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Stefan Loipfinger uber die Jagd auf CharityWatch V E R B R E C H E N : T R A N S P A R E N Z 10. Mai 2012 #22

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Enter - das Engagement-Magazin

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Stefan Loipfinger uber die

Jagd auf CharityWatch

VERBRECHEN:

TRANSPARENZ

10. Mai 2012 #22

NEWS

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RITAS HÄKELCLUB

Die Bezeichnung „Häkelclub” ist spätestens seit dem 18. April reinstes Understatement. Da erhielt das Berliner Label „Rita in Palma”, das aktuell Start-social-Stipendiat ist, den Sonderpreis der Bundeskanzlerin. Die beiden Initia-torinnen, Ann-Kathrin Carstensen und Ana Nuria Schmidt, entwerfen avantgar-distische Krägen, Tücher, Häkelketten und Schmuck. Produziert werden sie von türkischstämmigen Frauen, die eine spezielle traditionelle Häkeltechnik beherrschen. So setzt „Rita in Palma” nicht nur Trends, sondern versteht sich auch als Plattform für soziale Integration.

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DEMOKRATIE-BAUARBEITER

Serge Embacher hat schon in verschiedenen Rollen ganz leidenschaftlich für eine aktive Bürgergesell-schaft gestritten. In seinem Buch „Baustelle Demo-kratie” attestiert er eine Krise der solidarischen Gesellschaft. Eine Erneuerung könne nur von einer mündigen Bürgergesellschaft ausgehen. Dies ist keine weitere Sonntagsrede zum Thema Engage-ment, sondern eine beinharte, dabei richtungswei-sende Gesellschafts- und Kapitalismuskritik.

Serge Embacher, Baustelle Demokratie. Edition Körber Stiftung. 224 Seiten. 16,- Euro

Audio-Interview mit Serge Embacher auf unserer App (iTunes und Android)

Eine Bilderstrecke aus den Rita-Kollektionen gibt es auf unserer App (iTunes und Android) http://ritainpalma.com

Ideen

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News

Fotos (v.l.n.r.): Körber S

tiftung / David Ausserhofer, prom

o, imago, K

arl Klausel

EXTREMIS-MUS

Der Alternative Kultur- und Bildungszentrum e.V. (AKuBiZ) hatte keine Lust, die sogenannte Extremismusklausel zu unterschreiben. Das Bekenntnis zur demokratischen Grundord-nung wird als gesinnungspolitische Gän- gelei empfunden. Der e.V. verklagte den Land-kreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge und bekam nun vom Verwaltungsgericht Dresden Recht. Zuerst in Sachsen eingeführt, ver-ordnete Bundesfamilienministerin Kristina Schröder 2011 der gesamten Republik die Extremismusklausel.

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POLITIKSTIL-IKONE

Julia Schramm, Mitglied des Bundesvor-stands der Piratenpartei, freut sich über die Wahl von Swanhild Goetze (Twitter-name @schwan1) zur Schatzmeisterin auf dem Parteitag in Neumünster Ende April.

Ideen

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News

Vier Jahre lang sorgte CharityWatch für mehr Transparenz im Non-Profit-Sektor. Nach zahl-

losen Drohbriefen, Hass-Mails und Prozessen hat CharityWatch seine Arbeit eingestellt.

Gründer Stefan Loipfinger rechnet im Enter-Interview mit dem mangelnden Interesse der

Spendenorganisationen an Transparenz ab, mit dem juristischen Kleinkrieg gegen Charity-

Watch und den vielen Einschüchterungsversuchen.

„Mit solch einem Tornado habe ich nicht gerechnet”

Herr Loipfinger, nach vier Jahren hat CharityWatch seine Arbeit eingestellt. Angetreten waren Sie mit dem Anspruch, für mehr Transparenz im Non-Profit-Bereich zu sorgen und unseriöse Spen-densammler zu entlarven. Hätten Sie gedacht, dass Ihnen ausgerechnet im sogenannten Gemeinwohlsektor ein solcher Wind entgegen bläst?Mit Gegenwind habe ich gerechnet - nicht aber mit einem solchen Tornado! Ich war davon ausgegangen, dass das Gros der „Branche” ein Interesse daran hätte, dass sich etwas verändert, dass mehr Transparenz Einzug hält. Doch auch von den großen Hilfsorganisatio-nen bin ich weitgehend im Regen ste-hen gelassen worden. Ich habe von denen keine umfassende Unterstüt-zung erwartet, aber eine inhaltliche Auseinandersetzung oder etwas mora-

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lischen Beistand hätte ich mir ge-wünscht. Bei meiner vorherigen Tätigkeit im Finanzmarkt habe ich erlebt, dass es auch anders geht: Bei meinem dorti-gen Engagement für mehr Transparenz bekam ich kollegiale Hinweise, wo etwas schief läuft, und konnte mich fachlich austauschen. Die seriösen Anbieter hatten ein Interesse daran, dass den unseriösen das Leben schwer gemacht wird. Im Spendenbereich ist das anders - da bist du völlig allein. Haben Sie dafür eine Erklärung?Dieser Bereich ist schlicht nicht an wirklicher Transparenz interessiert. Viele Organisationen behaupten zwar, sie seien für Transparenz und legen auch rudimentäre Daten offen. Sobald man aber etwas genauer wissen will, wird dichtgemacht. Ein Beispiel: Wenn

ich erfahren möchte, was Josef Acker-mann verdient, lade ich mir den Ge-schäftsbericht der Deutschen Bank aus dem Internet herunter. Beim haupt-amtlichen Geschäftsführer eines Ver-eins ist das selten möglich, obwohl es hier um fremdes Geld, um Spenden geht. Selbst über solche Dinge, die eigentlich selbstverständlich sein soll-ten, muss man im Sektor diskutieren. Das zeigt schon das intellektuelle Niveau der Branche. Es hat Drohungen nicht nur gegen Mit-arbeiter, sondern auch gegen Ihre Familie gegeben. Wie muss man sich das vorstellen? Waren das anonyme Anrufe, Hate-Mails?Das war die ganze Bandbreite: Mails, Anrufe, Briefe. Eine Mail war besonders schlimm. Die zeigte so viel Detailwis-

Interview mit CharityWatch-Grunder Stefan Loipfinger

Foto:Susanna B

erndt

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CharityWatch

sen über mich und meine Familie, dass klar war, dass wir regelrecht beobach-tet wurden. Das ging über die üblichen Beschimpfungen per Mail weit hinaus. Da hat sich nicht einfach jemand am Rechner Luft gemacht. Das hatte eine ganz andere Qualität! Konnte ermittelt werden, wer dahinter steht?Das gelingt leider selten. Wir haben immer wieder Anzeigen erstattet. Zwei Personen konnte die Staatsanwalt-schaft eine Mittäterschaft nachweisen. Die Urheberschaft solcher Schreiben ist in der Regel schwer zu rekonstruieren. Da wird mit Remailing-Servern gear-beitet, es werden anonyme Briefe geschickt oder bei Anrufen die Num-mern unterdrückt. Hatten Sie die Möglichkeit, sich davon abzuschirmen? Mitarbeiter zwischen-zuschalten?Man kann sich natürlich abschirmen, aber das geht nur, wenn man einen Apparat zur Verfügung hat, und den kann ich mir nicht leisten. Diese Form

der Organisation hatten wir nicht. Ganz einfach. Neben den massiven Drohungen waren die zahlreichen Gerichtsverfahren, mit denen Sie überzogen wurden, ein Grund für das Ende von CharityWatch. Ist es ein Fehler im System, wenn Ihnen auch bei ungerechtfertigten Anschuldigun-gen erhebliche Kosten entstehen?In meinen Augen ist das tatsächlich ein Systemfehler. Ein Beispiel: die Unter-lassungserklärung. Ich habe etwas veröffentlicht, was jemand anderem nicht passt, und er verlangt, dass ich eine Unterlassungserklärung unter-schreibe. Wird die Erklärung berech-tigterweise von mir verlangt, trage ich die Kosten des Verfahrens. Wird aber die Erklärung zu Unrecht gefordert, bleibe ich trotzdem auf meinen Anwaltskosten sitzen. Dem SPIEGEL macht so etwas nichts aus, aber ein freier Journalist wie ich stößt da schnell an seine Grenzen. Mitunter haben sich Organisationen zusam-mengetan, um CharityWatch auf diese Weise das Leben schwer zu machen.

Als der Journalist Stefan Loipfinger CharityWatch 2008 ins Leben rief, war das Ziel klar: Effiziente und transparente Spendenorganisationen sollten empfohlen werden, vor undurchsichtigen und solchen, die nur einen geringen Teil der Spendengelder dem eigent-lichen Zweck zuführen, gewarnt. Eine Debatte im Non-Profit-Sektor sollte angestoßen werden. Die gleichnamige Online-Plattform bietet aktuelle Informationen und selbst recherchierte Stücke über gemeinnützige Organisationen und deren Spendenpraxis. Ende Februar 2012 stellte CharityWatch seine Arbeit ein. Kaum Unterstützung, dafür jede Menge Drohungen und Prozesse bereiteten der Transparenz-Initiative ein Ende.

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Dann hast du keine Chance. Hinzu kommt die viele Zeit, die man für sol-che Angelegenheiten aufwendet. Pha-senweise blieb mir kaum noch Zeit zum Recherchieren und Schreiben. Die Iro-nie: Auch Wochen nach dem Ende von CharityWatch dauern die Rechtsstrei-tigkeiten nicht nur an, sondern es kom-men auch noch neue Verfahren hinzu. Gerade ist wieder eine Unterlassungs-erklärung und eine Strafanzeige rein-gekommen. Wie finanzieren die Hilfsorganisatio-nen diese Prozesse gegen Sie?Ganz einfach. Dafür werden meistens Spendengelder verwendet. Das ist die-sen Organisationen völlig egal. Wofür sie ihr Geld ausgeben, interessiert ja auch niemanden. Welche Organisationen machen Ihnen besonders das Leben schwer?Es sind nicht so sehr die ganz kleinen Organisationen. Eines der genannten Verfahren, die neu reingekommen sind, betrifft eine Tierschutzorganisation, die einen zweistelligen Millionenbe-

trag auf dem Konto hat. Die hat das Geld und kann ohne Probleme hohe Summen für Anwälte und Verfahren ausgeben. Am schlimmsten sind dieje-nigen Organisationen, die bereits eine bestimmte Größe erreicht haben. Diese haben einen Ruf zu verlieren und ver-fügen über Geld. Ein häufiger Vorwurf von Spendenor-ganisationen in Ihre Richtung lautet: Zuviel Transparenz sei ein Wettbe-werbsnachteil gegenüber anderen Hilfsorganisationen ...Das ist das dümmste Argument, was es überhaupt gibt. Aktiengesellschaften zum Beispiel müssen gegenüber Akti-onären und Analysten die kleinsten Details preisgeben. In dem Bereich ist es das Normalste der Welt, die Hosen runterzulassen. Spendenorganisatio-nen sind gemeinnützig, genießen ein Steuerprivileg. Dass man hier noch diskutieren muss, ob öffentlich Rechenschaft darüber abgelegt wer-den soll, wofür man seine Einnahmen verwendet, ist absurd.

Organisationen, vor denen CharityWatch gewarnt hat:

DOBERMANN NOTHILFE E. V.PATRASHUNDE

CHF HOFFNUNG FÜR KINDER GGMBHKINDER IN NOT E. V.

HILFE FÜR BEHINDERTE MENSCHEN E. V. IN BOCHUMPAK DAR UL ISLAM E. V.

SABRO HILFT HELFEN E. V.YORKSHIRE-HILFE E.V.

IFAW INTERNATIONALER TIERSCHUTZ-FONDS GGMBH

HAUS UND WILDTIERHILFE LÜNEBURGER HEIDE E. V.

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CharityWatch

Es ist CharityWatch nicht gelungen, ein „Geschäftsmodell” zu entwickeln, wie z. B. Abgeordnetenwatch oder Food-watch. Ist das Thema Transparenz im Gemeinwohlsektor besonders schwer zu kommunizieren?Bei Foodwatch beispielsweise funktio-niert das System gut: Jeder kann Mit-glied werden oder mit einer Spende den Verein unterstützen.CharityWatch hatte das spezielle Pro-blem, dass wir gegen unseriöse Ver-eine, die Spenden sammeln, antreten. Wenn wir dann selbst anfangen, Spen-den zu sammeln, hat man schnell ein Kommunikationsproblem: Der Vorwurf liegt dann nahe, dass man ja nur andere Vereine kritisiere, um selbst Spenden zu kassieren. Fährt Foodwatch eine Kampagne gegen Nestlé, gibt es zudem eine ganz klare Rollenverteilung. Es ist eine David-gegen-Goliath-Konstella-tion, bei der ganz klar ist, wer der „Gute”, wer der „Böse” ist - der kleine Verein gegen den weltumspannenden Konzern. Wenn CharityWatch kritisch berichtet, dann greifen wir vermeintli-che Gutmenschen an - das ist brutal schwierig zu kommunizieren.

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Von wem hätten Sie sich mehr Unter-stützung gewünscht?Bei den Spendensammlern war mir von Anfang an klar, dass die nie meine Freunde werden würden. Dazu nur ein Beispiel aus der Anfangszeit von Cha-rityWatch: Damals hatte eine Hilfsor-ganisation zu einer Pressereise zu Pro-jekten nach Afrika eingeladen. Ich hab mich dort gemeldet, aber gesagt, dass ich die Kosten für die Reise selbst tra-gen möchte, dass dafür keine Spen-dengelder verwendet werden sollten. Glauben Sie, dass die mich mitgenom-men haben? Exoten, wie mich, kann man da nicht brauchen. Was ist die unmittelbare Konsequenz aus dem Ende von CharityWatch - ein Freibrief für unseriöse Fundraiser und Gemeinwohlorganisationen?Wenn man weiß, da ist jemand wie Cha-rityWatch, der Ross und Reiter nennt, wenn man Gefahr läuft, enttarnt zu werden, dann agiert man vorsichtiger. Mit dem Ende von CharityWatch gibt es nun eine Möglichkeit weniger aufzu-fliegen. Dass nun noch hemmungslo-ser gearbeitet wird, ist anzunehmen.

Das Interview führte Henrik Flor.

www.charitywatch.de8

CharityWatchTitel

WELTBEWEGER

Jeder Betroffene weiß: Wer gemobbt wird, geht durch die Hölle. Der Schauspieler Dirk Heinrichs (RTL „Die Sitte”) geht auf Täter zu. Sein Verein „Sprache gegen Gewalt” veranstaltet Workshops an Kölner Schulen und in Knästen. Gezeigt wird, wie es gelingt, eigene Probleme nicht mit Gewalt gegen andere zu kompensieren. Heinrichs leistet dort Beziehungsarbeit, wo es brennt.

Audio-Interview und Video-Clip mit Dirk Heinrichs auf unserer App (iTunes und Android)

www.Sprache-gegen-Gewalt.de www.weltbeweger.de

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Foto: ww

w.m

ischko.biz

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S T I F T U N G S T A G 2 0 1 2 „Mit langem Atem. Stiftungen entwickeln nach-haltige Lösungen” - unter dem Motto steht der dies-jährige StiftungsTag. Stifter und Stiftungsmit-arbeiter erwarten zwischen dem 20. und 22. Juni in Erfurt nicht weniger als 90 Veranstaltungen. www.stiftungen.org/de/termine-vernetzung/deutscher-stiftungstag/deutscher-stiftung-stag-2012.html

ONLINE-PLANER PFLEGEAngehörige zu Hause zu pflegen ist eine mittlere Management-Aufgabe. Das Projekt Weisse Liste ar-beitet derzeit an einem Online-Planer. Mit dessen Hilfe kann der konkrete Pflegebedarf ermittelt und der Einsatz von Pflegediensten geplant werden. Bis zum Online-Gang dauert es noch ein Jahr. www.weisse-liste.de

B Ü R G E R P R E I S Der größte deutsche Ehrenamtspreis läutet die 10. Runde ein. Bis zum 30. Juni 2012 kön-nen sich Einzelpersonen, Vereine oder Initia-tiven unter dem Motto „Projekt Zukunft: Enga-giert für junge Leute” für den Preis bewerben. www.deutscher-buergerpreis.de

B Ü R G E R J O U R N A L I S M U SEin Barcamp im schleswig-holsteinischen Bad Malente richtet sich an alle, die über kommunale oder region-ale Politik, Wirtschaft oder Kultur bloggen. Am 17. und 18. Mai findet die große Austauschbörse statt.http://buergerjournalismus.mixxt.de

TIPPS & TERMINE10. Mai - 14. JuniAgenda

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IMPRESSUM Herausgeber: Uwe AmrheinRedaktion: Henrik Flor

Propststraße 110178 BerlinTelefon +49 / 30 - 30 88 16 66Telefax +49 / 30 - 30 88 16 70

[email protected]

Enter erscheint in Kooperation mit der Stiftung Bürgermutund dem Engagement-Netzwerk www.weltbeweger.de.

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AM 14. JUNI 2012.