Es bleibt dabei - Rechtsanwaltskammer CelleBurckart, Praxishandbuch Anwaltsrecht, 13 Rn. 11 ff. 810...

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  • Interessenkollision –Es bleibt dabei:Jeder Fall ist anders50 Einzelfälle aus der Praxis zu einerKernpflicht des Anwaltsberufs

    Rechtsanwältin Dr. Susanne Offermann-Burckart, Düsseldorf

    „Der Anwalt darf keine widerstreitenden Interessen vertre-ten.“ – Dieser so simpel und einleuchtend klingende Satzlöst in der Praxis eine Vielzahl von Zweifelsfragen aus. DieGrundzüge der Interessenkollision hatte die Autorin im Juni-Heft 2008 des Anwaltsblatts (AnwBl 2008, 446) vorgestellt.Die Leserresonanz war so groß, dass die Autorin im Novem-ber-Heft 2009 des Anwaltsblatts (AnwBl 2009, 729) anhandvon 35 Fällen aus der Praxis die einzelnen Tatbestandsmerk-male der Interessenkollision (und auch des damals neuen § 3Abs. 2 S. 2 BORA) detailliert beleuchtete. Der Beitrag waraber nicht Endpunkt, sondern Auslöser für weitere zahlrei-che Anfragen, die bis heute bei der Autorin regelmäßig ein-gehen. Nach zwei Jahren war es Zeit, die Auflistung zumTeil gängiger und ständig wiederkehrender, zum Teil aberauch exotischer Fallgestaltungen mit 50 neuen Fällen aus derPraxis fortzusetzen. Das Familien- und Verkehrsrecht domi-nieren leicht, es finden sich aber auch Fallgestaltungen, diefür Großkanzleien aktuell sind (wenn zum Beispiel poten-zielle Neu-Mandanten gleich vertrauliche Unterlagen mit-schicken, um die Kanzlei herauszuschießen).

    A. Einleitung

    Viele Rechtsanwälte nähern sich der Frage, ob die Über-nahme eines bestimmten Mandats zu einer Interessenkolli-sion führen würde oder ob bereits angenommene Mandatemiteinander kollidieren, über ihr „Bauchgefühl“. Das führtzu Sätzen wie „Selbstverständlich kann ich in dieser Angele-genheit beide Mandanten vertreten. Das macht doch jeder.“oder „Das kommt gar nicht in Frage, hier alle Beteiligten zuvertreten. So etwas gehört sich einfach nicht.“ Auf ein ungu-tes „Bauchgefühl“ zu hören, ist selten falsch. Das gute„Bauchgefühl“ kann dagegen manchmal in die Irre führen.

    Und das Thema Interessenkollision ist mit reiner Intui-tion kaum zu bewältigen. Beherrschen lässt sich diesesschwierige Thema nur, wenn man die gesetzlichen Vorgabengründlich seziert, in ihre diversen Tatbestandsmerkmale zer-legt, den Sachverhalt sauber subsumiert und dabei in derrichtigen Reihenfolge vorgeht. Dann gelangen auch die An-hänger des „Bauchgefühls“ oft zu ganz neuen, überraschen-den Erkenntnissen.

    B. Die Rechtsgrundlagen

    Das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen findetsich sowohl im Strafgesetzbuch (§ 356 Abs. 1) als auch in derBundesrechtsanwaltsordnung (§ 43a Abs. 4) als auch in deranwaltlichen Berufsordnung (§ 3 Abs. 1 1. Alt.).

    Die ganz unterschiedlich formulierten Normen meinenim Kern alle das Gleiche: Der Rechtsanwalt darf nicht in sei-ner Eigenschaft als Anwalt in derselben Rechtssache gleich-zeitig oder nacheinander zwei oder mehr Parteien beratenund/oder vertreten, deren Interessen (in dieser Rechtssache)gegenläufig sind.

    Hinsichtlich der subjektiven Tatseite gehen die berufs-rechtlichen Bestimmungen deutlich über § 356 StGB hinaus,weil dieser Vorsatz fordert,1 während § 43a Abs. 4 BRAO und§ 3 Abs. 1 1. Alt. BORA einen fahrlässigen Pflichtenverstoßausreichen lassen.2 Außerdem sanktioniert § 356 StGB nurdas Verhalten des einzelnen Rechtsanwalts, während § 43aAbs. 4 BRAO auch die Sozien3 und § 3 BORA (in Abs. 2) au-ßerdem als Angestellte oder freie Mitarbeiter tätige Rechts-anwälte, Bürogemeinschafter etc. mit einbezieht.

    Grundlage des Verbots der Vertretung widerstreitenderInteressen sind „das Vertrauensverhältnis zum Mandanten,die Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts und dieim Interesse der Rechtspflege gebotene Geradlinigkeit deranwaltlichen Berufsausübung“.4 Das Strafrecht und das Be-rufsrecht stehen nicht in einem Konkurrenzverhältnis zuein-ander; sie ergänzen sich vielmehr.5

    C. Die Tatbestandsmerkmale im Einzelnen

    Die Tatbestandsmerkmale einer Interessenkollision und dieGliederungspunkte, denen die vorliegende Darstellung folgt,sind:9 Sachverhaltsidentität/dieselbe Rechtssache9 Befassung bzw. Vorbefassung9 Parteieigenschaft der Betroffenen (in derselben Rechts-

    sache)9 Handeln im entgegengesetzten Interesse/Interessenge-

    gensatz9 Erstreckung des Verbots auf Mitglieder derselben Berufs-

    ausübungsgemeinschaft/Wechsel von einer Berufsaus-übungsgemeinschaft in eine andere

    9 Beachtlichkeit und Voraussetzungen eines Einverständ-nisses.Diese einzelnen Merkmale werden im Folgenden kurz

    dargestellt und sodann anhand einschlägiger Fallkonstellatio-nen vertieft. Wie bei dem Aufsatz im AnwBl 2009, 729, beru-hen die Fälle sämtlich auf Sachverhaltsschilderungen vonRechtsanwälten oder auf Sachverhalten, die einer Gerichts-entscheidung oder einer Anschuldigungsschrift der (Gene-ral-)Staatsanwaltschaft entnommen sind.

    Auch an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass hierim Wesentlichen der Standpunkt eines Beraters im Vorfeldeingenommen wird. Diese Position ist deutlich schwierigerals die des Verteidigers, der erst ins Spiel kommt, nachdemdas Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Denn währendder Verteidiger, der einen wegen der Vertretung widerstrei-tender Interessen angeklagten und/oder mit einem berufs-rechtlichen Aufsichtsverfahren überzogenen Kollegen ver-tritt, kreative Argumente finden darf und vielleicht finden

    MN Aufsätze

    1 BT-Drucks. 12/4993, S. 27; Eylmann, AnwBl 1998, 359, 360; Feuerich/Weyland/Feuerich, Kommentar zur Bundesrechtsanwaltsordnung, § 43a BRAO Rn. 54.

    2 Hartung/Römermann/Hartung, Kommentar zur Berufs- und Fachanwaltsordnung,§ 43a BRAO Rn. 59.

    3 Vgl. so jetzt klarstellend BVerfG NJW 2006, 2469 = ZEV 2006, 413.

    4 BT-Drucks. 12/4993, S. 27.

    5 Vgl. hierzu schon Kalsbach, Kommentar zur Bundesrechtsanwaltsordnung, § 45BRAO Anm. 2.

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  • muss, um zu begründen, dass schon tatbestandlich gar keineInteressenkollision vorliegt, ein tatbestandsausschließendesEinverständnis der Parteien gegeben ist oder sich der Ange-klagte bzw. Beschwerdegegner wenigstens in einem Tat-bestands- oder Verbotsirrtum befand, muss der gewissen-hafte Berater im Vorfeld versuchen, den „sichersten Weg“auszuloten und sich dabei möglichst – soweit vorhanden –an der Rechtsprechung oder der herrschenden Literaturmei-nung zu orientieren. Und gerade Letzteres ist häufig garnicht so leicht, weil die Auffassungen und Argumentations-linien bunt durcheinander gehen. Das Thema ist und bleibtalso spannend!

    I. Fallkonstellationen zu den Themenbereichen(Vor-)Befassung und „dieselbe Rechtssache“

    Jede Interessenkollision setzt zunächst voraus, dass derRechtsanwalt in einer Angelegenheit tätig wird, mit der erschon früher zu tun hatte oder mit der er aktuell auch nochaus einem anderen Blickwinkel befasst ist.

    1. Zum Begriff „dieselbe Rechtssache“§ 356 Abs. 1 StGB und § 3 Abs. 1 1. Alt. BORA verwendenübereinstimmend den Begriff „derselben Rechtssache“, inder der Rechtsanwalt nicht einmal auf der einen und einmalauf der anderen Seite tätig werden darf.

    Dieselbe Rechtssache ist dabei ganz grundsätzlich einein- oder mehrschichtiger Lebenssachverhalt, der angesichtsder ihn begründenden historischen Tatsachen und/oder deran ihm beteiligten Personen ganz oder in Teilen nur einereinheitlichen juristischen Betrachtung zugeführt werdenkann.6

    Die Frage, ob ein einheitlicher Lebenssachverhalt gege-ben ist, bereitet nicht selten unerwartete Schwierigkeiten.

    2. (Vor-)Befassung

    Deshalb ist es ökonomisch, mit der Vorfrage zu beginnen,ob der Rechtsanwalt überhaupt in einer Weise in die Angele-genheit involviert war und/oder ist, die Anlass zu weiterenÜberlegungen gibt. Es geht hier um das Problem der(Vor-)Befassung.

    § 3 Abs. 1 1. Alt. BORA verwendet – etwas irreführend –das Perfekt und spricht ein Tätigkeitsverbot ausdrücklich nurfür den Fall aus, dass der Rechtsanwalt eine andere Partei inderselben Rechtssache im widerstreitenden Interesse bereitsberaten oder vertreten hat. Demgegenüber beziehen § 356StGB („dient“) und der völlig neutrale § 43a BRAO („darfkeine widerstreitenden Interessen vertreten“) vom Sprach-logischen her auch die Gegenwartsform ein. Und selbstver-ständlich ist dem Rechtsanwalt die gleichzeitige Vertretunggegenläufiger Interessen ebenso verboten wie die zeitver-setzte, also die zeitlich aufeinander folgende.7 § 3 Abs. 1 1.Alt. BORA ist deshalb sprachlich missglückt.

    Beim Stichwort (Vor-)Befassung wird diskutiert, ob dasVerbot den Anwalt nur bei vorangegangener anwaltlicher Tä-tigkeit trifft,8 oder ob auch andere berufliche Vorbefassungenausreichen.9

    Für die weite Auffassung, also die Einbeziehung jeder be-ruflichen Vorbefassung spricht Dreierlei: Zum einen diehäufige Schwierigkeit, zu unterscheiden, was noch all-gemeine berufliche und was schon anwaltliche Tätigkeit ist.Des Weiteren die besondere Situation der Anwaltsnotare, die

    hinsichtlich aller Tätigkeiten, die (wie z. B. Beurkundungen)reine Notartätigkeiten sind, sonst überhaupt nicht von den§§ 43a Abs. 4 BRAO, 3 Abs. 1 1. Alt. BORA erfasst würden.Und schließlich die Zwitterstellung von Syndikusanwälten,denen inzwischen – bei der Prüfung von Anträgen auf Ver-leihung einer Fachanwaltserlaubnis und bei der Frage nacheiner Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzli-chen Rentenversicherung – konzediert wird, dass sie zumTeil auch im Rahmen ihrer Tätigkeit für einen nicht-anwalt-lichen Arbeitgeber „anwaltlich“ tätig seien.

    Fall 1: Vertretung eines Straftäters und spätere Vertretungder Nebenklägerin gegen denselben Straftäter in andererSache

    Rechtsanwalt R vertritt den Angeklagten A in einem Strafverfahrenwegen gefährlicher Körperverletzung. Drei Jahre nach Abschlussdieses Verfahrens beauftragt die Geschädigte G, der A unter Ein-satz erheblicher Gewalt auf offener Straße die Handtasche geraubthat, den R, sie als Nebenklägerin in dem Strafverfahren gegen Azu vertreten.

    Hier liegt, da es zwar um denselben Angeklagten, aber umverschiedene Straftaten geht, kein einheitlicher Lebenssach-verhalt vor. Allerdings muss R besonderes Augenmerk aufdie Einhaltung seiner Verschwiegenheitsverpflichtung legen.Er darf sich z. B. nicht dazu hinreißen lassen, Details übereine grundsätzliche Gewaltbereitschaft des A, die ihm imRahmen der früheren Verteidigung bekannt geworden sind,zu äußern.

    Fall 2: Vertretung der Mutter gegen den Sozialversicherungs-träger und Vertretung des Sohnes gegen die Mutter wegenDarlehensrückzahlung

    Rechtsanwalt R vertritt Mandantin M in zwei sozialrechtlichen An-gelegenheiten gegenüber dem Sozialversicherungsträger. Es gehtum die Auszahlung von Krankengeld und die Berechnung undDurchsetzung des Rentenanspruchs. Bis zur Klärung der Renten-angelegenheit unterstützt der volljährige Sohn S seine Mutter mitregelmäßigen finanziellen Zuwendungen. Nachdem der Renten-fluss sichergestellt ist, verlangt S von seiner Mutter die Rückzah-lung dieser „Überbrückungsgelder“. Er steht auf dem Standpunkt,die Beträge seien der M als Darlehen gewährt worden. M geht da-gegen von einer Schenkung aus und verweigert die Rückzahlung.Jetzt beauftragt S den R mit der Durchsetzung seiner Ansprüche.

    Hier dürfte ein einheitlicher Lebenssachverhalt zu verneinensein, weil die Durchsetzung von Rentenansprüchen der Mund die finanziellen Zuwendungen des S an seine Mutterzwar in einem tatsächlichen, nicht aber in einem rechtlichenZusammenhang zueinander stehen. Etwas anderes würdenatürlich gelten, wenn R in das Thema „Unterstützung derMutter durch den Sohn“ einbezogen gewesen wäre. Vorsichtist wegen der Verschwiegenheitsverpflichtung geboten.

    MN Aufsätze

    6 Vgl. zur Herleitung dieser Definition Offermann-Burckart, Anwaltsrecht in der Pra-xis, § 10 Rn. 23.

    7 Zu eng deshalb Hartung, AnwBl 2011, 679, 680, linke Spalte oben.

    8 BGHSt 13, 231, 232 = NJW 1959, 2028, 2029; 20, 41, 42 = NJW 1964, 2428,2429; 24, 191, 192 = NJW 1971, 1663, 1664; Gillmeister, Leipziger Kommentarzum Strafgesetzbuch, § 356 StGB Rn. 36; Henssler/Prütting/Henssler, Kommentarzur Bundesrechtsanwaltsordnung, § 43a BRAO Rn. 196 (in Abkehr von der in derVorauflage, § 43a BRAO Rn. 135, von Eylmann vertretenen Auffassung).

    9 Vgl. z. B. Geppert, Der strafrechtliche Parteiverrat, S. 117; Schönke/Schröder/Cra-mer/Heine, Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 356 StGB Rn. 15; Kleine-Cosack,Kommentar zur Bundesrechtsanwaltsordnung, § 43a BRAO Rn. 88; Offermann-Burckart, AnwBl 2005, 312, 313; Kilian/Offermann-Burckart/vom Stein/Offermann-Burckart, Praxishandbuch Anwaltsrecht, § 13 Rn. 11 ff.

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  • R darf z. B. den S nicht über die konkreten Vermögensver-hältnisse der Mutter in Kenntnis setzen.

    Fall 3: Vertretung eines (insolventen) Unternehmens in ver-schiedenen Angelegenheiten und Vertretung eines Arbeit-nehmers gegen das Unternehmen

    Rechtsanwältin R hat jahrelang ein Unternehmen U beraten undvertreten. Dabei ging es fast ausnahmslos um die Durchsetzungvon Zahlungsforderungen gegenüber Kunden und um die Abwehrvon Mängelrügen. Arbeitsrechtliche Fragestellungen waren nieGegenstand des Mandats. Wegen Zahlungsunfähigkeit des Unter-nehmens legt R die Mandate nieder. Später meldet sich ein ehe-maliger Arbeitnehmer des Unternehmens und bittet R um Vertre-tung gegenüber U. Es geht um Ansprüche nach demArbeitnehmererfindungsgesetz.

    Hier liegt kein einheitlicher Lebenssachverhalt vor, weil dieDurchsetzung von Forderungen gegenüber Kunden bzw. dieAbwehr von Mängelrügen und die Ansprüche eines früherenMitarbeiters nach dem Arbeitnehmererfindungsgesetz nichtsmiteinander zu tun haben. Allerdings können sich auch hierProbleme mit der anwaltlichen Schweigepflicht ergeben, weildie R aus ihrer langjährigen Tätigkeit für das Unternehmenmöglicherweise über Sonderwissen verfügt, das sie sich imRahmen des neuen Mandats zu Nutze machen könnte oderim Interesse des Mandanten sogar zu Nutze machen müsste.Das Problem entschärft sich, wenn der – seinerzeit hochran-gig eingruppierte – Arbeitnehmer selbst über alle wesentli-chen Informationen betreffend das Unternehmen verfügtund ein Informationsüberhang bei R nicht vorhanden ist.

    Fall 4: Vertretung einer Mandantin im Scheidungsverfahrenund Vertretung der GEZ gegen die Mandantin

    Rechtsanwalt R hat eine Mandantin F im Scheidungsverfahrenvertreten. Nach Beendigung des Mandats beauftragt ihn die Ge-bühreneinzugszentrale (GEZ), für die R regelmäßig tätig wird, beiF rückständige Gebühren einzufordern. F macht gegenüber derGEZ geltend, nicht Gebührenschuldnerin zu sein, weil die Rund-funkempfangsgeräte in ihrem Haushalt von ihrem früheren Ehe-mann angeschafft und angemeldet worden seien. Sie selbst „gu-cke kein Fernsehen“.

    Auch wenn F auf ihren früheren Ehemann verweist, fehlt esan einem einheitlichen Lebenssachverhalt. Dies schon des-halb, weil die Argumentation der F erkennbar ins Leere geht.Denn gem. § 2 Abs. 2 des Rundfunkgebührenstaatsvertragsknüpft die Gebührenpflicht an das Bereithalten eines Rund-funkempfangsgerät zum Empfang und nicht etwa an dieFrage an, wer das Gerät angeschafft hat und ob das Gerätkonkret genutzt wird. Allerdings stellt sich auch hier wiederdas alte Problem mit der anwaltlichen Schweigepflicht, weilR über „intime“ Kenntnisse der Vermögensverhältnisse sei-ner früheren Mandantin verfügt, die er sich in dem neuenMandat keinesfalls zu Nutze machen darf.

    Fall 5: Beratung geschiedener Eheleute bei Abfassung einesnotariellen Vertrags und Vertretung der Tochter gegen diespätere Erbin

    Rechtsanwalt R berät die schon geschiedenen Eheleute M und F1bei der Abfassung eines notariellen Vertrags, durch den diverseFragen in Zusammenhang mit einer Lebensversicherung, mit demZugewinnausgleich etc. geregelt werden. Mandatiert ist R nur vonM. Jahre später stirbt M. Als Alleinerbin hat er F2 eingesetzt, mit

    der er zwölf Jahre lang unverheiratet zusammengelebt hat. DieTochter T von M und F1 will Pflichtteilsansprüche geltend machenund beauftragt R zunächst damit, gegen F2 auf Auskunft über dieVermögenssituation des Vaters zu klagen.

    Auch wenn sich der notarielle Vertrag und die Auskunfts-klage auf die Vermögenssituation des M und deren Gestal-tung beziehen, dürfte ein einheitlicher Lebenssachverhalt zuverneinen sein. Deshalb kommt es auf die schwierige Frage,ob R bei einem Tätigwerden für die Tochter dem mutmaß-lichen Willen des verstorbenen Vaters zuwiderhandelnwürde, nicht an. Etwas anderes würde natürlich gelten,wenn R den M auch bei Abfassung des Testaments beratenhätte.

    Fall 6: Vertretung eines Unternehmens und spätere Vertre-tung des Geschäftsführers gegen den Käufer des Unterneh-mens

    Rechtsanwalt R vertritt ein Unternehmen in diversen baurecht-lichen Angelegenheiten. Außerdem vertritt er den GeschäftsführerG des Unternehmens regelmäßig in privaten Angelegenheiten(Scheidung, Mietstreitigkeit etc.). Nachdem – ohne Beteiligung desR – das Unternehmen seinen Besitzer gewechselt hat und G aus-geschieden ist, bittet G den R, noch offene Vergütungsansprüchegegenüber dem Käufer geltend zu machen. Unklar ist, zu welchemZeitpunkt (vor oder nach dem Verkauf) G aus dem Unternehmenausgeschieden ist und gegen wen (den ursprünglichen Inhaberoder den Käufer) sich seine Ansprüche richten.

    Wenn es zutrifft, dass R das Unternehmen ausschließlich inbaurechtlichen Angelegenheiten beraten und vertreten hat,scheidet ein einheitlicher Lebenssachverhalt per se aus. HätteR das Unternehmen dagegen auch in anderen rechtlichenAngelegenheiten, z. B. in Zusammenhang mit der Ge-schäftsführervergütung, beraten und/oder auch den Verkaufdes Unternehmens begleitet, könnte die Beurteilung, ins-besondere vor dem Hintergrund der ungeklärten Parameter,schwierig werden. Lässt sich die Frage einer möglichen Inte-ressenkollision erst nach der Klärung weiterer Vorfragen zu-verlässig beantworten, sollte man von einer Mandatsüber-nahme lieber Abstand nehmen.

    Fall 7: Vertretung einer GmbH in kollektivrechtlichen Ange-legenheiten und anschließende Vertretung des Vorstands-vorsitzenden gegenüber der GmbH

    Rechtsanwalt R vertritt eine GmbH in kollektivrechtlichen Angele-genheiten. Insbesondere geht es um den Abschluss eines Tarifver-trags mit der IG-Metall. Als die GmbH sich von mehrerenFührungskräften trennt, ist R ebenfalls involviert. Die Mandatierungdes R erfolgte nicht zuletzt aufgrund seiner persönlichen Bekannt-schaft mit dem Vorstandsvorsitzenden V. Nachdem der Vertrag derGmbH mit V gerade erst um fünf Jahre verlängert wurde, versuchtein neuer Anteilseigner, V loszuwerden. Er erhebt eine Reihe von– aus Sicht des V – haltlosen Vorwürfen und bietet V einen Auf-hebungsvertrag an. V bittet nunmehr den R, ihn zunächst zu bera-ten und im Ernstfall gegenüber der Gesellschaft zu vertreten.

    Da die kollektivrechtlichen Angelegenheiten, in denen R fürdie Gesellschaft tätig war, im Zweifel nichts mit dem Vertragdes Vorstandsvorsitzenden zu tun hatten, scheidet ein ein-heitlicher Lebenssachverhalt aus. Auch Probleme mit derSchweigepflicht sind kaum zu gewärtigen, wenn es V ist, derbislang alle Zügel in Händen hielt und auch einen nicht

    MN Aufsätze

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  • „vorbelasteten“ Rechtsanwalt mit sämtlichen Informationenversehen könnte.

    Fall 8: Vertretung eines Ehepaars in einer Haftungsangele-genheit und Vertretung des Ehemanns im Scheidungsver-fahren

    Rechtsanwalt R vertritt Eheleute, die gegenüber ihrem früherenSteuerberater Schadensersatzansprüche wegen Falschberatungin Zusammenhang mit einem Immobilienkauf geltend machen.Kurz nach Übernahme dieses Mandats bittet der Ehemann den R,ihn im Scheidungsverfahren gegen seine Frau zu vertreten.

    Grundsätzlich liegt kein einheitlicher Lebenssachverhalt vor.Diese Einschätzung kann sich allerdings ändern, wenn es imRahmen des Scheidungsverfahrens und der Vermögensaus-einandersetzung auch um das Immobilienthema, z. B. umdie Fragen geht, welchem Ehepartner ein von dem Steuerbe-rater zu zahlender Schadensersatzbetrag konkret zufließtund/oder wie sich das Ergebnis der Steuerberatung auf dieVermögenssituation der Eheleute auswirkt.

    Fall 9: Beratung des Ehemanns in Unterhaltsfragen undVertretung der minderjährigen Kinder wegen sexuellenMissbrauchs

    Rechtsanwältin R berät den Ehemann M, der Vater zweier minder-jähriger Töchter ist und der erwägt, sich von seiner Frau scheidenzu lassen, über die Unterhaltsverpflichtungen, denen er dann aus-gesetzt wäre. Einige Wochen später meldet sich die Ehefrau F beiR. Sie bezichtigt M des sexuellen Missbrauchs der Kinder und bit-tet R, die erforderlichen Schritte einzuleiten, insbesondere auchKontakt zum Jugendamt herzustellen.

    Das durch die Ehe (oder Lebenspartnerschaft) begründeteeinheitliche Lebensverhältnis bildet den geradezu klassi-schen Fall für dieselbe Rechtssache.10 Allerdings betrifft dervon F gegenüber M erhobene Vorwurf, die Kinder sexuellmissbraucht zu haben, noch nicht unmittelbar das ehelicheVerhältnis. Solange R nicht auch mit der eigentlichen Tren-nungsangelegenheit beauftragt werden soll, liegt deshalbnoch kein einheitlicher Lebenssachverhalt vor. Dennoch istwegen der engen Verwobenheit der Beratungsfelder und derbesonderen Sensibilität des Themas von einer Annahme desneuen Mandats dringend abzuraten.

    Fall 10: Vertretung der gegnerischen Ehefrau gegenüberihrem früheren Anwalt

    Rechtsanwältin R berät und vertritt den Ehemann M in einer Schei-dungsangelegenheit. Nachdem die Ehe geschieden ist, bleiben diefrüheren Eheleute „Freunde“. Beim Gespräch über die Höhe ihrerAnwaltsrechnungen stellt die Frau F fest, dass sie wesentlich mehrgezahlt hat als ihr Mann. Sie bittet R, die Rechnung ihres Anwaltszu überprüfen und ggf. einen Rückforderungsanspruch gegenüberdiesem geltend zu machen.

    Das Vorliegen eines einheitlichen Lebenssachverhalts er-scheint hier zweifelhaft, weil es ursprünglich um die Schei-dung an sich und jetzt nur noch um die anwaltliche Gebüh-renforderung zu Lasten der F geht.11 Allerdings besteht dieGefahr, dass R erkennen muss, dass die Rechnung des Kolle-gen auf der Prüfung letztlich dann doch nicht weiterverfolg-ter Ansprüche der F gegen M beruht, die durchaus wiederaufgegriffen werden könnten. So etwa, wenn der Anwalt derF nach Prüfung von dem Versuch, eine Darlehensforderung

    gegenüber M durchzusetzen, abgeraten hätte, R aber erken-nen würde, dass die Geltendmachung dieser Forderungdurchaus Erfolg versprechend wäre. Diese Erkenntnis, diesich für M nachteilig auswirken würde, könnte R im Rah-men der Überprüfung der Gebührenforderung kaum fürsich behalten.

    Fall 11: Vertretung der Mutter i. S. Umgangsrecht undVerteidigung des Kindsvaters gegen den Vorwurf sexuellenMissbrauchs

    Rechtsanwältin R begleitet die Mutter dreier minderjähriger Kinderzu Verhandlungen mit ihrem geschiedenen Mann V über das Um-gangsrecht. Es wird eine einvernehmliche Lösung gefunden, diebeide Parteien zufrieden stellt. Kurze Zeit später wird der Mann,der Lehrer ist, wegen sexuellen Missbrauchs zweier minderjährigerSchülerinnen angezeigt. V bezeichnet die Vorwürfe als „völlig ausder Luft gegriffen“ und bittet R, seine Verteidigung zu übernehmen.Insbesondere fürchtet er, seine geschiedene Frau könne, wenn sievon der Sache erführe, das Umgangsrecht in Frage stellen.

    Die beiden Mandate betreffen für sich genommen keineneinheitlichen Lebenssachverhalt. Allerdings dürfte R nachÜbernahme der Verteidigung des V in einer eventuellenneuen Auseinandersetzung wegen des Umgangsrechts nichtmehr tätig werden. Denn wenn es zu einer argumentativenVerknüpfung zwischen dem Tatvorwurf und der Frage desUmgangs käme, würden die bis dahin getrennten Sachver-halte zu einem einheitlichen verschmelzen.

    Fall 12: Vertretung des Kindes aus erster Ehe und Vertre-tung der zweiten Ehefrau gegen denselben Mann/Vater

    Rechtsanwalt R macht im Auftrag eines inzwischen volljährigenKindes K aus der ersten Ehe des Vaters V Unterhalt gegenüber Vgeltend. V ist inzwischen in zweiter Ehe mit F verheiratet, die R bit-tet, sie im Scheidungsverfahren gegen V zu vertreten.

    Hier ist die Bewertung nicht eindeutig, da die Unterhalts-gewährung an das Kind und die Scheidungsangelegenheitstreng genommen unterschiedliche Lebenssachverhalte dar-stellen. Allerdings ergibt sich eine rechtliche Klammerwir-kung dadurch, dass Unterhaltsansprüche des Kindes undmögliche Unterhaltsansprüche der zweiten Frau eine Art„kommunizierender Röhren“ bilden.12 Im Mangelfall, alsodann, wenn die über dem Selbstbehalt des V liegende Vertei-lungsmasse nicht ausreicht, den Bedarf von K und F zu de-cken,13 treten die gegen V gerichteten Ansprüche in ein Kon-kurrenzverhältnis.

    Fall 13: Vertretung einer Holding beim Verkauf einerTochtergesellschaft und Vertretung eines wichtigenVertragspartners dieser Tochtergesellschaft

    Es existieren drei Gesellschaften: Gesellschaft A, die eine Holdingist, Gesellschaft B, eine Zwischenholding und Tochtergesellschaftvon A, sowie Gesellschaft C, eine Tochtergesellschaft von B. Ge-sellschaft C unterstützt Betreiber verschiedener medizinischer Ein-richtungen, darunter ein mit modernsten Geräten ausgestattetesRöngteninstitut, das u.a. einen Kernspintomographen der neues-ten Bauart vorhält, bei ihrer Tätigkeit. Die Holding A verhandelt mit

    MN Aufsätze

    10 BGH NStZ 1985, 74 = BRAK-Mitt. 1985, 114; BayObLG NJW 1981, 832; OLGKarlsruhe NJW 2001, 3197; 2002, 3561.

    11 Vgl. hierzu schon Offermann-Burckart, AnwBl 2009, 729, 731 – Fall 9.

    12 Vgl. hierzu bereits Offermann-Burckart, AnwBl 2009, 729, 732 – Fall 10.

    13 Vgl. hierzu ausführlich Gerhardt/von Heintschel-Heinegg/Klein/Gerhardt, Hand-buch des Fachanwalts Familienrecht, 6. Kap. Rn. 734 ff.

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  • einem Interessenten über den Verkauf der Zwischenholding B (in-klusive der Tochtergesellschaft C) und wird hierbei von der überört-lichen Anwaltskanzlei K in München beraten und begleitet. Daswesentliche Kaufinteresse des Verhandlungspartners richtet sichauf die Verträge der C mit den Betreibern der medizinischen Ein-richtungen und insbesondere mit dem Inhaber des beschriebenenRöntgeninstituts. In Düsseldorf hat die Kanzlei K einen weiterenStandort. Hier meldet sich als neuer Mandant der Inhaber I des be-sagten Röntgeninstituts, der sein Vertragsverhältnis mit Gesell-schaft C kündigen will. Würde der zwischen C und I bestehendeVertrag hinfällig, würde mit großer Wahrscheinlichkeit das Inte-resse des Verhandlungspartners von A an einem Kauf von B (undC) entfallen. Diese Tatsache ist allerdings bislang an keiner Stelleoffiziell kommuniziert worden. Die verschiedenen Informations-stränge laufen rein zufällig in der Kanzlei K zusammen.

    Ein einheitlicher Lebenssachverhalt (Verkaufsverhandlungenhier, Absicht des Inhabers des Röntgeninstituts, den Vertragmit C zu lösen, da) liegt auf den ersten Blick nicht vor. Etwasanderes würde allerdings gelten, wenn die Kündigungs-absichten des I in unmittelbarem Zusammenhang mit demanstehenden Verkauf von B (und C) zu tun hätten, von demI möglicherweise erfahren hat. Insgesamt ergibt sich aus derSituation ein erheblicher Loyalitätskonflikt für die beteiligtenKanzleistandorte. Auf die Einhaltung der Schweigepflichtmuss penibel geachtet werden. Am besten wäre es, das neueMandat in Düsseldorf nicht anzunehmen.

    Fall 14: Vertretung einer Kfz-Werkstatt gegen einen zah-lungsunwilligen Kunden und Vertretung desselben Kundengegen dieselbe Werkstatt aus anderem Auftragsverhältnis

    Eine Kfz-Werkstatt hat den Unfallschaden am Fahrzeug ihres Kun-den K repariert. Weil K die Rechnung nicht bezahlt, beauftragt dieWerkstatt Rechtsanwalt R mit der Durchsetzung der Forderung.Wenige Tage nach der Reparatur des Unfallschadens und nochbevor es wegen der Rechnung zum Streit kam, hatte K sein Autoerneut in die Werkstatt gebracht und diese gebeten, eine Anhän-gerkupplung einzubauen. Der Einbau ist nach Ansicht des K un-sachgemäß erfolgt. Er verlangt Nachbesserung, zu der die Werk-statt, die auf dem Standpunkt steht, alles sei in Ordnung, nichtbereit ist. K will nun seinerseits R mit der Durchsetzung seiner An-sprüche beauftragen.

    Es ist eigentlich schwer vorstellbar, aber solche und ähnlicheFälle kommen in der Praxis immer wieder vor. Die Fragenach einem einheitlichen Lebenssachverhalt ist schwer zubeantworten. Vordergründig betrachtet haben die Reparaturdes Unfallschadens und der Einbau der Anhängerkupplung– auch wenn sie durch dieselbe Werkstatt am selben Fahr-zeug vorgenommen wurden – nichts miteinander zu tun. Al-lerdings ergibt sich eine Art rechtlicher Klammerwirkungaus der engen Verwobenheit der beiden Angelegenheitenund der Tatsache, dass K z. B. auf die Idee kommen könnte,wegen seiner behaupteten Ansprüche gegenüber der Werk-statt die Aufrechnung mit den Ansprüchen der Werkstattihm gegenüber aus der Reparatursache zu erklären. R istdeshalb gut beraten, das Mandat von K nicht anzunehmen.

    Fall 15: Vertretung des Betriebsrats einer Firma bei Interes-senausgleich und Sozialplan und Vertretung von Arbeitneh-mern derselben Firma im Kündigungsschutzverfahren

    Die Rechtsanwälte R1 und R2 sind Mitglieder derselben Sozietät.R1 vertritt den Betriebsrat der Firma F im Rahmen der Verhandlun-gen über einen Interessenausgleich und Sozialplan. Dem Interes-

    senausgleich ist entsprechend § 1 Abs. 5 KSchG eine Namenslistemit den zu kündigenden Arbeitnehmern beigefügt. An der Erstel-lung dieser Namensliste war R1 beteiligt. Nach Abschluss der Inte-ressenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen übernimmt R2die Vertretung mehrerer Arbeitnehmer der Firma F, die auf derdem Interessenausgleich beigefügten Namensliste genannt sind,in mehreren Kündigungsschutzverfahren.

    Der geschilderte Fall zeigt, wie sehr die Meinungen über dasVorliegen eines einheitlichen Lebenssachverhalts auseinan-dergehen können. Der Vorstand der zuständigen Rechts-anwaltskammer hielt im Rahmen eines berufsrechtlichenAufsichtsverfahrens einen einheitlichen Lebenssachverhaltund das Vorliegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Ver-tretung widerstreitender Interessen für gegeben. Ein Straf-verfahren wegen des Verdachts des Parteiverrats wurde dage-gen eingestellt. Die Generalstaatsanwaltschaft erhob eineAnschuldigung gegen R2 wegen Verstoßes gegen § 3 Abs. 1BORA. Das Anwaltsgericht lehnte die Zulassung der An-schuldigungsschrift zur Hauptverhandlung mit der Be-gründung ab, die Vertretung des Betriebsrats durch R1 imarbeitsrechtlichen Interessenausgleichsverfahren sei nichtdieselbe Sache wie die Kündigungsschutzverfahren, in denender Angeschuldigte R2 anwaltlich tätig geworden sei. EinKündigungsschutzverfahren richte sich nicht gegen den Be-triebsrat eines Arbeitgebers, sondern gegen den Arbeitgeberselbst. Auf die Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft hinhob der Anwaltsgerichtshof den Beschluss des Anwalts-gerichts auf und ließ die Anschuldigungsschrift zur Haupt-verhandlung zu.14 Der AGH begründet sorgfältig das Vorlie-gen eines einheitlichen Lebenssachverhalts und führt u.a.aus, da die Kündigungen, deren Voraussetzungen undModalitäten – insbesondere die Betriebsänderung, die Not-wendigkeit betriebsbedingter Kündigungen, die Höhe derAbfindung und deren Deckelung – Gegenstand des Interes-senausgleichs und des Sozialplans gewesen seien, beruhtensowohl die Tätigkeit von R1 als auch die von R2 auf einemeinheitlichen historischen Sachverhalt. Dies werde insbeson-dere auch dadurch deutlich, dass R2 im Rahmen der Kündi-gungsschutzverfahren die Regelungen des Interessenaus-gleichs und Sozialplans angreifen müsse, um überhauptgegen die Kündigung vorgehen zu können. Er müsse be-haupten, es liege kein Kündigungsgrund vor, die Sozialaus-wahl sei nicht gewahrt etc. Selbst wenn R2 lediglich eineErhöhung der Abfindung anstrebe, müsse er für seine Man-danten die Aufhebung der Abfindungsdeckelung im Sozial-plan erreichen. Dazu müsse er die entsprechende Regelungim Sozialplan ebenfalls konkret angreifen. Damit werdedeutlich, dass auch die Mandate von R2 ganz konkret mitder Betriebsänderung, die dem Interessenausgleich und So-zialplan zugrunde liege, sowie mit dem historischen Vor-gang von deren Abschluss und Inhalt zu tun hätten und da-mit dieselbe Rechtssache beträfen wie das Mandat seinesSozius R1.15

    MN Aufsätze

    14 AGH NRW – 2 AGH 32/09.

    15 In der anschließenden Hauptverhandlung des Anwaltsgerichts wurde das Verfah-ren gem. § 153a Abs. 2 StPO gegen Zahlung eines Betrags in Höhe von 2.500Euro eingestellt.

    Interessenkoll ision – Es bleibt dabei: Jeder Fall ist anders, Offermann-Burckart AnwBl 11 / 2011 813

  • Fall 16: Vertretung des Insolvenzverwalters und spätereVertretung des Geschäftsführers des insolvent gewordenenUnternehmens gegen den Insolvenzverwalter

    Rechtsanwalt R vertritt eine Parkettböden-Firma F in allen ge-schäftlichen Angelegenheiten. Nachdem die Firma in die Insolvenzgegangen ist, vertritt R den Insolvenzverwalter I. Nach Abschlussdes Insolvenzverfahrens bittet der ehemalige Geschäftsführer Gder F den R, ihn gegen den Insolvenzverwalter zu vertreten. G willSchadensersatzansprüche gegen I geltend machen, weil dieser inrufschädigender Weise zu Unrecht behauptet und verbreitet habe,unprofessionelles Verhalten und wirtschaftliche Fehlentscheidun-gen des G hätten zur Insolvenz der Firma geführt.

    Auch wenn eventuelle Schadensersatzforderungen des G ge-genüber I nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit derInsolvenz der Fußbodenfirma und der Tätigkeit des Insol-venzverwalters stehen, ist die Verwobenheit der Sachverhalteso eng, dass wohl von einem einheitlichen Lebenssachverhaltausgegangen werden muss und jedenfalls von der Über-nahme des Mandats für G abzuraten ist. Sollten Meinungs-verschiedenheiten zwischen G und dem Insolvenzverwalterbereits bei Bestellung oder kurz nach Bestellung des I auf-getreten sein, hätte sich für R übrigens schon zu diesemZeitpunkt die Frage gestellt, ob er überhaupt für I tätig wer-den könne. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Insolvenz-verwalter ja keineswegs der Rechtsnachfolger und auch nichtder Vertreter des Schuldners, sondern nach der herrschen-den Amtstheorie Amtstreuhänder ist, der prozessual undmateriell-rechtlich im eigenen Namen (aber mit Wirkung fürund gegen die Insolvenzmasse) handelt.16 Differenzen zwi-schen dem Schuldner (und seinen Organen) und dem Insol-venzverwalter führen deshalb immer dazu, dass derselbeRechtsanwalt nicht sowohl für den Schuldner (und/oderseine Organe) als auch für den Insolvenzverwalter tätig wer-den kann.

    Fall 17: Beratung eines Unternehmens im Hinblick aufdrohende Insolvenz und spätere Beratung einesGesellschafters dieses Unternehmens in Zusammenhangmit seinem Ausscheiden

    Rechtsanwalt R berät den Vorstand eines Unternehmens U in Zu-sammenhang mit der drohenden Insolvenz. Es gelingt, diese abzu-wenden. Danach endet das Mandat und R hat zwei Jahre lang kei-nen Kontakt mehr zu dem Unternehmen. Dann meldet sich G,einer der Gesellschafter von U bei R, der mit dem Gedankenspielt, aus dem Unternehmen auszusteigen und seine Geschäfts-anteile zu veräußern. G ist der „Haupt-Umsatzträger“ des Unter-nehmens. Sein Ausscheiden würde für das Unternehmen mögli-cherweise den finanziellen Ruin bedeuten. Ausstiegsüberlegungendes G waren auch seinerzeit ein Grund für die befürchtete Insol-venz.

    Trotz der zeitlichen Zäsur und der zwischenzeitlichen Berei-nigung der Situation wird man hier von einem einheitlichenLebenssachverhalt ausgehen müssen.

    Fall 18: Vertretung früherer Mitarbeiter nach Wechsel ausder Direktion eines Krankenhauses in den Anwaltsberuf

    Rechtsanwalt R war vor seiner Zulassung zur Anwaltschaft Ver-waltungsdirektor eines Krankenhauses. Zu seinem dortigen Auf-gabengebiet gehörte insbesondere auch der Personalbereich.Nachdem R aus dem Krankenhaus ausgeschieden und Rechts-anwalt geworden ist, wird er von mehreren früheren Mitarbeitern

    des Krankenhauses, die er seinerzeit eingestellt hat, mit der Ver-tretung in diversen arbeitsrechtlichen Angelegenheiten (u.a. Kündi-gungsschutzverfahren, Durchsetzung von Urlaubsansprüchen) ge-genüber dem Krankenhaus beauftragt.

    Ein einheitlicher Lebenssachverhalt ist gegeben. Nach derhier vertretenen weiten Auffassung, die nicht darauf abstellt,dass der Rechtsanwalt mit derselben Rechtssache bereits ori-ginär anwaltlich befasst war, liegt auch Vorbefassung vor.§ 45 Abs. 1 Nr. 4 BRAO, an dessen Eingreifen als lex specialiszu denken wäre, scheidet aus, weil R zwar in derselben An-gelegenheit „außerhalb seiner Anwaltstätigkeit oder einersonstigen Tätigkeit i.S. des § 59a Abs. 1 S. 1 bereits beruflichtätig war“, diese berufliche Tätigkeit aber beendet ist. Strenggenommen ist dem Rechtsanwalt die Bearbeitung einer An-gelegenheit, mit der er (anderweitig) beruflich befasst war,allerdings auch durch § 3 Abs. 1 2. Alt. BORA, der nur auf„die Tätigkeiten“ i.S. von § 45 BRAO, nicht dagegen auf § 45BRAO in seiner Gesamtheit abstellt, untersagt.17 Diesemschwierigen dogmatischen Problemfeld entgeht man, wennman nicht eine „anwaltliche“ Vorbefassung im strengenWortsinn voraussetzt.18 Da R früher als Verwaltungsdirektorauf Seiten des Krankenhauses stand, muss man auch von ei-nem Tätigwerden im entgegengesetzten Interesse ausgehen,selbst wenn R eine Zweifelsfrage bei der Auslegung der Ar-beitsverträge heute wie damals gleich beurteilt.

    Fall 19: Entgegennahme einer CD mit Informationen imVorfeld der Mandatsannahme

    Rechtsanwalt R, der Angestellter einer größeren Anwaltskanzleiist, wird von einem Rechtsuchenden M, der sich später als „Patent-Troll“19 entpuppt, gebeten, ein bestimmtes Mandat gegen ein Un-ternehmen U zu übernehmen. R teilt dem M mit, dass er über dieEntgegennahme von Mandaten nicht entscheiden dürfe und auchnicht glaube, dass das Mandat angenommen werde, weil das Un-ternehmen U zu den regelmäßigen Mandanten der Kanzlei gehöre.Trotzdem schickt der M zu Händen von R eine CD mit Informatio-nen betreffend das angebotene Mandat, die von einer Mitarbeiterinder Kanzlei entgegengenommen und irrtümlich einer falschen Aktezugeordnet wird, in der das Datenmaterial keine weitere Beach-tung findet. Wenige Tage später bittet das Unternehmen U dieKanzlei, seine Vertretung gegen den „Patent-Troll“ zu überneh-men, was auch geschieht. M macht geltend, er habe die Kanzleibereits mit so weitgehenden Informationen versorgt, dass eineVertretung des Unternehmens nicht mehr in Betracht komme. DieKanzlei beruft sich darauf, dass kein Mandatsvertrag mit M zu-stande gekommen sei. Außerdem sei die CD nach intensiver Su-che erst jetzt wieder aufgetaucht und ohne Kenntnisnahme ihresInhalts an M zurückgesandt worden.

    Der einheitliche Lebenssachverhalt ist hier eindeutig gege-ben. Es stellt sich aber die Frage nach einer Vorbefassung

    MN Aufsätze

    16 Vgl. hierzu nur Runkel, Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht, § 6 Rn. 166.

    17 Eine nähere Beleuchtung der schwierigen (wohl zu verneinenden) Frage, ob Sat-zungsrecht die Reichweite eines gesetzlichen Verbots präzisieren oder sogar überdieses hinausgehen darf, kommt hier aus Platzgründen nicht in Betracht. – Vgl.hierzu Henssler/Prütting/Henssler, aaO, § 3 BORA Rn. 27; Kilian/Offermann-Burckart/vom Stein/Offermann-Burckart, aaO, § 13 Rn. 101.

    18 Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Verwaltungsdirektor eines Krankenhausessicher die vier Kriterien (Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltungund Rechtsvermittlung) erfüllt, von denen eine Befreiung von der Versicherungs-pflicht in der Deutschen Rentenversicherung Bund abhängt. – Vgl. hierzu ausführ-lich Jung/Horn, KammerMitteilungen der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf 2010,317 ff.

    19 Laut Wikipedia ist „Patent-Troll“ (auch „Patentjäger“, „Patenthai“ oder „Patentfrei-beuter“) eine abwertende Bezeichnung für Personen oder Unternehmen, die Pa-tente in unangemessener Weise benutzen. Dazu zählen solche, die Patente erwer-ben, ohne jemals die einem Patent zugrunde liegende technische Erfindungeinsetzen zu wollen, oder die sich Trivialpatente mit nur geringer Schöpfungshöheschützen lassen.

    814 AnwBl 11 / 2011 Interessenkol l ision – Es bleibt dabei: Jeder Fall ist anders, Offermann-Burckart

  • des R bzw. der Kanzlei. Die Grenze zwischen einer bloßenMandatsanbahnung und tatsächlicher Vorbefassung i. S. von§ 43 a Abs. 4 und § 3 Abs. 1 1. Alt. BORA ist fließend. Diesgilt u. a. dann, wenn sich Kanzleien an sog. beauty contestsbeteiligen. Würde man hier zu strenge Maßstäbe anlegen,könnte dies dazu führen, dass Mandanten unliebsame, weilgefürchtete Gegner durch geschicktes Taktieren in einemfrühen Stadium ausschalten.20 Auch das Vorgehen des „Pa-tent-Trolls“ im vorliegenden Fall ist durchsichtig, weil er ver-mutlich bewusst nur einen Angestellten und nicht einen derSozien der Anwaltskanzlei angesprochen und unan-gekündigt Informationsmaterial übersandt hat. Ein Rechts-anwalt, der sich in Mandatsanbahnungsverhandlungen be-gibt, sollte darauf achten, dass der potenzielle Mandant ihmvor der Kollisionskontrolle noch keine Detailinformationenliefert, anhand derer der konkrete Sachverhalt erkennbarwird. Auch das Kanzleipersonal sollte die strikte Anweisungerhalten, nicht schon einmal Mandatsunterlagen in Empfangzu nehmen, um sie dem Rechtsanwalt zur näheren Prüfungvorzulegen.

    Fall 20: Tätigwerden in einer Angelegenheit, mit der derAnwalt früher als Referendar auf der Gegenseite befasst war

    R1 ist seit Kurzem zur Anwaltschaft zugelassen und wird von Ehe-mann M mit der Durchführung der Scheidung beauftragt. Die An-waltsstage hat R1 in der Kanzlei von R2 absolviert. R2 ist schonseit längerem der Anwalt von M’s Frau. Als Referendar hat R1auch an mehreren Gesprächen mit der Frau teilgenommen, diedas Scheidungsverfahren betrafen.

    Es liegt ein einheitlicher Lebenssachverhalt vor. Und vomhier vertretenen Standpunkt aus ist auch die Tätigkeit vonReferendaren berufliche Vorbefassung i.S. der §§ 43a Abs. 4BRAO, 3 Abs. 1 1. Alt. BORA.21

    II. Fallkonstellationen zu den ThemenbereichenInteressenwiderstreit, Berufsausübungs-gemeinschaften, Einverständnis

    Ist das Tatbestandsmerkmal (Vor-)Befassung in „derselbenRechtssache“ erfüllt, stellt sich als nächstes die Frage, ob derRechtsanwalt im entgegengesetzten Interesse handelt.

    Die eigentliche tatbestandliche Handlung, das sog. „prä-varikationsrelevante“ Tun,22 wird in den einschlägigen Vor-schriften unterschiedlich umschrieben. Während § 43aAbs. 4 BRAO von der Vertretung widerstreitender Interessenspricht, verbietet § 3 Abs. 1 1. Alt. BORA ein Tätigwerden, so-fern der Anwalt eine andere Partei im widerstreitenden Inte-resse bereits beraten oder vertreten hat, wohingegen § 356Abs. 1 StGB voraussetzt, dass der Anwalt beiden Parteiendurch Rat oder Beistand pflichtwidrig dient. Gemeint ist imKern immer das Gleiche, nämlich das zeitlich aufeinanderfolgende oder gleichzeitige Tätigwerden des Anwalts für zweioder mehr Parteien, deren Interessen gegenläufig sind.

    Unter „Dienen“ (§ 356 Abs. 1 StGB), „Vertreten“ (§ 43aAbs. 4 BRAO), „Tätigwerden“ (§ 3 Abs. 1 1. Alt. BORA) istjede Beratung, jede außergerichtliche oder prozessuale Ver-tretung, jede andere Beistandsleistung und außerdem – wie§ 18 BORA klarstellt – jede vermittelnde, schlichtende odermediative Tätigkeit des Anwalts zu verstehen.23

    Ein Interessenwiderstreit liegt vor, wenn die Interessender Parteien, die der Anwalt in derselben Rechtssache berät

    und/oder vertritt bzw. beraten und/oder vertreten hat, ganzoder teilweise konträr sind oder werden können.

    1. Die gegnerische ParteienstellungDiese Beurteilung hängt zunächst von der Klärung einerVorfrage ab, die in Rechtsprechung und Literatur als geson-dertes Problem wenig Beachtung findet, bei der Betrachtungkonkreter Sachverhalte aber häufig Schwierigkeiten bereitet.Es ist dies die Frage, ob mehrere Protagonisten eines einheit-lichen Lebenssachverhalts überhaupt in einem (gegnerschaft-lichen) Verhältnis zueinander stehen, also Parteien derselbenRechtsangelegenheit (mit entgegengesetzten Interessen)sind.

    Dabei ist der sowohl in § 356 StGB als auch in § 3 BORAauftauchende Begriff „Partei“ weit auszulegen. Partei ist jedean einer Rechtssache rechtlich beteiligte natürliche oder ju-ristische Person.24 Ausreichend für die Parteistellung ist, dassdie Person ein rechtliches und/oder wirtschaftliches Anlie-gen verfolgt.25

    Die Frage nach der Parteistellung ist häufig kaum zutrennen von der unter I. behandelten nach dem Vorliegen ei-nes einheitlichen Lebenssachverhalts. Da die Parteieigen-schaft aber maßgeblich von der Frage abhängt, in wessen In-teresse der Rechtsanwalt tätig sein soll,26 ist die Einordnungdes Themas unter II. die treffendere.

    2. Widerstreitende InteressenVerboten ist – neutral ausgedrückt – ein Tätigwerden desRechtsanwalts im widerstreitenden Interesse. Wann wider-streitende Interessen vorliegen, scheint auf den ersten Blickleicht zu beurteilen. So ist völlig klar, dass z. B. Vermieterund Mieter, Arbeitgeber und Arbeitnehmer und auch Ehe-leute, die sich scheiden lassen wollen, per se gegenläufige In-teressen verfolgen. Was aber, wenn Parteien mit eigentlichwiderstreitenden Interessen sich de facto einig sind? Was,wenn die Interessen einer Partei gar nicht in die Richtunggehen, in die sie nach landläufiger Meinung gehen sollten,weil nämlich das Hauptinteresse der Partei gar nicht die Er-langung eines möglichst großen Vorteils für sich selbst, son-dern z. B. die (Wieder-)Herstellung eines auskömmlichenUmgangs verschiedener Personen miteinander ist? Was,wenn zwei oder mehr Parteien Interessen haben, die in diegleiche Richtung gehen? Und was, wenn diese zunächstgleichgerichteten Interessen im Laufe der Zeit (z. B. auf-grund sich ändernder Sach- und/oder Motivationslagen) kon-trär werden?

    Es geht bei all diesen Fragestellungen im Wesentlichenum zwei Aspekte, nämlich um den, ob bei der Bestimmungdes Interesses ein objektiver oder ein subjektiver (oder mögli-cherweise ein gemischt objektiv-subjektiver) Standpunkt

    MN Aufsätze

    20 Vgl. hierzu nur Henssler/Prütting/Henssler, aaO, § 43a BRAO Rn. 191 m. w.Nachw.

    21 Vgl. in diesem Sinne auch die „amtliche“ Begründung der Satzungsversammlungzur Neufassung von § 3 BORA, BRAK-Mitt. 2006, 212, 213, die – wenn auch mitanderer Argumentation – zu dem Ergebnis gelangt, dass eine frühere Beratungs-tätigkeit durch Referendare oder Rechtsassessoren aus Rechtsabteilungen diesedaran hindere, in der neuen Rolle als Rechtsanwalt konträren Rechtsrat zu ertei-len oder konträre Rechtsberatung bzw. Rechtsvertretung zu betreiben.

    22 Vgl. zu der Begrifflichkeit schon Offermann-Burckart, AnwBl 2009, 729, 732 Fn. 8,und ausführlich Gillmeister, aaO, § 356 StGB Rn. 1.

    23 Feuerich/Weyland/Feuerich, aaO, § 43a BRAO Rn. 66; Henssler/Prütting/Henss-ler, aaO, § 43a BRAO Rn. 186.

    24 BGHSt 45, 148, 152.

    25 Baier, wistra 2001, 401, 404; Gillmeister, aaO, § 356 StGB Rn. 39.

    26 BGH, Urt. v. 25.06.2008 – 5 StR 109/07.

    Interessenkoll ision – Es bleibt dabei: Jeder Fall ist anders, Offermann-Burckart AnwBl 11 / 2011 815

  • einzunehmen und wie mit den sog. „gleichgerichteten Inte-ressen“ umzugehen ist.

    a) Objektive oder subjektive Interessenbestimmung?

    Ob bei der Bestimmung des Interesses nur die objektive In-teressenlage, also die Beurteilung der Situation aus Sicht ei-nes vernünftigen Dritten, maßgeblich ist, oder auch derWille der Parteien Berücksichtigung findet, der sich in derRegel mit der objektiven Interessenlage decken wird, ihr inEinzelfällen aber auch zuwiderlaufen kann, ist höchst um-stritten.27

    Richtig dürfte es sein, eine objektive Bestimmung mitsubjektivem Einschlag, also den Mittelweg, zu favorisieren.Denn „Herr“ des Mandats ist nicht der Anwalt, sondern derAuftraggeber, der selbst bestimmt, wie seine konkreten Inte-ressen gelagert sind, und der dem Rechtsanwalt – die Unab-hängigkeit des Anwalts in allen Ehren – eine bestimmteRichtung vorgeben kann. Es gibt immer wieder Situationen,in denen es dem Mandanten nicht darum geht, das (mate-riell) Meiste, sondern das (ideell) Beste zu erzielen. Das giltinsbesondere im Familien- und im Erbrecht, wo sich vieleEntscheidungen eher auf einer gefühlsmäßigen als auf einermateriell-rechtlich rationalen Ebene abspielen.28 Andererseitsgehört es zu den vertraglichen Pflichten des Rechtsanwalts,den Mandanten vor Dummheiten zu bewahren, ihm zu sei-nem „guten“ Recht zu verhelfen und ihn dabei u.U. sogarvor sich selbst zu schützen. Es wäre deshalb äußerst proble-matisch, wenn der Anwalt z. B. in den viel beschworenen Fäl-len einer „einvernehmlichen“ Scheidung beide Parteien ver-treten und z. B. zulassen würde, dass der emotionalschwächere Partner in der Hoffnung, mit dem anderen wie-der ins Reine zu kommen, in unvernünftiger Weise auf dieGeltendmachung von Ansprüchen (auf Herausgabe vonHausratsgegenständen, auf Unterhalt oder den Versorgungs-ausgleich) verzichten würde. Das unvernünftige Verhaltenmag hier eindeutig im Willen der einen und im (objektiven)Interesse der anderen Partei liegen und könnte vom Anwaltdoch niemals befördert werden.29

    b) Gleichgerichtete InteressenEinen Sonderfall stellt die Situation dar, dass zwei oder mehrParteien nicht gegeneinander, sondern gegen einen Drittenstreiten und dabei grundsätzlich die gleichen Interessen ver-folgen. Es muss unterschieden werden zwischen gleichge-richteten Interessen, die konkurrieren, und gleichgerichtetenInteressen, die nicht konkurrieren.

    Das Führen von „Parallelmandaten“, also die Vertretunggleichgerichteter, nicht miteinander konkurrierender Interes-sen, ist grundsätzlich erlaubt.30

    Ein Problem ergibt sich in der Praxis daraus, dass Situa-tionen und Interessenlagen sich ändern und aus ur-sprünglich gleichgerichteten, nicht konkurrierenden Interes-sen immer noch gleichgerichtete, jetzt aber in Konkurrenzzueinander stehende Interessen oder auch insgesamt wider-streitende Interessen werden können. Das ist etwa der Fall,wenn der gemeinsame Schuldner mehrerer Gläubiger inderselben Rechtssache in Zahlungsschwierigkeiten gerät undnicht mehr sichergestellt ist, dass sämtliche Ansprüche involler Höhe befriedigt werden können,31 oder wenn einer vonmehreren gemeinsam vertretenen Miterben die Seiten wech-selt.

    Fall 21: Vertretung von Anlegern gegen ein Bankinstitutund Vertretung eines potenziellen Kaufinteressenten bei derDue Diligence

    Rechtsanwalt R vertritt mehrere Anleger gegen die in wirtschaftli-che „Schieflage“ geratene Bank B. Ein Finanzunternehmen, dasdie Bank kaufen will, bittet R, die Pre Acquisition Due Diligencevorzunehmen. Aufgrund seiner Vorkenntnisse geht R davon aus,dass die Prüfung zu einem negativen Ergebnis führen wird, dasden Kaufinteressenten vermutlich abschreckt.

    Es ist schon fraglich, ob hier ein einheitlicher Lebenssachver-halt vorliegt, weil die Wahrung der Anlegerinteressen undder mögliche Verkauf des Bankinstituts nur mittelbar etwasmiteinander zu tun haben. Außerdem ist „Gegenpartei“ derdue diligence ausschließlich die Bank. Allerdings könntesich ein negatives Prüfungsergebnis des R nachteilig für dievon ihm vertretenen Anleger auswirken, dann nämlich,wenn das Scheitern des Kaufs zum endgültigen Ruin derBank und dazu führen würde, dass auch Ansprüche der An-leger nicht mehr befriedigt werden könnten. Henssler32

    kommt auch bei fehlender Identität des Lebenssachverhaltsfür bestimmte Konstellationen zu dem Ergebnis, dass An-sprüche, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben, inein echtes Konkurrenzverhältnis geraten können und sichsomit widerstreiten. Dies etwa dann, wenn ein Anwalt ver-schiedene Mandanten bei der Durchsetzung ihrer auf unter-schiedlichen Sachverhalten beruhenden Ansprüche gegendenselben Gegner vertritt und diese Ansprüche in derZwangsvollstreckung in ein (natürliches) Konkurrenzverhält-nis treten. Von einem solchen Standpunkt aus lägen auchim vorliegenden Fall trotz verschiedener Lebenssachverhaltewiderstreitende Interessen vor. Allerdings geht diese Auffas-sung zu weit, würde sie doch den Rechtsanwalt daran hin-dern, ganz unterschiedliche Mandanten in ganz unterschied-lichen Angelegenheiten lediglich gegen denselben Gegner

    MN Aufsätze

    27 Vgl. zum Meinungsstand ausführlich Offermann-Burckart, Anwaltsrecht in der Pra-xis, § 10 Rn. 57 ff. m. zahlr. w. Nachw.

    28 Vgl. hierzu ausführlich Offermann-Burckart, ZEV 2007, 151, 152 f.; dies., FF 2009,58, 104, 105 ff.

    29 Vgl. hierzu BGHSt 17, 305, 306 m. krit. Anm. Gutmann, AnwBl 1963, 90; BGHSt18, 192, 199 f.; BGH NStZ 1982, 331; 1985, 74; Feuerich/Weyland/Feuerich, aaO,§ 43a BRAO Rn. 67. In Abkehr von Eylmann in der Vorauflage (§ 43a BRAORn. 149 ff.) stellt allerdings Henssler/Prütting/Henssler (Kommentar zur Bundes-rechtsanwaltsordnung, 3. Aufl., § 43a BRAO Rn. 176) auch in Ehescheidungs-sachen ganz auf die subjektive Bestimmung der Interessen ab. Es stehe den Ehe-gatten frei, einverständlich einen Gleichlauf der Interessen herbeizuführen. DieTatsache, dass der Richter an den übereinstimmenden Vortrag der Ehegatten zurDauer des Getrenntlebens nicht gebunden sei, ändere nichts daran, dass jederMensch frei sei, seine Interessen autonom zu gewichten und festzulegen. Eine ob-jektive Bestimmung der Interessen würde im Falle einer einvernehmlichen Schei-dung bewirken, dass den Eheleuten trotz ihres Einvernehmens ein Interessen-widerstreit „aufgedrängt“ würde. Demgegenüber hält Schulz (AnwBl 2009, 743,748) die sog. einverständliche Scheidung für so problematisch, dass er dem foren-sisch tätigen Familienrechtler den Rat erteilt, diese „aus seinem Repertoire juristi-scher Begrifflichkeiten zu eliminieren“.

    30 So z. B. Henssler/Prütting/Henssler, aaO, § 43a BRAO Rn. 181; Kleine-Cosack,aaO, § 43a BRAO Rn. 117; Kümmelmann, AnwBl 1981, 175; Hübner, LeipzigerKommentar zum Strafgesetzbuch, 10. Aufl., § 356 StGB Rn. 125; differenzierendGillmeister, aaO, 11. Aufl., § 356 StGB Rn. 30, 62 f., 65 ff.

    31 Henssler (in: Henssler/Prütting, aaO, § 43a BRAO Rn. 181) geht in diesem Zusam-menhang sogar so weit, anzunehmen, dass ein echtes Konkurrenzverhältnis, indas mehrere Ansprüche aus ganz verschiedenen Sachverhalten gerieten, diese ei-gentlich unterschiedlichen Sachverhalte zu einem einheitlichen Lebenssachverhaltverknüpfe. Dies sei etwa der Fall, wenn ein Rechtsanwalt für mehrere Gläubigerganz unterschiedliche Forderungen gegen denselben Schuldner geltend macheund wegen all dieser Forderungen die Zwangsvollstreckung betreibe. Diese Auf-fassung ist als zu weitgehend abzulehnen, weil hier die Vorfrage nach dem einheit-lichen Lebenssachverhalt verneint werden muss (siehe oben) und es lebensfremdwäre, annehmen zu wollen, dass ein Rechtsanwalt gehindert ist, für einen Man-danten eine Werklohnforderung gegen einen Schuldner und für einen anderenMandanten eine Mietzinsforderung gegenüber demselben Schuldner geltend zumachen, sofern dieser Schuldner zahlungsunwillig oder -unfähig ist.

    32 Henssler/Prütting/Henssler, aaO, § 43a BRAO Rn. 181.

    816 AnwBl 11 / 2011 Interessenkol l ision – Es bleibt dabei: Jeder Fall ist anders, Offermann-Burckart

  • zu vertreten. Sammelklagen wären bei dieser Betrachtungs-weise praktisch ausgeschlossen.

    Fall 22: Vertretung des Verkäufers von Gewerbeimmobilienund Vertretung des Käufers gegenüber Mietern dieserImmobilien

    Rechtsanwalt R berät und vertritt Mandant V beim Verkauf diverserGewerbeimmobilien an den Käufer K. Nachdem der Kauf abge-wickelt ist, bittet K den R, ihn gegenüber mehreren säumigen Mie-tern der gekauften Immobilien zu vertreten und rückständigenMietzins einzufordern. Die – erheblichen – Probleme mit den Mie-tern führen auch dazu, dass K gegenüber V zunächst geltendmacht, der Kaufpreis sei überhöht gewesen, und schließlich sogareine Rückabwicklung des Kaufvertrags anstrebt. R fragt sich, ob erjetzt wieder den V gegenüber K vertreten kann.

    Da die schlechte Zahlungsmoral der Mieter in unmittel-barem Zusammenhang mit den Rücktrittsüberlegungen desK steht, ist ein einheitlicher Lebenssachverhalt wohl anzu-nehmen. Allerdings stellt sich die weitere Frage, ob R auchwiderstreitende Interessen vertreten hat bzw. bei einer Wie-deraufnahme der Mandatsbeziehung zu V vertreten würde.Dies ist erkennbar nicht der Fall, weil R als Rechtsanwalt desK nur gegenüber den Mietern, nicht auch gegenüber V tätiggeworden ist. Im Gegenteil lag es letztlich auch im Interessedes V, der Zahlungsmoral der Mieter auf die Sprünge zu hel-fen und die Mietaußenstände möglichst niedrig zu halten.Es könnte sich allenfalls ein Problem mit der Schwei-gepflicht ergeben, falls R im Rahmen des Tätigwerdens für Kerfahren hätte, dass die Mietaußenstände in Wirklichkeit garnicht so gravierend sind, wie K gegenüber V jetzt geltendmacht.

    Fall 23: Vertretung eines Bauträgers und spätere Vertretungeines Erwerbers gegenüber einem Nachbarn wegenÜberbaus

    Rechtsanwalt R hat vor Jahren im Rahmen eines Dauermandatseinen Bauträger vertreten und für diesen u.a. Verträge zum Ver-kauf schlüsselfertig erstellter Einfamilienhäuser entworfen. Auchim Rahmen der Vertragsabwicklung war R tätig. Jahre später, dasMandatsverhältnis ist längst beendet, wird einer der früheren Er-werber E von einem Nachbarn wegen der Beseitigung eines Über-baus in Anspruch genommen. Es stellt sich heraus, dass der Bau-träger mit hoher Wahrscheinlichkeit seinerzeit falscheBerechnungen angestellt hat und die Garage des E tatsächlich zueinem geringen Teil auf dem Nachbargrundstück steht. E bittet R,ihn in der Auseinandersetzung mit seinem Nachbarn zu vertreten,und erklärt ausdrücklich, auch bei einem negativen Ausgang derSache nicht daran zu denken, den Bauträger auf Schadensersatzin Anspruch zu nehmen.

    Gegen das Vorliegen eines einheitlichen Lebenssachverhaltskönnte sprechen, dass R seinerzeit nur mit der Vertrags-gestaltung und -abwicklung, nicht aber mit technischen De-tails befasst war. Andererseits war Bestandteil der Vertrags-abwicklung natürlich auch die ordnungsgemäße Erstellungder Einfamilienhäuser samt Nebengebäuden. Auch die in-zwischen verstrichene Zeit bewirkt keine Zäsur. Allerdingsführt die Tatsache, dass sich möglicherweise nachträglichSchadensersatzansprüche des E gegenüber dem Bauträgerherausstellen, nicht automatisch zu einer Interessenkolli-sion, wenn feststeht, dass E diese Ansprüche niemals geltendmachen und R ihn bei einer Durchsetzung entsprechenderAnsprüche niemals vertreten würde. Die rein theoretischeMöglichkeit, dass ein aktuell vertretener Mandant Ansprüche

    gegenüber einem früheren Mandanten geltend macht, reichtzur Annahme einer Interessenkollision noch nicht aus.

    Fall 24: Vertretung der beiden Mieter einer Wohnunggegenüber dem Vermieter und spätere Vertretung des einenMieters gegen den anderen

    Rechtsanwältin R vertritt ein unverheiratetes Paar M1 und M2 ge-genüber seinem Vermieter. Es geht u.a. um die Berechtigung einerMietminderung und um Schönheitsreparaturen. Nach Beendigungdes Mandats trennen sich M1 und M2. M2 zieht aus. M1 macht ge-genüber M2 Zahlungsforderungen aus dem Mietverhältnis geltend,weil mit M2 vereinbart gewesen sei, sich die Miete zu teilen. M1bittet R, ihn gegenüber M2 zu vertreten.

    Hier dürfte es schon an einem einheitlichen Lebenssachver-halt fehlen, weil es zwar in beiden Mandaten irgendwie umdas Mietverhältnis von M1 und M2 geht, sich der Blickwinkeljedoch völlig geändert hat. Es liegt aber auch keine gegneri-sche Parteistellung vor. R hat M1 und M2 einmal mit einerganz bestimmten Stoßrichtung gegen einen Dritten, näm-lich gegen den Vermieter vertreten. Jetzt nimmt er M2 auseinem völlig anderen Rechtsgrund in Anspruch. Anderswäre die Situation zu beurteilen, wenn der Vermieter einigeMonate nach Beendigung des ersten Mandats den R bittenwürde, bei M2 und/oder M1 rückständigen Mietzins ein-zufordern. Hier würde das Dauerschuldverhältnis Mieteseine Klammerwirkung entfalten.

    Fall 25: Konkurrierende Sicherungsinstrumente

    Rechtsanwalt R hat für eine Bank verschiedene Sicherungsabtre-tungsverträge entworfen. Dabei hat er auch einige Kenntnisseüber die zwischen der Bank und den jeweiligen Schuldnern beste-henden Vertragsbeziehungen erlangt. Zu den Vertragspartnern/Schuldnern gehört u.a. ein Gießereibetrieb. Lange nachdem dasMandat mit der Bank beendet ist, beauftragt ein neuer Mandant Mden R, ein gesetzliches Vermieterpfandrecht gegenüber eben die-ser Gießerei durchzusetzen. R ist nicht bekannt, wie sich das Ver-tragsverhältnis zwischen der Bank und der Gießerei zwischenzeit-lich entwickelt hat, ob also z. B. das der Gießerei von der Bankerteilte Darlehen abgelöst ist oder fortbesteht, ob die Ratenzahlun-gen regelmäßig bedient werden usw.

    Hier könnte einer Mandatsübernahme für M die Besorgnisentgegenstehen, dass der Schuldner, also der Gießereibetriebnicht in der Lage ist, alle Verpflichtungen zu bedienen. Diesesehr weitgehende, z. B. von Henssler vertretene Ansichtwurde oben bereits dargestellt. Allerdings ist im vorliegen-den Fall Zweierlei zu berücksichtigen: Zum einen war R vonder Bank nur damit beauftragt, die Sicherungsabtretungsver-träge zu entwerfen. Mit ihrer Durchsetzung hatte er nichtszu tun. Zum anderen hängt die Durchsetzung von Pfand-rechten – gleichgültig, ob es sich um vertragliche oder ge-setzliche Pfandrechte handelt – von ihrem Rang, also demZeitpunkt der Bestellung bzw. Entstehung ab, sodass einechtes Konkurrenzverhältnis zwischen verschiedenen Pfand-rechten ohnehin ausscheidet (§§ 1209, 1257 BGB).33

    MN Aufsätze

    33 Vgl. zur entsprechenden Geltung von § 1209 BGB z. B. für das Vermieterpfand-recht Prütting/Wegen/Weinreich/Nobbe, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetz-buch, § 1257 BGB Rn. 5.

    Interessenkoll ision – Es bleibt dabei: Jeder Fall ist anders, Offermann-Burckart AnwBl 11 / 2011 817

  • Fall 26: Dieselbe Kfz-Versicherung auf beiden Seiten derUnfallbeteiligten

    Rechtsanwalt R2 ist regelmäßiger Prozessbevollmächtigter derKfz-Haftpflichtversicherung V. In einem konkreten Fall streiten dieUnfallbeteiligten U1 und U2 über die Schuldfrage. U1 hat U2 unddessen Haftpflichtversicherung V verklagt. Er wird vertreten durchseinen Hausanwalt R1. U2 erhebt Widerklage gegen U1. DieV-Versicherung, die auch die Haftpflichtversicherung des U1 ist,beauftragt ihren Hausanwalt R2 mit der Abwehr der Widerklage.Abgesehen davon ist R2 nicht in die Angelegenheit involviert.

    Selbstverständlich wäre es nicht möglich, dass R2 als regel-mäßiger Prozessbevollmächtigter der V-Versicherung sowohlauf Seiten von U1 als auch auf Seiten von U2 tätig würde.Der BGH hat in einer interessanten Entscheidung vom23.10.199034 allerdings auch in dem Fall, in dem der Haus-anwalt der Versicherung (hier also R2) lediglich mit der Ab-wehr der Widerklage beauftragt wurde, die Gefahr einer Inte-ressenkollision problematisiert. Mit dieser Begründung istder VI. Zivilsenat zu dem Ergebnis gelangt, dass sich dievom Kfz-Haftpflichtversicherer zur Abwehr der Widerklagegem. § 10 Nr. 5 AKB erteilte Prozessvollmacht ausnahms-weise nicht auf die vom Geschädigten (hier: U1) erhobeneKlage, sondern nur auf die gegen ihn erhobene Widerklageerstrecke. Den Normalfall regelt § 81 ZPO, wonach der ge-setzliche Umfang der Prozessvollmacht Klage und Wider-klage umfasst und nach § 83 Abs. 1 ZPO grundsätzlich nichtim Außenverhältnis beschränkt werden kann.35 DieserGrundsatz erfahre aber, so der BGH – über die in § 83 ZPOgenannten Ausnahmen hinaus – dann eine weitere Ein-schränkung, wenn seine Anwendung zu einem rechtlichnicht mehr haltbaren Ergebnis führen würde. Das sei dortder Fall, wo der Prozessvertreter durch den Grundsatz derUneinschränkbarkeit der Vollmacht in eine Interessenkolli-sion gedrängt würde, die der unbefangenen Ausübung desMandats entgegenstünde, sodass einer Partei nach Treu undGlauben nicht zugemutet werden könne, sich auch für die-sen Bereich möglicher überschneidender Interessen dasHandeln des Anwalts zurechnen zu lassen. Bemerkenswer-terweise lässt der BGH hier die bloße Gefahr einer Interes-senkollision ausreichen, indem er weiter feststellt: Aus-nahmsweise müsse § 83 Abs. 1 ZPO dort zurücktreten, wo esallein diese Vorschrift sei, die den Prozessbevollmächtigtenund seine Partei in einen Konflikt dränge und beide sich die-sem anders nicht entziehen könnten. Eine solche Situationsei dann gegeben, wenn in der prozessualen Auseinanderset-zung wechselseitig erhobener Schadensersatzansprüche auseinem Verkehrsunfall auf beiden Seiten derselbe Kfz-Haft-pflichtversicherer stehe und dieser dem Kläger (hier: U1) fürdie Verteidigung gegen die Widerklage gem. §§ 7 Abs. 2Nr. 5, 10 Abs. 5 AKB den Anwalt bestelle. Hier führe dieMöglichkeit, dass sich der von dem Kfz-Haftpflichtversiche-rer für den Kläger zur Abwehr der gegen ihn erhobenen Haf-tungsansprüche bestellte Anwalt im Blick auf die Interessendes Versicherers als seinem (regelmäßigen) Auftraggeberden aus der Gesamtschau beider Versicherungsverhältnisseergebenden Interessen mehr verpflichtet fühle als denen sei-ner Partei, zumal wenn – wie regelmäßig – der Haftpflichtver-sicherer mitverklagt sei, zu einer Interessenkollision, wenndie zur Abwehr der Widerklage erteilte Prozessvollmacht gem.§ 83 ZPO auch auf die Klage erstreckt würde, der Anwalt alsoauch insoweit auf den Rechtsstreit Einfluss nehmen könnteund müsste.36 In der Konsequenz bedeutet dies, dass die

    grundsätzliche Position des Hausanwalts der Kfz-Versiche-rung den R2 im konkreten Fall nicht hindert, ausschließlichim Rahmen der Widerklage für U1 tätig zu werden.

    Fall 27: Vertretung von Aktionären und Vorstand derselben AG

    Rechtsanwalt R vertritt mehrere Minderheitsaktionäre einer Aktien-gesellschaft gegen den Vorstand der AG. Es geht u. a. um dieFrage des Bestehens und der Reichweite von Auskunftsrechten.Im Auftrag eines der Aktionäre erstattet R sogar Strafanzeige ge-gen den Vorstand. Nachdem R einen Vorschuss angefordert hat,beschließen die Aktionäre, die Angelegenheit nicht weiter zu be-treiben. Was aus der Strafanzeige wird, erfährt R nicht. Monatespäter kommt es zwischen dem Vorstand der AG und verschiede-nen Aktionären zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten, we-gen derer ein Hauptaktionär die Einberufung einer außerordentli-chen Hauptversammlung beantragt. Jetzt bittet der Vorstand derAG den R, ihn zunächst im Vorfeld der außerordentlichen Haupt-versammlung zu beraten und für den Fall einer gerichtlichen Aus-einandersetzung auch zu vertreten. Bei dem ersten Mandats-anbahnungsgespräch erfährt R nicht, was konkret Gegenstand derMeinungsverschiedenheiten ist und welche Aktionäre, außer demHauptaktionär, der die Einberufung der außerordentlichen Haupt-versammlung beantragt hat, involviert sind.

    Hier ist Vorsicht geboten. Wenn es bei den aktuellen Proble-men um Fragestellungen geht, die auch seinerzeit bei derVertretung der Minderheitsaktionäre und insbesondere beider Strafanzeige eine Rolle gespielt haben, liegt ohne Zweifelein einheitlicher Lebenssachverhalt vor. Vor einer Man-datsübernahme müsste R also genau eruieren, um welchekonkreten Sachverhalte und Rechtsprobleme es bei dem neuangetragenen Mandat geht und welche Aktionäre auf der Ge-genseite stehen. Sollten die Minderheitsaktionäre, die R inder Vergangenheit beraten hat, inzwischen z. B. im Wegedes Squeeze-out ausgeschieden sein, fehlt es an der gegneri-schen Parteienstellung.

    Fall 28: Vertretung des Unfallverursachers und desAbschleppunternehmers

    Rechtsanwalt R vertritt einen Unfallbeteiligten U gegen den Unfall-gegner und dessen Versicherung. Die Sache geht zu Lasten des Uaus. Einige Monate nach Beendigung des Mandats bittet das Kfz-Unternehmen A, das seinerzeit den nicht mehr fahrbereiten PKWdes U abgeschleppt hatte, R, den U auf Zahlung der noch offenenAbschlepprechnung in Anspruch zu nehmen.

    Hier wird man wohl von einem einheitlichen Lebenssachver-halt ausgehen müssen, weil auch Abschleppkosten in die Ge-samtschadensberechnung einfließen. Allerdings stellt sichdie weitere Frage, ob R in Sachen der Abschleppkosten schoneinmal im entgegengesetzten Interesse tätig geworden ist,weil er bislang den U nicht gegen das Abschleppunterneh-men, sondern gegen den Unfallgegner vertreten hat. Es sindzwei Konstellationen denkbar: Entweder wurde die Schuld-frage zu Lasten des U bereits geklärt, bevor das Abschlepp-unternehmen seine Rechnung gestellt hat. Oder die Rech-nung lag bereits zu einem frühen Zeitpunkt vor und wurdevon R als Schaden des U gegenüber dem Unfallgegner unddessen Versicherung auch geltend gemacht, bevor sich dieDinge zum Nachteil des U entwickelten. Im ersteren Fallhätte R mit dem Thema „Abschlepprechnung“ bis zu einerMandatierung durch A noch nichts zu tun gehabt; in der

    MN Aufsätze

    34 NJW 1991, 1176.

    35 BGH NJW 1991, 1176, 1177.

    36 Wie zuvor.

    818 AnwBl 11 / 2011 Interessenkol l ision – Es bleibt dabei: Jeder Fall ist anders, Offermann-Burckart

  • zweiten Fallvariante hätte R für U die Abschlepprechnungdem Grunde nach gewissermaßen anerkannt. Auf Seiten desA und damit im entgegengesetzten Interesse des U hätte erin keinem der Fälle gehandelt. Streng genommen steht einerÜbernahme des Mandats für A in beiden Konstellationenalso nichts entgegen. Ob R klug beraten wäre, ein solchesMandat zu übernehmen, ist dabei keine Frage der Interes-senkollision, sondern des guten Geschmacks.

    Fall 29: Vertretung des Mannes im Scheidungsverfahrenund Vertretung der neuen Lebensgefährtin nach Tod desMannes gegenüber der Ehefrau

    Rechtsanwalt R vertritt einen Mandanten M im Scheidungsverfah-ren gegen seine Ehefrau F1. Noch vor Abschluss des Scheidungs-verfahrens stirbt M. Jetzt bittet F2, die seit ein paar Jahren mit Mzusammengelebt hat, den R, sie gegenüber F1 zu vertreten. F2berichtet, während der Beerdigung des M am offenen Grab in einetätliche Auseinandersetzung mit F1 geraten und von dieser erheb-lich verletzt worden zu sein. Es geht F2 um die Durchsetzung vonSchadensersatzansprüchen. F1 macht geltend, nach dem Tod desM sei sie Erbin und trete als solche in das Mandatsverhältnis mit Rein. R könne deshalb jetzt nicht F2 gegen sie vertreten. R geht da-von aus, dass das Mandatsverhältnis mit M nach dessen Tod erlo-schen ist.

    Maßgeblich ist hier die Auslegungsregel des § 672 S. 1 BGB.Danach erlischt der Auftrag, also auch das Mandatsverhält-nis, im Zweifel durch den Tod des Auftraggebers nicht. Et-was anderes gilt nur, wenn das Todesereignis als Beendi-gungsgrund besonders vereinbart wurde oder sich dieBeendigung aus den Umständen des Einzelfalls ergibt.37

    Beim Tod eines Ehegatten vor Rechtskraft der Endentschei-dung in der Ehesache gilt das Verfahren als in der Haupt-sache erledigt (§ 131 FamFG).38 Damit erledigt sich auto-matisch auch das Mandatsverhältnis (bis auf dieGebührenfrage). R kann F2 also vertreten und braucht derschwierigen Frage, ob überhaupt ein einheitlicher Lebens-sachverhalt gegeben ist, nicht weiter nachzugehen. Etwas an-deres würde allerdings gelten, wenn M der F2 ein kostbaresBrillant-Armband geschenkt, F1 im Rahmen der Scheidungs-auseinandersetzung geltend gemacht hätte, dass dieses Arm-band ihr gehöre, und es bei der Prügelei zwischen denFrauen auch um die Eigentumsverhältnisse an dem Arm-band gegangen wäre. Denn dann könnte man sich auf denStandpunkt stellen, dass ein Teil des Mandats sich auf dieFrage der Herausgabe des Armbands an F1 bezogen hätteund also fortbestünde. In diesem Fall wäre die Kollision derInteressen offensichtlich.

    Fall 30: Unklare Parteienstellung

    Rechtsanwalt R wird von einem Mandanten M beauftragt, der bisvor Kurzem Mitglied eines Sportverbands war und für diesen Ver-band bestimmte Geschäftsführungsaufgaben wahrgenommen hat.Zwischen M und dem Verband existierte ein – unklar formulierter –Geschäftsbesorgungsvertrag. Kurz vor seinem Ausscheiden hatteM eine Mitarbeiterin A eingestellt, wobei er wie selbstverständlichdavon ausgegangen war, das Arbeitsverhältnis komme zwischendem Verband und A (und nicht etwa zwischen ihm selbst und A)zustande. Nach Ausscheiden des M geht der Verband angesichtsdes ebenfalls unklar formulierten Arbeitsvertrags davon aus, dassein Arbeitsverhältnis zwischen dem Verband und A nicht bestan-den habe und jedenfalls nicht fortbestehe. A sieht sich dagegenals Angestellte des Verbands. R kommt nach Prüfung der Angele-genheit zu dem Ergebnis, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen A

    und dem Verband und nicht zwischen A und M bestanden habeund bestehe. Da der Verband die A nicht weiterbeschäftigen will,erhebt diese vor dem Arbeitsgericht Klage gegen den Verband undlässt sich von R vertreten. Zu R’s Überraschung gelangt das Ar-beitsgericht zu der Auffassung, dass die A nicht Angestellte desVerbands, sondern Angestellte von M gewesen sei und nach wievor sei. M, der sich über diese Entwicklung ärgert, wirft R jetzt vor,sich bei Übernahme des Mandats von A in einer Interessenkolli-sion befunden zu haben. R widerspricht dem.

    Hier ist die Beurteilung schwierig. Wenn R nachvollziehbargeltend macht, definitiv davon überzeugt gewesen zu sein,dass auf seinen Mandanten M keinerlei Forderungen der A(mehr) zukommen könnten, fehlt es zumindest an der subjek-tiven Tatseite einer Interessenkollision. Da R aber immer mitder Gefahr hätte rechnen müssen, dass seine Rechtsauffas-sung von anderen Juristen, also insbesondere vom Arbeits-gericht, nicht geteilt und M doch von A in Anspruch genom-men würde, wäre er gut beraten gewesen, das Mandat der Aerst gar nicht anzunehmen. Etwas anderes würde nur gelten,wenn A versichert hätte, dem M keine Schwierigkeiten ma-chen und gegen diesen keinesfalls vorgehen zu wollen.

    Fall 31: Vertretung zunächst der Kindesmutter, später derGroßeltern im Sorgerechtsverfahren

    Rechtsanwalt R vertritt die Mutter M zweier minderjähriger Kinderim Sorgerechtsverfahren gegenüber ihrem Noch-Ehemann. R legtdas Mandat nieder, als er erkennt, dass die Mutter, die ein Drogen-problem hat, nicht geeignet ist, das Sorgerecht für die Kinder aus-zuüben. Später bitten die Eltern der M, also die Großeltern der Kin-der, den R, sie zu vertreten. Sie wollen sich um das Sorgerecht fürdie Kinder bemühen, weil auch deren Vater nicht erziehungsgeeig-net sei und die Kinder endlich in geordnete Verhältnisse kommensollen.

    Auch wenn im ursprünglichen Sorgerechtsverfahren nur dieMutter und der Vater der Kinder Parteien waren, handelt essich hier um den einheitlichen Lebenssachverhalt „Regelungdes Sorgerechts“. R darf das Mandat der Großeltern nicht an-nehmen. Denn Gegenpartei des Sorgerechtsverfahrens ist je-denfalls auch M und diese wurde bereits im entgegengesetz-ten Interesse, nämlich im Interesse des Erhalts desSorgerechts, vertreten.

    Fall 32: Eigene Involvierung des Rechtsanwalts nach Kaufdes Streitobjekts

    Rechtsanwalt R vertritt H1, den Eigentümer einer Doppelhaus-hälfte, gegen H2, den Eigentümer der anderen Hälfte, wegen einesWasserschadens, der vom Rohrleitungssystem im Haus des H2ausgeht und das Kellergeschoss des Hauses von H1 in Mitleiden-schaft gezogen hat. H2 verkündet dem Bauunternehmer U denStreit. Noch während des laufenden Verfahrens kauft R, der Gefal-len an den Häusern gefunden hat und das Problem mit der Rohr-leitung als nicht so gravierend einstuft, H2 dessen Doppelhaus-hälfte ab. Das Mandat für H1 legt er nieder. R will jetzt denRechtsstreit gegen H1 fortsetzen und fragt sich, ob er einen Kolle-gen mit seiner eigenen Vertretung gegenüber H1 beauftragenmuss. Er fragt sich außerdem, ob er den U, falls dieser auf seinerSeite dem Streit beitritt, anwaltlich vertreten kann.

    Es stellt sich zunächst die etwas seltsam anmutende Frage,ob R aufgrund der Tatsache, dass er plötzlich persönlich in

    MN Aufsätze

    37 Prütting/Wegen/Weinreich/Fehrenbacher, aaO, § 672 BGB Rn. 1.

    38 Gerhardt/v. Heintschel-Heinegg/Klein/von Heintschel-Heinegg, aaO, 2. Kap.Rn. 17.

    Interessenkoll ision – Es bleibt dabei: Jeder Fall ist anders, Offermann-Burckart AnwBl 11 / 2011 819

  • den Streit involviert, also zur Gegenpartei geworden ist, auchzum Vertreter der Gegenpartei wird. Rein tatsächlich ist daswohl so. Es wäre allerdings lebensfremd, den R, der sich alsRechtsanwalt ja in allen Belangen selbst vertreten und im Ob-siegensfall sogar Kostenerstattung von der Gegenseite verlan-gen kann, aufgrund des natürlichen Interessengegensatzes zuverpflichten, einen anderen Rechtsanwalt mit seiner Vertre-tung zu beauftragen. Es fragt sich aber, ob R mit ähnlicher Be-gründung auch den U vertreten könnte. Die Wirkungen derStreitverkündung sind in § 74 ZPO geregelt. Tritt der Drittedem Streitverkünder bei, bestimmt sich sein Verhältnis zuden Parteien nach den Grundsätzen über die Nebeninterven-tion (§ 74 Abs. 1 ZPO). Er wird also weder Partei noch gesetzli-cher Vertreter der Hauptpartei, sondern Gehilfe der Hauptpar-tei kraft eigenen Rechts.39 Der Dritte verschmilzt demnachnicht mit dem Streitverkünder zu „einer Partei“, sondern be-hält eigene Rechte und Optionen. Eine Vertretung des Udurch R wäre also die Vertretung einer „Partei“ im entgegen-gesetzten Interesse des früheren Mandanten H1.

    Fall 33: Eigene Involvierung des Rechtsanwalts imRegressfall

    Rechtsanwalt R vertritt den Erben E1 im Rahmen einer Erbaus-einandersetzung gegen dessen Bruder E2. R ist bemüht, denStreit zu schlichten, und rät seinem Mandanten, als Zeichen desguten Willens ein Gemälde, das sich in seinem Besitz befindet unddas E2 unbedingt haben will, an den Bruder auszuhändigen. E1folgt diesem Rat. Allerdings bleibt die erhoffte Wirkung, dass nunauch E2 auf E1 zugehe, aus. Insbesondere ärgert den E1, dass ererfahren muss, E2 habe das Gemälde mit hohem Gewinn verkauft.E1 kündigt das Mandatsverhältnis mit R und macht geltend, ihmsei durch dessen Falschberatung ein messbarer Schaden entstan-den. Gleichzeitig verklagt E1 den E2 auf Auszahlung des Erlösesaus dem Gemäldeverkauf. Dem R verkündet E1 in diesem Zusam-menhang den Streit. R tritt dem Streit allerdings nicht auf Seitendes E1, sondern auf Seiten des Bruders bei und fragt, ob er sichselbst vertreten kann.

    Hier gilt das bereits oben Ausgeführte entsprechend. Es wärelebensfremd, R auf einen Kollegen zu verweisen. Als Dritter,dem der Streit verkündet wurde, behält R eine eigene Rechts-stellung. Eine gleichzeitige Vertretung von E2 kommt aberselbstverständlich nicht in Frage.

    Fall 34: Wirtschaftliches Eigeninteresse des Rechtsanwalts

    Rechtsanwalt R vertritt einen Mandanten M, der von einemSchuldner S die Rückzahlung einer hohen Darlehenssumme for-dert. Das Haus des S, der sich in erheblichen Zahlungsschwierig-keiten befindet, gerät in die Zwangsversteigerung. R möchte dasHaus selbst erwerben und verständigt sich mit S und der Haupt-Gläubigerbank auf eine Kaufpreissumme, die unter dem Wertgut-achten liegt, aber in etwa dem entspricht, was sich nach allgemei-nen Erfahrungen im Rahmen der Zwangsversteigerung hätteerzielen lassen. Ob S nunmehr in der Lage ist, seine sämtlichenGläubiger, zu denen nicht nur M gehört, zu befriedigen, ist unge-wiss.

    Hier liegt die kuriose Situation vor, dass R selbst im Eigen-interesse den Zahlungsanspruch seines Mandanten gefähr-det. Möglicherweise hat er – was allerdings nicht feststeht –verhindert, dass für das Haus des S ein höherer Preis erzieltwird, und möglicherweise hat er dadurch – was allerdingsebenfalls nicht feststeht – mit zu verantworten, dass M aufeinem Teil seiner Forderung sitzenbleibt. Allerdings ist Rnur gehindert, „im dem Interesse des M zuwiderlaufenden

    Interesse“ zu beraten oder zu vertreten. Eine eigene Teil-nahme des R am allgemeinen Geschäftsleben ist von den Be-stimmungen über die Interessenkollision nicht erfasst. Hiergeht es allenfalls um allgemeine Loyalitätspflichten.

    Fall 35: Vertretung zerstrittener Erben gegen Dritte

    Rechtsanwalt R vertritt den Erben E1 gegenüber E2. Beide habengemeinsam ein Haus geerbt, können über das Schicksal des Hau-ses und weiterer Teile der Erbmasse allerdings keine Einigkeit er-zielen. E2 wird in der Erbangelegenheit von einem eigenenRechtsanwalt vertreten. Das Haus ist aktuell vermietet. Als es zuProblemen bei der Zahlung des Mietzinses kommt, verständigensich E1 und E2 aus Kostengründen darauf, gemeinsam den R mitder Durchsetzung ihrer Interessen gegenüber dem säumigen Mie-ter M zu beauftragen. Als M auch auf ein erstes Aufforderungs-schreiben des R hin nicht zahlt, fühlt sich E2 von R schlecht vertre-ten und verweigert die Zahlung eines Vorschusses mit demHinweis, R habe ihn wegen eines Interessenkonflikts gar nicht ver-treten dürfen; der Mandatsvertrag zwischen ihm und R sei sitten-widrig.

    Hier ist schon fraglich, ob überhaupt ein einheitlicher Le-benssachverhalt vorliegt, weil die Themen Erbauseinander-setzung und Mietstreit zwar dasselbe Haus und dieselben Ei-gentümer betreffen, letztlich aber nichts miteinander zu tunhaben. Aber selbst wenn man einen einheitlichen Lebens-sachverhalt annehmen wollte, liegt jedenfalls kein Interes-sengegensatz vor, weil die Interessen von E1 und E2 gleich-gerichtet sind und aufgrund ihrer gemeinsamenVermieterstellung auch nicht konkurrieren. Etwas andereswürde natürlich gelten, wenn auch die gemeinsame Erben-stellung von E1 und E2 zweifelhaft wäre und E2 z. B. geltendmachte, er alleine sei Erbe des Hauses geworden, weshalbder Mietzins nur ihm zustehe.

    Fall 36: Vertretung eines anderen Angeschuldigtenderselben Straftat nach Verfahrenseinstellung

    Rechtsanwalt R hat den Angeklagten A1 in einem Strafverfahrenwegen gemeinschaftlich begangener Körperverletzung verteidigt.Das Strafverfahren wird nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, weildie Beweise gegen A1 nicht ausreichen. Nach Einstellung des Ver-fahrens bittet A2, ein Freund des A1, dem die gleiche Tat zur Lastgelegt wird, den R, ihn zu vertreten.

    Hier geht es um einen Sonderfall des Verbots der Vertretungwiderstreitender Interessen, nämlich um das Verbot derMehrfachverteidigung, das in § 146 StPO geregelt ist. Danachdarf ein Verteidiger nicht gleichzeitig mehrere derselben TatBeschuldigte verteidigen. Die Gleichzeitigkeit endet, wennder Verteidiger des „ersten“ Beschuldigten rechtlich nichtmehr in der Lage ist, seinen (früheren) Mandanten zu vertei-digen.40 Unproblematisch wäre eine Verteidigung des A2also dann, wenn A1 rechtskräftig freigesprochen und damitStrafklageverbrauch (ne bis in idem) eingetreten wäre, oderA1 das Mandatsverhältnis mit R aufgekündigt hätte.41 Da dieEinstellungsverfügung keine Rechtskraftwirkung entfaltetund ein Verbrauch der Strafklage nicht eintritt,42 kommt eineVerteidigung des A2 bei dieser Sachverhaltskonstellationnicht in Betracht. Falls R sicher ist, dass das Verfahren gegen

    MN Aufsätze

    39 Schneider, Die Klage im Zivilprozess, § 13 Rn. 1055 ff.; Zöller/Vollkommer, Kom-mentar zur Zivilprozessordnung, § 67 ZPO Rn. 1 m. zahlr. w. Nachw.

    40 BT-Drucks. 10/1313, S. 23; Laufhütte, Karlsruher Kommentar zur Strafprozessord-nung, § 146 StPO Rn. 5.

    41 Wie zuvor.

    42 Schmid, Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, § 170 StPO Rn. 23.

    820 AnwBl 11 / 2011 Interessenkol l ision – Es bleibt dabei: Jeder Fall ist anders, Offermann-Burckart

  • A1 nicht wieder aufgenommen wird, bestünde theoretischdie Möglichkeit, dass R das Mandatsverhältnis mit A1 für de-finitiv beendet erklären und dem A1 mitteilen würde, dass erunter keinen Umständen wieder für ihn tätig werden wolle.Dies würde allerdings dann zu einer äußerst unguten Kon-stellation führen, wenn sich im Rahmen des Strafverfahrensgegen A2 herausstellte, dass A1 eine Tatbeteiligung dochnachgewiesen werden kann, A2 sich möglicherweise sogarauf Kosten des A1 entlastet und das Verfahren gegenüber A1wieder aufgenommen wird. Außerdem bleibt R natürlichauch nach Beendigung seiner Tätigkeit für A1 zur Ver-schwiegenheit verpflichtet, was per se dazu führen kann,dass er nicht in der Lage ist, für A2 alle Register der Verteidi-gung zu ziehen.

    Fall 37: Klassisches Dreiecksverhältnis

    Ein Hotel kauft ein exklusives Wellness-Gerät und wirbt entspre-chend den Herstellerangaben mit dessen besonderen „Fähigkei-ten“ im Internet. Ein Mitbewerber nimmt das Hotel auf Unterlas-sung in Anspruch, weil die Angaben über das Wellness-Gerätvöllig überzogen und unzutreffend seien. Sowohl das Hotel alsauch die Herstellerfirma des Geräts, die ihr Produkt ungerechtfer-tigter Weise in Verruf geraten sieht, bitten Rechtsanwalt R um Ver-tretung.

    Das Hotel und die Herstellerfirma haben gleichgerichtete(nicht konkurrierende) Interessen, weil es beiden darum geht,darzulegen, dass das Wellness-Gerät die ihm zugeschriebenenEigenschaften besitzt und also die Hotelwerbung nicht über-zogen ist. Allerdings könnte sich die Situation ändern, wennsich im Laufe des Verfahrens herausstellen würde, dass dasWellness-Gerät doch nicht kann, was die Herstellerfirma be-hauptet, und die Werbeaussagen des Hotels somit tatsächlichunzutreffend waren.

    Fall 38: Vertretung mehrerer Parteien eines „Erbstreits zuLebzeiten“

    Rechtsanwalt R ist der Hausanwalt eines Familienbetriebs, der alsGmbH geführt wird. Mehrheitsgesellschafter V möchte seinenWohlstand mit seinen beiden volljährigen Töchtern T1 und T2, diein der Firma angestellt sind, teilen und auf diese Weise spätereErbstreitigkeiten zwischen den Töchtern vermeiden. Er lässt sichvon R darüber beraten, auf welchem, auch steuerlich vertretbarenWeg er beiden Töchtern jeweils einen hohen Geldbetrag und eineFirmenbeteiligung zukommen lassen kann. Im Zuge dieser Überle-gungen, von denen die Töchter erfahren, geraten T1 und T2 – ausfür R nicht nachvollziehbaren Gründen – mit dem Vater in heftigs-ten Streit, der dazu führt, dass die GmbH der T1 fristlos kündigtund der T2 eine Abmahnung mit Kündigungsandrohung aus-spricht. V, dessen Anteil an der GmbH 85% beträgt, bittet R, in derarbeitsrechtlichen Auseinandersetzung ihn selbst und die GmbHzu vertreten. Weitere Gesellschafterin der GmbH (mit einem Anteilvon 15%) ist die M, Ehefrau des V und Mutter von T1 und T2, diesich aus dem ganzen Streit nach Möglichkeit heraushalten will.

    Mehrheitsgesellschafter V, Minderheitsgesellschafterin Mund die GmbH haben aktuell gleichgerichtete, nicht konkur-rierende Interessen. Da aber nicht ausgeschlossen ist, dasssich M auf die Seite ihrer Töchter schlägt, sollte R Vorsichtwalten lassen. Falls R Mitglied einer Sozietät ist, würde sichhier die Beauftragung eines Sozius durch M bei gleichzeiti-gem schriftlichen Einverständnis von V und M mit der jewei-ligen Interessenwahrnehmung (§ 3 Abs. 2 S. 2 BORA) als„Königsweg“ anbieten.

    Fall 39: Vertretung des Halters und des unfallverursachen-den Fahrers eines Pkw

    Rechtsanwalt R vertritt den Halter H eines Pkw und den Haft-pflichtversicherer in einer Unfallangelegenheit. Fahrer des Unfall-wagens war der Mitarbeiter einer Kfz-Werkstatt, der nach einer Re-paratur die Funktionstüchtigkeit des Wagens von H testen sollte.Bei dem Unfall sind das Auto des H und das Auto eines Dritten er-heblich beschädigt worden. Der Fahrer F macht – zunächst glaub-haft – geltend, der Unfall sei von dem Dritten allein schuldhaft ver-ursacht worden, und bittet R, ihn ebenfalls zu vertreten.

    Auch in einem solchen Fall ist größte Vorsicht geboten. Einegemeinsame Vertretung von F und H kommt nur in Be-tracht, wenn unzweideutig feststeht, dass der Unfall vondem Dritten verursacht wurde. Ergibt sich im Nachhinein,dass – z. B. bei einer Rechts-vor-Links-Situation – der Fahrerwegen überhöhter Geschwindigkeit eine Mitschuld trägt,sind widerstreitende Interessen vorhanden und der Anwaltgerät in die Situation, beide Mandate niederlegen zu müssen(§ 3 Abs. 4 BORA).

    Fall 40: Vertretung von Auftraggeber und Auftragnehmergegenüber geschädigte