Empirische Analysen zu Elementen von Lebensstilen … · 1 w Individuelle Wahmeh- Globale,...

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P 92 - 101 FREIZEITVERHALTEN - WERTE - Orientierungen Empirische Analysen zu Elementen von Lebensstilen Annette Spellerberg AG Sozialberichterstattung Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) Berlin, April 1992

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P 92 - 101

FREIZEITVERH ALTEN - W E R TE -Or ie n t ie r u n g e n

Empirische Analysen zu Elementen von Lebensstilen

Annette Spellerberg

AG Sozialberichterstattung Wissenschaftszentrum Berlin

für Sozialforschung (WZB)

Berlin, April 1992

Freizeitverhalten - Werte - Orientierungen

Empirische Analysen zu

Elementen von Lebensstilen

Annette Spellerberg

Zusammenfassung

In diesem Papier werden drei für Lebensstile relevante Dimensionen analy­siert: Werthaltungen, Wiehtigkeitseinschätzungen von Lebensbereichen und Freizeitverhalten. Es wird geprüft, ob vorliegende Operationalisierungen für Lebensstil Untersuchungen im Kontext von Wohlfahrtsforschung Verwendung finden können. Diese Arbeit nimmt ihren Ausgangspunkt in der theoreti­schen Diskussion um Lebensstilkonzepte in der empirischen Sozialforschung (Abschnitt 2). Datenbasis für die empirischen Auswertungen ist der Wohl- fahrtssurvey 1988. Es werden zunächst die Häufigkeiten und Strukturen von Werthaltungen, Orientierungen und Verhaltensweisen der westdeutschen Bevölkerung dargestellt (Abschnitt 3.1). Hierauf aufbauend wird eine Grup­pierung der Bevölkerung nach jeder dieser Dimensionen vorgenommen und der Zusammenhang einzelner Gruppen zur sozialstrukturellen Lage disku­tiert (Abschnitt 3.2). Es wird ferner der Frage nachgegangen, inwieweit diese Elemente von Lebensstilen in Beziehung zueinander stehen (Abschnitt 3.3). In einem letzten Arbeitsschritt wird auf das subjektive Wohlbefinden der hier konstruierten Gruppen eingegangen (Abschnitt 4). Insgesamt zeigt sich für eine Operationalisierung von Lebensstilen, daß die erhobenen Kategorien verfeinert werden müssen. Es hat sich gleichzeitig ergeben, daß a) Verhalten, und Einstellungen für eine Gruppierung der Bevölkerung bedeutender als Werthaltungen sind, daß b) in jeder der hier ermittelten Gruppen der Bezug zur sozialstrukturellen Lage deutlich wird, und daß c) das Wohlbefinden je nach Freizeit- oder Orientierungs-, aber nicht nach Wertetyp variiert.

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1 Einleitung

Für die westdeutsche Bevölkerung sind die Handlungs- und Gestaltungs­spielräume im Alltagsleben in der Nachkriegsperiode gestiegen. Auf der Basis gestiegenen Wohlstands, mehr freier Zeit, sozialstaatlicher Absiche­rung und pluralisierter Werthaltungen differenziert sich die Sozialstruktur aus. Die Herauslösung der Individuen aus traditionellen Sozialmilieus geht hiermit einher; die Prägekraft der Schichtzugehörigkeit, des Berufes oder der Familienrollen wird vermindert und Individualisierungstendenzen zeichnen sich ab (Beck 1986; Zapf 1987). Die bislang herangezogenen Klassen- und Schichtkonzepte, die sich auf die Stellung im und zum Erwerbsleben bezie­hen, werden mittlerweile für unzureichend befunden, die vielfältigen sozialen Unterschiede zu erfassen. In den Sozialwissenschaften wird diskutiert, ob und welche Verbindungsglieder zwischen sozialstrukturellem Hintergrund einerseits und individuellen bzw. gruppenspezifischen Verhaltensweisen andererseits existieren. Lebensstil- oder Milieukonzepte haben Konjunktur, weil sie zwischen der individuell gestaltenden und gesellschaftlich prägenden Seite zu vermitteln scheinen (Müller/Weihrich 1991; Lüdtke 1991).

In der Wohlfahrtsforschung wird die Lebensqualität der Bevölkerung und Unterschiede nach verschiedenen Bevölkerungsgruppen untersucht. Relativ früh und auf theoretischer Ebene wurde begonnen (Glatzer, Zapf 1984), sich mit der These der "Pluralisierung der Lebensstile" auseinanderzusetzen. Dem liegt die Hypothese zugrunde, daß zunehmend weniger von allgemein akzeptierten Wohlfahrtszielen auszugehen ist, wie beispielsweise wirtschaft­lichem Wachstum, und daß ein hohes Wohlfahrtsniveau stärker von den Optionen abhängt, verschiedene und individuell geprägte Ziele zu erreichen.

In diesem Beitrag werden Vorarbeiten zu einer geplanten empirischen Untersuchung von Lebensstilen im Rahmen der Wohlfahrtsforschung vorge­stellt. Anhand vorhandenen Datenmaterials, des Wohlfahrtssurveys 1988, sollen drei aufeinander aufbauende Fragestellungen beantwortet werden: Erstens, ob sich die Bevölkerung anhand von Verhaltens- und Einstellungs­aspekten in typische Gruppen zusammenfassen läßt; zweitens, wie deren Beziehung zur sozialstrukturellen Lage ist; und ob drittens diese Gruppie­rungen einen Bezug zum Wohlbefinden aufweisen. Der Wohlfahrtssurvey 1988x, eignet sich besonders, weil Aspekte erhoben wurden, die für Lebens-

1 Die Wohlfahrtssurveys wurden im Sonderforschungsbereich 3 "MikroanalytischeGrundlagen der Gesellschaftspolitik" der Universitäten Frankfurt und Mannheim unter der Leitung von Wolfgang Zapf entwickelt. Insgesamt wurden vier Untersuchungen mit weitgehend gleichem Fragebogendesign durchgefuhrt (1978, 1980, 1984 und 1988). Diese Umfragen bilden eine wesentliche Grundlage der deutschen Sozialberichterstattung.

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stilkonzepte relevant sind, Fragen zum subjektiven Wohlbefinden enthalten sind, sowie sozialstrukturelle und demographische Informationen erfragt wurden. Es wird geprüft, ob die vorhandenen, rudimentären Informationen ausreichen, um Typologien zu bilden, und in welche Richtung gegebenfalls Verfeinerungen des Instruments vorzunehmen sind.

Bevor die Ergebnisse des Wohlfahrtssurvey 1988 vorgestellt werden, soll zunächst der Zusammenhang zwischen Wohlfahrtsforschung und Lebens­stilen beschrieben werden (Teil 2). Im empirischen Teil werden Typologisie- rungen der Bevölkerung anhand von Freizeitaktivitäten, Wichtigkeitsein­schätzungen einzelner Lebensbereiche sowie grundlegender Wertorientie­rungen präsentiert. Es wird sich zeigen, daß Zusammenhänge zwischen den Gruppierungen und den jeweiligen sozialstrukturellen Hintergrundinforma­tionen bestehen und Beziehungen zum subjektiven Wohlbefinden sichtbar werden (Abschnitt 3, 4 und 5).

2 Lebensstile als Bestandteil von Wohlfahrtsforschung

Die Wohlfahrtsforschung ist eine in vielen Ländern etablierte Teildisziplin der Sozialwissenschaften, die an der Beobachtung und Entwicklung von Lebensqualität orientiert ist. Lebensqualität basiert dem hier vertretenen Verständnis nach auf objektiven Lebensbedingungen und subjektivem Wohl­befinden sowie dem Zusammenhang beider Komponenten2. Nicht allein objektive Faktoren, sondern auch die subjektive Sicht der Menschen auf ihre Lebensbedingungen gelten damit als Maßstab für Wohlfahrt. Ziel dieser Forschungsrichtung ist es, das Ausmaß, die Struktur und Erklärungen für individuelles Wohlbefinden zu ermitteln, Wohlfahrtsdefizite zu identifizieren (nach Bevölkerungsgruppen, Regionen oder Lebensbereichen) und die Ent­wicklung von Bedürfnissen zu verfolgen. Die Wohlfahrtsforschung liefert damit auch einen wichtigen Beitrag zur Beschreibung sozialer Ungleichhei­ten; sie steht im Kontext gesellschaftspolitischer Leitlinien, die darauf abzie­len, den Lebensstandard in der Gesellschaft zu erhöhen und Ungleichheiten zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu verringern.

Wohlfahrtserträge liefert nicht allein das ökonomische System, sondern beruhen auch auf Leistungen des Staates und der Politik. Die Bedürfnisse nach existenzieller Sicherheit, Gesundheit im weiteren Sinne oder Partizipa­tion gehören in diese öffentliche Sphäre. Folglich umfaßt der Begriff Lebens­qualität auch Aspekte politischer Mitbestimmungsmöglichkeiten, öffentlicher Sicherheit, Umweltbedingungen oder des Wohnumfeldes. Außerdem sind Ziele persönlicher Entfaltung relevant, wie z.B. Selbstverwirklichung oder

2 Die folgenden Überlegungen finden sich detaillierter in Glatzer, Zapf 1984 und Zapf u.a. 1987

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Emanzipation, die in erster Linie in privaten Netzwerken zu realisieren sind, z.T. aber auch institutionalisierte Regelungen in Frage stellen (Hradil 1987: 146f). Ein Anliegen der Wohlfahrtsforschung besteht darin, die spezifischen Verantwortlichkeiten, Möglichkeiten und Grenzen sowie das Zusammen­wirken dieser "Wohlfahrtsproduzenten" zu beobachten und zu analysieren.

Um die oben genannten Ziele zu realisieren, d.h., über subjektive und ob­jektive Lebensqualität zu informieren und sozialen Wandel zu beobachten, werden seit Ende der 70er Jahre regelmäßig repräsentative Bevölkerungs­umfragungen3 durchgeführt. Vor allem in den Wohlfahrtssurveys werden relevante Lebensbereiche (Arbeitsmarkt und Beschäftigung, Familie, Wohnen, Gesundheit, Bildung, Freizeit oder gesellschaftliche Partizipation) einschließlich ihrer Wahrnehmung durch die Bevölkerung sowie Ängste und Sorgen erhoben. Unterschiede in der Lebensqualität werden mit demogra­phischen Merkmalen (Alter, Geschlecht, Nationalität oder Ortstyp) oder sozialstrukturellen Konstrukten (Schichtzugehörigkeit, Lebensphase oder Haushaltsform) zu erklären versucht. Weiterhin beeinflussen soziale Vergleichsprozesse, aber auch unterschiedliche Erwartungen, Ansprüche, Hoffnungen, Sorgen, Einstellungen und Werte die Wahrnehmung der Lebensverhältnisse. Als weitere, intervenierende Faktoren werden daher Werte, Aktivitäten und soziale Kontexte in den Untersuchungen berück­sichtigt. Anhand dieses Variablenspektrums kann beispielsweise gezeigt werden, daß eine Tendenz zu immateriellen Werten, dem Bedürfnis nach Selbstverwirklichung und einer wachsenden Bedeutung des Umweltschutzes für Wohlbefinden bestehen. Die folgende Grafik gibt einen groben Überblick über diesen Forschungsansatz.

3 Seit mehr als zehn Jahren werden regelmäßig repräsentative Befragungen vorge­nommen. Es handelt sich um die "Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwis­senschaften" (Allbus), die "Wohlfahrtssurveys" und das "Sozio-ökonomische Panel", die mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen Datensätze zur Lebenslage, Lebensqualität und Einstellungen zur Verfügung stellen.

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Abb. 1: Wohlfahrtsforschung im Überblick

Lebensverhältnisse Bewertungen und Einstellungen

SubjektivesWohlbefinden

Wohnen, Einkommen, Erwerbstätigkeit, Gesundheit, Bildung, Partizipationschancen, Freizeit, Familie, Öffentliche Sicherheit, Umwelt

1 w Individuelle Wahmeh- Globale, bilanzierendemung und Bewertung Maße subjektiveneinzelner Lebensbereiche Wohlbefindens;Wichtigkeit von Lebens- Posititve und negativebereichen, Ängste, Komponenten:Sorgen Zufriedenheit, Glück,

....... Anomie, Einsamkeit

Erklärungen

f Soziodemographische Merkmale (Alter, Geschlechtsl Sozialkonstrukte (Schichten, Haushaltsform \Werthaltungen, Erwartungen

schlecht, Nation j \ , Lebensstile) |

In den empirischen Untersuchungen ist ebenso eine Pluralisierung der Fami­lien- und Haushaltsformen zu erkennen wie eine Konzentration der Problem­lagen und Risikogruppen, z.B. auf Hausfrauen aus Arbeiterfamilien oder Kranke (Glatzer/Zapf 1984; Zapf 1987). Angesichts der beobachteten Diffe­renzierungsprozesse und theoretischer Überlegungen zur Pluralisierung von Lebensstilen wurde vermutet, daß verschiedene Lebensziele und -plane bei vergleichbarer materieller Lage zu einer unterschiedlich wahrgenommenen Lebensqualität fuhren können. "Innerhalb von Modernisierung ist Lebensstil zunächst Realisierung und Steigerung, Differenzierung und Verfeinerung von Lebensqualität, so wie Lebensqualität bereits eine Steigerung von Lebensstandard war" (Schwengel 1988: 61). Das bedeutet, daß sich im Zuge gestiegener Wahlmöglichkeiten und Individualisierungstendenzen der Zusammenhang von objektiv verfügbaren Ressourcen und erreichbarer Lebensqualität gelockert hat und Wohlfahrt sich auch an differenzierten Präferenzstrukturen orientiert (vgl. Diewald 1990).

Traditionelle Zielgrößen der Wohlfahrtsproduktion, beispielsweise die Erhöhung des Lebensstandards, können von Bevölkerungsteilen in Frage gestellt und vom quantitativen Wachstumsprozeß losgelöste Dimensionen als Bewertungsmaßstab in Betracht gezogen werden (z.B. Zeitautonomie). In ähnliche Richtung weist die Argumentation Allardts, der 1973 die Wohl­fahrtsentwicklung entlang der Dimensionen having (materieller Aspekt) -

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loving (soziale Zugehörigkeit, gesellschaftliche Beteiligung) und - being (Selbstverwirklichung) beschreibt (Allardt 1973). Im Vergleich zur Maslow- schen Bedürfnishierarchie sind die Dimensionen weniger exklusiv und hier­archisch angeordnet. Die materiellen Lebensverhältnisse werden bei stei­gendem Niveau nicht von immateriellen Bedürfnissen abgelöst und auch bei unzureichender Absicherung können sich Zugehörigkeitsbedürfnisse ent­wickeln. Die relative Bedeutung der genannten Dimensionen verschiebt sich jedoch: bei ausreichender materieller Sicherheit gewinnen im allgemeinen die Fragen nach gesellschaftlicher Mitgestaltung und persönlicher Entfal­tung an Bedeutung, während in Mangelsituationen die Befriedigung mate­rieller Bedürfnisse Vorrang hat.

2.1 Bisherige empirische Studien zu Lebensstilen und Wohlfahrtsfor­schung

Wenn die These zutrifft, daß Lebensqualität zunehmend an gruppenspezifi­schen bzw. individuellen Interessenlagen, Bewertungsmaßstäben und Verhaltensweisen orientiert ist, sollte die Wohlfahrtsforschung diese Heraus­forderung annehmen und in ihre empirischen Instrumente Lebensstilkon­zepte integrieren. Horley u.a., die nach dem Zusammenhang von Lebens­stilen und Wohlbefinden fragten, bedauern vor allem, daß keine grundsätzli­cheren, methodischen Überlegungen zur Operationalisierung von Lebens­stilen angestellt werden (1990: 6). Veenhoven gibt anhand von 245 Wohl­fahrtsstudien einen Überblick über den Zusammenhang von nationalen, sozialen und persönlichen Merkmalen und der Zufriedenheit von Individuen. Er stellt ebenfalls fest, daß der Zusammenhang zwischen Lebensstilen und Zufriedenheit - als ein global bilanzierendes Maß für Wohlbefinden - bisher nicht systematisch untersucht wurde (Veenhoven 1984: 304). Die wenigen Studien zu diesem Thema zeigten beispielsweise, daß eine Beziehung zwischen dem Wohlbefinden und dem Freizeitverhalten besteht. Er berichtet von einer weiteren Untersuchung, die erbrachte, daß zwischen einer hedoni­stischen Orientierung und einer asketischen Lebensführung kein Unter­schied im Wohlbefinden besteht. Veenhoven faßt zusammen: "There is in fact no convincing evidence for the superiority of any lifestyle so far." In der Panel-Studie Horleys, die in St. Catherine in Kanada durchgeführt wurde (Horley u.a. 1988; Horley 1990), wurden unter den Befragten mit hohen Zufriedenheitsangaben drei Lebensstile ausgemacht ("pressured", "relaxed" und "wishful thinking" (1988)). Bemerkenswerterweise erwiesen sich die Typen über sieben Jahre hinweg als weitgehend stabil. Dieser Typologie ent­sprechend äußern sowohl stärker als auch schwächer beanspruchte, ebenso wie sozial oder individuell ausgerichtete Menschen hohes Wohlbefinden. Veenhovens Schlußfolgerung, daß bisher kein Lebensstil bekannt ist, mit

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dem ein deutlich höheres bzw. niedrigeres Wohlbefinden einhergeht, kann durch diese Ergebnisse bestätigt werden. Angesichts der rudimentären For­schungen verwirft Veenhoven Lebensstilkonzepte jedoch nicht: "Yet we can­not conclude definitely that these lifestyle differences are irrelevant for the enjoyment of life ..." (Veenhoven 1984: 309). In der internationalen Zeitschrift der Sozialindikatoren- und Wohlfahrtsforschung "Social Indicators Research" sind allerdings seit 1988 keine weiteren Artikel erschienen, die Lebensstile explizit thematisieren.

2.2 Definition und Operationalisierungsversuche von Lebensstilen

Einer Definition von W. Zapf (1987: 14f) folgend, können Lebensstile "als re­lativ stabiles Muster der Organisation des Alltags im Rahmen gegebener Lebenslagen, verfügbarer Ressourcen und getroffener Lebensplanung" begrif­fen werden. "Lebensstile lassen sich ... als begrenzte Anzahl sichtbarer Verhaltensarrangements ausmachen, in denen die Trends der Individualisie­rung, Egalisierung, Kompetenzsteigerung, Differenzierung usw. zu neuen Ordnungsmustern aufeinander abgestimmt werden. Lebensstile sind transi­torische Ordnungsmuster bei abnehmenden Zumutungen und steigenden Wahlmöglichkeiten". In ähnlicher Weise wird der Begriff von anderen Auto­ren gefüllt, wenn auch mit verschiedener Akzentuierung. Lüdtke (1987) beispielsweise hebt stärker auf den sozialen Kontext und die Distinktions­funktion von Lebensstilen ab. Zablocki und Kanter (1976) bezeichnen eher Konsumstile oder Gluchowski (1987) Wertorientierungen.

Eine Operationalisierung von Lebensstilen ist bisher in unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen versucht worden: z.B. in der Wahl-, Konsum- oder Freizeitforschung, in den Politikwissenschaften, in der Soziologie und Psychologie. Lebensstiltypen erfassen zumeist Verhalten in und Einstel­lungen zu bestimmten Lebensbereichen, etwa Freizeit, Konsum oder Familie, sowie Lebenspläne. Zum besseren Verständnis und genaueren Charakterisie­rung werden die so gebildeten Gruppen zusätzlich anhand sozialstruktureller Merkmale (Einkommen, Bildung, Beruf, Alter und Geschlecht) beschrieben. Dies kann in dem Sinne interpretiert werden, daß Lebensstile in engem Zusammenhang zur vertikalen Schichtung der Gesellschaft stehen. Gluchowski (1987) verwendet als typenbildende Dimensionen Einstellungen und Persönlichkeitskonzepte und kommt beispielsweise zu folgenden Typen: "der linksliberale integrierte Postmaterialist", "der unauffällige, eher passive Arbeitnehmer", der "aufgeschlossene und anpassungsfähige Normalbürger" oder "der isolierte, alte Mensch". Obwohl also sozialstrukturelle Merkmale in die Typenbildung selbst nicht eingehen, scheinen sie zur Charakterisierung der Gruppen notwendig zu sein. Eine 1987 in Österreich durchgeführte, repräsentative Studie ermittelte zehn Lebensstiltypen auf Basis von Verhal­

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tensweisen in unterschiedlichen Lebensbereichen, z.B. genügsame Jung­erwachsene, urban, häusliche Angepaßte oder gesellige, erlebnisorientierte Konventionelle (Richter 1988; Richter 1989).

In soziologischen Untersuchungen werden sichtbare Verhaltensmuster und weniger Identitätskonzepte als Kern von Lebensstilen begriffen. Lebensstile zeichnen sich vor dem Hintergrund erhöhter Wahlmöglichkeiten in erster Linie durch ihren Aktivitätsgehalt aus; Forschungsgegenstand ist weniger die Ressourcenermittlung als deren Verwendung. Besondere Beachtung in der Operationalisierung finden die expressiven Stilisierungsmöglichkeiten des Lebens, die auf das zunehmende Gewicht kulturell-symbolischer Dimen­sionen sozialer Ungleichheit verweisen (vgl. Bourdieu 1982; Lüdtke 1990; Richter 1988; Schulze 1990). Gleichzeitig gehen so unterschiedliche Dimen­sionen wie Lebensziele, Motivationen oder Werthaltungen als Hintergrund in Lebensstilstudien ein, um der subjektiven Perspektive näher zu kommen.

Obwohl in verschiedenen Definitionen auf die Ähnlichkeit von Ausdrucks­formen und damit auf kollektive Erscheinungen hingewiesen wird (beispielsweise Lüdtke 1987; Homing, Michailow 1990), spielen soziale Kon­taktmuster und Netzwerke in Operationalisierungsversuchen bisher kaum eine Rolle. Hierin dürfte die Unterscheidung zwischen Lebensstil- und Milieukonzepten zum Ausdruck kommen. Milieus sind sowohl auf der objek­tiven Ebene angesiedelt (Ressourcen, sowie die soziale, kulturelle und politi­sche Infrastruktur) als auch gleichzeitig durch spezifische Binnenklimata gekennzeichnet, die auf subjektives Handeln, Denken und Bewerten zurück­zuführen sind (Müller 1989; Diewald 1990; Hradil 1992). Die sich hieraus ergebende, gemeinsame soziale Lage, die Verhalten und Denken prägt, ist für Lebensstile nicht kennzeichnend. Aus dieser Trennung heraus wird ver­mutlich das "soziale Kapital" (Bourdieu) in den meisten Lebensstilkonzepten nicht berücksichtigt. Während also Milieus eher Handlungsbedingungen und Mitakteure charakterisieren, beschreiben Lebensstile individuelle bzw. gruppenspezifische Handlungsmuster.

Viele Operationalisierungsversuche für Lebensstile erscheinen auf den ersten Blick durchaus plausibel, an der Bedeutsamkeit für die soziologische Forschung wird jedoch aus mehreren Gründen gezweifelt. Zum einen schei­nen Lebensstilkonstrukte nicht stabil genug zu sein, um sie für die Sozial­strukturanalyse heranzuziehen, zum anderen werden sie als modisches Jugend- und Stadtphänomen abgetan. Zum dritten besteht die Möglichkeit, daß sie objektive Ungleichheiten verschleiern, indem sie zu sehr auf Stilisie- rungs- und Wahlmöglichkeiten abheben. Darüberhinaus werden methodische Bedenken vorgebracht. Da bisher keine Einigung über eine Klassifikation erzielt werden konnte, ist den gefundenen Typologien auch nur für die jewei­lige Stichprobe Gültigkeit einzuräumen. Die Konsumforschung hält demge­genüber und naturgemäß an der Reliabilität und Validität ihrer Instrumente fest. Offen ist ferner die Frage, wer als Zielgruppe von Untersuchungen in Betracht kommt. Ist es überhaupt möglich, die gesamte Bevölkerung mit einem Erhebungsinstrument zu befragen? Oder ist es nicht sinnvoller, nach altersspezifischen und vor allem regionalen Gesichtspunkten (Ost-West,

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Stadt-Land) zu differenzieren? Die - zunächst vorläufige - Antwort besteht in einer empirischen Lösung der angesprochenen Fragen. Mit repräsentativen Untersuchungen, die eine breite Palette inhaltlicher Lebensstilaspekte umfassen, können Lebensstile ermittelt, quantifiziert und mit sozialstruktu­rellen Merkmalen verbunden werden. Es ist dabei durchaus möglich, daß mit dem einbezogenen Merkmalsspektrum für bestimmte Gruppen keine oder nur bedingt Lebensstile erfaßt werden können (beispielsweise Ältere).

Als Fazit aus theoretischen Überlegungen ergibt sich für eine mögliche Operationalisierung, daß zunächst die notwendigen Ebenen von Lebensstilen ausgewiesen werden müssen; es sollte weder eine farblose Melange noch eine reine Verhaltensklassifikation gebildet werden. Da in Lebensstilen soziale Zuordnungen und Abgrenzungen zum Ausdruck gebracht werden, die sich in konkretem Verhalten manifestieren, sind Verhaltensweisen ins Zentrum eines Lebensstilkonzeptes zu stellen. Um die Innenperspektive einzube­ziehen, besteht eine Möglichkeit darin, Gründe für das jeweilige Verhalten zu ermitteln (vgl. Horley u.a. 1988; Diewald 1990). Wertorientierungen und Lebensziele, als den Verhaltensweisen und Handlungsmotiven übergeordnete Organisationsprinzipien, sollten bei einer Umfrage zu Lebensstilen in jedem Fall berücksichtigt werden.

In bezug auf die Frage nach dem Zusammenhang von Lebensstil und objek­tiven Lebensbedingungen sind folgende extreme Positionen in der Diskussion auszumachen: Auf der einen Seite werden Lebensstile als unabhängig von der sozialen Lage verstanden (Michailow 1988) und auf der anderen Seite gelten sie als Ausdruck der jeweiligen Klassenlage (Bourdieu 1982, Eder 1989). Hier wird in gemäßigterer Form die zweite Position vertreten. Da eine Stilisierung des Lebens ressourcenabhängig ist (finanzieller Art, Bildung, Beziehungen, Herkunft), ist von einer schichtspezifischen Prägung von Lebensstilen auszugehen. Gleichzeitig hat sich zum einen der Zusammen­hang zwischen Herkunft und Lebensverlauf tendenziell gelockert und zum anderen verbinden Lebensstile sozio-ökonomische, kulturelle, soziale und subjektive Aspekte des Lebens, so daß auch schichtübergreifende Zuordnun­gen auftreten können. Insgesamt dürften jedoch schichtspezifische Lebens­stile überwiegen.

In diesem Beitrag geht es jedoch nicht um einen Neuvorschlag zur Kon­zeption und Operationalisierung von Lebensstilen im Kontext der Wohl­fahrtsforschung. Im Mittelpunkt steht stattdessen die empirisch lösbare Frage, inwieweit einzelne Dimensionen von Lebensstilen im vorhandenen Datenmaterial - dem Wohlfahrtssurvey 1988 - für eine Lebensstilanalyse aussagekräftig sind.

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3 Elemente von Lebensstilen: Freizeitverhalten, Werte und Orientie­rungen

Im Wohlfahrtssurvey 1988 sind Variablenkomplexe enthalten, die für eine Operationalisierung von Lebensstilen eine Rolle spielen. Es handelt sich hierbei um

- Werthaltungen,- Wichtigkeitseinschätzungen einzelner Lebensbereiche und- Freizeitaktivitäten.

Werthaltungen (vgl. Abbildung 2) sind stabile Grundorientierungen, in denen gesellschaftliche Normen zum Ausdruck kommen. Sie bilden relativ abstrakte Leitlinien für individuelles Verhalten und in diesem Sinne verste­hen wir sie als eine Basis für Lebensstile. Sie beeinflussen das Wohlbefinden insofern, als daß sie Erwartungen und die Beurteilung von Lebensverhält­nissen prägen. So haben z.B. Personen mit postmateriellen Haltungen höhere Erwartungen an inhaltliche Arbeitsaspekte als "Materialisten" (vgl. Herbert 1991). Mangelt es an Abwechslung oder Gestaltungsmöglichkeiten der Tätigkeit, dürfte das Wohlbefinden in der "moderneren" Gruppe eher als in der "traditionelleren" unter solchen defizitären Bedingungen leiden.

Die Bedeutung einzelner Lebensbereiche (vgl. Abbildung. 3) steht insofern in Beziehung zu Lebensstilen als an ihnen - stärker als bei Werten - Schwer­punktsetzungen für die individuelle Lebensgestaltung abgelesen werden können. Familie, Arbeit und Freizeit haben beispielsweise nicht für alle Bevölkerungsgruppen den gleichen Stellenwert. Negative Folgen für das Wohlbefinden können entstehen, wenn Bereiche wichtig erachtet werden und hier gleichzeitig Defizite registriert werden; hohes Wohlbefinden dürfte bei einer hohen Wertschätzung und gleichzeitiger Zufriedenheit in einem Bereich auftreten.

Freizeitaktivitäten (vgl. Abbildung 4) zählen wir zu den unmittelbaren Elementen von Lebensstilen, da sie auf der konkreten Verhaltensebene lie­gen und hier gestiegene Handlungs- und Wahlmöglichkeiten am ehesten ihren Ausdruck finden. Die Lebensqualität der Menschen dürfte von den Gestaltungswünschen und deren Realisierungsmöglichkeiten abhängen. Ein­zelne Stile können so bedeutsam werden, daß vorgegebene Strukturen (etwa die Zeiteinteilung nach dem Normalarbeitstag) nicht länger akzeptiert werden und in neue Lebensstrategien münden (vgl. Hörning, Michailow 1990, die von "Zeitpionieren" sprechen).

Es ist nicht davon auszugehen, daß die drei Dimensionen, die auf der Verhaltens- Einstellungs- und Werteebene angesiedelt sind, in einem syste­matischen Zusammenhang stehen, so daß das vorrangige Ziel nicht darin

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besteht, daraus eine Lebensstiltypologie zu bilden. Die drei Dimensionen werden vielmehr in vier Analyseschritten getrennt voneinander untersucht:

In einem ersten Schritt wird die Verteilung der einzelnen Freizeitaktivitä­ten, Werthaltungen und Wichtigkeitseinschätzungen in der Bevölkerung vorgestellt. Darüberhinaus wird jede Fragenliste einer Faktorenanalyse unterzogen, um die Daten zu strukturieren und übergeordnete Dimensionen herauszufinden (Kapitel 3.1).

In einem zweiten Schritt soll überprüft werden, ob sich die Bevölkerung nach jeder der drei Dimensionen in abgrenzbare Gruppen bündeln läßt (Kapitel 3.2). Die vorstrukturierten Daten werden dazu einer Clusteranalyse unterzogen. Von unmittelbarem Interesse ist der Zusammenhang zwischen den so konstruierten Gruppen und der sozialstrukturellen Lage.

Wenn auch keine zusammenfassende Typologie gebildet wird, so soll doch in einem dritten Schritt typischen Kombinationen zwischen den Gruppen aus den drei Dimensionen nachgegangen werden (Kapitel 3.3). Da konkretes Verhalten im Zentrum von Lebensstilkonzepten steht, wird das Freizeitver­halten als Ausgangspunkt genommen, um zu sehen, inwiefern einzelne Frei­zeittypen bestimmten Einstellungs- oder Wertetypen zugeordnet werden können.

In einem abschließendem Arbeitsschritt (Kapitel 4) soll ermittelt werden, ob sich die Gruppen in ihrem Wohlbefinden unterscheiden. Ansatzweise wird überprüft, ob ein von der sozialstrukturellen Lage unabhängiger Einfluß von Verhalten, Werten und Prioritäten auf das Wohlbefinden erkennbar ist.

3.1 Verteilung und Struktur von Werten, Orientierungen und Freizeitver­halten in Westdeutschland

Wertorientierungen

Um Wertorientierungen zu erfassen, werden verschiedene Operationalisie­rungen vorgeschlagen, z.B. wird nach individuellen Wertorientierungen oder gesellschaftlichen Normen gefragt, nach allgemein wünschenswerten oder persönlich praktizierten Werthaitungen, nach allgemein-lebensweltlich über­greifenden Werten oder speziellen Bereichsorientierungen bzw. nach hier­archisch oder äquivalent strukturierten Wertebereichen (Maag: 1989). Werte reflektieren allgemein sowohl individuelle Dispositionen wie auch intemali- sierte soziale Normen. Es kommen damit neben der persönlichen Präferenz von Wertorientierungen gesellschaftlich gewünschte Normen zum Tragen. In der Frageformulierung des Wohlfahrts surveys wird der letztgenannte Bezug

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hervorgehoben: "Jeder hat ja Vorstellungen darüber, welche Verhaltenswei­sen in unserer Gesellschaft wünschenswert sind und welche nicht. ... Bitte sagen Sie mir zu jedem, für wie wünschenswert Sie es halten, daß sich die Menschen in unserer Gesellschaft im allgemeinen danach richten." Es stand eine 10-stufige Skala zur Verfügung, wobei der Skalenwert 0 unwichtig und der Wert 10 sehr wichtig bedeutet.

Abb. 2: Verteilung und Dimensionen von Werten in Westdeutschland

Die Rangfolge der Wertorientierungen ergibt, daß eher als traditionell zu bezeichnende Werte führen: pflichtbewußt sein und pünktlich sein (vgl. die ausgewiesenen Mittelwerte). Es folgen Orientierungen, die sowohl dem tradi­tionellen wie auch dem modernen Spektrum zugeordnet werden können. Postmaterialistische Haltungen bilden das untere Mittelfeld. Am Ende der Hierarchie stehen die Werte "auf Wohlstand bedacht sein" und die stark hedonistische Orientierung "tun und lassen, was man will". Diese Ausprä­gungen deuten darauf hin, daß die sogenannten materialistischen Orientie­

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rungen insgesamt zwar höher im Kurs stehen als die moderneren, gleichzei­tig aber auch eine Durchmischung stattfindet.

Eine Faktorenanalyse über die 12 Einzelorientierungen zeigt, daß sich zwei Dimensionen herausbilden4- Diese deutlich zu unterscheidenden Dimensionen lassen sich mit den bekannten Etiketten "materielle” und "postmaterielle" Orientierungen bezeichnen. Lediglich die Variable "auf Wohlstand Wert legen" lädt auf beiden Faktoren. Dies deutet daraufhin, daß hedonistische Orientierungen oder Selbstentfaltungswerte einer ausrei­chenden materiellen Sicherheit bedürfen.

Wichtigkeit von Lebensbereichen

Die Menschen bewegen sich in verschiedenen Lebensbereichen und räumen unterschiedlichen Themengebieten Priorität ein. Für die Lebensstildiskus­sion ist diese Dimension relevant, weil hier unterschiedliche Lebenspläne ihren Ausdruck finden, z.B. welche Bevölkerungsgruppen eher freizeitorien­tiert, erfolgsorientiert, politisch interessiert oder gläubig sind. Wichtigkeits­einschätzungen werden stärker als Werthaltungen als Richtschnur für Verhalten interpretiert. Im Wohlfahrts survey wird danach gefragt, welche Bedeutung einzelnen Bereichen für das persönliche Wohlbefinden zukommt.

In der Rangfolge der Wichtigkeitseinschätzungen liegen die immateriellen Bereiche Gesundheit, Familie und Liebe/Zuneigung vorne, was auf eine ins­gesamt starke private, emotionale Orientierung hindeutet. Auch der öffent­liche Problembereich Umweltschutz wird als sehr wichtig erachtet. Im Mittelfeld liegen die mit der Existenzsicherung verbundenen Bereiche Arbeit und Einkommen, aber auch der Freizeitbereich. Vergleichsweise bedeutungs­los sind Erfolg, Glaube und politischer Einfluß.

4 Es wurde sowohl bei den Freizeitaktivitäten als auch bei den folgenden Wertorientie­rungen und Prioritäten Hauptkomponentenanalysen mit anschließender Varimax- Rotation gerechnet. Als Extraktionskriterium für die Anzahl der Faktoren galt ein Eigenwert größer eins. Bei den Freizeitaktivitäten ergeben sich 50% erklärter Varianz, bei den Wichtigkeitseinschätzungen 49% und bei den Werten 52%.

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Abb. 3: Wichtigkeit von Lebensbereichen: Verteilung und Struktur

Einer Faktorenanalyse entsprechend zeigen die Prioritäten von Lebensberei­chen eine weniger klare Struktur als die Wertorientierungen: die Variablen Arbeit, Freizeit, Einkommen und Umwelt sind bei relativ schwachen Ladun­gen jeweils zwei der insgesamt drei Dimensionen zuzuordnen. Die auf dem ersten Faktor hoch und eindeutig ladenden Bereiche Erfolg und politscher Einfluß bringen vor allem persönliches Engagement und den Wunsch nach Mitgestaltung zum Ausdruck. Der zweite Faktor bündelt die private, emotio­nale Orientierung und der dritte Faktor bezieht sich auf das körperliche und seelische Wohlbefinden sowie eine religiöse Ausrichtung.

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Freizeitaktivitäten

Die Freizeitgestaltung ist aus verschiedenen Gründen ein zentrales Thema in der Lebensstildiskussion. Zum einen ist die freie Zeit zunehmend gestie­gen und gewinnt auch subjektiv an Bedeutung (vgl. Noll, Habich 1989: 425). Zum anderen handelt es sich um manifeste Verhaltensweisen, aus denen eine soziale Differenzierung deutlicher als an Orientierungen, Absichten und Einstellungen erkennbar ist. Des weiteren scheint diese Sphäre stark von freiwilligen und persönlichen Entscheidungen abhängig zu sein. Gleichzeitig kommt in Freizeitinteressen die Stellung in der sozialen Hierarchie (nach Beruf, Bildung und Einkommen) zum Ausdruck, da die Teilnahme an ver­schiedenen Aktivitäten unterschiedliche Fähigkeiten und finanzielle Mittel voraussetzen, was z.B. an der sozialen Lage des Publikums verschiedener kultureller Veranstaltungen ablesbar ist (Berg/ Kiefer 1987; Bourdieu 1982). Darüberhinaus muß berücksichtigt werden, daß die Freizeit stark von den familiären und häuslichen Verpflichtungen und damit von der Stellung im Familien- und Lebenslauf abhängig ist.

Im Wohlfahrtssurvey wird die Häufigkeit von Freizeitaktivitäten sehr allgemein erhoben, ohne detaillierter auf spezifische Inhalte einzugehen (beispielsweise Sport - aber nicht die Sportart). Die Rangfolge der ausgeübten Tätigkeiten zeigt, daß häusliche und familiäre Aktivitäten in der alten Bun­desrepublik am häufigsten ausgeübt werden. Nur eine Minderheit geht häufig in das Theater bzw. Konzert oder bildet sich privat weiter. Das Inter­esse, aktiv Sport zu treiben oder Sportveranstaltungen zu besuchen, ist schwach ausgeprägt und bleibt noch hinter Spazierengehen, Bücher lesen oder heimwerken zurück.

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Abb. 4: Häufigkeit und Dimensionen von Freizeitaktivitäten

80

Theater/KonzertBücherlesenEssengehenWeiter­bildungSpazieren­gehenFreude/VerwandteSportveran­staltungenSporttreibenHobbiesBasteln

Familie

Kinder

Übe oft aus (in %) 20 40 60I----------1------

? 12 i

I 18 I«21 i

«63«

144«:

Fernsehen f . 63 ’Faulenzen jhd hss

FaktorladungenDirnen sion 4

Dirnen- Dirnen- Dimen­sion 3sion 1 sion 2

.72 .08 -.05 -.16

.71 -.07 .07 .03

.53 .27 -.01 .10

.51 .34 -01 -.35

.39 .02 .32 .29

.35 .26 .15 .30

.06

-.09

.24

.01

-.05

-.05

-.02

-.06

-.05 .84

.19 .78

.15 .42

.02 .04

.02 .08

-.18 -.10

.14 .02

.83

.83

.09

-.30

.74

.63

T

Die Dimensionalitätenprüfung ergibt vier Faktoren. Der erste Faktor korre­liert hoch mit Aktivitäten, die relativ viel Engagement benötigen, ver­gleichsweise kostspielig erscheinen und der klassischen Kulturtradition zuzuordnen sind. Der zweite Faktor ist vom Sport gekennzeichnet, der dritte von familiären Aktivitäten und der vierte vom eher passiven Zuhausesein. In diesem Komplex existieren Variablen, die mehreren Dimensionen angehören: Weiterbildung lädt auch auf dem "Sport-Faktor" relativ hoch und gleichzeitig auch, jedoch negativ, beim Faktor "Nichtstun" und deutet damit auf ein erhebliches Aktivitätspotential der sich Fortbildenden hin. Die Variablen "Spazierengehen", "Freunde, Verwandte besuchen" und "Basteln, Heimwer­ken" sind keiner Dimension eindeutig zuzuordnen.

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Zusammenfassend zeigen sich damit über die drei Variablenkomplexe Wertorientierungen, Prioritäten und Freizeitaktivitäten die folgenden Dimensionen:

Abb. 5: Dimensionen von Freizeitverhalten,Werten und Prioritäten

................-------- --------------------- -------

Freizeitverhalteni Klassische Kulturtradition

: Sport

; Familiäre Aktivitäten

s Passives Zuhausesein

WerteMaterielle

Postmaterielle

OrientierungenEngagement, Mitgestaltung

Wohlbefinden, Glaube

Privates, Emotionales

....... ......... ... ....... . J

Die drei Variablenkomplexe werden im folgenden auf ihre Bedeutung für eine spätere Operationalisierung von Lebensstilen hin überprüft:

- Können homogene Gruppen gefunden werden und wie eng sind sie mit demographischen und materiellen Lagen verknüpft?

- Sind bei Einstellungen, bei Werten und beim Freizeitverhalten Zusam­menhänge zum sozialstrukturellen Hintergrund erkennbar?

- Zeigen sich Zusammenhänge der konstruierten Gruppen untereinander, oder sind die Elemente von Lebensstilen völlig unabhängig voneinander?

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3.2 Typologisierung der westdeutschen Bevölkerung nach Elementen von Lebensstilen

Passive, Sportliche, kulturell Interessierte und Vielseitige. Typenbildung anhand von Freizeitaktivitäten

Der zweite Arbeitsschritt besteht darin, typische Gruppen anhand von Frei­zeitverhalten, von Prioritäten und von Wertorientierungen zu identifizieren. Dazu werden die durch die vorangegangenen Faktorenanalysen vorstruktu­rierten Daten Clusteranalysen5 unterzogen. In diesem Kapitel beschreibe ich zunächst eine Typenbildung anhand des Freizeitverhaltens in drei Schritten. Erstens werden die gebildeten Typen mit Hilfe der in die Gruppenbildung (Clusteranalysen) eingegangenen Variablen charakterisiert. Zweitens werden die Wahrnehmung des Umfangs an freier Zeit, die Zufriedenheit mit der Freizeit und die bevorzugten Freizeitaktivitäten beschrieben. Die letztge­nannte Frage dient auch als Hinweis auf die Plausibilität der Gruppenbil­dungen: die Charakterisierung und Bezeichnung der Typen sollte sich mit den Angaben zur "liebsten" Beschäftigung weitgehend decken, um als sinn­voll zu gelten. Drittens werden die Gruppen hinsichtlich sozialstatistischer Angaben beschrieben, die die Gruppen untereinander bessser vergleichbar machen.

Nach Betrachtung der statistischen Berechnungen und inhaltlicher Über­legungen erschien die Bündelung in vier Freizeittypen am sinnvollsten.

5 Es wurde mithilfe des SPSS-Programmpaketes anhand einer Zufallsauswahl (14% der Befragten) zunächst die Prozedur Cluster gerechnet. Dieses Verfahren ermöglicht die statistische Berechnung der Distanz-Koeffizienten, die als Anhaltspunkt für die Be­stimmung der Anzahl der Cluster herangezogen wurden. Anschließend wurde mit dem Verfahren Quick Cluster, in das alle Fälle einbezogen werden konnten, weitergerechnet.

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Abb. 6: Typen nach Freizeitverhalten

Freizeitaktivitäten nach FreizeittypenMittelwerte

nie oft

Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1988

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Tab. 1: Sozialstrukturelle Merkmale der Freizeittypen

Sozialstrukturelle Merkmale Freizeittypen

Passive Sport/Familie

Vielseitige Kultur/Familie

Durchschnittsalter 47 43 44 49

Frauenanteil (in %) 49 42 56 62

Familienstand (in %) ledig 37 15 43 9verheiratet 40 79 37 75verwitwet 20 4 15 13geschieden 3 2 5 3

Haushaltsgröße (in %) Alleinlebend 33 4 26 10Zwei Personen 32 23 33 31Drei Personen 11 32 17 26Vier (u.mehr) 24 41 24 34

Schulabschluß (%) keinen/Hauptschule 65 63 47 50Mittlere Reife 22 27 34 33(Fach-)Hochschulreife

11 9 17 17

Berufliche.Bildung Keinen Abschluß 40 22 32 22(%)

Lehre 43 56 46 45Fachschule/Meister 9 13 11 15Hochschule 9 9 11 9

Haushaltsnettoein- 1246 1071 1440 1177kommcn/Kopf ( DM)

Arbeitszeit (%) Vollzeit 46 52 38 37Teilzeit 4 10 5 13Nicht erwerbstätig 48 35 53 47

Nich (erwerbstätige Rentner 46 28 43 35(%)

Hausfrauen 37 58 23 57Ausbildung 11 7 7 5Arbeitslos 5 7 7 2

Subjektive Arbeiterschicht 37 28 21 21Schichteinstufung (%) Mittelschicht 45 58 56 55

Ober-/Obere M ittel­schicht

9 10 13 18

D atenbasis: W ohlfahrtssurvey 1988

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Gruppe 1 (n = 224): Diese Gruppe fällt durch geringe Aktivität auf. Diese Personen leben offensichtlich nicht mit Kindern zusammen, lediglich "Sport" und "Faulenzen" reicht an die durchschnittlichen Häufigkeitsangaben heran, und "Fernsehen" liegt in der Rangfolge der Tätigkeiten an erster Stelle. Aufgrund der insgesamt geringen Aktivität nenne ich diese Gruppe die "Passiven".

In der Gruppe der Passiven ist besonders auffällig, daß sie zu zwanzig Pro­zent als Freizeitbeschäftigung "Fernsehen, Radio hören" präferieren (zum Vergleich:7% aller Befragten); familienbezogene Aktivitäten werden nur selten genannt. Außerdem wird das vorgegebene Spektrum den Aktivitäten dieser Gruppe am wenigsten gerecht, 11% geben an, keine dieser Tätigkeiten zu bevorzugen (6% im Durchschnitt). Überproportional viele Befragte der Passiven (14% zu 7% aller Befragten) verfügen ihrer Meinung nach über "sehr wenig Freizeit". Das dürfte ein Grund dafür sein, daß sie mit ihrer Freizeit relativ unzufrieden sind: auf der Zufriedenheitsskala von 0 bis 10 erreichen sie einen Wert von 7,1 (im Vergleich zum Durchschnitt von 7,8).

Die Passiven weisen ein recht hohes Durchschnittsalter auf, wobei die mittlere Gruppe (31 bis 60 Jahre) unterrepräsentiert ist. Entsprechend sind hier Rentner und Personen, die sich noch in der Ausbildung befinden, über­durchschnittlich häufig anzutreffen. Der Anteil lediger und vor allem verwitweter Personen liegt damit einhergehend ebenfalls sehr hoch. Vier von fünf leben ohne Kinder im Haushalt und jeder dritte lebt allein. Niedrige Bildungsabschlüsse sind überrepräsentiert, zwei Drittel dieser Gruppe hat keinen oder den Hauptschulabschluß. Auch berufliche Bildungsabschlüsse liegen relativ selten vor. Etwa jeweils die Hälfte der Passiven ist vollzeiter­werbstätig oder arbeitet nicht (mehr). Diese Gruppe ordnet sich selbst über- propotional häufig der Arbeiterschicht zu. Die Passiven verfügen damit über geringe Bildungsressourcen, dies schlägt sich jedoch nicht in einem unter­durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen nieder.

Gruppe 2 (n = 564): Dieser Typ ist anders als der erste relativ stark auf fami­liäre Tätigkeiten hin orientiert, "Faulenzen" kommt selten vor. Außerdem zeichnet sich diese Gruppe durch sportliche Aktivität aus. Sie sollen "Sport- und Familienorientierte" heißen.

Die Bezeichnung Sport- und Familienorientierte wird durch die Angaben zur bevorzugten Beschäftigung bestätigt. Doppelt so viele Befragte dieser Gruppe wie im Durchschnitt geben "Sporttreiben" als liebste Tätigkeit an (20% im Vergleich zu 10%). Auch "Sportveranstaltungen besuchen" und familiäre Aktivitäten werden vergleichsweise häufig angeführt. Diese

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Gruppe klagt nicht so deutlich wie die erstgenannte über Freizeitmangel. Mit einem Wert von 7,9 auf der Zufriedenheitsskala bewerten sie ihre Freizeit sehr positiv.

Die Sport- und Familienorientierten bilden die jüngste Gruppe, lediglich 13 Prozent sind älter als 60 Jahre. Sie sind zum weitaus überwiegenden Teil verheiratet, die Hälfte lebt in einem Haushalt mit Kindern und kaum jemand allein. Sie stellen den geringsten Frauenanteil. Trotz des relativ geringen Durchschnittsalters überwiegen niedrige Bildungsabschlüsse, zwei Drittel haben keinen oder den Hauptschulabschluß. Gleichzeitig verfügen vergleichsweise viele Befragte über eine berufliche Ausbildung. Ein beträcht­licher Anteil arbeitet Vollzeit und bei den Nichterwerbstätigen ist der Haus­frauenanteil besonders hoch. Die Gruppe ordnet sich eher der Mittel- als der Arbeiterschicht zu. Wird das relativ hohe Einkommen auf die Personenzahl des Haushalts umgerechnet, liegt es mit 1071 DM weit unter dem Durch­schnitt. Die Einstufung in die Mittelschicht scheint weniger auf Bildungsab­schlüsse und Einkommen als auf qualifizierte berufliche Tätigkeiten zurück­zugehen. Überspitzt formuliert zeigen demnach vor allem in Familien einge­bundene Facharbeiter Interesse an sportlicher Betätigung.

Gruppe 3 (n = 492): Hier sind Befragte versammelt, die offensichtlich selten in Familien mit Kindern leben. Sie scheinen insgesamt viele Dinge häufig zu tun, wobei die eher passiven Beschäftigungen "faulenzen" sowie "femsehen, Radio hören" ebenso Zustimmung finden wie solche, die außerhäusliches Engagement erfordern (Theatervorführungen besuchen, Essen gehen, sich mit Freunden treffen). Sie sind die "Vielseitigen".

Die Vielseitigen sind mit ihrer Freizeit ebenso zufrieden wie die Sport- und Familienorientierten. Während im Durchschnitt etwa jeder dritte meint, zu wenig Freizeit zu haben, ist es in dieser Gruppe lediglich jeder fünfte Befragte. Ein Grund für diese positive Einschätzung wird in dem durch­schnittlich geringeren Umfang an familiären Verpflichtungen liegen. Ein Drittel der Vielseitigen trifft sich am liebsten mit Freunden, was neben den inhaltlichen Interessen auf eine gesellige Orientierung schließen läßt.

Unter den Vielseitigen finden sich häufiger als im Durchschnitt Frauen. Lediglich etwa jeder Dritte in dieser Gruppe ist verheiratet, so daß ledige, verwitwete und auch geschiedene Personen hier überrepräsentiert sind. Jeder vierte lebt allein und Kinder sind nur in jedem fünften Haushalt anzu­treffen. Die Bildungsabschlüsse liegen deutlich über den beiden vorher beschriebenen Typen. Von den Vielseitigen ist lediglich jeder fünfte vollzeit­beschäftigt und über die Hälfte überhaupt nicht erwerbstätig. Trotz des hohen Frauenanteils ist unter den letztgenannten nur ein relativ geringer Teil Hausfrauen zu finden. Rentner und Arbeitslose sind hingegen überre­präsentiert. Das Nettohaushaltseinkommen pro Kopf liegt mit 1440 DM sehr

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hoch. Lediglich jeder fünfte fühlt sich der Arbeiterschicht zugehörig, die Mittelschicht wird als passender empfunden. Kennzeichen dieser Gruppe sind hohe Bildungsabschlüsse und Einkommen sowie der geringe Anteil von Familienhaushalten.

Gruppe 4 (n = 717): In dieser größten Gruppe liegen familiäre Aktivitäten in der Rangfolge vorn. Interesse an kulturellen Veranstaltungen und Weiterbil­dung ist zu erkennen, während Sport und Faulenzen relativ unbedeutend sind. Sie werden "Kultur- und Familienorientierte" genannt.

Auch die Benennung des vierten Typs "Kultur- und Familienorientierte" wird durch die "liebste" Beschäftigung bestätigt, da in den Punkten "Theater, Konzerte besuchen" oder "sich mit der Familie beschäftigen" überdurch­schnittliches Interesse bekundet wird. Diese Gruppe verfugt eher über wenig Freizeit, ist mit einem Wert von 7,8 aber fast ebenso zufrieden wie die beiden zuvor beschriebenen Gruppen.

Die Kultur- und Freizeitorientierten weisen mit knapp zwei Drittel den höchsten Frauenanteil auf. Nur jeder zehnte dieser Befragten ist ledig, wäh­rend drei Viertel verheiratet sind. Entsprechend lebt nur jeder zehnte allein und viele mit Kindern. Der Anteil der Teilzeitbeschäftigten und der Haus­frauen ist damit relativ hoch. Der Anteil Arbeitsloser ist in dieser Gruppe mit 2% sehr gering. Während im Bevölkerungsdurchschnitt mit steigendem Alter die Höhe der Schulabschlüsse sinkt, liegen in dieser Gruppe sowohl das Alter wie auch die Bildungsgrade über dem Durchschnitt. Den Bildungstiteln und relativ hohen Einkommen entsprechend fühlt sich jeder achte der Kultur- und Familienorientierten der "oberen Mittelschicht" zugehörig. An dieser Stelle schimmert der Zusammenhang von Bildung, verfügbarem Einkommen und Teilnahme am offiziellen kulturellen Leben durch.

Zusammenfassend wird die Typenbildung durch die Angaben zur bevor­zugten Freizeittätigkeit und die sozio-strukturellen Hintergrundvariablen gestützt. Darüberhinaus finden sich auch in anderen Freizeit- und Lebens­stiltypologien die hier vorgestellten Gruppen wieder. Bei McCann-Erick- son/Marplan (1984; zitiert nach Tokarski 1989:139) gibt es unter neun Typen "Den passiven Freizeitkonsumenten", "Den Vielseitigen" oder "Den Familien­gestalter". Eine stärkere Differenzierung ist wegen der eingeschränkten Variablenzahl im Wohlfahrtssurvey nicht möglich. Es zeigt sich jedoch, daß bereits mit den eingeschränkten Möglichkeiten plausible Resultate erzielt werden können.

Der Familien- und Haushaltskontext weist eine sehr klare Beziehung zur Freizeitgestaltung auf. Gleichzeitig sind schichtspezifische Verhaltensweisen und Ressourcen deutlich erkennbar. Interesse an den klassischen Kulturfor­men (Theater, Konzerte) signalisieren eher mittlere und höhere Schichten und eher passive, häusliche Zeitverwendungen eher die Arbeiterschicht. Die

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Differenzierung betrifft in umgekehrter Weise auch die sportlichen Aktivitäten. Diese Ergebnisse bestätigen andere Untersuchungen zur schichtspezifischen Prägung der Freizeitgestaltung (vgl. Berg/Kiefer 1987; Bourdieu 1982; Noll/Habich 1990; Maase 1984). Gleichzeitig sind Schicht­oder altersübergreifend Gruppierungen vorhanden. So faßt die Gruppe der Passiven, die vor allem fernsehen und faulenzen, junge und ältere Befragte zusammen. Ebenso gibt es in der insgesamt einkommensstarken Gruppe der Kulturorientierten auch Personen mit geringem Einkommen. Insgesamt ist die teilweise vertretene These einer Abkoppelung von Lebensstilen und sozialer Lage nach diesen Ergebnissen jedoch nicht zutreffend.

Emotionales oder körperliches Wohlbefinden, Glaube oder praktisches Handeln. Typenbildung anhand von Orientierungen

Analog zu den vorherigen Ausführungen zu den Freizeittypen wurde eine Typenbildung anhand der Wichtigkeitseinschätzungen von Lebensbereichen vorgenommen. Bei den Wichtigkeitseinschätzungen von Themenbereichen wird die Bevölkerung weniger in gleichgewichtige Typen geteilt als in einen Durchschnittstyp und drei abweichende Gruppen. Im folgenden werden die Ergebnisse in etwas kürzerer Form vorgestellt.Die drei relativ kleinen Grup­pen werden im folgenden kurz charakterisiert.

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Abb. 7: Typen nach Prioritäten von Lebensbereichen

Typen nach Prioritäten von Lebensbereichenunwichtig sehr wichtig

__________ KörperlichesWohlbefinden

Emotional und religiös

Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1988

Praktisches Han­delnBevölkerungs­mehrheit

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Tab. 2: Sozialstrukturelle Merkmale der Orientierungstypen

SozialstrukturelleMerkmale

Typen nach Wichtigkeit von Lebensbereichen

Bevölkerungs

mehrheit

Körperliches

Wohlbefinden

Praktisches

Handeln

Emotional,

religiösDuchschnittsalter 44 54 41 59

Frauenanteil in % 51 59 40 77

Familienstand (in%) ledig 21 33 41 6verheiratet 70 37 44 61verwitwet 7 25 12 31geschieden 3 6 3 1

Haushaltsgröße (in %) Alleinlebend 10 38 25 24Zwei-Personen-HH 30 23 25 363 und mehr Personen 60 39 50 39

Schulabschluß (in %) keinen/Hauptschule 54 61 46 70mittlere Reife 27 24 29 20(Fach-) Hochschulreife 19 15 25 10

Berufliche Bildung (%)

keinen Abschluß 23 35 27 39

Lehre 51 49 47 43Fachschule/Meister 12 10 14 7Hochschule 14 6 14 11

Haushaltsnettoein- kommen/Kopf (DM)

1181 1391 1291 1198

Arbeitszeit (%) Vollzeit 53 34 53 22Teilzeit 44 64 41 77Nichterwerbstätig 3 3 6 1

Nichterwerbstätige Rentner 33 55 32 44(%)

Hausfrauen 48 29 37 52Ausbildung 12 12 19 3Arbeitslos 5 4 10 1

Subjektive Arbeiterschicht 23 36 21 34Schichteinstufung (%) Mittelschicht 57 47 60 46

Ober-/ObereMittelschicht

15 11 10 8

D atenbasis: W ohlfahrtssurvey 1988

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Die Bevölkerungsm ehrheit zeichnet sich, wie oben ausgeführt, durch eine starke Orientierung auf die persönlichen, immateriellen Bedürfnisse aus. Umweltschutz rangiert ebenfalls weit oben und Freizeit und Arbeit sind etwa gleich wichtig. Außerdem äußert die Bevölkerungsmehrheit die höchsten Erwartungen (bis auf Glaube) an die einzelnen Bereiche. Von diesem Muster weichen die drei kleinen Gruppen ab.

Typ eins (n = 165) erachtet viele Lebensbereiche für vergleichsweise unwich­tig, die von den übrigen Befragten als bedeutsam eingestuft werden: Arbeit, Familie und Liebe. Überdurchschnittlich wichtig sind hingegen Umwelt­schutz, Freizeit und Gesundheit. Eine soziale Einbindung ebenso wie prakti­sche Gestaltungsleisungen finden damit wenig Interesse. "Körperliches W ohlbefinden” hat damit in dieser Gruppe einen überdurchschnittlich hohen Stellenwert.

Dieser Typ weist ein hohes Durchschnittsalter und einen hohen Frauenan­teil auf. Ein Viertel dieser Gruppe ist verwitwet. Von den Erwerbstätigen arbeiten zwei Drittel als Teilzeitkräfte. Ein überdurchschnittlicher Anteil ordnet sich der Arbeiterschicht zu.

Für Typ zwei (n = 221) sind viele Lebensbereiche gleich wichtig. Bei der Rangfolge der Lebensbereiche liegen Umweltschutz und Arbeit vorn, wäh­rend im Bevölkerungsdurchschnitt Gesundheit und Familie auf den ersten Plätzen rangieren. Diese privaten Bereiche ebenso wie Glaube werden für das persönliche Wohlbefinden als weniger wichtig eingeordnet. Politische Einflußmöglichkeiten sind ebenfalls vergleichsweise bedeutsam. In dieser Gruppe steht die Orientierung am "praktischen Handeln" im Vordergrund.

Bei Typ zwei ist das geringe Durchschnittsalter und der geringe Frauen­anteil auffällig. Der Anteil Lediger liegt hier besonders hoch. Die Bildungs­abschlüsse liegen deutlich höher als bei den anderen Typen. Auszubildende und Arbeitslose sind ebenfalls überrepräsentiert. Wenige fühlen sich der Arbeiterschicht und ein Großteil der Mittelschicht zugehörig.

Typ drei (n = 202) differenziert sehr stark zwichen den einzelnen Bereichen. Familie, Liebe und Gesundheit als private immaterielle Bereiche sind wich­tig, während die Bereiche, die soziale Anerkennung verspechen, unbedeutend sind (Arbeit, Einkommen, politischer Einfluß, Erfolg und auch Freizeit). Von dieser Gruppe wird dem "Glauben" ein hoher Stellenwert zugemessen. Dieser Typ kann durch eine "emotionale, religiöse Orientierung" charakterisiert werden.

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Diese Gruppe ist im Durchschnitt am ältesten (59 Jahre), drei Viertel dieser Gruppe sind Frauen. Fast die Hälfte der Befragten sind verwitwet. Mit dem hohen Alter einhergehend ist das Bildungsniveau sehr niedrig. Vier von fünf Erwerbstätigen arbeiten Teilzeit und die nicht (mehr) im Arbeits­leben stehenden Befragten sind überdurchschnittlich häufig Hausfrauen. Die geringere Anbindung an das Berufsleben spiegelt sich in der hohen Rate von Personen, die eine Schichteinstufung ablehnen, im übrigen werden eher rangniedrigere Schichten angegeben.

Für den Mehrheitstyp (n = 1409) bleibt zu erwähnen, daß er mit durch­schnittlich 44 Jahren vergleichsweise jung ist. Zwei Drittel der etwa zu glei­chen Teilen vertretenen Männer und Frauen sind verheiratet. Der Anteil Alleinlebender ist sehr gering, während die Quote von Haushalten mit Kindern sehr hoch ist. Entsprechend sind hier Hausfrauen häufiger anzutref­fen. Hervorzuheben ist, daß sich im allgemeinen jeder achte in der Bevölke­rung der "oberen Mittelschicht" und relativ wenige der "Arbeiterschicht" zugehörig fühlen.

Zusammenfassend ist die Typenbildung nach Wichtigkeitseinschätzungen von Lebensbereichen schwieriger als bei den oben vorgestellten Freizeitakti­vitäten. Das Antwortverhalten differiert weniger und die Stärke der Bedeu­tungszumessungen scheint die Gruppen mindestens ebenso stark zu unter­scheiden wie Muster im Antwortverhalten. Für die Gruppenbildung spricht, daß eine dominierende Gruppe mit 1400 und drei kleinere mit etwa 200 Befragten hervortreten; es gibt offensichtlich so etwas wie eine herrschende Meinung, d.h. eine weitgehende Übereinstimmung in den Wichtigkeitsein­schätzungen, von denen einige kleinere Bevölkerungsgruppen abweichen. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, daß Einstellungen für eine Operationa­lisierung von Lebensstilen brauchbar sind. Dabei könnten stärker differen­zierende Variablen hinzugezogen werden, um eine klarere Gruppenbildung zu erreichen und die große Gruppe der Bevölkerungs-mehrheit zu splitten - sofern sie sich unterteilen läßt.

Traditionalisten, Hedonisten und Mischungen. Typenbildung anhand von Werthaltungen

Die Typenbildung nach Werthaltungen wird noch knapper beschrieben als die vorherige Gruppenbildung, da sie plastischer zu vermitteln ist und sich mit bekannten Ergebnissen zu Wertorientierungen in der Bevölkerung deckt. Demnach läßt sich die Bevölkerung in einen jeweils vergleichsweise geringen Anteil “tra d itio n e lle r“ bzw. “m oderner“ Typen und wiederum in einen durchschnittlichen "Mischtyp"gliedern (Maag 1989). Die folgende Abbildung illustriert die Ergebnisse.

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Abb. 8: Typen nach Werthaltungen

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Tab. 3: Sozialstrukturelle Merkmale der Wertetypen

SozialstrukturelleMerkmale

Typen nach W ertorientierungen

materiell postmateriell Mischtyp

Duchschnittsalter 50 34 47

Frauenanteil (in %) 64 43 53

Familienstand (in%) ledig 15 47 19verheiratet 68 46 66verwitwet 14 5 12geschieden 2 2 3

Haushaltsgröße (in%) Alleinlebend 16 16 15Zwei-Personen 27 21 313 und mehr Personen 57 63 54

Schulabschluß (in %) bis Volksschule 60 30 59mittlere Reife 25 30 26FHS/Abitur 16 40 15

Berufliche Bildung (%) keinen Abschluß 30 30 25Lehre 37 38 52Fachschule/Meister 10 13 12Hochschule/FHS 13 19 12

Haushaltsnettoeinkom­men pro Kopf

1089 1310 1211

Arbeitszeit (in %) Vollzeit 39 51 49Teilzeit 59 45 48Nichterwerbststätig 2 4 3

Nichterwerbstätige (in %) Rentner 34 14 41Hausfrauen 56 33 46Ausbildung 7 45 6Arbeitslos 2 6 5

Subjektive Arbeiterschicht 29 19 25Schichteinstufung (in %) Mittelschicht 54 47 57

Ober-/ Obere Mittel­schicht

12 20 12

D atenbasis: W ohlfahrtssurvey 1988

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- Typ eins (n = 215) weist ein dem Bevölkerungsdurehschnitt vergleichba­res Wertemuster auf, allerdings hat keine Dimension einen sehr hohen Stellenwert. Die Unterscheidung liegt darüberhinaus in der stärkeren Ab­lehnung "postmaterieller" und der Befürwortung traditioneller Werte. Hier finden sich eher ältere Befragte mit geringeren Bildungsabschlüssen, die sich häufiger der Arbeiterschicht zugehörig fühlen.

- Typ zwei (n = 267) bündelt die sogenannten "Postmaterialisten", die im Vergleich sehr jung und gut gebildet sind. Die oberen Einkommen sind ebenso überrepräsentiert wie Befragte, die sich noch in der Ausbildung befinden. Die Träger moderner Werthaltungen sind damit jüngere Altersklassen und besser gebildete Bevölkerungsschichten.

- Typ drei versammelt die meisten Befragten (n = 1514), die "Mischtypen", die traditionelle Werte für wichtig erachten, sogar für wichtiger als die Materialisten, moderne Werte aber auch nicht ablehnen.

Zusammenfassung

Anhand von Freizeitaktivitäten, Orientierungen und Werten läßt sich die Bevölkerung in unterschiedliche Gruppen zusammenfassen. Während beim Freizeitverhalten keine dominanten, sondern vier etwa gleichgewichtige Gruppen vorfindbar sind, kann man bei Orientierungen und Werten eher von einer Unterteilung in eine Bevölkerungsmehrheit und abweichende Sub­gruppen sprechen. Freizeitverhalten bietet sich für eine Lebensstilanalyse auf der Basis dieser Variablen eher an als Einstellungen und Werte. Gleich­zeitig sind bereits anhand der groben Variablen auf der Einstellungs- und Werteebene Gruppen mit spezifischen Orientierungen identifizierbar, so daß diese Dimensionen eher verfeinert als vernachlässigt werden sollten. Auch aus theoretischen Überlegungen sollte nicht auf Dimensionen verzichtet werden, die Aufschluß über Richtlinien für individuelles Handeln geben.

In allen drei Dimensionen unterscheiden sich die jeweiligen Gruppen klar nach ihren sozialen Lagen. Bildung, Einkommen, Beruf ebenso wie Alter, Geschlecht und Haushaltsform stehen in Zusammenhang mit Verhalten, Einstellungen und Werten. Einschränkend muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß die Variablen direkten Bezug auf den sozio-strukturellen Hin­tergrund nehmen, von daher die typenbildenden Variablen nicht immer ein­deutig von der sozialstrukturellen Lage zu trennen sind. Trotz dieser Beden­ken kann als Ergebnis festgehalten werden, daß die These einer Abkopplung von Lebensstilen und sozialer Lage, die zum Teil von Hradil (1987), Richter (1989) oder Homing, Michailow (1990) vertreten wird, nicht zutreffend ist. Auch theoretische Überlegungen sprechen dagegen. Da die Gesellschaft über

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Arbeit Struktur und Form erhält, prägt auch die Stellung in und zum Erwerbsleben im großen und ganzen die Lebenschancen. Andere Dimensio­nen von Ungleichheit werden damit nicht in Abrede gestellt. Lebensstile können daher Klassen- und Schichtmodelle nicht ersetzen, bieten aber den Vorteil, genauere Differenzierungslinien zu entdecken und die Vor- und Nachteile verschiedener Strategien im Umgang mit den Lebensbedingungen und ihre Folgen für Ungleichheit und Wohlbefinden zu berücksichtigen.

3.3 Sportliche Durchschnittstypen sowie vielseitig aktive und moderne Menschen - Kombination von Lebensstilelementen

In einem nächsten Schritt wird vorgestellt, wie sich die Freizeittypen auf die Orientierungs- und die Wertetypen verteilen. Auf diese Weise ist zu sehen, ob und inwiefern sich typische Konstellationen zwischen Verhalten, Einstellun­gen und Werten ermitteln lassen. Als Basis werden die Freizeittypen heran­gezogen, weil sichtbares Verhalten im Zentrum sozialwissenschaftlicher Lebens Stiluntersuchungen stehen sollte.

Das Freizeitverhalten steht insgesamt in engerer Beziehung zu Prioritäten von Lebensbereichen als zu Werthaltungen. Faßt man die drei Dimensionen als Stufen der Konkretion und Alltagsnähe, liegen die Wichtigkeit von Lebensbereichen und konkretes Verhalten enger beieinander als Werte und Aktivitäten. Die Passiven zeigen keine Auffälligkeiten hinsichtlich der Werthaltungen, ihre Einstellungen zu verschiedenen Lebensbereichen ent­sprechen aber nur vergleichsweise selten dem Durchschnitt und häufig den abweichenden Gruppen. Der sportliche Familientyp entspricht hingegen in Werten und Orientierungen häufig dem Durchschnittstyp. Die Vielseitigen weisen häufiger "moderne" Werte sowie Orientierungen auf körperliches Wohlbefinden und praktisches Handeln auf. Der kulturelle Familientyp verteilt sich relativ unauffällig auf Werte- und Orientierungstypen.

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Abb. 9: Verteilung der Freizeittypen auf Werte- und Orientierungstypen

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Familiäre und kulturelle Aktivitäten

Abweichungen vom Mittelwert in Prozentpunkten

4-

Typen nach Wichtigkeitseinschätzungen

Emotional, religiös

Praktisches Handeln

Körperliches Wohlbefinden

Bevölkerungs­mehrheit

-5

Typen nach Werthaltungen

Postmateriell

Materiell

Mischtyp

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Zwischen Orientierungen und Werten sind Zusammenhänge zu erwarten gewesen, die sich auch bestätigt haben. Da die Freizeittypen zum Teil spezi­fische Einstellungsmuster aufweisen und auch Einstellungen mit Werten in Zusammenhang stehen, wurde versucht, die drei Dimensionen zusammen zu betrachten. Um zu einer Gruppenbildung zu gelangen, wurden die in den jeweiligen Dimensionen ermittelten Faktorwerte (s.o) in eine Clusteranalyse einbezogen. Die Berechnung der Distanzkoeffizienten bot jedoch keine Entscheidungshilfe. Aus der Vielzahl an Möglichkeiten kristallisiert sich keine Lösung heraus, die eindeutig zu präferieren wäre. Es ist kaum möglich, Gruppen scharf zu fassen und vor allem klar voneinander zu trennen6. Darüberhinaus haben die Dimensionen (Werte, Einstellungen, Freizeitver­halten) unterschiedlichen Einfluß auf die jeweilige Charakterisierung der Gruppen. Die Dimensionen lassen sich demnach nicht weiter reduzieren und typologisieren. Dieses Ergebnis entspricht den theoretischen Vorüberlegun­gen, nach denen die Dimensionen weitgehend unabhängig voneinander sind, und die Überschneidungen daher nur gering ausfallen dürften. Für eine Operationalisierung von Lebensstilen heißt das zusammenfassend, daß die betreffenden Dimensionen stärker aufeinander bezogen sein müssen, um Befragte anhand mehrerer Lebensstilelemente zu gruppieren.

4 Wohlbefinden nach Freizeit-, Orientierungs- und Wertetypen

In einem abschließenden Untersuchungsschritt sollte überprüft werden, ob die Freizeit-, Orientierungs- und Wertegruppen sich jeweils in ihrem Wohlbe­finden unterscheiden. Dahinter steht die zentrale Frage, ob Lebensstile einen eigenständigen Beitrag zur Erklärung gesellschaftlicher Unterschiede leisten können. Ein Zusammenhang zwischen den jeweiligen Gruppen und dem Wohlbefinden gibt erste Hinweise darauf, daß es Sinn macht, Lebensstile zusätzlich zu bisherigen Erklärungsansätzen für unterschiedlich wahrge­nommene Lebensqualität (Objektive Lebensbedingungen, Vergleichspro­zesse, Erwartungen oder Soziale Lage) heranzuziehen.

6 Es wurden verschiedene Lösungen auf eine mögliche Identifizierung von homogenen Gruppen hin betrachtet. Die Rangfolge der Werte, Orientierungen und Verhalten war in jeder Gruppe sehr ähnlich. Im übrigen half auch eine Differenzierung nachAltersgruppen nicht, homogene "Lebensstiltypen" herauszukristallisieren.

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4.1 Passiv und einsam, familienorientiert und zufrieden. Freizeit und Wohlbefinden

Zunächst wird untersucht, ob ein Zusammenhang zwischen Freizeitverhalten und subjektivem Wohlbefinden sichtbar wird. Da Veenhoven (1984) über einen Zusammenhang zwischen Freizeitaktivitäten und Wohlbefinden be­richtet, werden auch hier Beziehungen vermutet: Aktive Menschen sind im allgemeinen glücklicher; Darüberhinaus dürfte ein Zusammenhang zwischen der Freizeitgestaltung und dem Empfinden von Einsamkeit bestehen: je außenorientierter und aktiver die Menschen, desto weniger dürfte Einsam­keit vorherrschen. Ebenso kann angenommen werden, daß vielseitig interes­sierte und involvierte Menschen sich weniger gesellschaftlichen Bedingungen ausgeliefert fühlen als eher passive Befragte. Der Zusammenhang der Frei­zeittypen und ihre wahrgenommene Lebensqualität wird im folgenden biva- riat dargestellt.7

Aus dem Set von positiven und negativen Indikatoren zur Messung des subjektiven Wohlbefindens (Sorgen, Anomiesymptome, Zufriedenheiten oder Glück) werden folgende, globale Aspekte herausgegriffen:

- die allgemeine Lebenszufriedenheit als global bilanzierendes Maß der individuellen Lebenssituation und

- Glück, als affektiver Zustand, dessen Ausmaß u.a. durch unmittelbare positive und negative Erlebnisse beeinflußt wird,

- Einsamkeit, als Indikator mangelnder sozialer Integration,

- Sich nicht zurechtfinden, als Ausdruck von Orientierungslosigkeit.

7 Mithilfe von Multiplen Klassifikationsanalysen wurde zunächst geprüft, welchen Beitrag Freizeittypen im Vergleich zu den klassischen sozialstrukturellen und -demographischen Merkmalen (Bildung, Einkommen, Beruf, Geschlecht, Alter, Haushaltstyp) zur Erklärung von Wohlbefinden leisten. Die gebildeten Modelle erklärten jedoch zu wenig Varianz (5% bis 11%), um aussagefähig zu sein. D.h., daß die einbezogenen sozio- demographischen und sozio-strukturellen Merkmale ebenso wie der neuere Aspekt des Freizeitverhaltens Vorhersagekraft für Glück, Zufriedenheit, Orientierungslosigkeit und Einsamkeit haben. Innerhalb dieser (unzureichenden) Modelle hat Freizeitverhalten im Vergleich mit klassischen unabhängigen Variablen (Bildung, Alter Geschlecht, usw.) jedoch einen eigenständigen, von anderen unabhängigen Einfluß.

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Tab. 4: Freizeittypen und Wohlbefinden

AllgemeineLebenszu­

friedenheit*)

unglücklich1 Einsam1 Orientie­rungslos1

Freizeittypen 0 in %Passive 7,3 15 25 20

Sport- und Familien­orientierte

8,1 3 9 8

Vielseitg Aktive 7,8 5 16 11

Kultur- und Familienorientierte

8,1 4 12 12

*) Durchschnittliche Lebenszufriedenheit auf einer Skala von 0 bis 10.1) Unglücklich, Einsam, Orientierungslos: zusammengefaßt "sehr" und "ziemlich" Jeweils signifikant unter dem 0.01 NiveauDatenbasis: Wohlfahrtssurvey 1988

Die obige Tabelle dokumentiert den Zusammenhang zwischen Freizeittypen und vier ausgewählten Indikatoren des Wohlbefindens. Die "Passiven" erwei­sen sich dabei durchgehend und mit deutlichem Abstand zu den anderen Typen als Problemgruppe. Mit einem Durchschnitt von 7,3 demonstrieren sie eine geringere Lebenszufriedenheit; ebenso fühlt sich ein beträchtlicher Teil unglücklich oder einsam und findet sich kaum mehr zurecht. Die Passiven bevorzugen fernzusehen oder zu faulenzen, andere Tätigkeiten kommen kaum in Betracht. Diese Gruppe verfügt über vergleichsweise geringe Bildungsabschlüsse und lebt selten in Familienhaushalten, daß auch sozial­strukturelle Merkmale die Beeinträchtigungen erklären können. Auch bei homogenisierten Einkommens- und Altersklassen sowie Schicht- oder Haus­haltszugehörigkeiten zeigt sich, daß die Passiven im Vergleich zu den ande­ren Freizeittypen das niedrigste Wohlbefinden aufweisen. Anhand der fol­genden Tabelle sei dies illustriert.

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Tab. 5: Freizeittypen nach Einsamkeitund Schichtzugehörigkeit sowie Haushaltsgröße

Subjektive Schichteinstufung Haushaltsgröße

Arbeiter­schicht*

Mittel­schicht*

ObereMittel­

schicht*

1 2* 3 4

Freizeittypen: „Ich fühle mich oft einsam4 in %

«1

Passive 30 25 x) 45 25 12 _x>Sport- und Familienorientierte

11 9 .x) 35 9 6 7

Vielseitig Aktive 21 15 24 30 12 9 12Kultur- und Familienorientierte

20 12 _x) 35 10 11 9

Insgesamt in Prozent 19 13 10 36 12 10 8N absolut 92 138 27 107 69 42 53*) Signifikantx) Zu geringe Fallzahl1) Antworten "stimmt ganz und gar" und "stimmt eher" Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1988

Die "Vielseitigen" nehmen beim subjektiven Wohlbefinden zumeist eine mitt­lere Position zwischen den Passiven und den beiden familienorientierten Typen ein. Sie sind damit etwa so zufrieden wie der Durchschnitt aller Befragten (7,9) und relativ selten unglücklich. Allerdings fühlt sich jeder sechste dieser Gruppe einsam. Eine nach Alter differenzierte Betrachtung zeigt, daß dies vor allem die ältere Altersklasse betrifft (26 % im Vergleich zu 16% im Durchschnitt). Der fehlende Familienverband macht sich in höheren Anteilen einsamer Personen bemerkbar. Werden jedoch die Alleinlebenden betrachtet, so sind die Vielseitig Aktiven weniger häufig einsam (30 %) als die übrigen Freizeittypen (beide Familientypen:35% und Passive 45 %).

Bei beiden familienorientierten Gruppen finden wir ein hohes Wohlbefin­den: die allgemeine Lebenszufriedenheit erreicht hohe Werte, "Unglück" kommt kaum vor, und nur geringe Anteile beider Gruppen äußern "Einsamkeit". Die "Kultur- und Familienorientierten" dokumentieren jedoch etwas häufiger als die "Sport- und Familienorientierten", von negativen Symptomen betroffen zu sein, d.h. sich einsam zu fühlen und sich nicht zurecht zu finden. Wird bei einem Erklärungsversuch das Freizeitverhalten berücksichtigt, könnte das seltener geäußerte Einsamkeitsgefühl der Sport­orientierten darauf zurückgeführt werden, daß sich beim Sporttreiben, vor

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allem in Vereinen, eher soziale Kontakte als bei dem Besuch von kulturellen Veranstaltungen ergeben. Umgekehrt ist nicht auszuschließen, daß Menschen, die sich einsam fühlen, nicht gerne Sporttreiben und eher kul­turelle Veranstaltungen besuchen. Sozio-strukturelle Merkmale erkären diese Differenzen auf den ersten Blick nicht: die geringeren Anteile von Ein­samen bei Sportorientierten existieren auch bei gleichen Alters-, Einkom­mens- oder Schichtzugehörigkeiten - in Familienhaushalten leben beide Typen überdurchschnittlich häufig. Auch von Orientierungslosigkeit zeigen sich die Kulturorientierten stärker betroffen. Insgesamt meint jeder achte dieser Gruppe, sich in den gesellschaftlichen Verhältnissen kaum orientieren zu können. Bei einer nach Einkommen und Bildungsabschlüssen differen­zierten Betrachtung zeigt sich, daß dies auf die Kulturorientierten aus ver­gleichsweise niedrigen Einkommensklassen und mit niedrigeren Bildungsab­schlüssen zurückzuführen ist.8

Zusammenfassung: Freizeittypen und Wohlbefinden

Die Art der Freizeitgestaltung und das subjektive Wohlbefinden stehen in Zusammenhang zueinander. Passive Menschen äußern vergleichsweise häufig Beeinträchtigungen, während familienorientierte Befragte das höchste Wohlbefinden dokumentieren. Da die Typenbildung u.a. nach fami­liären Aktivitäten gebildet wird, ist nicht klar zu gewichten, inwiefern der Haushaltskontext oder andere als familiäre Freizeitaktivitäten eine Bezie­hung zum Wohlbefinden aufweisen. Gleichzeitig ist das Leben innerhalb oder außerhalb einer Familie eine zentraler Bestimmungsgrund für Lebensstile, so daß eine Differenzierung hier generell schwer fallen dürfte. Das Freizeit­verhalten scheint trotz dieser Einschränkungen insgesamt zur Erklärung von subjektiver Lebensqualität beitragen zu können.

8 Von den Kulturorientierten im niedrigsten Einkommensquintil äußern 29% vonOrientierungslosigkeit betroffen zu sein, im zweiten Quintil sind es 16% (Durchschnitt 12%). Bei den Bildungsabschlüssen äußern Volksschulabgänger und Personen mit mittlerer Reife relativ häufig, sich in den Verhältnissen kaum mehr zurechtzufinden (15% und 13%; Fachabitur: 5%).

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4.2 Kleinere Gruppen - geringeres Wohlbefinden. Orientierungen und wahrgenommene Lebensqualität

Bei der Frage zur Priorität einzelner Lebensbereiche ist der Bezug zum Wohlbefinden bereits durch die Frageformulierung unmittelbar gegeben:"... . Sagen Sie mir bitte für die nachfolgenden Bereiche, ob sie für Ihr Wohlbefin­den und Ihre Zufriedenheit sehr wichtig (...) sind." Es erscheint plausibel, daß bei einem hohen Stellenwert einzelner Bereiche und gleichzeitig wahr­genommener Defizite die wahrgenommene Lebensqualität niedriger einge­stuft wird. Umgekehrt werden erfüllte Erwartungen an einen Bereich das Wohlbefinden positiv beeinflussen. Im folgenden wird überprüft, ob die unterschiedlichen Einstellungen mit unterschiedlicher wahrgenommener Lebensqualität einhergehen.

Tab. 6: Orientierungstypen und subjektives Wohlbefinden

Lebens­zufrieden­

heit*)

Un­glücklich^)

Einsam 1) Orien­tierungslos 1)

0 in %

Bevölkerungs­mehrheit

8,1 3 10 9

KörperlichesWohlbefinden

7,3 8 26 15

Praktisches Handeln 7,5 10 19 12

Emotional, religiös 7,9 5 23 23

* Durchschnittliche Lebenszufriedenheit auf einer Skala von 0 bis 10.1) Unglücklich, Einsam, Orientierungslos: zusammengefaßt "sehr" und "ziemlich" Jeweils signifikant unter dem 0.01 NiveauDatenbasis: Wohlfahrtssurvey 1988

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Bemerkenswert an diesen Ergebnissen ist insbesondere, daß die kleineren Gruppen, die vom Durchschnitt abweichende Orientierungen vorweisen, ein deutlich geringeres Wohlbefinden äußern. Diese Befragten fühlen sich doppelt so häufig einsam wie die Bevölkerungsmehrheit, leiden häufiger unter Orientierungslosigkeit und geben an, sich auch auf emotionaler Ebene weniger wohl zu fühlen. Es ist jedoch nicht so wie bei den Freizeittypen, bei denen eine Gruppe, die Passiven, durchgehend das niedrigste Wohlbefinden äußerten.

Auch bei einer Homogenisierung soziodemographischer Merkmale (Alter, Haushaltsgröße, Schichtzugehörigkeit) bleiben diese Zusammenhänge beste­hen. Das vergleichsweise niedrige Wohlfahrtsniveau der drei kleineren Ein­stellungstypen scheint damit nicht allein auf Problemlagen spezifischer Bevölkerungsgruppen zurückzuführen zu sein. Bei gleichen Altersklassen, Schicht-, Geschlechtszugehörigkeit oder Haushaltsgrößen zeigen sich je nach Einstellung signifikante Unterschiede im Wohlbefinden. Dies ist anhand von einigen Beispielen demonstriert.

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Abb. 10 Typen nach Wichtigkeitseinschätzungen von Lebensbereichen, nach Komponenten subjektiven Wohlbefindens und sozialstruk­turellen Merkmalen

Lebenszufriedenheit nach Orientierungstypen und AlterUnzufrieden

ESBSHB9 Bevölkerungsmehrheit l ■ <<<-■ ~~1 Praktisches Handeln

Körperliches Wohlbefinden Emotion, Religion

* Werte 0 bis 5 auf einer 10-stufigen Skala. Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1988

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Einsamkeit nach Orientierunastvnen und Alter

m g a a B m Bevölkerungsmehrheit ( » ■ ■ ■ ■ ■ ■ I I I W oh|befinden I □ Praktisches Handeln E M 8 M O M Emotion, Religion* W erte 0 bis 5 auf einer 10-stufigen Skala. Datenbasis: Wohlfahrtssurvey 1988

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In jeder Altersgruppe äußern die kleineren Gruppen häufiger, von "Einsamkeit" betroffen zu sein als der Großteil der Bevölkerung. In der älte­sten Grupppe liegen die jeweiligen Anteile erwartungsgemäß am höchsten. Die auf körperliches Wohlbefinden ausgerichteten Befragten sind in der jüngsten Gruppe relativ gut eingebunden, während sie sich mit steigendem Alter immer stärker beeinträchtigt äußern. Der ebenfalls weniger sozial aus­gerichtete Typ, der "praktischem Handeln" einen hohen Stellenwert zumißt, ist in der mittleren Altersgruppe weniger von Einsamkeit betroffen als in anderen Altersklassen.

Begreiflicherweise sind im Durchschnitt Menschen, die mit mehreren Per­sonen in einem Haushalt leben, weniger einsam als Alleinlebende. Mit Aus­nahme von den Alleinlebenden äußert jedoch auch hier die dominierende Gruppe die geringsten Beeinträchtigungen. Die drei kleineren Gruppen zeigen sich bei Mehrpersonenhaushalten signifikant stärker von Einsamkeit betroffen; untereinander unterscheiden sie sich hingegen kaum.

Zusammenfassend: Der Großteil der Befragten hält den Privatbereich für sehr wichtig und richtet hohe Erwartungen an die meisten Lebensbereiche. Diese Gruppe dominiert deutlich und weist durchgängig das höchste subjek­tive Wohlbefinden auf. Die vom "Durchschnitt" abweichenden Gruppen befinden sich demgegenüber eindeutig im Nachteil. Bei vergleichbaren Altersgruppen, bei gleichen Einkommensgruppen oder auch nach Geschlecht differenziert, sind bei diesen kleineren Gruppen deutliche Wohlfahrtsein­bußen zu verzeichnen. Es kann die Vermutung geäußert werden, daß abwei­chende Haltungen mit stärkerer Betroffenheit von Isolation, Orientierungs­losigkeit, Unzufriedenheit und emotionalen Beeinträchtigungen "bestraft" werden. Eine solche Wirkung von Orientierungen könnte gegen die These fortschreitender Differenzierungen und pluralisierter Zielsetzungen spre­chen. Es bleibt jedoch darauf hinzuweisen, daß bei dieser Art von Analyse keine kausalen Zusammenhänge untersucht werden. Für eine Wohlfahrtsfor­schung, die Lebensstile berücksichtigen möchte, bedeuten die Ergebnisse zumindest, daß die Organisationsprinzipien des Lebens eine relevante Dimension zur Bildung von Lebensstil typen darstellen.

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4.3 Zusammenhang von Wertetypen und subjektivem Wohlbefinden

Wie erwähnt, gelten Werte als gesellschaftlich anerkannte Richtlinien für individuelles Handeln. Da sie mit Erwartungen und Verhalten in Zusam­menhang stehen, dürften sie sowohl für die Ausbildung von Lebensstilen als auch für das Wohlbefinden relevant sein. Im folgenden wird der Zusammen­hang von Wertetypen und subjektivem Wohlbefinden dargestellt.

Tab. 7: Wertetypen und subjektives Wohlbefinden

Lebenszu­friedenheit*)

Unglück­lich 1)

E in sa m ^ ) Orientie­rungslos 1)

0 in %

Materiell 7,7 5 18 11

Postmateriell 7,7 6 9 9

Mischtyp 8,0 4 14 12

* Durchschnittliche Lebenszufriedenheit auf einer Skala von 0 bis 10.1) Unglücklich, Einsam, Orientierungslos: zusammengefaßt "sehr" und "ziemlich"2) Signifikant unter dem 0.03 NiveauDatenbasis: Wohlfahrtssurvey 1988

Die Gruppenbildung nach Werten zeigt bis auf "Einsamkeit" keine signifi­kanten Zusammenhänge zum Wohlbefinden. Die Befragen mit materieller Werthaltung sind im Durchschnitt einsamer als die übrigen Typen. Bei Ein­beziehung des Alters bleibt diese Beziehung jedoch nur in der jüngsten Gruppe (bis 35 Jahre) bestehen, so daß sich hier in erster Linie Effekte des Alters statt von Werten ergeben.

Die Ergebnisse werden in folgenden Schaubild zusammenfaßend darge­stellt.

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Abb. 11: Freizeit, Orientierungen,Werte und subjektives Wohlbefinden

5 Zusammenfassung

Wohlfahrtsforschung ist an der Messung und Beobachtung von Lebensqua­lität interessiert und untersucht, inwiefern sich Wohlbefinden in einzelnen Bevölkerungsgruppen unterscheidet. Lebensstile werden als innovatives Konzept in den Sozialwissenschaften gehandelt, um unterschiedliche Denk- und Verhaltensweisen in Wohlstandsgesellschaften mit ihren zunehmenden Wahlmöglichkeiten zu ergründen. Um die unterschiedlichen Wahrnehmun­gen von Lebensbedingungen zu berücksichtigen, liegt der Gedanke nahe, Lebensstile in Wohlfahrts Studien aufzunehmen. In diesem Beitrag wurden Vorarbeiten vorgestellt: die Analyse bereits vorliegenden Datenmaterials auf eine mögliche Brauchbarkeit erhobener Dimensionen.

Im Wohlfahrts survey 1988 sind die Fragenkomplexe Freizeitaktivitäten, Wertorientierungen und Wichtigkeitseinschätzungen von Lebensbereichen enthalten, die auf ihren Nutzen für Lebensstiluntersuchungen im Kontext von Wohlfahrtsforschung überprüft wurden und Probleme bei der empiri­schen Analyse verdeutlichen sollten. Eine Gruppierung der Bevölkerung über alle drei Dimensionen läßt sich nicht realisieren: Werte, Erwartungen und Freizeitaktivitäten stehen offensichtlich nicht in einem systematischen Zusammenhang. Es ist bei einer Neukonzeptionalisierung also darauf zu achten, die berücksichtigten Ebenen so auszuwählen, daß sie in einer inne­ren Beziehung zueinander stehen. Eine Grupppenbildung anhand der einzelnen Fragenkomplexe war möglich und macht offensichtlich Sinn. Die

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ermittelten Typen stehen jeweils in signifikantem Zusammenhang zur sozialstrukturellen Lage, was auf eine starke schichtspezifische Prägung von möglichen Lebensstilen hindeutet.

Die Typologisierungen mittels Freizeitaktivitäten und Wertorientierungen sind relativ leicht zu beschreiben (Passive, Sport- und Familienorientierte, Vielseitig Aktive und Kultur- und Familienorientierte bzw. Materielle, Post­materielle und Mischtypen); bei den Wichtigkeitseinschätzungen von Lebensbereichen fällt eine Charakterisierung schwerer (Bevölkerungsmehr­heit, auf körperliches Wohlbefinden hin Orientierte, auf praktisches Handeln Orientierte sowie emotinal und religiös Orientierte). Die besonderen Kenn­zeichen der letztgenannten Typen lassen sich im Alltag kaum identifizieren. Gleichzeitig weisen diese "Einstellungstypen" die deutlichste Beziehung zum Wohlbefinden auf. Die vier gebildeten Typen bestehen aus drei kleineren Gruppen und eine dominierende, wobei die letztere eine deutlich höhere subjektive Lebensqualität dokumentiert als die drei "abweichenden" Grup­pen. Dieses Ergebnis stützt eine Hypothese Lüdtkes, der vermutet, daß solche Lebensstile „... der 'breiten Mitte' oder 'Mehrheitsfähigkeit' ihren Anhängern hohe Satisfaktion vermitteln." (Lüdtke 1987, Teil 2: 49) Die Frei­zeitaktivitäten stehen ebenfalls in Zusammenhang mit den einbezogenen Indikatoren des Wohlbefindens, Zufriedenheit, Glück, Einsamkeit und Orien­tierungslosigkeit. Die Wertorientierungen weisen nur selten eine Beziehung zum Wohlbefinden auf. Zusammenfassend haben die Auswertungen folgende Erkenntnisse für die weiteren Überlegungen einer Konzeptionalisierung von Lebensstilen erbracht:

- Die einbezogenen Dimensionen müssen in einem systematischerenZusammenhang stehen.

- Es ist sinnvoll Freizeitverhalten einzubeziehen, allerdings bei vom Haus­haltskontext klarer getrennten Einzelaspekten.

- Die im Wohlfahrtssurvey erhobenen Wichtigkeitseinschätzungen vonLebensbereichen, spielen ebenfalls eine Rolle. Sie strukturieren die Bevöl­kerung allerdings zu grob in einen dominanten Typ und drei Subgruppen. Bei den Orientierungen sind deutliche Zusammenhänge zum Wohlbefin­den erkennbar.

- Die erhobenen Werte strukturieren die Bevölkerung kaum und haben in dieser Form nur sehr geringe Bedeutung für subjektives Wohlbefinden.

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