Energieeffizienz im Gebäudesektor: Potenziale entwickeln - Energiewirtschaftliche Tagesfragen -...

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ENERGIEEFFIZIENZ 45 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 64. Jg. (2014) Heft 9 Die technologischen Möglichkeiten der Energieeffizienz müssen ausgereizt werden, wenn sie zu einem Leitmarkt für den Industriestandort Deutschland werden soll Foto: Coloures-pic | Fotolia.com EU-Energiekommissar Günther Oettinger hat die Energieeffizienz als ein eigenes Po- litikfeld im Rahmen der europäischen Ener- giepolitik etabliert. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der energetischen Gebäudesanie- rung. Ansatzpunkt der EU-Kommission ist die ökonomische Analyse, dass bei der ener- getischen Gebäudesanierung ein Marktver- sagen vorliegt. D. h., dass die Investitionen zunächst hoch sind und erst über einen län- geren Zeitraum Wirkung und Nutzen entfal- ten [1]. Aus Sicht der EU-Kommission bedarf es daher Anreizsystemen und Informatio- nen, damit Maßnahmen von sanierungsinte- ressierten Hauseigentümern überhaupt ins Auge gefasst und dann auf entsprechendem Qualitätsniveau umgesetzt werden. Mit der Europäischen Investitionsbank ver- fügt die Kommission über eine eigene För- derbank, die ihre Programme im Bereich der energetischen Modernisierung erheblich weiterentwickelt und verbessert hat. Der Fokus des Luxemburger Bankhauses liegt al- lerdings auf der Finanzierung größerer Ein- heiten, etwa bei Kommunen. Im best-practi- se-Vergleich zwischen den Mitgliedstaaten fällt Deutschland mit dem KfW-Gebäudes- anierungsprogramm für die Einzelobjekt- förderung eine Vorbildrolle zu. Zwar haben Frankreich und Großbritannien als große Mitgliedstaaten ebenfalls Förderprogram- me etabliert, um das Marktversagen auszu- gleichen; diese sind aber nicht so umfang- reich und qualitativ schlechter als die mit 1,8 Mrd. € ausgestatteten KfW-Programme in Deutschland. Rahmenbedingungen und maßgebliche Mittel der Energieeffizienzför- derung kommen von der EU. So liegt der An- teil an Strukturfondsmitteln bei 20 %. Zudem weisen die EU-Energieeffizienzrichtlinie und die EU-Gebäudeeffizienzrichtlinie den Weg. Damit stehen 17 Mrd. € an EU-Mitteln bis 2020 für den Energieeffizienzmarkt zur Ver- fügung – dies ist doppelt so viel wie in der Haushaltsperiode von 2007 bis 2013. Politikfeld Energieeffizienz in Deutschland Das Bundeswirtschaftsministerium hat un- ter Minister Sigmar Gabriel, SPD, zahlreiche Kompetenzen für das Politikfeld Energieef- fizienz im Haus gebündelt. Im Juni dieses Jahres legte es einen 10-Punkte-Plan zur Energiewende vor, in dem die Gebäudestra- tegie einen zentralen Bestandteil darstellt. Dazu gehören auch Ziele wie das Erreichen eines klimaneutralen Gebäudebestandes bis 2050. Im kommenden Jahr soll eine „ganz- heitliche Gebäudestrategie“ erarbeitet und im November 2015 vom Kabinett verab- schiedet werden. Die Gebäudestrategie soll den Strom-, Wärme-, und Effizienzbereich gleichermaßen integrieren. Nachdem sich die große Koalition da- rauf geeinigt hat, die KfW-Förderung auf 1,8 Mrd. € pro Jahr zu verstetigen, gibt Energieeffizienz im Gebäudesektor: Potenziale entwickeln Isabel Hoffmann und Markus Rosenthal Energieeffizienz in der Industrie und bei Gebäuden ist ein Megatrend und Wachstumsmarkt. Insbesondere durch die Kosten- senkungs- und Klimaschutzpotenziale findet sie große Aufmerksamkeit bei Hauseigentümern, der Politik, der Immobilien-, Finanz- und Wohnungswirtschaft. Die Wertschöpfungsketten im Bereich Energieeffizienz beginnen maßgeblich in Deutsch- land. Zwei Drittel der Energiekosten eines Privathaushaltes entfallen auf den Wärmebezug, auf Strom – trotz seines hohen Preises – nur ein knappes Drittel. Zudem rückt durch die geostrategische Situation, wie etwa im Irak, in Libyen und der Uk- raine, die Frage nach der Versorgungssicherheit durch thermische Energieträger wieder in den Mittelpunkt der politischen und medialen Aufmerksamkeit. Es wird nun deutlich: Energieeffizienz hat nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine nicht zu unterschätzende geo- und sicherheitspolitische Dimension. Mehrere gute Gründe also, die Energieeffizienz im Gebäudesektor zu forcieren.

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Energieeffizienz in der Industrie und bei Gebäuden ist ein Megatrend und Wachstumsmarkt. Neben den wirtschaftlichen und klimapolitischen Potenzialen, hat die Energieeffizienz auch eine nicht zu unterschätzende geo- und sicherheitspolitische Dimension. Mehrere gute Gründe also, die Energieeffizienz im Gebäudesektor zu forcieren. In der September-Ausgabe der Fachzeitschrift et - Energiewirtschaftlichen Tagesfragen (http://www.et-energie-online.de/) thematisieren Isabel Hoffmann und Markus Rosenthal von nuances die aktuellen Herausforderungen und Chancen der Gebäudeenergieeffizienz.

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45ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 64. Jg. (2014) Heft 9

Die technologischen Möglichkeiten der Energieeffizienz müssen ausgereizt werden, wenn sie zu einem Leitmarkt für den Industriestandort Deutschland werden soll

Foto: Coloures-pic | Fotolia.com

EU-Energiekommissar Günther Oettinger hat die Energieeffizienz als ein eigenes Po-litikfeld im Rahmen der europäischen Ener-giepolitik etabliert. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der energetischen Gebäudesanie-rung. Ansatzpunkt der EU-Kommission ist die ökonomische Analyse, dass bei der ener-getischen Gebäudesanierung ein Marktver-sagen vorliegt. D. h., dass die Investitionen zunächst hoch sind und erst über einen län-geren Zeitraum Wirkung und Nutzen entfal-ten [1]. Aus Sicht der EU-Kommission bedarf es daher Anreizsystemen und Informatio-nen, damit Maßnahmen von sanierungsinte-ressierten Hauseigentümern überhaupt ins Auge gefasst und dann auf entsprechendem Qualitätsniveau umgesetzt werden.

Mit der Europäischen Investitionsbank ver-fügt die Kommission über eine eigene För-derbank, die ihre Programme im Bereich der energetischen Modernisierung erheblich weiterentwickelt und verbessert hat. Der Fokus des Luxemburger Bankhauses liegt al-lerdings auf der Finanzierung größerer Ein-heiten, etwa bei Kommunen. Im best-practi-se-Vergleich zwischen den Mitgliedstaaten fällt Deutschland mit dem KfW-Gebäudes-anierungsprogramm für die Einzelobjekt-förderung eine Vorbildrolle zu. Zwar haben Frankreich und Großbritannien als große Mitgliedstaaten ebenfalls Förderprogram-me etabliert, um das Marktversagen auszu-gleichen; diese sind aber nicht so umfang-reich und qualitativ schlechter als die mit 1,8  Mrd.  € ausgestatteten KfW-Programme in Deutschland. Rahmenbedingungen und maßgebliche Mittel der Energieeffizienzför-derung kommen von der EU. So liegt der An-

teil an Strukturfondsmitteln bei 20 %. Zudem weisen die EU-Energieeffizienzrichtlinie und die EU-Gebäudeeffizienzrichtlinie den Weg. Damit stehen 17  Mrd.  € an EU-Mitteln bis 2020 für den Energieeffizienzmarkt zur Ver-fügung – dies ist doppelt so viel wie in der Haushaltsperiode von 2007 bis 2013.

Politikfeld Energieeffizienz in Deutschland

Das Bundeswirtschaftsministerium hat un-ter Minister Sigmar Gabriel, SPD, zahlreiche Kompetenzen für das Politikfeld Energieef-fizienz im Haus gebündelt. Im Juni dieses

Jahres legte es einen 10-Punkte-Plan zur Energiewende vor, in dem die Gebäudestra-tegie einen zentralen Bestandteil darstellt. Dazu gehören auch Ziele wie das Erreichen eines klimaneutralen Gebäudebestandes bis 2050. Im kommenden Jahr soll eine „ganz-heitliche Gebäudestrategie“ erarbeitet und im November 2015 vom Kabinett verab-schiedet werden. Die Gebäudestrategie soll den Strom-, Wärme-, und Effizienzbereich gleichermaßen integrieren.

Nachdem sich die große Koalition da-rauf geeinigt hat, die KfW-Förderung auf 1,8  Mrd.  € pro Jahr zu verstetigen, gibt

Energieeffizienz im Gebäudesektor: Potenziale entwickelnIsabel Hoffmann und Markus Rosenthal

Energieeffizienz in der Industrie und bei Gebäuden ist ein Megatrend und Wachstumsmarkt. Insbesondere durch die Kosten-senkungs- und Klimaschutzpotenziale findet sie große Aufmerksamkeit bei Hauseigentümern, der Politik, der Immobilien-, Finanz- und Wohnungswirtschaft. Die Wertschöpfungsketten im Bereich Energieeffizienz beginnen maßgeblich in Deutsch-land. Zwei Drittel der Energiekosten eines Privathaushaltes entfallen auf den Wärmebezug, auf Strom – trotz seines hohen Preises – nur ein knappes Drittel. Zudem rückt durch die geostrategische Situation, wie etwa im Irak, in Libyen und der Uk-raine, die Frage nach der Versorgungssicherheit durch thermische Energieträger wieder in den Mittelpunkt der politischen und medialen Aufmerksamkeit. Es wird nun deutlich: Energieeffizienz hat nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine nicht zu unterschätzende geo- und sicherheitspolitische Dimension. Mehrere gute Gründe also, die Energieeffizienz im Gebäudesektor zu forcieren.

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es immer wieder Anläufe, einen Steuer-anreiz für Selbstnutzer auf die politische Agenda zu heben. Während die Moderni-sierung vermieteter Wohnungen von der Steuer absetzbar ist, bleibt diese Option dem selbstnutzenden Hauseigentümer ver-wehrt. Von Seiten der Bundesländer Baden-Württemberg, Hessen und Thüringen gab es im Bundesrat immer wieder Initiativen, die notwendigen Ländermehrheiten in der Länderkammer zu schaffen. Gerade bei den Nehmerländern des Länderfinanzausglei-ches gibt es aufgrund der Schuldenbremse eine ablehnende Haltung gegenüber dem Steueranreiz – trotz Kalkulationen, etwa der KfW, die zu dem Schluss kommen, dass jeder eingesetzte Euro eine Investition von 8 € nach sich zöge.

Inzwischen treibt die Befürworter des Steu-eranreizes die Sorge um den „Attentismus“ um – also das Abwarten, ob sich die Dinge nicht auch ohne weiteres Handeln zum Bes-seren wenden würden. Im Jahr 2013 inves-tierten folglich viele Eigentümer nicht, da öffentlich über die Steueroption diskutiert wurde. Sie warteten ab, ob eine Variante zu ihren Gunsten käme. Sie kam nicht. In-zwischen wird nun in Berlin und den Lan-deshauptstädten über eine Spreizung der Steuerentlastung nachgedacht; die Entlas-tung soll erst ein Jahr nach der Investition greifen. Auch wenn es hier haushalts- und steuerrechtlicher Änderungen bedarf, wer-den diesem Modell Chancen eingeräumt, da es die öffentlichen Haushalte entlasten würde.

Energieberatung ist der Schlüssel zur Akzeptanz

Georg Küffner schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung [2], dass für den Erfolg einer energetischen Sanierung „die Qualität der Bauausführung“ entscheidend ist. „Und dass es daran häufig hapert, kann bestäti-gen, wer schon einmal Sanierungsleistun-gen eingekauft hat. Von systemischen und ganzheitlichen Konzepten haben Installa-teure, Anstreicher und Fensterbauer nur in Ausnahmefällen gehört“, so der Technik-journalist.

Bei der Frage, was bauphysikalisch mach-bar, wirtschaftlich vertretbar und im Hin-blick auf die Bauzeit zumutbar ist, stehen

die Energieagenturen in den Bundesländern und in den Kommunen sowie die Verbrau-cherzentralen bereit. Dazu gehören etwa die KEA, die Klimaschutz- und Energieagentur in Baden-Württemberg, die ZEBAU in Ham-burg, aber auch bundesweite Netzwerke wie der Verein der Energieagenturen Deutsch-land, der Bundesarbeitskreis Altbausanie-rung oder das Deutsche Energieberater-netzwerk. Diese Institutionen vermitteln Energieberater, die gewerkeübergreifend einen Sanierungsfahrplan entwickeln und die Baumaßnahmen begleiten. Auf diesem Weg sorgen sie dafür, dass qualifizierte Handwerker die Sanierung fachgerecht aus-führen. Das Land Baden-Württemberg hat im Bundesrat einen Entschließungsantrag mit dem Ziel eingebracht, eine „anbieterun-abhängige Energieberatung und neutrale Information“ für Industrie und Verbraucher bereitzustellen [3].

Der Antrag steht als Symbol für einen an-dauernden Konflikt über die Rolle der Ener-gieberatung. Um die Akzeptanz und den Erfolg der Sanierung zu garantieren, setzt die Stuttgarter Landesregierung auf die un-abhängige Energieberatung. Die Deutsche Energie-Agentur dena hat dagegen von der Bundesregierung den Auftrag erhalten, eine Energieberaterliste zu etablieren, um die Beratungsqualität zu sichern. Dabei war ein Kriterium, dass derjenige, der den Sa-nierungsfahrplan erstellt, nicht gleichzeitig die Sanierung ausführt. Seit dem 1.1.2014 wurde hier umgesteuert. Ein Handwerker oder Ingenieur darf wieder beraten und die Maßnahme umsetzen – vorausgesetzt, der von ihm erstellte Sanierungsfahrplan sieht diese Maßnahme vor. Einzige Bedingung: Der Sachverständige muss in die Exper-tenliste der dena eingetragen sein [4]. Mit dieser Regel ist das Prinzip der „neutralen Information“ auf der Bundesebene wieder aufgehoben.

Marita Klempnow, Vorstandsmitglied beim Deutschen Energieberater-Netzwerk (DEN), sieht Verbesserungsbedarf bei der Qualifi-kation der Energieberater. Das DEN selbst stellt wesentlich höhere Anforderungen an seine zertifizierten Sachverständigen als die Energieeffizienz-Experten-Liste der dena.

„Rückblickend ist sehr viel mit der Exper-tenliste erreicht worden. Zum ersten Mal

gibt es ein bundesweites für Experten und Verbraucher zugängliches Instrument zur Energieberatersuche“, so Klempnow. „Was wir nun im Bereich der energetischen Sa-nierung benötigen, sind kontinuierliche Qualifizierungen, Praxisnachweise und eine Haftpflichtversicherung, die die Bera-tungstätigkeiten abdecken, die tatsächlich ausgeübt wird“. Insbesondere von einer Re-gelung im Bereich der Haftpflicht verspre-chen sich die DEN-Energieberater ein höhe-res Maß an Qualität. „Hier sind vierstellige Beträge fällig und nur die versicherten Tä-tigkeiten sind abgedeckt, je größer das Leistungsspektrum, desto höher müssen die Qualifikationen sein, um sich in diesem Marktsegment zu behaupten“, erklärt die Bauingenieurin.

Volker Kienzlen, Geschäftsführer der KEA, sieht ein geschütztes Berufsbild Energie- und Sanierungsberater als wichtigen Schritt. „Um Vertrauen beim Kunden und somit ge-sellschaftliche Akzeptanz zu schaffen, ist Professionalität und Unabhängigkeit ent-scheidend“, so Kienzlen. Zudem decken die aktuellen Qualifikationsprofile nur den Bereich der geförderten Gebäudemoderni-sierung ab. Dies ist eben nur ein Teilmarkt im Bereich der energetischen Gebäudesa-nierung. Viele Maßnahmen werden insbe-sondere bei Privateigentümern aus eigener Tasche und ohne KfW-Förderung bezahlt. Da der Marktzugang für Energieberater nicht reguliert ist, verwundert es kaum, dass der durchschnittliche Stundenlohn bei 15 € liegt [5]. Oft wird die Energieberatung als Neben-erwerb geführt oder dient der Akquise von Sanierungsaufträgen.

Das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Ziel, die Umlage auf die Miete für die ener-getische Modernisierung zu deckeln, ist nur mit einem professionellen Energieberater zu erreichen. Denn nur mit gewerkeüber-greifender Analyse können die Kosten für eine Schönheitsreparatur von den Kosten für die energetische Sanierung genau und gerichtsfest getrennt werden.

Von der Massivbauweise zur Dämmbauweise

Der Blick auf die einzelnen Gewerke zeigt, dass die Raumwärme durch die Hülle vom Keller bis zum Dach verloren geht. Es gibt

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inzwischen einen erheblichen Fortschritt im Hinblick auf die Energieeffizienz. „Das Kernproblem bleibt aber, dass wir nicht se-hen und fühlen, wie die Wärme durch die Wand, Fenster oder das Dach entschwin-det“, so Werner Eicke-Hennig, Leiter der Hessischen Energiespar-Aktion des Landes Hessen, „deshalb ist meist unbekannt, dass fast 70  % des deutschen Heizenergiever-brauchs auf die Bauteil-Wärmeverluste un-serer Wohngebäude zurückgehen.“ Wäh-rend Heizkessel alle 20 Jahre ausgetauscht werden, weil sie nicht ewig halten, sieht der Energieexperte die große Herausforde-rung beim notwendigen Wechsel von der Massiv- zur Dämmbauweise. Seine Erfah-rung zeigt: Es fällt vielen Menschen leich-ter, ein Baugerüst für eine Pinselsanierung der Fassade zu bezahlen, als dieses Gerüst gleich für die Dämmung der Fassade mit zu nutzen.

„Die Ohnehin-Kosten sind hoch, aber der Mensch ist kein „homo oeconomicus“ und rechnet sich die 1/3-Mehrkosten für Däm-mung und Fenster hässlich, auch weil er die

Erfolge der Maßnahmen nicht sieht und an-fassen kann“. Aus seiner Erfahrung plädiert der Darmstädter Effizienzexperte für das biblische Prinzip „Ein jegliches hat seine Zeit. Wenn Schritt für Schritt jede künftige Instandsetzung am Haus und im Heizkeller zu einer Energiesparmaßnahme gemacht würde, dann reduzierte sich der Heizener-gieverbrauch Deutschlands bis zum Jahr 2060 mindestens um 50 %.“

Das Haus als System – neue Ge-schäftsmodelle entwickeln sich

Der Trend im Sanieren und Bauen geht hin zur Professionalisierung, auch weil „moder-ne Gebäude sich zunehmend zu komplexen Hightech-Systemen entwickeln“ sagt Pro-fessor Klaus Sedlbauer vom Fraunhofer-IPB-Institut für Bauphysik. Er erläutert weiter: „In Zukunft werden Plusenergie-häuser, die die Elektroautos ihrer Bewoh-ner auftanken, das städtische wie dörfliche Landschaftsbild prägen und das Energie-netz mitsteuern“. Unter dem Begriff Smart Home entsteht hier ein neues Konzept: Der

Energieverbrauch wird durch den Hausnut-zer aktiv gesteuert. Zurzeit sind vor allem die technikaffinen Zielgruppen an diesem Thema interessiert [6].

Für die Energiedienstleister der Zukunft kommt es darauf an, neue Kundengruppen zu erschließen und über das Customer Re-lationship Management an sich zu binden. Damit gingen Vorteile im Lastmanagement durch zeitnahe Steuerung und Speicherung einher. Ein systemischer Ansatz über Ge-werke sowie Systeme – Immobilie und Fahr-zeug – wird Finanzierungsmodelle im Be-reich der energetischen Gebäudesanierung vervielfältigen.

Die Grundlage für diese Trends ist bereits heute mit dem Contracting gelegt. Contrac-ting hat sich über die vergangenen Jah-re zu einem Geschäftsmodell entwickelt, das allerdings immer wieder mit heftigen politischen und rechtlichen Turbulenzen konfrontiert gewesen ist. Davon besonders betroffen ist das Energiesparcontracting, bei dem der Contractor versucht, Energie-

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verbrauch und somit Energiekosten soweit zu senken, dass er aus dem eingesparten Betrag eine Leistungsvergütung finanzie-ren kann. Doch auch das Liefercontracting als reines Zuliefergeschäft von Strom und Wärme hat seine Tücken im rechtlichen Bereich.

Andreas Klemm, Vorsitzender des Fo-rums Contracting in Düsseldorf, schätzt die Marktsituation trotz der Schwierigkei-ten als stabil ein: „Contracting ist auf der Kundenseite für Kommunen wie für die private Wirtschaft – etwa im Bereich der Wohnungswirtschaft oder in der Industrie – weiterhin ein interessantes Modell. Die Kunden werden von zahlreichen Aufgaben entlastet und können sich auf ihr Kernge-schäft beschränken“. Doch auch für die Energieversorgungsunternehmen ist Con-tracting gerade im Hinblick auf die langfris-tige Kundenbindung ein interessantes Ge-schäftsmodell. „Die Energiewirtschaft bietet inzwischen passgenaue Energiedienstleis-tungen für jede Kundengruppe an. Ein gut aufgestellter Contractor mit innovativen Ideen verfügt hier über ein erhebliches Wachstumspotenzial“, sagt Klemm.

Wärmeerzeugung, -übergabe und -erhaltung

Die Wärmeerzeugung und -übergabe im Raum wird in Zukunft durch eine größe-re Vielfalt an Heizungen und Formen der Warmwassererzeugung geprägt sein. Neben der klassischen Heizung, die etwa durch das lokale Nah- oder Fernwärmenetz der kommunalen Stadtwerke versorgt wird, gewinnen die Kraft-Wärme-Kopplung, der Durchlauferhitzer und Solarthermie eben-so an Bedeutung wie die elektrisch betrie-bene Flächenheizung. Beschleunigt wird diese Entwicklung durch die erneuerbaren Energien. Jedoch bleiben die Erwartungen gedämpft, da steigende Strompreise die Be-triebskosten erhöhen. Die Erwartung, dass

trotz dieser Preisentwicklung beim Strom das Erdgas seinen angestammten Platz im Wärmemarkt behält, wird von Experten al-lerdings kaum noch geteilt [7]. Jedoch zeigt die Praxis, dass Öl- und Gasheizung in der Regel gegen effizientere Geräte desselben Typs ausgetauscht werden, so dass ein Rückgang der fossilen Brennstoffe im Hei-zungsbereich sich evolutionär und keines-wegs revolutionär vollziehen wird.

Eine Fassadendämmung sorgt dafür, dass die Wärme erhalten bleibt und der Komfort im Haus steigt. Sie trägt – in Kombination mit den Fenstern – überproportional zur Energieeffizienz eines Hauses bei. Es gibt eine nahezu unüberschaubare Anzahl an Dämmstoffen, von Aerogel – einem Werk-stoff aus der Weltraumforschung – über Hartschaum bis zum Hanf. Der Endkunde entscheidet, in welcher Preislage welcher Dämmstoff vom Architekten oder Handwer-ker eingekauft wird und ob es eine Innen- oder Außendämmung gibt.

Aufgrund der Garantiebestimmungen und des Brandschutzes bieten Wärmdämm-Ver-bundsysteme Qualitätsvorteile. Allerdings wird zur vorläufigen Schonung des Kontos auch gerne die Dämmplatte aus dem Bau-markt genommen. Das selbst gedämmte Haus birgt jedoch Risiken für das Wohlbe-finden und den Geldbeutel. Das beste Pro-dukt ist bei schlechter Verarbeitung nicht leistungsfähig und kann mehr Schaden als Nutzen bringen. Wärmebrücken sorgen dafür, dass sich Kondenswasser bildet und Schimmel entsteht. Fehlerhaftes Verputzen erhöht die Brandgefahr. Zieht Luft zwischen dem neuen, luftdichten und schallschützen-den Fenster und der neuen Fassadendäm-mung durch, friert es einen mehr als vor-her. Wer mietet, wird dann möglicherweise seinen Vermieter an sein Recht auf Raum-wärme erinnern, wer in seinem Eigentum wohnt, wird sich doch wieder die Decke um die Beine binden.

Potenziale der Energieeffizienz entwickeln

Von den rd. 18 Mio. Wohnbauten in Deutsch-land sind rd. 13 Mio. vor 1976 errichtet worden. Das war das Jahr, in dem das ers-te Gesetz zur Einsparung von Energie in Gebäuden – das Energieeinsparungsgesetz (EnEG) – in Kraft trat. Im Hinblick auf den Leitmarkt Energieeffizienz, den Klimaschutz und die geopolitischen Herausforderungen stehen die EU und Deutschland vor einer Richtungsentscheidung: Entweder die Sa-nierungsquote bei Gebäuden im Wohn- und Nicht-Wohnbereich bleibt niedrig oder die Energieeffizienz entwickelt sich mit ihren technologischen Möglichkeiten zu einem ernstzunehmenden Leitmarkt für den Indus-triestandort Deutschland.

Anmerkungen

[1] Europäische Kommission: Finanzielle Förderung

der Energieeffizienz von Gebäuden. Bericht der Kom-

mission an das Europäische Parlament und den Rat.

COM(2013) 225 final; Brüssel; vom 18.4.2013.

[2] Küffner, G.: So renovieren Sie richtig. In: FAZ,

23.7.2014.

[3] Antrag des Landes Baden-Württemberg vom

3.4.2014: Entschließung des Bundesrates: Umsetzung

der Energiewende – Verbesserung der Energieeffizienz.

Drucksache 132/14.

[4] Vgl.: https://www.energie-effizienz-experten.de

[5] Offermann, R.: Überblick über den EDL-Markt. Pro-

gnos, Berlin 2013.

[6] Profijt, M.: Smart Meter – Welcher Haushalt will ihn

haben? In: emw – Zeitschrift für Energie, Markt, Wett-

bewerb, Heft 6/2010, S. 52-54.

[7] Roth, K.: Erdgas ist auf dem Vormarsch. In:

stadt+werk. Tübingen 2014, S.18-21.

I. Hoffmann, Advisor und M. Rosenthal, Geschäftsführer, nuances GmbH & Co KG, [email protected]@nuances.de

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