Weg des Paulus von Philippi nach Thessaloniki auf dervia Egnatia (vgl. Apg 17,1).

  • 4 Die Grndung der Gemeinde 11

    .

    Das erinnert die Thessalonicher daran, da er ihnen bei seinemersten Besuch in ihrer Stadt von seinem Schicksal in Philippi berichtet hatte. Damitist die Reiseroute von Philippi nach Thessaloniki durch unsern Brief besttigt.

    Da Paulus hernach in Athen weilte, geht aus 1Thess 3,1ff. hervor: Aus Athenhat er den Thessalonichern den Timotheus geschickt. Von daher legt sich die wei-tere Route von Thessaloniki nach Athen nahe.33

    Keiner besonderen Begrndung bedarf der letzte Abschnitt der Reise von Athennach Korinth. Die Korrespondenz mit den Korinthern legt beredtes Zeugnis vonder Bedeutung der hier gegrndeten Gemeinde ab.

    * * *

    Da wir es in dieser Vorlesung nicht mit einer Geschichte der paulinischen Mis-sion zu tun haben, will ich hier die historische Rekonstruktion nicht im ein-zelnen vorfhren; ich beschrnke mich auf die Ergebnisse: Die sogenannte zweiteMissionsreise ist nicht wie wohl die erste ein Unternehmen der Gemeinde inAntiochien, sondern ein eigenstndiges Werk des Paulus, der sich nach dem an-tiochenischen Zwischenfall (vgl. Gal 2,1121) von dieser Gemeinde getrennt hat,um selbstndig zu arbeiten. Er hat dabei einen Plan verfolgt, der teilweise schon beiseiner Wirksamkeit in Galatien sichtbar wurde: Paulus zielt mit seiner Mission aufRom und auf Spanien. Das hatte zur Folge, da er sich auf zwei Arten von Zielenbeschrnkte, auf Hauptstdte von Provinzen und auf rmische Kolonien. Sobald erdie Trasse der via Egnatia betreten hatte, lag damit alles weitere fest: Paulus grn-dete Gemeinden in Philippi, einer rmischen Kolonie, sowie in Thessaloniki, derHauptstadt der Provinz Makedonien, und in Korinth, der Hauptstadt der ProvinzAchaja damit war Griechenland fr ihn erledigt, und er konnte sich neuen Zielenzuwenden.

    Wer den Verlauf der via Egnatia verfolgt, mu sich eigentlich ja wundern, wieviele und bedeutende Stdte Paulus von vornherein links liegen lt, ich nennenur Amphipolis und Apollonia aus Apg 17,1. Amphipolis war die Hauptstadt derersten makedonischen Region, wie wir zu Beginn dieser Vorlesung gesehen haben.Doch das interessierte den Paulus nicht, der ein klares Konzept verfolgte: Amphi-polis war weder rmische Kolonie und als Vorbung fr Rom mithin vllig un-

    33 Zum genaueren Verlauf der Reise vgl. Alfred Suhl: Paulus und seine Briefe. Ein Beitrag zurpaulinischen Chronologie, StNT 11, Gtersloh 1975, S. 9296.

  • 12 Einleitung

    geeignet noch Hauptstadt einer Provinz. Darum mochten sich andere kmmern,Paulus eilte nach Thessaloniki und weiter nach Korinth . . .

    Wir halten als Ergebnis fest: Was die sogenannten Einleitungsfragen angeht, ergibtErgebnissich: Paulus hat den 1. Thessalonicherbrief vermutlich im Jahre 50 aus Korinthnach Thessaloniki geschickt.34

    Abb. 3: Die via Egnatia bei Argilos35

    34 Vgl. etwa Alfred Suhl, ebd.35 Photo: Peter Pilhofer (1. April 2007). Argilos liegt kurz hinter Amphipolis, wenn man die

    Route nach Apg 17,1 betrachtet. Die Photographie wendet sich von West nach Ost, blickt also nachAmphipolis zurck.