ENTWICKLUNGSPOLITIK ALS INTER- NATIONALE ...lem die mächtigen – Mitgliedstaaten sie machen. Und...

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ENTWICKLUNGSPOLITIK ALS INTER- NATIONALE STRUKTURPOLITIK Dokumentation des Ersten Entwicklungspolitischen Forums der Heinrich-Böll-Stiftung am 19./20. Mai 2000 in Berlin Hrsg. von der Heinrich-Böll-Stiftung

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  • ENTWICKLUNGSPOLITIK ALS INTER-NATIONALE STRUKTURPOLITIK

    Dokumentation des Ersten Entwicklungspolitischen Forumsder Heinrich-Böll-Stiftung am 19./20. Mai 2000 in Berlin

    Hrsg. von der Heinrich-Böll-Stiftung

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    Dokumentationen der Heinrich-Böll-Stiftung, Nr. 14:Entwicklungspolitik als internationale Strukturpolitik. Dokumentation des Ersten Entwick-lungspolitischen Forums der Heinrich-Böll-Stiftung am 19./20. Mai 2000Herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung

    1. Auflage, Mai 2001© bei der Heinrich-Böll-StiftungAlle Rechte vorbehalten

    Die vorliegenden Beiträge müssen nicht die Meinung der Herausgeberin wiedergeben.

    Bestelladresse:Heinrich-Böll-Stiftung, Hackesche Höfe, Rosenthaler Str. 40/41, 10178 Berlin,Tel. 030-285340, Fax: 030-28534109, E-mail: [email protected] Internet: www.boell.de

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    INHALT

    Vorwort 5

    Uschi EidEntwicklungspolitik als Internationale Strukturpolitik 7

    NORMATIVE ANFORDERUNGEN AN ENTWICKLUNGSPOLITIK

    Martin Wolpold-BosienWirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte als Herausforderungfür die Entwicklungszusammenarbeit 16

    Christa WichterichGendered Governance, Demokratie und globale Gerechtigkeit:die feministische Einmischung in nachhaltige Entwicklung 23

    ENTWICKLUNGSPOLITIK UND INTERNATIONALE STRUKTURPOLITIK

    Dirk MessnerGlobalisierung gestalten: Neue Anforderungen an die Entwicklungs-und Außenpolitik 30

    Uta RuppertNicht visionär, aber passabel: Globale Strukturpolitik als Handlungsrahmenfür Entwicklungspolitik 39

    DIE ZUKUNFT DER ENTWICKLUNGSFINANZIERUNG

    Stefan SchönbergThesen zur Zukunft der Entwicklungsfinanzierung 47

    Jens MartensMöglichkeiten und Probleme in der Zukunft der Entwicklungsfinanzierung 52

    Hans-Peter SchipulleDie Zukunft der Entwicklungsfinanzierung und die Int. Entwicklungspolitik 65

    Barbara UnmüßigReformwind aus Washington? Die zukünftige Rolle des IWF 70

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    Nicola Bullard„Enough is enough“ – International Finance Needs Drastic Reform 75

    Christine ScheelAuswirkungen der Reformdiskussion auf den IWF und die Weltbank 82

    FRIEDEN UND SICHERHEIT

    Brigitte FahrenhorstKonfliktbearbeitung und Entwicklungszusammenarbeit 88

    Angelika BeerFrieden und Sicherheit. Möglichkeiten nichtmilitärischer Konfliktpräventionund -bearbeitung durch internationale Strukturpolitik 101

    Tobias DebielFriedenspotentiale, Gewaltstrukturen und externe Einmischung:Grenzen und Möglichkeiten ziviler Krisenprävention 104

    Peter WeissInternational Law and its Potential for Creating a Peaceful International Order 110

    WELTHANDEL

    Jürgen ZattlerThesen zur Globalisierung, Handelsliberalisierung und die Notwendigkeiteines Ordnungsrahmens 114

    Malini MehraHuman Rights and the WTO: Time to Take on the Challenge 120

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    VORWORT

    Wo von Entwicklungspolitik die Rede ist, ist das Wort Krise nicht weit. Auch wir habenin der Begründung des hier dokumentierten Entwicklungspolitischen Forums diese Zu-standsbeschreibung bemüht. Denn ein „kleines Politikfeld", das sich mit so großen Auf-gaben konfrontiert sieht, dürfte auch in Zukunft krisengeschüttelt bleiben.Krisen sind Beschreibungen für Umbruchsituationen. Es ist allerdings gute deutscheintellektuelle Tradition, sich der Krisenanalyse so heftig zu widmen, daß über der de-taillierten Analyse allzuoft die Handlungsperspektive für Veränderungen verloren geht.Krisensituationen können auch als Herausforderungen begriffen werden, als Aufforde-rung zur Standortbestimmung und der Suche nach Handlungsalternativen. Diese Per-spektive versuchte die Heinrich-Böll-Stiftung einzunehmen, als sie sich zur Einrichtungeines Entwicklungspolitischen Forums entschloß. Der Titel ‚Erstes‘ Entwicklungspoliti-sches Forum weist bewußt auf den erklärten Willen, kontinuierlich – im Rahmen unse-rer Möglichkeiten – einen Beitrag zur Weiterentwicklung dieses Politikfeldes zu leisten.Wenn allerorten von den globalisierungsbedingten Umbrüchen die Rede ist, wollen wirnach den Erfahrungen der Entwicklungspolitik fragen, die diese in die betreffende De-batte und die aktive Politikgestaltung einbringen kann. Neudeutsch ausgedrückt: Wirsind davon überzeugt, daß Entwicklungspolitik eine Menge komparativer Vorteile in dieArenen der politischen Zukunftsgestaltung einbringen kann.

    Die Zeiten der großen Theorien scheinen vorerst vorbei zu sein. Pragmatische, oft kurz-fristige, von der wirtschaftspolitischen Logik dominierte Lösungsansätze besitzen im-mer noch eine hohe Anziehungskraft. Auch die entwicklungspolitische Tagespraxiskann sich der Faszination, aber auch der Notwendigkeit konkreter Lösungsansätze nichtentziehen. Entwicklungspolitische Erfahrung verweist aber zurecht auf die Komplexitätdes entwicklungspolitischen Anliegens, jenes großen Rades, das die kleine, wenn auchhochmotivierte entwicklungspolitische community zu drehen versucht. Diese weiß, daßdie richtige Fragestellung oft wichtiger ist als viele vorschnelle Antworten. Der Hein-rich-Böll-Stiftung geht es deshalb mit dem Entwicklungspolitischen Forum nicht um einprogrammatisches Ergebnis oder gar um praktische Handlungsanweisungen; vielmehrwollen wir uns um die Suche nach Innovations- und Problemlösungspotentialen bemü-hen, die die Entwicklungspolitik in die Zukunftsgestaltung einbringen kann. Es geht umdie Positionierung, um das Profil eines vermeintlich „weichen" Politikfeldes, das sicheine große Aufgabe gestellt hat. Entwicklungspolitik ist heute nicht nur internationaleZusammenarbeit, in der sich Industrienationen um Entwicklungsländer „kümmern".Vielmehr sollte Entwicklungspolitik neu definiert werden als die Gesamtheit der zwi-schen- und innerstaatlichen Allokation von Ressourcen (finanzielle, technologische,wissensbezogene), die mit dem Ziel der Verbesserung der heutigen und künftigen Le-bensbedingungen der Armen und Bedürftigen erfolgt.In der wissenschaftlichen Diskussion geht es immer mehr auch um die Wiedereinbin-dung der Entwicklung in übergeordnete Wertefelder. Ethikdebatten thematisieren die

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    Richtung künftiger innovativer Leistungen. Es geht auch in der Entwicklungspolitiknicht mehr nur um den Transfer von Know-how, sondern auch um die Fragen nach dem„know-why" und dem „know-where-to". Die Ebene der Werte wird damit zur Steue-rungskategorie künftigen individuellen und gesellschaftlichen Handelns. Die politischeVerständigung über und die praktische Konzentration auf strategische Steuerungsakti-vitäten sind entscheidende Voraussetzungen für die Wirkungsentfaltung eines Politik-feldes gerade in Zeiten knapper Kassen.

    Das Entwicklungspolitische Forum dient auch der Vergewisserung unserer Werte, da-mit diese ihre steuernde Funktion entfalten können: Nachhaltige Entwicklung, Demo-kratie und Menschenrechte gehören zu den selbstverständlichen Leitbildern grünenDenkens; exemplarisch setzen wir uns mit den Fragen der Geschlechterdemokratie imglobalen Kontext auseinander – ein innovatives Konzept, dessen Umsetzung die Stif-tung mit besonderem Elan verfolgt; die Frage von Gerechtigkeit und damit auch dieDiskussion eines erweiterten Menschenrechtsbegriffes durch die Berücksichtigung vonsozialen und wirtschaftlichen Rechten ist uns nach den Jahren des neoliberalen Diskur-ses einer besonderen Betonung wert.Eine Entwicklungspolitik, die sich als internationale Strukturpolitik versteht, muß sichauch mit jenen derzeit heftig umkämpften Terrains beschäftigen, auf denen diese Ausei-nandersetzung stattfindet. Die „Battles of Seattle" haben einen Eindruck der politischenKrise der Globalisierung vermittelt, die auch eine Akzeptanzkrise des globalen ökono-mischen Regimes ist. Neben den Fragen des Handels stehen die internationale Finanz-ordnung sowie Fragen der Sicherung des Friedens und die Bearbeitung von Konfliktenmit zivilen Mitteln im Zentrum der Diskussion. Hier fokussieren sich die wesentlichenAuseinandersetzungen um die Gestaltung der künftigen globalen Strukturen.Schließlich greifen wir auf einen Begriff zurück, der vielen ein wenig angestaubt er-scheinen mag: den Begriff der Solidarität. Die Globalisierung hat neue Konstellationendes Wirtschaftens hervorgebracht, sie stellt aber auch eine Herausforderung dar für diedemokratische Gestaltung von Gesellschaften jenseits des nationalen Rahmens. Die zu-nehmende Ungleichheit in dieser Welt und eine immer größer werdende Zahl von Ar-men drängen zu einer Antwort auf die Frage, was in diesen Zeiten Gerechtigkeit undSolidarität bedeuten können und welche Konsequenzen sich daraus für eine als Struk-turpolitik verstandene Entwicklungspolitik ergeben.

    Berlin, im Frühjahr 2001

    Dr. Claudia NeusüßVorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

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    Uschi Eid

    ENTWICKLUNGSPOLITIK ALS INTERNATIONALESTRUKTURPOLITIK

    1. Die Stimmen der Armen

    Wer sich beruflich mit Fragen der Entwicklungspolitik befaßt, neigt dazu, in einen Jar-gon zu verfallen, der manchmal verschleiert, daß wir es in den Entwicklungsländern mitrealen Menschen zu tun haben.Weltbankpräsident James Wolfensohn sprach 1997 von der „Herausforderung der Ein-beziehung“ („the challenge of inclusion“), also von der Notwendigkeit, die Entwicklungmenschlich zu gestalten und die Schwachen und Verletzlichen vom Rande der Gesell-schaft in die Mitte zu nehmen. Im letzten Jahr initiierte die Weltbank das Projekt „DieStimmen der Armen", bei dem circa 60.000 Männer und Frauen aus allen Teilen derWelt nach ihren Wünschen, Hoffnungen und Zielen befragt wurden.Die Ergebnisse zeigen, daß Armut mehr ist als eine Frage des Einkommens. Die Men-schen wollen Teil einer Gemeinschaft sein, sie wollen zumindest ein Minimum an Si-cherheit haben, sie wollen gehört werden, und sie wollen die Möglichkeit haben, ihrSchicksal in die eigene Hand zu nehmen.Auf die Frage, was ihre Situation verändern könnte, hieß es meist:„Wir müssen uns organisieren, um mitverhandeln zu können, um im Dorf, im Distrikt,in der Region oder auch auf nationaler Ebene unsere Sichtweise einzubringen.“ DreiStimmen will ich zitieren:

    • Eine ältere Frau aus Afrika: „Ein besseres Leben bedeutet für mich gesund, friedlichund in liebevoller Umgebung ohne Hunger zu leben“.

    • Ein Mann mittleren Alters aus Osteuropa: „Um mich wohl zu fühlen, muß ich wis-sen, was morgen mit mir passiert“.

    • Eine junge Mutter aus Südostasien: „Wenn mein Kind etwas zu essen verlangt, sageich ihm, daß der Reis kocht – solange, bis es vor Hunger einschläft, denn es gibtkeinen Reis“.

    Diese Menschen wollen keine Almosenempfänger sein, sie wollen die Chance haben,ihr Leben selbst zu bestimmen. Sie dabei zu unterstützen, muß Kern unserer gemeinsa-men Arbeit sein.

    Ich will mit diesem Einstieg noch einmal verdeutlichen, für wen wir Entwicklungspoli-tik betreiben. Dabei betone ich, daß die wesentlichen Impulse, den Teufelskreis vonArmut und Unterentwicklung zu durchbrechen, von den Entwicklungsländern selbstausgehen müssen.2. Zur aktuellen Situation in Afrika

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    Zum Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien

    Vor wenigen Jahren haben viele noch von der afrikanischen Renaissance gesprochen.Der südafrikanische Präsident Thabo Mbeki hat eine neue Kultur afrikanischer Elitenals Grundvoraussetzung einer positiven Entwicklung eingefordert. Ich teile dies unein-geschränkt.Eine neue Generation politischer Führungskräfte schien diesem Ideal – wenn nicht zuentsprechen – dann doch nahe zu kommen. Isaias Afewerki in Eritrea, Meles Zenawi inÄthiopien, Yoweri Museveni in Uganda oder Paul Kagame in Ruanda ließen die Hoff-nung berechtigt erscheinen, Konflikte fortan mit zivilen Mitteln zu bearbeiten, obwohloder gerade weil sie selbst durch Kriege an die Macht gekommen waren. Heute sind alleerwähnten Personen wieder in Kriege verwickelt, sei es der Krieg zwischen Eritrea undÄthiopien oder der Krieg im Kongo. Wenn es nicht innerhalb kürzester Zeit gelingt,diese Kriege zu beenden, wird eine weitere Generation keine Aussicht auf grundlegen-de Verbesserung der eigenen Lebensbedingungen haben. Afrika wird weiterhin – wiees der Economist tat – als „the hopeless continent“ betitelt werden können.

    Darin liegt eine große Tragik, die mich in diesen Tagen sehr bedrückt. Äthiopien bei-spielsweise ist nicht in der Lage, die eigene Bevölkerung zu ernähren, verfügt nicht überdie logistischen Möglichkeiten, der hungernden Bevölkerung zu helfen – schafft es a-ber, mehr als 100.000 Menschen in der Hauptstadt zu mobilisieren, um für den Kriegund gegen ein Waffenembargo des UN-Sicherheitsrats zu demonstrieren. Mittlerweilestehen äthiopische Truppen tief in Eritrea und haben Barentu, eine der größeren Städteim Westen Eritreas, erobert. Ohne die Schuldfrage zu stellen, zeigt dieser sinnloseKrieg, daß die politische Führung die Ursache ist – denn es geht weder um Land nochum Bodenschätze oder knappe Ressourcen. Was fehlt, ist der politische Wille zur fried-lichen Lösung rational überwindbarer Probleme.

    Sierra Leone und ein erneutes Fiasko der Vereinten Nationen

    Wir müssen uns dringend fragen, wie in bewaffneten Konflikten und Kriegen die Mög-lichkeiten der Vereinten Nationen zu verbessern sind, um überhaupt rechtzeitig undwirksam eingreifen zu können.Der wiederaufflammende Bürgerkrieg in Sierra Leone jedenfalls hat uns gezeigt, daßder aktuelle Blauhelm-Einsatz in einem erneuten Fiasko der UN auf dem afrikanischenKontinent enden kann. Es zeigt sich eine internationale politische Ratlosigkeit. Das imletzten Jahr geschlossene Abkommen in Sierra Leone erweist sich nicht als tragfähig.Die Generalamnestie für Foday Sankoh, dessen Rebellen für die Ermordung und Ver-stümmelung tausender Menschen verantwortlich sind, ist unerträglich. Wir sollten überein internationales Tribunal nachdenken, welches Personen wie ihn zur Rechenschaftzieht.

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    Die Grenzen der sogenannten „humanitären Interventionen“ im UN-Rahmen werden amBeispiel Sierra Leones deutlich. Wenn im Rahmen der Vereinten Nationen Blauhelm-Einsätze beschlossen werden, müssen auch die entsprechenden Mittel und Menschenbereitgestellt werden, diese Mandate umzusetzen.Ich möchte abschließend wiederholen, was alle wissen und sich doch nicht zu Herzennehmen: Die UNO ist nur so stark und durchsetzungsfähig, wie die einzelnen – vor al-lem die mächtigen – Mitgliedstaaten sie machen. Und da besteht erheblicher Hand-lungsbedarf. Daß ein 700 Mann starkes britisches Armeekontingent in kürzester Zeitzumindest in Freetown die Ordnung wiederherstellen konnte, sollte uns Anlaß zumNachdenken geben.

    3. Entwicklungspolitik als Beitrag zur internationalen Strukturpolitik

    Ich habe mir erlaubt, den für meinen Beitrag vorgegebenen Titel „Entwicklungspolitikals internationale Strukturpolitik“ geringfügig zu verändern, da mir die ursprünglicheFormulierung zu anspruchsvoll erschien und ich der Überzeugung bin, daß Entwick-lungspolitik wirklich nur einen Beitrag zur Bewältigung globaler Probleme leisten kann.Außerdem sollten wir uns grundsätzlich angewöhnen, in unseren Formulierungen etwasbescheidener zu sein, denn als grünes Mitglied der Bundesregierung mußte ichschmerzhaft erfahren, daß wir – gemessen an weitgesteckten Zielen und etwas vollmun-digen Formulierungen – unseren Ansprüchen auf verschiedenen Politikfeldern nichtganz gerecht werden können und damit an Glaubwürdigkeit verlieren und Politikverd-rossenheit mehren.

    Wir stehen am Beginn des 21. Jahrhunderts vor der Frage, wie wir die globale Zu-kunftsfähigkeit sichern können. Diese Frage betrifft alle Politikfelder: die Ökologie unddie Ökonomie, die Sozialpolitik, die Außen- und Sicherheitspolitik und natürlich auchdie Entwicklungspolitik.

    Die Globalisierung führt zu tiefgreifenden Veränderungen, Verwerfungen und Ein-schnitten in allen Gesellschaften, deren Folgen wir zum Teil noch gar nicht absehenkönnen. Sie eröffnet aber auch Chancen, die wir ebenfalls noch nicht abschätzen kön-nen. Die Entwicklungspolitik muß sich vor diesem Hintergrund neu ausrichten; ihreStärken und Schwächen müssen nüchtern analysiert und daraus Konsequenzen gezogenwerden. Sie muß gewissermaßen neu begründet werden, will sie den Verlust an gesell-schaftlicher Akzeptanz überwinden und neue Legitimation erhalten.

    Wir beobachten gegenwärtig weltweit sehr unterschiedliche, oft gegenläufige Bewe-gungen: Eine beispiellose technologisch-ökonomische Entwicklung durchzieht die In-dustrieländer und viele Schwellenländer, aber gleichzeitig verschärfen sich ökonomi-sche, ökologische und soziale Gegensätze in vielen Teilen der Welt. Wir staunen überBillionen von ungezügeltem Kapital, das täglich um den Globus vagabundiert, aber

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    gleichzeitig nehmen wir zur Kenntnis, das die Zahl der absolut Armen in der Welt auf1,5 Milliarden angestiegen ist.Wir stellen mit Genugtuung fest, daß nach dem Ende der Blockkonfrontation sich zahl-reiche neue Demokratien in vielen Teilen der Welt durchsetzen konnten, aber wir erle-ben auch bittere Rückschläge durch inner- und zwischenstaatliche Kriege und bewaff-nete Konflikte.

    Armut, Ressourcenknappheit, ökologische Zerstörung, wirtschaftliche Krisen, globalefinanzielle Instabilität und machtpolitische Krisen und Konflikte werden die globalenHerausforderungen der kommenden Dekade bleiben. Wir sind deshalb aufgefordert, imSinne Kofi Annans einen neuen erweiterten Sicherheitsbegriff zu entwickeln, dermenschliche Sicherheit im umfassenden Sinne in den Mittelpunkt des politischen Han-delns stellt und dessen Ziel ein Leben in Würde ist. Die grundlegenden Werte, die einsolches Leben in Würde charakterisieren, wurden auf den Weltkonferenzen der 90erJahre in allen relevanten Politikfeldern in differenzierten Aktionsprogrammen ausgear-beitet, auf deren Umsetzung sich die meisten Staaten verpflichtet haben.

    Ein neuer, erweiterter Sicherheitsbegriff sowie die globale und nationale Umsetzung derZiele der Weltkonferenzen zusammen mit der Erkenntnis, daß unsere Erde endlich, d.h.nur begrenzt belastbar und ausbeutbar ist, bilden den Rahmen einer neu begründetenEntwicklungspolitik.

    Grüne Entwicklungspolitik läßt sich aus meiner Sicht in vier Dimensionen beschreiben,die als Leitziele unserer Politik zu verstehen sind:

    1. Die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen und die Sicherung des ökologi-schen Gleichgewichts.

    2. Die Bekämpfung der Armut und die Sicherstellung der grundlegenden menschlichenBedürfnisse sowie die Steigerung der Wohlfahrt.

    3. Die Förderung der Menschenrechte und demokratischen Entwicklungen, der friedli-chen Konfliktbearbeitung und der Gleichstellung der Geschlechter.

    4. Die Unterstützung einer sozial verträglichen wirtschaftlichen Entwicklung in denPartnerländern im Einklang mit der Natur.

    Die Entwicklungspolitik befindet sich international in einer Phase der Neuorientierung.Immer mehr setzt sich die Erkenntnis durch, daß Entwicklungspolitik mehr ist als einestark von Einzelprojekten geprägte Hilfe. Aus Fehlschlägen der Vergangenheit lernenheißt, sich sowohl auf die strukturellen Entwicklungsprobleme zu konzentrieren alsauch auf die internen und externen Rahmenbedingungen, durch die Erfolge oder Mißer-folge von Entwicklungspolitik entscheidend geprägt werden. So kam beispielsweise ei-ne Studie der Weltbank zu dem – wenig überraschenden – Ergebnis, daß das Vorhan-densein und Funktionieren von tragfähigen Institutionen und Strukturen in den Partner-ländern maßgeblich für den Erfolg von finanziellen Transferleistungen ist.

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    Das Augenmerk auf strukturelle Entwicklungsprobleme – im Norden wie im Süden – zurichten und nach Wegen zu deren Überwindung zu suchen, das ist für mich der Kern ei-ner Entwicklungspolitik, die einen Beitrag zur globalen Strukturpolitik leistet.

    Was sind für mich die wesentlichen Handlungsfelder globaler Strukturpolitik? GlobaleStrukturpolitik muß sich mit der Frage auseinandersetzen, welche internationalen Ver-einbarungen, Regime, Abkommen und auch freiwilligen Verpflichtungen erforderlichsind, um eine sozial gerechte, ökologisch verträgliche und wirtschaftlich effiziente Ent-wicklung zu fördern. Sie muß ferner daran arbeiten, daß internationale Vereinbarungen,die es bekanntlich schon in Vielzahl gibt, keine „zahnlosen Tiger“ bleiben. Um ein Bei-spiel zu nennen: Warum müssen die sozialen Menschenrechte, wie sie in den Kernkon-ventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) kodifiziert sind, zweitklassig,weil unverbindlich sein? Auch in der internationalen Umweltpolitik gibt es zwar durchden Rio-Prozeß initiierte wichtige internationale Vereinbarungen, aber noch erheblicheVollzugsdefizite.Wie kann eine kohärente Politik entwickelt und auch praktisch umgesetzt werden, damitentwicklungspolitisches Handeln nicht weiterhin durch entgegengesetzte Politiken an-derer Ressorts oder auch anderer Staaten konterkariert wird?Wie kann man dem Vorwurf des „Öko- und Sozialprotektionismus“ begegnen, der im-mer schnell erhoben wird, wenn es um die Forderung nach global gültigen Umwelt- undSozialstandards geht?Wie kann das Spannungsverhältnis zwischen der Handelsliberalisierung einerseits undder Durchsetzung von Umweltstandards andererseits gelöst werden?Wie können Entwicklungsländer gestärkt werden, um internationale Vereinbarungenauch wirklich umsetzen zu können?Wie ist das internationale Finanzsystem zu reformieren und wie sind die Reformenpraktisch umzusetzen?Und schließlich: Welche Sanktionen sind sinnvoll, durchsetzbar und wirkungsvoll beider Nichteinhaltung international ratifizierter Konventionen, bzw. wie können wir durchpositive Anreizsysteme die gewünschten Standards fördern?

    Wer sind die Akteure internationaler Strukturpolitik? Nach meiner Auffassung kommtden globalen politischen Netzwerken, die sich immer mehr herausbilden, in Zukunft ei-ne nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Solche Netzwerke bestehen aus staatlichenInstitutionen, Parlamentariern auf allen Ebenen, Zivilgesellschaft im Sinne von Interes-senverbänden, Berufsvereinigungen, Wissenschaft, Bürgerinitiativen und internationa-len Organisationen, die von der lokalen bis zur globalen Ebene tätig sind, um bestimmtepolitische Themen zu bearbeiten. In der internationalen Umweltpolitik scheint mir dieseNetzwerkbildung am ausgeprägtesten zu sein. Das ist eine positive Entwicklung, die eszu verstärken gilt.Für die Bildung globaler politischer Netzwerke steht auch das Konzept des Global Go-vernance, das die politische Steuerungsfähigkeit und die Fähigkeit zur Lösung von

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    Problemen durch solche Netzwerkbildung von der lokalen bis zur globalen Ebene erhö-hen will. Bei aller Sympathie für dieses Konzept möchte ich doch die Frage aufwerfen,ob nicht die Voraussetzungen von Global Governance – das sind für mich global ak-zeptierte Normen und Werte, demokratisch legitimierte und effektive staatliche Struktu-ren, Teilhabe der Zivilgesellschaft am politischen Prozeß, um nur einige zu nennen –vielfach nicht oder nicht ausreichend vorhanden sind. Auch ist die Frage berechtigt, obdas Konzept offen genug ist, um auf Interdependenzen zu reagieren.

    Zum Thema „Internationale Strukturpolitik“ möchte ich abschließend feststellen, daßwir Grünen und die Bundesregierung zwar am Anfang, – aber nicht mit leeren Händendastehen. Einige Beispiele in kürze:

    • Die Entschuldungsinitiative für die ärmsten Länder wurde erfolgreich beschlossen,jetzt muß sie zügig umgesetzt werden. Die Verbindung der Entschuldung mit derEntwicklung von Strategien zur Armutsbekämpfung stellt für mich einen wichtigenSchritt sowohl in der Frage der Entschuldung wie auch in der Frage der Armutsbe-kämpfung dar.

    • Die Bundesregierung hat sich erfolgreich für die Verankerung von Good Governan-ce im Lomé-Folgeabkommen eingesetzt.

    • Wir unterstützen die aktive Beteiligung der Entwicklungsländer an den weiterenWTO-Verhandlungen.

    • Wir fördern die Mitwirkung der Entwicklungsländer an den internationalen Um-weltregimen.

    • Wir setzen uns erfolgreich für den Ausbau der internationalen Rechtsprechung, wiez.B. den Internationalen Strafgerichtshof, ein.

    • Wir treten für eine restriktivere Rüstungsexportpraxis ein und haben die entspre-chenden Richtlinien erfolgreich reformiert.

    • Für uns sind Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung keine Lippenbekennt-nisse, sondern wir haben bereits mit der Entwicklung und Umsetzung entsprechen-der Konzepte begonnen.

    • Wir Grünen wollen die Außenwirtschaftsbeziehungen kohärenter gestalten, weshalbwir eine Reform der Hermes-Bürgschaften nach sozialen, ökologischen und ent-wicklungsverträglichen Kriterien unterstützen.

    4. Abschlußbemerkungen und Anregungen

    Entwicklungspolitik statt Entwicklungshilfe

    Meinen bisherigen Ausführungen liegt ein Verständnis von Entwicklungspolitik zuGrunde, das sich von den bislang sowohl in ehemaligen Regierungskreisen als auch beivielen Entwicklungs- und Hilfsorganisationen dominierenden Vorstellungen grundle-

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    gend unterscheidet, allerdings im Umfeld der Grünen seit vielen Jahren diskutiert wird.Neu ist allerdings, daß wir diese Vorstellungen nun in Regierungshandeln umsetzenkönnen und – wie oben gezeigt – dies auch schon getan haben. Das hat jedoch Konse-quenzen. Denn wenn wir in Zukunft mehr „Politik“ machen statt „Helfen“, müßten sichKritiker in Zukunft an der Qualität unserer Politik und weniger am Finanzvolumen un-serer „Hilfe“ abarbeiten.Ob vor diesem Hintergrund – auch im Hinblick auf mehr Glaubwürdigkeit und Ehrlich-keit in der Entwicklungspolitik – der 0,7 %-Anteil am Bruttosozialprodukt für Ent-wicklungshilfe immer noch der geeignete Gradmesser einer Regierung für ihre „Inter-nationale Solidarität“ sein kann, sollte man durchaus hinterfragen dürfen.

    Von der „Hilfe zur Selbsthilfe“ zur „Entwicklungspartnerschaft“

    Zu lange haben wir unsere Partnerländer in ihrer Leistungsfähigkeit und in ihrem Leis-tungswillen unterschätzt. Dies tun wir auch heute noch, indem wir ständig die Mißer-folge und die unerreichten Ziele in entwicklungspolitischen Auseinandersetzungen he-rausstreichen. Aber erkennen wir doch einfach einmal folgendes an:

    • Die Kindersterblichkeit sank von 76 pro 1000 Lebendgeburten auf 58.1

    • Trotz des Bevölkerungswachstums stieg die Nahrungsproduktion pro Kopf um fast25%.

    • Der Anteil der Bevölkerung mit Zugang zu sauberem Wasser hat sich von 40 auf72% erhöht und damit fast verdoppelt.

    • Die Alphabetisierungsrate von Erwachsenen stieg von 64 auf 76%, der Prozentsatzder Einschulung stieg von 74 auf 81%.

    • Zwischen 1960 und 1993 stieg das reale Pro-Kopf-Einkommen in den Entwick-lungsländern um durchschnittlich 3,5% pro Jahr.

    • Das Wirtschaftswachstum der Entwicklungsländer lag nach Angaben der Weltbankim Jahr 1999 bei 2,7% und wird sich im Jahr 2000 auf 4,2% erhöhen.

    • Mexiko und Süd-Korea, vormals Empfänger von Entwicklungshilfe, sind mittle r-weile OECD-Mitglieder.

    Ohne die Menschen aus den Augen zu verlieren, für die wir Entwicklungspolitik betrei-ben, steht es gerade uns Grünen – als Partei der Hoffnung, der Partei, die der Zukunftzugewandt ist –, gut an, das Erreichte als Hoffnungsszenario herauszustellen. Indem ge-betsmühlenartig Horrorszenarien gezeichnet werden, mißachtet man auf der einen Seitedie Anstrengungen der Partnerländer und frustriert auf der anderen Seite auch noch dasletzte Häuflein von deutschen Bürgerinnen und Bürgern, die sich mit großem Engage-ment für Nord-Süd-Fragen engagieren, aber vielleicht doch auch in absehbarer Zeit ei-nen Erfolg sehen möchten. Mit Larmoyanz kann man kaum die Legitimation der Ent-wicklungspolitik erhöhen.

    1 Diese Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum von 1990-1997; vgl. UNDP-Bericht zur menschlichenEntwicklung 1999)

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    Zu lange haben wir die Partnerländer aus einer paternalistischen und auch eurozentristi-schen Sichtweise heraus in eine passive Rolle gedrängt. Das muß korrigiert werden. Dievon der alten Regierung propagierte „Hilfe zur Selbsthilfe“ muß in den Kontext einer„Entwicklungspartnerschaft“ gestellt werden, um den Realitäten in den Entwicklungs-ländern besser Rechnung zu tragen. Diese Kurskorrektur war überfällig, um denAnschluß an den aktuellen Stand der internationalen entwicklungspolitischen Diskussi-on zu finden.

    Entwicklung braucht einen langen Atem

    Entwicklung „funktioniert“ nicht von heute auf morgen. Wir müssen lernen zu akzeptie-ren, daß sich hochkomplexe gesellschaftliche Transformationsprozesse nur in kleinenSchritten vollziehen und nicht notwendigerweise unserem europäischen „Entwicklungs-raster“ entsprechen. Darum müssen wir Geduld aufbringen und versuchen, auch alter-native Entwicklungsmuster zu verstehen und zu unterstützen. Beispielhaft möchte ichauf das in Ruanda eingeführte, auf traditionellen Rechtsprechungsformen beruhende„Gacaca-System“ verweisen, das nur schlecht mit „partizipativem Rechtswesen“ über-setzt werden kann.Geduld bedeutet aber nicht Langmut. Wir dürfen unsere Partner nicht aus ihrer Verant-wortung für eine entwicklungs- und armutsorientierte Politik entlassen. Deshalb ist esdringend erforderlich, in unseren Diskussionen ohne Scheu und falsch verstandene So-lidarität die internen Faktoren für Fehlentwicklungen zu benennen, statt einseitig aufdas koloniale Erbe, die sinkenden terms of trade oder die Bretton-Woods-Institutionenzu verweisen. Wie wichtig, ja geradezu unerläßlich Geduld für eine nachhaltige Ent-wicklung ist, zeigt sich an der derzeitigen Diskussion zur Entschuldung der ärmsten undhochverschuldeten Länder im Rahmen der HIPIC-Initiative. Die durch Schuldene r-leichterungen frei werdenden Mittel werden für armutsmindernde Maßnahmen einge-setzt. Dazu müssen die betroffenen Entwicklungsländer Strategien zur Armutsbekämp-fung unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft entwickeln. Das Einüben und Verankernvon partizipativen und selbstverantwortbaren Prozessen ist entscheidend für eine erfolg-reiche Entwicklung, an der alle teilhaben und für die sich alle verantwortlich fühlen.Und das braucht Zeit. Eine rasche Entschuldung bringt vielleicht kurzfristige Erleichte-rung, würde aber keinen breiten Diskussionsprozeß anstoßen und zu keiner Armutsbe-kämpfungsstrategie führen, die auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens basiert.Qualität und gesellschaftliche Partizipation ist hier wichtiger als Geschwindigkeit.

    Wirtschaftswachstum ist Grundvoraussetzung zur Armutsbekämpfung

    Wir Grünen müssen anerkennen, daß Wirtschaftswachstum in den EntwicklungsländernGrundvoraussetzung zur Armutsbekämpfung ist, – öffentlich und nicht klammheimlich.Es ist erforderlich, daß wir uns, angesichts der Herausforderungen zur Minderung derArmut und Steigerung der Wohlfahrt, zur Notwendigkeit wirtschaftlichen Wachstumsbekennen und auch Partnerländer auf diesem Weg unterstützen. Um ein langfristig ho-

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    hes Wirtschaftswachstum zu erreichen, müssen und wollen die Entwicklungsländer amWelthandel teilhaben und die positiven Effekte der Globalisierung ausschöpfen. Es gehtalso darum – und ich zitiere den Weltbankpräsidenten – die „Herausforderung der Ein-beziehung“ einer globalen Zukunftsfähigkeit zu meistern. Gemeint ist damit die Not-wendigkeit, die Entwicklung menschlich zu gestalten und die Schwachen und Verletzli-chen vom Rande der Gesellschaft in die Mitte zu nehmen. Diese Herausforderung müs-sen wir annehmen und Globalisierung nicht immer als Bedrohung für die Entwick-lungsländer begreifen. Aufgabe der Entwicklungspolitik ist es daher auch, unsere Part-nerländer in ihren Bemühungen zu unterstützen, sich in den Weltmarkt zu integrieren.Dazu fördern wir den Aufbau einer leistungsfähigen Wirtschaft und treten für ein um-fassenderes Mitspracherecht der Entwicklungsländer im internationalen Rahmen ein.

    Abschlußbemerkungen

    Der Weltbankpräsident Wolfensohn hat vor einigen Monaten von „Koalitionen desWandels“ gesprochen. Ich mache mir diesen Ausdruck zu eigen:

    • Wir brauchen eine Koalition, die die Zusammenarbeit der Akteure fördert: VereinteNationen, Regierungen, Privatsektor, Bürgerorganisationen, Interessenverbände undVereinigungen.

    • Wir brauchen eine internationale Koalition, die die Verschuldung durchbricht. Wirsind dort auf einem guten Weg, aber noch nicht am Ziel.

    • Wir brauchen eine Koalition, die eine neue Generation internationaler Umweltab-kommen auf den Weg bringt und bestehende Abkommen wirksam umsetzt.

    • Wir müssen die Erkenntnisse der modernen Medizin auch in und für Entwicklungs-länder nutzen, um die großen gesundheitspolitischen Herausforderungen der kom-menden Dekade, wie z.B. AIDS und Malaria, bestehen zu können.

    • Wir brauchen Wissenspartnerschaften, die einen befruchtenden und offenen Aus-tausch von Wissen befördern.

    Dr. Uschi Eid ist Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wir t-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

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    Martin Wolpold-Bosien

    WIRTSCHAFTLICHE, SOZIALE UND KULTURELLE MEN-SCHENRECHTE ALS HERAUSFORDERUNG FÜR DIEENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT

    Als zum 50. Jubiläum der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte Bilanz gezogenwurde, zeigte sich, daß noch immer ein erstaunliches Ungleichgewicht zwischen denbürgerlichen und politischen Rechten einerseits und den wirtschaftlichen, sozialen undkulturellen Rechten andererseits besteht. Die Verfasser der Allgemeinen Erklärung derMenschenrechte waren geprägt von den Schrecken des II. Weltkrieges. Die Leitprinzi-pien „Freiheit von Angst und Freiheit von Not“ (freedom from fear and freedom fromwant), sorgten dafür, daß in der Menschenrechtserklärung die bürgerlichen, politischen,wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte gleichermaßen festgeschrieben wur-den. Als es jedoch an deren völkerrechtliche Kodifizierung ging, kam es zur getrenntenAusarbeitung der beiden großen UN-Menschenrechtsverträge: dem internationalen (So-zial-)Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (WSK-Rechte) und deminternationalen (Zivil-)Pakt über bürgerliche und politische Rechte (BP-Rechte). BeidePakte wurden 1966 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedetund traten 1976 in Kraft. Bis Juli 1998 waren 137 Staaten dem Sozialpakt, 140 dem Zi-vilpakt beigetreten. Von den zentralamerikanischen Staaten haben alle den Zivilpakt ra-tifiziert, und mit Ausnahme Belizes auch alle den Sozialpakt. Die BundesrepublikDeutschland ist Mitgliedsstaat beider Menschenrechtsverträge.

    Auch wenn alle Menschenrechte die gleiche völkerrechtliche Anerkennung genießen,sind die BP-Rechte in der Öffentlichkeit nach wie vor deutlich bekannter als die WSK-Rechte. Allerdings befinden sich die sozialen Menschenrechte seit einigen Jahren imAufwind. Eine wesentliche Rolle spielten sie etwa bei der Weltmenschenrechtskonfe-renz 1993 in Wien, dem Weltsozialgipfel 1995 in Kopenhagen, der Habitat-Konferenz1996 in Istanbul und dem Welternährungsgipfel 1996 in Rom. Sie wurden – meist ge-gen den erbitterten Widerstand der USA, die den Sozialpakt nicht ratifiziert haben – inden offiziellen Abschlußdokumenten erneut bestätigt. Viel wichtiger erscheint aller-dings, daß die WSK-Rechte von immer mehr Nichtregierungsorganisationen und sozi-alen Bewegungen als Thema und Chance begriffen werden.1 Die entsprechenden Erklä-rungen der NRO-Foren von Kopenhagen und Rom setzen die WSK-Rechte bzw. dasRecht auf Nahrung ganz oben auf die Agenda der Zivilgesellschaft. Dabei scheint die(Wieder-)Entdeckung dieser lange Zeit vernachlässigten Dimension der Menschen-

    1 Das Politikpapier „WSK-Rechte als Herausforderung für die Entwicklungszusammenarbeit mit Zentra l-amerika“ kann bestellt werden bei FIAN Deutschland, Overwegstr. 31, D-44625 Herne, Fax: 02323-490018, E-mail: [email protected]

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    rechte zwar in der südlichen Hemisphäre eine größere Dynamik zu entfachen, dochauch im Norden melden sich immer mehr Gruppen zu Wort.

    Ein wichtiger Grund für das wachsende Interesse an den WSK-Rechten ist die stetigeZunahme von Einkommensdisparitäten rund um den Globus. Mit den nach wie vor do-minierenden neoliberalen Politikansätzen ist die extreme Kluft zwischen arm und reichin vielen Ländern rund um den Globus zementiert, wenn nicht gar noch verschärft wor-den. In Zentralamerika etwa herrscht am Ende des „Friedensjahrzehnts“, das durch dieBeendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen in Nicaragua, El Salvador undGuatemala markiert wurde, Ernüchterung. Die Mehrheit der Bevölkerung kämpft nochimmer tagtäglich mit Hunger und Armut. Die krassen Gegensätze zwischen Privile-gierten und Marginalisierten bestehen fort. Die Friedensprozesse in der Region habenzwar dazu beigetragen, die Situation der bürgerlichen und politischen Menschenrechtezu verbessern – es gibt heute deutlich weniger politisch motivierte Morde in Zentral-amerika als vor zehn, fünfzehn Jahren. Aber es ist ein Frieden ohne Gerechtigkeit. DieWirtschaft wächst, doch die Zahl der Armen wächst mit. Die Region erlebt Demokrati-sierung, während die Mehrheit seiner Bewohnerinnen und Bewohner von der wirt-schaftlichen Entwicklung und politischen Mitbestimmung ausgeschlossen wird. DieseWidersprüchlichkeit der 90er Jahre verweist auf die unveränderte Grundstruktur der äu-ßerst ungleichen Besitz- und Einkommensverhältnisse, eine Kluft und gesellschaftlichePolarisierung, die durch die soziale Blindheit der dominierenden neoliberalen Politikennoch verstärkt wird.

    Es ist eine paradoxe Grundfigur der Erkenntnistheorie, daß das eigentlich Selbstver-ständliche erst im Zeichen seiner massiven Negation und Bedrohung erkannt wird. Esist eigentlich selbstverständlich, daß ein Mensch frei sein sollte von Folter und Hunger.Daß diese Selbstverständlichkeiten als Menschenrechte auf körperliche Unversehrtheitund angemessene Nahrung formuliert und eingeklagt werden müssen, wird spätestensdann notwendig, wenn diese Selbstverständlichkeiten außer Kraft gesetzt und diese un-veräußerlichen Attribute der Menschenwürde verletzt werden. Die Bedeutung und Re-levanz der BP-Rechte und der staatlichen Verpflichtungen diesen Rechten gegenübersind in vielen Ländern gerade im Zeichen der Diktaturen und der politischen Repressionerkannt worden. Die Bedeutung und Relevanz der WSK-Rechte und der staatlichenVerpflichtungen diesen Rechten gegenüber wächst im Zeichen der neoliberalen Politi-ken und dem wirtschaftlichen Unterdrückungs- und Ausschlußcharakter dieses Modells.Wenn ganze Teile der Bevölkerung oder gar die Mehrheit systematisch vom Zugang zuproduktiven Ressourcen und von der Verteilung der gesellschaftlichen Güter ausge-schlossen werden, dann wird dies zunehmend auch als ein menschenrechtliches Prob-lem erkannt.

    Menschenrechte begründen Staatenpflichten

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    Jedes einzelne Menschenrecht – dies gilt für wirtschaftliche, soziale, kulturelle, bürger-liche und politische Rechte gleichermaßen – begründet staatliche Pflichten dreierleiCharakters:

    • Jeder Staat muß diese Rechte respektieren (Respektierungspflicht). Dies bedeutetzum Beispiel im Hinblick auf das Recht auf Nahrung, daß der Staat keine Menschenvon ihren Ernährungsgrundlagen vertreiben darf, wie es oft im Zeichen von Stau-damm-, Bergbau- oder Ölförderprojekten geschieht.

    • Jeder Staat muß die Rechte des Einzelnen gegen Übergriffe Dritter schützen(Schutzpflicht). Dies bedeutet zum Beispiel im Hinblick auf die Rechte am Arbeit s-platz, daß der Staat die Bezahlung des Mindestlohns oder die Einhaltung der Ge-werkschaftsrechte auf den fincas oder in den maquilas garantieren muß.

    • Jeder Staat muß die volle Umsetzung der Rechte für diejenigen gewährleisten, beidenen sie noch nicht verwirklicht sind (Gewährleistungspflicht). Das impliziert etwadie Einführung einer unentgeltlichen Grundschulausbildung, die Umsetzung vonAgrarreformen oder die Festlegung eines Mindestlohns, der den Grundwarenkorbeiner Familie deckt.

    Insbesondere die Gewährleistungspflicht steht unter dem Kriterium des Art. 2.1 des So-zialpaktes: „Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, einzeln oder durch internationale Hilfeund Zusammenarbeit, unter Ausschöpfung aller seiner Möglichkeiten Maßnahmen zutreffen, um fortschreitend mit allen geeigneten Mitteln, vor allem durch gesetzgeberi-sche Maßnahmen, die volle Verwirklichung der in diesem Pakt genannten Rechte zu er-reichen.“ Damit wird von keinem Staat Unmögliches verlangt. Aber jeder Staat stehtunter der Beweislast, das Maximum seiner verfügbaren Ressourcen in die Umsetzungder WSK-Rechte zu investieren.

    WSK-Rechte in der Entwicklungszusammenarbeit

    Konzeptionell geht es hier zunächst um eine konsequente Umsetzung der Unteilbarkeitder Menschenrechte im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit. Bisher wird dasMenschenrechtskriterium des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit(BMZ) fast ausschließlich auf die bürgerlichen und politischen Menschenrechte bezo-gen. Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte werden nur als abs-trakte politische Ziele, nicht aber als operationale Kriterien für spezifische Politiken an-gesprochen. Der hier vorgeschlagene, grundsätzliche Perspektivenwechsel ist der Schrittvon basic needs zu basic rights, von Grundbedürfnissen zu Menschenrechten. Die ge-fährdeten Gruppen haben nicht nur Bedürfnisse zu befriedigen, sondern Rechte in An-spruch zu nehmen. Diese Perspektive hat eine ganze Reihe an Konsequenzen für diePraxis der Entwicklungszusammenarbeit zur Folge. Dies gilt sowohl für die länderspe-zifische Rahmenplanung wie für den politischen Dialog, für die bilaterale Projektaus-wahl ebenso wie für die multilaterale Abstimmung.

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    Zweifellos gibt es eine hohe Kongruenz zwischen den WSK-Rechten und den Zielender armutsorientierten Entwicklungszusammenarbeit. Der wissenschaftliche Beirat desBMZ hat 1995 in seiner Stellungnahme zu den sozialen Menschenrechten in der Ent-wicklungszusammenarbeit (EZ) die Komplementarität zwischen beiden Elementen be-tont. „Wenn sich Entwicklungsländer mit der Unterzeichnung des Sozialpakts zurSchaffung von rechtlichen und politischen Bedingungen verpflichten, die eine Armuts-überwindung erleichtern können, bestehen offenbar enge Beziehungen zwischen demSozialpakt und der EZ. Nimmt ein Land seine aus dem Sozialpakt resultierende Ver-pflichtung zum Schutz der sozialen Rechte seiner Bürger ernst, dann verbessern sich dieChancen für eine erfolgreiche EZ, und umgekehrt kann eine zielgerichtete EZ einemEntwicklungsland dazu verhelfen, seinen Verpflichtungen aus dem Sozialpakt zu ent-sprechen. Es liegt also nahe, den Schutz sozialer Menschenrechte und die EZ in einerkomplementären Beziehung zu sehen.”

    In anderen Worten: Die Einhaltung der WSK-Rechte ist eine wesentliche Rahmenbe-dingung staatlichen Handelns und damit grundlegend auch für die Entwicklungszu-sammenarbeit. Wenn ein Staat diese Rechte der gefährdeten sozialen Gruppen im Landnicht achtet, bleibt die Effektivität armutsorientierter Entwicklungszusammenarbeit ge-ring. Letztere sollte die WSK-Rechte explizit fördern. Die Analogie zu den politischenund bürgerlichen Menschenrechten liegt auf der Hand. Wenn die Entwicklungszusam-menarbeit die Demokratisierung in einem Land fördern will, wird dies nur effektiv sein,wenn bei der betreffenden Partnerregierung der feste Wille zum Schutz der BP-Rechtevorhanden ist. Die Polizeihilfe für Guatemala, die trotz der anhaltenden Menschen-rechtsverletzungen der dortigen Sicherheitskräfte über mehrere Jahre von der Bundesre-gierung gegeben und schließlich eingestellt wurde, ist ein bekanntes Beispiel für die,allerdings sehr verzögerte, Koppelung von Entwicklungszusammenarbeit und Schutzder BP-Rechte. Ein anderes Beispiel aus diesem Bereich war das Einfrieren der Ent-wicklungshilfe für El Salvador nach den Jesuitenmorden 1989.

    Auch der wissenschaftliche Beirat des BMZ hält es für eine „Tatsache, daß eine dauer-hafte Verletzung von Menschenrechten und eine kontinuierliche Weigerung, die im in-ternationalen Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte angesprochenenVerpflichtungen ernstzunehmen, den Erfolg der EZ in Frage stellt, sofern man als derenZiel nicht nur die Erhöhung wirtschaftlicher Wachstumsraten, sondern auch die Erwei-terung menschlicher Handlungsmöglichkeiten sieht. Außerdem verliert die EZ ihreGlaubwürdigkeit, wenn sie ungeachtet schwerwiegender menschenrechtlicher Defizitein einem Partnerland fortgeführt wird.”Von basic needs zu basic rights

    Das konzeptionell Neue der WSK-Rechte gegenüber der bisherigen Armutsorientierungbesteht in dem Perspektivenwechsel von basic needs zu basic rights, von Grundbedürf-nissen zu Menschenrechten. Der menschenrechtliche Ansatz betont, daß die besonders

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    gefährdeten Gruppen nicht nur ihre Bedürfnisse zu befriedigen, sondern Rechte einzu-fordern haben. Die Zielgruppe sind also die Menschen, deren Rechte bedroht oder ver-letzt werden. Menschenrechtlich argumentieren heißt dann, konsequent vom bedrohtenSubjekt her und dessen Rechten auf Nahrung, Wohnung, Gesundheit, Bildung und beider Arbeit zu fragen: Wie ist die Situation der gefährdeten Gruppen? Warum können sieihre Rechte nicht erfüllen, oder warum werden sie verletzt? In welcher Weise korres-pondieren staatliche und internationale Politiken mit dieser Situation, mit ihren völker-rechtlichen Respektierungs-, Schutz- und Gewährleistungsverpflichtungen gegenüberderen WSK-Rechten?

    Dies wäre die Frageperspektive einer an den WSK-Rechten orientierten Entwicklungs-politik. Sie steht ausdrücklich nicht in einem widersprüchlichen Verhältnis zur Armuts-orientierung, sondern verstärkt diese in mehrerer Hinsicht qualitativ. Erstens sind dieWSK-Rechte harte Indikatoren im Sinne von Minimalstandards staatlichen Handelnsfür eine armutsorientierte Politik oder ein entsprechendes Projekt. Wenn eine Maßnah-me oder ein Staat diese Standards nicht einhält, kann von Armutsorientierung keine Re-de sein. Zweitens: Bedürfnisse werden gestillt, Rechte werden eingehalten. Die Stellungder in ihren WSK-Rechten bedrohten Menschen ist als Rechtsposition stärker als die ei-nes Bittstellers. In der Tat gehört zu den wichtigsten Implikationen der WSK-Rechte alsMenschenrechte die politische Stärkung der Bedrohten. Das war auch in der Wirkungs-geschichte der bürgerlichen und politischen Rechte nicht anders. Wer seine Meinungs-freiheit durch Zensur oder Androhung von Folter bedroht sieht, kann auf national undinternational verbriefte Grundrechte zurückgreifen. Das bedeutet zwar noch lange nicht,daß die herrschenden Machtasymmetrien überwunden werden, aber es stärkt die Positi-on der Bedrängten. Dieser Effekt macht die WSK-Rechte zu einem wertvollen empo-werment-Instrument für die Bedrohten. Drittens: Armutsorientierung ist unter men-schenrechtlichen Gesichtspunkten nicht nur eine politische Zielvorgabe, sondernzugleich eine völkerrechtliche Verpflichtung. Sie gilt über die Ratifizierung des Sozial-paktes nicht nur für die meisten Nehmerstaaten der Entwicklungszusammenarbeit. Siegilt auch als internationale Verpflichtung für die Geberstaaten und internationalen Or-ganisationen, für bilaterale und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit und anderePolitiken, die mit dieser Perspektive kohärent sein müssen. Die Perspektive der WSK-Rechte steht, viertens, in inhaltlicher Nähe zum gender-Ansatz. Nicht-Diskriminierungist eine der grundlegenden Kategorien der Menschenrechte. Die WSK-Rechte stellenein geeignetes Instrumentarium bereit, um Frauenrechte als Menschenrechte gerade imwirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich durchzusetzen.Konsequenzen für die Praxis

    Bisher scheint eine kaum reflektierte „arbeitsteilende Sichtweise“ die Praxis der Ent-wicklungszusammenarbeit zu bestimmen: Die BP-Rechte gelten als wesentliche Ele-mente der Konditionalitätskriterien zur Beurteilung der Rahmenbedingungen und fürden politischen Dialog. Die WSK-Rechte aber werden scheinbar durch die Armutsori-entierung der Projekte abgedeckt. Doch hinterläßt eine solche Arbeitsteilung zunächst

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    ein Vakuum im politischen Dialog und bei der länderspezifischen Rahmenplanung. DieVerletzungen von WSK-Rechten werden hier noch nicht gleichrangig mit den BP-Rechten behandelt. Die Aufgabe, mit bilateralen Maßnahmen direkt zu einem verbes-serten Menschenrechtsschutz beizutragen, wie es im Bereich der BP-Rechte zunehmendund zurecht geschieht, wird im Hinblick auf die WSK-Rechte noch kaum wahrgenom-men. Das kritische Potential der WSK-Rechte zur menschenrechtlichen Beurteilung undNeuausrichtung der multilateralen Kooperation bleibt ungenutzt. Nicht zuletzt müßtegerade die Entwicklungspolitik im Sinne der Kohärenz sicherstellen, daß WSK-Rechtenicht durch andere international ausgerichtete deutsche Politiken verletzt werden.

    Wir plädieren daher für eine Entwicklungszusammenarbeit, die sich zur expliziten För-derung aller Menschenrechte bekennt und die Unteilbarkeit der Menschenrechte inKonzeption und Praxis realisiert. Die bislang vernachlässigten WSK-Rechte müssen alselementarer Bestandteil der Entwicklungszusammenarbeit anerkannt und umgesetztwerden. Die sozialen Menschenrechte dürfen nicht länger als abstrakte politische Zielemißverstanden werden, sondern müssen als operationale Kriterien für die Rahmenpla-nung und Schwerpunktsetzung, für Länderquote und Projektauswahl, für bilateralen Di-alog und multilaterale Koordination der Entwicklungszusammenarbeit Anwendung fin-den.

    1. Die WSK-Rechte müssen als Menschenrechte explizit in die Konzeption, die Krite-rien und länderspezifische Rahmenplanung der bundesdeutschen Entwicklungszu-sammenarbeit aufgenommen werden.

    2. Die WSK-Rechte gehören genauso wie die BP-Rechte in den politischen Dialog. Er-folge und Defizite sind zu benennen, ein doppeltes Signal sollte gegeben werden:Verletzungen der WSK-Rechte werden als solche kritisiert, und der Partnerregie-rung kann technische Unterstützung für einen verbesserten Menschenrechtsschutzangeboten werden.

    3. Die Projekte und Programme der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit solltendarauf ausgerichtet werden, in den Partnerländern zu einer verbesserten Umsetzungder WSK-Rechte beizutragen. Dies kann z.B. bedeuten, daß staatliche Menschen-rechtsbeauftragte oder nicht-staatliche Organisationen in den Partnerländern bei derUntersuchung, Dokumentation und juristischen Bearbeitung der Menschenrechts-verletzungen unterstützt werden sowie bei der Bildung- und Öffentlichkeitsarbeit fürein umfassendes Menschenrechtsverständnis gefördert werden.

    4. Gefördert werden sollten Initiativen zur Umsetzung der völkerrechtlichen Ver-pflichtungen der Partnerregierungen in die nationale Gesetzgebung und Rechtspre-chung. Dazu gehören z.B. die Revision von Agrargesetzbüchern aus gender- undWSK-Rechtsperspektive, die Unterstützung bei der Umsetzung von Agrarreformen,die konsequente Überwachung der Arbeitsrechte und die Entwicklung einer men-schenrechtskonformen Mindestlohngesetzgebung. Auch die Sicherung der Land-rechte indigener Gemeinschaften gehört in diesen Förderbereich.

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    5. Die Entwicklungspolitik muß im Sinne der Kohärenz darauf achten, daß andere in-ternational ausgerichtete Politiken der Bundesregierung die WSK-Rechte respektie-ren. Beispielsweise dürfen Hermes-Kredite nur gewährt werden, wenn das geför-derte Projekt keine negativen Auswirkungen auf die WSK-Rechte hat. Ebenso müs-sen die Agrarexportsubventionen unter diesem Kriterium analysiert werden.

    6. Bei den auch von der Bundesregierung angestoßenen Initiativen zur Revision dermultilateralen Zusammenarbeit sollten die WSK-Rechte als wichtiges Kriterium fürEvaluierung und Neuausrichtung von Entwicklungsprogrammen berücksichtigtwerden. Daß in diesem Zuge die internationalen Finanzinstitutionen gegenüber denUN-Menschenrechtsverträgen rechenschaftspflichtig werden, ist eine lang ver-säumte und weiterhin gebotene völkerrechtliche Selbstverständlichkeit.

    Der Politikwissenschaftler Martin Wolpold-Bosien ist Mitarbeiter des Food First Info r-mations- und Aktionsnetzwerks (FIAN) in Herne.

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    Christa Wichterich

    GENDERED GOVERNANCE, DEMOKRATIE UND G L O B A -L E GERECHTIGKEIT: DIE FEMINISTISCHE EINMI-SCHUNG IN NACHHALTIGE ENTWICKLUNG

    Geschlechtergerechtigkeit „going macro“

    Wenn die Entwicklungspolitik ausziehen will zum Neuverhandeln und Neugestaltenglobaler Strukturen – man könnte auch sagen: Entwicklungspolitik „going macro“ –,dann ist es sinnvoll, sich die Koordinaten zu vergegenwärtigen, in denen sich die no r-mativen Begründungen für solch ein politisches Handeln bewegen:

    a) Globalisierung nach neoliberaler Logik schließt einen Abbau sozialer Normen undpolitischer Regulierung ein. Wenn wir also über politische Normierung oder eineRemoralisierung von Politik und Wirtschaft reden, ist dies Schwimmen gegen denLiberalisierungsstrom, Bürsten gegen den Strich der Deregulierung.

    b) Wer definiert Normen? Bei der Identifikation politischer Akteure wissen wir sehrwohl, daß die Globalisierung die Machtkonstellationen und Kraftfelder der ver-schiedenen politischen Akteurstypen verändert hat:• mit einer Rollen- und Bedeutungsveränderung auf staatlicher Seite,• mit Institutionalisierungs- und Wahrnehmungserfolgen für zivilgesellschaftliche

    Kräfte und• mit einer sowohl real als auch spekulativ aus allen Fugen und Kontrollen gerate-

    nen Macht des Marktes bzw. der Global Players.

    Ich möchte über die Normsetzungs- und die Normumsetzungsprozesse in der internati-onalen zivilgesellschaftlichen Frauenpolitik berichten, Leitwerte daraus extrapolieren,Strategien vorstellen und schließlich Schlußfolgerungen für die Entwicklungspolitik alsglobale Strukturpolitik formulieren. Es scheint strategisch sinnvoll, zum einen die poli-tischen Erfahrungen oder gar good practices internationaler Frauenpolitik auszuwertenund gleichzeitig aus ihnen normative Anforderungen an eine auf globale Strukturen ori-entierte Entwicklungspolitik herauszuziehen.

    1. Normsetzungen durch das Menschen-/Frauenrechtskonzept

    Die allgemeine Aufwertung des Menschenrechtsparadigmas in der internationalen Poli-tik unter dem Vorzeichen der Globalisierung wurde dadurch verursacht, daß nach demEnde der bipolaren Weltordnung globale Normen und Regelwerke gesucht waren, diean die Stelle des ideologischen Systemwettbewerbs treten bzw. ihn konstruktiv undkonsensuell überwinden konnten. Demokratie bzw. Good Governance als politische

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    Maxime, Nachhaltigkeit als Leitorientierung für den Umgang mit der Umwelt undMenschenrechte als übergeordnetes normatives Referenzsystem wurden durch die gro-ßen UN-Konferenzen der neunziger Jahre ergänzend oder auch kontrapunktisch zumneoliberalen Wirtschaftsregime als Eckmarkierungen einer neuen globalen Weltordnunggesetzt.

    In den neunziger Jahren setzten auch immer mehr Frauenorganisationen und internatio-nale Frauennetzwerke Normen in ihrer Politik, indem sie ihre Themen und Strategienauf das Menschenrechtskonzept bezogen. Um den Privatbereich einzubeziehen, nahmensie zum einen eine feministische Redefinition bzw. Erweiterung des Menschenrechtspa-radigmas vor, zum anderen betteten sie all ihre Themen – Gesundheit, Bildung, ökono-mische Selbständigkeit, Gewalt usw. – in das Menschenrechtsparadigma ein. Zeitgleichvollzogen Frauenorganisationen eine Erweiterung ihrer politischen Strategien: von derBewegungspolitik an der Basis zur Institutionenpolitik; über die Projektpolitik hinauszur Strukturpolitik, d.h. zu Versuchen der Intervention in nationale und internationalePolitik. Sie begründen den Wechsel bzw. die Erweiterung politischer Handlungsebenenähnlich wie die staatlichen Akteure in der Entwicklungspolitik: Eine Projektpartnerinder Heinrich-Böll-Stiftung in Zimbabwe erklärte, nach zehn Jahren Basisarbeit wissesie, wie wenig sie mit dem Projektansatz strukturell verändern könne. Nun wolle sieaustesten, ob es eher möglich sei, von oben, durch Politikbeeinflussung Strukturen zuverändern.

    Zur politischen Intervention in der internationalen Arena nutzten Frauenorganisationendie UN-Konferenzen der neunziger Jahre als Einfallstor und brachten das Menschen-und Frauenrechtsparadigma als moralische Berufungsgrundlage ein, darüber hinausnutzten sie es auch als analytisches und strategisch kämpferisches Konzept.Dies veränderte das Selbstverständnis der Frauen ebenso wie ihre Wahrnehmung vonaußen: Sie traten nun als Trägerinnen eines allgemeinen Rechtsanspruchs auf, als zivil-gesellschaftliche Akteurinnen und Rechtssubjekte, nicht mehr primär als Bittstellerin-nen und Bedürftige. Auf diese Weise wurde es möglich, Unrecht an Frauen sichtbar zumachen, gleichzeitig aber als Rechtssubjekte die Opferrolle zu überwinden und sich alspolitische Subjekte in der internationalen Arena zu legitimieren.

    In bezug auf soziale Menschenrechte signalisierte dies einen Paradigmenwechsel voneinem Grundbedürfnisansatz, wie er in den achtziger Jahren in der Entwicklungspolitikdominierte, zu einem Grundrechteansatz: from basic needs to basic rights (FlorenceButegwa). Dieser Wechsel führte zu einer wichtigen Akzentverschiebung in den politi-schen Handlungskonzepten: Im Vordergrund stehen jetzt Forderungen nach politischerEinlösung von sozialen Rechtsansprüchen und nach Mitgestaltung von Politik und De-mokratie, von Wirtschaft, Entwicklung und Frieden. Dadurch wurden Politiken der Ge-schlechtergerechtigkeit aus der entwicklungspolitischen Umklammerung durch die Ar-mutsorientierung befreit, denn bisher waren Armutsbekämpfung und Frauenförderung

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    stets im handlichen Doppelpack aufgetaucht und als Zwillingspaar zu sogenanntenQuerschnittsthemen erklärt worden.

    Das Einklinken in das Menschen- und Frauenrechtskonzept als normative Leitplankeermöglichte

    a) eine „strategische Verschwisterung“ der sehr unterschiedlichen zivilgesellschaftli-chen Frauengruppierungen aus verschiedenen Kontinenten und Kulturen, d.h. stra-tegische Interessenkoalitionen und Konsensbildung unter Bezugnahme auf einendeethische Referenzpunkte;

    b) die Anschlußfähigkeit von Frauenpolitik an UN-Politik;c) daß Frauen-NROs in die politische Tagesordnung eingreifen und die Rhetorik und

    Programmatik der UN-Konferenzen der neunziger Jahre stark mitbestimmen konn-ten.

    Das heißt, daß das Menschen- und Frauenrechtskonzept ein wichtiges politisches In-strumentarium der Thematisierung und Normsetzung für Frauenorganisationen in derinternationalen Politik war und deren Schritt von der Mikro-Ebene der Projekte zurMezzo- und Makro-Ebene der Politik überhaupt erst möglich machte. Ethische Norm-setzungen nutzten sie sowohl als politisch-inhaltliche Perspektive wie auch als politischstrategisches Handwerkszeug. Ohne Einbettung in das Menschenrechtskonzept hättendie transnationalen Frauenbewegungen ihren größten Erfolg im letzten Viertel des Jahr-hunderts nicht erzielt, nämlich das Thema Gewalt gegen Frauen als Menschenrechts-verletzung auf nationaler und internationaler Ebene zu enttabuisieren, zu politisierenund institutionell zu verankern.

    2. Leitorientierungen

    Als ein zweites Bauelement möchte ich nun aus der Sicht internationaler Frauenpolitik,und abgeleitet aus dem gerade skizzierten Prozeß der Einmischung, einen Katalog vonsieben Leitwerten als normative Bezugspunkte für eine auf globale Strukturen orien-tierte Entwicklungspolitik vorstellen.

    Im Zeitalter der Globalisierung gewinnen transnationale Normen, Werte und Regeln anBedeutung, und der gemeinsame strategische Bezug auf supranationale Normen undMenschen- und Frauenrechte ist ein Konstituens für potentielle transnationale Bündnis-se zivilgesellschaftlicher Kräfte. Ich benutze den Sammelbegriff transnationale Frauen-bewegung für die strategische Allianz von Frauenorganisationen und –netzwerken, diein den neunziger Jahren von der internationalen Ebene und der UN-Politikarena aus ver-suchte, eine Globalisierung von Frauenrechten voranzutreiben.

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    Als normative Eckpunkte dieser frauenpolitischen Bewegtheit haben sich herauskristal-lisiert:

    • die Einlösung von Menschen- und Frauenrechten und die Achtung der in ihnen in-korporierten ethischen Werte und sozialen Standards, die durch die neoliberale Glo-balisierung bedroht sind;

    • soziale Gerechtigkeit, mit einem Fokus auf sozialer Sicherheit und Geschlechterge-rechtigkeit in allen gesellschaftlichen Bereichen, da Frauen schon immer, aber durchden Sozialabbau der Wohlfahrtsstaaten und Strukturanpassungen verstärkt, als Sisy-phosarbeiterinnen am Sozialen tätig sind;

    • Demokratie, mit einem Fokus auf Geschlechterdemokratie im Privaten wie im Öf-fentlichen, auf allen politischen Ebenen und auch in wirtschaftlichen Institutionen;

    • Frieden, mit einem Fokus auf innerer und äußerer Sicherheit als Freiheit von sexu-eller Gewalt und von ethnischer und geschlechtsspezifischer Vernichtung oder Aus-grenzung (z.B. vorgeburtlicher Geschlechtsbestimmung);

    • Kulturelle Vielfalt mit einem Fokus auf selbstbestimmter, heterogener Gestaltungund Artikulation von Frauenidentitäten, von Geschlechterbeziehungen und Famili-enstrukturen;

    • Erhalt der Umwelt mit einem Fokus auf Bewahrung biologischer Vielfalt und vonGemeinschaftsgütern (commons) als Grundlage für Ernährung und Gesundheit;

    • Neubewertung und Neuverteilung von Arbeit unter Einbezug nicht-marktförmigerLebens- und Arbeitsbereiche; dabei steht außer Frage, daß Probleme von Markt,Produktion und Erwerbsarbeit nicht ohne die Bearbeitung der Probleme von Repro-duktion, unbezahlter Arbeit und Konsum zu lösen sind.

    3. Strategien

    Zur Operationalisierung der im Menschen- und Frauenrechtskonzept verankerten Nor-men verfolgen die transnationale Frauenbewegung und die nationalen Frauenorganisati-onen verschiedene Strategien:

    1) Sie bemühten sich um eine Verankerung dieser Normen in internationalen Doku-menten wie Konventionen oder Aktionsplänen der UN-Konferenzen.

    2) Sie versuchen, die internationale Normsetzung in eine nationale zu übersetzen undsie justiziabel zu machen, indem sie in einzelnen Ländern politischen Druck auf dieGesetzgebung und für entsprechende Rechtsreformen ausüben („Take the global andmake it local!“). International akzeptierte Normen und Regelwerke wie UN-Konventionen werden als Referenzsysteme und Berufungsgrundlage auf der natio-nalen und lokalen Ebene benutzt, um vor Ort Veränderungen in Gang zu setzen. Beider Bilanz fünf Jahre nach Peking zeigte sich, daß die stärksten Impulse, die von derAktionsplattform von Peking ausgegangen waren, auf rechtlicher Ebene gewirkt undzu Rechtsreformen geführt haben. Als z.B. in Kolumbien eine neue Verfassung

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    formuliert wurde, bildeten 70 Frauen-NROs ein Netzwerk und brachten unter Beru-fung darauf, daß die kolumbianische Regierung die Frauenrechtskonvention CE-DAW unterzeichnet hatte, Gewalt gegen Frauen in der Familie als Strafrechtsbe-stand ein, obwohl die nationale Gesetzgebung sie noch als „private Angelegenheit“abtat.Eine andere Form der Operationalisierung und Einklagbarkeit globaler Regelungenvon der Basis aus ist das im Dezember 1999 verabschiedete Zusatzprotokoll zurFrauenrechtskonvention CEDAW, das Einzelpersonen und Gruppen ein Beschwer-derecht, direkt und an den Einzelstaaten vorbei, bei der Frauenrechtskommission derVereinten Nationen einräumt.

    3) Der Menschenrechts- und Frauenrechtsansatz und die entsprechenden Normsetzun-gen sind der Transmissionsriemen, um Mikro-, Mezzo- und Makro-Ebene zu ver-binden. Frauenorganisationen haben dabei auf eine Doppelstrategie gesetzt: einer-seits Empowerment von Frauen, ihre gezielte Förderung und positive Diskriminie-rung, damit die Machtschieflage in den Geschlechterverhältnissen mehr ins Gleich-gewicht kommt, und andererseits Mainstreaming einer Geschlechterperspektive inallen politischen Ressorts und Sektoren als strukturpolitische Methode. Die Doppel-strategie versucht, die geschlechterungleichen Verhältnisse in einen Zangengriff vonunten und oben zu nehmen, praktische Bedürfnisse aufzugreifen und sie mit strate-gischen Interessen von Frauen an Chancengleichheit, Verteilungsausgleich undGleichberechtigung zu verknüpfen.

    4) Mainstreaming wird als strukturelle Durchdringungsmethode gefeiert, um Ge-schlechtergerechtigkeit als normative Anforderung in politische Prozesse und Insti-tutionen einzubringen und dort zu etablieren, d.h. Strukturpolitik zu betreiben. Frau-enorganisationen als zivilgesellschaftliche Akteurinnen stießen jedoch immer wie-der auf ein Dilemma:a) Steht die alte formal-liberale Forderung im Vordergrund, Ausschluß und Dis-

    kriminierung zu überwinden und durch Zugang, Beteiligung und Integration vonFrauen Gleichheit herzustellen? Geht es beim Mainstreaming lediglich darum,eine Geschlechterdifferenzierung in bestehende Strukturen, Institutionen undPolitiken sowie in das existente Entwicklungsparadigma einzubringen?

    b) Oder muß nicht das Mainstreamen einer Geschlechterperspektive dazu führen,daß sich Inhalte, Strukturen und politische Kultur verändern und eine Neube-stimmung der gesamten Tagesordnung ansteht? Es gab in Frauenbewegungenimmer auch eine über den Gleichstellungsfeminismus und Liberalismus des„Frauen reinbringen“ hinausgehende Position: „Wir wollen nicht nur ein größe-res Stück vom vergifteten Kuchen“ (Devaki Jain) oder: „We don‘t want to bemainstreamt in a polluted stream“ (Bella Abzug). Politisches Ziel kann es nichtsein, Frauenrechte in die Verhandlungsmasse der Strukturpolitik, die von derneoliberalen Globalisierungsagenda bestimmt wird, einzubringen nach demMotto „Just add women and stir“. Vielmehr formulierte das Süd-Frauen-Netzwerk DAWN als politische Strategie: „Transformation durch Partizipation“.

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    c) Erfahrungen auf der Mikro-Ebene von Projekten und Programmen der Ent-wicklungszusammenarbeit haben gezeigt, daß Mainstreaming mit reichlich Risi-ken und Nebenwirkungen belastet ist. Kürzlich gemachte Querschnittsevaluie-rungen von BMZ, GTZ und anderen Akteuren der Entwicklungszusammenarbeitbelegen, daß die sogenannten Querschnittsthemen „Armutsbekämpfung“ und„Gleichstellung“ zu Projekt- oder Programmbeginn in die Zielformulierungeneingehen, aber im Projektverlauf all zu oft wundersam verdunsten oder abervöllig von anderen Projektzielen aufgesogen werden. Diese Gefahr ist gewißnoch größer auf der Ebene der Strukturpolitik, wo Leitorientierungen wie Effi-zienz, Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Freiheit der Marktakteure dominie-ren und zwangsläufig Interessen- und Wertekonflikte hervorrufen, die Frauen-rechte bedrohen, blockieren, unterlaufen. Es sind besondere politische und stra-tegische Anstrengungen notwendig, um die Norm der Geschlechtergerechtigkeitzu behaupten und nicht anderen Entwicklungs- oder Globalisierungszielen un-terzuordnen. In Seattle formulierten Frauen-NROs zugespitzt: „No trade in wo-men’s human rights“.

    5) Beim going macro der Entwicklungspolitik müssen neue politische Strategien undInstrumente für eine geschlechtergerechte Einmischung auf der strukturpolitischenEbene entwickelt werden. Im ökonomischen Bereich sind das z.B. die „Frauenbud-gets“, eine geschlechtsdifferenzierende Aufschlüsselung von Staatshaushalten, Wo-men’s World Bank Watch (ein geschlechtersensibles Monitoring der Weltbank-Strukturen und -Programme), eine Partizipation an der Konzeptionierung vonStrukturanpassungsprogrammen und Poverty Reduction Strategy Papers, um Ele-mente pro-aktiver Unterstützung für Frauen einzuplanen. Statt lediglich im nachhi-nein geschlechtsspezifische Auswirkungen zu kritisieren, ist bereits in der Pla-nungsphase und von Anbeginn aufzudecken, wo und wie Programme zur Strukturre-form und Armutsbekämpfung klammheimlich geschlechtsspezifisch ausgerichtetsind, z.B. beim Transfer von sozialen Lasten aus dem Bereich der bezahlten Arbeitin den der unbezahlten Arbeit.

    4. Schlußfolgerungen

    1) Rechte brauchen Ressourcen, Normumsetzung braucht politische Anstrengungen.Von hehren Zielsetzungen geht keinerlei Umsetzungsautomatismus aus und in be-zug auf Geschlechtergleichheit sind alle Hoffnungen auf ein trickle down odertrickle over verbraucht. Um den Weg von der Rhetorik zur Realität zu gehen – undgenau dies sind die Aufgaben und Mühen der entwicklungspolitischen Ebene – istein technisches und professionelles Umsetzungsinstrumentarium für Rechte undNormen ebenso notwendig wie Mittel. Ohne Ressourcen bleiben Normsetzungenund Rechte politische Heißluftballons.

    2) Mainstreaming (d.h. Frauen-, Gender-, Migrations- und Umweltpositionen in eineglobale Strukturpolitik einzubinden) darf nicht im Streamlining enden, d.h. Frauen-

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    anliegen und –rechte dürfen nicht in die neoliberale Agenda an- und eingepaßt wer-den. Es geht auch nicht um die Erfindung zusätzlicher Komponenten – Frauen oder-Geschlechterkomponenten – von Strukturpolitik, sondern es geht darum, neoliberaleInteressen und Normsetzungen in Schranken zu verweisen und ihnen durch sozialeNormen Grenzen zu setzen. Ziel wäre damit eine Umorientierung und Umstrukturie-rung globaler Strukturpolitik nach Maßgabe der genannten Leitorientierungen.

    3) Entwicklungspolitik braucht zivilgesellschaftliche Thematisierungs-, Normsetzungs-und Umsetzungshilfe. Der Anpassungsdruck globaler Strukturen auf entwicklungs-politische Institutionen ist groß, der Druck, daß Entwicklungspolitik wie Struktur-anpassungspolitik zum Umsetzungsmechanismus neoliberaler Globalisierung undihrer Wertsetzungen wird. Zivilgesellschaftliche Kräfte müssen Gegendruck aus-üben, damit Institutionenpolitik nicht in den globalen Strukturen aufgerieben, um-und verschlungen wird. Zivilgesellschaftliche Kräfte müssen emanzipatorische Im-pulse auf die Institutionenpolitik ausüben und sie durch Normsetzung, Thematisie-rung und Monitoring unter Transformationsdruck setzen. Es versteht sich, daß diesnicht nur für Frauen- und Geschlechterpolitik gilt.

    4) Ja, dies ist ein Plädoyer für Normsetzungen, für Wertorientierungen durch die Poli-tik in der globalisierten Marktschlacht, was auch zur öffentlichen Profilierung undLegitimierung der an chronischem Bedeutungsschwund leidenden Entwicklungspo-litik genutzt werden kann. Politik ist die hohe Kunst, die Kurve zu kriegen zwischendem Pragmatismus der kleinen Schritte und Visionen.

    5) Einen Effekt neoliberaler Globalisierung haben die bisherigen Diskussionsbeiträgekristallklar umrissen, nämlich daß sie wachsende soziale Ungleichheit produziert.Daraus ist ebenso deutlich als normative Leitplanke soziale Gerechtigkeit für einestrukturell eingreifende Entwicklungspolitik abzuleiten. Soziale Gerechtigkeit ohneGeschlechtergerechtigkeit kann es nicht geben. Deshalb muß sie als normative An-forderung in das Operationalisierungspaket gepackt werden, das Entwicklungspoli-tik als globaler Strukturpolitik den Weg weist.

    Dr. Christa Wichterich arbeitet als Journalistin und Publizistin sowie als Beraterin fürProjekte der Entwicklungszusammenarbeit.

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    Dirk Messner

    GLOBALISIERUNG GESTALTEN: NEUE ANFORDERUN-GEN AN DIE ENTWICKLUNGS- UND AUßENPOLITIK

    Globalisierung als Herausforderung für die Politik

    Mit der Globalisierung von Ökonomie, Technologie, Kommunikation und Transport-systemen internationalisieren sich auch Fehlentwicklungen wie Kriminalität, Drogen-handel und Arbeitslosigkeit. Die Risiken neuer Technologien lassen sich national eben-sowenig eingrenzen wie die Klimaproblematik oder die Wirkungen von Wechselkurs-verschiebungen wichtiger Währungen auf „nationale Ökonomien“, Wirtschaftssektoren,Einzelunternehmen, Beschäftigung und soziale Entwicklung. Auch Krisen in scheinbarentfernten Regionen – wie Verelendung und Massenarmut, Umweltzerstörung undKriege, armutsbedingte oder durch Menschenrechtsverletzungen ausgelöste Migration –haben globale Bumerangeffekte. Weltprobleme überfordern die Nationalstaaten.

    Mit der Globalisierung verbinden sich vielfältige Chancen, z.B. für Entwicklungsländer,denen es gelingt, sich aktiv in die Weltwirtschaft einzuordnen. Immerhin waren die dy-namischsten Ökonomien der vergangenen drei Dekaden diejenigen, die sich gezielt inRichtung Weltwirtschaft entwickelt haben. Die weltweiten Interdependenzen und wech-selseitigen Abhängigkeiten können auch ein höheres Maß an Kooperation in der Welt-gesellschaft begünstigen. Und nicht zuletzt eröffnen die neuen Informations- undKommunikationstechnologien vielen Akteuren einen raschen Zugriff auf internationalverfügbares Wissen und internationale Vernetzungsmöglichkeiten, die bisher von denweltweiten Kommunikationsströmen weitgehend abgeschnitten waren; dies gilt glei-chermaßen für staatliche Institutionen, Unternehmen, NGOs und Wissenschaftler ausvielen Ländern des Südens. Die Globalisierung wirft aber auch viele neue und komple-xe Fragen auf, die die Zukunft der Politik betreffen:

    • Regierbarkeit als Zukunftsproblem: Wenn es richtig ist, daß die Welt den National-staaten zu entgleiten droht und „driftet“, wie Dieter Senghaas schreibt, dann stellt sichdie Frage nach der politischen Gestaltbarkeit der Globalisierung und damit das „Prob-lem der Regierbarkeit der Welt“, wie der israelische Sozialwissenschaftler Dror in ei-nem Bericht an den Club of Rome Anfang der 90er Jahre formulierte.• Ordnungsrahmen für die Weltwirtschaft: Insbesondere stellt sich die Frage nach denMöglichkeiten einer institutionellen Einbettung der Weltwirtschaft. Gerade vor demHintergrund der Asienkrise und den Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärktenbeschäftigen sich nun auch Organisationen (wie der IWF, die OECD, BIZ, G7 u.a.) mitAnsätzen zur Regulierung der globalen Ökonomie, die bis vor kurzem, mit Verweis aufdie prinzipielle Allokationseffizienz des Marktes, jedes Nachdenken über notwendigeOrdnungsrahmen für die Weltwirtschaft als „altes Denken“ zurückgewiesen haben.

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    • Ungezügelte Globalisierung überfordert die sozialen Integrationsmechanismen derGesellschaften: Ralf Dahrendorf warnt in einem Aufsatz in der „ZEIT“ im Februar 1998vor einer „wilden und erbarmungslosen Globalisierung“, die nur den Gesetzen der Kon-kurrenz folgt und daher in vielen Ländern zu einem Ausschluß „einer beträchtlichenZahl von Menschen“ aus der Gesellschaft führen könnte. Dies hieße aber, so Dahren-dorf, „daß eine solche Gesellschaft nicht mehr überzeugend verlangen kann, daß ihreMitglieder sich an Recht und Ordnung halten“ – sich verschärfende innergesellschaftli-che Konflikte und die Gefährdung des sozialen Zusammenhalts wären die Folge.Nimmt man diese Warnung eines Beobachters ernst, der nicht zu den notorischen Kas-sandrarufern seiner Zunft gehört, stellt sich die Frage nach dem Primat der Politik ge-genüber eigendynamischen Gesetzmäßigkeiten des Marktes sowie nach Institutionenzur Gestaltung der Globalisierung und Ansätzen, um nationale Gesellschaften und In-stitutionensysteme im Norden, Süden und Osten auf die neuen Herausforderungen vor-zubereiten.

    In der Diskussion um die Zukunft der Politik in einer globalisierten Welt geht es bei al-ledem nicht um den alten Schulenstreit um mehr oder weniger Staat – oder Nachfrage-versus Angebotspolitik. Vielmehr operieren unsere Gesellschaften mit Institutionen, dieden neuen Realitäten von Globalisierung und Informationsrevolution nicht mehr ge-wachsen sind. Daher rührt die vermeintliche Ohnmacht der Politik. Will die Politik dieInitiative wiedergewinnen und zunehmendes Politikversagen verhindern, muß sie ihreInstrumente und Institutionen anpassen. Richard Haas, einer der profiliertesten Wissen-schaftler des Washingtoner Brooking Instituts, hält vor diesem Hintergrund die Scha f-fung von Institutionen für den Umgang mit der Globalisierung für „die derzeit größteintellektuelle Herausforderung der Welt“.

    Vier Dimensionen von Global Governance

    Die außenorientierten Politiken Deutschlands müssen weiterentwickelt werden, weil diebisherigen Elemente den neuen Anforderungen nicht gerecht werden:Das Auswärtige Amt ist – von seinem bisherigen Zuschnitt her – nicht auf die Lösungder skizzierten Weltprobleme und andere grenzüberschreitende politische Steuerungs-probleme ausgerichtet, die sich aus der Globalisierung und der Verdichtung internatio-naler Interdependenzen in einer zunehmenden Zahl von Politikfeldern ergeben. DasAußenministerium kann de facto nicht mehr (entgegen des Selbstverständnisses derVergangenheit) ein Monopol für die Außenbeziehungen Deutschlands (geteilt mit dem„kleinen Außenministerium“ BMZ) beanspruchen, da längst auch die Umwelt-, dieWirtschafts-, die Verkehrs-, die Sozial-, die Wissenschafts- und Forschungspolitik usw.grenzüberschreitende Dimensionen entwickelt haben. Die Grenzen zwischen Innen- undAußenpolitik sind fließend geworden; die „Außenpolitik“ (im klassischen Verständnisim wesentlichen auf Friedenssicherung, Marktöffnung und Kulturaustausch ausgerich-tet) oder besser: grenzüberschreitende Politik, hat sich enorm ausdifferenziert.

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    Das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)ist bisher auf Beiträge zur Entwicklung in den Ländern des Südens konzentriert undleistet keinen systematischen Beitrag zur politischen Gestaltung der Globalisierungs-prozesse.

    Der Globalisierungsprozeß wirft Probleme auf, die über die klassische Außenpolitikweit hinausreichen. Er zwingt dazu, das Verhältnis zwischen „Innen“- und „Außenpoli-tik“ grundlegend zu überdenken und stellt zudem neue Anforderungen an die nationa l-staatliche Politik und eröffnet, wie oben skizziert wurde, ein neues weites Feld für in-ternationale Kooperation und Global Governance, für das es bisher keine tragfähigen in-stitutionellen Strukturen und auch kein etabliertes Leitbild gibt. Internationales Krisen-management als „ad-hoc-ismus“ ist die Folge.

    Die Herausbildung eines Systems von Global Governance hätte vier wesentliche Di-mensionen.

    1. Kernelemente einer kooperativen Weltordnung – Schaffung globaler Rahmenbedin-gungen

    Deutschland als weltwirtschaftlich bedeutendes Land muß ein Eigeninteresse an derEntwicklung einer Weltordnungspolitik für die Weltwirtschaft haben. Es ist unumstrit-ten, daß Märkte eines Ordnungsrahmens bedürfen, um ihre produktiven Kräfte entfaltenzu können und diese in den Dienst einer sozialen und ökologisch verträglichen Ent-wicklung zu stellen. Ohne Ordnungspolitik löst der Marktwettbewerb soziale und öko-logische Unterbietungswettläufe aus. Diese Zusammenhänge galten für nationaleVolkswirtschaften – und sie gelten nun im Zeitalter der globalen Ökonomie auch aufinternationaler Ebene.Die Welthandelsordnung stellt ein erstes Element einer solchen Weltordnung dar. Siemuß dringend durch eine internationale Wettbewerbsordnung ergänzt und eine leis-tungsfähige Weltwährungs- und Finanzordnung erweitert werden. Zudem muß der Auf-bau einer Weltsozialordnung anvisiert werden, die durch einen internationalen Lasten-ausgleich die Risiken zu verringern versucht, die aus wachsendem Wohlstandsgefälleund der Marginalisierung ganzer Weltregionen resultieren (z.B. durch die Weiterent-wicklung der Entwicklungszusammenarbeit; Schuldenabbau; soziale Mindestnormen;Zertifizierung von Produkten, die unter Einhaltung der ILO-Normen produziert wur-den). Der Aufbau einer Weltumweltordnung ist die fünfte Säule der Weltordnungspoli-tik. Glaubwürdig wäre eine solche Strategie vor allem dann, wenn Deutschland auch aufnationaler Ebene den ökologischen Umbau der Wirtschaft ernsthaft anginge. Zur Ges-taltung der skizzierten globalen Rahmenbedingungen bedarf es am Ende 20. Jahrhun-derts und unter den Bedingungen einer immer enger vernetzten Welt einer „Neuerfin-dung des Bretton-Woods-Systems“.

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    2. Von der Nord-Süd-Zusammenarbeit in Richtung internationale Kooperation zur Lö-sung globaler und grenzüberschreitender Probleme

    Die Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit der vergangenen Jahrzehnte läßtsich in drei Sequenzen darstellen: In einer ersten Phase war die Entwicklungskooperati-on auf die Verbesserung der Entwicklungsbedingungen in den Partnerländern durchWissens- und Finanztransfers (von Nord nach Süd) ausgerichtet (nicht selten verknüpftmit einer „Belehrungskultur“). In einer zweiten Phase wuchs seit Mitte der 80er Jahredie Einsicht, daß auch Veränderungen im Norden notwendig sind, um die Entwick-lungschancen in den Ländern des Südens zu verbessern (Stichwort: „ÖkologischeStrukturanpassung im Norden“). „Entwicklung“, so wurde im Kontext der Diskussionenum „nachhaltige Entwicklung“ deutlich, ist nicht nur ein Problem des Südens, sonderneine globale Herausforderung. In einer dritten Phase wird im Verlauf der 90er Jahreimmer offensichtlicher, daß Globalisierung und Weltprobleme eine Erweiterung derFormen der internationalen Kooperation erfordern: Es geht darum zu erkennen, daßglobale und grenzüberschreitende Probleme nur gemeinsam (durch Veränderungen inIndustrie-, Entwicklungs-, Transformations- und Schwellenländern sowie vertiefte For-men der Zusammenarbeit zwischen ihnen) gelöst werden können. Die in der bisherigenEntwicklungszusammenarbeit verankerte Geber-Nehmer-Konstellation verliert hier anBedeutung; gemeinsame Such- und Lernprozesse sowie gemeinsame Problemlösungstehen im Vordergrund.Ein höheres Maß zwischenstaatlicher Kooperation und Koordination, supranationaleNormen- und Regelsysteme, völkerrechtlich verbindliche Konventionen, internationaleRegime (z.B. zu Biodiversität, Migration, Kontrolle von Rüstungsexporten) sowie nati-onale Strategien und Maßnahmen zur Lösung globaler Probleme, die international abge-stimmt und gebündelt werden, sind notwendig. Eine „gemeinsame Kultur des Lernens“,die Herausbildung „internationaler Lerngemeinschaften“ sind Grundsteine von GlobalGovernance. Globales Interdependenz- und Kooperationsmanagement ergänzt nationalePolitiken und bisherige Formen der Nord-Süd-Kooperation.

    3. Rechtsstaatliche und normative Strukturprinzipien von Global Governance: Ele-mente zur Herausbildung einer internationalen Kooperationskultur

    Von den demokratischen Rechtsstaaten lernen: Die Herausbildung der demokratischenRechtsstaaten stellte (erfolgreiche) Versuche dar, Autokratie, Oligarchie, Sozialdarwi-nismus, kulturelle und religiöse Intoleranz zu überwinden und Demokratie, Freiheit,Solidarität, Interessenausgleich, Fairneß sowie soziale Gerechtigkeit durchzusetzen. Iminternationalen System des 20. Jahrhunderts haben viele der Strukturprinzipien überlebt,die auf nationaler Ebene von den demokratischen Rechts- und Wohlfahrtsstaaten suk-zessive abgebaut werden konnten. Langfristige Stabilität in der Weltgesellschaft bedarf(wie die Geschichte der Zivilisierung in den Nationalstaaten lehrt) kooperationsförderli-cher und -basierter Regelwerke, also der „institutionellen und rechtlichen Einhegung“von Macht.

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    Globale Rechtsstaatlichkeit: Die Idee des Rechtsstaates ist eine der großen Errungen-schaften der Moderne und der westlichen Demokratien. Global Governance, Weltord-nungspolitik, ist nur durch eine Stärkung globaler Rechtsstaatlichkeit möglich. Die Ein-richtung eines Internationalen Strafgerichtshofes und die Herausbildung einer Weltum-weltgerichtsbarkeit wären wichtige Schritte in die richtige Richtung. Die Herausbildungeiner europäischen Gerichtsbarkeit zeigt, daß eine solche Orientierung keine naive Uto-pie ist.

    Interkultureller Austausch – die kulturelle Dimension von Global Governance: Wennzukünftig eine wachsende Zahl von Problemen nur durch „gegenseitige Einmischung“,globale Verregelung, grenzüberschreitende politische Netzwerke und Global Governan-ce möglich ist, bedarf es eines wachsenden Fundaments an gemeinsamen Werten, Nor-men und Handlungsprinzipien. Gemeinsame Problemlösungen in netzwerkartigen Ver-handlungssystemen setzen in nationalen Gesellschaften ebenso wie im internationalenSystem ein Mindestmaß an Vertrauen, Kompromißfähigkeit und den Respekt vor denlegitimen Interessen anderer voraus. Die stagnierenden oder gar sinkenden Ausgaben imBereich der auswärtigen Kulturpolitik können vor diesem Hintergrund nur als einSchritt in die falsche Richtung interpretiert werden.

    Globale Entwicklungsfragen: Die Weltkonferenzen haben gezeigt, daß es globale Ent-wicklungsfragen gibt, die die Ausrichtung der (nationalen wie globalen) Entwicklungnachhaltig bestimmen und über die sich die Akteure der Weltgesellschaft verständigenmüssen, um sukzessive eine „Geschäftsordnung für die Weltgesellschaft“ zu erarbeiten.Die (universellen) Menschenrechte, gender-Fragen, Demokratie und Fragen der sozia-len Gerechtigkeit sind solche „globalen Entwicklungsfragen“, die schwierige Felder fürgemeinsames Lernen und grenzüberschreitende Dialoge eröffnen. Insbesondere dienoch unterentwickelte Diskussion über „soziale Gerechtigkeit“ und „Fairneß“ in derWeltgesellschaft wird schnell an Bedeutung gewinnen, wie sich bereits im Verlauf derKlimakonferenz in Kyoto abzeichnete: Globale Problemlösung impliziert, daß costs undbenefits zu verteilen sind und daher allgemein akzeptierte (substantielle und prozedura-le) Gerechtigkeitskriterien erarbeitet werden müssen (z.B.: Welche Energiereduktions-ziele sind für welche Ländergruppen gerecht? Wie hoch sollten Kompensationsleistun-gen der Industrieländer an die Entwicklungsländer mit dem Ziel des Erhaltes der Re-genwälder ausfallen? Wer trägt die Kosten der Asienkrise? Ist die Verteilung desStimmrechts in den Bretton-Woods-Institutionen je nach Kapitaleinlage gerecht?).

    4. Reorganisation und Transformation der Politik in der Global-Governance-Architektur

    Nationalstaatliches Handeln verliert in Zeiten globaler Strukturveränderungen keines-wegs an Bedeutung. Global Policy kann ohne leistungsstarke und handlungsfähigeStaaten nicht gelingen. Andersherum hängt die Wirksamkeit nationalstaatlicher Politik

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    immer stärker von multilateralen Regelungen und grenzüberschreitender Kooperationab. Die Einordnung der Nationalstaaten in das System geteilter Souveränitäten stelltkeinen Verzicht auf politische Gestaltung dar, sondern ist umgekehrt eine Bedingungzur Ausweitung politischer Steuerungsfähigkeit in einer immer interdependenterenWelt: Die Nationalstaaten übernehmen Scharnier-, Koordinations-, Vernetzungs- undMonitoringfunktionen; sie werden zu „Interdependenzmanagern“, die viele Problemenicht mehr im Alleingang, sondern nur noch in Netzwerkstrukturen lösen können. Ohnedie Verzahnung von nationaler und globaler Politik kann Global Governance nicht ge-lingen.Regionale Integrationsprojekte (wie die EU, NAFTA usw.) werden an Bedeutung ge-winnen. Regional Governance ist ein wichtiger Bestandteil von Global Governance.Auch die Kooperation zwischen den Regionen wird zunehmen. NAFTA, APEC, MER-COSUR und OAU sind mögliche Netzwerkpartner für die EU, um transkontinentaleProbleme anzugehen.Global Governance verlangt nach einer Mehrebenenpolitik in der Global-Governance-Architektur. Grenzüberschreitende und globale Probleme erfordern nicht nur neue glo-bale Regelwerke, sondern vor allem Antworten auf unterschiedlichen politischenHandlungsebenen – von der lokalen, über die nationale, inter-regionalen bis zur globa-len Ebene.

    Globale Strukturpolitik? Neue Schwerpunkte und Prioritäten für die Entwick-lungspolitik

    In welche Richtung wären Reformen zu entwickeln? Erstens ist es weiterhin bedeutend,durch Entwicklungszusammenarbeit die internen Entwicklungspotentiale von Partne r-ländern zu stärken (Förderung wirtschaftlicher, sozialer, ökologisch tragfähiger Ent-wicklung von Menschenrechten und Demokratie). In diesem Feld besteht in der politi-schen und wissenschaftlichen Comm