Erdmagnetfeld Und Kosmische Strahlung - Institut

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Schwerpunkt 41 Das Erdmagnetfeld spielt eine wichtige Rolle für das Leben auf der Erde. Es bietet einen Schutzschild gegen hochenergetische ionisie- rende Strahlung aus dem All und wird nicht nur vom Menschen mithilfe des Kompasses, sondern auch von Tieren zur Navigation ge- nutzt. Heutzutage vermessen Satelliten das Erd- magnetfeld mit äußerster Genauigkeit. Doch woher kommt überhaupt dieses Magnetfeld? Mithilfe von Experimenten und numerischen Simulationen lassen sich manche Eigenschaften des Erdmagnetfelds mittlerweile gut reproduzie- ren und Theorien über die zugrundeliegenden Mechanismen im Erdinnern formulieren. Viele Fragen sind noch zu klären. Ist es bloßer Zufall, dass magnetische und geographische Pole nähe- rungsweise zusammenfallen? Wird das Magnet- feld möglicherweise bald verschwinden? D ie wesentlichen Eigenschaften des Erdmagnet- feldes können wir heute sehr genau charakteri- sieren. Über 99 % seiner Quellen liegen im Erd- inneren, und in erster Näherung lässt sich das Feld an der Erdoberfläche als das eines leicht gegen die Rotati- onsachse geneigten Stabmagneten (Dipol) im Erdmit- telpunkt beschreiben. Niedrigfliegende Satelliten ver- messen die Details seiner Struktur. Dabei zeigt sich, dass sich das Erdmagnetfeld durchaus vom idealen Di- polfeld unterscheidet. Die Abweichungen lassen sich durch die Überlagerung verschiedenster Multipolantei- le beschreiben. Außerdem ändert sich das Magnetfeld langsam mit der Zeit. Diese „Säkularvariation“ ist bei den höheren Multipolen besonders ausgeprägt [1]. Di- rekte Messungen des Magnetfeldes decken nur einen Zeitraum von etwa 400 Jahren ab. Doch dank des so genannten Paläomagnetismus können wir diesen Zeit- raum um einen Faktor 10 6 in die Vergangenheit hin ausdehnen. Kleine Mengen an ferromagnetischen Mineralien in Gesteinen aus verschiedenen Epochen der Erdgeschichte konservieren in ihrer remanenten Magnetisierung bis heute Informationen über Richtung und Stärke des Feldes zu der Zeit, als das Gestein ent- standen ist. Demnach hat es in der Vergangenheit zahl- reiche Umpolungen des Erdmagnetfeldes gegeben, die jedoch nicht periodisch wie bei der Sonne auftreten, sondern zufällig verteilt sind. Der Normalzustand sta- biler Polarität, bei dem sich der magnetische Dipol an der Rotationsachse der Erde orientiert, währt typi- scherweise einige hundertausend Jahre. Demgegenüber dauert eine Umpolung höchstens einige tausend Jahre und ist von einer signifikanten Abnahme der Feldstär- ke begleitet [2]. Diese Beobachtungen zeigen, dass das Bild eines Stabmagneten im Erdzentrum nicht zutreffen kann. Die frühe Vorstellung, nach der das Erdmagnetfeld auf remanenter Magnetisierung beruht, lässt sich kaum mit der beobachteten Säkularvariation in Einklang brin- gen. Zudem verschwindet der Ferromagnetismus ober- halb der Curie-Temperatur, die für typische magneti- sche Mineralien in Tiefen von 10–20 km überschritten wird. Obwohl die Magnetisierung der äußersten Erd- schichten weniger als 0,1 % zum Gesamtfeld beiträgt, wirkt sie insofern störend, als sie inhomogen ist und deshalb Details des Hauptfeldes auf Längenskalen kleiner als 3000 km überdeckt. Unter dem Hauptfeld verstehen wir die restlichen 99,9 % des (inneren) Erd- magnetfeldes. Der Aufbau der Erde wurde im 20. Jahrhundert hauptsächlich durch seismologische Untersuchungen entschlüsselt. Unter der dünnen Kruste liegt der 3000 km mächtige Mantel aus Silikatgestein, dann folgt der flüssige äußere Erdkern (55 % des Erdradius) und im Zentrum der kleine feste innere Kern (20 % des Erd- radius). Die seismologisch bestimmten Eigenschaften des Kerns stimmen relativ gut mit denen von Eisen bei entsprechenden Druck- und Temperaturbedingungen überein. Da andere in Frage kommende chemische Ele- mente im Kosmos viel seltener sind, herrscht kaum ein Zweifel, dass der Kern hauptsächlich aus metallischem Geophysik Der Geodynamo Komplexe Strömungen im flüssigen Erdinnern erzeugen das Magnetfeld der Erde Ulrich Christensen und Andreas Tilgner Prof. Dr. Ulrich Christensen und Prof. Dr. Andreas Tilgner, Institut für Geophysik der Georg-August- Universität Göttin- gen, 37075 Göttingen Physik Journal 1 (2002) Nr. 10 © 2002 WILEY-VCH VerlagGmbH & Co. KGaA, Weinheim 1617-9439/02/1010-41 $17.50+50/0 Dieses Experiment im Forschungszen- trum Karlsruhe dient zum Nach- weis des Dynamo- effekts im Labor: Flüssiges Natrium durchströmt die insgesamt 52 Rohre innerhalb des großen Zylin- ders und erzeugt so ein selbsterreg- tes Magnetfeld.

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Das Erdmagnetfeld spielt eine wichtige Rollefür das Leben auf der Erde. Es bietet einenSchutzschild gegen hochenergetische ionisie-rende Strahlung aus dem All und wird nichtnur vom Menschen mithilfe des Kompasses,sondern auch von Tieren zur Navigation ge-nutzt. Heutzutage vermessen Satelliten das Erd-magnetfeld mit äußerster Genauigkeit. Dochwoher kommt überhaupt dieses Magnetfeld?Mithilfe von Experimenten und numerischenSimulationen lassen sich manche Eigenschaftendes Erdmagnetfelds mittlerweile gut reproduzie-ren und Theorien über die zugrundeliegendenMechanismen im Erdinnern formulieren. VieleFragen sind noch zu klären. Ist es bloßer Zufall,dass magnetische und geographische Pole nähe-rungsweise zusammenfallen? Wird das Magnet-feld möglicherweise bald verschwinden?

D ie wesentlichen Eigenschaften des Erdmagnet-feldes können wir heute sehr genau charakteri-sieren. Über 99 % seiner Quellen liegen im Erd-

inneren, und in erster Näherung lässt sich das Feld ander Erdoberfläche als das eines leicht gegen die Rotati-onsachse geneigten Stabmagneten (Dipol) im Erdmit-telpunkt beschreiben. Niedrigfliegende Satelliten ver-messen die Details seiner Struktur. Dabei zeigt sich,dass sich das Erdmagnetfeld durchaus vom idealen Di-polfeld unterscheidet. Die Abweichungen lassen sichdurch die Überlagerung verschiedenster Multipolantei-le beschreiben. Außerdem ändert sich das Magnetfeldlangsam mit der Zeit. Diese „Säkularvariation“ ist beiden höheren Multipolen besonders ausgeprägt [1]. Di-rekte Messungen des Magnetfeldes decken nur einenZeitraum von etwa 400 Jahren ab. Doch dank des sogenannten Paläomagnetismus können wir diesen Zeit-raum um einen Faktor 106 in die Vergangenheit hinausdehnen. Kleine Mengen an ferromagnetischenMineralien in Gesteinen aus verschiedenen Epochender Erdgeschichte konservieren in ihrer remanentenMagnetisierung bis heute Informationen über Richtungund Stärke des Feldes zu der Zeit, als das Gestein ent-standen ist. Demnach hat es in der Vergangenheit zahl-reiche Umpolungen des Erdmagnetfeldes gegeben, diejedoch nicht periodisch wie bei der Sonne auftreten,sondern zufällig verteilt sind. Der Normalzustand sta-biler Polarität, bei dem sich der magnetische Dipol ander Rotationsachse der Erde orientiert, währt typi-

scherweise einige hundertausend Jahre. Demgegenüberdauert eine Umpolung höchstens einige tausend Jahreund ist von einer signifikanten Abnahme der Feldstär-ke begleitet [2].

Diese Beobachtungen zeigen, dass das Bild einesStabmagneten im Erdzentrum nicht zutreffen kann.Die frühe Vorstellung, nach der das Erdmagnetfeld aufremanenter Magnetisierung beruht, lässt sich kaum mitder beobachteten Säkularvariation in Einklang brin-gen. Zudem verschwindet der Ferromagnetismus ober-halb der Curie-Temperatur, die für typische magneti-sche Mineralien in Tiefen von 10–20 km überschrittenwird. Obwohl die Magnetisierung der äußersten Erd-schichten weniger als 0,1 % zum Gesamtfeld beiträgt,wirkt sie insofern störend, als sie inhomogen ist unddeshalb Details des Hauptfeldes auf Längenskalenkleiner als 3000 km überdeckt. Unter dem Hauptfeldverstehen wir die restlichen 99,9 % des (inneren) Erd-magnetfeldes.

Der Aufbau der Erde wurde im 20. Jahrhunderthauptsächlich durch seismologische Untersuchungenentschlüsselt. Unter der dünnen Kruste liegt der 3000km mächtige Mantel aus Silikatgestein, dann folgt derflüssige äußere Erdkern (55 % des Erdradius) und imZentrum der kleine feste innere Kern (20 % des Erd-radius). Die seismologisch bestimmten Eigenschaftendes Kerns stimmen relativ gut mit denen von Eisen beientsprechenden Druck- und Temperaturbedingungenüberein. Da andere in Frage kommende chemische Ele-mente im Kosmos viel seltener sind, herrscht kaum einZweifel, dass der Kern hauptsächlich aus metallischem

Geophysik

Der Geodynamo Komplexe Strömungen im flüssigen Erdinnern erzeugen das Magnetfeld der Erde

Ulrich Christensen und Andreas Tilgner

Prof. Dr. UlrichChristensen undProf. Dr. AndreasTilgner, Institut fürGeophysik derGeorg-August-Universität Göttin-gen, 37075 Göttingen

Physik Journal1 (2002) Nr. 10© 2002 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 1617-9439/02/1010-41 $17.50+50/0

Dieses Experimentim Forschungszen-trum Karlsruhedient zum Nach-weis des Dynamo-effekts im Labor:Flüssiges Natriumdurchströmt dieinsgesamt 52Rohre innerhalbdes großen Zylin-ders und erzeugtso ein selbsterreg-tes Magnetfeld.

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Eisen besteht. Die Dichte des Kerns ist allerdings ge-ringfügig kleiner als die von reinem Eisen unter hohemDruck, sodass ca. 5–10 % eines leichteren chemischenElements (z. B. Si, S, O) dazu legiert sein müssen.

Heute geht man davon aus, dass das Hauptfeld derErde durch Strömungen im flüssigen Teil des Erdkernserzeugt wird, man spricht hierbei vom „Geodynamo“.Eine mögliche Ursache dieser Strömungen ist thermi-sche Konvektion. Sie wird hauptsächlich durch die seitEntstehung der Erde gespeicherte Restwärme angetrie-ben, die in einem langsamen Abkühlprozess verlorengeht. Noch wichtiger sind wahrscheinlich chemischgetriebene Strömungen. Chemische Konvektion findetz. B. in den Ozeanen statt, wo Dichtevariationen auf-grund eines unterschiedlichen Salzgehalts zum Antriebder Tiefenzirkulation beitragen. Im flüssigen Kernberuht sie auf einer zunehmenden Anreicherung derleichten chemischen Elemente in der Legierung. ImZuge der Abkühlung der Erde kristallisiert nahezu rei-nes Eisen am Rand des inneren Kerns aus (der dadurchwächst). Die leichte Komponente konzentriert sich ineiner dünnen Flüssigkeitsschicht um den inneren Kernund verleiht ihr Auftrieb. Eine weitere mögliche Ener-giequelle für den Geodynamo ist die Präzessionsbewe-gung der Erdrotationsachse. Die Strömungen, die die-ser Antriebsmechanismus anfacht, sind bisher nochwenig untersucht worden.

Somit sind im Erdkern die Grundvoraussetzungenerfüllt, um einen selbsterregten Dynamo zu betreiben:Ein genügend leitfähiges Medium bewegt sich genü-gend schnell in einem zunächst als vorhanden voraus-gesetzen Magnetfeld (was „genügend“ heißt werden wirspäter betrachten). Die dabei induzierten elektrischenStröme müssen stark genug sein und die richtige Geo-metrie haben, um das zur Induktion nötige Magnetfeldzu reproduzieren.

Magnetfelderzeugung in homogenenDynamosDynamos begegnen uns im täglichen Leben, man

findet sie an Fahrrädern und in Autos. Auch in diesenApparaten wird mechanische in elektromagnetischeEnergie umgewandelt. Ihre Funktionsweise basiert al-lerdings auf einer geschickten Anordnung des elektri-schen Leiters, z. B. in Form einer Spule. Im Erdkernhaben wir es dagegen mit einer Kugel mit nahezu ho-mogener elektrischer Leitfähigkeit zu tun. In techni-

scher Betrachtungsweise sind die verschiedenen Berei-che des Kerns also kurzgeschlossen, und es stellt sichdie Frage, ob in einer solchen Umgebung der Dynamo-effekt überhaupt wirksam sein kann. Diese Frage ist bisEnde der 50er Jahre offen geblieben, als die erstentheoretischen Beispiele funktionierender Dynamos ent-wickelt wurden. Man bezeichnet diese Dynamos als„homogene“ Dynamos, um sie von ihren „technischen“Gegenübern zu unterscheiden.

Die Frage nach der Existenz homogener Dynamoslässt sich mithilfe der Induktionsgleichung beantwor-ten, die angibt, wie sich das magnetische Feld B(r,t) ineinem Leiter mit elektrischer Leitfähigkeit s und ma-gnetischer Permeabilität m verhält, dessen Bewegungdurch das Geschwindigkeitsfeld v(r,t) beschriebenwird:

(1)

In die Herleitung der Induktionsgleichung fließen dieMaxwellschen Gleichungen ein und die Annahme, dassStromdichte und elektrisches Feld im Leiter durch dasOhmsche Gesetz verknüpft sind. Ferner muss �v� stetsklein gegenüber der Lichtgeschwindigkeit sein.

Im Grenzfall v = 0 ist Gl. (1) einfach eine Diffusions-gleichung für B. Aus diesem Grund wird die Größe(ms)–1 häufig als „magnetische Diffusivität“ bezeichnet.Diese Diffusionsgleichung beschreibt das Abklingenvon B aufgrund der Ohmschen Dissipation, die dieStröme dämpft, welche die Quelle von B sind. Eine Ab-schätzung der Abklingzeit des Erdmagnetfeldes unterder Annahme eines ruhenden Kerns liefert 104 Jahre.Das Erdmagnetfeld existiert aber seit mindestens 109

Jahren. Der Mechanismus, der das Magnetfeld erzeugen und

trotz der Dissipation über diesen langen Zeitraum auf-recht erhalten kann, lässt sich am bequemsten für denGrenzfall eines idealen Leiters diskutieren. In diesemFall verschwindet die rechte Seite von (1), da die Leit-fähigkeit gegen unendlich geht. Von den verbleibendenTermen kann man zeigen, dass sie eine einfache geo-metrische Interpretation zulassen: Denkt man sich dieFlüssigkeitsteilchen, die durch eine einzige magneti-sche Feldlinie miteinander verbunden sind, mit Farbemarkiert, so wird auch zu jedem späteren Zeitpunktdurch die markierte Flüssigkeit ein und dieselbe Feldli-nie verlaufen. Das Magnetfeld ist fest mit den Fluidpar-tikeln verknüpft, bzw. der magnetische Feldvektor istin der Flüssigkeit eingefroren. Für ein inkompressiblesFluid ist sogar ein weiter reichendes Bild richtig, indem man sich einen Magnetfeldvektor als einen Pfeilvorstellt, der zwischen zwei Partikeln verläuft, die inkurzem Abstand auf derselben Feldlinie liegen. Nimmtman an, dass die Endpunkte des Pfeils fest mit denFlüssigkeitsteilchen verbunden sind, so wird dieserPfeil länger, falls sich die Partikel im Laufe der Bewe-gung voneinander entfernen. Tatsächlich wird bei einersolchen Bewegung Arbeit am Magnetfeld verrichtetund das Magnetfeld lokal verstärkt – wiedergegebendurch die geometrische Streckung des Pfeiles.

Das Bild des „eingefrorenen Flusses“ ist streng nurfür ideale Leiter richtig, liefert aber eine nützliche Vor-stellung davon, wie sich B in einem realen Leiter mitendlicher Leitfähigkeit verhält: Streckung und Dissipa-tion konkurrieren darin miteinander, indem sie dasMagnetfeld verstärken bzw. schwächen. Damit dieStreckung die Dissipation überwinden und ein endli-

∂∂

+ ∇ × × = ∇BB v B

t� �

1 2

ms

In der verallgemeinerten Navier-Stokes-Gleichung,

(i)

hier in dimensionsloser Form, stehenlinks die Trägheitsterme, der viskoseReibungsterm, der Gradient des modi-zierten Drucks P und die Coriolis-Kraft in Folge der Rotation um die z-Richtung. Die Terme der rechten Seitebeschreiben den Auftrieb durch Unter-schiede der Temperatur T und die Lo-rentz-Kraft. Die Strömung wird als in-kompressibel angenommen, d. h.

� � v = 0 , (ii)und die Navier-Stokes-Gleichung istmit einer Advektions-Diffusionsglei-chung für die Temperatur

(iii)

und der Induktionsgleichung

(iv)

verknüpft. Es treten vier dimensions-lose Kontrollparameter auf, deren an-schauliche Bedeutung in der Tabelleauf der gegenüberliegenden Seite ange-geben ist. Die Werte einiger der Para-meter weichen im Modell um vieleGrößenordnungen von denen des Erd-kerns ab. Im Wesentlichen lässt sichdies als eine gegenüber dem molekula-ren Wert stark erhöhte Viskosität auf-fassen. Die hohe Viskosität unter-drückt kleinskalige Strukturen in derStrömung, deren Auflösung numerischnicht mehr praktikabel wäre.

∂∂

= ∇ × × + ∇−Bv B B

tPm� � 1 2

∂∂

+ ⋅ ∇ = ∇−Tt

T Tv Pr 1 2

Et

P

Ra T Pm

∂∂

+ ⋅ ∇ − ∇���

���

+ ∇ + ×

= + ∇ × ×−

vv v v z v

r B B

2

1

2 �

,� �

Grundgleichungen der Magnetohydrodynamik

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ches Magnetfeld entstehen kann, muss in Gl. (1) derzweite Term groß genug gegenüber dem dritten sein.Für einen Leiter, der ein Volumen der typischen Aus-dehnung L füllt und sich mit der typischen Geschwin-digkeit V bewegt, ergibt eine Abschätzung der Größen-ordnung der beiden Terme:

(2)

Rm wird als magnetische Reynolds-Zahl bezeichnet.Einen Dynamoeffekt erwarten wir nur für Rm größer 1.Es stellt sich aber heraus, dass selbst in günstigen Fäl-len Rm von der Größenordnung 10–100 sein muss.

Die Induktionsgleichung ist linear in B. Somit istnicht nur B eine Lösung, sondern auch –B. Dieser Um-stand spielt eine besondere Rolle im Hinblick auf dieUmpolungen des Erdmagnetfeldes. Ist das Geschwin-digkeitsfeld zeitunabhängig, so haben Lösungen für Bdie Form B(r,t) = B0(r)e

st, wobei s eine Wachstumsrateist, die im Allgemeinen eine komplexe Zahl sein kann(dies entspräche einem oszillierenden Magnetfeld). DieInduktionsgleichung stellt somit ein Stabilitätsproblemdar: B = 0 ist immer eine Lösung. Diese ist aber insta-bil, wenn es eine andere Lösung mit Re{s} > 0 gibt, so-dass eine kleine Störung zu unbegrenztem Wachstumführen kann.

In der Natur errreicht das Magnetfeld natürlich ei-nem endlichen Sättigungswert. Die Sättigungsamplitu-de des Magnetfeldes lässt sich nur vorhersagen, wennman die Rückwirkung des Magnetfeldes auf die Bewe-gung des Leiters berücksichtigt. Die Induktionsglei-chung ist aber lediglich eine Entwicklungsgleichung fürB, in der v als bekannt vorausgesetzt wird. Die Fragenach der zeitlichen Entwicklung von B bei vorgegebe-nem v wird als „kinematisches Dynamoproblem“ be-zeichnet und verwendet nur Gl. (1). Weiter unten wirddas „dynamische“ oder „volle Dynamoproblem“ be-trachtet, in dem zusätzlich weitere Gleichungen zulösen sind, die v überhaupt erst festlegen (siehe Infoka-sten „Grundgleichungen der Magnetohydrodynamik“).

Unter welchen Bedingungen gibt es nun zeitlich an-wachsende Lösungen von Gl. (1)? Diese Frage lässtsich meist nur numerisch beantworten. Es gibt aller-dings eine Reihe von notwendigen Bedingungen an Bund v, die der Dynamo-Vorstellung zu widersprechenscheinen und die als Antidynamotheoreme bekanntsind. Ein auf Thomas G. Cowling (1906–1990) zurück-gehendes Theorem besagt, dass ein durch Dynamo-effekt erzeugtes Magnetfeld niemals achsensymme-trisch sein kann. Da die achsensymmetrische, dipolareKomponente im Erdmagnetfeld dominiert, wurde die-ses Theorem früher als Indiz dafür angesehen, dass esin der Erde keinen Dynamo gibt.

Ein weiteres Antidynamotheorem besagt, dass dieBewegung eines Leiters in einer Kugel kein Magnetfelderzeugen kann, wenn die radiale Komponente von vüberall verschwindet. Ein homogener Dynamo verlangtalso sowohl ein dreidimensionales Magnetfeld als auchein dreidimensionales Geschwindigkeitsfeld. Diesegeometrische Komplexität des Feldes ist der Preis fürdie einfache räumliche Leitfähigkeitsverteilung im ho-mogenen Dynamo. Auch eine numerische Behandlungder Induktionsgleichung muss dieser KomplexitätRechnung tragen und eine entsprechend aufwändigeräumliche Diskretisierung verwenden. Numerische Si-mulationen des vollen Dynamoproblems sind deshalberst Mitte der 90er Jahre praktikabel geworden.

∇ × ×

∇≈ =

B v

B

� �2 ms

msLV Rm

Experimentelle DynamosDie größte Herausforderung beim Bau eines experi-

mentellen homogenen Dynamos hingegen besteht dar-in, überhaupt ein selbsterregtes Magnetfeld zu erhalten.Um eine genügend hohe magnetische Reynolds-ZahlRm zu erhalten, braucht man einen möglichst gutenelektrischen Leiter, also ein flüssiges Metall. Unter dengebräuchlichen flüssigen Metallen hat im Temperatur-intervall 100–200 oC Natrium die höchste elektrischeLeitfähigkeit. Aus den Erfahrungen mit Natrium alsKühlmittel in schnellen Brütern weiß man, wie man estechnisch zu handhaben hat. Deshalb verwenden allezur Zeit laufenden oder geplanten Experimente Natri-um als flüssigen Leiter. Außerdem hat Natrium bei etwa120 oC dieselbe kinematische Viskosität wie Wasser beiRaumtemperatur. Dadurch lässt sich ein Dynamoexperi-ment schrittweise entwickeln: Zuerst sucht man sicheine geeignete Strömung aus, die man experimentellrealisieren möchte. Mit numerischen Rechnungen

schätzt man dann ab, welchen minimalen Anforderun-gen das Experiment genügen muss (Größe des Natrium-volumens, Strömungsgeschwindigkeit usw.). Ob dasExperiment tatsächlich gelingen wird, bleibt in der Pla-nungsphase ungewiss, weil die numerischen Simulatio-nen notgedrungen Näherungen enthalten, aber bei derAuslegung nur wenig Sicherheitsmargen zur Verfügungstehen. Verwendet man eine Natriumzelle mit einer Ab-messung von 1 m und geht von einer magnetischen Dif-fusivität von 0,1 m2/s aus, so lassen sich magnetischeReynolds-Zahlen von 10–100 erst bei Strömungsge-schwindigkeiten von 1–10 m/s erreichen. Diese Zahlenliegen am Rande des als vertretbar erscheinenden Auf-wandes. Gleichzeitig bedeuten sie, dass die Natrium-strömung sehr turbulent sein wird (mit hydrodynami-schen Reynolds-Zahlen von 106–107). Die Turbulenzkann in den numerischen Rechnungen nicht berück-sichtigt werden, ebensowenig wie geometrische Kom-plexitäten, die in einem experimentellen Aufbau immerauftauchen. Die Unsicherheiten lassen sich jedoch ineinem zweiten Entwicklungsstadium dadurch mindern,dass man von dem geplanten Experiment ein maßstabs-getreues Abbild baut und dieses mit Wasser betreibt.Die Strömung des Wassers ist praktisch identisch mitder von Natrium, aber die Wasserströmung kann manvisualisieren und mit gängiger Anemometrie charakteri-sieren. Das vermessene Geschwindigkeitsfeld dientdann als Eingabe für die numerischen Simulationenund kann die Auslegung des Experiments verfeinern.Sobald die Fehlerbalken der numerischen Vorhersagen

Tabelle: Kontrollparameter der Magnetohydrodynamik

Kontrollparameter Bedeutung Modell Erdkern

Pr (Prandtl-Zahl) Viskosität/therm. Diffusivität 0,1–1 0,1–1

Pm (magnet. Prandtl-Zahl) Viskosität/magnet. Diffusivität 0,5–10 10–5–10–6

E (Ekman-Zahl) Viskosität/Coriolis-Kraft 10–3–10–5 10–14–10–15

Ra (modif. Rayleigh-Zahl) Auftrieb/ 102–103 1013?Viskosität × Coriolis-Kraft

weitere Kennzahlen

Re (Reynolds-Zahl) Trägheit/Viskosität 10–200 108–109

Rm (magnet.Reynolds-Zahl) Advektion/magnet. Diffusivität 30–500 100–1000

L (Elsasser-Zahl) Lorentz-Kraft/Coriolis-Kraft 0,1–10 ~ 1

Ro (Rossby-Zahl) Trägheit/Coriolis-Kraft ~ 10–2 10–6–10–5

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klein genug sind, beginnt das dritte Stadium, nämlichder Bau des Natriumexperiments.

Um den vermuteten Gegebenheiten im Erdkern mög-lichst nahe zu kommen, würde man sich ein Experi-ment wünschen, in dem das Natrium thermisch getrie-ben wird. Ein thermischer Antrieb erreicht aber nur un-ter sehr großen Anstrengungen die nötige magnetischeReynolds-Zahl, weshalb zurzeit nur mechanischer An-trieb des Natriums in Betracht gezogen wird.

Am weitesten fortgeschritten sind die Experimente inRiga und am Forschungszentrum Karlsruhe. Beide Ex-perimente haben ein selbsterregtes Magnetfeld nachwei-sen können. Der wesentliche Bestandteil des Aufbaus inRiga ist ein etwa 3 m langes Rohr, in dem ein Propellereine helikale Strömung erzeugt (Abb. 2a). Das Experi-ment in Karlsruhe hingegen besteht aus 52 Zellen, diejede für sich eine helikale Strömung führen (Abb. 2b).Die Entstehungsmechanismen des Magnetfeldes in bei-den Experimenten sind sehr unterschiedlich, was z. B.daran zu erkennen ist, dass bei den Parametern, bei de-nen das Karlsruher Experiment betrieben wird, eine ein-zelne der 52 Zellen unfähig wäre, ein Magnetfeld auf-recht zu erhalten.1) Erst das Zusammenspiel der Zellenermöglicht den Dynamoeffekt. Diesen kollektiven Effekthält man auch beim Geodynamo für wesentlich.

Das Verdienst der Experimente in Riga und Karlsru-he besteht darin, den Dynamoeffekt überhaupt de-monstriert zu haben. Außerdem ermöglichen sie es,den Sättigungsmechanismus des anwachsenden Ma-gnetfeldes und die Wirkung der Turbulenz zu untersu-chen. Aufgrund ihrer internen mechanischen Strukturschränken allerdings beide Experimente die Möglich-keiten des Geschwindigkeitsfeldes ein, auf die Lorentz-Kraft des wachsenden Magnetfeldes zu antworten. Die-se Beobachtung motiviert eine zweite Generation vonExperimenten, die in Madison, Maryland und Cada-rache (Frankreich) gebaut werden. Diese Aufbautensind Variationen des in Abb. 2c skizzierten Versuchs:Natrium in einer Kugel oder einem Zylinder wirddurch ein oder zwei gegen- oder gleichläufige Propellergerührt. Solche Experimente sind bereits mit Natriumbetrieben worden, haben bisher aber noch kein selbst-erregtes Magnetfeld hervorrufen können.

In all diesen Experimenten ist die Coriolis-Kraft ab-wesend, die für den Geodynamo eine zentrale Rolle

spielt. Eine dritte Generation an Experimenten wirdrotierende (oder gar präzedierende) Zellen verwenden.Experimente dieser Art befinden sich im Stadium desWassertests.2)

Computermodelle magnetohydrodynami-scher DynamosMittels kinematischer Modelle ist es gelungen, wich-

tige Grundprinzipien der Magnetfelderzeugung zu ver-stehen. Um aber das Dynamoproblem in seiner Ge-samtheit zu durchdringen und konkrete Modelle fürden Geodynamo zu entwickeln, ist der nächste Schrittzu magnetohydrodynamischen Dynamomodellen nötig.Zusätzlich zur Induktionsgleichung ist nun die Navier-Stokes-Gleichung und bei konvektionsgetriebenenStrömung eine Gleichung für die Temperatur zu lösen(siehe Kasten). In der Navier-Stokes-Gleichung tretenals Zusatzterme die Coriolis- und die Lorentz-Kraftauf. Beide sind von entscheidender Bedeutung. EineReihe dimensionsloser Kennzahlen geben Auskunftüber die relative Bedeutung der wirkenden Kräfte (sie-he Tabelle). Einige dieser Zahlen gehen als Kontroll-parameter in den skalierten Gleichungen ein, andereberechnen sich aus den mittleren Geschwindigkeitenund Magnetfeldstärken der erhaltenen Lösung. Bei-spielsweise beschreibt die Ekman-Zahl das Verhältnisviskoser Kräfte zur Coriolis-Kraft. Im Erdkern domi-niert letztere um viele Größenordnungen. Auch ge-genüber dem „gewöhnlichen“ Trägheitsterm dominiertdie Coriolis-Kraft (Rossby-Zahl << 1). Hingegen sindLorentz- und Coriolis-Kraft von gleicher Größenord-nung (Elsasser-Zahl � 1), soweit wir dies für den Erd-kern abschätzen können. Grob gesprochen ergibt sichfolgende Hierarchie:

Coriolis-Kraft�Lorentz-Kraft >> Trägheit >> Viskosität.

Wie wir sehen werden, lässt sich diese Hierarchieallerdings nicht in gleicher Weise in den Computermo-dellen realisieren. In der 90er Jahren konnten erstmalsDynamos numerisch simuliert werden, die allein auf denfundamentalen Grundgleichungen ohne Parametrisie-rungen oder ad-hoc-Annahmen beruhen. Seitdem be-schäftigen sich weltweit etliche Gruppen mit der Simu-lation des Geodynamos. Dabei werden in der Regel dieGleichungen (i)–(iv) mit geeigneten Randbedingungenfür die Kugelschalengeometrie des äußeren Erdkernsgelöst. Mit den Simulationen werden zwei nicht immerstreng getrennte Zielrichtungen verfolgt. Um zu einembesseren grundsätzlichen Verständnis der Magnetfeld-erzeugung in verschiedenen dynamischen Regimes zugelangen, versucht man zum einen den Einfluss der fun-damentalen Kontrollparameter möglichst systematischzu untersuchen. Bei einem vierdimensionalen Parame-terraum ist dies jedoch ein recht mühseliges Unterfan-gen. Zum anderen sucht man nach Modellen, welche diebeobachteten Eigenschaften des Erdmagnetfeldes umfas-send reproduzieren. Im folgenden werden wir unshauptsächlich auf den zweiten Aspekt konzentrieren.

Die Untersuchung von kinematischen Dynamos hat-te gezeigt, dass verschiedene Klassen von Lösungenmöglich sind, etwa solche mit äquatorialem Dipol odermit dominierenden Quadrupol. Daher war es etwas un-erwartet, dass bei vielen (aber nicht allen) numeri-schen Dynamomodellen der axiale Dipolanteil im Ma-gnetfeld dominiert. Ferner stimmt die Stärke des Ma-gnetfeldes in den Modellen größenordnungsmäßig oftmit der des Erdmagnetfeldes überein, oder anders aus-

1) Der Zusammenhangzwischen dem KarlsruherDynamo und theoreti-schen Modellen wird in[3] beschrieben.

2) Ref. [4] enthält eineÜbersicht über denStand der Experimentebis zum Jahr 1999. EinenEindruck über den wei-teren Verlauf der experi-mentellen Bemühungenvermitteln insbesonderezwei Tagungsbände [5],[6].

Abb. 2:�� a) Das in Riga gebaute Experiment besteht aus drei koaxialenRohren mit Durchmessern 0,25 m, 0,4 m und 0,8 m bei einerLänge von etwa 3 m (die Zeichnung ist nicht massstabsgetreu).�� b) Der Karlsruher Dynamo: Die Pfeile deuten die Strömungdes Natriums an. Das gesamte Gefäß hat einen Durchmesservon etwa 2 m und eine Höhe von ungefähr 1 m. Die interneStruktur in a) und b) besteht aus rostfreiem Stahl, also eben-falls einem guten elektrischen Leiter. �� c) Prinzipskizze eines der Experimente der nächsten Genera-tion: Zwei Propeller mit entgegengesetztem Drehsinn erzeugeneine turbulente Strömung, die im zeitlichen Mittel achsensym-metrisch ist. Die Struktur dieser Strömung ist in der Zeichnungdurch einige Stromlinien angedeutet.

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gedrückt, die Elsasser-Zahl liegt in der Nähe von eins,wie bei der Erde.

Bei einigen Modellen gehen die Parallelen noch wei-ter und betreffen auch die Morphologie des Magnetfel-des. Da das Feld eines Multipols vom Grad � (Dipol � = 1, Quadrupol � = 2, usw.) gemäß 1/r�+2 mit dem Ra-dius r abfällt, heben sich die höheren Multipolanteilestärker hervor, wenn man das Magnetfeld nicht an derErdoberfläche, sondern an der Oberfläche des Kernsbetrachtet. Insoweit Quellen des Magnetfeldes in Kru-ste und Mantel vernachlässigbar sind, kann man es imErdinneren bis zur Grenze des Kerns als Potentialfeldbehandeln und analytisch in die Tiefe fortsetzen. Abbil-dung 3a zeigt die Radialkomponente Br an der Kern-Mantel-Grenze im Jahre 1990 bis zu Multipoltermenvom Grad 13. Feinskaligere Strukturen des Kernfeldeslassen sich nicht auflösen, da sie an der Erdoberflächevom Beitrag der heterogenen Magnetisierung der Erd-kruste überdeckt werden. In Abb. 3b wird dies mit ei-ner Momentaufnahme des Magnetfeldes aus einerDynamosimulation mit erdähnlicher magnetischerReynolds-Zahl verglichen. Die Dominanz des axialenDipols ist deutlich erkennbar, aber das Magnetfeld istaus vielen kleinskaligen Strukturen zusammengesetzt.Erst wenn das Feld des Dynamomodells so gefiltertwird, dass seine Auflösung der des Erdmagnetfeldesentspricht (Abb. 3c), erkennt man qualitative Ähnlich-keiten über die bloße Dipoldominanz hinaus. In etwa60 bis 70 Grad geografischer Breite befinden sich kon-zentrierte Bündel magnetischen Flusses. Die Regionenunmittelbar um die Pole, wo ein reines Dipolfeld diegrößte radiale Flussdichte hätte, sind dagegen durchverminderten bzw. inversen Fluss charakterisiert. ImDynamomodell lassen sich diese magnetischen Struktu-ren zum Muster der Konvektionszellen in Beziehungsetzen. Dann schließt man in Analogie auf ähnlicheKonvektionsströmungen im Erdkern.

Die Bündelung magnetischen Flusses in hohen Brei-ten fällt mit Konvektionssäulen mit zyklonalem Dreh-sinn zusammen, die sich in z-Richtung (d. h. parallelzur Rotationsachse) von der Nordhemisphäre in dieSüdhemisphäre des flüssigen Kerns erstrecken (Abb. 4).Derartige Säulen sind nur außerhalb des „Tangentialzy-linders“ möglich, eines imaginären Zylinders, der sichan den Äquator des inneren Kerns anschmiegt und par-allel zur Rotationsachse ausgerichtet ist. Der Tangenti-alzylinder teilt den äußeren Kern in drei dynamischunterschiedliche Bereiche ein: den äußeren Torus unddie Regionen innerhalb dieses Zylinders nördlich undsüdlich des inneren Kerns. Der Tangentialzylinder bil-det eine wichtige immaterielle Grenze, weil die starkeCoriolis-Kraft der Flüssigkeit eine dynamische Steifig-keit in der z-Richtung verleiht. Innerhalb des Tangen-tialzylinders zeigen die Dynamomodelle oft Aufströmean den Polachsen. Dem entspricht nahe der Kernober-fläche eine von den Polen weggerichtete Strömung. Sieträgt die „eingefrorenen“ Feldlinien aus der Polregionfort und erzeugt so die Minima des magnetischen Flus-ses. Das Magnetfeld wird am Rand des Tangentialzylin-ders konzentriert, welcher die Kern-Mantel-Grenze beietwa 69 Grad Breite schneidet.

Die Tatsache, dass der magnetische Fluss in ersterNäherung in der sich bewegenden Flüssigkeit eingefro-ren ist, eröffnet eine Möglichkeit, um die Strömungnahe der Kernoberfläche direkt aus den beobachtetenSäkularvariationen des Magnetfeldes zu erschließen.Hierzu benutzt man die Radialkomponente der Induk-

tionsgleichung unter Vernachlässigung des Diffusions-terms. Sie lässt sich an der Kern-Mantel-Grenze (wodie Radialgeschwindigkeit verschwindet) als

(3)

schreiben. Der Index h bezeichnet die Beschränkungauf die Horizontalkomponenten. Für gegebenes Br und∂Br/∂t versucht man, Gl. (3) nach der Strömungsge-schwindigkeit zu invertieren. Leider ist dies nicht ein-deutig möglich und man muss mehr oder weniger plau-sible Zusatzannahmen benutzen, um die Mehrdeutig-keit zu beseitigen. Zumindest erwartet man, dass dieinvertierten Geschwindigkeiten in der richtigen Grö-ßenordnung liegen. Der Wert von etwa 0,3 mm/s, denman hierbei erhält, impliziert eine magnetische Rey-nolds-Zahl von etwa 500. Anhand neuer Satellitenda-ten konnte kürzlich die Säkularvariation mit deutlichverbesserter Auflösung bestimmt werden [1], um dar-aus ein detaillierteres Abbild der Kernströmung zu be-rechnen. Die Resultate zeigen, dass magnetische Fluss-konzentrationen tatsächlich mit zyklonalen Wirbelnverbunden sind, wie es mehrere Dynamomodelle vor-ausgesagt haben. An beiden Polen zeigt die Inversion

∂∂

= ∇ ⋅Bt

Brh h rv� �

Abb. 4:Konvektionsmuster in einer rotierendenKugelschale bei relativ kleiner Rayleigh-Zahl. Die Strömung zirkuliert um dieSäulenachsen. Die Konvektionssäulenumschließen den inneren Kern; ihrInnenrand markiert den „Tangentialzylin-der“. Die Anzahl der Säulen wird von derRotationsrate (und der Magnetfeldstärke)beeinflusst.

Abb. 3:Radiale Kompo-nente des Erd-magnetfeldes ander Kern-Mantel-Grenze (Die Konti-nente sind nur zurReferenz einge-zeichnet)�� a) aus Ober-flächen- und Satel-litenmessungenvon 1990 berech-net. Rote undblaue Farbtöneentsprechen ein-bzw. auswärtsgerichtetem Feld.�� b) aus einemDynamomodell mitden Parameter Ra = 1500, E = 10–4,Pr = 1, Pm = 2.�� c) Das Feld in b)beschränkt aufMultipolterme bisGrad 13.

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antizyklonale Wirbel mit Rotationsraten von etwa ei-nem Grad pro Jahr. Auch diese Wirbel mit einigen tau-send Kilometer Durchmesser finden sich in diversenDynamomodellen wieder. Sie entsprechen einem „ther-mischen Wind“, der mit der warmen aufsteigendenStrömung an den Polachsen verbunden ist und durchdie Coriolis-Ablenkung entsteht.

Der sicherlich interessanteste und rätselhaftesteAspekt im Zeitverhalten des Erdmagnetfeldes sind diePolumkehrungen. Das Aufsehen, dass die Simulationenvon Glatzmaier und Roberts [7] hervorriefen, beruhtezum Teil darauf, dass sich dabei das Magnetfeld um-kehrte. Es zeigte sich, dass das Muster des inhomogenverteilten Wärmeflusses an der Kern-Mantel-Grenze,welches durch die (viel langsamere) Mantelkonvektionvorgegeben wird, die Häufigkeit von Umpolungen be-einflusst. Dies passt gut zur paläomagnetischen Beob-achtung, dass sich die Häufigkeit von Umpolungen aufZeitskalen von 100 Millionen Jahren, d. h. der Zeitska-la der Mantelkonvektion, stark ändern kann. In vielenpublizierten Dynamomodellen gibt es aber gar keineUmkehrungen des magnetischen Dipols.

Kürzlich konnten wir zeigen, dass die Rayleigh-Zahlals Kontrollparameter für die Heftigkeit der thermi-schen Konvektion das Auftreten von Umkehrungenwesentlich beeinflusst [9]. Bei relativ kleinen Rayleigh-

Zahlen dominiert der axiale Dipolanteil das Magnetfeldnoch stärker als bei der Erde und seine Richtung bleibtstabil. Bei sehr hohen Werten dominieren höhere Mul-tipolterme, während der Dipol schwach ist und erra-tisch fluktuiert. In einem Zwischenbereich für die Ray-leigh-Zahl zeigt sich ein erdähnliches Verhalten: Deraxiale Dipol dominiert in langen stabilen Phasen, dievon kürzeren Episoden mit relativ schwachem und in

der Richtung schwankendem Dipolanteil unterbrochenwerden. Oftmals stellt sich danach die frühere Polaritätwieder ein und man würde das Ereignis als eine geoma-gnetische Exkursion bezeichnen. Gelegentlich etabliertsich aber auch die andere Feldrichtung. Wie bei der Er-de kehrt sich die Dipolrichtung dabei oft in einem rela-tiv kurzen Zeitraum von weniger als 10000 Jahren um.Abbildung 5 zeigt die radiale Komponente des Magnet-feldes vor, während und nach einer Polumkehr. ImGegensatz zu Abbildung 3 wird hier das Magnetfeld ander Erdoberfläche gezeigt, wo in Zeiten stabiler Pola-rität der Dipolanteil sehr stark dominiert. Während derPolumkehr ist das Magnetfeld deutlich schwächer, imEinklang mit paläomagnetischen Resultaten. Währendder Umkehr tritt der Dipolanteil gegenüber den Qua-drupol- and Oktupolkomponenten zurück.

Da das axiale Dipolmoment der Erde seit 1840, alsGauß eine Methode zur absoluten Intensitätsmessungeinführte, stetig abnimmt, kann man über eine bevor-stehende Feldumkehr spekulieren. Bei linearer Extra-polation wäre dies in etwa 2000 Jahren der Fall. AberFluktuationen des Feldes hat es auch in Phasen stabilerPolarität immer gegeben und das Dipolmoment ist zurZeit noch größer, als es im Zeitmittel der letzten fünfMillionen Jahre war. Dennoch lässt es sich nicht aus-schließen, dass wir uns in der Startphase zu einer Feld-umkehr befinden könnten. Erst wenn wir den Dyna-momechanismus besser verstanden haben, lässt sichvielleicht eine begründete Prognose über die zukünftigeFeldentwicklung machen.

Wie realistisch sind die Dynamomodelle?In wenig mehr als einer halben Dekade hat die Un-

tersuchung des Geodynamos einen gewaltigen Auf-schwung erfahren, der inzwischen in einer Reihe vonÜbersichtsartikeln dokumentiert ist [2, 10–13]. Wierealistisch sind die Modelle? Sie können offenbar nichtnur die fundamentalen Eigenschaften des Erdmagnet-feldes, wie seine Stärke und die Dipoldominanz, erfol-greich reproduzieren, sondern auch sekundäre Merk-male, wie Details der Feldmorphologie und des Um-polverhaltens. Dieser Erfolg ist etwas erstaunlich, damehrere entscheidende Parameter in den Modellenganz andere Werte haben als im Erdkern (siehe Tabel-le). Simulationen mit realistischen Parametern desKerns werden auf längere Sicht unerreichbar bleiben,da sie eine um mehrere Größenordnungen höhereräumliche und zeitliche Auflösung der Felder erfor-dern. Der wichtigste Unterschied zwischen den derzei-tigen Simulationen und dem realen Kern ist, dass dieviskose Reibung mit zu den dominanten Kräften in derModellströmung gehört. In Wirklichkeit spielt sie je-doch nur eine vernachlässigbare Rolle. Dies drücktsich in der großen Diskrepanz der (hydrodynamischen)Reynolds-Zahlen zwischen Modell und Erdkern aus.Dem gegenüber ist die magnetische Reynolds-Zahl un-gefähr stimmig. Die Balance zwischen magnetischerDiffusion auf der einen Seite und Advektion und In-duktion auf der anderen wird also richtig getroffen.Dagegen wird die kleinskalige Turbulenz der Strömungnicht erfasst und es bleibt fraglich, ob die für die mag-netische Induktion relevanten großen und mittlerenSkalen in der Strömung richtig beschrieben werden. Im Erdkern ist die magnetische Diffusivität um sechsGrößenordnungen höher als die kinematische Visko-sität. In den Modellen muss ihr Verhältnis (die magne-tische Prandtl-Zahl) in der Nähe von eins gewählt wer-

Abb. 5:Radiale Kompo-nente der magneti-schen Flussdichteeines Dynamo-modells a) vor, b)während, c) nacheiner Umpolung,berechnet für dieErdoberfläche. Dadie Beiträge höhe-rer Multipole weitstärker mit demRadius abfallen alsder Beitrag vonDipol und Qua-drupol, dominierenhier im Gegensatzzu Abb. 3 langwel-lige Strukturen.

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den, um selbsterhaltende Dynamowirkung zu bekom-men. Das hat zur Folge, dass zur Energiedissipation,die im Kern praktisch nur durch Ohmsche Verluste er-folgt, in den Modellen die viskose Dissipation in glei-cher Größenordnung beiträgt. Experimentelle Dyna-mos werden uns bei der Klärung der Frage helfen, obdiese Unterschiede entscheidende Konsequenzen ha-ben. Die Tatsache, dass die Magnetfelder in den Mo-dellen gerade so stark werden, dass Lorentz-Kräfte undCoriolis-Kräfte von gleicher Größenordnung sind, lässtvermuten, dass das dynamische Regime nicht funda-mental verschieden von dem des Erdkerns ist. Eine(vielleicht zu optimistische) Annahme ist daher, dassdie korrekte Kugelschalengeometrie und der starkeEinfluss der Rotation in der Modellströmung bereitsdie entscheidenden Ingredenzien für eine realistischeSimulation des Geodynamos darstellen.

Literatur[1] G. Hulot et al., Nature 416, 620 (2002)[2] E. Dormy, J.-P. Valet, V. Courtillot, Geochem. Geo-

phys. Geosyst. 1, 1 (2000)[3] F. H. Busse et al., in: Evolution of Spontaneous

Structures in Dissipative Continuous Systems, F.H. Busse, S.C. Müller (Hrsg.), Springer, Heidel-berg (1998)

[4] A. Tilgner, Phys. Earth Planet. Inter. 117, 171(2000)

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[6] Magnetohydrodynamics 38, (2002)[7] G. A. Glatzmaier, P.H. Roberts, Nature 377, 203

(1995)[8] G. A. Glatzmaier et al., Nature, 401, 885 (1999)

[9] C. Kutzner, U. Christensen, Phys. Earth Planet. Int.131, 29 (2002)

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(2000)[12] P. H. Roberts, G. A. Glatzmaier, Rev. Mod. Phys.

72, 1081 (2000)[13] G. A. Glatzmaier, Annu. Rev. Earth Planet. Sci.

30, 237 (2002)

Ulrich Christensen studierte in Braun-schweig Physik und promovierte dort inGeophysik. Während des größeren Teilsseiner bisherigen wissenschaftlichenKarriere am MPI für Chemie in Mainzund ab 1992 als C4-Professor für Geo-physik in Göttingen beschäftigte er sichmit der numerischen Modellierung vonKonvektionsströmungen im Gesteins-mantel der Erde. Für diese Arbeiten er-hielt er 1994 den Leibniz-Preis. Seit Mit-te der neunziger Jahre befasst er sich auch intensiv mitSimulationen des Geodynamos. Andreas Tilgner hat 1991 an der Univer-sität Grenoble mit einer Arbeit zur Poly-merphysik promoviert. Als Postdoc be-fasste er sich anschließend in der Grup-pe von A. Libchaber an der PrincetonUniversity mit turbulenter Konvektion.Von 1993 an widmete er sich in Bay-reuth am Lehrstuhl von F.H. Busse demDynamoeffekt sowie anderen Themender geophysikalischen Strömungsmecha-nik, bevor er im April 2001 einem Rufals Professor nach Göttingen folgte.

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