ESUG bricht Tabus - Handelsblatt...

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INDat-Report 03_2013 38 ESUG bricht Tabus Frankfurt am Main. War bei den früheren Handelsblatt Jahrestagungen Restrukturierung das Insolvenzrecht eher ein Rand- thema, so lag bei der neunten Ausgabe am 25. und 26.04.2013 in Frankfurt mit etwa 250 Teilnehmern der Fokus deutlich auf dem ESUG, oder die Diskussionen führten dorthin, wenn es neben ESUG-Praxisfällen z. B. um Stakeholder-Strategien, neue Kreditgeber, Schiffsfonds und die Automobilbranche in der Krise sowie um die Rolle der Aufsichtsräte ging. Das ESUG scheint das Insolvenztabu bei einigen Restrukturierern gebrochen oder zumindest gelockert zu haben. Text: Peter Reuter Kongresse & Tagungen dungs- und Verzichtsklauseln, zudem sei das SchVG auf Anleihen unter NY-Recht nicht anwendbar, wofür er sich eine gesetzliche Klarstellung wünsche. Ein Steering Committee sei als Koordinator zwischen Unternehmen, Finanzierern und anderen Stakeholdern als »Navigator auf stürmischer See« für das Krisenkonsortium aus Alt- Kreditgebern und Distressed Investors unumgänglich. Den ersten Praxistest habe das ESUG bestanden und den Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb gestärkt – er stelle das an neugieri- gen Fragen englischer Kollegen fest. Die Gerichte sollten allerdings wie in England ihren Handlungsspielraum aktiv ausfüllen. Im Anschluss befragte Moderator Dr. Göpfert in einem Panel drei Banker, was die Banken für 2013 erwarten. Martin Orth von der Managementleistung war von Moderator RA Dr. Burkard Göpfert (Gleiss Lutz) gefragt, auf der 9. Handelsblatt Jahrestagung Re- strukturierung 2013 den Zeitplan der 21 Vorträge und Panels, die 37 Referenten und Diskutanten bestritten, die teilweise nur 15 Minuten Zeit für ihren Vortrag erhielten und Nachfragen beant- worten mussten, einzuhalten. Doch der Plan ging auf. In seiner Begrüßung verwies Göpfert auf den ESUG-Workshop vom Vortag, dessen Ergebnisse man hier weiter diskutieren wolle. Zum Auftakt stellte Max Falckenberg von Roland Berger Strategy Consultants die Studie seines Hauses zu Trends in der Restrukturierung vor. Wesentlicher Erfolgsfaktor sei demnach für 92 Prozent der befrag- ten Unternehmen Management Committment, gefolgt von Kom- munikation und Schnelligkeit der Implementierung. Je höher der Handlungsdruck anwachse, desto wichtiger werde der Einsatz eines CRO. Bei der Eigenverwaltung gelte das als eine Hauptanforderung. Danach verglich Dr. Heinrich Kerstien (Rothschild) im Vortrag »Financial Restructuring – wesentliche Treiber und aktuelle Sta- keholder-Strategien« die Optionen Chapter 11, Scheme of Arran- gement und ESUG, wobei Chapter 11 am akzeptiertesten, aber auch am teuersten umzusetzen sei, während das ESUG – das im Gegensatz tiefer und operativ eingreifen könne – zwar noch am Insolvenz-Stigma leide, doch die Planbarkeit und Verfahrenssi- cherheit für alle erkennbar erhöht habe. Mit neuen Kreditgebern, komplexen Finanzierungsstrukturen und Vor- und Nachteilen des Debt Tradings befasste sich dann RA Peter Hoegen (Allen & Overy). Deutsche und internationale Anlei- hen würden zunehmend die Restrukturierung mitbestimmen, sie seien teilweise besichert und dennoch fehlten Mehrheits-, Stun- RA Dr. Sven-Holger Undritz WP/StB Bernd Richter Fotos: Euroforum/Steffi Hergenröder

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ESUG bricht Tabus

Frankfurt am Main. War bei den früheren Handelsblatt Jahrestagungen Restrukturierung das Insolvenzrecht eher ein Rand-

thema, so lag bei der neunten Ausgabe am 25. und 26.04.2013 in Frankfurt mit etwa 250 Teilnehmern der Fokus deutlich

auf dem ESUG, oder die Diskussionen führten dorthin, wenn es neben ESUG-Praxisfällen z. B. um Stakeholder-Strategien, neue

Kreditgeber, Schiffsfonds und die Automobilbranche in der Krise sowie um die Rolle der Aufsichtsräte ging. Das ESUG scheint

das Insolvenztabu bei einigen Restrukturierern gebrochen oder zumindest gelockert zu haben.

Text: Peter Reuter

Kongresse & Tagungen

dungs- und Verzichtsklauseln, zudem sei das SchVG auf Anleihen unter NY-Recht nicht anwendbar, wofür er sich eine gesetzliche Klarstellung wünsche. Ein Steering Committee sei als Koordinator zwischen Unternehmen, Finanzierern und anderen Stakeholdern als »Navigator auf stürmischer See« für das Krisenkonsortium aus Alt-Kreditgebern und Distressed Investors unumgänglich. Den ersten Praxistest habe das ESUG bestanden und den Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb gestärkt – er stelle das an neugieri-gen Fragen englischer Kollegen fest. Die Gerichte sollten allerdings wie in England ihren Handlungsspielraum aktiv ausfüllen.

Im Anschluss befragte Moderator Dr. Göpfert in einem Panel drei Banker, was die Banken für 2013 erwarten. Martin Orth von der

Managementleistung war von Moderator RA Dr. Burkard Göpfert (Gleiss Lutz) gefragt, auf der 9. Handelsblatt Jahrestagung Re-strukturierung 2013 den Zeitplan der 21 Vorträge und Panels, die 37 Referenten und Diskutanten bestritten, die teilweise nur 15 Minuten Zeit für ihren Vortrag erhielten und Nachfragen beant-worten mussten, einzuhalten. Doch der Plan ging auf. In seiner Begrüßung verwies Göpfert auf den ESUG-Workshop vom Vortag, dessen Ergebnisse man hier weiter diskutieren wolle. Zum Auftakt stellte Max Falckenberg von Roland Berger Strategy Consultants die Studie seines Hauses zu Trends in der Restrukturierung vor. Wesentlicher Erfolgsfaktor sei demnach für 92 Prozent der befrag-ten Unternehmen Management Committment, gefolgt von Kom-munikation und Schnelligkeit der Implementierung. Je höher der Handlungsdruck anwachse, desto wichtiger werde der Einsatz eines CRO. Bei der Eigenverwaltung gelte das als eine Hauptanforderung.

Danach verglich Dr. Heinrich Kerstien (Rothschild) im Vortrag »Financial Restructuring – wesentliche Treiber und aktuelle Sta-keholder-Strategien« die Optionen Chapter 11, Scheme of Arran-gement und ESUG, wobei Chapter 11 am akzeptiertesten, aber auch am teuersten umzusetzen sei, während das ESUG – das im Gegensatz tiefer und operativ eingreifen könne – zwar noch am Insolvenz-Stigma leide, doch die Planbarkeit und Verfahrenssi-cherheit für alle erkennbar erhöht habe.

Mit neuen Kreditgebern, komplexen Finanzierungsstrukturen und Vor- und Nachteilen des Debt Tradings befasste sich dann RA Peter Hoegen (Allen & Overy). Deutsche und internationale Anlei-hen würden zunehmend die Restrukturierung mitbestimmen, sie seien teilweise besichert und dennoch fehlten Mehrheits-, Stun-

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Landesbank Baden-Württemberg sieht eine robustere Wirtschaft als im Vorjahr. Während die Branche Solar/Erneuerbare Energien zwar leide, hätten Automobilzulieferer und Premiumhersteller trotz Rückschläge ihre Hausaufgaben gemacht. Für ihn sei das ESUG ein »großer Wurf« – sein Haus habe den gut vorbereiteten Schutz-schirm von Centrotherm begleitet und das Insolvenz-Stigma dabei nicht verspürt. Auch Klaus Greger von der Commerzbank lobte das ESUG, dem die Gläubigerstärkung gelungen sei. Unternehmens-anleihen als Mittelstandsfinanzierung bezeichnete Jens Alsleben (H. I. G. European Capital Partners) als gutes Instrument, doch sie könnten die »blasenplatzende« Wirkung des Neuen Marktes entfal-ten. Daher sei das Rating immer im Auge zu behalten.

Viele Schiffsfonds stehen vor dem Abgrund

Danach folgte ein von WP/StB Bernd Richter (Ernst & Young) moderierter Schwerpunkt zu »Schiffsfonds«, was Sanierungskon-zepte und Auswirkungen auf den Kapitalmarkt angeht. Er stellte die Dimension des Schifffahrtsmarkts einleitend dar: 90 % des Welthandels, 95 % des EU-Außenhandels und 70 % des deutschen Im-/Exports erfolgten auf dem Seeweg, größtenteils im Container. 75 % der Frachtnachfrage stammten aus den USA und der EU. Die aktuelle Krise sei u.a. das Ergebnis einer ineffizienten Kapitalallo-kation, der Großteil der deutschen Containerflotte könne im Markt-umfeld nicht kostendeckend agieren, sodass mittelfristig weitere Marktaustritte folgten. Dann beleuchtete er die Schiffsfinanzierung in Deutschland über das KG-Modell, das bei Verlusten aus niedrigen Charterraten austrocknen werde. Alternative Kapitalgeber hätten höhere Anforderungen an Transparenz. Danach stellte RA Dr. Sven-Holger Undritz (White & Case) die »freie« Sanierung der Einschiff-gesellschaften mit ihren deutlichen Risiken der Insolvenz gegen-über, die zu einer dringend benötigten Marktbereinigung führen würde. Dennoch herrsche auf diesem Markt und unter den Reedern das Tabu der Insolvenz vor, das aber gebrochen werden müsse. Mit neuen Ansätzen zur Finanzrestrukturierung im Shipping-Sektor warb Dipl.-Kfm. Frank Günther von One Square Advisors. Da das KG-Modell tot sei, die Schiffsbanken noch wenig und Private-Equity kein Interesse zeigten, sei die Refinanzierung über Anleihen samt Investment Grade-Rating geplant, die eine Laufzeit von fünf bis

sieben Jahren hätten und private und institutionelle Investoren ansprechen sollen. Der Fonds, so erklärte er auf Nachfrage, werde mit 200 Mio. US-Dollar kalkuliert. Im Panel, der auch die Auswir-kungen auf die Bankenlandschaft und auf die Werften debattierte, wies Hubert Kratz (Nord/LB) auf die Insolvenzfolgen für Reeder hin, da sie auf die »guten Schiffe« wegen des Kündigungsrechts in der Insolvenz überspringen könnten. An das Volumen der Ship-ping-Fonds in Deutschland erinnerte Dr. Paolo Castagna (UniCredit Group), das er mit 51 Milliarden Euro bezifferte.

Nach der Mittagspause ging es weiter mit einem von Karl-J. Kraus (KJK Management und Beteiligungen) moderierten Panel zur Rolle und Funktion der Aufsichtsräte und Beiräte bei Restruk-turierungen mit Professor Rainer Kirchdörfer (Hennerkes, Kirch-dörfer & Lorz), Dr. Andreas Pleßke (Conergy AG), RA Dr. Timm Theilmann (Wegner Ullrich Müller-Helle & Partner), Wolfgang Topp (HSH Nordbank), Prof. Dr. Harald Wiedmann (Gleiss Lutz) und Dr. Dagmar Wilbs (Mercer). Man diskutierte über deren Kompetenzen und Instrumente, das Rollenverständnis, Pflichten in der Krise mit Kontrolldichte sowie -intensität und ob die Aufsichtsratmitglie-der den Aufgaben gewachsen sind, desweiteren über Vergütung, Zeiteinsatz und Professionalisierung, Problematiken in Familien-unternehmen und die Tendenz der Verwalter, wohlhabende Auf-sichtsräte zu verklagen, wobei D & O-Versicherungen mit der Nei-gung zu vorzeitigen Vergleichen dies unterstützten.

Erfolgsfaktoren von Schutzschirmverfahren

Der Nachmittag gehörte dann dem ESUG, dessen Praxisfälle Dr. Michael F. Keppel (Keppel Managementpartners) moderierte. Das Schutzschirmverfahren Neumayer Tekfor stellten RA Frank Grell (Latham & Watkins) und Dr. Joachim Englert (PwC) vor, das – mit RA Dr. Jan Markus Plathner als (vorläufigen) Sachwalter und RA Joachim Exner als CRO im Team – kurz vor dem Closing stehe. Fünf Gründe hätten für den Schutzschirm gesprochen: COMI in Offenburg für alle deutschen Verfahren, Sachwalterauswahl, Dual-Track von Planverfahren und M & A-Prozess, enge Abstimmung von Eigenverwaltung, Darlehensgebern, Gläubigerausschüssen und Gesellschaftern möglich sowie geringe Störung des operativen Geschäftsbetriebs. Erfolgsfaktoren seien die professionelle Vorbe-

Moderator RA Dr. Burkard GöpfertRA Prof. Dr. Georg StreitRA/WP/StB Andreas Ziegenhagen RA Peter Hoegen

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könnten. Daher sei die »reguläre« Eigenverwaltung eine gute Al-ternative. Viele Gerichte fühlten sich mit unbekanntem »oktroy-ierten« Verwalter/Sachwalter »unwohl«, stelle man fest, einzelne Gerichte nutzten Ermessensspielräume zur »Korrektur« des ESUG, wozu keine höchstrichterliche Klärung möglich sei. Dazu sei wie auch bei mangelnder Eindeutigkeit des Gesetzes (z. B. Massekredit im 270a-Verfahren) Regelungsbedarf gegeben. Festzustellen sei, dass die Verwalterzunft kommunikativer geworden ist, die Domi-nierung der GA durch einzelne Gläubiger aber weiterhin möglich ist. Die Banken würden lieber primär außergerichtlich sanieren, doch das ESUG biete für den Plan B eine verbesserte Toolbox. Der Debt-Equity-Swap stelle für Banken allerdings selten eine Option dar, doch Alternativ-Investoren sehe man noch nicht.

Zum Abschluss des ersten Tages illustrierte RA Prof. Dr. Georg Streit (Heuking Kühn Lüer Wojtek) den für großen Wirbel sorgen-den Schutzschirm Dailycer – RA Streit ist GA-Mitglied des Sten-daler Verfahrens – recht unterhaltsam anhand von Karikaturen, die den Stendaler Insolvenzrichter als gekröntes Haupt mit Thron und Zepter und einen örtlichen Verwalter als (Platz)hirschen mit Geweih darstellten. Dann schilderte er den kompletten Verlauf mit dreimaligem Sachwalterwechsel, die »Störmanöver« des AG Sten-dal mit zweimaliger »zweckloser« Aufstockung des vorl. GA und

reitung mit Einbindung des Gerichts in allen Phasen, ein »starker« externer Eigenverwalter, ein erfahrener Sachwalter sowie laufende Informationen an alle Beteiligten gewesen.

Das Schutzschirmverfahren der Solarwatt AG referierte RA/WP/StB Andreas Ziegenhagen (Dentons), das bereits – RA Rainer M. Bähr war zum (vorläufigen) Sachwalter bestellt worden – nach zwei Monaten wegen des Endkundengeschäfts eröffnet worden sei und bei dem man trotz Bond M-Anleihen auf einen gemeinsamen Anleihevertreter habe »verzichten« können. Das Gericht habe auf Antrag die Frist zur Vorlage des Plans auf sechs Wochen verkürzt, dessen Ergebnisse Ziegenhagen – 16 Prozent Quote samt Besse-rungsquote für Lieferanten, Dienstleiter und Anleihen sofort – vor-stellte. Diesen Plan in der Weise und so zügig umzusetzen, sei vor dem ESUG nicht vorstellbar gewesen, betonte Ziegenhagen. Die frühzeitige Einbindung der Hauptgläubiger sei maßgeblich für den Erfolg gewesen, sodass der Schutzschirm die bessere Planungssi-cherheit bei geringerem Stigma bedeutet habe.

Danach debattierten Hans Joachim Weidtmann (Commerzbank) und Dr. Uwe Goetker (McDermott Will & Emery) über ein »neues Drehbuch für Restrukturierungen nach dem ESUG«. Drei Monate beim Schutzschirm für die Planerstellung seien zu kurz, der wie-derum »fragil« sei, da einzelne Gläubiger die Aufhebung betreiben

Pre-Workshop: Gläubigerrechte in der Insolvenz

zu diversen Rechtsfragen trefflich gestritten werde und selbst von einheitlichen Gerichtsmeinungen keine Rede sein könne. Er liefer-te auch gleich einige Beispiele seiner (persönlichen) Meinung zu Fragen der Aus- und Abwahl des Verwalters. Das Gericht habe im Rahmen der Eignungsprüfung nach § 56 a Abs. 2 S. 1 InsO nicht nur das Anforderungsprofil gemäß § 56 a Abs. 2 S. 2 InsO, sondern auch die allgemeinen »Listingkriterien« zu prüfen. Werde ein nicht gelisteter Kandidat vorgeschlagen, müsse das Gericht mit prüffä-higen Informationen versorgt werden. Zu § 56 a Abs. 3 InsO führte er aus, eine Abwahl des (vorläufigen) Verwalters sei nur zulässig, sofern das Gericht von der Anhörung eines vorläufigen Gläubiger-ausschusses abgesehen habe, der sich bereits vor der Bestellung konstituiert hatte. Die folgende hitzige Diskussion zeigte einmal mehr, wie sehr sich die Fronten zwischen Beratern/Verwaltern und der Richterschaft teilweise verhärtet haben. Die Kommunikation mit den Gerichten sei schwierig bis unerwünscht, hieß es aus dem Auditorium. Die Gerichte bewegten sich zum Teil an der Grenze zur Rechtsbeugung. Der Referent entgegnete, er fürchte keinen

Einen Tag vor der 9. Handelsblatt Jahrestagung Restrukturie-rung fand der Workshop »Gläubigerrechte in der Insolvenz« statt, den RA Christopher Seagon moderierte. Beispielsweise habe die Entscheidung des BGH zur Begründung von Masseverbindlichkei-ten im Rahmen der Eigenverwaltung nach § 270 a InsO (Urt. v. 07.02.2013, IX ZB 43/12) jüngst für erhebliche Verunsicherung gesorgt. Sollte der BGH tatsächlich der Auffassung sein, dass es an einer gesetzlichen Grundlage für die Ermächtigung fehlt, wäre dies wohl das Ende der Eigenverwaltung nach § 270 a InsO. Aus Bera-tersicht referierte RA Andrew Seidl. Die Stärkung der Eigenverwal-tung und das Schutzschirmverfahren nach § 270 b InsO hätten zur Folge, dass Sanierungen in Deutschland unter einem neuen »Label« durchgeführt werden könnten. Kritisch sehe er hingegen die eingeschränkten Rechtsmittelmöglichkeiten gegen Entschei-dungen des Insolvenzgerichts. Hier seien eine Zersplitterung der Rechtsprechung und ein Wiederaufleben des »Insolvenztourismus« zu befürchten. Anknüpfend hieran betonte Marc Deutschbein, Richter am AG Essen, dass auch innerhalb der Insolvenzgerichte

(v. li.) Professor Rainer Kirchdörfer, Dr. Andreas Pleßke, RA Dr. Timm Theilmann, Moderator Karl-J. Kraus,

Wolfgang Topp, Prof. Dr. Harald Wiedmann, Dr. Dagmar Wilbs

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den Kampf des GA um Gläubigerautonomie. Die Amtshaftung wer-de nun geprüft, sagte RA Streit, wobei man die Fronten allerdings nicht weiter vertiefen wolle.

Der erste, den zweiten Tag eröffnende und von RA Dr. Steffen Koch (hww) geleitete Roundtable zum ESUG stellte bei den Ge-richten – kein Richter war beim Roundtable vertreten – eine zu langsame ESUG-Öffnung fest, während sich das Berufsbild des Ver-walters im harten Lernprozess vom »kleinen Sonnenkönig« zum Dienstleister wandele. Wer diesen Schritt nicht mitgehe, bereite seinen Marktaustritt vor. Der zweite, von BRSI-Vorstand Eugen M. Angster geleitete Roundtable zu »Investment in distressed as-sets« kam zu dem Ergebnis, dass das ESUG das Investoreninteresse am Einkauf dank Planungssicherheit erhöht habe.

Nicht die Finanzakrobatik, sondern die leistungswirtschaftliche Sanierung müsse im Vordergrund stehen, betonte Dr. Walter Bickel (Alvarez & Marsal) in seinem Vortrag und schilderte anschaulich die Sanierung des größten österreichischen Schuhhändlers u. a. mit einer kreativen, aber simplen Rubbellos-Luftballon-Aktion. Nachdem Rainer Nagel (Atreus) die Sanierung der Witex Flooring Product GmbH mit Fokus auf Committment im Management vorge-stellt, Jan-Erik Gürtner (Helbling Business Advisors) den kriselnden Stahlmarkt beleuchtet und Kishor Sridhar (Vocatus) den Mitarbei-

ter in der »Angststarre« und Blockadelösungen vorgestellt hatte, schloss die Tagung mit einem von RA Dr. Frank Kebekus moderier-ten Panel zur Automobilbranche. Während Dr. Wencke Mull (Atra-dius) die mangelnde Einbindung der Warenkreditversicherer in Sa-nierungsvorgespräche beklagte, Dr. Frauke Eßer (Volkswagen AG) das Abhängigkeitsverhältnis von Zulieferer und Kunde darstellte und monierte, dass ihr Unternehmen im Fall Neumayer Tekfor erst zwei Tage nach Schutzschirmantrag einbezogen worden sei und der Vor-ESUG-Fall Edscha dagegen ein sehr gutes Beispiel für früh-zeitige Einbindung sei, betonte Dr. Michael Schachler (Johnson Controls), dass selbst der Ausfall eines kleinen Zulieferers bedroh-lich werden könne, sodass das Motto »zu klein, um nicht mit allen Mitteln gerettet zu werden«, nicht gelte. Einzelne Sanierungsfäl-le, aber keine Krise der Branche konstatierte Klaus-Günther Rasch (Deutsche Leasing Finance), wenngleich die Probleme meist in der Wachstumsfinanzierung lägen und somit sich irgendwann die Qua-litätsfrage für die Zulieferer stelle. Dass diese Branche operativ mit der InsO plus ESUG saniert werden könne, hob RA Christopher Seagon (Wellensiek) hervor, der den Pre-Workshop ESUG geleitet hatte. Die Branche biete gute Voraussetzungen für die Gesundung in der Insolvenz – hier mag sicherlich die Abhängigkeit des Kun-den vom Zulieferer eine bedeutende Rolle spielen. «

Machtverlust bei der Auswahl der Verwalter. Er sehe es sogar als vorteilhaft an, wenn die Gläubiger die Verantwortung für die Wahl des Verwalters selbst zu tragen hätten. Der Anstieg der Anzahl der eingehenden Schutzschriften zeige, dass Gläubiger durchaus bereit seien, ihre neue Rolle im Verfahren auch wahrzunehmen.Dass gerade institutionelle Gläubiger nicht uneingeschränkt bereit sind, mehr Verantwortung zu übernehmen, zeigte die anschließen-de Diskussionsrunde aus Bankensicht. Hans Joachim Weidtmann, Commerzbank AG, vertrat die Auffassung, Banken müssten sich ggf. auch in kleineren Verfahren in Gläubigerausschüssen enga-gieren. Schließlich seien vor dem ESUG mehr Mitspracherechte gefordert worden. Ralf Mannweiler, UniCredit Bank AG, verwies hingegen auf nur beschränkte Kapazitäten der Banken. Gläubi-gerausschüsse könnten nur selektiv – in Fällen, in denen es sich »lohnt« – wahrgenommen werden.

Eine hohe Bereitschaft zur Teilnahme an Gläubigerausschüs-sen seitens der Gewerkschaften signalisierte im Gegensatz dazu Ansgar Claes, IG BCE. Der Referent vertrat die Auffassung, Ge-

werkschaftsvertreter könnten auch als »Nichtgläubiger« i. S. d. § 67 Abs. 3 InsO in den vorläufigen Gläubigerausschuss berufen werden. Notfalls sollten Arbeitnehmer ihre Forderungen an einen Gewerkschaftsvertreter abtreten. Die Beteiligung der Gewerk-schafter sei in vielen Fällen nicht zuletzt wegen der guten Ver-netzung zur Lokalpolitik für das Verfahren von Vorteil. Von einer eher ungewöhnlichen Arbeitnehmerbeteiligung berichtete RA Jörg Spies im Rahmen einer Fallstudie zur Sanierung der SRI-Unterneh-mensgruppe. Nach Durchführung des M & A-Prozesses standen hier zwei mögliche Investoren zur Wahl. Man habe dem strategischen Investor Gelegenheit gegeben, sein Konzept – und mögliche Ein-schnitte bei den Arbeitsverträgen – vor der 600-köpfigen Beleg-schaft persönlich vorzustellen. In der anschließenden geheimen Abstimmung der Mitarbeiter sei das vom Investor geforderte Quo-rum erreicht worden. Nach Auffassung des Referenten hat diese Maßnahme erheblich zur Akzeptanz beigetragen.

Text: RAin Dr. Sandra Körner, Sozietät KÜBLER, Köln

(v. li.) Moderator RA Dr. Frank Kebekus, Dr. Frauke Eßer,

Dr. Michael Schachler, RA Christopher Seagon