Entwicklung und Konstruktion - Vogel-Fachbuch

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Dr.-Ing. Christoph Klahn (Hrsg.) /Prof. Dr.-Ing. Mirko Meboldt (Hrsg.)

Dr.-Ing. Christoph Klahn / Prof. Dr.-Ing. MirkoMeboldt / Filippo Fontana / BastianLeutenecker-Twelsiek / Jasmin Jansen

Entwicklung und Konstruktionfür die Additive Fertigung

Grundlagen und Methoden für den Einsatzin industriellen Endkundenprodukten

Vogel Business Media

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Die Herausgeber:

Dr.-Ing. CHRISTOPH KLAHN

Prof. Dr.-Ing. MIRKO MEBOLDT

Die Autoren:

Dr.-Ing. CHRISTOPH KLAHN, inspire AGProf. Dr.-Ing. MIRKO MEBOLDT, ETH Zürich, inspire AGFILIPPO FONTANA, ETH ZürichBASTIAN LEUTENECKER-TWELSIEK, ETH ZürichJASMIN JANSEN, ETH Zürich, inspire AG

Weitere Informationen:www.vbm-fachbuch.de

http://twitter.com/vbmfachbuchwww.facebook.com/vbm-fachbuchwww.vbm-fachbuch.de/rss/buch.rss_

ISBN 978-3-8343-3395-71. Auflage. 2018Alle Rechte, auch der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigungdes Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, ver-vielfältigt oder verbreitet werden. Hiervon sind die in §§ 53, 54 UrhG ausdrücklich genanntenAusnahmefälle nicht berührt.Printed in GermanyCopyright 2018 by Vogel Business Media GmbH & Co. KG, Würzburg

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Vorwort

Seit der Entwicklung des ersten additiven Fertigungsverfahrens im Jahr 1984 ist daraus bis heuteeine ganze Verfahrensfamilie mit über zwei Dutzend verschiedenen Prozesstechnologien ent-standen. Diese Entwicklung zeigt den beeindruckenden technologischen Fortschritt im Bereichder Additiven Fertigung. Die Technologie ist noch jung, und die intensiven Forschungs- undEntwicklungsaktivitäten in Industrie und Universitäten lassen noch viele kontinuierliche Verbes-serungen und bahnbrechende Technologiesprünge erwarten. Die Additive Fertigung (AM, engl.:Additive Manufacturing) heute ist eine reife Produktionstechnologie in ihren Anfängen.

Seit den 1990er-Jahren hat die Additive Fertigung im Bereich Prototypen-, Werkzeug- undMusterbau unbemerkt vom breiten Interesse Einzug in die industrielle Praxis gehalten. In diesenBereichen ist sie zu einem relevantenWertschöpfungstreiber geworden und dort inzwischen nichtmehr wegzudenken. Mit dem breiten Medieninteresse und der steten Weiterentwicklung derVerfahren und Werkstoffe rückt die Additive Fertigung nun auch in den Fokus für den Einsatz inder Fertigung von Serien- und Endkundenteilen.

Doch wird dieser Schritt in Richtung Serien- und Endkundenanwendungenmeist unterschätzt.Oft sind die Verfahren bekannt und etabliert aus dem Prototypenbau, doch mit dem Schritt inneue Anwendungsfelder betreten die meisten Firmen absolutes Neuland: Standards, Dimensio-nierungsgrundlagen, Konstruktionsmethoden, technisch-wirtschaftliche Berechnungsgrundla-gen, CAD-Tools und Erfahrung für die Entwicklung von additiven Serien- und Endkundenteilenexistieren zum Großteil noch nicht oder sind wenig etabliert. Industrieunternehmen, die das Zielhaben, additiv gefertigte Endkundenteile zu entwickeln, sehen sich schnell ähnlichen Frage-stellungen gegenüber. Das Buch widmet jeder dieser Fragestellungen ein Kapitel mit praxisor-ientierten Methoden und Beispielen.

n Welche AM-Verfahren gibt es und welche eignen sich für industrielle Endkundenbauteile?(Kapitel 1)

n Wie können AM-Verfahren mit konventioneller Fertigung kombiniert werden? (Kapitel 2)n Wie sieht die digitale Prozesskette aus? (Kapitel 3)n Welche Qualität haben AM-Bauteile und wie kann sie geprüft werden? (Kapitel 4)n Wie sieht die Kostenstruktur von AM-Bauteilen aus? (Kapitel 5)n Was sind etablierte Anwendungsfelder für AM? (Kapitel 6)n Wie können potenzialträchtige Bauteile und Anwendungsfelder für AM identifiziert werden?

(Kapitel 7)n Wie werden Bauteile für AM optimal konstruiert? (Kapitel 8)n Was sind Beispiele für erfolgreich implementierte AM-Endkundenbauteile? (Kapitel 9)n Wie sehen die Schritte aus, mit denen sich AM erfolgreich im Unternehmen implementieren

lässt? (Kapitel 10)

Ziel dieses Buches ist es, nicht nur einen Überblick über die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten derAdditiven Fertigung zu geben, sondern diese auch so anschaulich wie möglich zu präsentieren.Aus diesem Grund stellen die Autoren zahlreiche Beispiele additiv gefertigter Produkte aus derIndustrie vor, die als Anschauungsmaterial dienen. Es kann vorkommen, dass einige dieser Bei-spiele in den unterschiedlichen Kapiteln mehrfach vorgestellt werden, wobei verschiedeneAspekte und Besonderheiten des jeweiligen Produkts bzw. seiner Herstellung hervorgehobenwerden. Auch einige grundlegende Informationen zur Additiven Fertigung werden in dendiversen Kapiteln mehrfach aufgegriffen.

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Dieses Vorgehen soll bewusst das Querlesen des Buches erleichtern, ohne die Notwendigkeitdes dauernden «Hin- und Herblätterns» auf der Suche nach vorhergehenden Informationen. Eslässt sich leider nicht vermeiden, dass es dadurch im Buch zu Dopplungen von Bildern und Inhaltenkommt.

Der Einstieg in die Technologie ist eine Herausforderung, und viele Unternehmen entscheidensich dazu abzuwarten, da das Potenzial nur vage abgeschätzt werden kann und der Aufwand unddas damit verbundene Risiko als zu groß angesehen werden. Bei einem richtigen Einsatz und dengeeigneten Anwendungen birgt die Additive Fertigung jedoch ein hohes Innovationspotenzialund auch schon kurzfristig messbaren Nutzen. Die Anzahl von spezifischen AM-Patenten in An-wendungen steigt rasant.

Das vorliegende Buch schafft ein Grundlagenwerk für die industrielle Entwicklung und Kon-struktion von additiv gefertigten Serien- und Endkundenteilen, indem es praxisgerecht Methodenund Wissen bereitstellt, die eine erfolgreiche Implementierung additiver Verfahren in Unterneh-men unterstützen. Neben neuen Methoden und Vorgehensweisen zeigt das Buch anschaulichMöglichkeiten der Implementierung anhand einer Vielzahl von erfolgreichen Produktbeispielenaus der Industrie.

Erfolgreiche Pionieranwendungen zeigen eindeutig, dass die additive Technologie reif ist fürSerienanwendungen. Die Herausforderung besteht in einem ersten Schritt darin, die richtigenAnwendungsfelder im eigenen Unternehmen zu identifizieren und in einem zweiten Schritt Lö-sungen für die Additive Fertigung zu entwickeln. Der Weg, dies zu realisieren, ist nicht einfach. Eserfordert die Bereitschaft, Lösungen komplett neu zu denken – und zwar von der Konstruktion biszur komplettenWertschöpfungskette. Rückblickend scheinen alle Lösungen offensichtlich zu sein– denn, so hat es OSCAR WILDE einmal gesagt: «Die Zukunft gehört denen, die die Möglichkeitenerkennen, bevor sie offensichtlich werden.»

Unternehmen, die schon heute die Fähigkeit besitzen, Additive Fertigung wirtschaftlich er-folgreich in Serien- und Endkundenprodukten einzusetzen, sind in einer exzellenten Ausgangs-situation, von zukünftigen Entwicklungen weiter zu profitieren.

Dr.-Ing. Christoph KlahnProf. Dr.-Ing. Mirko Meboldt

6 Vorwort

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort ............................................................................................................................. 5

1 Überblick über die additiven Fertigungsverfahren ............................................... 111.1 Prinzip der Additiven Fertigung ............................................................................ 111.2 Fused Deposition Modelling ................................................................................. 151.3 Lasersintern ........................................................................................................... 181.4 Laserschmelzen ...................................................................................................... 20

2 Integration additiver Fertigungsverfahren in die Produktion ............................ 272.1 Direkte Integration der Additiven Fertigung in die Prozesskette ........................ 272.2 Indirekte Integration der Additiven Fertigung in die Prozesskette ...................... 28

3 3D-Datenerzeugung für additive Fertigungsverfahren ........................................ 333.1 Prozesskette der Datenvorbereitung ..................................................................... 333.2 CAD & Tools ........................................................................................................ 363.3 Dateiformate ......................................................................................................... 38

3.3.1 STL ............................................................................................................. 383.3.2 AMF ........................................................................................................... 403.3.3 3MF ........................................................................................................... 41

3.4 Topologieoptimierung ........................................................................................... 413.5 3D-Scannen und Reverse Engineering ................................................................. 45

3.5.1 Photogrammetrie ....................................................................................... 453.5.2 Laserscanner .............................................................................................. 463.5.3 Streifenlichtscanner .................................................................................... 463.5.4 Reverse Engineering .................................................................................. 48

4 Qualitätssicherung und Kontrolle additiv gefertigter Bauteile .......................... 494.1 Qualitätssicherung während des Fertigungsprozesses .......................................... 49

4.1.1 Fused Deposition Modelling ...................................................................... 494.1.2 Lasersintern ................................................................................................ 514.1.3 Laserschmelzen .......................................................................................... 52

4.2 Kontrolle der gefertigten Bauteile ........................................................................ 544.2.1 Zerstörende Prüfung von Fertigungsbegleitproben ................................... 544.2.2 Zerstörungsfreie Prüfung von Bauteilen .................................................... 55

5 Kostenstruktur der Additiven Fertigung ................................................................ 635.1 Einleitung .............................................................................................................. 635.2 Kosten bei Eigenfertigung .................................................................................... 665.3 Kosten bei Fremdbezug ........................................................................................ 675.4 Lebenszykluskosten ............................................................................................... 69

6 Anwendungsfelder Additiver Fertigung im OEM ................................................. 716.1 Einleitung .............................................................................................................. 716.2 Additive Fertigung als Wertschöpfungstreiber ..................................................... 72

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6.3 Anwendungsfelder Additiver Fertigung entlang der Wertschöpfungskette ......... 736.3.1 Prototyping und agile Produktentwicklung ............................................... 756.3.2 Verbesserte Produkte durch Additive Fertigung ....................................... 796.3.3 Inkrementelle Markteinführung ................................................................. 816.3.4 Kundenspezifische Produkte: Customization mittels Additiver Fertigung 846.3.5 Additiver Werkzeug- und Formenbau ...................................................... 896.3.6 Additiv hergestellte Fertigungsmittel ......................................................... 906.3.7 Flexiblere Auftragsabwicklung ................................................................... 926.3.8 Rückwärtsintegration durch Additive Fertigung ........................................ 94

7 Auswahl von Bauteilen und Baugruppen für die Additive Fertigung .............. 957.1 Gründe für die Additive Fertigung ....................................................................... 957.2 Strategische Entscheidungen vor der Bauteilauswahl .......................................... 967.3 Vorgehen für die Bauteilauswahl ohne Veränderung der Bauteilform ............... 977.4 Vorgehen für die Bauteilauswahl mit Veränderung der Bauteilform .................. 99

7.4.1 Funktionsintegration .................................................................................. 1007.4.2 Performancesteigerung .............................................................................. 1007.4.3 Leichtbau ................................................................................................... 1017.4.4 Kleinserie / Individualisierung .................................................................... 102

7.5 Vorgehen bei Neukonstruktionen ......................................................................... 1027.6 Prozess zur Identifikation und Beurteilung von Bauteilen ................................... 103

8 Gestaltungsleitfaden für die Additive Fertigung .................................................. 1078.1 Aufbau und Struktur des Leitfadens .................................................................... 1078.2 Verfahrensmerkmale der Additiven Fertigung ...................................................... 109

8.2.1 Schichtweiser Aufbau ................................................................................ 1098.2.2 Treppenstufeneffekt ................................................................................... 1098.2.3 Werkstoffe ................................................................................................. 1118.2.4 Anisotropie ................................................................................................ 1118.2.5 Eigenspannungen und Verzug .................................................................. 1138.2.6 Supportstrukturen (Stützstrukturen / Hilfsgeometrien) ............................. 1148.2.7 Restpulver .................................................................................................. 1158.2.8 Mögliche Auflösung .................................................................................. 116

8.3 Verfahrensspezifische Gestaltungsprinzipien ......................................................... 1178.3.1 Funktionsorientierte Gestaltung ................................................................ 1188.3.2 Funktionsintegration .................................................................................. 1228.3.3 Frühzeitiges Festlegen der Bauteilorientierung ......................................... 1248.3.4 Materialminimalismus ................................................................................ 1288.3.5 Vermeidung von Stützstrukturen .............................................................. 1308.3.6 Vermeidung von Verzug ........................................................................... 1328.3.7 Integrierte Halbzeuge und Komponenten ................................................ 1358.3.8 Konstruktiver Toleranzausgleich ................................................................ 1368.3.9 Pulverentfernung ermöglichen .................................................................. 1378.3.10 Nachbearbeitung sicherstellen ................................................................... 139

8.4 Gestaltungsrichtwerte ........................................................................................... 1418.4.1 Wanddicke ................................................................................................. 1418.4.2 Freiwinkel ................................................................................................... 143

8 Inhaltsverzeichnis

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8.4.3 Spaltbreite .................................................................................................. 1448.4.4 Kanaldurchmesser ...................................................................................... 1458.4.5 Überhang ................................................................................................... 1468.4.6 Materialkennwerte ..................................................................................... 147

8.5 Erweiterung des Gestaltungsleitfadens durch Unternehmen ............................... 148

9 Anwendungsbeispiele Additiver Fertigung aus der Industrie ............................ 1539.1 Übergangsstück für einen hocheffizienten Wärmetauscher ................................ 1539.2 Fördertöpfe für Automationstechnik .................................................................... 1559.3 Transparente herausnehmbare Zahnspangen ....................................................... 1589.4 Abgestimmte Streulichtblenden für modulare High-End-Kameras ....................... 1619.5 Batteriekühlsystem für das Flugzeug Solar Impulse ............................................. 1649.6 Ionisierer zur Reinigung von Chip-Bonding-Substraten ........................................ 1669.7 Patientenspezifische Einweg-Schnittschablonen für chirurgische Eingriffe ........... 1689.8 Zahnräder für Tram-Rolldisplays ........................................................................... 1719.9 Automatisiertes Zuführsystem für spritzgussgefertigte Steckverbinder ................ 1749.10 Additiv gefertigte Einsätze für CFK-Composite-Rahmen einer Flugdrohne ......... 1779.11 Strukturkomponenten für das «Chairless Chair»-Exoskelett ................................ 179

10 Strategische Implementierung Additiver Fertigung beim OEM .......................... 18310.1 Voraussetzungen für die Implementierung .......................................................... 18310.2 Einbindung der Mitarbeiter bei der Implementierung von AM .......................... 18610.3 Beschleunigung des Wissenstransfers durch ETM ................................................ 188

10.3.1 Erster Teil des ETM: Expertise in der Bauteilauswahl .............................. 18910.3.2 Zweiter Teil des ETM: Design-Expertise .................................................... 191

Abkürzungen .................................................................................................................... 193

Lebensläufe ....................................................................................................................... 195

Literaturverzeichnis .......................................................................................................... 197

Quellenverzeichnis der Bilder ......................................................................................... 204

Stichwortverzeichnis ........................................................................................................ 206

Inhaltsverzeichnis 9

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1 Überblick über die additiven Fertigungsverfahren

Additive Fertigungsverfahren sind heutzutage so weit entwickelt, dass sie für die Herstellung vonBauteilen in Industrie- und Endkundenprodukten eingesetzt werden. Durch weitere Fortschritte inSachen Produktivität und Qualität wird die Additive Fertigung zukünftig in immer mehr BereichenAnwendung finden. Dieses Kapitel stellt das Prinzip der Additiven Fertigung vor und beschreibt diederzeit im industriellen Kontext wichtigsten Verfahren. Die Additive Fertigung ist verglichen mitanderen, konventionellen Fertigungsverfahren eine noch recht junge Technologie. Deshalb ist einGroßteil der zugehörigen Begriffe bis dato nicht normiert und es ist nicht immer absehbar, welcheBezeichnungen sich in der Normung und im allgemeinen Sprachgebrauch durchsetzen werden.Ein weiterer Schwerpunkt dieses Kapitels liegt deshalb auf der Definition der im Rahmen diesesBuches verwendeten Begrifflichkeiten.

1.1 Prinzip der Additiven Fertigung

Additive Fertigungsverfahren (AM, engl.: Additive Manufacturing) zeichnen sich dadurch aus,dass dreidimensionale Bauteile in einem automatisierten Prozess schichtweise aus einem form-losen oder formneutralen Material aufgebaut werden.

Entsprechend der Systematik der Fertigungsverfahren aus DIN 8580 zählt die Additive Ferti-gung zu den urformenden Verfahren, da die Bauteile aus einem formlosen Ausgangsmaterial(Flüssigkeit, Pulver) oder formneutralen Ausgangsmaterial (Filament) hergestellt werden. Dieentscheidenden Merkmale sind hierbei

n der schichtweise Aufbau, als Abgrenzung zu subtraktiven Verfahren (z. B. Fräsen) und anderenurformenden Verfahren (z. B. Feinguss), sowie

n der automatisierte Prozess, der handwerkliche Verfahren (z. B. Handlaminieren) ausschließt.

Bild 1.1 zeigt das Prinzip der Additiven Fertigung amBeispiel eines pulverbettbasierten Verfahrens,bei dem der Werkstoff mit einem Laserstrahl Schicht für Schicht verschmolzen wird. Für denFertigungsprozess muss das 3D-CAD-Modell des Bauteils zunächst mit einem geeigneten Pro-gramm ausgerichtet, angepasst und in einzelne Schichten zerlegt werden. Kapitel 3 stellt dieSchritte dieser Datenvorbereitung eingehender vor.

DEFINITIONAdditive Fertigung (AM, engl.: Additive Manufacturing): Gruppe von Fertigungsverfahren, diedreidimensionale Bauteile in einem automatisierten, schichtweisen Prozess aus einem form-losen oder formneutralen Material aufbauen.

Die AM-Maschine steuert anhand der vorbereiteten Daten den zyklischen Prozess aus Auftrageneiner Pulverschicht, Aufschmelzen der Bauteilschicht durch Belichtung mit einem Laserstrahl undAbsenken von Bauteil und Pulverbett. Dieser Zyklus wird so lange durchlaufen, bis die letzte Schichtabgeschlossen ist. Danach wird das Pulver entfernt und das Bauteil aus der Maschine entnommen.

Die additiven Verfahren Lasersintern (SLS, engl.: Selective Laser Sintering) und Laserschmelzen(SLM, engl.: Selective Laser Melting) fertigen Bauteile nach diesem Prinzip. Sie werden in denAbschnitten 1.3 und 1.4 ausführlich vorgestellt.

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Absenken

Bauteil entnehmen

Schichtenerzeugung3D-CADPulverschichtauftragen

Belichten

Bild 1.1 Prinzip der Additiven Fertigung am Beispiel eines pulverbettbasierten Laserverfahrens[Quelle: ETHZ pd|z, nach Poprawe 2005]

Das Erstellen eines dreidimensionalen Datenmodells für die Additive Fertigung, das Zerlegendes Modells in einzelne Schichten und die Steuerung des Fertigungsprozesses erfordern eineausreichende Rechenleistung. Obwohl erste Konzepte zur Additiven Fertigung bereits in den1960er-Jahren veröffentlicht wurden, erfolgte die Entwicklung von kommerziellen Systemendeshalb erst seit Mitte der 1980er-Jahre. Da die additiven Verfahren verglichen mit anderenFertigungsverfahren noch relativ jung sind, befinden sich sowohl die Prozesse selbst als auch dieverwendeten Bezeichnungen in einem kontinuierlichen Prozess der Weiterentwicklung. DiesesBuch orientiert sich bei der Begriffswahl an den aktuell gebräuchlichen Namen im deutschspra-chigen Raum. Alternative Bezeichnungen aus Veröffentlichungen, Normen oder Richtlinienwerden bei erster Erwähnung zusätzlich angegeben.

In der Anfangszeit der Additiven Fertigung war die Auswahl an Prozessen undMaterialien sehrbegrenzt. Prozessstabilität, Bauteiltoleranzen, Oberflächengüte, Festigkeit und Langzeitstabilitätder Bauteile waren noch nicht ausreichend für Industrie- oder Endkundenbauteile. Die Verfahrenwurden daher primär für die Herstellung von Prototypen eingesetzt. Aus dieser ersten Anwen-dung ist der Begriff Rapid Prototyping entstanden, der sowohl für die Anwendung «schnelleHerstellung vonMustern» als auch für die Gruppe der eingesetzten additiven Fertigungsverfahrenverwendet wurde.

Mit der Weiterentwicklung der Verfahren verbesserte sich die Auswahl an Materialien undProzessen. Additive Fertigung war nun in der Lage, belastbare Bauteile herzustellen, die unterimmer anspruchsvolleren Randbedingungen eingesetzt werden konnten. In Anlehnung an dasRapid Prototyping wurden die Begriffe Rapid Tooling für die Herstellung von Formen undWerkzeugen und Rapid Manufacturing für die direkte Herstellung von Kundenbauteilen ein-geführt.

Da diese neuen Anwendungsbereiche der additiven Verfahren nicht mehr zum Begriff desRapid Prototyping passten, wurde im deutschsprachigen Raum zunächst der Begriff der genera-tiven Fertigungsverfahren eingeführt, der auch in der ersten Ausgabe der VDI-Richtlinie 3404 ausdem Jahr 2009 verwendet wurde. Später wurde die englische Bezeichnung des Additive Manu-facturing übernommen und als Additive Fertigung eingedeutscht.

12 Überblick über die additiven Fertigungsverfahren

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DEFINITIONDer Begriff «Additive Fertigung» unterstreicht zwei wichtige Merkmale der Verfahren: dieHerstellung von Bauteilen durch das Hinzufügen von Material und die Eignung als industriellesFertigungsverfahren. Er hebt sich dadurch vom Begriff des «3D-Drucks» ab, der in den Medienhäufig synonym verwendet wird.

Heutzutage existiert eine Vielzahl von additiven Verfahren, die mit unterschiedlichen Wirkprinzi-pien undWerkstoffen arbeiten. Die Eigenschaften undmöglichen Anwendungsgebiete der damithergestellten Bauteile unterscheiden sich erheblich. Einige Verfahren sind nach wie vor nur zurFertigung gering belasteter Bauteile geeignet, wie beispielsweise Prototypen oder Gussmodellefür indirekte Prozesse. Andere Verfahren können Bauteile für sicherheitsrelevante Anwendungenmit hohen Belastungen direkt produzieren. Bild 1.2 zeigt eine Übersicht der additiven Ferti-gungsverfahren Stereolithografie (SL), Photopolymere Jetting (PJ), Binder Jetting (BJ), Laser-schmelzen (SLM), Elektronenstrahlschmelzen (EBM), Fused Deposition Modelling (FDM),Lasersintern (SLS) und Material Jetting (MJ), geordnet entsprechend ihrem Wirkprinzip und derverarbeiteten Materialien. Dies ist nur eine Auswahl der verbreitetsten Verfahren.

Technologien

Beständigkeit

Oberfläche

Detailgenauigkeit

Anwendungsbereich

Material

SL

Aufbau durchPolymerisation

niedriger

niedriger

funktionale Teile

glatter

höher

höher

rauer

Protoypen/indirekte Proz.

Aufbau durchVerkleben

Aufbau durchVerschmelzen

Keramik

Metall

Sand

Kunststoff

Wachs

PJ FDM

MJ

SLS

EBMSLM

BJ

Bild 1.2 Übersicht über Materialien und Wirkprinzip ausgewählter additiver Fertigungsverfahren[Quelle: Additively AG]

Die Übersicht in Bild 1.2 ist nicht vollständig und dient einer groben Orientierung in der Vielfaltder AM-Verfahren. Gemeinsam ist den additiven Verfahren, dass der Herstellungsprozess einnahezu beliebig komplexes, dreidimensionales Bauteil in eine Abfolge von einfachen, zweidi-mensionalen Prozessschritten zerlegt. Die Verarbeitung der einzelnen Schichten erfolgt dabeiweitgehend unabhängig von der Form der vorhergehenden oder nachfolgenden Schichten. Die

Prinzip der Additiven Fertigung 13

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Prozesszeit wird so nicht mehr von der Komplexität des Bauteils bestimmt, wie z. B. beim Fräsen,sondern imWesentlichen durch die Bauteilhöhe und das Volumen. Aus Bauteilhöhe und Dicke dereinzelnen Schichten ergibt sich die Anzahl der Schichten und damit die Zeit für die Beschich-tungsvorgänge während des Baujobs. Das Bauteilvolumen und die Schichtdicke bestimmen, wiegroß die Fläche ist, die in den einzelnen Schichten verfestigtwerden soll. Diese Unabhängigkeit derFertigungszeit von der geometrischen Komplexität der Bauteilform ist in Bild 1.3a dargestellt undwird durch das Schlagwort Complexity for Free beschrieben.

DEFINITIONComplexity for Free: Große Gestaltungsfreiheit durch die weitgehende Unabhängigkeit derFertigungskosten von der Bauteilkomplexität.

Der zweite große Unterschied zu konventionellen Fertigungsverfahren sind die im Verhältnis ge-ringen einmaligen Produktionskosten. Die Additive Fertigung erfordert keine bauteilspezifischenWerkzeuge oder Formen. Auch die Vorbereitung der Daten vom 3D-CAD-Modell zu den Schicht-informationen für die Steuerung des Prozesses ist deutlich einfacher und schneller als beispielsweisedie Erstellung einesCNC-Programms für eine Fräsmaschine. Dadurch ist dieAnfangsinvestition in dieFertigung eines neuen Bauteils geringer als bei anderen Verfahren und die Stückkosten einer Pro-duktion sind weitgehend unabhängig von der produzierten Stückzahl. Es macht also nur einengeringen Unterschied in den Stückkosten, ob beispielsweise 20 identische Teile gefertigt werdenoder 20 individualisierte Teile mit ähnlichem Volumen. Demgegenüber sind die wiederkehrendenKosten pro Bauteil im Allgemeinen höher als in konventionellen Fertigungsverfahren. Aufgrunddieser Losgrößenunabhängigkeit ihrer Kostenstruktur eignet sich die Additive Fertigung, wie in Bild1.3b dargestellt, vor allem für die Herstellung von kleinen Losgrößen und Einzelteilen und wenigerfür die Massenfertigung von identischen Teilen. Bis zu welcher Stückzahl die Additive Fertigunggünstiger ist als eine konventionelle Fertigung, hängt stark vom Bauteil und den eingesetztenVerfahren ab. Kapitel 5 geht ausführlicher auf die Kostenstruktur der Additiven Fertigung ein.

DEFINITIONLosgrößenunabhängigkeit: Größere Flexibilität in der Produktion durch die weitgehende Un-abhängigkeit der Stückkosten von der Anzahl der produzierten Bauteile.

Stückko

sten

konventionellnichtherstellbar

konventionelleFertigung

AM

Stückko

sten

konventionelleFertigung

AM

a) «Complexity for Free»

geometrischeKomplexität

b) Losgrößenunabhängigkeit

Losgröße

Bild 1.3 Vergleich der Stückkosten bei konventioneller und Additiver Fertigung als Funktion von Bauteil-komplexität und Losgröße [Quelle: ETHZ pd|z]

14 Überblick über die additiven Fertigungsverfahren

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In den nachfolgenden Abschnitten werden die drei additiven Fertigungsverfahren Fused De-position Modelling, Lasersintern und Laserschmelzen detaillierter vorgestellt. Diese drei additivenVerfahren haben gegenwärtig die größte Bedeutung in der direkten Herstellung von Industrie-und Endkundenbauteilen.

1.2 Fused Deposition Modelling

Fused Deposition Modelling (FDM) ist ein additives Fertigungsverfahren, bei dem das Bauteil auseinzelnen Kunststoffsträngen aufgebaut wird, indem ein Kunststoffdraht, Filament genannt, durcheine beheizte Düse extrudiert wird. Die VDI-Richtlinie VDI 3404 verwendet für diese Verfahren denBegriff Strangablegeverfahren, da Fused Deposition Modelling ein eingetragener Markenname derFirma Stratasys ist. Wie viele andere AM-Verfahrenwurde das FDM-Verfahren in den 1980er-Jahrenentwickelt und die grundlegenden Patente für den Prozess sind inzwischen abgelaufen. Da dieerforderlicheAnlagentechnik für diesen Prozess vergleichsweise simpel ist, existiert nun eine Vielzahlvon Maschinen und Bausätzen, die auch für Heimanwender bezahlbar sind. Zudem ist der FDM-Prozess durch die Verwendung von Kunststofffilament als Ausgangsmaterial deutlich sauberer alsandere AM-Verfahren, die Pulver oder Flüssigkeiten verwenden. Die günstigen Geräte und dieMöglichkeit, diese direkt im Büro oder zuhause zu betreiben, haben erheblich zu der ausgeprägtenaktuellen Aufmerksamkeit in den Medien für den 3D-Druck beigetragen.

Bild 1.4 zeigt den Aufbau einer FDM-Anlage. Das Filament befindet sich auf Spulen und wirdmit geriffelten Transportrollen in eine beheizte Düse gedrückt. In dieser schmilzt das Filament undder Kunststoff tritt als zähflüssige Schmelze aus der Düse aus. Die Düse wirdmit einem x-y-Antriebüber die Bauplattform bewegt und legt die Schmelze als Strang auf dieser ab. Nach jeder Schichtwird die Bauplattform um eine Schichtdicke nach unten verfahren. Für besonders große Bauteileexistieren auch Maschinen, bei denen die Bauplattform fest steht und der Düsenkopf nach obenbewegt wird. In professionelleren Maschinen wird der Bauraum beheizt, um eine bessere Ver-bindung zwischen der Schmelze und den bereits abgelegten Strängen zu erreichen. Da die Düsedie Schmelze nicht in der Luft ablegen kann, sondern nur auf festen Strukturen, erfordernÜberhänge eine darunterliegende stützende Supportstruktur. Diese Struktur wird als Gitter oderdünne Wand aufgebaut und muss nach dem Bauprozess wieder entfernt werden.

DEFINITIONFused DepositionModelling (FDM, dt.: Strangablegeverfahren): Additives Fertigungsverfahren,bei dem ein Kunststofffilament in einer beheizten Düse aufgeschmolzen und extrudiert wird. DieBauteile werden durch schichtweises Ablegen der Schmelze in dünnen Strängen aufgebaut.

Um das Entfernen der Supportstrukturen zu erleichtern, besitzen höherwertige FDM-Maschinenzwei Düsenköpfe, so dass sie neben dem eigentlichen Baumaterial noch ein zusätzliches Sup-portmaterial verarbeiten können. Hierfür wird ein Kunststoff gewählt, dessen Schmelztemperaturüber der des Baumaterials liegt, damit Bauteil und Stützstruktur nicht miteinander verschmelzen.Besonders vorteilhaft ist es, wenn der Kunststoff des Stützmaterials sich mit einer Flüssigkeitauflösen lässt, die den Bauteilwerkstoff nicht angreift. Dann muss der Support nicht mechanischentfernt werden, sondern kann in einem Bad aufgelöst werden.

Umden Rand jeder Bauteilschicht wird ein Kunststoffstrang extrudiert. Durch den Strang dieserKonturfahrt fühlt sich die Oberfläche von FDM-Bauteilen entlang der Schichten sehr glatt an, zeigtjedoch ausgeprägte Rillen zwischen den einzelnen Schichten. Da diese Schichten mit 0,1 mm bis

Fused Deposition Modelling 15

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Supportmaterial

Baumaterial

Filament Extrusionsdüse

Stützstruktur

aufgebautes Bauteil

Bauplatte

Bauplattform

Bewegung im Bauprozess

Bild 1.4 Aufbau einer FDM-Anlage [Quelle: ETHZ pd|z]

0,2 mm im Vergleich mit anderen AM-Verfahren recht dick sind, zeigt sich auf geneigten Ober-flächen ein ausgeprägter Treppenstufeneffekt (vgl. Bild 1.5). Bauteile aus ABS-Kunststoff lassensich durch eine Bedampfung mit Aceton nachträglich glätten.

a) Soll-Geometrie alsCAD-Modell

b) schichtweise Entstehung desBauteils im FDM-Prozess

Bild 1.5 Schichtweiser Aufbau eines Bauteils im FDM-Prozess [Quelle: ETHZ pd|z]

ABS-Kunststoff ist momentan das Standardmaterial für den FDM-Prozess. Da es allerdingsrelativ einfach ist, einen beliebigen Kunststoff zu einem Filament in passendem Durchmesser zuextrudieren, sind auch andere Kunststoffe als Ausgangswerkstoff für FDM-Drucker erhältlich.Neben dem Finden geeigneter Prozessparameter ist die größte Hürde für die Verarbeitung vonindividuellen Kunststoffen die Tatsache, dass die großen Anlagenhersteller ihr Materialgeschäftmit codierten Materialkassetten schützen.

Hinsichtlich der mechanischen Eigenschaften unterscheiden sich FDM-gefertigte Bauteiledeutlich von Bauteilen, die mit konventionellen Verfahren der Kunststoffverarbeitung, wie Spritz-guss oder Extrusion, aus dem gleichen Kunststoff hergestellt wurden. Die Festigkeit von Kunst-stoffen resultiert aus den langen Polymerketten, die in einer zufälligen (amorphen) oder teilweiseregelmäßigen (teilkristallinen) Anordnung den Werkstoff ausmachen. Im FDM-Prozess werdenStränge aus Kunststoffschmelze auf bereits erstarrten Kunststoffsträngen abgelegt. Die Wärmeder Schmelze reicht nur aus, um an den Kontaktflächen zu dem bestehenden Bauteil eine dünneRandschicht zu erwärmen. Nur in dieser Randschicht erlangen die Polymerketten eine ausrei-chende Beweglichkeit, um sich mit den Ketten der Schmelze zu verbinden oder zu verschränken.Die Verbindung zwischen den einzelnen Strängen ist entsprechend schwach, verglichen zur

16 Überblick über die additiven Fertigungsverfahren

Page 17: Entwicklung und Konstruktion - Vogel-Fachbuch

Festigkeit entlang der Stränge. FDM-Bauteile weisen daher eine deutliche Anisotropie der me-chanischen Eigenschaften auf. Die Festigkeit in Aufbaurichtung z ist deutlich geringer als parallelzur Bauplatte in der x-y-Ebene. Eine höhere Bauraumtemperatur und damit auch eine höhereTemperatur der erstarrten Stränge vergrößern den Bereich, in denen die Ketten beweglich sind,und reduzieren so die Anisotropie.

DEFINITIONAnisotropie: Richtungsabhängigkeit der Werkstoffeigenschaften.

Bild 1.6 zeigt Aufnahmen der Bruchflächen von zwei Proben aus ABS P400. Die Stränge in deneinzelnen Schichten sind im rechtenWinkel zueinander angeordnet. Die Probe in Bild 1.6a wurdeentlang bzw. quer zu den Strängen belastet, während die Belastung der Probe in Bild 1.6b imWinkel von 45° zu den Strängen erfolgte. Im Vergleich der beiden Bruchflächen ist deutlich zuerkennen, dass die Verbindungen zwischen den benachbarten Strängen die Schwachstellen desFDM-Verfahrens sind. Der Bruch der Stränge erfolgte normal zur Strangrichtung und an derKontaktfläche zwischen den parallelen Strängen.

a) FDM Stränge 0°/90°zur Belastungsrichtung

F

F

F

F

b) FDM Stränge −45°/+45°zur Belastungsrichtung

Bild 1.6 Bruchflächen von FDM-Zugproben bei unterschiedlichen Belastungsrichtungen relativ zur Strang-richtung [Quelle: ETHZ pd|z]

Die Füllstrategien beim FDM zielen darauf, eine möglichst geringe Anisotropie zu erreichen. InAufbaurichtung lässt sich diese bedingt durch den schichtweisen Aufbau der Bauteile nicht ver-meiden. Innerhalb der Schichten wird die Fläche meist mit langen durchgehenden Strängengefüllt, deren Ausrichtung – ähnlich der Proben in Bild 1.6 – zwischen den Schichten variiert. EineAnpassung der Füllstrategie an die spätere Belastung des Bauteils ist auf kommerziellen Anlagennicht möglich. Bei diesen bietet die Software für die Datenvorbereitung nur Einstellungen, um denAbstand der Stränge zu erhöhen und durch einen reduzierten Füllgrad die Bauzeit zu verkürzen.Somit zielen diese Maschinen eher auf die schnelle Fertigung von Anschauungsobjekten als aufdie Herstellung von funktionalen Bauteilen für Endnutzer.

Fused Deposition Modelling 17

Page 18: Entwicklung und Konstruktion - Vogel-Fachbuch

1.3 Lasersintern

Beim (selektiven) Lasersintern (SLS, engl.: Selective Laser Sintering) werden Bauteile aus thermo-plastischem Kunststoff entsprechend dem in Bild 1.1 dargestellten Prozess in einem Pulverbettaufgebaut. Das Verfahren wurde Ende der 1970er-/Anfang der 1980er-Jahre entwickelt und inden folgenden Jahren kommerzialisiert. Da die grundlegenden SLS-Patente inzwischen abge-laufen sind, gibt es neben den beiden großen Anlagenherstellern 3D Systems und EOS eine Reihekleinerer Hersteller von SLS-Anlagen, die lokale Märkte bedienen oder als Startup Nischen er-schließen wollen.

Der prinzipielle Aufbau von Lasersinteranlagen ist in Bild 1.7 dargestellt. In industriellen SLS-Anlagen werden CO2-Laser als Strahlquelle eingesetzt, da die Wellenlänge dieser Laser gut zumAbsorptionsspektrum von Kunststoffen passt. Für das Lasersintern ist eine Laserleistung von 50Wausreichend. SLS-Anlagen für den semiprofessionellen Bereich verwenden teilweise Diodenlaser,da diese kostengünstiger sind und trotz der geringeren Leistung einen Sinterprozess erlauben.Von der Strahlquelle wird der Laser über Spiegel in die Prozesskammer geleitet. Diese ist mitStickstoff geflutet, um eine Oxidation des Pulvers zu verhindern. Die Steuerung der Temperatur istsehr wichtig für den Lasersinterprozess, daher sind verschiedene Heizelemente über die Pro-zesskammer verteilt. Die Oberfläche des Pulverbetts wird mit Infrarotstrahlern beheizt. In denWänden der Prozesskammer und teilweise auch im Pulvervorratsbehälter sind ebenfalls Heizele-mente angebracht.

Bewegung im Bauprozess

Laserstrahlquelle LaserstrahlOptik

Beschichter

Kunststoffpulvervorrat

Scannerspiegel

Heizstrahler

Pulverkuchen

aufgebautes Bauteil

Bauplattform

Schutzgasatmosphäre

Bild 1.7 Aufbau einer Anlage zum Lasersintern [Quelle: ETHZ pd|z]

Der SLS-Herstellungsprozess erfolgt in einem zyklischen Ablauf. Ein Beschichter holt aus einemvorgeheizten Pulverbehälter Kunststoffpulver und trägt dieses mit einer Klinge oder einer Walzeals dünne Schicht auf das Baufeld auf. Infrarotstrahler heizen das Pulver bis kurz unterhalb derSchmelztemperatur auf. Ein Laserstrahl bringt dann die erforderliche Energie ein, um das Pulvergezielt aufzuschmelzen. Nach dieser Belichtungwird die Bauplattformmit dem Pulverbett um eineSchichtdicke abgesenkt und eine neue Schicht aufgetragen. Das Pulver im Bauraum wird dabeiweiter über die Wände der Baukammer beheizt und erst nach Ende des Bauprozesses langsamabgekühlt. Durch die hohe Bauraumtemperatur verfestigt sich das Pulverbett zu einem brüchigenPulverkuchen.

18 Überblick über die additiven Fertigungsverfahren

Page 19: Entwicklung und Konstruktion - Vogel-Fachbuch

DEFINITIONLasersintern (SLS, engl.: Selective Laser Sintering): Pulverbettbasiertes Additives Ferti-gungsverfahren, bei dem Kunststoffpulverschichten mit einem Laserstrahl entsprechend deraktuellen Bauteilschicht aufgeschmolzen werden.

Die Kontrolle der Temperatur ist beim Lasersintern von entscheidender Bedeutung für die Stabilitätdes Fertigungsprozesses und die Qualität der Bauteile. Die Temperatur des Pulvers und der Bau-teile sollten sich oberhalb der Kristallisationstemperatur befinden, um Kristallisation und einendaraus folgenden Verzug zu verhindern. Dabei darf die Schmelztemperatur nicht überschrittenwerden, damit nur die jeweils aktuelle Schicht vom Laser aufgeschmolzen wird. Der Tempera-turbereich zwischen Kristallisation und Schmelzen wird als Sinterfenster bezeichnet und solltemöglichst groß sein, damit ein Kunststoff prozesssicher verarbeitet werden kann. Während derBelichtung mit dem Laserstrahl darf die Zersetzungstemperatur nicht überschritten werden, dasonst die Polymerketten zerstört werden.

Zu den engen thermischen Randbedingungen für den Kunststoff kommen Anforderungen andie Viskosität der Kunststoffschmelze, die für einen stabilen SLS-Prozess erfüllt sein müssen. Fürporenfreie Bauteile mit guten mechanischen Eigenschaften ist es wichtig, dass die Schmelze eineniedrige Viskosität hat und gut mit den umgebenden Partikeln zusammenfließt. Kunststoff-schmelzen sind keine newtonschen Fluide, sondern ihre Viskosität nimmtmit steigender Scherungab. Allerdings wird beim Lasersintern die Schmelze nicht geschert, da die Schmelze keinen Kräftenausgesetzt wird. Daher besteht die Anforderung an den Kunststoff, dass die Schmelze im unbe-lasteten Zustand eine möglichst niedrige Nullviskosität aufweist.

Diese thermischen und rheologischen Randbedingungen schränken die Auswahl anmöglichenKunststoffen für das Lasersintern erheblich ein. Die Gruppe der amorphen Thermoplaste istallgemein nicht geeignet, da bei diesen der Fließpunkt variabel ist und von den Verarbeitungs-bedingungen abhängt. Hinzu kommt, dass nach dem Schmelzen die Viskosität hoch ist und diePartikel nicht zusammenfließen, sondern nur Sinterhälse zu den benachbarten Partikeln ausbil-den. Die mechanischen Eigenschaften von so hergestellten Bauteilen sind entsprechend schlecht.Teilkristalline Thermoplaste sind besser geeignet, da der Phasenübergang von fest nach flüssigdirekt beim Erreichen der Schmelztemperatur erfolgt und die Schmelze dünnflüssiger ist.

Die überwiegende Mehrheit der Kunststoffpulver für den Lasersinterprozess sind Polyamide(Nylon). Mit Abstand am häufigsten wird PA12 verarbeitet. Neben dem PA12-Basispulver werdenauch Trockenmischungen mit verschiedenen Additiven und Füllstoffen kommerziell angeboten.Weitere SLS-Werkstoffe sind die Polyamide PA6 und PA11, Polypropylen (PP), Polystyrol (PS),Polyetherketon (PEEK) sowie einige wenige thermoplastische Elastomere.

Durch die hohen Temperaturen im Bauprozess verändert sich das Kunststoffpulver und esaltert. Einmal benutztes Pulver sollte daher nicht direkt für weitere Baujobs verwendet werden,sondern sollte mit neuem Pulver gemischt werden. Das am besten geeigneteMischungsverhältniszwischen Altpulver und Neupulver hängt ab vom verwendeten Kunststoff und den Qualitätsan-sprüchen an die Bauteile. Für PA12 empfiehlt ein Hersteller ein Mischungsverhältnis von 50:50,während PEEK-Pulver nach dem Bauprozess nicht wiederverwendet werden kann. Die Verwen-dung von Pulver mit einem zu hohen Altpulveranteil führt zu Bauteilen mit schlechter Oberflä-chenqualität. Durch die Alterung steigt die Schmelzviskosität, die Fließfähigkeit der Schmelzenimmt ab und auf den Bauteilen zeigt sich eine sogenannte Orangenhaut (vgl. Kapitel 4). Dieausschließliche Verwendung von Neupulver liefert zwar eine gute Bauteilqualität, ist allerdingswirtschaftlich nicht sinnvoll. Auch bei guter Auslastung des Bauraums wird nur ein geringerProzentsatz des Pulvers in der Maschine zu Bauteilen verarbeitet. Ohne eine Wiederverwendung

Lasersintern 19

Page 20: Entwicklung und Konstruktion - Vogel-Fachbuch

des Pulvers wären SLS-Bauteile unverhältnismäßig teuer. Die große Preisspanne zwischen unter-schiedlichen SLS-Dienstleistern ergibt sich unter anderem aus dem Pulvermischungsverhältnis wieauch der aktuellen Ausnutzung des Bauraums (vgl. Kapitel 5). So mag ein Dienstleister vielleicht inder Lage sein, das angefragte Bauteil noch in einer Lücke zwischen anderen Bauteilen zu plat-zieren, während ein anderer hierfür die Aufbauhöhe des Baujobs erhöhen muss und dadurchmehr Pulver verbraucht.

Die Möglichkeit, Bauteile im Bauraum übereinander zu platzieren oder ineinander zu ver-schachteln, ist ein Vorteil des Lasersinterns gegenüber anderen additiven Fertigungsverfahren fürKunststoffe, wie beispielsweise dem Fused Deposition Modelling. Durch die hohe Bauraumtem-peratur beim SLS-Verfahren altert nicht nur das Pulver, sondern die Partikel verbacken auchmiteinander. Aus dem anfangs fließfähigen Pulver wird ein fester Pulverkuchen, der die Bauteilestützt und während des Bauprozesses fixiert. Stützstrukturen wie beim Fused Deposition Mo-delling sind daher nicht erforderlich. Dass das Pulver im Lasersinterprozess verbackt, hat allerdingsauch einen Nachteil. Die Bauteile können nach dem Bauprozess und dem Abkühlen des Pulver-kuchens nicht einfach aus dem Pulver entnommen werden, sondern das anhaftende Pulver mussmit einer Bürste mechanisch entfernt werden. Insbesondere bei komplexen Oberflächen undinnenliegenden Strukturen, wie Hohlräumen und Kanälen, kann die Pulverentfernung sehrarbeitsintensiv sein.

1.4 Laserschmelzen

(Selektives) Laserschmelzen (SLM, engl.: Selective Laser Melting) ist ein pulverbettbasiertes Ver-fahren, bei dem ein Metallpulver schichtweise aufgetragen und entsprechend der aktuellenBauteilschicht mit einem Laserstrahl aufgeschmolzen wird. Der Prozessablauf folgt dabei derDarstellung in Bild 1.1. Er ähnelt dem Lasersintern und ist historisch aus diesem hervorgegangen.Erste Versuche, Metallbauteile schichtweise herzustellen, erfolgten auf Lasersintermaschinen. Dadie Laserleistung dieser Maschinen nicht ausreichte, um beispielsweise ein Stahlpulver vollständigaufzuschmelzen, und Laser mit höherer Leistung noch sehr teuer waren, wurden mehrkompo-nentige Pulver aus einem Werkstoff mit niedrigem Schmelzpunkt und einem Werkstoff mithöherer Festigkeit verwendet. Ein niedrigschmelzender Werkstoff, wie beispielsweise Bronze-pulver, diente dabei als Binder und gab den Bauteilen die nötige Stabilität für die nachfolgendenProzessschritte, bei denen die Festigkeit weiter erhöht wurde. Ab Ende der 1990er-Jahre warendie Kosten von Laserstrahlquellen so weit gesunken, dass erste Systeme entwickelt wurden, dieauch einkomponentige Metallpulver verarbeiten konnten. Die Energie des Laserstrahls reicht aus,um das Pulver im Laserfokus vollständig aufzuschmelzen.

Für den Prozess des Laserschmelzens finden sich eine ganze Reihe anderer Bezeichnungen inder Literatur, unter anderem (Selektives) Laserstrahlschmelzen, Direktes Metall-Lasersintern(DMLS, engl.: Direct Metal Laser Sintering; Markenname der Firma EOS), LaserCusing (Marken-name der Firma Concept Laser), Laser Forming (Markenname der Firma Trumpf), Selective LaserMelting (verwendet von den Firmen SLM Solutions und Realizer) und Lasergenerieren. Aufgrundseiner Historie wird das Verfahren zur Herstellung von Metallteilen in einem Pulverbett mit einemLaserstrahl in frühen Veröffentlichungen auch Lasersintern genannt, da die Laserleistung nichtausreichte, um das Pulver vollständig aufzuschmelzen. Stattdessen wurde die Oberfläche nurangeschmolzen und durch die Oberflächenspannung der Schmelze bildeten sich Verbindungs-brücken zwischen den Partikeln, die unter dem Mikroskop aussahen wie die Sinterhälse inKeramiken.

20 Überblick über die additiven Fertigungsverfahren

Page 21: Entwicklung und Konstruktion - Vogel-Fachbuch

DEFINITIONLaserschmelzen (SLM, engl.: Selective Laser Melting): Pulverbettbasiertes additives Ferti-gungsverfahren, bei dem Metallpulverschichten mit einem Laserstrahl entsprechend der ak-tuellen Bauteilschicht verschweißt werden.

Technisch gesehen ist das heutige Laserschmelzen ein Laserschweißprozess. Bild 1.8 zeigt denAufbau einer Anlage zum Laserschmelzen. In der Prozesskammer befindet sich die Bauplattformmitder Bauplatte, die während des Prozesses schrittweise jeweils um eine Schichtdicke nach untenverfahren wird. Die Abmessungen der Bauplattform und der maximale Verfahrweg abzüglichder Bauplattendicke definieren den verfügbaren Bauraum einer Maschine. Bei einigen Anlagen-modellen wird der Bauraummit einer Heizung unter der Bauplatte beheizt. Ein Beschichter holt sichaus dem Pulvervorrat eine definierte Menge Pulver und trägt damit eine neue Pulverschicht auf.Überschüssiges Pulver wird im Pulverüberlauf gesammelt. Der Fertigungsprozess läuft immer auf derEbene des Beschichters ab, da hier der Laserstrahl auf die oberste Schicht des Pulverbetts trifft. DieProzesskammer über dem Pulverbett ist während des Fertigungsprozesses mit einem Schutzgas –meistens Stickstoff oder Argon – geflutet, da das Metallpulver aufgrund seiner großen Oberflächeentzündlich ist. Der Restsauerstoffgehalt in der Prozesskammer wird mit Sensoren überwacht undsollte deutlich unter 1% liegen. Düsen leiten das Schutzgas in die Prozesskammer und eine defi-nierte Schutzgasströmung transportiert Schmauch und Schmelzspritzer aus der Bearbeitungszonedes Lasers ab und schützt so dieOptik. Das Schutzgaswird in einemKreislauf aus der Prozesskammerdurch einen Filter geleitet und strömt dann durch die erwähnten Düsen zurück in die Kammer.

Über der Prozesskammer befindet sich die optische Bank. Der Laserstrahl wird hier geformt undmit einem Scanner über die Prozessebene gelenkt. In dem Scanner befinden sich zwei Spiegel, diemit Galvanometern geschwenktwerden und so den Laserstrahl sehr schnell über die Prozessebenebewegen. Die Fokussiereinrichtung stellt sicher, dass sich der Laserfokus immer auf Höhe desPulverbetts befindet. Der Abstand zwischen Scanner und Bearbeitungszone ändert sich je nach-dem, ob der Laserstrahl auf die Mitte der Prozessebene oder an den Rand gerichtet wird. Anlagenmit einem kleinen bis mittleren Bauraum verwenden hier eine F-Theta-Linse, während bei großenBauräumen der Laserfokus häufig mit einer Vario-Optik verschoben wird. In der optischen Banksind auch Sensoren zur Qualitätssicherung untergebracht, die die Laserleistung überwachen bzw.Leuchtintensität und Form des Schmelzpools messen können. Der Laserstrahl wird in der Strahl-quelle erzeugt. Üblich sind Nd:YAG-Laser mit einer Wellenlänge von 1064 nm und einer Laser-leistung von 200 W bis 1000 W. Bei Fertigungsanlagen mit mehreren Lasern sind die optischenKomponenten mehrfach vorhanden.

Wo der Laserstrahl auf die Oberfläche des Pulverbetts trifft, bildet sich ein kleiner Bereich, in demdas Pulver vollständig aufschmilzt. Am Grund dieses Schmelzpools wird auch die darunterliegendeSchicht angeschmolzen und so eine gute Verbindung zwischen den Schichten der Dicke s sicher-gestellt. Der Scanner bewegt den Laser über das Pulverbett und erzeugt eine durchgehendeSchweißraupe. Diewichtigsten Parameter für einen stabilen Prozess sind die Laserleistung PL und dieScangeschwindigkeit vs des Laserfokus auf dem Pulverbett bzw. die eingebrachte Streckenenergie

ES ¼ PL=vs s (Gl. 1.1)

Übliche Scangeschwindigkeiten bei der Verarbeitung von Stahl-, Aluminium- oder Titanlegie-rungen in Maschinen mit einem 200-W-Laser sind 600 mm/s bis 800 mm/s. Entsprechend kurz

Laserschmelzen 21

Page 22: Entwicklung und Konstruktion - Vogel-Fachbuch

Bewegung im Bauprozess

Laserstrahlquelle LaserstrahlOptik

Beschichter

Metallpulvervorrat

Scannerspiegel

Stützstruktur

aufgebautes Bauteil

Bauplatte

Bauplattform

Schutzgasatmosphäre

Pulverbett

Bild 1.8 Aufbau einer Anlage zum Laserschmelzen [Quelle: ETHZ pd|z]

ist die Zeit, in der das Pulver aufgeschmolzen wird und wieder erstarrt. Durch die Oberflächen-spannung der Schmelze zieht sich diese zusammen. Damit dies keine negativen Auswirkungen aufdie Prozessstabilität und die Festigkeit der Bauteile hat, sollte sich die erstarrte Schmelze anbestehende feste Strukturen anlegen können. Bei einer einzelnen Schmelzspur zieht sich dieSchmelze, wie in Bild 1.9 gezeigt, zusammen. Dies kann dazu führen, dass sie nach oben aus demumgebenden Pulverbett herausragt. Um den Schmelzpool zu stabilisieren und diese Spurüber-höhung zu verhindern, werden nachfolgende Spurenmit einem leichten Überlapp platziert, damitsich die neue Schmelzspur an bereits erstarrte Spuren anlegen kann.

Laserstrahl

Schmelze

Pulverschicht

vorherige Schicht

erstarrteSchmelzspur

a) einzelneSchmelzspur

b) Belichtungder zweitenSchmelzspur

c) Belichtungder n-tenSchmelzspur

Bild 1.9 Stabilisierung der Schmelze durch Anlegen an bereits erstarrte Schmelzspuren[Quelle: KLAHN 2015 nach YADROITSEV, SMUROV 2011]

Beim Laserschmelzen wird, anders als beim Lasersintern, nahezu die gesamte Energieüber den Laserstrahl in die Bearbeitungszone eingebracht. Dies führt zu starken Tempera-turunterschieden auf kleinstem Raum. Durch die beiden im Folgenden beschriebenen Mecha-nismen können thermische Eigenspannungen im Bauteil entstehen und zu einem Verzugführen.

Der Temperatur-Gradienten-Mechanismus tritt bei lokaler Energieeinbringung auf und ist inBild 1.10 skizziert. Durch den Laserstrahl erwärmt sich der Werkstoff und dehnt sich lokal aus.Dies erzeugt Druckspannungen im umgebenden Material. In der Wärmeeinflusszone reduziertsich durch die hohe Temperatur die Fließspannung und die entstandenen Spannungen werden

22 Überblick über die additiven Fertigungsverfahren

Page 23: Entwicklung und Konstruktion - Vogel-Fachbuch

teilweise durch plastische Verformung abgebaut. Wenn sich nun das Material wieder abkühlt,zieht es sich zusammen und es entstehen Zugspannungen, die das Bauteil in Aufbaurichtungverziehen.

plastischeVerformung

Z

X

Laserstrahl

Abkühlung

σDruck σZug

Bild 1.10 Bauteilverzug durch den Temperatur-Gradienten-Mechanismus[Quelle: MUNSCH 2013 nach VOLLERTSEN 1996]

Auch abkühlungsbedingtes Schrumpfen kann zu einem Verzug des Bauteils in Aufbaurichtungführen. Bild 1.11 zeigt diesen Mechanismus anhand der Gegenüberstellung von Bauteilschichtenmit und ohne feste Verbindung. Der bereits gefertigte Teil eines Bauteils hat in etwa die Tem-peratur des Bauraums. Beim Fertigen der nächsten Schicht wird das Pulver entsprechend deraktuellen Bauteilschicht mit dem Laserstrahl aufgeschmolzen. Hat diese neue Schicht keine Ver-bindung zum bestehenden Bauteil, kann sie beim Abkühlen ungehindert schrumpfen. Da dieSchichten beim Laserschmelzen miteinander verbunden sind, behindert das bereits gefertigteBauteil das Schrumpfen und es entstehen Zug- und Druckspannungen, die zu einem Verzug inAufbaurichtung führen.

kein fester SchichtverbundSchicht n+1

Schicht n

Abkühlung aufTemperatur T

Tn+1Tn+1>Tn

Tn

Tn+1

Tn

fester Schichtverbund

Z

X

σ= 0σ> 0

σ< 0

Bild 1.11 Bauteilverzug durch das Abkühlen der Schichten [Quelle: MUNSCH 2013 nach MEINERS 1999]

Beide Mechanismen sind von den thermischen und mechanischen Eigenschaften des Werk-stoffs abhängig. Es gibt Werkstoffe, die weniger verzugsanfällig sind (z. B. Aluminiumlegierun-gen), und anspruchsvollereWerkstoffe (z. B. Titanlegierungen), bei denen besonderes Augenmerkauf die Eigenspannungen gerichtet werden sollte.

Laserschmelzen 23

Page 24: Entwicklung und Konstruktion - Vogel-Fachbuch

Eigenspannungen können bereits während des Bauprozesses zu einer Verformung des Bauteilsführen und dadurch Prozessabbrüche provozieren. Es ist deshalb ausgesprochen wichtig, dieBauteile während der Fertigung durch eine Anbindung an die Bauplattform zu fixieren. Diesgeschieht mit Supportstrukturen, die im Prozess als Gitter gemeinsam mit dem Bauteil aufgebautwerden. Sie verbinden überhängende Bauteilbereiche mit der Bauplatte und verhindern dadurcheinen Verzug in Aufbaurichtung. Nach demBauprozess wird die Plattemit demgefertigten Bauteileiner Wärmebehandlung unterzogen, um die Eigenspannungen abzubauen. Erst nach demSpannungsarmglühen kann das Bauteil ohne Verformung von der Platte getrennt werden. Bild1.12 zeigt ein Musterbauteil aus dem Edelstahl 1.4404 mit verschiedenen Überhängen. Bei demflachen Überhang war der Support nicht ausreichend und ist an der markierten Stelle durch dieEigenspannungen gebrochen. Die überhängendeWand hat sich in Aufbaurichtung verzogen (vgl.Kapitel 8). Die Unterseite des Bauteils hat sich von dem Support zur Bauplatte gelöst und inAufbaurichtung verzogen.

Ein weiterer Grund für den Einsatz von Supportstrukturen ist die hohe Fließfähigkeit des Me-tallpulvers, durch die ein Bauteil ohne feste Verbindung zur Bauplatte leicht im Pulverbett versinktoder beim Auftragen einer neuen Pulverschicht verschoben wird.

Bild 1.12 Überhängende Wände mit Supportstrukturen, die teilweise versagt haben [Quelle: ETHZ pd|z]

Für einen stabilen Bauprozess und einen geringen Verzug der Bauteile ist es wichtig, dieBildung thermischer Eigenspannungen bereits während des Bauprozesses zu reduzieren. Einewesentliche Maßnahme ist es, die zugeführte Energie gleichmäßiger in das Bauteil einzubringen.Ähnlich dem schrittweisen Schweißen von langen Schweißnähten an großen Bauteilen, wird diezu belichtende Fläche in viele kurze Scanvektoren aufgeteilt. Die empfohlene Anordnung derScanvektoren unterscheidet sich dabei je nach Anlagenhersteller. Im Allgemeinen wird eineBelichtung mit durchgehenden Scanvektoren, wie in Bild 1.13a dargestellt, nicht empfohlen, dadie sehr langen Schmelzspuren zu hohen Spannungen entlang der Bahnen führen. Stattdessenwird die zu belichtende Fläche in Streifen (Bild 1.13b) oder Rechtecke im Schachbrettmuster (Bild1.13c) unterteilt, die dann mit Vektoren gleicher Länge gefüllt werden. Die Belichtung derSchachbrettfelder kann in einer zufälligen Reihenfolge geschehen, um die Energie noch weiterverteilt in das Bauteil einzubringen. Für eine bessere Oberflächenqualität wird noch eine

24 Überblick über die additiven Fertigungsverfahren

Page 25: Entwicklung und Konstruktion - Vogel-Fachbuch

durchgehende Schmelzspur um den Rand der belichteten Fläche aufgeschmolzen. Diese Kon-turfahrt deckt die Anfänge und Enden der Schmelzspuren der Flächenschraffur ab und kann mitanderen Prozessparametern erfolgen, damit weniger Pulverpartikel an der Bauteiloberflächeanhaften.

Das Belichtungsmuster der Schichten wird variiert, um gleichmäßigere Materialeigenschaf-ten in allen Raumrichtungen zu erreichen. Außerdem besteht an den Anfangs- und Endpunk-ten der Schmelzspuren ein erhöhtes Risiko für Fehlstellen. Durch die Variation des Musters wirderreicht, dass die Fehlstellen nicht gehäuft in einer Bauteilregion auftreten und Poren beimAufschmelzen der nachfolgenden Schicht geschlossen werden. Bild 1.14 zeigt solch eine Va-riation des Belichtungsmusters am Beispiel eines Schachtbrettmusters, bei dem die Position derFelder verschoben wird und zusätzlich die Richtung der Schraffur in den Feldern um 90° gedrehtwird.

Mit den vorgestellten Belichtungsstrategien wird eine relative Bauteildichte von über 99%erreicht, bezogen auf eine porenfreie Probe aus dem gleichen Material. Die thermischen Eigen-spannungenwerden durch eine geeignete Belichtungsstrategie zwar reduziert, können allerdingsnicht vollständig vermieden werden.

Scanvektoren derFlächenschraffur

a) durchgehende Belichtung b) Streifen c) Schachbrett

Scanvektor derKonturfahrt

Bild 1.13 Unterschiedliche Belichtungsmuster zum Füllen einer Schicht mit Schmelzspuren[Quelle: KLAHN 2015]

Schicht n+1

Schicht n

x

y

Baurichtung z

Bild 1.14 Variation des Belichtungsmusters zwischen zwei Schichten [Quelle: KLAHN 2015]

Laserschmelzen 25

Page 26: Entwicklung und Konstruktion - Vogel-Fachbuch

Bei vielen Laserschmelzanlagen bieten die Hersteller als Option eine Bauraumheizung an. Beiden entsprechenden Modellen sind unter der Bauplatte und teilweise auch in den Wänden desBauraums elektrische Heizungen eingebaut. Diese heizen das Bauteil und das Pulverbett bei denmeisten Anlagen auf 200 °C bis 250 °C und reduzieren so den Temperaturunterschied zwischender Bearbeitungszone und dem restlichen Bauteil. Durch den geringeren Temperaturgradientenentstehen auch weniger Eigenspannungen. Ein Hersteller von SLM-Maschinen bot bereits Bau-raumheizungen bis 500 °C an, verfolgte diese Technologie aber zunächst nicht weiter. Nach demWiedereinstieg in den Markt ist nun wieder eine 500°C-Bauraumheizung angekündigt. DerVorteil einer solch hohen Bauraumtemperatur ist, dass die Bauteile bereits im Prozess span-nungsarm geglüht werden. Damit kann nicht nur die Entstehung von Eigenspannungen redu-ziert, sondern diese auch abgebaut werden. Die Nachteile liegen in einem deutlich erhöhtenAufwand bei der Anlagenentwicklung, da die Maschine über einen großen Temperaturbe-reich gasdicht sein muss, sowie in längeren Rüstzeiten für das Aufheizen und Abkühlen derProzesskammer.

26 Überblick über die additiven Fertigungsverfahren

Page 27: Entwicklung und Konstruktion - Vogel-Fachbuch

2 Integration additiver Fertigungsverfahrenin die Produktion

Bei der Herstellung von Produkten sind additive Fertigungsverfahren häufig nur ein Produk-tionsschritt in einer längeren Prozesskette. Dabei kann entweder eine Teilgeometrie additivgefertigt und gemeinsam mit vor- und nachgelagerten Prozessen zum finalen Bauteil bearbeitetwerden, oder das additiv gefertigte Bauteil ist als Fertigungsmittel indirekt an der Produktent-stehung beteiligt. In diesem Kapitel werden bekannte Verfahrenskombinationen vorgestellt.

2.1 Direkte Integration der Additiven Fertigung in dieProzesskette

Bei einer direkten Integration von AM-Bauteilen ist das additiv gefertigte Bauteil Bestandteil desfinalen Produkts. In Bild 2.1 ist eine vereinfachte Prozesskette zur direkten Herstellung von Pro-dukten skizziert.

CAD-Modell Additive Fertigung

AA T

LieferungNachbearbeitungz.B. Gewinde schneiden,Passungen herstellen

Bild 2.1 Prozesskette zur direkten Herstellung von Bauteilen mittels Additiver Fertigung [Quelle: ETHZ pd|z]

Im einfachsten Fall einer direkten Integration wird das Bauteil additiv gefertigt, an den erfor-derlichen Stellen konventionell nachbearbeitet und ist dann fertig. In einer solchen Prozesskette istdas additiv gefertigte Bauteil vergleichbarmit einemGussrohling, der ebenfalls häufig nochweiterbearbeitet wird. Der Konstrukteur kann die Nachbearbeitung erleichtern, indem er beispielsweiseSpannflächen und Referenzpunkte in das Bauteildesign einbringt. Auch sollte er das Aufmaß fürdie Nachbearbeitung möglichst gering halten, indem er beispielsweise bei Gewinden bereits dasKernloch in der AM-Konstruktion vorsieht, so dass bei der Nachbearbeitung nur noch derGewindeschneider zum Einsatz kommen muss.

Bei Verfahren, bei denen das Bauteil auf eine Bauplattform aufgebaut wird, kann diese für eineleichtere Nachbearbeitung genutzt werden. So entfällt beispielsweise die Notwendigkeit vonaufwendigen Spannhilfen, wenn das Bauteil erst nach der Zerspanung von der Bauplatte getrenntwird, da diese sehr einfach in einer Werkzeugmaschine befestigt werden kann. Befinden sichmehrere Bauteile auf der Bauplatte, können diese nacheinander in einer Aufspannung bearbeitetwerden, was die Rüstzeiten deutlich reduziert. Um dieses Vorgehen zu ermöglichen, muss dieNachbearbeitung bereits in der Konstruktion berücksichtigt werden.

Konventionelle Verfahren können nicht nur bei der Nachbearbeitung additiv gefertigter Bau-teile zum Einsatz kommen, sondern auch für die Herstellung von Halbzeugen, auf die dann ein

27

Page 28: Entwicklung und Konstruktion - Vogel-Fachbuch

additiver Bereich aufgebaut wird. Das bekannteste Beispiel hierfür sind sogenannte hybrideWerkzeugeinsätze für Spritzgussformen. Bei diesen wird nicht der komplette Werkzeugeinsatzadditiv hergestellt, sondern nur der Bereich mit der komplexen Werkzeugoberfläche mit einerdarunter liegenden konturnahen Kühlung wird mittels Laserschmelzen auf ein vorgefertigtesFrästeil aufgebaut. Bild 2.2 zeigt einen hybriden Werkzeugeinsatz im CAD-Modell und als Bauteilvor der Nachbearbeitung. In diesem Beispiel werden im Vergleich mit einem komplett additivgefertigten Einsatz Produktionskosten eingespart, da ein Großteil des Bauteilvolumens mitgünstigen konventionellen Prozessen hergestellt wird, während das vergleichsweise teure SLM-Verfahren nur für komplexe Bereiche eingesetzt wird, die konventionell nicht herstellbar wären.Ein anderer Grund für hybride Bauteile ist die Möglichkeit, unterschiedliche Werkstoffe mitein-ander zu kombinieren. Hierbei ist jedoch zu beachten, ob sich die beiden Werkstoffe miteinanderverschweißen lassen.

a) Schnitt durch das CAD-Modell

SLMgefertigterBereich

konventionellgefertigterRohling

b) Bauteil vor der Endbearbeitung

Bild 2.2 Hybrider Werkzeugeinsatz aus konventionellem Grundkörper und laseradditivem Bereich[Quelle: ETHZ pd|z]

Neben dem Einsatz von anderen Prozessen vor und nach der Additiven Fertigung ist es auchmöglich, andere Komponenten während des Bauprozesses in das Bauteil einzubringen. DerBauprozess kann an einer definierten Schicht unterbrochen werden, um andere Bauteile, Sen-soren oder RFID-Chips in eine Öffnung zu legen, die dann beim Fortsetzen des Baujobs von denfolgenden Schichten verschlossen wird.

2.2 Indirekte Integration der Additiven Fertigungin die Prozesskette

In einer Fertigungsprozesskette können additive Verfahren nicht nur zur direkten Herstellung vonBauteilen eingesetzt werden. Es ist ebenfalls möglich, Fertigungsmittel und Formen herzustellen,die für die konventionelle Herstellung der Bauteile erforderlich sind, wie in Bild 2.3 skizziert. Einederartige Kombination von Verfahren nutzt Vorteile der Additiven Fertigung, ohne dass großeÄnderungen in einer bestehenden Prozesskette notwendig sind.

Bei Urformverfahren haben sich die additiven Fertigungsverfahren bereits in verschie-denen Einsatzmöglichkeiten bewährt. Bereits seit Anfang der 2000er-Jahre werden mit dem

28 Integration additiver Fertigungsverfahren in die Produktion

Page 29: Entwicklung und Konstruktion - Vogel-Fachbuch

CAD-Modell Additive Fertigung Nutzung in einemkonventionellenFertigungsprozessz.B als Gussform

Nachbearbeitungz.B. Gewinde schneiden,Passungen herstellen

Lieferung

AA T

Bild 2.3 Prozesskette mit indirekter Beteiligung der Additiven Fertigung [Quelle: ETHZ pd|z]

SLM-Verfahren Werkzeugeinsätze aus Werkzeugstahl hergestellt. Aus der Perspektive desSpritzgießers ist dies eine indirekte Integration der Additiven Fertigung in die Kunststoffver-arbeitung. Die Gestaltungsfreiheit des Verfahrens wird hierbei genutzt, um durch konturnaheKühlkanäle eine bessere und gleichmäßigere Wärmeabfuhr aus dem eingespritzten Kunststoff zuerreichen. Dadurch reduziert sich die Zykluszeit, und Qualitätsprobleme wie Verzug und Glanz-unterschiede werden verhindert. Dies ist vor allem bei Werkzeugen für sehr große Stückzahlenoder bei einer sehr komplexen Form des produzierten Kunststoffartikels erforderlich, die ander-weitig nicht ausreichend gleichmäßig gekühlt werden kann. Als Werkstoff ist hier der Werk-zeugstahl 1.2709 weit verbreitet, da sich dieser gut im SLM-Prozess verarbeiten lässt und eineausreichende Härte und Festigkeit für Kunststoffspritzguss- und Metalldruckgusswerkzeugeaufweist. Die Gestaltungsfreiheit des SLM-Verfahrens kann vor allem im Inneren eines Werk-zeugeinsatzes für konturnahe Kühlkanäle, Entlüftungsstrukturen und Druckluftauswerfer genutztwerden. Die Gestaltung der Oberfläche der Werkzeugeinsätze ist dabei durch die Grenzen derkonventionellen Endbearbeitung eingeschränkt, da die Rauheit von unbearbeiteten SLM-Bau-teilen zu hoch für eine zuverlässige Entformung der produzierten Artikel ist.

Neben der Herstellung von Dauerformen aus Metall können für den Spritzguss auch Pro-totypenwerkzeuge verwendet werden, die nur eine begrenzte Anzahl an Formfüllungenüberstehen. Im Vergleich zur direkten Additiven Fertigung der Prototypen erlauben die Pro-totypenwerkzeuge die Verwendung desjenigen Kunststoffs, der auch für die spätere Serievorgesehen ist.

Ein weiteres Anwendungsgebiet der Additiven Fertigung ist die Herstellung von verlorenenFormen für den Sandguss durch das Binder-Jetting-Verfahren.

DEFINITIONBinder Jetting (BJ): Pulverbettbasiertes additives Fertigungsverfahren, bei dem ein Pulver (Me-tall, Kunststoff oder Keramik) entsprechend der aktuellen Bauteilschicht mit einem Binderverklebt wird.

Beim Binder Jetting wird Klebstoff schichtweise in ein Pulverbett gedrückt. Durch die AdditiveFertigung der Sandform entfällt die Herstellung eines Modells. Auch muss beim Design keineRücksicht auf die Entformbarkeit der Sandform aus dem Modell genommen werden.

Zur Fertigung von Modellen für die Herstellung von Gussformen existiert bereits eine ganzeReihe von Verfahren und Werkstoffen. Speziell für diese Anwendung entwickelt wurdenWachsdrucker zur Herstellung von verlorenenModellen für den Feinguss. Für die Verarbeitung imLasersinter-Verfahren sind Polystyrol-Pulver erhältlich, die sich nach dem Bau der Form gut aus-brennen lassen.

Indirekte Integration der Additiven Fertigung in die Prozesskette 29

Page 30: Entwicklung und Konstruktion - Vogel-Fachbuch

Für die Herstellung von Keramikbauteilen kann sowohl die Form zum Pressen eines Grünlingsadditiv gefertigt werden als auch der Grünling selber. Die Grünlingerstellung erfolgt entwedermittels Binder Jetting aus Keramikpulver und Klebstoff oder mittels Stereolithografie aus einemSchlicker, der Photopolymer- und Keramikpartikel enthält. Der Grünling wird anschließend ineinem Ofen gesintert. Dabei verbrennt der enthaltene Kunststoff.

Auch bei Umformverfahren können additive Werkzeuge zum Einsatz kommen. Bei derBlechbearbeitung sind diese aus Stahl und verbessern durch eine integrierte Kühlung undSchmierung den Umformprozess. Für die Verarbeitung von Kunststofffolien und -platten imTiefziehprozess genügen bei kleinen Stückzahlen Kunststoffformen. Solche Kunststoffformenwerden beispielsweise für die Herstellung der in Abschnitt 9.3 vorgestellten Zahnspangen ver-wendet.

Durch die Kombination von Additiver Fertigung und langfaserverstärkten Kunststoffen bietensich vielfältige Möglichkeiten im Leichtbau. Die Stärken der Additiven Fertigung liegen in derFreiheit für eine hohe geometrische Komplexität der Bauteile und der dadurch gegebenenMöglichkeit der Funktionsintegration. Der Vorteil von faserverstärkten Kunststoffen liegt in denguten Verhältnissen von Festigkeit und Steifigkeit zu Dichte. Diese sind bei faserverstärktenKunststoffen in Faserrichtung deutlich besser als bei AM-Leichtbauwerkstoffen aus Metall oderKunststoff.

Die kombinierten Stärken von Additiver Fertigung bei der Bauteilkomplexität und der Mög-lichkeit, die Anisotropie der Faserverstärkung an der Belastungsrichtung auszurichten, erlaubendeutlich leichtere und steifere Bauteile, in die noch weitere Funktionen integriert werden können.Additiv gefertigte Bauteile können hierbei verschiedene Funktionen übernehmen. Als Lasteinlei-tungselemente nehmen die additiven Elemente mehrachsige Lastfälle auf und leiten die Kräfte indie Fasern. Somit werden die weitgehend isotropen AM-Bauteile dort eingesetzt, womehrachsigeBelastungen vorliegen, wogegen faserverstärkte Kunststoffe mit gerichteter Anisotropie in Be-reichen eingesetzt werden, in denen die Belastungen in wenigen definierten Richtungen vorlie-gen. Bild 2.4 zeigt dies am Beispiel eines Roboterbeins. Die Aufnahme des Kniegelenks und desFußes sind mit dem SLM-Verfahren ausMetall gefertigt, und der axial belastete Schaft besteht auskohlefaserverstärktem Kunststoff (CFK).

Bei dem abgebildeten Roboterbein kam noch eine weitere Kombination von AM und faser-verstärktem Kunststoff zur Anwendung. Die Form für die Herstellung des CFK-Teils wurde additivhergestellt. Das imprägnierte Kohlefasergewebe wurde um einen additiv gefertigten Kern gelegtund imAutoklaven ausgehärtet. Ob der Kern anschließend im Bauteil verbleibt oder entfernt wird,hängt von der jeweiligen Anwendung ab. Als Teil eines Sandwichbauteils überträgt ein additiverKern Kräfte zwischen den Deckschichten aus Faserverbundwerkstoffen. Wenn der Kern entferntwerden soll, bieten sichWerkstoffe und Fertigungsverfahren an, bei denen sich der Kern hinterhermit Wasser oder Chemikalien auflösen lässt, ohne das Bauteil zu schädigen. Mögliche Verfahrensind Binder Jetting mit einem wasserlöslichen Kleber oder Fused Deposition Modelling von ABS-Kunststoff, der sich mit Aceton auflösen lässt.

30 Integration additiver Fertigungsverfahren in die Produktion