Ernährung und Alter · für besondere Probleme der Ernährung im Alter darstellen und die...

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Seniorenernährung im Blickpunkt FREIE HANSESTADT BREMEN GESUNDHEITSAMT Ernährung und Alter

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    Seniorenernährung imBlickpunkt

    FREIEHANSESTADTBREMEN

    GESUNDHEITSAMT

    Ernährung und Alter

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    Impressum

    Gesundheitsamt Bremen (Hrsg.)Gesundheit & UmweltErnährungsökologie

    Horner Str. 60-7028203 Bremen

    T: 0421-361 15124F: 0421-361 15568

    eMail: [email protected]: http://www.gesundheitsamt-bremen.de

    Text und redaktionelle Bearbeitung:Winfried Becker, Dr. Bettina Kaiser, Dr. Ute Zolondek

    Gestaltung: Harald Freytag

    Druck: Scholz Druck 6 Verlag, BremenSchutzgebühr: DM 5,-

    © Gesundheitsamt Bremen / 2. aktual. Auflage 6/2001

    Für diese Broschüre wurde chlorfrei gebleichtes Papier benutzt.

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    Inhaltsübersicht

    Vorbemerkung 7

    1. Bevölkerungsentwicklung, Lebens- und 9Gesundheitssituation von SeniorenAltersgruppenBevölkerungsentwicklungLebenssituationGesundheitssituationSubjektiver GesundheitszustandErnährungsbewusstsein und Ernährungsinteresse

    2. Der Alternsprozess 21

    3. Physiologische Altersveränderungen und 24ErnährungAppetit- und Durstempfinden, Geschmack und GeruchOrganfunktionenKörpergröße, Körpergewicht undKörperzusammensetzungStoffwechsel

    4. Energie- und Nährstoffbedarf im Alter 30

    EnergieMakronährstoffeWasserMikronährstoffeAntioxidantien

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    5. Ernährungssituation alter Menschen 39

    ErnährungsgewohnheitenNährstoffzufuhrTrinkgewohnheitenNahrungsergänzung und SupplementeMedikamente

    6. Malnutrition im Alter 46MangelernährungUnterernährungÜberernährung

    7. Erfassung des Ernährungszustands alter 56Menschen

    8. Ernährungsabhängige Erkrankungen 62

    9. Gemeinschaftsverpflegung von Senioren 65HeimverpflegungEssen auf RädernGemeinschaftsessen in Seniorenzentren

    Ausblick 69

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    ANHANG

    Glossar 71AbkürzungenWorterklärungen

    Literatur 76FachbücherBroschürenFachartikel

    Organisationen und Links 83Ausgewählte Veröffentlichungen des

    Gesundheitsamtes

    Seniorenernährung in Schlagworten

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    Vorbemerkung

    Immer mehr Menschen werden alt. Diese Erkenntnis hat sich herumge-sprochen, ist unausweichlich und viele Bereiche des gesellschaftlichenLebens reagieren bereits auf diese demographische Herausforderung.

    Im Vordergrund aller Bemühungen muss das Ziel stehen, ein erfolgrei-ches Altern zu ermöglichen. Erfolgreich heißt nach Rowe und Kahn (1987),ohne Beschleunigung der altersbedingten Veränderungen durch Krank-heit, Umwelteinflüsse oder Lebensstil.

    Zum erfolgreichen Altern trägt auch eine dem Alter angepasste Ernäh-rung bei, die eine Fehl- und insbesondere Mangelernährung zu vermei-den hilft.

    Es gibt nicht die alten Menschen schlechthin, sondern alte Menschensind natürlich eine genauso heterogene Gruppe wie alle anderen Alters-gruppen auch. Dennoch gibt es einige alternsbedingte physiologische,motorische und soziale Veränderungen, die auch Auswirkungen auf dasErnährungsverhalten und die Nährstoffverwertung haben.

    So ist nicht die Überernährung - wie vielfach für jüngere Erwachsenebeschrieben - ein Hauptproblem für ältere Menschen, sondern ein Man-gel an Vitaminen und Nährstoffen.Malnutrition gilt als eine der häufigsten und dabei am wenigsten beach-teten Krankheiten im Alter.

    Viele Studien zeigen, dass es unter älteren Menschen ein ausgeprägtesErnährungsbewusstsein und -interesse gibt. Dennoch ist es - wie für alleAltersgruppen - immer schwierig, theoretische Kenntnisse in den Alltageinzubinden und liebgewonnene Gewohnheiten zu ändern. Dies ist umso schwieriger, je weniger es einen Austausch über das konkreteErnährungsverhalten im Alltag gibt.

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    Der überwiegende Anteil der alten Menschen wohnt alleine im Privat-haushalt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass, insbesondere im höhe-ren Alter, ehrenamtliche oder professionelle Unterstützung in der Haus-haltsführung und/oder eine Betreuung erfolgt.

    Mit dieser Broschüre möchten wir deshalb insbesondere PflegerInnen,NachbarschaftshelferInnen, Ärzte, aber auch betreuende Angehörigeansprechen. Wir möchten ausführlich den theoretischen Hintergrundfür besondere Probleme der Ernährung im Alter darstellen und die häu-figsten Gründe für eine Fehlernährung im Alter ansprechen.

    Ziel dieses Sachstandsberichts soll es sein, den betreuenden Personen-kreis zu sensibilisieren, frühzeitige Entwicklungen einer Fehlernährungzu erkennen und Hilfestellung zu geben.

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    1. Bevölkerungsentwicklung, Lebens- und Gesundheitssituation von Senioren

    Immer mehr Menschen werden unter befriedigenden und belastungs-freien Lebensbedingungen alt. Da die Altersphase nicht selten 30 undmehr Jahre beträgt, wird von einer eigenständigen Lebensphase Altergesprochen.

    Altersgruppen

    Zumeist wird ab einem Lebensalter von 65 Jahren von Senioren gespro-chen, häufig werden allerdings bereits die 60-64jährigen zu den Senio-ren gerechnet 1 .In Statistiken werden alle über 65jährigen vielfach als eine Gruppe be-trachtet. Mit der zeitlichen Ausdehnung der Altersphase und der zuneh-menden Zahl alter Menschen wird jedoch eine Differenzierung notwen-dig. In der Regel werden Kategorisierungen nach dem Lebensalter be-nutzt, z.B. analog der WHO eine Einteilung in die Altersgruppen:

    61 – 75 Ältere Menschen76 – 90 Alte Menschen (Hochbetagte)91 u. ä. Sehr alte Menschen (Höchstbetagte)

    Die großen Unterschiede in der Gesundheits- und Lebenssituation zei-gen jedoch, dass das Lebensalter zur Charakterisierung einer Gruppenur annäherungsweise geeignet ist und starre Altersgrenzen wenig hilf-reich sind.Ernährungsbedürfnisse und Ernährungsprobleme variieren zwischen In-dividuen in unterschiedlicher physischer und psychischer Verfassung undunterschiedlicher Gesundheits- und Lebenssituation und sind wenigervom kalendarischen Alter abhängig.

    1 Wenn nicht ausdrücklich anders erwähnt, sind in dieser Ausarbeitung mit Senioren Männer und Frauen ab 60 Jahre gemeint.

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    Im angloamerikanischen Sprachraum ist daher bzgl. der Ernährungeine Einteilung der Senioren in funktionelle Gruppen verbreitet(vgl. Mobarhan und Trumbore 1991):

    Unabhängige Senioren („go goes“): Keine offensichtlichenErnährungsprobleme. Risikofaktoren für Ernährungsproblemesollten jedoch regelmäßig untersucht werden.

    Hilfsbedürftige Senioren („slow goes“): Ernährungsversorgungist mit abhängig von der Qualität der Gesamtpflege und vomErnährungswissen und –einstellungen der versorgenden Perso-nen.

    Pflegebedürftige Senioren („no goes“): Ein Großteil dieserSenioren benötigt direkt Hilfe beim Essen, besondere Kost-formen, Nahrungssupplemente oder Sondennahrung als Teil derPflege. Durch Behinderung, Multimedikation, häufige Infektio-nen und psychische Probleme besteht oftmals ein hohes Risikofür Ernährungsprobleme.

    Bei allen Aussagen über alte Menschen ist eine Charakterisierung derjeweiligen Gesundheits- und Lebenssituation erforderlich, um möglicheEinflussfaktoren, die im komplexen Bereich der Ernährung eine Rollespielen können, abschätzen zu können.

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    Bevölkerungsentwicklung

    Die Gruppe der Senioren umfasst in Deutschland viele Millionen Men-schen und ist sehr heterogen zusammengesetzt. Von den etwa 82 Mil-lionen Bundesbürgern waren 1997 bereits 22,5% (18,5 Mio.) 60 Jahreund älter. Ihre Zahl nimmt weiter zu.Die Prognosen zeigen, dass im Jahr 2010 etwa ein Viertel und im Jahr2025 bereits etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung 60 Jahre undälter sein wird. Für die Stadtgemeinde Bremen wird der Anteil der über60jährigen für 2004 auf 27% und für 2010 auf 29% geschätzt(Altenplan der Stadtgemeinde Bremen 1997).

    Bevölkerung der Stadt Bremen Stand: 31.12.1998

    absolut in %

    Gesamtbevölkerung 543.279 100,0

    60 – 65 Jahre 34.226 6,3

    65 Jahre und älter 96.160 17,7

    Statistisches Jahrbuch Bremen 1999

    In Bremen ist zwischen 1980 und 1995 zwar der Anteil der 65-79jähri-gen von 14,6 auf 12,6% gesunken, gleichzeitig aber der Anteil der über80jährigen von 3,1 auf 5% gestiegen. Jeder 20. Bewohner der StadtBremen zählt demnach zu den Hochbetagten.Die demographische Entwicklung ist einerseits durch einen Rückgangder Geburtenzahlen bedingt, andererseits ganz wesentlich der Zunah-me der Lebenserwartung zuzuschreiben. Die statistische Lebenserwar-tung im Land Bremen für die 1995 Geborenen beträgt für Männer 72,3Jahre und für Frauen 78,8 Jahre.Bundesweit besteht die Gruppe der Senioren überwiegend aus Frauen(„Feminisierung“).In Bremen sind 2/3 der über 65jährigen und fast 3/4 der HochbetagtenFrauen.

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    Altersstruktur und Geschlechtsverteilung der Altenbevölkerung in derStadtgemeinde Bremen (01.01.1997)

    Aus der Verteilung der Geschlechter wird deutlich, dass der Anteilder weiblichen Bevölkerung im Vergleich zur männlichen Bevölke-rung mit zunehmendem Alter immer größer wird.

    Altenplan 1997 (modifiziert)

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    Lebenssituation

    Nach Berechnungen des Kuratoriums Deutsche Altershilfe von 1994 leb-ten 95% aller über 65jährigen in privaten Haushalten. Bei den 80-85jäh-rigen waren dies knapp 92% und bei den über 90jährigen noch 75%.Die jeweils weitaus geringere Zahl lebt in Einrichtungen der stationärenAltershilfe (Altenwohn-, Alten- und Pflegeheime).

    Die weitaus meisten Menschen wohnen bis ins hohe Alter im Privat-haushalt.

    Mit zunehmendem Alter leben immer mehr Menschen in einem Ein-Personen-Haushalt („Singularisierung“).Im Land Bremen lebten 1996 über 21% der 60-65jährigen in einem Ein-Personen-Haushalt, bei den über 65jährigen waren dies bereits über41%.

    Haushaltsgröße1996 Land Bremen (in %) für ausgewählte Altersgruppen:

    60 – 65 Jahre 65 Jahre u.ä.1-Personen-Haushalt 21,4 41,32-Personen-Haushalt 66,7 52,73-Personen-Haushalt und mehr 11,9 6,0

    Altenplan 1997 (modifiziert)

    Entsprechend ihrem Anteil an der Altersgruppe der über 65jährigen,leben besonders viele Frauen allein. Ca. 42% aller in Ein-Personen-Haus-halten lebenden Frauen sind älter als 65 Jahre, obwohl sie nur gut 20%aller Frauen repräsentieren. Unbekannt ist, wie viele der alleinlebendenSenioren direkte oder indirekte Unterstützung in der Haushaltsführungdurch Dritte erhalten.

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    Gesundheitssituation von Senioren

    Mit zunehmendem Lebensalter erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dasseine eigenständige und erfüllte Lebensgestaltung aus vielfältigen Grün-den nicht mehr oder nur noch zum Teil möglich ist. Die gesundheitlicheSituation im Alter ist das Ergebnis einer lebenslangen Auseinanderset-zung mit den unterschiedlichsten materiellen, psychischen und sozialenUmwelt- und Lebensbedingungen.Die Lebenserwartung in Gesundheit ist um so größer, je besser es ge-lingt, Selbständigkeit bis ins hohe Alter zu erhalten.Während die Senioren unter 75 Jahren in der Mehrzahl gesund undselbständig sind, treten in höherem Lebensalter zunehmend Krankhei-ten auf, die sich auf die Selbständigkeit und Aktivität älterer Menschenauswirken und damit auch die Ernährung (Einkauf, Essenszubereitung,Nahrungsaufnahme, Nährstoffversorgung) beeinflussen. Wichtige Ein-flüsse auf die Gesundheit im Alter sind neben ökonomischen undpsychosozialen auch individuelle Größen wie Erbfaktoren, Lebensge-wohnheiten, Ernährungsverhalten, Gesundheitsbewusstsein u.a.

    Das Datenmaterial über die Häufigkeit von Krankheiten, Behinderun-gen und Gesundheitsrisiken im Alter ist in Deutschland mangelhaft.Repräsentative Daten über die Morbidität sind kaum verfügbar. Es wirddaher auf Mortalitätsstatistiken zurückgegriffen, chronische Erkrankun-gen wie bspw. Diabetes mellitus oder Osteoporose sind dort jedochunterrepräsentiert, da sie zumeist nicht primäre Todesursache sind.

    Typisch für alte Menschen sind Multimorbidität (Gleichzeitigkeit vonAlterskrankheiten, alternden Krankheiten und Krankheiten im Alter),chronischer Krankheitsverlauf und Multimedikation.

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    Todesursachen im Alter von 65-79 Jahrenim Land Bremen im Zeitraum 1980-1995 (in %):

    ICD/9 Frauen MännerHerz-Kreislauf-Erkrankungen 390-459 48,0 49,0Krebserkrankungen 140-208 30,0 29,0Krankheiten der Atmungsorgane 460-519 4,0 7,0Krankheiten der Verdauungsorgane 520-579 5,2 5,4Sonstige 12,8 9,6

    Landesgesundheitsbericht Bremen 1998 (modifiziert)

    Liegt die Anzahl der Erkrankungen pro Patient bis zum 30. Lebensjahrbei etwa 2, steigt der Multimorbiditätsindex im siebten bis neuntemLebensjahrzehnt auf 5. Bei den 70-90jährigen kann man etwa von 5-9nebeneinander existierenden Diagnosen ausgehen.

    Mehr als 50% der über 60jährigen haben chronische Krankheiten, beiakuten Erkrankungen verläuft die Genesungszeit langsamer als bei jun-gen Menschen. Frauen weisen im Alter häufiger als Männer multiplechronische Krankheiten auf. 41% der über 70jährigen Frauen haben 5und mehr nebeneinander bestehende körperliche Erkrankungen gegen-über 30% der gleichaltrigen Männer.

    Jeder dritte Behandlungsfall in Bremer Krankenhäusern ist über 65 Jah-re alt. Dabei stehen die Herz-Kreislauferkrankungen und Krebserkran-kungen im Vordergrund. Bei den über 75jährigen gewinnen auch Er-krankungen der Sinnesorgane und des Nervensystems gegenüber jün-geren Altersgruppen an Bedeutung.

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    Krankenhausaufenthalte ausgewählter Altersgruppenin Bremen in % (1996)

    Diagnose (ICD/9) 65-75 Jahre über 75 JahreKreislaufsystem (3900) 25,93 28,54Neubildungen (1400) 22,74 12,11Verdauungsorgane (5200) 8,89 8,46Skelett, Muskeln, Bindegewebe (7100) 7,50 5,10Nervensystem u. Sinnesorgane (3200) 8,76 11,67Harn- u. Geschlechtsorgane (5800) 4,92 3,83Verletzungen (8000) 6,00 11,64Atmungsorgane (4600) 5,16 6,95Endokrinopathien (2400) 2,59 2,34Psychiatrische Krankheiten (2900) 2,11 1,94Sonstige 5,40 7,42

    Landesgesundheitsbericht Bremen 1998 (modifiziert)

    Wie bei fast allen Studien des Gesundheitswesens, befassen sichauch die Untersuchungen über den Gesundheitszustand von Se-nioren vorrangig mit Krankheitsdaten, d.h. Diagnosen, Sympto-me, Todesursachen etc.Aber gerade bei dieser Altersgruppe wird die Gesundheit wesent-lich von der Funktionsfähigkeit zur Alltagsbewältigung, z. B. imHinblick auf die Fähigkeit einzukaufen, Essen zuzubereiten undaufzunehmen, bestimmt. Krankheiten bestimmen zwar wesent-lich Funktionseinbußen, umgekehrt können die Funktionseinbußenauch ursächlich für weitere Erkrankungen werden.

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    Subjektiver Gesundheitszustand

    Alte Menschen sind nicht unzufriedener mit der Lebensqualität als jun-ge Menschen. Bei Vergleichen verschiedener Altersgruppen, erreichenältere Menschen oft ein höheres Zufriedenheitsniveau als jüngere Men-schen. Trotz der zunehmenden Häufigkeit chronischer Krankheiten undBehinderungen im Alter beurteilen die meisten Senioren ihren Gesund-heitszustand dennoch als gut oder sehr gut.

    Subjektive Einschätzung des körperlichenGesundheitszustands von über 70jährigen Senioren:

    Ernährungsbewusstsein und Ernährungsinteresse

    Bei der Mehrzahl der Senioren wird ein ausgeprägtesErnährungsbewusstsein beobachtet. Nach einer bundesweitenmarktpsychologischen Untersuchung ordnete eine deutliche Mehrheitvon knapp 80% der befragten Senioren ihr Ernährungsverhalten aussubjektiver Sicht als bewusst ein.

    Brodhagen 1993

    mangelhaft 14%

    gut bis sehr gut 29%

    befriedigend 38 %

    ausreichend 19 %

    Ernährungsbewusstsein (Selbsteinschätzung)

    nicht bewusst 8 %

    weniger bewusst 13 % sehr bewusst 28 %

    ziemlich bewusst 51 %

    Berliner Altersstudie (BASE) 1999

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    In der Altersgruppe der 65-69jährigen war demnach dasErnährungsbewusstsein am ausgeprägtesten. Mit weiter steigendemLebensalter sinkt das Ernährungsbewusstsein offenbar. 56% der Befrag-ten mit hohem Ernährungsbewusstsein gaben an, sich bewusster zuernähren als zu der Zeit, als sie 50 Jahre alt waren.

    Die überwiegende Mehrzahl der Senioren verbindet mit dem Themen-bereich Ernährung spontan positive Assoziationen.

    Neben dem Gesundheitswert der Kost (23%) werden insbesondere ihrguter Geschmack und ihr Genusswert (25%) genannt. Weiterhin wer-den Aspekte der Lebenserhaltung (17%), ausgewogene Ernährung(13%), Essen allgemein (11%) sowie der Sättigungswert (10%) häufigangegeben.Bei 7% der befragten Senioren ist Ernährung spontan mit negativenAssoziationen verknüpft. Hierbei dominiert die Angst vor chemischenZusätzen sowie vor Schadstoffen.

    Gesunde Ernährung wird von den Befragten in erster Linie durch einenausreichenden Gehalt an Vitaminen gekennzeichnet. Wichtig sind fer-ner Eiweiß und Ballaststoffe und ein geringer Kaloriengehalt als Kenn-zeichen einer gesunden Ernährung. Auf fettarme Kost wird großen Wertgelegt.

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    Kennzeichen ernährungsbewussten Verhaltens(in %, n = 119, Mehrfachnennungen möglich)

    Nennungen in % Nennungen in %Viel Gemüse/Salat 19 Krankheitsbedingte Diät 7Wenig Fett 17 Frische/viel Frischkost 6Wenig Fleisch/Wurst/ 16 Wenig bzw. kein Zucker 6Eier/ButterGesunde Ernährungsweise 13 Wenig bzw. kein Salz 6Ausgewogene 13 Viel Milchprodukte 5ZusammensetzungViel Obst 13 Vermeidung schädlicher Stoffe 5Ballaststoffreich 12 Vitalität/Körperliches Wohlbefinden 4Kalorienarm essen 10 Viel Fleisch essen 3Vitamine 10 Abwechselung/Vielseitigkeit 3Gute Verdauung 8 Regelmäßiges Essen 3

    Brodhagen 1993

    Das Ernährungsinteresse ist bei älteren Menschen im allgemeinen groß.Viele Senioren sind an Ernährungsfragen interessiert und überzeugt,durch Ernährung ihren Gesundheitszustand verbessern zu können.Ernährungsinformationen (nach Becker et al. 1990) erhalten Senioren(Mehrfachnennungen möglich) in erster Linie von ihrem Arzt (51%), vonFreunden und Bekannten (27%), von Reformhäusern (16%), Apotheken(13%) und von ihren Ehepartnern (13%).Ernährungs- und Verbraucherberatungsstellen folgen erst mit sehr deutli-chem Abstand (2%) bzw. spielen kaum eine Rolle.Bei den Medien (Mehrfachnennungen möglich) spielen Zeitschriften undIllustrierte (55%), Fernsehen (43%), Zeitungen (27%) und Rundfunk (22%)eine wesentlich bedeutendere Rolle als Bücher (11%).

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    Männer neigen erheblich mehr dazu, bei Ernährungsproblemen ihrenEhepartner zu befragen, als umgekehrt. Frauen erkundigen sich eherbeim Apotheker oder im Reformhaus, oder informieren sich bei Freun-den und Bekannten.

    Mit den gegebenen Informationen zeigten sich Senioren jedoch ganzüberwiegend unzufrieden. Vieles sei widersprüchlich, nicht anwendbaroder schwer verständlich. Gleichwohl zeigte die Mehrzahl, insbesonde-re die Frauen, großes Interesse an Ernährungsfragen.

    Bewertung der dargebotenen Ernährungs-information durch Senioren (in % der Befragten)

    stimme zuVieles, was man über gesunde Ernährung liest, ist widersprüchlich 54Vieles, was man über gesunde Ernährung liest, kann man nicht anwenden 52Vieles, was man über gesunde Ernährung liest, ist schwer verständlich 41Man wird über Ernährung zu wenig informiert 20Für Ernährungsfragen interessiere ich mich sehr 49

    Becker et al. 1990

    Senioren werden selten zu ihren tatsächlichen Ernährungsgewohnheitenbefragt. Möglicherweise ist vielen älteren Menschen eine Fehlernährungnicht bewusst, besonders wenn sie allein leben und aus Unwissenheit,Bequemlichkeit oder aus finanziellen Gründen auf eine abwechslungs-reiche Ernährung verzichten.

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    2. Der Alternsprozess

    Altern kann als eine komplexe Interaktion zwischen einem Individuumund seiner Umwelt im Verlauf der Zeit definiert werden. Der Prozessdes Alterns ist durch strukturelle und funktionelle Veränderungen ge-kennzeichnet. Mit steigendem Alter treten Veränderungen auf moleku-larer und zellulärer Ebene, in Organen und Organsystemen auf. Alternist mit einer Abnahme körperlicher Funktionen und einer Häufung vonFunktionsstörungen verbunden. Dieser Prozess sollte jedoch nicht ein-seitig als ein Abbau von Funktionen, Fähigkeiten und Fertigkeiten ver-standen werden.Auch im Alter besteht die Möglichkeit der Weiterentwicklung und da-mit der Zunahme von Erfahrungen, Wissen und Kompetenz.In einzelnen Funktionsbereichen verläuft der Alternsprozess unterschied-lich, so dass sich bei jeder Person eine ganz individuelle Entwicklung imAlter ergibt, die in einzelnen Funktionsbereichen zu einem Rückgang anKompetenz sowie zu vermehrten Einschränkungen führt, die aber inanderen Funktionsbereichen mit einem hohem Maß an Konstanz odersogar Zunahme von Fähigkeiten und Fertigkeiten verbunden sein kann.In jedem Fall ist eine individuelle, differenzierte Analyse vorzunehmen.

    Das heutige Wissen über Altersveränderungen und deren Ursachen istnach wie vor sehr begrenzt.

    Keine der heutigen Alternstheorien kann bisher eine vollständige Erklä-rung liefern. Zu vermuten ist, dass verschiedene Modelle amAlternsprozess beteiligt sind.

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    Alternstheorien:

    Altern auf molekularer Ebene- durch Häufung metabolischer Fehler bzw. irreparabler Schäden- durch Veränderungen im Gleichgewicht verschiedener StoffwechselwegeAltern auf zellulärer Ebene - durch genetisch festgelegte begrenzte Teilungsfähigkeit der Zellen - durch Häufung abnormaler zellulärer Proteine - durch abnehmende Fähigkeit der Zellen zum Stoffaustausch - durch mechanische Beanspruchung der Zellen - durch Anhäufung freier Radikale bzw. Schäden durch freie RadikaleAltern auf systemischer Ebene - durch Altersveränderungen regulatorischer Systeme - durch Verlust an Komplexität und Anpassungsfähigkeit

    Volkert 1997

    Mit zunehmendem Alter wird in der Regel die Anpassungsfähigkeit derZellen, Organe und des Gesamtorganismus an die Umgebungsbedin-gungen immer stärker eingeschränkt. Es kommt zu einer kontinuierli-chen Einschränkung seiner Fähigkeit zur Aufrechterhaltung derHomöostase. Wesentliche physiologische Altersveränderungen sindVeränderungen der Sinnesorgane (Abnahme des Seh- und Hörvermö-gens, des Geruchssinns und des Geschmacks), Abnahme der Nieren-funktion und des Durstgefühls, Abnahme der motorischen Leistungsfä-higkeit (Bewegungs- und Reaktionsgeschwindigkeit), eine Verminderungder T-Helferzellen und eine Abnahme der zellvermittelten Immunität.Die Wahrscheinlichkeit pathologischer Altersveränderungen ist darüberhinaus abhängig vom Lebensstil, z.B. von den Risikofaktorenkardiovasculärer Erkrankungen, dem Suchtverhalten und den Arbeits-bedingungen.

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    Primär sind interne genetisch bedingte Faktoren für die Veränderungenim Alter und die Lebenserwartung eines Individuums verantwortlich.Daneben können externe Faktoren – persönliche, soziale und Umwelt-einflüsse –, die genetisch bedingten Vorgänge beschleunigen oder ver-langsamen. Ernährung, Strahlenbelastung, toxische Stoffe, hygienischeVerhältnisse u.a. sind bedeutende Umweltfaktoren, die denAlternsprozess beeinflussen können.

    Der Ernährung wird ein wesentliches Potenzial zur Beeinflussung vonAlternsprozessen zugesprochen.

    Je geringer die eigenen Reserven (mental, körperlich und sozial), destounwahrscheinlicher wird erfolgreiches und gesundes Altern. Es gilt da-her, die Reservekapazitäten z.B. über gesundheitsbezogene Aktivitätenzu stärken, anzureichern bzw. auszubauen.

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    3. Physiologische Altersveränderungen und Ernährung

    Ernährung spielt eine wichtige Rolle bei altersbedingten Veränderun-gen physiologischer Funktionen. So können Veränderungen der Nah-rungsaufnahme und der Nährstoffversorgung zu altersbedingten Ge-webe- und Funktionsveränderungen beitragen.Bei vielen Krankheiten, die im Alter vermehrt auftreten, sind Ernährungs-komponenten beteiligt bzw. wird eine Ernährungsabhängigkeit diskutiert.Sowohl Unterernährung als auch Überernährung sind mit erhöhterMortalität und verkürzter Lebensdauer verbunden.In welchem Ausmaß Ernährungsfaktoren die menschliche Lebenserwar-tung, den Gesundheitszustand und die Alternsprozesse beeinflussen,kann derzeit aufgrund der komplexen Zusammensetzung der Nahrung,dem komplizierten Zusammenspiel und den Wechselwirkungen zwischenErnährung und anderen Faktoren, die an den Alternsvorgängen betei-ligt sind und unserem mangelhaften Verständnis dieser Vorgänge, nichtausreichend beantwortet werden.

    Appetit- und Durstempfinden, Geschmack und Geruch

    Bei Senioren wird oftmals ein schlechter Appetit beobachtet und alswesentliche Ursache für geringe Nährstoffaufnahme und Mangel-ernährung angesehen. Hierbei werden neben anderen Einflussfaktorenaltersbedingte Veränderungen der Hungerregulation diskutiert. Eineverringerte Stoffwechselrate und eine verringerte körperliche Aktivitätkönnen ein vermindertes Verlangen nach Nahrung bedingen. Vermehr-te Anstrengungen und Schmerzen beim Essen können ebenso wie Me-dikamente und Depressionen den Appetit beeinträchtigen und damitdie Nahrungsaufnahme vermindern.

    Ein häufig beklagtes Problem ist eine frühe Sättigung. Es kommt zueiner erhöhten Aktivität von Sättigungsfaktoren (Cholecystokinin), dieeine frühzeitige Beendigung einer Mahlzeit bewirken. Daneben wirdeine langsamere Magenentleerungsrate im Alter für frühe Sättigungmitverantwortlich gemacht.

  • 25

    Die abnehmenden Sinneswahrnehmungen Geschmack (durch eine sichverringernde Zahl von Geschmackspapillen auf der Zunge), Geruch undSehen beeinträchtigen das Lustempfinden beim Essen und können eineVerminderung der Nahrungsaufnahme bewirken. Im Alter entstehenhöhere Schwellenwerte für die Wahrnehmung der vier Geschmacks-qualitäten (süß, sauer, bitter und salzig). Bei salzig und bitter erscheintdies am ausgeprägtesten zu sein. So gebrauchen Ältere häufig mehrSalz in der Suppe. Die Veränderungen der geschmacksspezifischen Sät-tigung kann den Wunsch nach Abwechslung vermindern. Auch die re-duzierte Geruchserkennung im Alter kann zu Appetiteinbußen, einerreduzierten Lebensmittelauswahl und damit zu einer Mangelversorgungführen. Zu dem kann die Warnfunktion von verdorbenen Speisen durchunangenehmen Geruch/Geschmack im Alter verloren gehen.

    Das Durstempfinden dient der Versorgung des Organismus mit Was-ser und ist im Alter selbst bei gesunden Senioren deutlich reduziert.Auch nach Hitzebelastung ist das Durstempfinden bei Älteren deutlichgeringer als bei Jüngeren.Die altersbedingten Störungen des Durstempfindens kommen durchÄnderungen von Rezeptoren im ZNS zustande. Die Fähigkeit des Orga-nismus auf Änderungen der Serumosmolarität adäquat zu reagieren,ist im Alter offenbar herabgesetzt.Das reduzierte Durstempfinden ist für eine unzureichende Flüssigkeits-aufnahme bestimmend und kann drastische gesundheitliche Auswirkun-gen haben.

    Da bei Senioren ein altersbedingter geringerer Körperwassergehalt be-steht und die Anfälligkeit für Homöostasestörungen jeglicher Art er-höht ist, kann zu dem eine unzureichende Zufuhr von Flüssigkeit zuAustrocknungszuständen mit weitreichenden Folgen führen (Mund-trockenheit, trockene Schleimhäute, Verminderung der Leistungsfähig-keit, Obstipation, erhöhte Infektionsanfälligkeit, veränderteMedikamentenwirkung, Desorientiertheit, Schwäche, Schwindel, Apa-thie, Bewusstlosigkeit, bis hin zu Kreislauf- und Nierenversagen).

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    Organfunktionen

    Die Kaufunktionen sind mit zunehmendem Alter durch Zahnverlustund Zahnprothesen vielfach beeinträchtigt. Die Folge kann eine unbe-friedigende Nahrungsaufnahme sein, es wird weniger gegessen undbestimmte Lebensmittel werden gemieden. Vielfach erfolgt eine begrenz-te Nahrungsmittelauswahl besonders weicher, breiiger Lebensmittel undSpeisen. Eine beeinträchtigte Kauleistung kann die Verdauung erschwe-ren und eine schlechtere Ausnutzung der Nahrung zur Folge haben.

    Eine verringerte Speichelproduktion erschwert Kauen, Schmecken undSchlucken und kann zu Mundtrockenheit führen. Normalerweise sinddie spontanen und stimulierten Speichelflussraten im Alter unverändert.Eine größere Abnahme der Speichelflussrate wird daher eher auf Krank-heiten oder Medikamente zurückgeführt. Der Speichelfluss kann durchDehydratation, Strahlentherapie oder Nebenwirkungen von Medikamen-ten erheblich beeinträchtigt werden.Mundtrockenheit (Xerostomie) bei Senioren wird in verschiedenenStudien mit Häufigkeiten zwischen 10 und 55% angegeben. Als Haupt-ursache wird die Einnahme bestimmter Medikamente (z.B.Antidepressiva, Antihistaminika, Diuretika) diskutiert. Mundtrockenheitkann zu Schwierigkeiten beim Kauen führen. Als Folge werden bestimmteLebensmittel wie Brot oder Gemüse häufig gemieden. So kannXerostomie möglicherweise zu Ernährungsdefiziten beitragen. WeicheLebensmittel mit hohem Flüssigkeitsgehalt können evtl. eine höhereNahrungsaufnahme bewirken.

    Schluckstörungen (Dysphagie) sind im Alter häufig. Sie sind jedochkeine Alterserscheinung, sondern eine Folge pathologischer Prozesse(Verengungen von Rachenraum oder Speiseröhre, maligne Krankhei-ten, neuromuskuläre Störungen, u.a.) oder Folge von bestimmten Me-dikamenten (z.B. Neuroleptika). Da sie die Nahrungsaufnahme deut-lich beeinträchtigen und so zur Entstehung von Mangelernährung bei-tragen (Indikation für künstliche Ernährung), sollten sie immer sehr ernstgenommen und ihre Ursachen abgeklärt werden.

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    Der Magen ist von den gravierendsten Altersveränderungen imGastrointestinaltrakt betroffen.Es kommt zu einer Verringerung der Blutversorgung der Magenschleim-haut, der Energiestoffwechsel der Mukosazelle verlangsamt sich, dieZellteilungsraten der Mukosa sind verringert und Zellverluste erhöht.Die Produktion der Magensäure nimmt ab, Erkrankungen von Gastritisbis Magenatrophie treten gehäuft auf. Ein Mangel an Magensäure kannsich auf die Löslichkeit und Bioverfügbarkeit von Calcium, Eisen, Folsäu-re, Vitamin B

    6 und Vitamin B

    12 auswirken.

    Zahlreiche Verdauungsbeschwerden – Übelkeit, Erbrechen, Völlegefühl,Bauchschmerzen, Blähungen – werden im Alter häufig beobachtet. Die-se werden u.a. auf eine Unverträglichkeit von Milch und Milchproduk-ten aufgrund eines Mangels des milchzuckerspaltenden Enzyms Lakta-se im Dünndarm bzw. auf verminderte Laktaseaktivität zurückgeführt.

    Mit zunehmendem Alter werden strukturelle und funktionelle Verände-rungen der Nieren beobachtet. Stoffwechselprodukte und Fremd-substanzen wie Medikamente werden dadurch langsamer aus dem Blutentfernt als bei jungen Erwachsenen. Aufgrund der verringerten Urin-konzentrationsfähigkeit im Alter ergibt sich für die Ernährung die Not-wendigkeit einer regelmäßigen reichlichen Flüssigkeitszufuhr.

    Der Blutfluss der Leber sinkt mit dem Alter um etwa 1% pro Jahr. Diefunktionelle Lebermasse nimmt mit zunehmendem Alter parallel zurAbnahme der gesamten Körperzellmasse ab. Dadurch können die Reak-tionen des Organismus auf Stress, Krankheit, erhöhte Stoffwechselan-forderungen und im Hinblick auf die Entgiftungsfunktion inadäquat sein.Dennoch zeigen Senioren ohne Leberkrankheiten keine Änderungen derLebersekretion. Die Routine-Leberparameter sind auch im hohen Alternormal. Lediglich bei der Bildung von Serumalbumin ist eine leichteAbnahme festzustellen, die nicht mit unzureichender Eiweißversorgungzusammenhängt.

    Zu den regulatorischen Systemen, die die Funktion von Gewebenund Organen kontrollieren, gehören endokrines-, Immun- und Nerven-system. Diese Systeme, die ebenfalls von Altersveränderungen betrof-

  • 28

    fen sind, stehen auch im Zusammenhang mit Ernährungsfaktoren. Dasendokrine System beeinflusst nicht nur den Nährstoffstoffwechsel unddie Körperzusammensetzung - und damit den Ernährungszustand -, son-dern umgekehrt kann auch der Ernährungszustand die endokrine Funk-tion beeinflussen.Sowohl einzelne Nährstoffdefizite als auch Protein-Energie-Mangel (PEM)können sich auf die Immunfunktion auswirken und die körpereigeneImmunabwehr herabsetzen.Bei einer durchschnittlich geringeren Immunantwort im Alter kann dieAnfälligkeit für Infektionskrankheiten erhöht sein. Es können mehr Kom-plikationen auftreten, deren Verlauf zudem oft schwerer ist.

    Im Alter kommt es zu geringeren Neurotransmitterkonzentrationen imGehirn. Defizite bestimmter Vitamine und Elektrolyt-Imbalancen kön-nen die kognitiven Funktionen stören und das Bild einer Demenz erge-ben. Bereits subklinische Defizite können die Funktionsfähigkeit des Ner-vensystems beeinflussen.

    Körpergröße, Körpergewicht und Körperzusammensetzung

    Die Körpergröße nimmt mit zunehmendem Alter ab. Alte Menschensind meist um einige cm kleiner als in ihrer Jugend. Verschiedene Studi-en berichten von einer Zunahme des Körpergewichts im mittleren Le-bensalter gefolgt von einer Abnahme im hohen Alter. Enorme Spann-breiten und individuelle Gewichtsschwankungen erlauben jedoch keineAussagen, ob Gewichtsveränderungen dem Alternsprozess zuzuschrei-ben sind.Bei abnehmender Körpergröße mit dem Alter und zunehmendem odergleichbleibendem Körpergewicht steigt der Body-Mass-Index (BMI).Die Körperzusammensetzung verändert sich kontinuierlich während desgesamten Lebens. Änderungen der Körperzusammensetzung gehörenim Hinblick auf Energie- und Nährstoffbedarf, Stoffwechsel und Organ-funktionen, Krankheitsanfälligkeit und Prognose zu den bedeutendenAltersveränderungen.Die wesentlichen Veränderungen im Alternsprozess umfassen eine Ab-nahme der fettfreien Körpermasse (Atrophie der Skelettmuskulatur,

  • 29

    Abnahme des Körperwassergehalts und der Knochenmasse), eine Ex-pansion von Fettgewebe und die Umverteilung von Fett von peripherenzu zentralen Speichern. Der Anteil des Gesamtkörperwassers an derKörpermasse sinkt von 60-65% bei jungen Erwachsenen auf etwa 50%bei 60-70jährigen. Aufgrund dieser Abnahme und der abnehmendenFunktionsleistung der Niere ist die Kompensationsbreite des Wasserhaus-halts älterer Menschen eingeschränkt und die Gefahr einer Exsikkoseerhöht. Störungen des Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushaltstreten daher im Alter gehäuft auf.Bei der Körperzusammensetzung bestehen aber ebenso wie bei Körpergrö-ße, Gewicht und verschiedenen Körperfunktionen große individuelle Unter-schiede. Die Mechanismen, die den Änderungen der Körperzusammen-setzung im Alter zugrunde liegen, sind noch nicht hinreichend geklärt. Mangeht davon aus, dass sie durch das endokrine System und das Immun-system vermittelt werden. Körperliche Inaktivität und unzureichende Nah-rungsaufnahme können diese intern ausgelösten Effekte verstärken.

    Stoffwechsel

    Zwischen den Änderungen der Körperzusammensetzung und demEnergiestoffwechsel bestehen enge Beziehungen. Der Grundumsatz(bezogen auf das Körpergewicht) nimmt mit zunehmendem Alter ab,dies kann auf die Abnahme der stoffwechselaktiven Körpermasse zu-rückgeführt werden.Mit zunehmendem Alter sinkt die Fähigkeit Glucose zu verstoffwechseln.Die Normalisierung des Blutzuckerspiegels dauert länger. UngünstigeErnährungsgewohnheiten und Inaktivität können zu einer gestörtenGlucosetoleranz im Alter beitragen, liefern aber keine eindeutige Er-klärung, inwieweit es sich um normale Alternsprozesse oder pathologi-sche Veränderungen handelt. Eine hohe Zufuhr komplexer Kohlenhy-drate scheint die Insulinsensitivität und den Blutzuckerspiegel positiv zubeeinflussen.Im Alter werden Fette in geringerem Maße abgebaut, was zu einerFettanreicherung in den Geweben und zur Zunahme des Körperfett-gehalts beitragen kann. Während im mittleren Alter häufig ein Anstiegder Gesamtcholesterinkonzentrationen beobachtet werden kann, fin-det sich in höheren Altersgruppen eher eine Abnahme.

  • 30

    4. Energie- und Nährstoffbedarf im Alter

    Die derzeitigen Empfehlungen für die Nährstoffzufuhr für die über 65jäh-rigen entsprechen weitestgehend denen für jüngere Erwachsene. Eswerden im allgemeinen keine stark veränderten Nährstoffbedarfe imAlter empfohlen, weil entweder entsprechende Untersuchungen an al-ten Menschen fehlen oder die vorhandenen Daten keine sicheren Hin-weise für einen veränderten Bedarf liefern.Bei den großen physiologischen Unterschieden im Alternsprozess zwi-schen 65 und 95jährigen erscheint es jedoch unwahrscheinlich, dassalle über 65jährigen den gleichen Bedarf haben. Wegen der großenHeterogenität der Gruppe der Senioren werden Referenzwerte bei Se-nioren immer weniger auf den Einzelfall zutreffen können. WeitereUntersuchungen müssen klären, ob der Nährstoffbedarf im Alter durchAltersveränderungen und im Zusammenhang mit häufig im Alter auf-tretenden Erkrankungen, modifiziert werden muss. Möglicherweise isteine Differenzierung der Zufuhrempfehlungen nach individuellemGesundheits- und Ernährungszustand und auch für das ganz hohe Le-bensalter vorzunehmen.

    Um den Körper funktionsfähig zu erhalten, ist im Alter eine ausreichen-de Zufuhr von Nährstoffen besonders wichtig. Diese wird am bestengewährleistet, wenn sich ältere Menschen den Genuss an Essen undTrinken und damit das Interesse an sinnvoller Ernährung erhalten.

  • 31

    Energie

    Mit zunehmendem Alter wird eine deutliche Abnahme des Grundum-satzes beobachtet. Dies ist die Energiemenge, die zur Erhaltung wichti-ger Körperfunktionen im Zustand völliger Ruhe und entspannter Mus-kulatur erforderlich ist und die im Zusammenhang mit dem Abbau derfettfreien, stoffwechselaktiven Körpermasse steht.

    Referenzmaße von Körpergröße und Körpergewicht für die Berech-nung des Grundumsatzes und Richtwerte für die durchschnittlicheEnergiezufuhr 2

    Frauen:

    Alter Körpergröße Körpergewicht Grundumsatz Energiebedarfin cm in kg in kcal/Tag in kcal/Tag

    19-24 165 60 1390 240025-50 164 59 1340 230051-64 161 57 1270 200065 u.ä. 158 55 1170 1800

    Männer:

    Alter Körpergröße Körpergewicht Grundumsatz Energiebedarfin cm in kg in kcal/Tag in kcal/Tag

    19-24 176 74 1820 300025-50 176 74 1740 290051-64 173 72 1580 250065 u.ä. 169 68 1410 2300

    DGE 2000 (modifiziert)

    2 Der Energiebedarf gilt für normgewichtige Personen mit altersangepasster körperli-cher Aktivität. Bei Abweichungen, insbesondere bei Übergewicht und bei geringerkörperlicher Aktivität sind Korrekturen notwendig. Entscheidend ist das aktuelle Kör-pergewicht.

  • 32

    Ebenso findet im Alter im allgemeinen eine deutliche Verringerung derkörperlichen Aktivität und damit eine Abnahme des Arbeitsumsatzes(Energiebedarf für die körperliche Aktivität) statt. Es wird somit wenigerEnergie benötigt. Davon unberücksichtigt bleibt, dass im Krankheitsfallder Energiebedarf drastisch verändert sein kann. Auch bei Mangel-ernährung kann der Energiebedarf in Abhängigkeit vom Lebensaltererhöht sein, da zur Erhaltung und Steigerung der Körperzellmasse mehrEnergie benötigt wird.

    Makronährstoffe

    Experimentelle Untersuchungen geben Hinweise, dass der Protein-bedarf des älteren Menschen etwas höher ist als der jüngerer Erwach-sener, geänderte Empfehlungen konnten daraus bisher jedoch noch nichtabgeleitet werden.Für die Fettzufuhr im Alter gibt es keine speziellen Empfehlungen. Ge-nerell sollte der Fettkonsum insgesamt verringert und der Anteil unge-sättigter Fettsäuren an der Gesamtfettzufuhr gesteigert werden.Die Kohlenhydratzufuhr sollte mehr als 50 % der Gesamtenergiezufuhrbetragen, mindestens jedoch 100 g pro Tag. Der Verzehr komplexerKohlenhydrate sollte erhöht und der Verzehr zuckerreicher Lebensmit-tel reduziert werden. Die tägliche Ballaststoffaufnahme sollte minde-stens 30 g pro Tag betragen.

    Wasser

    Wasser als Hauptbestandteil des menschlichen Körpers erfüllt wesentli-che Funktionen. Wassermangel kann sehr rasch zu schwerwiegendenSchäden führen. Mit Schweiß, Atemluft, Urin und Faeces geht dem Or-ganismus ständig Wasser verloren, was zur Aufrechterhaltung derHomöostase ersetzt werden muss.

  • 33

    Richtwerte für die Zufuhr von Wasser (in ml/Tag)bei bedarfsgerechter Energiezufuhr und durchschnittlichenLebensbedingungen

    Alter Getränke feste Oxidations- Gesamt-Nahrung wasser aufnahme

    25-50 1410 860 330 260051-64 1230 740 280 225065 u.ä. 1310 680 260 2250

    DGE 2000 (modifiziert)

    Für über 65jährige wird empfohlen, mindestens 1 Liter Flüssigkeit amTag aus Getränken aufzunehmen. Da ältere Menschen für Dehydrata-tionen sehr anfällig sind, sollte die tägliche Trinkmenge zur sicherenVermeidung derartiger Zustände zwischen 1,5 und 2 Liter liegen (Aus-nahme: bestimmte Herz- oder Nierenkrankheiten machen eineFlüssigkeitsrestriktion erforderlich). Bei hohem Energieumsatz, Hitze,trockener kalter Luft, reichlichem Kochsalzverzehr, hoher Proteinzufuhrund z.B. bei Fieber, Erbrechen, Durchfall etc. besteht ein erhöhter Be-darf. Eine reichliche Flüssigkeitszufuhr ist auch zur Vermeidung vonObstipation notwendig. Bei der Einnahme von Diuretika ist zu berück-sichtigen, dass diese die Wasser- und damit die Natriumausscheidungfördern. Insbesondere ältere Frauen nehmen vielfach Abführmittel ein,die den Mineralien- und Wasserhaushalt beeinträchtigen können.

    Insgesamt sollte um so mehr getrunken werden, je geringer die Flüssig-keitsaufnahme mit der Nahrung ist, d.h. je weniger man isst, desto mehrsollte man trinken.

  • 34

    Mikronährstoffe (Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente)

    Carotinoide haben aufgrund ihrer Fähigkeit zur Inaktivierung freierRadikale eine von ihrer Provitamin-A-Wirkung unabhängige Funktion imOrganismus. Sie gelten als potente Sauerstoffradikalfänger. Die Ergeb-nisse zahlreicher Studien weisen darauf hin, dass sie das Risiko, an Lun-gen-, Speiseröhren- und Magenkrebs zu erkranken, vermindern können.Da bei Senioren im Vergleich zu Jüngeren bei gleicher Carotinoid-aufnahme geringere Blutspiegel beobachtet werden, ist möglicherwei-se der Carotinoidbedarf im Alter erhöht. Der tägliche Bedarf wird auf 2-4 mg Carotin geschätzt. Um eine ausreichende Versorgung zu errei-chen, sollten etwa 5 Portionen Obst und Gemüse pro Tag gegessenwerden.

    Die Fähigkeit zur Vitamin D-Bildung in der Haut ist im Alter deutlichherabgesetzt. In sonnenarmen Zeiten und bei seltenem Aufenthalt imFreien nimmt der Beitrag der Eigensynthese an Vitamin D zusätzlich ab.Nach neueren Untersuchungen scheint bei über 70jährigen Senioreneine Zufuhr von 15-20 µg pro Tag zur Erzielung optimaler Vitamin D-Wirkungen wünschenswert zu sein. Eine tägliche Vitamin D-Aufnahmevon 10 µg sollte im Alter auf keinen Fall unterschritten werden.

    Vitamin E trägt wesentlich zur Stärkung der körpereigenen Immunab-wehr bei. Hohe Vitamin E - Gaben wirken außerdem den sogenanntenAltersflecken der Haut entgegen. Bei Verdauungsstörungen kann dieBioverfügbarkeit herabgesetzt und der Vitamin E-Bedarf erhöht sein. Daüber die genaue Höhe des Vitamin E-Bedarfs im Alter keine zuverlässi-gen Daten vorliegen, wird weiterhin von einem Bedarf von 12 mg Vit-amin E pro Tag ausgegangen, wie er auch für jüngere Erwachsene emp-fohlen wird.

    Vitamin K ist an den Blutgerinnungsvorgängen beteiligt. Der VitaminK-Bedarf kann im Rahmen von Grundkrankheiten (chronischen Leberer-krankungen, Magen-Darm-Krankheiten, schweren Störungen der Fett-resorption) oder bei langdauernder Medikation (Antikoagulantien, An-tibiotika, Antiepileptika, Tuberkulostatika) erhöht sein. Der Bedarf wirddaher für Senioren vorsorglich höher geschätzt.

  • 35

    Vitamin B6 ist vorwiegend im Stoffwechsel der Aminosäuren beteiligt

    und beeinflusst maßgeblich die Hämoglobinsynthese, Funktionen desNervensystems und der Immunabwehr. Durch unzureichende Ernährungverursachte Vitamin B

    6 – Unterversorgung kann bei Senioren zu Verän-

    derungen von Gehirnfunktionen führen. Immunfunktionen, die alters-bedingt oft deutlich abnehmen, scheinen durch höhere Vitamin B

    6 –

    Aufnahmen gestärkt zu werden. Möglicherweise ist der Vitamin B6 –

    Bedarf im Alter erhöht.

    Vitamin B12

    spielt eine wesentliche Rolle bei der Überführung der Spei-cher- und Transportformen der Folsäure in ihre Wirkform. Da vor allemin der Leber mehrere mg Vitamin B

    12 gespeichert sind, machen sich

    klinische Mangelsymptome oft erst nach Jahren bemerkbar. GefüllteSpeicher sind aber insbesondere deshalb erwünscht, weil im Alter häufi-ger Störungen bei der Absorption von Vitamin B

    12 auftreten. Bei vielen

    über 65jährigen findet sich keine ausreichende Produktion von Magen-säure, sie entwickeln sehr häufig (30% der über 65jährigen) eine atro-phische Gastritis. Von der Magenschleimhaut wird zu wenig Intrinsic-Faktor, der für die Resorption von Vitamin B

    12 erforderlich ist, gebildet.

    Es kann langfristig zu einer unzureichenden Vitamin B12

    -Versorgung kom-men, was eine Supplementierung erforderlich macht.

    Folsäure ist im Stoffwechsel vor allem an Prozessen der Zellteilung unddamit an der Zellneubildung beteiligt. Ein Mangel manifestiert sich da-her primär an Zellsystemen mit hoher Zellteilungsrate, wie den rotenund weißen Blutkörperchen. Folsäure steht in enger Verbindung mitEisen und Vitamin B

    12. Eine unzureichende Folsäure- bzw. Folataufnahme

    kann erhöhte Homocysteinkonzentrationen im Plasma zur Folge haben.Diese werden mit einem erhöhten Arterioskleroserisiko in Verbindunggebracht. Man geht heute davon aus, dass erst bei einer regelmäßigentäglichen Aufnahme von 400 µg Gesamtfolat mit der Nahrung einemaximale Senkung der Homocysteinspiegel erreicht werden kann.

    Im Zusammenhang mit der Entstehung der Osteoporose ist eine ausrei-chende Zufuhr von Calcium auch im Alter von besonderer Bedeutung.Von der täglich aufgenommen Menge an Calcium werden ca. 25-40%resorbiert.

  • 36

    Die Resorptionsrate nimmt mit zunehmendem Alter weiter ab. Einewirkungsvolle Calciumresorption ist neben anderen Faktoren von einerausreichenden Vitamin D – Versorgung abhängig. Das Optimum derCalciumzufuhr im Alter ist nicht bekannt. Die tägliche Calciumaufnahmesollte jedoch mindestens 1000 mg betragen.

    Für viele Spurenelemente liegen noch keine exakten Bedarfszahlenvor. Die Empfehlungen für die wünschenswerte tägliche Aufnahme sindinsbesondere für den Bedarf im Alter noch nicht hinreichend geklärt.

    Auch wenn für viele Mikronährstoffe der optimale Bedarf im Alter nichtbekannt ist, kann gesagt werden, dass die generell empfohlenen Men-gen auf keinen Fall länger unterschritten werden sollten.

    Ein unveränderter bzw. geringfügig veränderter Bedarf an Nährstoffenbei gleichzeitig abnehmendem Energiebedarf machen es insbesonderefür Senioren notwendig, Lebensmittel mit hoher Nährstoffdichte zubevorzugen, d.h. pro aufgenommene Energie sollen mehr Vitamine,Mineralstoffe und Spurenelemente in der Nahrung enthalten sein.

    Antioxidantien

    Eine Theorie zur Erklärung des Alternsprozesses geht davon aus, dassdie Schädigung der Zellen durch freie Radikale zu den pathologischenVeränderungen führt, die im Zusammenhang mit dem Altern betrach-tet werden.Freie Radikale sind sehr reaktionsfreudige Verbindungen, die im norma-len oxidativen Stoffwechsel im Körper gebildet werden. Aber auch exo-gene Faktoren wie Umweltschadstoffe (Stickoxide, Ozon, Schwermetal-le), ionisierende Strahlung, Pestizide und Metabolite verschiedener Arz-neimittel können auf unterschiedlichen Wegen zur Belastung mit freienRadikalen beitragen. Freie Radikale können im Körper durchaus positiveEffekte haben.

  • 37

    Werden sie aber im Überschuss gebildet, dem nicht in ausreichendemMaße antioxidative Abwehrsysteme entgegenstehen, spricht man vonoxidativem Stress, der sich gesundheitlich nachteilig auswirken kann.Zu den antioxidativen Abwehrsystemen, die den Organismus vor Schä-den durch freie Radikale schützen, gehören neben enzymatischen auchnichtenzymatische Systeme.Vitamin E, Vitamin C, Carotinoide und Bioflavonoide zählen zu den wich-tigsten nichtenzymatischen Abwehrsystemen.

    Oxidativer Stress wird in Verbindung mit verschiedenen, im Alter ver-mehrt auftretenden degenerativen Krankheiten gebracht, die die Le-bensqualität älterer Menschen stark einschränken können.

    Dazu werden insbesondere die Alzheimer-Krankheit und andere Formenvon Demenz, Funktionsstörungen des Immunsystems und die Entste-hung einer Katarakt (Grauer Star) gezählt. Auch wenn die Rolle vonAntioxidantien in weiteren Studien detailliert untersucht werden muss,so zeigen bisherige Ergebnisse, dass freie Radikale den Alternsprozessbeeinflussen.Eine optimale Versorgung mit den antioxidativ wirksamen Vitaminen E,C und beta-Carotin ist vor allem durch einen hohen Verzehr von Obstund Gemüse zu erreichen. Dieser garantiert zudem eine gute Versor-gung mit weiteren antioxidativ wirksamen Pflanzeninhaltsstoffen (se-kundäre Pflanzenstoffe).Nicht zuletzt aus diesem Grund ist die Nährstoffversorgung aus ganzenLebensmitteln isolierten Nahrungssupplementen vorzuziehen.

  • 38

    Referenzwerte für die tägliche Nährstoffzufuhr für dieAltersgruppe 65 u.ä.

    Nährstoff Maßeinheit männlich weiblichProtein g 54 44

    En% 10 10Fett En% 30 30n-6-Fettsäuren (Linolsäure) En% 2,5 2,5n-3-Fettsäuren (Linolensäure) En% 0,5 0,5Cholesterin mg < 300 < 300Kohlenhydrate En% 60 60Ballaststoffe g > 30 > 30Wasser ml 2250 2250Natrium mg 550 550Kalium mg 2000 2000Calcium mg 1000 1000Phosphor mg 700 700Magnesium mg 350 300Eisen mg 10 10Jod µg 180 180Fluorid mg 3,8 3,1Zink mg 10 7Selen µg 30-70 30-70Kupfer mg 1,0-1,5 1,0-1,5Mangan mg 2,0-5,0 2,0-5,0Chrom µg 30-100 30-100Molybdän µg 50-100 50-100Vitamin A mgRÄ 1,0 0,8beta-Carotin mg 2-4 2-4Vitamin D µg 10 10Vitamin E mgTÄ 12 11Vitamin K µg 80 65Thiamin mg 1,0 1,0Riboflavin mg 1,2 1,2Pantothensäure mg 6 6Niacin mgNÄ 13 13Vitamin B

    6mg 1,4 1,2

    Folsäure µg 400 400Biotin µg 30-60 30-60Vitamin B

    12µg 3,0 3,0

    Vitamin C mg 100 100

    DGE 2000 (modifiziert)

  • 39

    Bei diesen Referenzwerten handelt es sich um Mengen (Empfehlun-gen, Richt- bzw. Schätzwerte), von denen angenommen wird, dass sienahezu alle älteren gesunden Personen vor ernährungsbedingtenGesundheitsstörungen schützen und so die Voraussetzungen für volleLeistungsfähigkeit im Alter schaffen. Ein ggf. im Alter durchMedikamenteneinnahme, Krankheiten und Stoffwechselstörungen ver-änderter Bedarf an essentiellen Nährstoffen und diätetische Bedürfnis-se werden in den Empfehlungen nicht berücksichtigt.

    5. Ernährungssituation alter Menschen

    Ernährungsgewohnheiten

    Die bereits in jüngeren Lebensjahren entwickelten Ernährungsgewohn-heiten werden neben äußeren Einflüssen wie Lebensmittelangebot undVerfügbarkeit, Kultur und Traditionen auch von persönlichen Vorliebenund Abneigungen geprägt.Ernährungsgewohnheiten bestimmen die Lebensmittelauswahl und dieNährstoffaufnahme und tragen so entscheidend zum Ernährungszustandeines Menschen bei.Bei Vergleichen verschiedener Altersgruppen zeigt sich ein typischesErnährungsverhalten im Alter, Unterschiede zu jüngeren Altersgruppensind zu erkennen. Zur Erfassung der Ernährungsgewohnheiten stehenverschiedene qualitative und quantitative, retrospektive und prospekti-ve Methoden zur Verfügung, die alle in Bezug auf Zuverlässigkeit undFehlerquellen gewisse Grenzen haben. Ernährungserhebungsmethoden,die für jüngere Menschen entwickelt und validiert wurden, sind nichtunbedingt für Untersuchungen bei Senioren geeignet. So kann die Qua-lität von Befragungen bei alten Menschen durch nachlassendeKonzentrations- und Erinnerungsfähigkeit beeinträchtigt sein. Bei 24-Stunden-Protokollen wird die tatsächliche Nährstoffzufuhr oftmals un-terschätzt, mehrtägige Ernährungsprotokolle sind hingegen wegen ih-res relativ großen Aufwands oft nicht zumutbar.

  • 40

    Auch die Interpretation der erhobenen Daten wird durch Unsicherhei-ten über den genauen Nährstoffbedarf beeinflusst. Die Ernährungser-hebung alter Menschen kann eher als grobes Instrument zur Beurtei-lung der Versorgung betrachtet werden. Genauere Informationen zumErnährungszustand erfordern physiologische oder biochemische Unter-suchungen. Verschiedene Studien beschäftigten sich in den letztenJahren mit den Ernährungsgewohnheiten älterer Menschen(vgl. Volkert 1997).

    Mittlere Lebensmittelaufnahme im Alter von 65 u.ä.in g/Person/Tag (Auswahl, Angaben gerundet) :

    Männer FrauenMilch und Milchprodukte 158 155Käse und Quark 42 40Eier 33 29Butter 24 22Speisefette und Öle 23 18Fleisch 81 71Wurst- und Fleischwaren 82 57Fisch und Fischwaren 23 17Brot- und Backwaren 249 206Nährmittel 30 28Frischgemüse 121 111Gemüseprodukte 41 36Kartoffeln 134 113Frischobst 78 84Südfrüchte 35 42Obstprodukte 8 7Zucker 11 9Süßwaren 14 13alkoholfreie Getränke 393 441Kaffee 353 339Tee 104 80alkoholische Getränke 363 100

    modifiziert nach: Kübler et al. 1994

  • 41

    Übereinstimmend wird von großer Regelmäßigkeit der Mahlzeiten-einnahme berichtet. Die tägliche warme Mahlzeit ist für den größtenTeil der Senioren selbstverständlich. Der Außerhausverzehr nimmt mitdem Alter deutlich ab, nach Angaben der VERA-Studie essen nur täglich8% der männlichen und 1% der weiblichen Befragten über 65 Jahreaußer Haus. Bei den 35-44jährigen waren es 41% der Männer bzw.12% der Frauen. Auch der traditionelle Mahlzeitenrhythmus morgens-mittags-abends wird von fast allen Senioren eingehalten. Weniger als 3oder mehr als 5 Mahlzeiten am Tag werden nur vereinzelt gegessen,insgesamt spielen Zwischenmahlzeiten nur eine untergeordnete Rolle.Die Auswahl der Lebensmittel erfolgt vielfach nach traditionellenErnährungsmustern.Übereinstimmend wird von einem geringen Konsum von Milch- undMilchprodukten berichtet. Der Verzehr von Obst, Gemüse und Kartof-feln ist dagegen vielfach höher als in jüngeren Altersgruppen. Fleisch,Nährmittel, Süßwaren, Kaffee und alkoholische Getränke werden dage-gen proportional weniger verzehrt.

  • 42

    Nährstoffzufuhr

    Mittlere tägliche Zufuhr von ausgewählten Nahrungsinhaltsstoffenbei Senioren (65 Jahre u.ä.) nach NVS absolut (1)und relativ zu den aktuellen Referenzwerten der DGE (2)

    Frauen MännerEinheit absolut in % des absolut in % des

    Referenzwertes Referenzwertes(gerundet) (gerundet)

    Energie kcal 1819,5 101 2227,4 97 Eiweiß g 65,2 148 78,4 145 Fett g 83,4 139 100,5 131 Cholesterin mg 344,1 115 398,0 133 Kohlenhydrate g 187,9 71 216,8 64 Ballaststoffe g 18,4 61 21,3 71 Natrium g 2,6 473 3,3 600 Kalium g 2,4 120 2,7 135 Calcium mg 646,1 65 709,3 71 Magnesium mg 270,0 90 325,6 93 Eisen mg 11,3 113 13,2 132 Zink mg 9,1 130 10,9 109 Kupfer mg 1,8 120-180 (*) 2,0 133-200 (*) Phosphor mg 1043,3 149 1281,9 183 Jod µg 75,1 42 88,6 49 Vitamin A mgRÄ 1,5 188 1,7 170 Carotine mg 2,3 58-115 (*) 2,5 63-125 (*) Vitamin D µg 4,2 42 5,6 56 Vitamin E mgTÄ 10,7 97 12,6 105 Vitamin B

    1mg 1,1 110 1,3 130

    Vitamin B2

    mg 1,4 117 1,6 133 Vitamin B

    6mg 1,4 117 1,7 121

    Vitamin B12

    µg 5,5 183 6,8 227 Folsäure µg 209,9 52 247,4 62 Niacin mg 24,6 189 30,7 236 Vitamin C mg 85 85 86,1 86

    (1) Ernährungsbericht 1996 (modifiziert)(2) berechnet nach den aktuellen Referenzwerten, DGE 2000(*) als Referenzwert ist eine Spanne angegeben

  • 43

    Bei der Bewertung dieser Übersichtstabelle muss berücksichtigt wer-den, dass die Werte für die Ist-Zufuhr, die dem Ernährungsbericht 1996entnommen wurden, aus Datenerhebungen der Nationalen Verzehrs-studie (NVS) stammen, die von 1985-1989 durchgeführt wurde. DieseWerte (mittlere tägliche Zufuhr) wurden hier mit der Soll-Zufuhr aufder Basis der aktuellen Referenzwerte (DGE 2000) verglichen. Für ein-zelne Inhaltsstoffe liegen inzwischen verschiedene weitere Untersuchun-gen vor, die jedoch die Entwicklungen der mittleren täglichen Nährstoff-zufuhr tendenziell bestätigen. Da es zwischen verschiedenen Senioren-gruppen sowie verschiedenen Personen zum Teil enorme Unterschiedegibt, können die absoluten Zufuhrzahlen zum Teil erheblich vongemittelten Werten abweichen. In jedem Einzelfall sind daher differen-zierte Betrachtungen erforderlich. Die Tabelle gibt lediglich einen pau-schalen Überblick.

    Aus dem Ist-Soll-Vergleich wird deutlich, dass die Protein- und Fettzu-fuhr zu hoch und die Kohlenhydratzufuhr zu niedrig ist. Dies betrifftinsbesondere die Zufuhr komplexer Kohlenhydrate, eine ausreichendeZufuhr von Ballaststoffen wird dadurch nicht annährend erreicht. Beiden Mineralstoffen fällt insbesondere eine sehr hohe Versorgung mitNatrium und Phosphor auf, hingegen ist die mittlere Zufuhr von Calci-um, Magnesium und Jod unzureichend. Bei den Vitaminen bleibt insbe-sondere die Versorgung mit Vitamin D, Folsäure und Vitamin C erheb-lich unter der wünschenswerten Höhe der täglichen Zufuhr.(siehe dazu auch Kapitel 6)

    Trinkgewohnheiten

    Kaffee, Tee und Mineralwasser werden als Getränk auch von älterenMenschen bevorzugt. Die durchschnittliche tägliche Trinkmenge liegtbei 1000 ml (Frauen) bzw. 1200 ml (Männer). Eine anzustrebende Trink-menge von 1500 ml bis 2000 ml zur sicheren Vermeidung von Aus-trocknungszuständen wird damit durchschnittlich nicht erreicht.

  • 44

    Die Giessener Senioren Langzeitstudie (GISELA) hat gezeigt, dass Se-nioren einen beträchtlichen Teil ihrer Gesamtflüssigkeitszufuhr durchKaffee, Tee und alkoholische Getränke decken.Koffein- und alkoholhaltige Getränke haben diuretische Effekte.Die Flüssigkeits- und Mineralstoffbilanz kann nachhaltig beeinträchtigtwerden, wenn davon größere Mengen aufgenommen werden und diesonstige Flüssigkeits- und Mineralstoffaufnahme niedrig ist.

    Der mittlere Alkoholkonsum sinkt im Alter, aber auch in dieser Alters-gruppe konsumieren Männer deutlich mehr Alkohol als Frauen. Ein Groß-teil älterer Menschen, vor allem Frauen, trinkt nie oder nur selten alko-holische Getränke. Laut VERA-Studie konsumieren 9% der älteren Män-ner und 2% der älteren Frauen mehr als 30g Alkohol pro Tag.

    Nahrungsergänzung und Supplemente

    Nach bundesweiten Untersuchungen nehmen 28% der älteren Men-schen Stärkungsmittel und Geriatrika und 12% Vitamin- und Mineral-stoffpräparate ein. Der Konsum steigt mit zunehmendem Alter weiteran. Bei den 75-79jährigen beträgt der Konsum von Stärkungsmittelnund Geriatrika bereits 45%.Als Stärkungsmittel und Geriatrika werden Knoblauchpräparate und vonden Vitamin- und Mineralstoffsupplementen am häufigsten Vitamin C-Präparate eingenommen, häufig auch Multivitaminpräparate und Vit-amin E.Insgesamt scheinen Senioren häufiger Supplemente zu sich zu nehmenals jüngere Menschen, wobei die Einnahme meist willkürlich erfolgt.In den USA ist die Einnahme von Vitaminsupplementen bei Seniorengenerell weiter verbreitet als in Europa. Aber auch in Deutschland ist inden letzten Jahren insgesamt ein deutlicher Anstieg bei der Einnahmevon Vitamin- und Mineralstoffpräparaten zu beobachten. Nach den Datendes Bundes-Gesundheitssurveys und des Ernährungssurveys 1998 neh-men insgesamt 22% der Frauen und 18% der Männer wenigstens einMineralstoff- oder Vitaminpräparat mindestens einmal pro Woche zusich. Der Präparatekonsum nimmt bei Frauen langsam mit dem Alter zuund erreicht in der Altersklasse der 60 bis 69jährigen ein Maximum,

  • 45

    bei Männern wurden die meisten regelmäßigen Konsumenten bei denjüngeren Männern und den 70 bis 79jährigen registriert.Die Auswahl der sogenannten Nahrungsergänzungsmittel reicht vonMineralstofftabletten und Vitaminpräparaten über Eiweißkonzentratebis hin zu Coenzym Q 10, Knoblauchpillen oder Bierhefe. Das Angebotist vielfältig und der Markt boomt. Nahrungsergänzungsmittel sollenlaut Werbeversprechen neben dem Ausgleich von Ernährungsdefizitendie Eigenbehandlung von „Alltagswehwehchen“ oder die Regulierungdes Körpergewichts ermöglichen.Wer sich vollwertig und abwechslungsreich ernährt, braucht keineNahrungsergänzungsmittel.Das Lebensmittelangebot bei uns ist so vielfältig, dass jeder seinenNährstoffbedarf ausreichend über Lebensmittel decken kann. Nahrungs-ergänzungsmittel können ein gesundheitsbewusstes Verhalten nichtersetzen. Lediglich in bestimmten Fällen können sie als diätetische Le-bensmittel bei einem besonderen Bedarf als Ergänzung einer vollwerti-gen Ernährung über einen begrenzten Zeitraum sinnvoll sein.

    Medikamente

    Nach bundesweiten Untersuchungen nehmen 25% der befragten älte-ren Menschen regelmäßig Medikamente ein, am häufigsten Präparatezur Stärkung des Herz- und Kreislaufsystems. Mit zunehmendem Altersteigt der Medikamentenkonsum deutlich an. Gleichzeitig wird die Ver-träglichkeit der Arzneimittel schlechter. Frauen nehmen häufiger Medi-kamente als Männer.Multimorbidität führt zu einem erhöhten Medikamentenbedarf, oftwerden mehrere Medikamente gleichzeitig eingenommen (v.a.kardiovasculäre und ZNS-wirksame Pharmaka). Ein multiplerMedikamentenkonsum kann wesentlich zur Entstehung von Ernährungs-defiziten beitragen.Viele Medikamente haben unerwünschte Nebenwirkungen und könnenso die Nahrungsaufnahme beeinträchtigen oder wirken direkt auf Re-sorption, Stoffwechsel und Ausscheidung von Nährstoffen. Die Biover-fügbarkeit von Nährstoffen kann verringert sein.

  • 46

    Verschiedene Altersveränderungen (vgl. Kapitel 3) können unerwünsch-te Nebenwirkungen wiederum begünstigen. Bekannt ist seit langem,dass durch Diuretika und Laxantien Ernährungsdefizite induziert wer-den können. Insbesondere bei chronischer Einnahme einer steigendenAnzahl verschiedener Präparate steigt die Gefahr für die Entstehungvon Nährstoffdefiziten, insbesondere für die Vitamine C, D, K, B

    6, B

    12

    und Folsäure, sowie für die Mineralstoffe Kalium, Calcium, Magnesiumund Zink.Ist bereits ein erhöhtes Ernährungsrisiko vorhanden, können die uner-wünschten negativen Wirkungen noch verstärkt werden.

    6. Malnutrition im Alter

    Die Bezeichnung Malnutrition umfasst jede Form inadäquater Ernährung:Unterernährung, Überernährung, Fehl- und Mangelernährung, Imbalanzenvon Nährstoffen.Nach ICD-10 wird Malnutrition mit den Codes E40 bis E46 als eigenstän-dige Diagnose bzw. Krankheit definiert.Weitgefasst kann Malnutrition als Ungleichgewicht zwischen Nährstoff-aufnahme und Nährstoffverbrauch definiert werden. Die Folgen sindAdipositas oder Kachexie bzw. vielfältige Zwischenstufen davon. Imengeren Sinne wird sie als Protein-Energie-Malnutrition (PEM), mit dendrei Unterformen Marasmus, Kwashiorkor und dem Mischtyp Maras-mus/Hypalbuminämie, verstanden. Da bei Betagten ein isolierter Prote-in- oder Kalorienmangel ohne Vitamin- und Spurenelementmangel undohne Unterversorgung mit essentiellen Fettsäuren kaum auftritt, ist esangezeigt, bereits von Malnutrition zu sprechen, wenn suboptimaleErnährungsparameter beobachtet werden. Die weitverbreiteten Mangel-zustände an multiplen Nährstoffen werden andernfalls nicht ihrer Be-deutung entsprechend erfasst.Verschiedene Autoren vertreten inzwischen die Auffassung, Malnutritionsei eine der häufigsten und am wenigsten beachteten Krankheiten imAlter.

  • 47

    Mangelernährung

    Hohes Alter und Multimorbidität bedeuten ein großes Risiko für eineMalnutrition. Zahlreiche Untersuchungen bestätigen, dass nicht nur akut,sondern auch chronisch kranke alte Menschen sehr häufig Ernährungs-defizite aufweisen. In der Bethanien-Ernährungsstudie, einer großendeutschen Querschnittsuntersuchung von 300 geriatrischen Patienten,wurde bereits ein Viertel der Studienteilnehmer anhand des äußerenErscheinungsbildes als unterernährt beurteilt. Nach weiteren Untersu-chungen mussten mehr als 50% der Senioren in die Kategorie „mangel-ernährt“ eingestuft werden. Oftmals wird während eines Klinik- oderHeimaufenthaltes sogar eine Verschlechterung des Ernährungszu-standes (weitere Gewichtsabnahme) beobachtet.In der Geriatrie stellt Malnutrition die häufigste Diagnose dar, etwa 40-70% der stationären geriatrischen Patienten und bis zu 50% derPflegeheimpatienten weisen eine Protein-Energie-Malnutrition sowie ei-nen signifikanten Vitaminmangel auf.In einer Auswertung von 18 Studien (vgl. Abbasi et al. 1993) zum Vor-kommen der Malnutrition bei Senioren wird festgestellt, dass bis zu83% der älteren Menschen in Institutionen und bis zu 31% der zu Hau-se lebenden Betagten mindestens einen, meistens mehrere suboptimaleErnährungsparameter aufweisen.

  • 48

    Ernährungsstatus von gesunden Betagten zu Hause undin Institutionen:

    Suboptimale Ernährungsparameter bei Betagtenzu Hause (%) in Institutionen (%)

    Kalorien 3 30-66Protein 3 15-60Eisen 4 10-31Vitamin D 15 48Vitamin C 4-24 0-83Vitamin B1 2-5 4-23Vitamin B6 18 28-49Folsäure 8-9 7-57Niacin 13 33Vitamin B12 3-31 0-20Vitamin E 4 3-40Pantothensäure 4 3

    modifiziert nach Abbasi et al. 1993

    Für ältere Menschen stellt bereits die Hospitalisation an sich ein hohesRisiko für Malnutrition dar. Als Gründe werden u.a. genannt: ungewohn-te Krankenhausumgebung, salzarme Kost, Bettruhe, transportbedingtekalte Speisen und Multimedikation.

    Mineralstoff- und Spurenelementmangelzustände sind meistensalimentär bedingt.Die mittlere tägliche Zufuhr weist bei den über 65jährigen eine Unter-versorgung insbesondere mit Calcium, Magnesium und Jod aus.Suboptimale Werte werden häufig zudem vor allem bei Eisen, Zink undSelen gefunden.

  • 49

    So fand bspw. eine Untersuchung der Universität Hohenheim bei etwa1/3 der Senioren zu wenig Magnesium oder Zink im Blut. Bei vielenSenioren lagen sogar beide Mängel gleichzeitig vor.

    Von den untersuchten über 60jährigen Senioren konnte bei Heimbe-wohnern zu jeweils 30% ein Magnesium- oder Zinkmangel festgestelltwerden. Dagegen hatten 36% der zu Hause lebenden Senioren einenMagnesiummangel, aber nur 18% einen Zinkmangel. Ein Mangel bei-der Elemente lag in beiden Gruppen bei jeweils 6% der Senioren vor.

    Allgemeine Vitaminmangelzustände sind bei Senioren ebenfalls häufigfestzustellen. Wegen unspezifischer Symptome werden nur schwereFormen auf Anhieb aufgrund des klinischen Bildes erkannt. Zwar weistdie mittlere tägliche Zufuhr bei den über 65jährigen lediglich eine gene-relle Unterversorgung mit den Vitaminen D, C und Folsäure aus. Mangel-zustände finden sich aber häufig auch bei den Vitaminen E, B

    1, B

    2, B

    6,

    B12

    und Niacin.In mehreren Studien konnten Korrelationen zwischen kognitiven Funk-tionen bzw. der Alzheimerkrankheit und den Serumspiegeln der Vitami-ne C, E, B

    12, B

    6, Folsäure und beta-Carotin nachgewiesen werden. Als

    Gründe werden antioxidative und protektive Effekte für die Integritätdes Zentralnervensystems diskutiert.

    Die vielfältigen Ursachen für Mangel- und Unterernährung im Alter las-sen sich in soziale, psychosoziale, körperliche, altersbedingte undkrankheitsbedingte Ursachen einteilen.

  • 50

    Faktoren bei der Entstehung von Mangel- und Unterernährung

    Sozioökonomische Faktoren (Bildung, Einkommen, Immobilität, sozialeIsolierung, Wohnsituation)Geistige/ Psychische Faktoren (Angst, Demenz, Depression, Trauer, Ver-einsamung, Verwirrtheit)Appetitlosigkeit; veränderte Hunger- und SättigungsregulationReduzierte Geschmacks- und GeruchswahrnehmungKauprobleme bei schlechtem ZahnstatusSchwierigkeiten bei Einkauf und Zubereitung der KostMechanische Behinderungen beim EssenSchluckstörungenAltersbedingte Veränderungen im VerdauungstraktAltersbedingte Veränderungen der KörperzusammensetzungEinseitige KostReduzierte körperliche AktivitätKrankheitsbedingte Behinderung der NahrungsaufnahmeErhöhter, krankheitsbedingter BedarfStoffwechselstörungenMaldigestion und Malabsorption, erhöhte NährstoffverlusteKrankheiten des oberen GastrointestinaltraktesRezidivierende InfektionenStrahlentherapieHospitalisationAlkoholismusAnorexia nervosaMultiple Medikamenteneinnahme

    modifiziert nach: Biesalski et al. 1999; Volkert 1997; Wettstein et al. 1997

    Eine beginnende Demenz führt häufig zu einer Mangelernährung, dadie Fähigkeiten, adäquat einzukaufen und zu kochen, abnehmen. Raf-finierte Kohlenhydrate (Weißmehlbrötchen, Konfitüre, Biskuits, Zwie-back usw.), die dann oftmals über einen längeren Zeitraum die täglicheKost dominieren, bilden so ein besonderes Risiko für eine Malnutrition.Hypokalorische Kost (< 1500 kcal) kann zu einer Mangelversorgung mit

  • 51

    essentiellen Fettsäuren, Vitaminen und Spurenelementen führen.Die Nahrung muss besonders abwechslungsreich und reichhaltig seinund Lebensmittel mit hoher Nährstoffdichte sollten bevorzugt werden.

    Mangelernährung kann schwerwiegende klinische Folgen haben, eskann zu beträchtlichen Störungen der Körperfunktionen kommen. Dieskann Heilungsprozesse verzögern und im schlimmsten Fall zum Todeführen. Aber auch marginale Mängel können sich bereits negativ aufvitale Funktionen auswirken.

    Klinische Folgen von Malnutrition:

    Reduzierter Allgemeinzustand Verlust an Gesundheit und Lebensqualität Verlust an Muskelmasse und Eingeschränkte Mobilität, Muskelkraft häufigere und länger andauernde

    Komplikationen bei Stürzen sowieHautprobleme (Dekubitus)

    Erhöhtes Risiko für Calciummangel beschleunigt den Knochenbrüche altersbedingten Knochenverlust und

    begünstigt Osteoporose Erhöhte Anfälligkeit für Dekubiti Mangelernährte Patienten weisen

    mit 34,8% signifikant häufigerDruckgeschwüre auf als Patienten mitgutem Ernährungszustand mit 20,6%

    Verzögerte Wundheilung Risiko für Sekundärinfektionen Beeinträchtigte Hormonfunktion Imbalanzen des Hormonstoffwechsels z.B.

    in Form einer Hypoinsulinämie oderHypothyreoidismus

    Schwächung des Immunsystems Lymphopenie,reduzierte Phagozytoseleistung derMakrophagen,verminderte Cytokinproduktion derMonozyten, vermehrtes Auftreten vonInfektionen

    Erhöhtes Risiko für postoperative Längere Verweildauer im Krankenhaus Komplikationen

  • 52

    Mangelernährte Patienten haben ein erhöhtes Risiko für Komplikatio-nen. Während mangelernährte internistische Patienten durchschnittlich20 Tage im Krankenhaus verweilen, beträgt der Krankenhausaufent-halt bei gut ernährten Patienten im Durchschnitt 12 Tage. Bei frühzeiti-ger ernährungstherapeutischer Intervention kann der Krankenhausauf-enthalt bei Risikopatienten um 10-30% reduziert werden.

    Eine differenzierte Malnutritionsdiagnostik und eine daraus abgeleiteteindividuelle Ernährungstherapie sollte konzeptionell in die ärztlichenRoutineuntersuchungen eingebaut werden. Für eine individuelle Thera-pie sollten Ursachen und Entstehungsmechanismen bekannt sein. Ne-ben der symptomatischen Behandlung ist die Einleitung einer Kausal-therapie (z.B. Behandlung eines Magenulkus, Absetzen einerAntirheumatikatherapie, Behandlung einer Depression) erforderlich.Idealerweise sollte auch das soziales Umfeld einbezogen werden.

    Hochkalorische Ernährung (40-45 kcal pro kg Körpergewicht) mit hoherNährstoffdichte kombiniert mit körperlichem Training gelten als wich-tigste Therapiemaßnahme bei Malnutrition.

    Individuelle Mangelzustände bei der Versorgung mit Eiweiß, Energie,essentiellen Fettsäuren, Vitaminen, Elektrolyten und Spurenelementenmüssen ggf. substituiert werden. Der Nährstoff- und Energiebedarf istvariabel und individuell der jeweiligen klinischen Situation anzupassen.Um eine hohe Nährstoffdichte zu erreichen, wird ggf. auf flüssige, voll-bilanzierte Supplementnahrung zurückgegriffen. Seit der Einführung vonSupplementnahrung konnte die Zahl der parenteral oder mittels einergastrischen Sonde ernährten Patienten stark verringert werden.(Nestlé Clinical Nutrition 1999; Zubrod 1997).

    Ziel der Ernährungstherapie bleibt die baldmögliche Rückkehr zumnormalen und selbständigen Essen.

    Die Ziele und Effizienz der Ernährungstherapie sollten in einer regelmä-ßigen Verlaufskontrolle (tägliches Wiegen, wöchentliche Bestimmungder Ernährungsparameter) hinterfragt werden.

  • 53

    Unterernährung

    Alte Menschen gelten als Risikogruppe für Unterernährung. Vereinfachtdargestellt ist Unterernährung die Folge einer negativen Energie- undNährstoffbilanz. Man kann davon ausgehen, dass die Entstehung vonUnterernährung multifaktoriell bedingt ist. Viele Faktoren sind gleich-zeitig vorhanden, überlagern und potenzieren sich in ihrer Wirkung. Beisteigender Anzahl von Risikofaktoren kann eine zunehmende Häufig-keit von Unterernährung beobachtet werden. Mit zunehmenden kör-perlichen und geistigen Beeinträchtigungen und einem schlechter wer-denden Gesundheits- und Allgemeinzustand steigt das Risiko für Unter-ernährung und umgekehrt. Da Bedeutung und Stellenwert einzelnerFaktoren individuell sehr unterschiedlich sind und aufgrund der Vielzahlmöglicher Einflussfaktoren, wird eine ganzheitliche individuelle Betrach-tungsweise im Alter besonders erforderlich.

    Unterernährung entsteht vielfach durch wiederholt auftretende Phasenmit auffallendem Gewichtsverlust.Oft wird dann in einer Erholungsphase der Gewichtsverlust nicht voll-ständig ausgeglichen und das alte Gewicht nicht wieder erreicht. Esstellt sich ein Gleichgewicht auf erniedrigtem Niveau ein. Durch wieder-holt auftretende Gewichtsschwankungen kann so über einen längerenZeitraum der Zustand der Unterernährung erreicht werden. Insbeson-dere bei chronischen Krankheiten oder Belastungen kann sich so einGewichtsverlust nahezu unbemerkt über Jahre manifestieren.

    Unterernährung im Alter kann zahlreiche Auswirkungen auf denGesundheits- und Allgemeinzustand, Wohlbefinden und Lebensqualitäthaben und so zu einem großen Problem werden. Bei kalorischer Unter-ernährung (Protein-Energie-Mangelernährung, PEM) fehlt es an Energieund gleichzeitig an Nährstoffen. Anhaltende unzureichende Nahrungs-aufnahme führt zu Funktionsstörungen und charakteristischen Mangel-symptomen. Bei abnehmendem Körpergewicht werden Fettreserven undProteinbestände aufgebraucht bis hin zur körperlichen Auszehrung undKachexie. Im Alter wirkt sich ein Verlust von Körperprotein gravierenderaus als bei jüngeren Menschen. Da die fettfreie Körpermasse ohnehin

  • 54

    geringer ist, kann schnell ein Ausmaß erreicht sein, in dem Körper-funktionen beeinträchtigt werden. Komplikationen und verzögerte Ge-nesung, Krankenhausaufenthalte und erhöhte Mortalität sind die Fol-ge. Der Verlust von Körperprotein und Muskelmasse bei anhaltenderPEM führt zu Muskelfunktionsstörungen, Abnahme der Muskelkraft,Beeinträchtigung der Bewegungskapazität und der Gehfähigkeit undeiner allgemeinen Schwäche. Es besteht ein erhöhtes Risiko für Stürzeund Frakturen. Muskelfunktionsstörungen können auch die Fähigkeit,eine adäquate Atmung aufrechtzuerhalten, reduzieren.

    Nach der Bethanien-Ernährungsstudie hatten 57% der über 75jährigenFrauen und 60% der gleichaltrigen Männer Untergewicht bei Aufnah-me ins Krankenhaus.Bei Patienten mit leichter bis mittelschwerer Demenz vom Typ Alzheimerkann Gewichtsverlust und Unterernährung sehr häufig festgestellt wer-den. Diese Patienten haben u.a. aufgrund ihrer motorischen Unruheeinen erhöhten Energiebedarf. Der Gewichtsverlust wird auch mit me-tabolischen Störungen im Sinne eines Hypermetabolismus als Ausdruckeiner systematischen Erkrankung erklärt.

    Frühzeitige regelmäßige Gewichtskontrollen sind unabdingbar.

    Überernährung

    Da mit zunehmendem Lebensalter der Energiebedarf abnimmt, kannsich bei gleichbleibender Kalorienzufuhr jedoch auch Übergewicht 3 bil-den. Erfahrungsgemäß steigt der Body-Mass-Index (BMI) mit dem Alter an.Dabei nimmt die Muskelmasse ab, die Menge des Fettgewebes aber zu.

    3 Klassifikation von Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen nach dem BMI (kg/m2):Untergewicht: unter 18,5Normalgewicht: 18,5 bis 24,9Übergewicht: 25 bis 29,9Adipositas über 30

    WHO 1998 (modifiziert)

  • 55

    Die Anwendung des Body-Mass-Index beim älteren Menschen beinhal-tet eine Ungenauigkeit, da die Körpergröße im Laufe des Alterns ab-nimmt. Übergewicht erhöht bei Erwachsenen zwischen 30 und 74 dieGesamtmortalität und die kardiovasculäre Mortalität. Das gleiche pro-zentuale Übergewicht ist in jungen Jahren jedoch mit einem größerenRisiko verbunden als im höheren Alter. Im höheren Alter stellt erhebli-ches Übergewicht vornehmlich eine Belastung für Herz und Kreislaufdar und fördert Schäden an Wirbelsäule und Gelenken. Leichtes Über-gewicht (10-20% ) ist auch im Alter insbesondere infolge der hohenKalorien- und Fettzufuhr relativ häufig anzutreffen. Sofern jedoch keineweiteren Risikofaktoren (Hypertonie, Diabetes mellitus u.a.) bestehenund bis zum 70. Lebensjahr keine schweren oder chronischen Erkran-kungen aufgetreten sind, besteht kein Anlass für eine Gewichtsreduktion.

    Ein mäßiges Übergewicht in dieser Altersgruppe steht gewissermaßenfür einen Vorrat an Energie und Nährstoffen, um bei Krankheit bessergerüstet zu sein. Die Lebenserwartungen werden dadurch nicht ver-kürzt.

  • 56

    7. Erfassung des Ernährungszustands alter Menschen

    Ernährungserhebungen werden durchgeführt, um Gesundheitsrisikenzu erfassen und den Ernährungszustand zu beschreiben. Dieser dientals Grundlage für Beratungs-, Therapie- und Interventionsmaßnahmen.Da der Ernährungszustand eine sehr komplexe Größe ist, werden dieeinzelnen Aspekte durch verschiedene Methoden und Parameter erfasst.Für eine umfassende Beurteilung des Ernährungszustands dienen ne-ben der qualitativen und quantitativen Erfassung der tatsächlichenNahrungsaufnahme klinische Untersuchungen, anthropometrische Mes-sungen, die Bestimmung ernährungsabhängiger Blutwerte undimmunologische Parameter. Bei älteren Menschen gehört zur weiterge-henden Erfassung des Ernährungszustands auch die Erhebung verschie-dener funktioneller Fähigkeiten (wie bspw. Kau- und Schluckfunktion,Mobilität u.a.). Bei der Erfassung und Interpretation von Daten überden Ernährungszustand können sich bei alten Menschen besondere Pro-bleme ergeben. Manche Methoden sind im Alter nicht praktikabel odernicht mehr zumutbar. Ähnlichkeiten von Veränderungen durch Mangel-ernährung und normale Alterserscheinungen sind oft nicht scharf von-einander abzugrenzen. Ernährungsparameter werden auch von zahlrei-chen nicht-nutritiven Faktoren beeinflusst, deren Bedeutung im Alterzunimmt. Vielfach fehlen aber auch repräsentative Daten für Ältere oderStandards zur Beurteilung.

  • 57

    Klinische Hinweise auf Nährstoffdefizite:

    Klinischer Befund Mögliches ErnährungsdefizitHautveränderungenpunktförmige Hautblutungen Vitamin A, CPurpura (Unterhautblutungen) Vitamin C, KPigmentation Niacingeringer Turgor WasserÖdeme Protein, Vitamin B

    1

    Blässe Folsäure, Eisen, Biotin, Vitamin B12

    , B6

    Dekubiti Protein, Energieseborrhoeische Dermatitis Vitamin B

    6, Biotin, Zink

    schlechte Wundheilung Vitamin C, Protein, ZinkAugenblasse Konjunktiva Vitamin B

    12, Folat, Eisen

    Nachtblindheit, Keratomalazie Vitamin APhotophobie ZinkMund und LippenGlossitis Vitamin B

    2, B

    6, B

    12, Niacin, Folsäure, Eisen

    Gingivitis Vitamin Canguläre Fissuren, Stomatitis Vitamin B

    2, Eisen, Protein

    blasse Zunge Eisen, Vitamin B12

    atrophische Papillen Vitamin B2, Niacin, Eisen

    NeurologischDesorientiertheit Vitamin B

    1, B

    2, B

    12, Wasser

    Depression, Lethargie Biotin, Folsäure, Vitamin CSchwäche, Lähmung der Beine Vitamin B

    1, B

    6, B

    12, Pantothensäure

    periphere Neuropathie Vitamin B2, B

    6, B

    12

    geistige Störungen Vitamin B12

    , Niacin, MagnesiumZuckungen, Krämpfe Vitamin B

    6, Calcium, Magnesium

    SonstigeDurchfall Niacin, Folsäure, Vitamin B

    12

    Anorexie Vitamin B1, B

    12, C

    Übelkeit Biotin, PantothensäureMüdigkeit, Apathie Energie, Biotin, Magnesium, Eisen

    modifiziert nach Volkert 1997

  • 58

    Um das Risiko bzw. das Ausmaß einer Mangelernährung zu beurteilen,stehen eine Reihe von Messgrößen und Untersuchungsmethoden zurVerfügung.

    Anthropometrische Messungen (Körpergröße, Körpergewicht, Körper-zusammensetzung) erfordern wenig apparative Ausrüstung oder Schu-lung und liefern objektive Parameter zur Beurteilung des Ernährungszu-stands. Die Sensitivität ist besser, wenn die anthropometrischen Grö-ßen unter Berücksichtigung einer Ernährungsanamnese (Ernährungs-gewohnheiten, Qualität und Quantität der aufgenommen Nahrung,Gewichtsverlauf, Appetitverlust, Schluckprobleme, Diäten,gastrointestinale Symptome und Erkrankungen, Veränderungen desErnährungsverhaltens, Medikamenten- und Alkoholkonsum) betrachtetwerden.Trotz gewisser Einschränkungen dient der Body-Mass-Index (BMI = Kör-pergewicht in kg/Körpergröße in m²) auch im Alter als wichtiger Para-meter zur Beurteilung des Ernährungszustands. Verschiedene Studienweisen darauf hin, dass sich die prognostische Bedeutung des Körper-gewichts mit dem Alter ändert. Demnach soll ein sehr niedriges Körper-gewicht ebenso wie ein deutliches Übergewicht mit erhöhter Morbidi-tät und Mortalität verbunden sein.Leichtes bis mittleres Übergewicht hat dagegen bei älteren Menschenmit großer Wahrscheinlichkeit keine medizinischen oder körperlichenNachteile und ist eher von Nutzen.Unbeabsichtigter Gewichtsverlust zählt zu den wichtigen Hinweisen fürein Ernährungsproblem und sollte immer ernst genommen werden. Re-gelmäßige Gewichtsbestimmungen als Indikator für eine sich entwik-kelnde Mangelernährung sind daher sinnvoll.

    Zur genaueren Erfassung des Ernährungszustands sind Messungen derKörperkompartimente (Trizepshautfaltendicke, Oberarmumfang) hilf-reich. In den letzten Jahren hat sich dabei die Bioelektrische Impedanz-Analyse (BIA) als eine einfache und kostengünstige, nicht-invasive Me-thode für den individuellen Verlauf zunehmend etabliert.

  • 59

    Klinische Untersuchungen sind zur Beurteilung des Ernährungszu-stands von besonderer Bedeutung. Sie können Hinweise auf Verände-rungen im Ernährungszustand oder auf ernährungsabhängige Erkran-kungen liefern. Bei älteren Menschen können Symptome, die aufNährstoffdefizite hinweisen, in atypischen Erscheinungsformen auftre-ten und weniger spezifisch sein. Obwohl klinisch eindeutige Symptomenur selten sind, sollten alle Hinweise für Ernährungsprobleme ernst ge-nommen werden. Diese können Hinweise auf Defizite geben, die durchErnährungsmaßnahmen reversibel sind.Die klinische Suche nach Ernährungsproblemen bei älteren Menschensollte insbesondere Veränderungen von Haut, Haaren, Nägeln, Augen,Mund und neurologische Auffälligkeiten umfassen. Symptome wie Übel-keit, Erbrechen, Durchfall oder andere Verdauungsbeschwerden, Ver-änderungen des Appetits und auffallende Veränderungen des Körper-gewichts sind wichtige Anzeichen für Ernährungsprobleme.

    Um klinisch, anthropometrisch oder diätetisch gefasste Hinweise aufErnährungsprobleme zu identifizieren, sind biochemische Methoden(Serum-Albumin, Transferrin, Vitaminstatus, Cholesterin, Hämoglobin,Hämatokrit u.a.) am effizientesten.

    Serumproteine Albumin, Transferrin,verschiedener Halbwertszeiten Präalbumin, CholesterinaseVitamine Vitamin B

    12, Folsäure,

    Vitamin D, Vitamin CElektrolyte und Spurenelemente Zink, Eisen, Selen, Calciumandere Ernährungsparameter Cholesterin, Triglyzeride,

    Ferritin, Carnitin, absoluteLymphozytenzahl

  • 60

    Doch auch hier fehlen vielfach altersspezifische Referenzwerte. Übli-cherweise werden zur Beurteilung von Blutwerten alter Menschen dievon jüngeren Erwachsenen abgeleiteten Normbereiche herangezogen.Diese Indikatoren können allerdings durch verschiedene Faktoren wieSepsis, Trauma oder Infektionen beeinflusst sein. Das klinische Bild vonBetagten mit Malnutrition ist unspezifisch. Es wird daher häufig ver-säumt die Diagnose Malnutrition zu stellen.

    Da die Ernährung eine wichtige Rolle für das Immunsystem spielt, kön-nen möglicherweise immunologische Parameter (Lymphozytenzahlim Blut; Hautantigentest; u.a.) Erkenntnisse über den Ernährungszustandliefern. Der Nutzen immunologischer Parameter ist allerdings bei älte-ren Menschen aufgrund der Ähnlichkeit von Altersveränderungen desImmunsystems nur bedingt.

    Zur frühzeitigen Erfassung des Ernährungszustandes stehen mehrerevalidierte Screeningmethoden zur Verfügung.Insbesondere der Mini Nutritional Assessment®®®®® (MNA®®®®®) ist eine ein-fach durchzuführende, zeit- und kostensparende Methode, die im Kli-nik- und Praxisalltag die routinemäßige Beurteilung des Ernährungszu-standes älterer Menschen erlaubt. Die Kombination aus Messgrößenund Fragen liefert geeignete Kriterien, um eine Mangelernährung früh-zeitig diagnostizieren zu können und ermöglicht 70-75% der Untersuch-ten in die Kategorie „normaler Ernährungszustand“ oder „Gefahr einerMangelernährung“ einzustufen (vgl. Nestlé Clinical Nutrition 1999) undggf. weitere biochemische Untersuchungen frühzeitig zu veranlassen.

  • 61

    Quantifizierung der Malnutrition (ausgewählte Parameter):

    Malnutritionsgrad Norm Mild Mäßig SchwerAlbumin (g/l) 45-35 35-32 32-28

  • 62

    Bei Senioren werden zur Charakterisierung des Ernährungszustands amhäufigsten Körpergröße, Körpergewicht, Trizepshautfaltendicke,Oberarmumfang, Serumalbumin, Transferrin, Hämoglobin, Cholesterinund Lymphozytenzahl herangezogen. Neben der klinischen Einschätzungwerden zur Routine-Erfassung insbesondere Serumalbuminkonzentrationund Gewichtsverlauf bestimmt, an die sich dann ggf. weitere Untersu-chungen anschließen.Einmalige Messungen sind aufgrund fehlender Standards, Ähnlichkei-ten von Mangelhinweisen mit Altersveränderungen und der großenStreubreite normaler Werte oftmals wenig aussagekräftig.Bei Senioren sind daher Verlaufsbeobachtungen diagnostisch undprognostisch bedeutsamer als Einzelbestimmungen.

    8. Ernährungsabhängige Erkrankungen

    Die Folgen von Fehlernährung im mittleren Lebensalter zeigen sich ofterst im fortgeschrittenen Alter in Form von ernährungsabhängigen, chro-nischen Erkrankungen. Im Alter nimmt die Häufigkeit von Arteriosklero-se, Krebserkrankungen, Hyperurikämie und Gicht, Osteoporose, alkohol-bedingten Erkrankungen, Diabetes mellitus u.a. Krankheiten deutlichzu. Ernährungsabhängige Krankheiten können die Lebensqualität mas-siv beeinträchtigen und die Lebenserwartung reduzieren. Die Vermei-dung von Fehl- und Mangelernährung ist daher eine wichtige Voraus-setzung für „erfolgreiches Altern“.Im Folgenden sollen die wesentlichen Krankheitsgruppen kurz angespro-chen werden. Für eine ausführliche Darstellung der umfassenden The-matik Ernährungsabhängige Erkrankungen im Alter und Ernährungs-empfehlungen für kranke Menschen sei auf die im Anhang angegebe-ne Fachliteratur verwiesen(bspw. Holtmeier 1999; Küpper 1997; Volkert 1997).

    Arteriosklerose und koronare Herzerkrankungen (und ihre Folge-krankheiten wie Angina pectoris, Herzinfarkt, Aneurismen, ArterielleVerschlusskrankheit, Apoplexie u.a.) stellen unter den ernährungs-abhängigen Krankheiten im Alter das größte Gesundheitsrisiko dar.

  • 63

    Die Häufigkeit der koronaren Herzkrankheit nimmt eindeutig mit demAlter zu, die Erkrankung beginnt bei Männern früher als bei Frauen. DieEpidemiologie der koronaren Herzkrankheit ist eng mit Risikofaktorenwie Hypertonie, Hyperlipidämie, Diabetes mellitus, aber auch körperli-cher Inaktivität und psychosozialem Stress verbunden. Einige dieser Fak-toren korrelieren auch im höheren Alter eng mit Inzidenz und Mortali-tät der koronaren Herzkrankheit. Hypertonie zählt zu den häufigstenErkrankungen im Alter. In der Normalbevölkerung weisen etwa 25%einen Blutdruck über 160/95 mmHg auf. Dieser Anteil steigt bei allenüber 70jährigen Männern auf 55% und auf 69% bei den gleichaltrigenFrauen. Nach dem Bundes-Gesundheits-Survey steigt der Anteil der Frau-en mit Bluthochdr