Erfahrungen hinterlassen Spuren€¦ · Erfahrungen hinterlassen Spuren In den letzten Jahren hat...

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16 • AkteHund 10/10 fördert nach heutigem Wissen das Ler- nen. Was folgt also daraus? Spitzer meint, «attraktiver Blickkontakt» tue beim Lernen gut. Der südafrikanische Forscher Johannes Odendaal und seine amerikanische Kollegin Rebecca John- son haben Studien mit Mensch-Hund- Paaren gemacht und herausgefunden, dass bei beiden der Oxytocin-Spiegel (das sogenannte Bindungshormon), die Endorphine und das Dopamin (Glückshormone) bei positiver Inter- aktion steigen. Eine japanische Studie weist zudem darauf hin, dass der An- stieg der Hormone bei intensivem Blickkontakt zwischen Hund und Mensch besonders ausgeprägt sein könnte. Und dies ist keine Einbahn- strasse, sondern der Hormonspiegel steigt bei Mensch und Hund an. Dies bedeutet für die Hundeerzie- hung, ein solcher Blickkontakt kommt dann zustande, wenn der «Lehrer» Spass hat, an dem was er tut und wenn der «Lehrer» für den Hund attraktiv ist. Dies entspricht Befunden aus der Ver- haltensökologie. Die sogenannte Marktheorie sagt – übertragen auf die Mensch-Hund-Beziehung – aus: Ich muss als Mensch möglichst viele Res- sourcen haben, damit mein Hund ein grosses Interesse besitzt, von und mit mir zu lernen und eine dauerhafte Be- ziehung mit mir einzugehen. Mit Res- sourcen sind alle Dinge gemeint, die ein gemeinsames Leben ermöglichen: Si- cherheit, gemeinsame Aktivitäten, bis hin zu Futter.Verdeutlicht werden kann dies anhand der Metapher eines Mark- tes. Dort wird ein Händler, der viele nützliche Waren im Regal stehen hat, sehr viel interessanter sein, als derje- nige Händler, welcher nur eine Sache, zum Beispiel Nahrung, anbietet. Ge- lernt wird nach den Erkenntnissen der Neurobiologie vor allem dann, wenn das gezeigte Verhalten ein Resultat lie- fert, das besser als erwartet ausfällt. Ge- lernt wird immer dann, wenn positive Erfahrungen gemacht werden. Wobei für den Hund positive Erfahrungen vor allem in positiven Sozialkontakten be- steht. Der lernende Hund ist kein Tier, das reflexhaftes Verhalten produziert und umso mehr davon zeigt, je mehr Leckerchen er für ein bestimmtes Ver- halten bekommt. Das Verhalten unse- rer Haushunde vollzieht sich seit vielen tausend Jahren in der Gemeinschaft mit dem Menschen und gemeinschaftli- che Aktivität beziehungsweise gemein- schaftliches Handeln ist daher wahr- scheinlich der bedeutsamste «Verstär- ker». Erfahrungen hinterlassen Spuren In den letzten Jahren hat die Neuro- biologie, insbesondere die Gehirnfor- schung, einen enormen Aufschwung er- lebt. Neue Untersuchungsmethoden werden entwickelt und weltweit veröf- fentlichen eine ganze Reihe von For- schungsinstituten immer wieder Ergeb- nisse, die auch in der breiten Öffent- lichkeit Aufmerksamkeit erregen und teilweise sehr kontrovers diskutiert werden. Die Gehirnforschung dringt in immer neue Gebiete ein, wobei die Pädagogik bereits sehr intensiv erfasst wurde. Die Neurobiologie liefert unter anderem Aufsehen erregende Ergeb- nisse zur Wahrnehmung, zum Denken, Erinnern, Vorstellen, Planen, zur Moti- vation und vor allem zum Lernen. Grundlage ist die Vorstellung, dass das Gehirn die Basis allen Lernens ist. Das Gehirn funktioniert letztlich dadurch, dass wir Erfahrungen machen und diese Erfahrung in unserem Gehirn Spuren hinterlassen. Der Gehirnfor- scher Gerald Hüther benützt für die Beschreibung der erfahrungsabhängi- gen Plastizität des neuronalen Netz- werkes das Bild eines Strassen und We- genetzes, das sich infolge des Baus und der Benutzung eines Ausflugslokals verändert: Der holprige Feldweg wird ausgebaut; schon ist er asphaltiert und vierspurig ausgebaut. Manfred Spitzer hat für die Veränderungen beim Ler- nen das schöne Bild der Entstehung und allmählichen Verfestigung von Spuren im verschneiten Park gefunden. Wenn alle durcheinander laufen, gibt es ein wildes Getrampel, man erkennt nicht viel. Wenn aber irgendwo in dem Park eine Glühweinbude ist und an der anderen Ecke vielleicht eine Toilette, dann sieht man irgendwann einen Trampelpfad von der Glühweinbude zur Toilette. Das heisst es gibt eine ge- brauchsabhängig entstandene Spur in diesem verschneiten Park. Und ge- nauso wie die Regeln der Benutzung festlegen, wie und welche Spuren in dem Park entstehen, entstehen Spuren im Gehirn durch die Benutzung des Gehirns. Langfristig zeigen die Spuren im Park die Häufigkeit ihres Ge- AUSBILDUNG IN DER THEORIE FAMILIENHUNDE Lernprozesse werden durch viele Faktoren beeinflusst. Situationen, Gefühle und die Form der Interaktion mit dem Menschen spielen dabei eine wesentliche Rolle.

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16 • AkteHund 10/10

fördert nach heutigem Wissen das Ler-nen. Was folgt also daraus? Spitzermeint, «attraktiver Blickkontakt» tuebeim Lernen gut. Der südafrikanischeForscher Johannes Odendaal und seineamerikanische Kollegin Rebecca John-son haben Studien mit Mensch-Hund-Paaren gemacht und herausgefunden,dass bei beiden der Oxytocin-Spiegel(das sogenannte Bindungshormon), dieEndorphine und das Dopamin(Glückshormone) bei positiver Inter-aktion steigen. Eine japanische Studieweist zudem darauf hin, dass der An-stieg der Hormone bei intensivemBlickkontakt zwischen Hund undMensch besonders ausgeprägt seinkönnte. Und dies ist keine Einbahn-strasse, sondern der Hormonspiegelsteigt bei Mensch und Hund an.

Dies bedeutet für die Hundeerzie-hung, ein solcher Blickkontakt kommtdann zustande, wenn der «Lehrer»Spass hat, an dem was er tut und wennder «Lehrer» für den Hund attraktiv ist.Dies entspricht Befunden aus der Ver-haltensökologie. Die sogenannteMarktheorie sagt – übertragen auf dieMensch-Hund-Beziehung – aus: Ichmuss als Mensch möglichst viele Res-sourcen haben, damit mein Hund eingrosses Interesse besitzt, von und mitmir zu lernen und eine dauerhafte Be-ziehung mit mir einzugehen. Mit Res-sourcen sind alle Dinge gemeint, die eingemeinsames Leben ermöglichen: Si-cherheit, gemeinsame Aktivitäten, bishin zu Futter.Verdeutlicht werden kanndies anhand der Metapher eines Mark-tes. Dort wird ein Händler, der viele

nützliche Waren im Regal stehen hat,sehr viel interessanter sein, als derje-nige Händler, welcher nur eine Sache,zum Beispiel Nahrung, anbietet. Ge-lernt wird nach den Erkenntnissen derNeurobiologie vor allem dann, wenndas gezeigte Verhalten ein Resultat lie-fert, das besser als erwartet ausfällt. Ge-lernt wird immer dann, wenn positiveErfahrungen gemacht werden. Wobeifür den Hund positive Erfahrungen vorallem in positiven Sozialkontakten be-steht. Der lernende Hund ist kein Tier,das reflexhaftes Verhalten produziertund umso mehr davon zeigt, je mehrLeckerchen er für ein bestimmtes Ver-halten bekommt. Das Verhalten unse-rer Haushunde vollzieht sich seit vielentausend Jahren in der Gemeinschaftmit dem Menschen und gemeinschaftli-che Aktivität beziehungsweise gemein-schaftliches Handeln ist daher wahr-scheinlich der bedeutsamste «Verstär-ker».

Erfahrungen hinterlassen Spuren

In den letzten Jahren hat die Neuro-biologie, insbesondere die Gehirnfor-schung, einen enormen Aufschwung er-lebt. Neue Untersuchungsmethodenwerden entwickelt und weltweit veröf-fentlichen eine ganze Reihe von For-schungsinstituten immer wieder Ergeb-nisse, die auch in der breiten Öffent-lichkeit Aufmerksamkeit erregen undteilweise sehr kontrovers diskutiertwerden. Die Gehirnforschung dringt inimmer neue Gebiete ein, wobei diePädagogik bereits sehr intensiv erfasst

wurde. Die Neurobiologie liefert unteranderem Aufsehen erregende Ergeb-nisse zur Wahrnehmung, zum Denken,Erinnern, Vorstellen, Planen, zur Moti-vation und vor allem zum Lernen.Grundlage ist die Vorstellung, dass dasGehirn die Basis allen Lernens ist. DasGehirn funktioniert letztlich dadurch,dass wir Erfahrungen machen unddiese Erfahrung in unserem GehirnSpuren hinterlassen. Der Gehirnfor-scher Gerald Hüther benützt für dieBeschreibung der erfahrungsabhängi-gen Plastizität des neuronalen Netz-werkes das Bild eines Strassen und We-genetzes, das sich infolge des Baus undder Benutzung eines Ausflugslokalsverändert: Der holprige Feldweg wirdausgebaut; schon ist er asphaltiert undvierspurig ausgebaut. Manfred Spitzerhat für die Veränderungen beim Ler-nen das schöne Bild der Entstehungund allmählichen Verfestigung vonSpuren im verschneiten Park gefunden.Wenn alle durcheinander laufen, gibt esein wildes Getrampel, man erkenntnicht viel. Wenn aber irgendwo in demPark eine Glühweinbude ist und an deranderen Ecke vielleicht eine Toilette,dann sieht man irgendwann einenTrampelpfad von der Glühweinbudezur Toilette. Das heisst es gibt eine ge-brauchsabhängig entstandene Spur indiesem verschneiten Park. Und ge-nauso wie die Regeln der Benutzungfestlegen, wie und welche Spuren indem Park entstehen, entstehen Spurenim Gehirn durch die Benutzung desGehirns. Langfristig zeigen die Spurenim Park die Häufigkeit ihres Ge-

AUSBILDUNG IN DER THEORIE FAMILIENHUNDE

Lernprozesse werden durch viele Faktoren beeinflusst. Situationen, Gefühle und die Form der Interaktion mit demMenschen spielen dabei eine wesentliche Rolle.