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Es gibt viele gute Gründe nach Jakarta zu fahren. Mein deutscher Freund in Bogor feiert. Er meint es lohne sich seine Bekannten

kennenzulernen. Und das Visum. Ich habe noch immer keine Aufenthaltsgenehmigung. Sondern nur ein Touristenvisum. Ich muss es jeden Monat verlängern. Das kostet eine Gebühr. Und Schmiergeld noch dazu. Die Bürokratie in Indonesien ist wirklich fürchterlich.

In Jakarta, so geht aus einem Brief der indonesischen Botschaft Berlin hervor, kann ich ein Schreiben beantragen, mit dem ich eine ordentliche Aufenthaltserlaubnis bekommen kann. Ein indonesischer Personalausweis würde mir schon gefallen. Der Nutzen mag gering sein, aber das ist auch eine emotionale Frage.

Jakarta ist weit. 900 km sind es von hier, doch Kilometerangaben sind wenig aussagekräftig. Entfernungen werden in Stunden gemessen. Das Flugzeug fliegt eineinhalb Stunden. Der Zug braucht 20. Der Bus noch mehr. Fliegen kommt nicht in Frage. Wer Nachhaltigkeit predigt muss auch konsequent sein, zumindest, wenn es Alternativen gibt.Und wer Indonesien kennenlernen möchte sollte ohnehin besser Zugfahren.

mit dem Zug von Malang nach Jakartavon Angebot, Nachfrage und Geduld.

Titelbild: warten auf den Zug

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Lange überlege ich ob ich wieder den Express nehmen soll. Bei meiner letzten Fahrt von Jakarta nach Malang wusste ich noch nicht, dass es zwei verschiedene Züge gibt. „Eksekutif“ und „Ekonomi“. Den schnellen und den langsamen. Den kalten und den heißen. Den teuren und den billigen. Die Preise unterscheiden sich um mehr als das sechs-fache! Der eine kostet 330.000 Rupiah (ca. 27 €), der andere 52.000 (ca. 4,20 €). Nur zum Vergleich, Kommilitonen von mir arbeiten Vollzeit für unter 900.000 Rupiah (72 €) im Monat. Da kann ich kaum guten Gewissens für einen drei Viertel-Monatslohn nach Jakarta und zurück fahren. Ich kaufe meine Fahrkarte also nicht im klimatisierten „V.I.P.“-Wartesaal, sondern stehe, wie alle anderen auch, am Morgen vor der Abfahrt in der Schlange vor dem Schalterfenster in der kleinen Bahnhofshalle.

Pünktlich um drei Uhr Nachmittags setzt sich der Zug in Bewegung. Er zählt zehn Wagen. Gelb und grün sind sie dieses Mal. Die Diesellokomotive atmet schwer. Wenn es bergauf geht ziehen die schwarzen

Rußschwaden langsam an den Fenstern vorbei. Die Sitzbänke gruppieren sich in engen vis-`a-vis-Ensembles. Auf der einen Seite des Gangs ist Platz für sechs. Auf der anderen für vier. Die Sitzlehnen stehen steil, die Polster sind hart, das grüne Kunstleder riecht angenehm. Es ist eng, doch Indonesier sind gelenkig. Im Schneidersitz ist Platz genug. Der Zug ist voll bis weit über den letzten Sitzplatz hinaus. Die Fahrgäste repräsentieren alle Altersgruppen. Säuglinge, Urgroßväter und alles dazwischen. Es wird gelacht, gelesen und gegessen. Kinder turnen über die Bänke, Jugendliche sitzen stumm nebeneinander, Mädchen schreiben pausenlos SMS mit ihren grellen Smartphones, auf den Schwellen der offenen Zugtüren sitzen Männer und rauchen.

Die Wagons sind nicht klimatisiert. Die Fenster lassen sich einen Spalt weit öffnen und sie zu schließen hätte wenig wert. Wenn der Zug fährt, weht eine angenehme Brise durch den Wagen, sobald er steht wird es heiß. Auf der eingleisigen Strecke warten wir manchmal

ein „Ekonomi“ Zug. 24 mal 5 Sitzplätze je Waggon.

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eine halbe Stunde auf einen Gegenzug, bevor die Reise weitergehen kann. Von Malang geht es schnell bergab, die Bahnhofsschilder zählen die Höhenmeter von 412 bis 0. Die Luft wird feucht. Tropenhitze ist schwül und stickig. Doch das Quengeln habe ich mir seit Ramadan abgewöhnt. Fasten ist härter als ein bisschen Hitze.

Das Schauspiel, welches sich mir darbietet zieht mich ohnehin völlig in seinen Bann. Der Zug ist ein eigener Kosmos, eine abgeschlossene Mikroökonomie, was der Bezeichnung „Ekonomi“ für die dritte Klasse eine weitere Bedeutung hinzufügt. Um die Bedürfnisse und Nachfrage der Passagiere hat sich ein komplizierter und ausgesprochen vielfältiger Markt entwickelt. Ich weiß nicht wie viele Verkäufer in den zwanzig Stunden nach Jakarta ihre Waren feilbieten. Es müssen über hundert sein. Zu kaufen gibt es alles. In jedem Bahnhof strömen neue Verkäufer in den Zug, die meisten fahren mindestens eine Station mit. In Plastiktüten und Kartons, aus Plastikschalen und

auf großen Holztabletts, die im engen Zug auf dem Kopf balanciert werden müssen, präsentieren sie alle erdenklichen Produkte. Essen ist natürlich ein gutes Geschäft. Alle Variationen der indonesischen Reisgerichte werden nach und nach angeboten. Süßigkeiten und Snacks oder frisches Obst. Auch die Auswahl an Getränken ist groß. Wasser, Limonade, Coca Cola, Powerdrinks oder zuckersüßer Eistee. Die mit Thermoskannen ausgestatteten Verkäufer bieten Kaffee, Kakao und Instant- Nudeln. Mit dem ewigen Singsang, mit dem sie ihre Waren anbieten erfüllen sie den ganzen Zug bis spät in die Nacht. Anfangs verkaufen ausschließlich Männer. Auf dem Weg nach Jakarta mischen sich auch immer mehr Frauen unter die Händler. Vielleicht ein Spiegel der ökonomischen Verhältnisse.

Doch auch über den gewöhnlichen Bedarf eines Fernreisenden hinaus, bietet der Zug zahlreiche Möglichkeiten ein paar Einkäufe zu erledigen. Von Massagesandalen, über Akkus, Schutzhüllen und

in der offenen Zugtür.

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Guthaben für Mobiltelefone, Kleider, Hemden, muslimisch Kopfbedeckungen, mysteriöse Wundermedizin, die breite Auswahl indonesischer Nelkenzigarettenmarken und Tageszeitungen bis hin zu riesigen 3D Postern farbenfroh in Szene gesetzter Koranverse gibt es fast nichts, was sich nicht während der Zugfahrt erwerben ließe.

Nicht nur der Einzelhandel floriert auf Indonesiens Gleisen. Auch Dienstleistungen werden angeboten. Eine Musikgruppe quetscht sich samt Kontrabass und Schlagzeug langsam von Wagen zu Wagen und singt ihr Lied. Am Ende macht ein Hut die Runde, viele geben bereitwillig ein paar Münzen oder einen 1000 Rupiah Schein. Am Morgen fegt ein Junge den Müll der sich über Nacht auf dem Wagonboden angesammelt hat zusammen. Ein sehr gutes Geschäft, aus jeder Sitzgruppe erhält er einen Geldschein.

Als Europäer bin ich hier ein bunter Hund, ob es mir gefällt oder nicht. Touristen verirren sich gewöhnlich nicht in die günstigen Züge. Meine Sitznachbarn sind sehr interessiert an mir und mit meinen Sprachkenntnissen und meiner Begeisterung für indonesisches Essen, ist mir ihre Sympathie schnell sicher. Drei Männer sind es. Alle kommen aus Malang. Zwei arbeiten in Jakarta. Der eine in der Buchhaltung einer Eisfabrik, vom Anderen finde ich es nicht heraus. Der Dritte möchte seinen Sohn besuchen. Sie sind sehr freundlich und neugierig. Der Älteste der drei ist erstaunlich gut informiert und fragt mich über Angela Merkels ostdeutsche Herkunft.

Wenn ich rede, hören alle zu. Auch gegenüber des Ganges spitzen sie gespannt die Ohren und etwas später werden meine Geschichten schon aus zweiter Hand weitergegeben. Wie deutsche Züge so sind, dass da das Rauchen verboten ist, dass die selbes Strecke in einem Drittel der Zeit zu bewältigen wäre, aber das 20-Fache kosten würde. Das es im Winter in Mitteleuropa zum Motorradfahren zu kalt ist, dass

Indonesien ein ausgesprochen interessantes Land ist um Internationale Beziehungen zu studieren, das Deutsche Studenten keine Blackberries haben, das die Christen in Deutschland nicht zur Kirche gehen. Das ich nicht mit dem Express fahre, verwundert augenscheinlich. Geld hat man hier um es zu zeigen. Status ist wichtig.

Mit der Nacht verstummen die Gespräche langsam. Die Kaffee-Verkäufer sind die letzten die gegen elf Uhr ihr Angebot einstellen. Auch ich finde irgendwann ein wenig Schlaf. Gegen ein paar tausend Rupiah vermietet der Schaffner Kissen und Decken. Wobei der Zug früh mit Anbruch des Tages zu neuem Leben erwacht. Sattgrüne Reisfelder, Dörfer und Städte ziehen vor den Zugfenstern vorbei. Auf einer Schnellstraße, die parallel zu den Schienen läuft stauen sich Lastwagen. Laut Fahrkarte soll der Zug um acht Uhr sein Ziel erreichen. Doch das ist eine sehr optimistische Schätzung. Am Ende sind es vier Stunden Verspätung. Geduld ist wichtig.

Nicht nur die Züge sind nach Klassen getrennt, sondern auch die Bahnhöfe. „Pasar Senen“ heißt die Station an der ich dieses Mal in Jakarta ankomme. Die teuren Züge fahren woanders. Wieder gebietet die Big Ben Melodie Vorsicht vor ein- oder ausfahrenden Zügen. Kioske reihen sich in der Mitte des Bahnsteiges aneinander. Menschen sitzen auf Bänken und auf dem Boden und warten.

Wie die Eisenbahn braucht in Indonesien alles ein wenig länger. Auf dem Rückweg werde ich meinen Zug verpassen, da ich auf dem Weg zum Bahnhof im Stau Jakartas Straßen stecken bleibe. Und auf meine Aufenthaltserlaubnis werde ich noch Monate warten müssen. Doch irgendwann ist bisher noch alles fertig geworden.