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Herausgegeben von W. Gebhardt, Koblenz, Deutschland R. Hitzler, Dortmund, Deutschland F. Liebl, Berlin-Charlottenburg, Deutschland Erlebniswelten

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Erlebniswelten

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Erlebniswelten Zur programmatischen Idee der Reihe In allen Gesellschaften (zu allen Zeit und allerorten) werden irgendwelche kulturellen Rahmenbedingungen des Erlebens vorproduziert und vororganisiert, die den Menschen außergewöhn-liche Erlebnisse bzw. außeralltägliche Erlebnis qualitäten in Aussicht stellen: ritualisierte Erlebnisprogramme in bedeutungs trächtigen Erlebnisräumen zu sinngeladenen Erlebniszeiten für symbolische Erlebnisgemeinschaften. Der Ein-tritt in dergestalt zugleich ‚besonderte‘ und sozial approbierte Erlebniswelten soll die Relevanzstrukturen der alltäglichen Wirklichkeit – zumindest partiell und in der Regel vorübergehend – aufheben, zur mentalen (Neu-)Orientierung und sozi-alen (Selbst-)Verortung veranlassen und dergestalt typischerweise mittelbar dazu beitragen, gesellschaftliche Vollzugs- und Verkehrsformen zu erproben oder zu bestätigen.

Erlebniswelten können also sowohl der ‚Zerstreuung‘ dienen als auch ‚Flucht-möglichkeiten‘ bereitstellen. Sie können aber auch ‚Visionen‘ eröffnen. Und sie können ebenso ‚(Um-)Erziehung‘ bezwecken. Ihre empirischen Erscheinungs-weisen und Ausdrucksformen sind dementsprechend vielfältig: Sie reichen von ‚unterhaltsamen‘ Medienformaten über Shopping Malls und Erlebnisparks bis zu Extremsport- und Abenteuerreise-Angeboten, von alternativen und exklusiven Lebensformen wie Kloster- und Geheimgesellschaften über Science Centers, Schützenclubs, Gesangsvereine, Jugendszenen und Hoch-, Avantgarde- und Trivialkultur-Ereignisse bis hin zu ‚Zwangserlebniswelten‘ wie Gefängnisse, Pflegeheime und psychiatrische Anstalten.

Die Reihe ‚Erlebniswelten‘ versammelt – sowohl gegenwartsbezogene als auch historische – materiale Studien, die sich der Beschreibung und Analyse solcher ‚herausgehobener‘ sozialer Konstruktionen widmen.

Herausgegeben vonWinfried GebhardtUniversität [email protected]

Ronald HitzlerTU [email protected]

Franz LieblUniv. der Künste [email protected]

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Christina Waldeyer

Homo hortulanusDie Sinnzuschreibungen in privaten Hausgartengestaltungen

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Christina WaldeyerTechnische Universität Darmstadt Deutschland

ErlebnisweltenISBN 978-3-658-13453-2 ISBN 978-3-658-13454-9 (eBook)DOI 10.1007/978-3-658-13454-9

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Lektorat: Katrin Emmerich, Katharina Gonsior

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Inhaltsverzeichnis

Einführung ............................................................................................................................................. 9

1. Die Sinnzuschreibungen in Gärten: Gartengestaltungen als Handlungen, legitimierende

Ideen und materielle Objektivationen .......................................................................................... 17

1.1 Gartengestaltung als Handlung .................................................................................................................. 21

1.1.1 Natur und Kultur der Gartengestaltung ................................................................................................ 22

1.1.2 Die Inszenierung der Gartengestaltung ................................................................................................ 25

1.1.3 Die vier wesentlichen Gartengestaltungs-Handlungsformen ............................................................... 27

1.2 Gärten als Ideen: Zum symbolischen Ausdruck der Gartengestaltung ...................................................... 29

1.2.1 Die Bildungs- und Erziehungsidee in der Gartengestaltung ................................................................ 32

1.2.2 Die Gartengestaltung als irdisches Paradies ......................................................................................... 35

1.2.3 Die Gartengestaltung als Machtsymbol ............................................................................................... 38

1.2.4 Die Gartengestaltung als Herrschaftssymbol ....................................................................................... 39

1.2.5 Die modernen Symbole der Gartengestaltung ...................................................................................... 40

1.3 Gärten als materielle Objektivationen: Die Konstruktion des Räumlichen und Örtlichen in der

Gartengestaltung ........................................................................................................................................ 41 1.3.1 Das Verhältnis von Privatheit zu Öffentlichkeit in der Gartengestaltung ............................................. 45

1.3.2 Gärten als paradoxe Räume und Heterotopien ..................................................................................... 48

1.4 Die Sinnzuschreibungen in Gartengestaltungen als Handlungen, legitimierende Ideen und materielle

Objektivation – Schlussbetrachtung........................................................................................................... 48

2. Die Konstruktion der Typen und der Typologie privater Hausgartengestaltungen ................. 51

2.1 Gesellschaftliche Einflussfaktoren der privaten Hausgartengestaltungstypen ........................................... 54

2.2 Abgrenzung der gartengestaltenden Typologien ........................................................................................ 58

2.3 Schlussbetrachtung .................................................................................................................................... 64

3. Das methodische Vorgehen der Studie: Zur Rekonstruktion des homo hortulanus ................. 65

3.1 Der Ratgeber als Gegenstand sozialwissenschaftlicher Analysen ............................................................. 68

3.2 Die Auswahl des Ratgebermaterials .......................................................................................................... 74

3.3 Die dokumentarische Methode zur Auswertung des ratgebenden Materials ............................................. 77

4. Die Typen des homo hortulanus..................................................................................................... 81

4.1 Zum Typus des homo hortulanus liberalis ................................................................................................. 81

4.1.1 „Vom Erblühen der Gärten“ – oder zur Bühneninszenierung des liberalis .......................................... 84

4.1.2 Zu den Darstellern auf der liberalis-Gartenbühne ................................................................................ 96

4.1.3 Differenzierungen der liberalis-Konstruktion .................................................................................... 101

4.2 Zum Typus des homo hortulanus habitans .............................................................................................. 107

4.2.1 „Das grüne Zimmer“ – oder zur Bühneninszenierung des habitans ................................................... 110

4.2.2 Zu den Darstellern auf der habitans-Gartenbühne .............................................................................. 119

4.2.3 Differenzierungen der habitans-Konstruktion.................................................................................... 126

4.3 Zum Typus des homo hortulanus oecologicus ......................................................................................... 130

4.3.1 „Das Lied vom Garten Eden“ – oder zur Bühneninszenierung des oecologicus ................................ 135

4.3.2 Zu den Darstellern auf der oecologicus-Gartenbühne ........................................................................ 143

4.3.3 Differenzierungen der oecologicus-Konstruktion .............................................................................. 150

4.4 Zum Typus des homo hortulanus familiaris ............................................................................................ 153

4.4.1 „Ein Sommertagstraum“ – oder zur Bühneninszenierung des familiaris ........................................... 159

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Inhalt 6

4.4.2 Zu den Darstellern auf der familiaris-Gartenbühne ........................................................................... 168

4.4.3 Differenzierungen der familiaris-Konstruktion .................................................................................. 173

4.5 Zum Typus des homo hortulanus theatralis ............................................................................................. 176

4.5.1 „In Goethes Garten“ oder zur Bühneninszenierung des theatralis ..................................................... 184

4.5.1.1 Das Idyll der ländlichen Romantik ............................................................................................ 186

4.5.1.2 Über die Faszination fernöstlicher Bürgergärten ....................................................................... 188

4.5.1.3 Von der grenzenlosen Prärie und der unberührten Felsenlandschaft ......................................... 191

4.5.1.4 Die Magie der Wasserlandschaft ................................................................................................ 193

4.5.1.5 Zum zeitgenössischen Gartendesign .......................................................................................... 196

4.5.2 Zu den Darstellern auf der theatralis-Gartenbühne ............................................................................ 199

4.5.3 Differenzierungen der theatralis-Konstruktion .................................................................................. 201

4.6 Von liberalis zu theatralis – Schlussbetrachtung ..................................................................................... 204

5. Die Sinnzuschreibungen in der Typologie privater Hausgartengestaltungen ......................... 207

5.1 Gartengestaltendes Wissen als Charakteristikum der Typologie privater Hausgartengestaltungen ......... 215

5.2 Und wer ist homo hortulanus? ................................................................................................................. 217

6. Schlussbetrachtungen und Forschungsdesiderate der Gartensoziologie ................................ 219

Literaturverzeichnis .......................................................................................................................... 224

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7 Inhalt

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Die Ebenen der Gartengestaltung ............................................................................................ 20

Abb. 2 Milieuauswertung: Garten am Haus ........................................................................................ 56

Abb. 3 Milieuauswertung: Beschäftigung mit dem Garten ................................................................. 57

Abb. 4 Gartengestaltungstypologien ................................................................................................... 59

Abb. 5 Gärten im Möbel-, Interieur- und Kunstdesign ....................................................................... 61

Abb. 6 Hausgartendesignmobiliar ....................................................................................................... 61

Abb. 7 Virtuelle Gärten – der Telegarten ............................................................................................. 62

Abb. 8 Virtuelle Gärten – Yard Work Simulator.................................................................................. 63

Abb. 9 Die chronologische Abfolge der homo hortulanus Typen ....................................................... 66

Abb. 10 Die Umsatzentwicklung des Ratgebermarktes 2011 ............................................................. 70

Abb. 11 Bauanleitungen der familiaris-Ratgeberliteratur ................................................................... 72

Abb. 12 Die Trichtermethode der Ratgeberliteratur ............................................................................ 73

Abb. 13 Die Bühne des liberalis ......................................................................................................... 85

Abb. 14 Mistbeetaufbau ...................................................................................................................... 90

Abb. 15 Pflanzenfeindschaften und Pflanzenfreundschaften .............................................................. 98

Abb. 16 Die Freiheit der grafischen Darstellungsformen .................................................................. 105

Abb. 17 Die Bühne des habitans ......................................................................................................... 111

Abb. 18 Eine Realisationsvariante der habitans-Gartengestaltung ................................................... 118

Abb. 19 Die Grillrequisiten des habitans .......................................................................................... 121

Abb. 20 Die technischen Requisiten des habitans ............................................................................ 124

Abb. 21 Die Reduktion der natürlichen Vielfalt ................................................................................ 131

Abb. 22 Zum Verbot jedes Giftstoffes ............................................................................................... 134

Abb. 23 Die Bühne des oecologicus .................................................................................................. 136

Abb. 24 Eine Realisationsvariante der oecologicus-Gartengestaltung .............................................. 141

Abb. 25 Das angeleitete Gärtnern des familiaris ............................................................................... 158

Abb. 26 Die Bühne des familiaris ..................................................................................................... 160

Abb. 27 Eine Realisationsvariante der familiaris-Gartengestaltung ................................................. 168

Abb. 28 Kinderbeetempfehlung des familiaris.................................................................................. 172

Abb. 29 Ratgebermarkt in Zeitschriftenformat 2013 ........................................................................ 177

Abb. 30 Eine Realisationsvariante des romantischen Landhausgartens ............................................ 187

Abb. 31 Eine Realisationsvariante fernöstlicher Gartengestaltung ................................................... 190

Abb. 32 Eine Realisationsvariante der grenzenlosen Präriegärten .................................................... 193

Abb. 33 Eine Realisationsvariante der Wassergartengestaltung ........................................................ 196

Abb. 34 Eine Realisationsvariante des zeitgenössischen Gartendesigns........................................... 198

Abb. 35 Lichtkunstinstallationen im Garten – der Löffel.................................................................. 203

Abb. 36 Gestaltungstypen in der Wirklichkeit .................................................................................. 222

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Inhalt 8

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 Aufbau der dokumentarischen Methode ................................................................................ 78

Tabelle 2 Homo hortulanus – Bühneninszenierungen im Vergleich ................................................... 208

Tabelle 3 Homo hortulanus – Sinnzuschreibungen im privaten Hausgarten im Vergleich ................. 214

Tabelle 4 Homo hortulanus – Wissensaneignung/Wissensvermittlung im Vergleich ......................... 216

Tabelle 5 Homo hortulanus – Krisen und Wendepunkte ..................................................................... 220

Tabelle 6 Homo hortulanus – Theoretisches Fundament .................................................................... 220

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Einführung

„Der Mensch im Garten, um es klar zu sagen, nervt. Es kann sein, dass wir den Garten lieben, um dem

Menschen zu entkommen. Dass wir den Garten schaffen, um Ordnung an die Stelle von Chaos zu set-

zen, Schönheit an die Stelle von Verkommenheit und Harmonie an die Stelle von Lärm. Es wäre da-

rum sicher am besten, den Menschen den Zutritt zum Garten zu verweigern. Eine Mauer um den Gar-

ten zu errichten und die Schwätzer, die Lügner, die Eigennützigen, die Unzuverlässigen, die Aufgebla-

senen, die Missgünstigen draußen zu halten. Ein Traum. Nicht zu verwirklichen.“1

Ausgehend von diesem Zitat des Journalisten und Schriftstellers Jakob Augstein, stellt sich geradezu

unausweichlich die Frage nach einem „Wer“? Wer ist es, mit dem wir es zu tun haben, wenn wir uns

mit der Frage nach der Kultivierung der Natur, mit der Bebauung der Landschaft konzentriert in der

privaten Gestaltung des Gartens befassen? Ein Mensch, der seine Freizeit und Leidenschaft investiert,

um eine private Gartengestaltung zu schaffen? Wer ist er, den Karel Čapek in „Das Jahr des Gärtners“2

den „Mensch-Gärtner“3 nennt? Der im Folgenden als homo hortulanus, als gärtnernder Mensch, be-

zeichnet werden wird? Was ist seine Spezifik und seine Charakteristik? Was zeichnet ihn als Menschen

aus?

Das Zitat gibt Hinweise darauf, dass es sich um einen Menschen handelt, der sich zuallererst durch

sein Handeln als Gestalter des eigenen Grüns, sprich als Gartengestalter, charakterisieren lässt. Der

Gärtner ist ein Mensch, der sich bückt, sich hinkniet vor der Natur, auf die Erde und zu graben und zu

erschaffen beginnt. Wie es Čapek ausdrückt, ist er kein Mensch, der „‚um einen einzigen Zentimeter

mehr wachsen möchte‘, im Gegenteil: Er halbiert seine Figur, geht in die Hocke und macht sich auf

unterschiedliche Art und Weise kleiner. Was man von ihm sieht, ist selten größer als ein Meter.“4 Denn

der Gärtner neigt sich zur Erde, versinkt in ihr und überlässt den Rest den Uneingeweihten, den Statis-

ten.5 Mit den Zuschauern, die der Gärtner selbst auserwählt hat, ist er noch einverstanden. Sie dürfen

sein Reich betreten. Sie erhalten kurzzeitigen Zutritt zur Welt des Gartengestalters, zu seiner Leiden-

schaft, seiner Liebe. Nicht so die Uneingeweihten, Nicht-Gärtner, oder noch viel drastischer, die vom

Gärtner nicht akzeptierten Fremden. Das Fernhalten, das Abgrenzen, die akribische Distinktion gegen-

über diesen Nicht-Gärtnern, gegenüber dem Außen, wird zum zentralen Charakteristikum des Garten-

gestalters oder wie es Jakob Augstein formuliert: es ist sein steter unverwirklichbarer Traum, jene

Schwätzer, Lügner, Eigennützigen und Unzuverlässigen aus seinem Garten auszuschließen. Der Leser

erfährt auch, in welches Stilelement der Gärtner seine Hoffnung setzt, um diesen Traum zu realisieren.

Es ist die Mauer, der Zaun, die Hecke und deren vielfältigen Ausprägungen, die der Fernhaltung und

Abgrenzung, eben der Distinktion gegenüber dem Ungewollten dienen sollen. All jenem gegenüber,

das keinen Zutritt zum eigenen Gelände erhalten darf. Die Mauer selbst erhält somit mehrfache Bedeu-

tung. Sie ist nicht ausschließlich ästhetisches Gestaltungselement, sondern wird mit symbolischem

Inhalt aufgeladen. Die Mauer als symbolische wie tatsächliche Umzäunung schließt nicht nur das Au-

1 Augstein 2012, S. 184 2 Čapek 2012 3 Čapek 2012, S. 149 4 Čapek 2012, S. 41 5 Vgl. Čapek 2012, S. 39

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10 Einführung

ßen ab, sondern bildet im Umkehrschluss den Rahmen für einen definierten Raum. Dieses umzäunte

Innere wird zum geschützten Handlungsfeld, zum Garten. Indem die Umzäunung das Äußere aus-

schließt und das Innere abschirmt, schafft sie erst ein Außen und ein Innen, eine Öffentlichkeit und

eine Privatheit, einen Garten und einen Nicht-Garten. So ist es die Umzäunung selbst, die begriffsbe-

stimmend wird. Dieses äußert sich zugleich im eigentlichen begrifflichen Wortstamm des „Gar-

tens“ als indogermanisches gher oder auch ghortos, was im ersten Fall so viel wie „einfassen“ und im

zweiten „das Eingefasste“ bezeichnet. Als solcher verweist der Begriff des Gartens auf den Akt des

Eingrenzens und Umzäunens sowie auf das Objekt des Hofes und des Geheges. Aus demselben ety-

mologischen Zusammenhang leitet sich auch das lateinische Wort hortus ab und verweist ebenso wie

die englischen Begriffe yard, garden und geard auf einen eingegrenzten Schutzraum, den Garten. Zum

bestimmenden Merkmal wird entsprechend seiner Wortbedeutung die Befriedung eines Raumes durch

seine Umzäunung.6 So manifestiert sich der Garten als eine Idee, erst in seiner Endlichkeit und in sei-

ner Abgrenzung gegenüber dem Äußeren. Folglich spiegelt er zugleich den Kontrast zwischen zwei

Welten, nämlich einer äußeren, wilden und allenthalben lebensfeindlichen Umwelt und einer inneren,

befriedeten, gesellschaftlich geschaffenen und mit Sinn ausgestatteten Welt, die ein Refugium und

Sanktuarium offeriert. Die umrahmenden Hecken des Gartens sollen Mensch, Tier und Pflanzen

Schutz bieten und, wie es Augstein ausführt, sichern, was ihr Erschaffer lieben kann.7 So setzt der Akt

des Umzäunens den Prozess in Gang, der Chaos in Ordnung, Verkommenheit in Schönheit, Lärm in

Harmonie wandeln soll. Augstein präzisiert es wie folgt: „Diesseits ist mein, ja Schutz, Ordnung,

Schönheit. Jenseits ist der Rest, draußen, die anderen, die Unordnung, der Feind, das Chaos. Drinnen

gilt das Prinzip Verantwortung. Nach draußen gilt das Prinzip Abwehr. Ein Garten ist ohne Grenze

nicht denkbar. Als der Mensch sesshaft wurde, hat er als erstes einen Garten angelegt. Und als er das

tat, hat er eine Grenze gezogen.“8 Folglich wird deutlich, dass die Erwartungen, die an eine Umzäu-

nung gesetzt werden, bei weitem jene übersteigen, die ihr der äußeren Erscheinung nach zugesprochen

werden. Dieses erste und zugleich profunde Symbol der Gartengestaltung kann in seiner allgemeinen

wie subjektiven Bedeutsamkeit nicht nur von dessen Erzeuger, sondern auch von Dritten gelesen wer-

den. Als Symbole einer Gesellschaft verbinden sich die Einzelelemente einer Gartengestaltung, z.B.

die Gartenmauer und der Gartenzaun, ebenso wie die Gesamtgestaltung selbst mit den Ideen und Emp-

findungen ihres Gestalters. Diese weiterführenden gartengestaltenden Symbole können von allen An-

gehörigen einer Gesellschaft, die Zugang zu ihnen haben, sinnlich erfasst und interpretativ erschlossen

werden. „Bei genauerem Hinsehen verrät ein Garten dabei nicht nur schnell, aus welcher Epoche er

stammt, er erzählt auch davon, warum ein Bauherr ihm gerade diese Form gegeben hat und was er der

Welt damit hat zeigen wollen – und heute noch zu zeigen vermag.“9 Dabei gibt es laut Gisela Stein-

lechner einige zentrale Fragen der privaten Gartengestaltung, die die Epochen überdauern und sich wie

ein Bindfaden aufzeigen lassen. Zu diesen gehören: Wie viel Ordnung und Sauberkeit erachten wir im

Garten als angemessen und welches Maß an Künstlichkeit? Welchen Raum und welche Bedeutung

6 Vgl. Duttge/Tinnefeld 2006, S. 185; Reinisch 2011, S. 9; Hunt 2000, S. 19 7 Vgl. Hobhouse 1999, S. 11 8 Augstein 2012, S. 84 Augstein erinnert seine Leser zugleich an Hans Jonas philosophisches Werk „Technik, Medizin und Ethik. Zur Praxis des Prinzips Verantwortung“ (Jonas 1985) sowie Jean Jacques Rousseaus These: „Der erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und auf den Gedanken kam zu sagen ‚Dies ist mein’ und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der wahre Begründer der zivilen Gesellschaft“ (Rousseau 1998 [1755], S. 76). 9 Trotha 2012, S. 13

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Einführung 11

widmen wir der Pflanzung bzw. der Architektur im Garten? Wie wollen wir uns als Menschen im Gar-

ten bewegen: querbeetein oder ausschließlich mit dem Blick? Wie ist das Verhältnis vom Inneren zum

Äußeren und von Öffentlichkeit zu Privatheit? Schließen wir das Grün gegenüber dem Unbefugten

hermetisch ab oder lassen wir den Unbekannten partizipieren? Wie viel Raum widmen wir der Garten-

gestaltung im Allgemeinen und was ist unsere Rolle in ihr? Die eigentlichen zentralen Fragen, die sich

hinter allem verbergen, lauten dann: Warum gibt es die Gartengestaltung überhaupt? Wieso wird ge-

staltet und was charakterisiert den gärtnernden Menschen?10 Obgleich sich die Tradition der wissen-

schaftlichen Auseinandersetzung mit der Bedeutung der Gartengestaltung über Jahrhunderte hinweg

zunächst im Augenmerk auf die weitläufigen, öffentlich zugänglichen Landschaftsgärten und Parkan-

lagen der jeweiligen Nationen verdichtet11, sind es schließlich diese Fragestellungen, die die private

Gartengestaltung aus ihrer „sekundären Begleiterscheinung“ heben und ins Licht sozialwissenschaftli-

cher und insbesondere soziologischer Analysen stellen.12 Aus gestalterischen und philosophischen

Ursprüngen hergeleitet, formuliert die Debatte um die private (Haus-)Gartengestaltung als Resultat

gesellschaftlicher Sinnzuschreibungen spätestens seit den fünfziger Jahren diesen Fragenkomplex und

„[i]hre Antworten gingen weniger von übergeordneten ästhetischen Konzepten aus, sondern erschlos-

sen sich vor Ort: Indem der Garten vermehrt in seinem gesellschaftlichen, kulturellen und biografi-

schen Kontext wahrgenommen wurde, aber auch in seiner ökologischen Bedingtheit und in seinem

zeichenhaften Verhältnis zur Natur.“13 Wie Gesellschaft konstruiert wird und sich dabei verändert, so

wandeln sich auch Gestaltungstendenzen, wenngleich nicht immer synchron. Konzeption und Aufbau

des Grüns sowie dessen Relation zum Menschen sind im Prozess der Veränderung begriffen und daher

Gegenstand der Forschung. Vor diesem Hintergrund wird insbesondere die Auseinandersetzung mit

der Sinnzusprechung in der Gartengestaltung auf verschiedenen Ebenen und unter unterschiedlichsten

Perspektiven international thematisiert. Gartengestaltungen werden verstanden als Ausdruck eines

symbolischen, kommunikativen Handelns, kultureller und historischer Gewordenheit und Relevanz.

Der Garten wird als Rückzugsort vor der Beschleunigung der Moderne14 und bisweilen als Quelle der

Gesundheitsförderung thematisiert.15 Die sinnhafte Gartengestaltung verweist auf die Herkunft, das

soziale Geschlecht16 und die religiösen Weltanschauungen17 ihrer Akteure, wie sie auf ihr Identitäts-

verständnis18, ihre Biographien und Naturrelationen19 hindeutet, wobei die Gestaltung privater Haus-

gärten selbst als wertgeladene, emotionale Handlung im Kontext ihrer gesellschaftlichen Perspektive

verstanden werden kann.20 Stets liegt der Fokus auf der Positionierung des Menschen in seiner Um-

welt und damit auf der Aushandlung von Kontrolle und zugestandenem Freiraum der Natur im

menschlichen Nahraum21, auf der Abwägung über das Für und Wider des Zugriffs und der Formung

der Natur und damit der Fürsorge und Inobhutnahme bzw. Selbsttätigkeit der Pflanzen- und Tierwelt.

10 Vgl. Steinlechner 2010, S. 57 11 Hierzu z.B. Kasper 2012 12 Vgl. Klaffke 2010, S. 6 13 Steinlechner 2010, S. 57 14 Husqvarna Group 2013 15 Joseph 2006 16 Crouch 2009 17 McIntosh 2005 18 Kiesling/Manning 2010 19 Bhatti/Church 2000B, 2004; Bhatti 1999 20 Brook 2003 21 Power 2005

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12 Einführung

Sei es im Prozess der Landnahme des Bodens, der Kultivierung und Vermehrung der Pflanzen oder

Tiere, der Vermischung von Natur und Architektur, Bautechnik und Kunst. Nicht ausschließlich Kultur

und nicht mehr gänzlich Natur, bewegt sich der Garten stets auf der Schwelle zwischen beiden Polen

und neigt sich mal dem einen, mal dem anderen zu.22 Es mag an dieser Sonderrolle der Gartengestal-

tung liegen, dass der sozialwissenschaftliche Diskurs ungeachtet dieser Fülle an Themensetzungen

limitiert bleibt, umso mehr als er sich, Freeman et al. zufolge, primär den öffentlichen Landschaftsgär-

ten und großflächigen Parkanlagen widmet und dabei die Gestaltung privater Gartenflächen ausklam-

mert.23 Bhatti und Church konstatieren: „ [T]he contemporary garden has largely been ignored in so-

cial science generally and leisure studies in particular.“24 Dies gilt umso mehr in Bezug auf die sozial-

wissenschaftliche und im Besonderen hinsichtlich der soziologischen Forschungslandschaft der Bun-

desrepublik Deutschland, die überdies in ihrem begrenzten Aufkommen zuweilen auf internationale

Studienergebnisse und Fragestellungen zurückgreifen muss.25 Allerdings ist es keineswegs so, dass die

Auseinandersetzung mit der Sinnzuschreibung in der (Haus-)Gartengestaltung keine Tradition im

deutschsprachigen Raum hätte. Das Spektrum an sinnrekonstruierenden Perspektiven ist Gegenstand

zahlreicher Forschungsdisziplinen, von den Kunst- und Kulturwissenschaften bis hin zu den Politik-

und Sozialwissenschaften. Landschaftsarchitekten wie Stefanie Hennecke weisen zudem auf die po-

tenziell vielversprechenden interdisziplinären Anknüpfungspunkte zwischen den Forschungstraditio-

nen hin. Diese sieht sie im Austausch über das Phänomen der Gartengestaltung als gemeinsamem Stu-

dienfeld.26 Das Forschungsspektrum erstreckt sich von der kunstgeschichtlichen Auseinandersetzung

mit historischen, öffentlichen wie privaten Gartenanlagen27 bis hin zur Erfassung und Gestaltung von

Landschaft28 sowie ihren historischen Wandlungen durch technikunterstützte Perspektivwechsel aus

der Luftfahrt.29 Es umfasst auch die politisch relevanten Aneignungsformen urbaner Räume in Form

des vieldiskutierten „Urban Gardening“30 und des Phänomens „Guerilla Gardening“31. Schließlich

bezieht es zur Rekonstruktion der gartengestaltenden Sinnzuschreibung die klassischen Fragen der

Soziologie, etwa die gesellschaftliche Entwicklung von Lebensstilen und Distinktionsstrategien, mit in

die Diskussion ein.32 Ungeachtet aber der Etablierung des Themenfelds in Disziplinen wie etwa der

Psychologie und der Kunstgeschichte als historische Betrachtung sowie der Heterogenität und Inter-

disziplinarität der jeweiligen Forschungsbereiche, hat die soziologische Forschung – wie einleitend

skizziert – das Themenfeld bisher weitestgehend ausgeklammert. Die Sinnzuschreibung in der deut-

schen (Haus-)Gartengestaltung wird – wenn sie zum Thema soziologischen Diskurses gemacht wird –

zumeist in Form von Einzelstudien in Sammelwerken oder als Analysekonstante zur Erläuterung

struktureller Gesellschaftsverhältnisse thematisiert. 33 Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen nicht

22 Vgl. Trotha 2012, S. 9 23 Vgl. Freeman at al 2012, S. 137 24 Bhatti/Church 2000A, S. 184 25 Vgl. Lieske 2009, S. 10 26 Vgl. Hennecke 2010, S. 1 27 Hobhouse 1999; Harbers 1952 28 Burckhardt 2006 29 Dümpelmann 2010 30 Müller 2011 31 Reynolds 2010 32 Geiger 2010 33 Tessin 1994; Burda 1993, S. 72 ff.; Focus 2006

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Einführung 13

private Hausgartengestaltungen, sondern zumeist Künstler- und Außenseitergärten34, Klein-, Pacht-

und Gemeinschaftsgärten35 sowie die Bedeutung urbaner Landschaftsplanungen und -gestaltungen für

die Entwicklung des städtischen Nahrraums.36 Die Ermittlung der Sinnzuschreibungen in privaten

Hausgartengestaltungen als eigenständiges Forschungsfeld wird hingegen weitestgehend ausgeklam-

mert. Dies kann auch die Orientierung an den internationalen Schriften nicht kompensieren, denn diese

können der situativen und örtlichen Spezifik der Bundesrepublik Deutschland nicht gerecht werden.

Erst in den letzten Jahren sind einige Arbeiten erschienen, die erste Erkenntnisse über die Sinnzu-

schreibung in Hausgartengestaltungen der Bundesrepublik Deutschland gewonnen haben.37 Sie haben

Einblicke in die Art und Weise der gartengestaltenden Handlung und ihrer Legitimation38 gegeben,

Ausblicke auf deren gesellschaftlich-politische Bedeutung39 geworfen sowie erstmalig zu analysieren

und begründen versucht, welcher Art und Form die Objekte sind, die die gartengestaltenden Akteure

zum Einsatz bringen.40 An diese jüngeren Forschungsperspektiven knüpft auch die vorliegende Arbeit

an und erweitert sie zugleich. Im Wesentlichen wird nachfolgend analysiert, in welcher Weise die pri-

vate Hausgartengestaltung des gartengestaltenden und folglich gärtnernden Menschen, des homo

hortulanus, vor ihrer gesellschaftlichen Folie sinnhaft wird. Als Hauptanliegen dieses Beitrags zu einer

gartensoziologischen Diskussion soll daher ergründet werden, wie die Konstruktion von Sinnzuschrei-

bungen in der privaten Gartengestaltung vonstattengeht und wie die Sinnzuschreibungen in privaten

Hausgartengestaltungen schlussendlich legitimiert werden. Diese sinnrekonstruierende Forschungs-

perspektive knüpft an die vielfach diskutierten soziologischen Traditionen Max Webers, Alfred

Schütz’, Peter Berges und Thomas Luckmanns an, setzt diese in Relation zu ihren jüngeren Spezifika-

tionen, die sie bei Erving Goffman41 und Manfred Prisching42 findet und schöpft zugleich aus den zeit-

aktuellen Diskursen um kulturelle Phänomene und Artefakte, als auch der Gartengestaltung naheste-

hende Themenfelder, etwa der Domäne der Architektursoziologie43 oder der soziologischen Forschung

zum Phänomen des „Do-it-Yourself“44. Schließlich muss sie die für sie signifikanten Erkenntnisse für

den Gegenstand der privaten Gartengestaltung nutzbar machen. Dabei will eine solche Gartensoziolo-

gieperspektive zugleich an Kontur gewinnen, indem sie sich auf die Sinnzuschreibungen im privaten

Hausgarten beschränkt. Im Zentrum der Forschung steht folglich der privat genutzte und gestaltete

Garten am Wohnhaus. Somit werden sämtliche Pacht-, Siedlergärten und Kleingärten wie auch die

politische, öffentliche Landnahme des Urban Gardening ausgeklammert. Das Resultat eines solchen

Forschungsprozesses basiert auf dem Ergründen der Sinnstrukturen, die der privaten Hausgartengestal-

tung zugesprochen wurden und werden, mit dem Ziel einer über Jahrzehnte hinweg vergleichenden

Gartengestaltungssinnrekonstruktion. Schließlich soll es zu ergründen gelten, wer der Mensch-Gärtner,

der homo hortulanus ist, der sich aus den jeweiligen privaten Hausgartengestaltungssinnzuschreibun-

gen zusammenfügt. Dieses Forschungsinteresse wird dann unter folgender Fragestellung geführt:

34 Bianchi 1999A, 1999B 35 Krüger 2012 36 Hierzu z.B. Schmitt et. al. 2006; Kaufmann 2005; Harth/Scheller 2010 37 Hierzu z.B. Tessin 1993 38 Lieske 2009 39 Lamnek/Tinnefeld 2003 40 Küsters 2009 41 Goffman 2003 [1959] 42 Prisching 2009 43 Steets 2013 44 Honer 2011

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14 Einführung

„Welches sind die Sinnzuschreibungen in der privaten Hausgartengestaltung und wie werden sie als

solche legitimiert?“ Definitorisch wird nachfolgend an die These Hans von Trothas angeknüpft, in der

es heißt: „Ein Garten ist ein Ort unter freiem Himmel, der nicht ganz naturbelassen ist, in dem die

Natur also bis zu einem gewissen Grad der menschlichen Kultur unterworfen wird, sei es durch die

Kultivierung von Pflanzen, durch die Veränderung von Formen oder durch die Verbindung der Natur

mit der Architektur oder auch mit anderen Künsten, wie etwa durch das Aufstellen von Skulpturen.

Ein Garten ist also nicht ganz Kunst und nicht ganz Natur, ein Drittes und von beidem etwas, mal dem

einen, mal dem anderen zugeneigt.“45 Auf den privaten Hausgarten präzisierend und den weiteren Aus-

führungen vorangestellt, soll dann die Definition der privaten Hausgartengestaltung lauten: Die private

Hausgartengestaltung versteht sich als handelnde, daher sinnhafte Positionierung von lebenden und

kulturellen Artefakten in Form von materiellen Objektivationen und deren Verknüpfung mit legitimie-

renden Ideen im jeweiligen gesellschaftlichen Handlungsrahmen. Gegenstand und Produkt der priva-

ten Hausgartengestaltung ist dabei stets der private Hausgarten als Raum und Ort. Dabei wird vorweg-

genommen, dass aus semantischen Gründen nicht ausschließlich die begriffliche Langfassung der

„privaten Hausgartengestaltung“ Verwendung findet, diese aber stets als solche gemeint ist, wenn

nachfolgend die „private Gartengestaltung“ oder „Gartengestaltung“ beschrieben wird. Neben einer in

hohem Maße theoriegeleiteten Betrachtung des Gegenstands beruht die vorliegende Arbeit überwie-

gend auf einer Analyse gartenratgebender Texte. Gartenratgeber als Materialien der sozialwissen-

schaftlichen Forschung offerieren dieser durch ihre Abstraktion etablierten, gartengestaltenden Wis-

sens in normativen Strukturen eine Identifikation ihrer Sinnzuschreibungen und Legitimationen. Die

historisch-vergleichende Auswertung gärtnerischer Ratgeber ermöglicht es, die Sinnzuschreibung in

der privaten Hausgartengestaltung vor ihrem gesellschaftlichen Hintergrund aufzuarbeiten. Zusam-

mengefasst gilt es schließlich, vom Einzeltypus eines gartengestaltenden Phänomens zu einer Typolo-

gie gartengestaltender Sinnzuschreibung zu gelangen und diese theoriegeleitet zu begründen. Für die-

ses Forschungsinteresse sind im Rahmen der nachfolgenden Arbeit fünf Kapitel vorgesehen. Sie um-

fassen die folgenden Inhalte:

Im Kapitel 1 werden die für den Gegenstand der privaten Gartengestaltung relevanten (soziologischen)

Theorien aufgearbeitet. Es werden die drei Ebenen der gartengestaltenden Handlung, legitimierenden

Idee und materiellen Objektivation diskutiert, die die Sinnzuschreibung in privaten Hausgartengestal-

tungen theoretisch begründen. Dabei wird es gelten, innerhalb dieses dreiteiligen Zusammenwirkens

jeder der drei Gartenebenen als Ideen und ihrer Manifestation als Symbole der gartengestaltenden

Handlung und den materiellen Objektivationen eine spezifische Bedeutung und Analyse zuzusprechen

und zugleich die Rekonstruktion gartengestaltender Sinnzuschreibungen aus der zunehmenden Ein-

grenzung auf die Perspektive legitimierender Ideen entsprechend des Forschungsinteresses zu gewin-

nen.

Kapitel 2 behandelt die Frage, in welcher Form die jeweiligen Typen der privaten Hausgartengestal-

tung gebildet werden, in welcher Relation sie zu den Relevanzen des Handelnden stehen und auf wel-

che Weise sie in den geteilten Wissensvorrat einer Gesellschaft aufgenommen werden. Ebenso gilt es

die Merkmale zu diskutieren, die die Typologie einer privaten Hausgartengestaltung erfüllen muss

45 Trotha 2012, S. 9

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Einführung 15

sowie einige Faktoren exkurshaft zu beleuchten, die diese eingrenzen bzw. ermöglichen. Vom milieu-

spezifischen Gartenbesitz und der freizeitlichen Beschäftigung bis hin zu ihren medialen und gegen-

ständlichen Ausdrucksmöglichkeiten wird der gesellschaftliche Rahmen der privaten Hausgartenge-

staltung aufgezogen und als solcher begründet.

Im Kapitel 3 wird die Ratgeberanalyse als Methode soziologischer Forschung diskutiert und der Rat-

geber als Material der Analyse begründet. Im Anschluss werden der Forschungsablauf und die einzel-

nen Abschnitte der ratgebenden Sinnrekonstruktion bis hin zur Auswahl der jeweiligen Ratgeberschrif-

ten beschrieben. Die auf Erving Goffman zurückreichende Perspektive menschlicher Inszenierungen

in Gestalt einer darstellenden Bühnengestaltung mitsamt Kulisse, Requisiten, Haupt- und Nebendar-

stellern, Statisten und Bühnenakten wird als Argumentationsleitfaden der nachfolgenden Analysen

vorgestellt. Den letzten Kapitelschwerpunkt bildet die Begründung der qualitativen, dokumentarischen

Methode zur Rekonstruktion gartengestaltender Sinnzuschreibungen aus der ratgebenden Literatur.

Kapitel 4 beschreibt die spezifischen Sinnzuschreibungen in privaten Gartengestaltungen anhand der

Ratgeberliteratur vor dem Hintergrund ihres gesellschaftlichen Gewordenseins. Diese ratgebende Ana-

lyse beginnt mit den späten vierziger Jahren als selbstermächtigende, freiheitliche Ablösung von den

im Zweiten Weltkrieg erfahrenen Entbehrungen und kulturellen wie ökonomischen Einschränkungen

und damit dem homo hortulanus liberalis. Sie beinhaltet die Darstellung des homo hortulanus ha-

bitans, der von der ratgebenden Literatur im Zentrum einer liberalistischen Erlebnisgesellschaft kon-

struiert wird, in welcher Erholung, Genuss und Freizeit prägende Antriebe der Wohnumfeldgestaltung

wurden und dehnt sich bis zu einem auf gesellschaftlichen Umschwung bedachten Sinnzuschrei-

bungswandel aus, der die Fahne zunächst für die ökologische Bewegung als homo hortulanus oecolo-

gicus und schließlich für die familiäre, kinderzentrierte Gartengestaltung eines homo hortulanus fami-

liaris hochhielt. Die Analyse der Sinnzuschreibung in der privaten Hausgartengestaltung anhand der

ratgebenden Literatur endet schließlich im noch jungen einundzwanzigsten Jahrhundert mit dem homo

hortulanus theatralis, der aus einer nahezu unerschöpflichen Palette an Gestaltungsmitteln wählen

kann und zugleich verpflichtet wird, konstante postmoderne, bürgerliche Ideen zu Maßstäben der Gar-

tengestaltungskultur zu erklären.

Kapitel 5 setzt die Rekonstruktion der jeweiligen Garten-Bühnengestaltung zusammenfassend und

theoriegenerierend in den Kontext der soziologischen Auseinandersetzung, um so zur Typologie der

privaten Hausgartengestaltung zu gelangen. Mit dem Ziel einer typusübergreifenden Sinnrekonstrukti-

on, erfolgt eine resümierende Beschreibung der jeweiligen aus den Ratgebern extrahierten hortulanus-

Typen. Auch der gartengestaltenden Wissensaneignung bzw. Wissensvermittlung wird, entsprechend

der von Hubert Knoblauch vorgeschlagenen Definition eines sozial vermittelten Sinns, ein expliziter

Stellenwert zugesprochen. Zudem soll geklärt werden, welche Einblicke die Rekonstruktion gartenge-

staltender Sinnzuschreibung über den gärtnernden Menschen – den homo hortulanus – ermöglicht.

Kapitel 6 schließt mit der Einordnung der Gesamtanalyse der Sinnzuschreibung in der privaten Haus-

gartengestaltung innerhalb des soziologischen Forschungsfeldes ab. Zudem gibt es Ausblicke in viel-

versprechende weiterführende Forschungsdesiderate der Gartensoziologie.