Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure...

32
www.eurocivil.info

Transcript of Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure...

Page 1: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

www.eurocivil.info

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 1

Page 2: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

www.eurocivil.info

JustizielleZusammenarbeitin Zivilsachenin derEuropäischenUnion

Leitfaden für dieRechtspraxis

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 2

Page 3: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

Ziel des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ist es, dastägliche Leben der Bürger sowohl im Hinblick auf die Ausübung ihrerRechte als auch für den Fall, dass sie sich für die Durchsetzung dieserRechte an die Gerichte wenden müssen, zu erleichtern. Die Angehörigender Rechtsberufe spielen in der gesamten Europäischen Union imZivilrecht eine entscheidende Rolle und fungieren für die europäischen

Bürger häufig als wichtigste Anlaufstelle, wenn es darum geht sicherzustellen, dass ihreRechte gewahrt werden.

Es ist von wesentlicher Bedeutung, dass die Angehörigen der Rechtsberufe Kenntnishaben von den wichtigen Entwicklungen, die im Bereich der justiziellen Zusammen-arbeit in Zivilsachen im Laufe der letzten Jahre stattgefunden haben. Aus diesem Grundhat die Europäische Kommission beschlossen, eine Kommunikationskampagne zustarten, um in einer konzentrierten und leicht zugänglichen Form über diese wichtigenEntwicklungen zu informieren.

Zu diesem Zweck wurde ein Leitfaden entwickelt, in dem Sie mehr über den Bereich derjustiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen und über die möglichen Auswirkungen aufihre tägliche Tätigkeit erfahren können. Ich hoffe, der Leitfaden wird Ihnen von Nutzensein und Ihnen einen besseren Einblick in diesen komplexen und zunehmend wichtigenThemenbereich vermitteln.

Mit freundlichen Grüßen

António Vitorino

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 3

Page 4: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

I. EINLEITUNG 2

1. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen 32. Auf dem Weg zu einem echten europäischen Rechtsraum 33. Der “acquis communautaire” im Bereich des Zivilrechts 24

II. JUSTIZIELLE ZUSAMMENARBEIT IN ZIVIL- UND HANDELSSACHEN 6

1. Die Verordnung “Brüssel I” 72. Anwendbares Recht – Regelungen und Entwürfe 113. Die weitere Entwicklung der justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen 14

III. FAMILIENRECHT 17

1. Die verordnung “Brüssel II” 172. Die Verordnung zur Ersetzung der Verordnung “Brüssel II” 18

IV. DIE INSOLVENZVERORDNUNG 20

V. JURISTISCHE ZUSAMMENARBEIT IN DER PRAXIS 23

1. Verordnung über die Zustellung von Schriftstücken 232. Verordnung über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme 243. Das Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen 25

VI. ZUGANG ZUM RECHT 26

1. Die Richtlinie über Prozesskostenhilfe 262. Vorschlag für eine Richtlinie zur Entschädigung für Opfer von Straftaten 27

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 4

Page 5: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

Von der Mehrzahl der europäischen Juristen unbemerkt, findet auf dem Gebiet desRechts der Europäischen Union eine bedeutsame Entwicklung statt. Das internationalePrivatrecht wird zu einer eigenständigen europäischen Rechtsdisziplin, jenseits dernationalen Rechte der Mitgliedstaaten. Mit dem Amsterdamer Vertrag erhielt dieEuropäische Gemeinschaft die Gesetzgebungskompetenz auf diesem Gebiet. Seithersind auf dem Gebiet der „justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen“ bereits eineVielzahl europäischer Rechtsakte verabschiedet worden.

Es handelt sich um einen Rechtsbereich, der in die Praxis eines jeden europäischenPraktikers des Zivilrechts hineinreicht – sei er als Richter, Rechtsanwalt oder in einemsonstigen juristischen Beruf tätig. Der freie Waren-, Dienstleistungs- und Personen-verkehr innerhalb der EU hat zu einer gesteigerten Mobilität der europäischen Bürgerund ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten geführt. Jeder europäische Jurist sieht sich heutein zunehmendem Umfang mit grenzüberschreitenden Sachverhalten befasst. Beispielehierfür sind rechtliche Problemstellungen im Zusammenhang mit grenzüberschreitendenLieferbeziehungen sowie das Reiseverkehrsrecht, Verkehrsunfälle im Ausland oderetwa die an Grund- und Immobilienbesitz im europäischen Ausland anknüpfendenFragen. Auf dem Gebiet des Familienrechts sind gemischt-nationale Personenver-hältnisse und die sich aus ihnen ergebenden Fragestellungen des grenzüberschreitendenFamilien- und Kindschaftsrechts alltäglich geworden. Auch eine Vielzahl kleiner undmittelständischer Unternehmen – die KMU – sind heute grenzüberschreitend imeuropäischen Binnenmarkt tätig und laufend mit den damit verbundenen Problem-stellungen und europäischen Rechtsfragen konfrontiert. Kein Jurist in diesem durchseine offenen Grenzen und die Vielfalt der grenzüberschreitenden Rechtsverhältnissegeprägten Europa kann es sich leisten, an dieser Entwicklung vorbeizugehen.

I . EINLEITUNG

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 5

Page 6: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

“Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen”

Der Begriff der „justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen“ geht aufden Vertrag von Maastricht, den Vertrag zur Gründung der EuropäischenUnion – EUV, zurück. Dieser hatte in Artikel K.1 des Titels VI „Bestim-mungen über die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres" diejustizielle Zusammenarbeit in Zivilfragen zu einem Thema von gemeinsa-mem Interesse für die Mitgliedstaaten erklärt. Mit dem Vertrag vonAmsterdam erstarkte die bis dahin ausschließlich auf die Mitgliedstaatenausgerichtete Politik der Zusammenarbeit sodann zu einer eigenständi-gen Rechtsetzungskompetenz der Europäischen Gemeinschaft: Artikel61 Buchstabe (c) EG-Vertrag erkennt die Gesetzgebungskompetenz derGemeinschaft für dieses Gebiet an, welches in Artikel 65 EG-Vertrag wiefolgt umrissen wird:

■a Verbesserung und Vereinfachung:- des Systems für die grenzüberschreitende Zustellung gerichtlicher

und außergerichtlicher Schriftstücke;- der Zusammenarbeit bei der Erhebung von Beweismitteln;- der Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher und auß-

ergerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen;

■b Förderung der Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten gelten-den Kollisionsnormen und Vorschriften zur Vermeidung vonKompetenzkonflikten;

■c Beseitigung der Hindernisse für eine reibungslose Abwicklungvon Zivilverfahren, erforderlichenfalls durch Förderung der Verein-barkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden zivilrechtlichenVerfahrensvorschriften.

Es blieb dabei bei dem an die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten (aufRegierungsebene) erinnernden Begriff der „justiziellen Zusammenarbeit in

1 Zivilsachen“ für eine Materie, die sich seither zu einem eigenständigeneuropäischen Rechtsgebiet mit eigenen Konzepten und Rechtsprinzipienentwickelt hat. Titel IV EG-Vertrag, der die Artikel 61 und 65 umfasst, giltfür alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Dänemark.

Auf dem Weg zu einem echten europäischenRechtsraum

Die Regeln über die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen bauen aufdem Grundsatz der Gleichberechtigung der Gerichtssysteme der ein-zelnen Mitgliedstaaten und der von ihnen getroffenen Entscheidungenauf. In ihrem Mittelpunkt steht weiterhin die grenzüberschreitende Zu-sammenarbeit zwischen einzelnen Gerichten und Gerichtsbehörden.Wie wichtig hier gemeinschaftsweit einheitliche Regeln sind, zeigt eineeinfache Überlegung: Wenn jeder Mitgliedstaat für sich bestimmenwürde, nach welchem Recht ein grenzüberschreitendes Rechtsverhältnisentschieden wird und welche Entscheidungen der Gerichte welcheranderen Mitgliedstaaten anerkannt werden, so gäbe es weder hinsichtli-ch der Zuständigkeit noch bezüglich des anwendbaren RechtsRechtssicherheit für Einzelpersonen und Unternehmen.

Für den Erfolg des europäischen Binnenmarkts ist europaweiteRechtssicherheit jedoch eine unerlässliche Voraussetzung. Auf demEuropäischen Rat von Tampere am 15. und 16. Oktober 1999 formu-lierte der Rat die Zielvorgabe der Schaffung eines „echten europäischenRechtsraums“. Dieser baut auf dem Grundsatz auf, dass Einzelpersonenund Unternehmen nicht durch die Unvereinbarkeit oder die Komplexitätder Rechtsordnungen und der Verwaltungssysteme in den Mitglied-staaten daran gehindert oder davon abgehalten werden sollten, von ihrenRechten Gebrauch zu machen. Erforderlich war die gemeinschaftsweiteVerbesserung des Zugangs zum Recht für sämtliche Bürger. Der Rat von

2

3

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6

Page 7: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die gegenseitige Anerken-nung gerichtlicher Entscheidungen, besserer Zugang zum Recht inEuropa und eine größere Konvergenz im Bereich des Zivilrechts.

Unter diesen Prioritäten bezeichnet der Grundsatz der gegenseitigenAnerkennung gerichtlicher Entscheidungen den Eckstein der justiziellenZusammenarbeit in Zivilsachen. Der Rat für Justiz und Inneres verab-schiedete am 30. November 2000 ein Maßnahmenprogramm zurUmsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtli-cher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Als endgültigeZielsetzung ist die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicherEntscheidungen in allen anderen Mitgliedstaaten ohne weitereZwischenschritte - mit anderen Worten die Abschaffung des Exequaturs- angestrebt.

Es steht zu erwarten, dass innerhalb dieses echten europäischenRechtsraums die weitere Entwicklung der justiziellen Zusammenarbeit inZivilsachen die Freizügigkeit der Bürger sowie die grenzüberschrei-tende Entwicklung von wirtschaftlichen Tätigkeiten fördern wird.

Der „acquis communautaire” im Bereichdes Zivilrechts

Im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, ist der sogenannte “acquis communautaire” (gemeinschaftlicher Besitzstand, d.h.die Gesamtheit aller geschriebenen und ungeschriebenenRechtssätze, Verordnungen, einschließlich EG-Vertrag sowie Primär- undSekundärrecht) bereits weit entwickelt und betrifft sämtliche in Artikel 65EG-Vertrag beschriebenen Rechtsbereiche. Hierzu zählen die gericht-liche Zuständigkeit, die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckungvon gerichtlichen Entscheidungen, die Kooperation zwischen den

3

Mitgliedsstaaten und der Zugang zum Recht. Es wurden bereits ver-schiedene Verordnungen erlassen, die in sämtlichen Mitgliedstaaten mitAusnahme von Dänemark zur Anwendung gelangen. Zahlreiche weitereRegelungsinstrumente befinden sich im Stadium der Diskussion oder derPlanung:

Gerichtliche Zuständigkeit, gegenseitige Anerkennungund Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen:

- Verordnung „Brüssel I“ über die gerichtliche Zuständigkeit und dieAnerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- undHandelssachen;

- Verordnung „Brüssel II“ über die gerichtliche Zuständigkeit und dieAnerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachenund eine neue Verordnung des Rates, die dieselbe Thematik betrifftund die Verordnung „Brüssel II“ ersetzen wird (Verordnung Brüssel IIa);

- Insolvenzverordnung

Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten (diese Texte verfolgenden Zweck, die juristische Zusammenarbeit in der Praxis zu verbessern):

- Verordnung über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicherSchriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten;

- Verordnung über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichtender Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil-oder Handelssachen;

- Entscheidung des Rates über die Einrichtung eines Euro-päischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen.

Auf dem Gebiet des Zugangs zum Recht:- Richtlinie über die Prozesskostenhilfe bei Streitsachen mit grenzü-

berschreitendem Bezug.

Derzeit liegen folgende Entwürfe zur Entscheidung vor: 4

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 7

Page 8: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

5

- Entschädigung für Opfer von Straftaten (Grünbuch und Vorschlageiner Richtlinie);

- alternative Streitbeilegung (Grünbuch); - Vorschlag für eine Verordnung zur Einführung eines europäischen

Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, mit demZiel, die in einem Mitgliedstaat getroffenen gerichtlichenEntscheidungen ohne weitere Zwischenmaßnahmen auch inanderen Mitgliedstaaten der europäischen Gemeinschaft zuvollstrecken;

- Europäisches Mahnverfahren und Maßnahmen zur einfacherenund schnelleren Beilegung von Streitigkeiten mit geringemStreitwert (Grünbuch);

- das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht(Grünbuch);

- Vorschlag für eine Verordnung über das auf außervertraglicheSchuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“).

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 8

Page 9: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

6

I I . JUSTIZIELLE ZUSAMMENARBEITIN ZIVIL- UND HANDELSSACHEN

Die Regeln für Zuständigkeitskonflikte und die Kollisionsnormen imBereich der Zivil- und Handelssachen stellen das Kernstück der justi-ziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen dar. Auf dem Gebiet desinternationalen Zivilverfahrensrechts behindern unterschiedliche nationaleRechtsvorschriften zur gerichtlichen Zuständigkeit und zur Anerkennungvon gerichtlichen Entscheidungen das reibungslose Funktionieren desBinnenmarkts. Die Vereinheitlichung der Vorschriften zur gerichtlichenZuständigkeit in Zivil- und Handelssachen und die Vereinfachung dererforderlichen Formalitäten sind für die rasche und einfache Anerkennungund Vollstreckung der gerichtlichen Entscheidungen anderer Mitglied-staaten unerlässlich. Diese Vorschriften bedürfen der Ergänzung durchentsprechende Kollisionsregeln zur Bestimmung des anwendbaren Rechts.

Gesellschaft A aus Mitgliedstaat 1 hat bei Gesellschaft B, einerFachmesseveranstalterin mit Sitz in Mitgliedstaat 2, 500m2

Ausstellungsfläche und entsprechende Dienstleistungen aufeiner dreitägigen Fachmesse in Mitgliedstaat 2 gebucht, an dersie als Aussteller teilnehmen möchte. Fünf Tage vorMessebeginn teilt der Hauptkunde von Gesellschaft A mit, dasser an der Messe nicht teilnehmen kann. Gesellschaft A erklärtdeshalb die Stornierung ihrer Buchung. Infolge der kurzfristigenMitteilung gelingt es Gesellschaft B nicht mehr, die 500 m2

Ausstellungsfläche an einen anderen Aussteller zu vermieten.Als Gesellschaft A aufgefordert wird, die offene Rechnung zubegleichen, verweigert sie die Zahlung. Gesellschaft B möchtegegen Gesellschaft A Klage erheben und fragt nach der ge-eigneten Vorgehensweise.

Das Europäische Zivilverfahrensrecht, das inzwischen auf derVerordnung Nr. 44/2001 „Brüssel I“ beruht, brachte eine

größere Klarheit für Situationen wie die vorliegende. Es siehteinheitliche Vorschriften zur Regelung der gerichtlichen Zuständig-keit für alle Mitgliedstaaten vor, in denen die VerordnungAnwendung findet. Jedes in einem Mitgliedstaat erlasseneGerichtsurteil wird in allen anderen betroffenen Mitgliedstaatengleichermaßen anerkannt und vollstreckt. Darüber hinausgewährleisten in allen Mitgliedstaaten gleiche Kollisionsregeln zurBestimmung des anwendbaren Rechts, dass die Gerichte imgesamten Gebiet der EU ihre Entscheidungen nach den gleichenSachrechtsvorschriften treffen.

Nach der Verordnung „Brüssel I“ kann Gesellschaft B zwischenzwei Vorgehensweisen wählen: Einerseits kann sie vor dem amGeschäftssitz von Gesellschaft A in Mitgliedstaat 1 zuständi-gen Gericht Klage erheben. Gemäß der Generalklausel desArtikels 2 sind die Gerichte am Sitz des Beklagten zuständig.Andrerseits könnte Gesellschaft B gemäß Artikel 5 Nummer 1Buchstabe b) Verordnung „Brüssel I“ auch vor dem Gericht inihrem eigenen Mitgliedstaat 2 klagen, das für den Ort zustän-dig ist, an dem die vertraglich geschuldete Leistung zuerbringen war. Ein von diesem Gericht in Mitgliedstaat 2 aus-gesprochenes Urteil würde anerkannt und könnte in einemeinfachen Verfahren in jedem Mitgliedstaat vollstreckt werden,in welchem Gesellschaft A über Vermögenswerte verfügt.Gesellschaft B muss nicht befürchten, dass die jeweils zustän-digen Gerichte ihre Entscheidung nach unterschiedlichenRegeln treffen könnten. Das Römische Übereinkommen ausdem Jahre 1980, das für alle EU Mitgliedstaaten gilt, gibteinheitliche Regeln zur Bestimmung des anwendbaren Rechtsvor (siehe dazu unten Punkt 2 in Kapitel II, Römisches Über-einkommen).

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 9

Page 10: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

7

Die Verordnung „Brüssel I“

Die Verordnung Nr. 44/2001 vom 22. Dezember 2000 über diegerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckungvon Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen die Verordnung„Brüssel I“, trat am 1. März 2002 in Kraft. Sie ersetzte das BrüsselerÜbereinkommen von 1968, das jedoch weiterhin im Verhältnis zuDänemark und zu einigen überseeischen Gebieten einzelnerMitgliedstaaten Anwendung findet, und das in Inhalt und Systematikweitgehend der Verordnung entspricht. Im Verhältnis zu Island,Norwegen, Polen und der Schweiz gelangt das Übereinkommen vonLugano zur Anwendung, das inhaltlich weitgehend mit dem BrüsselerÜbereinkommen übereinstimmt.

Die Verordnung kommt in Zivil- und Handelssachen zur Anwendung.Ausgeschlossen sind Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungs-rechtliche Angelegenheiten. Ferner ist die Verordnung nicht anwendbarauf verschiedene zivilrechtliche Bereiche wie den Personenstand, dieRechts- und Geschäftsfähigkeit sowie die gesetzlichen Vertretung vonnatürlichen Personen, die ehelichen Güterstände, das Erbrecht ein-schließlich des Testamentrechts oder Konkurse.

1.1 Das Zuständigkeitssystem der Verordnung „Brüssel I“

Die Verordnung „Brüssel I“ gibt ein in sich geschlossenes Systemzur Regelung der Zuständigkeit in grenzüberschreitenden Rechts-streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten vor. Das innerhalb desMitgliedstaats, dem nach der Verordnung die Gerichtsbarkeitzusteht, für die Entscheidung zuständige Gericht wird sodann aufder Grundlage des nationalen Zivilprozessrechts dieses Mitglied-staates ermittelt.

1 Gesellschaft A aus Mitgliedstaat 1 hat eine Maschine anGesellschaft B aus Mitgliedstaat 2 verkauft. Gesellschaft Bhatte ein Kaufangebot vorgelegt, in dem unter anderem auf-geführt wurde, dass der Kauf den auf der Rückseite desAngebots abgedruckten allgemeinen Geschäftsbedingungenunterliegt. Diese Bedingungen enthielten eine Gerichtsstands-klausel, die die Zuständigkeit von Gericht C in Mitgliedstaat 2bestimmt. Gesellschaft A nahm das Angebot in einem Bestäti-gungsschreiben an. Nach der Lieferung rügte Gesellschaft Bdie Fehlerhaftigkeit der Maschine und erhob vor dem Gericht CKlage auf Schadensersatz gegen Gesellschaft A. Im Verfahrenrügt Gesellschaft A die fehlende Zuständigkeit von Gericht C.Sie weist darauf hin, dass nach dem Recht von Mitgliedstaat 1eine in allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Gerichts-klausel nur dann Gültigkeit beanspruchen kann, wenn derVertragspartner sie ausdrücklich unterschriftlich bestätigt hat.

Nach Artikel 23 Absatz 1 Verordnung „Brüssel I“ könnenVertragsparteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz imHoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vereinbaren, dass ein Gerichtoder die Gerichte eines Mitgliedstaats über eine bereits entstandeneRechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmtenRechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen.Vorbehaltlich einer anderweitigen Vereinbarung der Parteien sinddieses Gericht oder die Gerichte dieses Mitgliedstaats ausschließlichzuständig. Im Geltungsbereich der Verordnung „Brüssel I“ bestimmensich die Formerfordernisse für die rechtsgültige Vereinbarung einerGerichtsstandsklausel ausschließlich nach den Regeln der Verordnungselbst, die ein eigenständiges Regelungssystem enthält. DieseRegelungen haben Vorrang gegenüber den entsprechenden Regelndes nationalen Zivilprozessrechts der Mitgliedstaaten (siehe unten).

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 10

Page 11: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

Die Grundregel: Zuständigkeit des Gerichts am Wohnsitzdes Beklagten

Nach der Grundregel in Artikel 2 der Verordnung „Brüssel I“ sind gegen-über einem Beklagten mit Wohnsitz in der EU grundsätzlich die Gerichtedesjenigen Mitgliedstaats zuständig, in dem der Beklagte seinen Wohnsitzhat, und zwar unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit. DieBestimmung des Wohnsitzes erfolgt nach dem Recht des Mitgliedstaats,in dem sich das angerufene Gericht befindet. Bei juristischen Personenoder Unternehmen wird der Wohnsitz anhand des satzungsmäßigenSitzes, der Hauptverwaltung oder der Hauptniederlassung bestimmt. Hatder Beklagte keinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, so bestimmt sichvorbehaltlich des Vorliegens einer ausschließlichen Zuständigkeit oder einerGerichtsstandsvereinbarung gemäß Artikel 4 die Zuständigkeit der Gerichteeines jeden Mitgliedstaats nach dessen eigenen Zivilprozessrecht.

Alternative und besondere Zuständigkeitsvorschriften

Daneben sieht die Verordnung in Artikel 5 bis 7 verschiedene alternative,besondere Zuständigkeitsvorschriften zu der oben genanntenGrundregel für die Zuständigkeit vor. Der Kläger kann wählen, ob er eineKlage vor dem Gericht am Wohnsitz des Beklagten anstrengen möchteoder ob er sie vor ein Gericht in einem anderen Mitgliedstaat bringenmöchte, bei dem eine besondere Zuständigkeit besteht. Der in derPraxis wichtigste besondere Gerichtsstand ist in Artikel 5 Nummer 1geregelt. Er betrifft vertragliche Verpflichtungen mit Ausnahme vonArbeitsverträgen. Danach besteht eine internationale Zuständigkeit derGerichte an dem Ort, an dem die vertragliche Verpflichtung erfülltworden ist oder zu erfüllen wäre. Bei den zwei in der grenzüberschrei-tenden europäischen Praxis vorherrschenden Vertragstypen wird derErfüllungsort für sämtliche vertraglichen Verpflichtungen einheitlich

bestimmt: Beim Verkauf beweglicher Sachen ist mangels anderweitigerVereinbarung Erfüllungsort derjenige Ort in einem Mitgliedstaat, an demdiese nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert wer-den müssen; für die Erbringung von Dienstleistungen wird auf den Ortabgestellt, an dem diese nach dem Vertrag erbracht worden sind oderhätten erbracht werden müssen.

Artikel 5 sieht weiter besondere Gerichtsstände für einzelne beson-dere Gegenstände vor, wie etwa für Unterhaltssachen oder eineKlage auf Schadensersatz oder auf Wiederherstellung des früherenZustands oder für Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Zweignieder-lassung, einer Agentur oder einer sonstigen Niederlassung. DerGerichtsstand des Artikels 5 Nummer 3 für Streitigkeiten aus einerunerlaubten Handlung hat in der Praxis zunehmende Bedeutungerlangt. Klagen aus einer unerlaubten Handlung oder eine Handlung,die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, können vor demGericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten istoder einzutreten droht, erhoben werden. Der EuGH hat entschieden,dass dies entweder der Ort ist, an dem der Schadenserfolg ein-getreten ist, oder aber der Ort, an dem das schädigende Ereignisstattgefunden hat.

Gerichtsstandsvereinbarung und Einlassung des Beklagten

Artikel 23 regelt die Gerichtsstandsvereinbarungen. Es handelt sich umeine der wichtigsten und am häufigsten angewandten Regelungen derVerordnung „Brüssel I“. Gerichtsstandsvereinbarungen sind allgemeinzulässig. Grenzen bestehen jedoch zugunsten der durch die besonderenRegeln für Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen begünstigtenParteien. Auch können die ausschließlichen Gerichtsstände des Artikels22 nicht durch eine Gerichtsstandsvereinbarung unterlaufen werden.

8

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 11

Page 12: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

9

Im vorangehend dargelegten Fall streiten zwei Gesellschaften ausunterschiedlichen Mitgliedstaaten über die Rechtswirksamkeit einerin den allgemeinen Geschäftsbedingungen von Gesellschaft Benthaltenen Gerichtsstandsklausel. Die Lösung des Falls kannArtikel 23 der Verordnung „Brüssel I“ entnommen werden.

Artikel 23 der Verordnung „Brüssel I“ gibt eine differenzierte Regelungim Hinblick auf die Formerfordernisse vor. Als Grundregel gilt, dass dieParteien eine Gerichtstandsklausel schriftlich abschließen müssen,wobei es jedoch nicht erforderlich ist, dass von ihnen ein und dassel-be schriftliche Dokument unterzeichnet wird. Dem Erfordernis derSchriftlichkeit wird auch genügt, wenn jede der Vertragsparteien ihreWillenserklärung schriftlich abgibt oder wenn eine zunächst mündlichgetroffene Vereinbarung schriftlich bestätigt wird. Das Gleiche gilt,wenn eine Form eingehalten wird, welche den zwischen den Parteienentstandenen Gepflogenheiten oder im internationalen Handels-verkehr einem Handelsbrauch entspricht, den Parteien von Verträgendieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig allgemein kennen undregelmäßig beachten und der den Parteien bekannt ist oder bekanntsein musste.

In dem oben geschilderten Beispiel legte Gesellschaft B ein schrift-liches Kaufangebot vor, welches Gesellschaft A schriftlich bestätigte.In diesem Kaufangebot nahm Gesellschaft B ausdrücklich auf ihre all-gemeinen Geschäftsbedingungen Bezug, die sie Gesellschaft A ineiner zwischen den Parteien gebräuchlichen Sprache zugänglichmachte. Die Gerichtsstandsklausel in den allgemeinen Geschäfts-bedingungen von Gesellschaft B entspricht somit den Anforderungenvon Artikel 23 Nummer 1 Verordnung „Brüssel I“. Im Ergebnis istGericht C damit für die Entscheidung ausschließlich zuständig.

Sofern sich die Zuständigkeit nicht bereits aus anderen Vorschriften derVerordnung „Brüssel I“ ergibt, wird ein Gericht eines Mitgliedstaates gemäßArtikel 24 zuständig, wenn sich der Beklagte vor ihm auf das Verfahreneinlässt. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Beklagte sich nur einlässt, umden Mangel der Zuständigkeit geltend zu machen oder wenn aufgrundvon Artikel 22 ein anderes Gericht ausschließlich zuständig ist. DieseRegel besitzt in der Praxis große Bedeutung, da sie den Beklagten dazuzwingt, sich vor einer Einlassung zur Sache Klarheit über die Zuständig-keit des Gerichts zu verschaffen. Durch eine rügelose Einlassung wirddie Zuständigkeit dieses Gerichts endgültig begründet und kann nichtmehr rückgängig gemacht werden.

Besondere Regelungen für Versicherungs-, Verbraucher- undIndividualarbeitsverträge

Für Versicherungs-, Verbraucher- und Individualarbeitsverträge geltenbesondere Regeln. Für diese Verträge gilt, dass sie durch die besondereSchutzbedürftigkeit einer jeweiligen schwächeren Vertragspartei gekenn-zeichnet sind. Die Verordnung „Brüssel I“ sieht besondere Regelungenvor, welche der als schwächer und schutzbedürftig angesehenenVertragspartei, nämlich dem Versicherungsnehmer, dem Verbraucher unddem Arbeitnehmer, einen für sie günstigen Gerichtsstand bereitstellen.

Frau A, wohnhaft in Mitgliedstaat 1, hat ein Buch bei einemInternet-Buchhändler gekauft und im Voraus den Kaufpreis von€ 26,80 bezahlt. Das Buch hat sie nicht erhalten. Frau A stelltfest, dass der Internet-Buchhändler ein Unternehmen mit Sitz inMitgliedstaat 2 ist. Sie möchte Klage erheben und fragt nachdem hierfür zuständigen Gericht. Der Internet-Buchhändler

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 12

Page 13: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

macht geltend, dass nach seinen allgemeinen Geschäfts-bedingungen ein Gericht in Mitgliedstaat 2 zuständig ist.

Gemäß Artikel 16 Nummer 1 Verordnung „Brüssel I“ kann einVerbraucher gegen seinen Vertragspartner Klage entweder vor demGericht des Mitgliedstaats erheben, in dessen Hoheitsgebiet derVertragspartner seinen Sitz hat, oder vor dem Gericht des Ortes, andem der Verbraucher seinen Wohnsitz hat. Artikel 15 Nummer 1Buchstabe c) sieht diese Wahlmöglichkeit für den Verbraucher fürden Fall vor, dass der andere Vertragspartner in dem Mitgliedstaat,in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eineberufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche aufirgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrereStaaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichtet und derVertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt. Da gemäß Artikel 17von dieser Regelung nicht vor Entstehung der Streitigkeit abge-wichen werden kann, kann Frau A den Internet-Buchhändler vordem an ihrem Wohnsitz zuständigen Gericht verklagen.

Ausschließliche gerichtliche Zuständigkeit

Artikel 22 der Verordnung „Brüssel I“ zählt verschiedene ausschließlicheGerichtsstände auf. Diese zeichnen sich jeweils durch eine besondereNähe des betroffenen Rechtsverhältnisses zu den Gerichten diesesMitgliedstaats oder dadurch aus, dass ein besonderes Bedürfnis nachRechtssicherheit besteht. Hierunter fallen unter anderem Klagen, welchedingliche Rechte an unbeweglichen Sachen bzw. die Miete oder Pachtvon unbeweglichen Sachen betreffen oder solche, die die Eintragung oderdie Gültigkeit von Patenten oder anderen gewerblichen Schutzrechtenzum Gegenstand haben. In sämtlichen Fällen des Artikels 22 ist die

Klageerhebung vor einem anderen Gericht wie z.B. am Wohnsitz desBeklagten oder an einem vereinbarten Gerichtsstand ausgeschlossen.

Einstweilige Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eineSicherung gerichtet sind

Artikel 31 der Verordnung „Brüssel I“ sieht vor, dass einstweilige Maßnahmenvor dem Gericht eines Mitgliedstaats beantragt werden können, wennsolche Maßnahmen im Recht des Mitgliedstaats vorgesehen sind. Dies giltauch in dem Fall, dass aufgrund der Verordnung für die Entscheidung in derHauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats zuständig ist.

1.2 Europäische Rechtshängigkeit (lis pendens)

Die europäische Regel des lis pendens verhindert, dass Gerichte ver-schiedener Mitgliedstaaten über den gleichen Klagegegenstand zuwidersprüchlichen Entscheidungen gelangen. Werden bei Gerichten ver-schiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchszwischen denselben Parteien anhängig gemacht, so setzt das späterangerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen so lange aus, bis dieZuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Sobald dieZuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, erklärt sich dasspäter angerufene Gericht zugunsten dieses Gerichts für unzuständig.Dieser Regelung kommt in grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeitenerhebliche Bedeutung zu.

1.3 Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicherEntscheidungen anderer Mitgliedstaaten

Die Verordnung „Brüssel I“ hat die für die Anerkennung und rascheVollstreckung der Entscheidungen eines Gerichts eines Mitgliedstaats in

10

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 13

Page 14: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

11

einem anderen Mitgliedstaat notwendigen Formalitäten durch Einführungeines unkomplizierten und einheitlichen Verfahrens vereinfacht.

Anerkennung

Gemäß Artikel 33 werden die in einem Mitgliedstaat ergangenenEntscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass eshierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Die Anerkennung kann nur inwenigen Ausnahmefällen versagt werden. Der in der Praxis wichtigste Fallist in Artikel 34 Nummer 2 geregelt. Es handelt sich um den Fall, dassdem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das ver-fahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nichtso rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich ver-teidigen konnte. Eine Entscheidung wird ferner gemäß Artikel 35 Absatz1 dann nicht anerkannt, wenn die Vorschriften der Verordnung zur aus-schließlichen Zuständigkeit oder die besonderen Regelungen fürVersicherungs-, Verbraucher- und Individualarbeitsverträge verletzt wor-den sind. In allen anderen Fällen untersagt Artikel 35 Absatz 3ausdrücklich jede Nachprüfung der Zuständigkeit des Gerichts desUrsprungsmitgliedstaats. Artikel 36 bestimmt, dass die ausländischeEntscheidung keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden darf

Vollstreckbarkeit

Vollstreckbare Entscheidungen eines Mitgliedstaats können in jedemanderen Mitgliedstaat für vollstreckbar erklärt und im Wege derZwangsvollstreckung durchgesetzt werden. Die Partei, die dasGerichtsurteil in einem anderen Mitgliedstaat vollstrecken möchte, bean-tragt bei dem Entscheidungsgericht eine Vollstreckbarerklärung(Standardfomular, Anhang V). Das von dem jeweiligen Mitgliedstaatbezeichnete Gericht oder die zuständige Behörde überprüft die der

Antragstellung beiliegenden Unterlagen lediglich in formaler Hinsicht. DieParteien können bei einem der im Anhang zur Verordnung genanntenGerichte Rechtsbehelfe einlegen, jedoch ausschließlich hinsichtlich derVollstreckung der Entscheidung. Auch sind die Fälle, in denen ein Gerichtdie Vollstreckbarerklärung versagen oder aufheben kann, eindeutig fest-gelegt (etwa bei Entscheidungen, die offensichtlich gegen den ordrepublic des Vollstreckungsstaats verstoßen).

Die Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung kann von den Parteienmit dem in den Artikeln 43 bis 46 geregelten Rechtsbehelf angefochtenwerden. Ist eine Entscheidung nach dieser Verordnung anzuerkennen, soist der Antragsteller nicht daran gehindert, einstweilige Maßnahmen ein-schließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, nach dem Rechtdes Vollstreckungsmitgliedstaats in Anspruch zu nehmen, ohne dass eseiner Vollstreckbarerklärung bedarf. Die Vollstreckbarerklärung gibt jedo-ch die Befugnis, solche Maßnahmen zu veranlassen.

Anwendbares Recht – Regelungen und Entwürfe

Die von der Harmonisierung des materiellen Rechts zu unterscheidendeHarmonisierung des Kollisionsrechts soll das auf ein Schuldverhältnisanwendbare Recht vereinheitlichen.

2.1 Das Römische Übereinkommen von 1980 und das Projektfür eine Verordnung „Rom I“

Das Römische Übereinkommen

Das Römische Übereinkommen über das auf vertragliche Schuld-verhältnisse anzuwendende Recht, das im April 1991 in Kraft trat, giltheute für sämtliche Mitgliedstaaten. In Einzelfragen gibt es jedoch infolge

2

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 14

Page 15: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

der unterschiedlichen Form der Inkraftsetzung sowie wegen der Erklärungvon Vorbehalten inhaltliche Geltungsunterschiede.

Das Übereinkommen findet Anwendung auf vertragliche Schuldverhältnissebei Sachverhalten, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staatenaufweisen – auch wenn es sich um das Recht eines Nichtvertragsstaatshandelt. Verschiedene Bereiche, wie beispielsweise die vertraglichenSchuldverhältnisse auf dem Gebiet des Erbrechts und der ehelichenGüterstände, sind jedoch aus dem Geltungsbereich des Übereinkom-mens ausgenommen. In ihrem Anwendungsbereich sind deshalb dieRegeln des Römischen Übereinkommens die einzigen Regeln des inter-nationalen Privatrechts, die in den Mitgliedstaaten anzuwenden sind.

Die Vertragsparteien können für ihren ganzen Vertrag oder nur für einenTeil desselben eine Rechtswahl treffen. Haben die Vertragsparteien dasanzuwendende Recht nicht ausdrücklich vereinbart, unterliegt der Vertragdem Recht des Staates, mit dem er die engsten Verbindungen aufweist.Dies ist in der Regel der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts der Partei, diedie charakteristische Leistung zu erbringen hat, oder im Falle einerGesellschaft, eines Verein oder einer juristischen Person, der Ort derHauptverwaltung. Beispielsweise erbringt in einem Kaufvertrag derVerkäufer die vertragscharakteristische Leistung. Betrifft der Vertrag eindingliches Recht an einem Grundstück oder ein Recht zur Nutzung einesGrundstücks, so wird vermutet, dass der Vertrag die engstenVerbindungen zu dem Staat aufweist, in dem das Grundstück belegen ist.Bei Güterbeförderungsverträgen wird das anwendbare Recht in Zusam-menhang mit dem Verladeort, Entladeort oder der Hauptniederlassungdes Absenders ermittelt.

Für alle Arten von Verträgen gilt jedoch, dass dann, wenn sich aus derGesamtheit der Umstände ergibt, dass der Vertrag engere Verbindungen

mit einem anderen Staat aufweist, das Recht dieses Staates auf denVertrag Anwendung findet.

Besondere Regelungen zum Schutz der schwächeren Vertragspartei sindfür Verbraucherverträge sowie für individuelle Arbeitsverträge vorgesehen.Auf Verbraucherverträge findet das Recht des Staates Anwendung, in demder Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern dieVoraussetzungen des Artikels 5 Absatz 2 vorliegen und die Parteien keineabweichende Rechtswahl nach Artikel 3 getroffen haben. Auf Arbeits-verträge findet mangels einer Rechtswahl das Recht des StaatesAnwendung, in dem der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrages gewöhnli-ch seine Arbeit verrichtet. Sofern der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlichnicht in ein und demselben Staat verrichtet, findet das Recht des StaatesAnwendung, in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmereingestellt hat. Wenn sich jedoch aus der Gesamtheit der Umstände ergibt,dass der Arbeitsvertrag engere Verbindungen zu einem anderen Staat auf-weist, ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden (Artikel 6 Absatz2). Bei einem Verbrauchervertrag darf dem Verbraucher als allgemein gel-tende Regel durch eine Rechtswahl keinesfalls ein Nachteil entstehen oderder Schutz der zwingenden Bestimmungen des Rechts entzogen werden,welches für den Ort seines gewöhnlichen Aufenthalts gilt, soweit dieses fürihn vorteilhafter ist. Bei Arbeitsverträgen darf dem Arbeitnehmer der Schutzder zwingenden arbeitsrechtlichen Regelungen an dem Ort, an dem ergewöhnlich seine Arbeit verrichtet, nicht entzogen werden.

In dem Fall, in dem Gesellschaft A die Buchung einer großenAusstellungsfläche auf einer Fachmesse verspätet gekündigthatte (siehe dazu oben S. 6), möchte sich Gesellschaft B ver-gewissern, dass ihr Vertrag mit Aussteller A den Regeln ihreseigenen Rechts unterliegt, d.h. dem Recht von Mitgliedstaat 2.

12

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 15

Page 16: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

13

Fachmesseveranstalter vereinbaren regelmäßig in ihren allgemei-nen Geschäftsbedingungen, dass Verträge mit Ausstellern demRecht des Staats unterliegen, in dem der Sitz des Veranstaltersliegt. In Artikel 3 Absatz 1 stellt das Römische Übereinkommenden Grundsatz der freien Rechtswahl durch die Vertragsparteien auf.Falls Gesellschaft B eine Rechtswahlklausel in den Vertrag ein-geführt hat, findet das gewählte Recht auf den Vertrag Anwendung.Andernfalls ist das anwendbare Recht nach den Bestimmungendes Staats zu ermitteln, zu dem der Vertrag die engste Verbindungaufweist. Vertragscharakteristische Leistung waren hier die Über-lassung von Ausstellungsfläche und die damit zusammen-hängenden Dienstleistungen auf Fachmessen, die von GesellschaftB zur Verfügung zu stellen waren. Die Zahlungsverpflichtung vonGesellschaft A ist dagegen eine Verpflichtung allgemeiner Natur.Somit findet das Recht von Mitgliedstaat 2 Anwendung, da hierGesellschaft B ansässig ist.

Die Überlegungen zur Ablösung des Römischen Übereinkommensdurch eine Verordnung „Rom I“

Die Europäische Kommission hat unter dem Arbeitstitel Verordnung„Rom I“ am 14. Januar 2003 ein Grünbuch über das auf vertraglicheSchuldverhältnisse anzuwendende Recht vorgelegt. Die Ablösung desÜbereinkommens durch eine europäische Verordnung würde dieBeschränkungen überwinden, welche derzeit noch aus der Rechtsformdes Römischen Übereinkommens als einem völkerrechtlichen Vertrag fol-gen. Auch würde – wie allgemein für das Recht der justiziellenZusammenarbeit in Zivilsachen – die Auslegungskompetenz des EuGHfestgelegt, die dem EuGH für das Römische Übereinkommen noch nichtzukommt. In Einzelfragen wird auch eine inhaltliche Aktualisierung

einzelner Vorschriften des Römischen Übereinkommens diskutiert, wieinsbesondere die Anpassung von Artikel 5 für Verbraucherverträgehinsichtlich elektronischer Geschäftsabschlüsse.

2..2 Der Vorschlag für eine Verordnung „Rom II“

Obwohl die Verordnung „Brüssel I“ sowohl auf vertragliche als auch außer-vertragliche Schuldverhältnisse Anwendung findet, wurden bis heute nurdie Regeln für die Bestimmung des auf vertragliche Schuldverhältnisseanwendbaren Rechts in der Europäischen Gemeinschaft vereinheitlicht.Die Europäische Kommission hat daher am 22. Juli 2003 einen Vorschlagfür eine europäische Verordnung “Rom II” über das auf außervertra-gliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vorgelegt.

Verschiedene Rechtsbereiche bleiben jedoch vom Anwendungsbereich dervorgeschlagenen Verordnung ausgenommen, darunter insbesondere dieaußervertraglichen Schuldverhältnisse in Familiensachen und ähnlichenBeziehungen, eheliche Güterstände und Erbschaftsangelegenheiten. DerVerordnungsvorschlag sieht Kollisionsregeln für zwei große Gruppen vonaußervertraglichen Schuldverhältnissen vor: Schuldverhältnisse aus unerlaub-ter Handlung und Schuldverhältnisse aus anderer als unerlaubter Handlung.

Die deliktischen außervertraglichen Schuldverhältnisse aus unerlaubterHandlung werden allgemein dem Recht des Staates unterstellt, inwelchem der Schaden eingetreten ist oder einzutreten droht. DieBestätigung dieser „lex loci delicti commissi“-Regel soll fürRechtssicherheit und ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen derPerson, deren Haftung geltend gemacht wird, und dem Geschädigtensorgen. Haben beide Parteien zum Zeitpunkt des Schadenseintritts ihrengewöhnlichen Aufenthalt in demselben Mitgliedstaat, so ist jedochauf das Recht dieses Staates abzustellen. Der Entwurf der Verordnung

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 16

Page 17: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

sieht eine allgemeine Ausnahmeregel vor, die für eine gewisse Flexibilitätsorgen soll. Danach kann das Gericht ausnahmsweise das Recht des imMittelpunkt des schädigenden Ereignisses stehenden Staates anwenden,wenn eine offensichtlich „engere Verbindung“ zu diesem Staat besteht.Für einzelne Rechtsgebiete wie etwa Produkthaftung, unlauterer Wettbewerboder geistiges Eigentum sind besondere Anknüpfungen vorgesehen.Für die nicht auf unerlaubter Handlung beruhenden außervertraglichenSchuldverhältnisse – wie ungerechtfertigte Bereicherung und Geschäfts-führung ohne Auftrag – sieht die Verordnung Anknüpfungsregeln vor, diesicherstellen sollen, dass das Schuldverhältnis dem Recht des Staatsunterstellt wird, zu dem es die engste Verbindung aufweist. Dabei bleibtden Gerichten ausreichend Spielraum für eine Anpassung an das für siegeltende innerstaatliche Recht.

Die Parteien können das anwendbare Recht für ein bereits bestehendesaußervertragliches Schuldverhältnis nach Eintritt des Ereignisses frei wählen(eine Rechtswahl ex ante ist unzulässig). Die Rechtswahl muss entwederausdrücklich erfolgen oder sich offensichtlich aus den Umständen deskonkreten Falls ergeben. Die Rechtswahlmöglichkeit ist jedoch für denFall, dass alle wesentlichen Sachverhaltselemente in einem anderen Staatals jenem belegen sind, dessen Recht gewählt wurde, eingeschränkt undfür den Bereich des geistigen Eigentums ausgeschlossen. Darüber hinausdarf die Anwendung des fremden Rechts nicht offenkundig unvereinbarmit den wesentlichen innerstaatlichen Rechtsgrundsätzen (ordre public)des Staates des angerufenen Gerichts sein.

Die weitere Entwicklung der justiziellen Zusammenarbeit inZivil- und Handelssachen

Die Gemeinschaft ist darum bemüht, die fortbestehenden Barrieren zwischen

3

den Justizsystemen der Mitgliedstaaten stärker durchlässig zu machen.Der Europäische Rat von Tampere hat den „weiteren Abbau der Zwischen-maßnahmen, die nach wie vor notwendig sind, um die Anerkennung unddie Vollstreckung einer Entscheidung oder eines Urteils im ersuchtenStaat zu ermöglichen“ gefordert; die endgültige Zielsetzung liegt in derautomatischen Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichenEntscheidungen in Zivilsachen und in der vollständigen Abschaffung derExequaturverfahren.

3.1 Der Kommissionsvorschlag für eine Verordnung zurEinführung eines europäischen Vollstreckungstitels fürunbestrittene Forderungen

Der Vorschlag für eine Verordnung zur Einführung eines europäischenVollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (KOM/2002/0159 endg.)zielt auf ein System ab, welches den freien Verkehr von Entscheidungen,Prozessvergleichen und öffentlichen Urkunden in allen Mitgliedstaaten mitHilfe einheitlicher Mindestvorschriften ermöglicht, bei deren Einhaltung diebisher für die Anerkennung und Vollstreckung erforderlichen Zwischen-verfahren entfallen. Die Verordnung soll für Zivil- und Handelssachengelten, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt.

Der Begriff der „unbestrittenen Forderung“ umfasst sämtliche Situationen,in denen der Schuldner die Art oder die Höhe einer Geldforderung nach-weislich nicht bestritten hat und der Gläubiger gegen den Schuldner entwedereine gerichtliche Entscheidung oder aber einen vollstreckbaren Titel erwirkthat, der die ausdrückliche Zustimmung des Schuldners voraussetzt, wieeinen vor Gericht geschlossenen Vergleich oder eine öffentliche Urkunde.

Liegt eine gerichtliche Entscheidung über eine unbestrittene Forderung ineinem Mitgliedstaat vor, so hat der Gläubiger die Wahl zwischen der

14

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 17

Page 18: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

15

Beantragung ihrer Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel fürunbestrittene Forderungen oder andererseits dem System derAnerkennung und Vollstreckung nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001.Eine im Herkunftsstaat als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigtegerichtliche Entscheidung über eine unbestrittene Forderung wird insämtlichen anderen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt, ohne dasshierfür ein besonderes Verfahren erforderlich wäre.

Herr A hat gegen Herrn B ein gerichtliches Verfahren zurDurchsetzung einer Geldforderung vor einem Gericht imMitgliedstaat 1 eingeleitet, in welchem beide wohnhaft sind.Das Gericht hat Herrn B, der in dem Verfahren die Forderungnicht bestritten hat, zur Zahlung von 10.000,- an Herrn Averurteilt. Herr B hat erst kürzlich sein gesamtes Geldvermögenauf eine Bank im Mitgliedstaat 2 transferiert. Herr A fragt an,wie er das von ihm erstrittene Urteil im Mitgliedstaat 2 zurVollstreckung bringen kann.

Derzeit muss Herr A im Mitgliedstaat 2, wo die Vollstreckungbeabsichtigt ist, die Erteilung der Vollstreckbarerklärung zu derEntscheidung beantragen. Das von der Verordnung 44/2001„Brüssel I“ geregelte Exequaturverfahren beinhaltet ein Verfahren,das in einem anderen Mitgliedstaat als dem Urteilsstaat durch-geführt werden muss. Dies bringt weitere Kosten und eine gewisseVerzögerung mit sich.Die Verordnung über die Einführung eines europäischenVollstreckungstitels wird Herrn A zukünftig daneben eine weitereMöglichkeit eröffnen: Er kann beim Ausgangsgericht die Bestä-tigung der Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel fürunbestrittene Forderungen beantragen, der ohne das Erfordernis

weitergehender Verfahren in Mitgliedstaat 2 anerkannt und voll-streckt wird.

Die Verordnung wird für Gläubiger eine spürbare Verbesserung mit sichbringen. Sie wird ihnen die rasche und wirksame Vollstreckung imAusland ermöglichen, ohne dass im Vollstreckungsstaat zeit- und koste-naufwendige Vollstreckungsverfahren geführt werden müssen. Sie gehörtzu den Maßnahmen, die auf die Verbesserung der Durchsetzung desGrundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von gerichtlichen Urteilenund anderen gerichtlichen Entscheidungen abzielen.

So wird auf die Inanspruchnahme des Gerichtssystems in einem weiterenMitgliedstaat verzichtet werden können; auch wird eine Übersetzung imAllgemeinen überflüssig werden, da für die Bescheinigung die Verwendungmehrsprachiger Formblätter vorgesehen ist. Das Gericht des Ursprungs-mitgliedstaats stellt die Bescheinigung über den EuropäischenVollstreckungstitel unter Verwendung des Formblatts in Anhang I derVerordnung in der Sprache der Entscheidung aus.

Die Verordnung legt Mindestvorschriften fest, um sicherzustellen, dassder Schuldner so rechtzeitig und in einer Weise über das gegen ihn ein-geleitete Gerichtsverfahren, die Notwendigkeit seiner aktiven Teilnahmeam Verfahren als Voraussetzung für die Anfechtung der Forderung undüber die Folgen seines Fernbleibens unterrichtet wird, dass er Vorkehrungenfür seine Verteidigung treffen kann. Den für das Verfahren in derHauptsache zuständigen Gerichten obliegt die Aufgabe nachzuprüfen,ob die prozessualen Mindestvorschriften eingehalten worden sind, bevordie standardisierte Bescheinigung über den Europäischen Vollstreckungstitelausgestellt wird, die diese Prüfung und ihr Ergebnis ausweisen soll. DerRat hat im Februar 2004 einen gemeinsamen Standpunkt im Hinblick auf

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 18

Page 19: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

die Annahme dieser Verordnung beschlossen und sie für die zweiteLesung an das Europäische Parlament überwiesen.

3.2 Der Vorschlag für ein Europäisches Mahnverfahren und überMaßnahmen zur einfacheren und schnelleren Beilegung vonStreitigkeiten mit geringem Streitwert

Die Kommission legte am 20. Dezember 2002 ein „Grünbuch für eineuropäisches Mahnverfahren und für Maßnahmen zur einfacheren undschnelleren Beilegung von Streitigkeiten mit geringem Streitwert“ vor.

Im Hinblick auf das europäische Mahnverfahren enthält das Grünbucheinen umfangreichen Fragenkatalog zur Anregung der öffentlichenDiskussion über ein Verfahren zur raschen und effizienten Beitreibung vonForderungen, die voraussichtlich nicht bestritten werden. EinGesetzgebungsvorschlag für eine Verordnung wurde hierzu im März 2004von der Kommission verabschiedet.

3.3 Außergerichtliche Streitschlichtung – alternative Verfahrenzur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht in der EU

Am 19. April 2002 veröffentlichte die Kommission ein Grünbuch überalternative Verfahren zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht(„Alternative Dispute Resolution“ = ADR). Ziel war die Bestandsaufnahmeder nationalen, europäischen und internationalen Entwicklungen auf die-sem Gebiet und die Diskussion über Möglichkeiten ihrer Fortentwicklungmit Mitgliedstaaten und interessierten Parteien. Die ADR-Verfahren stellenaußergerichtliche Maßnahmen zur Beilegung von zivil- oder handels-rechtlichen Streitigkeiten dar. Sie beinhalten im Allgemeinen dieZusammenarbeit zwischen den streitenden Parteien hinsichtlich derLösung ihrer Streitigkeit mit Hilfe einer neutralen dritten Partei. Die ADR

stellen einen wichtigen Bestandteil bei dem Versuch zur Bereitstellunggerechter und effizienter Mechanismen zur Streitbeilegung auf Ebene derEU dar.

16

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 19

Page 20: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

I I I . FAMILIENRECHT

17

Die Verordnung „Brüssel II“

Die Verordnung (EG) 1347/2000 vom 29. Mai 2000 über dieZuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung vonEntscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elter-liche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten(Verordnung „Brüssel II“) trat am 1. März 2001 in Kraft.

Die Verordnung beschränkt sich auf zivilgerichtliche Verfahren im Zusam-menhang mit Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandesoder Ungültigerklärung einer Ehe sowie auf Entscheidungen über dieelterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten. Fürdiese Verfahren sieht die Verordnung folgende Regelungen vor:

- die gerichtliche Zuständigkeit zwischen den Gerichten derMitgliedstaaten,

- die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen derGerichte anderer Mitgliedstaaten.

Frau A ist Staatsbürgerin von Mitgliedstaat 1. Sie ist mit HerrnB verheiratet, mit dem sie drei Jahre lang in dessen Haus inMitgliedstaat 2 zusammengelebt hat. Frau A hat sich dazu ent-schlossen, die Scheidung einzureichen und in ihren Heimatstaatzurückzukehren, wo ihre Familie lebt. Sie möchte so schnell wiemöglich ausreisen und die Scheidung in ihrem Heimatstaat ein-reichen. Seit zwei Wochen hat sie nicht mehr mit Herrn Bgesprochen und ist besorgt, dass die Scheidung zu einem erns-thaften Problem werden könnte.

Gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung „Brüssel II“ bestimmt

1 sich die Zuständigkeit des Gerichts danach, wo beide Ehegattenihren gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zuletzt hatten, soferneiner von ihnen diesen noch innehat, oder aber aus der gemein-samen Staatsangehörigkeit beider Ehegatten (im VereinigtenKönigreich und Irland dem gemeinsamen „domicile“ derEhegatten). Nachdem Frau A in ihr Herkunftsland zurückgekehrtist, kann sie nur dann vor dem Gericht des Mitgliedstaats 1 ihreScheidung einreichen, wenn eine der folgenden Voraussetzungenvorliegt:

- Falls sie Herrn B davon überzeugen kann, gemeinsam dieScheidung einzureichen, sind die Gerichte der beidenMitgliedstaaten, in denen einer der beiden Ehegatten seinengewöhnlichen Aufenthalt hat, zuständig. Nach der Rückkehr inihren Heimatstaat kann Frau A die Scheidung vor dem Gerichtdieses Staats (sofern sie dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat)oder vor dem Gericht in Mitgliedstaat 2, in dem Herr B seinengewöhnlichen Aufenthaltsort hat, einreichen.

- Sollte Herr B die gemeinsame Einreichung der Scheidungablehnen, ist sie erst dann berechtigt vor dem Gericht ihresHeimatstaats diesen Antrag zu stellen, wenn sie dort mindes-tens sechs Monate ihren Wohnsitz hatte. Sollte Frau A sich dazuentschließen, in einen dritten Mitgliedstaat zu ziehen, dessenStaatsangehörigkeit sie nicht besitzt, kann sie in diesem Staatdie Scheidung erst einreichen, wenn sie dort mindestens einJahr lang ihren Wohnsitz hatte.

Frau A sollte sich darüber bewusst sein, dass sich Herr B, derauch weiterhin in der gegenwärtigen gemeinsamen Wohnung derEhegatten wohnen möchte, in einer günstigeren Situation befin-

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 20

Page 21: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

det, da er sofort die Scheidung vor dem Gericht seinesMitgliedstaats einreichen kann. Frau B müsste dagegen nochsechs Monate abwarten. Sollte Herr B dies tun, würde seineKlage ihre nachfolgende Klage verhindern. Artikel 11 Absatz 1 derVerordnung „Brüssel II“ bestimmt, dass Anträge, die wegen des-selben Anspruchs zwischen denselben Parteien bei Gerichtenverschiedener Mitgliedstaaten gestellt werden, dazu führen, dasslediglich das zuerst angerufene Gericht zuständig ist (sog. lis pen-dens). Das später angerufene Gericht hat das Verfahren von Amtswegen auszusetzen.

Die Verordnung „Brüssel II“ findet auf die Auflösung der Ehe Anwendung,erstreckt sich aber nicht auf Fragen wie das Scheidungsverschulden, dasEhegüterrecht, die Unterhaltspflicht oder sonstige mögliche Nebenaspekte,auch wenn diese mit dem vorbenannten Verfahren zusammenhängen.

Die Zuständigkeitskriterien der Verordnung „Brüssel II“ gehen von demGrundsatz aus, dass zwischen den Verfahrensbeteiligten und demMitgliedstaat, der die Zuständigkeit wahrnimmt, eine tatsächlicheBeziehung bestehen muss. Die Parteien können zwischen sieben ver-schiedenen Gerichtsständen wählen.

Das mit der Ehesache befasste Gericht ist bei gemeinsamen Kindern derEhegatten auch für die damit im Zusammenhang stehenden Sorge-rechtsentscheidungen zuständig. Voraussetzung hierfür ist, dass dasKind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat hat.Befindet sich der Aufenthalt des Kindes in einem anderen Mitgliedstaat,kann das mit der Ehesache befasste Gericht dennoch über dasSorgerecht entscheiden, wenn zumindest einer der Ehegatten die elter-liche Verantwortung für das Kind hat, die Zuständigkeit von beiden

Ehegatten anerkannt worden ist und die Entscheidung im Einklang mitdem Wohle des Kindes steht.

Die Anerkennung der Entscheidung eines Mitgliedstaats in allen anderenMitgliedstaaten beruht auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens.Die Gründe für die Nichtanerkennung einer Entscheidung sind auf dasnotwendige Mindestmaß beschränkt. Bei Entscheidungen, die dieTrennung, Scheidung oder Ungültigerklärung einer Ehe aussprechen, istfür die Beischreibung der Personenstandsbücher der Mitgliedstaaten keinbesonderes Verfahren vorgeschrieben. Wie für die Verordnung „Brüssel”I gilt auch für die Verordnung „Brüssel II” der Grundsatz, dass weder dieZuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaats noch die Entscheidung in derSache selbst nachgeprüft werden darf. Sorgerechtsentscheidungen kön-nen in anderen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt werden, wennsie von dem Entscheidungsstaat in einem Exequaturverfahren für voll-streckbar erklärt worden sind. Die Vollstreckbarerklärung kann in einemRechtsbehelfsverfahren überprüft werden.

Die neue Verordnung zur Ersetzung der Verordnung „Brüssel II“

Der Geltungsbereich der Verordnung „Brüssel II“ hat sich im Hinblick auf dieRegelung der elterlichen Sorge schon bald als zu eng erwiesen. Aus die-sem Grund hat die Kommission im Jahre 2002 den Entwurf einerVerordnung vorgeschlagen, die die Verordnung „Brüssel II“ ersetzen sollund von der alle Entscheidungen in Kindschaftssachen, unabhängig vondem ehelichen Status der Eltern und der Anhängigkeit eines Eheverfahrens,erfasst werden sollen. Die neue Verordnung wurde am 27. November2003 verabschiedet und wird am 1. März 2005 in Kraft treten.

Die neue Verordnung sieht besondere Regelungen für Kindesentführun-gen innerhalb der Europäischen Union vor. Dies ist der Fall, wenn ein Kind

2

18

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 21

Page 22: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

19

unter Verletzung des Sorgerechts in einen anderen Staat verbracht oderdort zurückgehalten wird. Ziel der neuen Verordnung ist es,Kindesentführungen in der Europäischen Union zu verhindern. Falls esdennoch zu einer solchen kommt, soll die sofortige Rückgabe des Kindessichergestellt werden. Die Regelungen ergänzen und stützen das HaagerÜbereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekteinternationaler Kindesentführung, das in allen Mitgliedstaaten in Kraft ist.

Da sich die Zuständigkeit des Gerichts grundsätzlich nach dem gewöhn-lichen Aufenthalt des Kindes bestimmt, ist zu befürchten, dass Kinder vonihren Eltern entführt werden, die sich von den Gerichten ihres eigenenMitgliedstaats eine günstigere Entscheidung erhoffen. Um dies zu ver-meiden, sieht die Verordnung vor, dass die Gerichte des Mitgliedstaatsam gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes auch nach der Kindesentführungzuständig bleiben und das letzte Wort haben. Der Mitgliedstaat, in dendas Kind entführt worden ist, kann anordnen, dass das Kind nicht zurück-gegeben wird, wobei diese Anordnung wiederum durch eineSorgerechtsentscheidung durch die Gerichte des Mitgliedstaats aufgeho-ben werden kann, in dem das Kind vor der Entführung seinengewöhnlichen Aufenthalt hatte.

Grundsätzlich ist das Kind im Rahmen des Verfahrens anzuhören. EineEntscheidung in der die Rückgabe des Kindes angeordnet wird, bedarfkeines besonderen Verfahrens zur Anerkennung und Vollstreckung(Exequatur), sofern bestimmte verfahrensrechtliche Schutzbestimmungeneingehalten worden sind (wie beispielsweise die Anhörung des Kindes).Der Verzicht auf ein Exequaturverfahren soll die schnelle Rückgabe desKindes sicherstellen. Exequaturverfahren können zeitraubend sein, insbe-sondere wenn die andere Partei Einspruch einlegt. Der Richter amgewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes wird mit dem Richter desAusgangsverfahrens, der die Nichtrückgabe des Kindes angeordnet und

der gegebenenfalls auch das Protokoll über die Anhörung des Kindeserhalten hat, zusammenarbeiten.

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 22

Page 23: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

IV. DIE INSOLVENZVERORDNUNG

Für eine nicht an die nationalen Grenzen der Mitgliedstaaten gebundeneeuropäische Insolvenzrechtsordnung bestand großer Bedarf. DieGeschäftstätigkeit der Unternehmen greift zunehmend über die einzel-staatlichen Grenzen hinaus und es muss verhindert werden, dass es fürdie Parteien vorteilhaft sein kann, Vermögensgegenstände von einemMitgliedstaat in einen anderen zu verlagern, um so eine günstigereRechtsstellung zu erzielen. Für ein reibungsloses Funktionieren desBinnenmarktes sind effiziente und wirksame grenzüberschreitendeInsolvenzverfahren erforderlich. Auf der einzelstaatlichen Ebene könnendiese Ziele nicht in ausreichendem Maße erreicht werden, weshalb esnotwendig wurde, in der Form eines Rechtsinstruments aufGemeinschaftsebene Regelungen über die Zuständigkeit, über dieAnerkennung von Insolvenzentscheidungen sowie zur Bestimmung desin Insolvenzsachen anwendbaren Rechts zu treffen.

Die Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 vom 29. Mai 2000 überInsolvenzverfahren stellt für das Zusammenwirken der Insolvenzverfahrenin den Mitgliedstaaten der EU zum ersten Mal einen verbindlichenRahmen bereit. Die Insolvenzverordnung trat am 31. Mai 2002 in Kraft.Sie gilt für sämtliche seither eröffneten Verfahren.

Die Insolvenzverordnung gelangt auf sämtliche Insolvenzverfahren zurAnwendung, unabhängig davon, ob es sich bei dem Schuldner um eine natür-liche oder eine juristische Person, um einen Kaufmann oder eine Privatpersonhandelt. Die betroffenen Insolvenzverfahren sind in Artikel 1 Absatz 1 sowie inden Anlagen A und B zur Verordnung aufgeführt. Damit die Verordnung zurAnwendung gelangt, muss ein in dem Mitgliedstaat der Eröffnung desInsolvenzverfahrens offiziell anerkanntes und rechtswirksam eingeleitetesVerfahren vorliegen. Es muss sich um ein Gesamtverfahren handeln, das mitdem teilweisen oder vollständigen Beschlag des Schuldnervermögens sowiemit der Bestellung eines Verwalters verbunden ist.

Die Verordnung setzt Zuständigkeitsregeln fest, die darüber entscheiden,welches Gericht in welchem Mitgliedstaat für die Eröffnung und Führungeines Insolvenzverfahrens zuständig ist. Sie baut auf dem Grundsatz auf,dass es ein Hauptinsolvenzverfahren mit universaler Geltung gibt, nebendem weitere Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet werden können. Fürdie Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens sind die Gerichte desjenigenMitgliedstaats zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunktseiner hauptsächlichen Interessen hat (Artikel 3). Neben demHauptinsolvenzverfahren sind Verfahren in anderen Mitgliedstaaten zuge-lassen, so genannte „Sekundärverfahren“, die auf das Vermögen desSchuldners in dem Eröffnungsstaat beschränkt sind (Artikel 3 Absatz 2und Kapitel III). Wird ein solches Verfahren bereits vor dem Haup-tinsolvenzverfahren eröffnet, so wird es so lange als „Partikularverfahren“bezeichnet, bis das Hauptinsolvenzverfahren zur Eröffnung gelangt.

Hauptinsolvenzverfahren und Sekundärverfahren werden voneinanderunabhängig und in der Regel von unterschiedlichen Verwaltern geführt.Damit sie zu einer effizienten Verwertung der Insolvenzmasse beitragenkönnen, müssen die parallel anhängigen Verfahren koordiniert werden.Hierfür ist die enge Zusammenarbeit der unterschiedlichen Verwalter einewichtige Voraussetzung. Sie muss insbesondere einen ausreichendenInformationsaustausch beinhalten. Um die führende Rolle desHauptinsolvenzverfahrens sicherzustellen, stehen dem Verwalter diesesVerfahrens verschiedene Möglichkeiten zur Einwirkung auf gleichzeitiganhängige Sekundärinsolvenzverfahren zur Verfügung. Jeder Gläubiger,dessen Wohnsitz, gewöhnlicher Aufenthalt oder Sitz in der Gemeinschaftliegt, hat das Recht zur Anmeldung seiner Forderungen in jedem in derGemeinschaft über Vermögen des Schuldners anhängigenInsolvenzverfahren. Im Interesse der Gleichbehandlung der Gläubiger istjedoch eine Koordinierung der Erlösverteilung erforderlich. Darin darfzwar jeder Gläubiger behalten, was ihm im Rahmen eines einzelnen

20

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 23

Page 24: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

21

Insolvenzverfahrens zufließt; an der Verteilung der Masse in einem anderenVerfahren darf er jedoch erst dann teilnehmen, wenn die Gläubigergleichen Ranges die gleiche Quote auf ihre Forderung erlangt haben(Artikel 20 Absatz 2). Die Voraussetzungen, unter denen ein Gläubiger dieEröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens beantragen kann, bestim-men sich nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet dieseseröffnet werden soll (Artikel 29). Die Wirkungen eines solchen Verfahrenssind auf das im Gebiet dieses Mitgliedstaats belegene Vermögen desSchuldners beschränkt (Artikel 3 Absatz 2 und Artikel 27).

Gesellschaft A ist nach den Gesetzen von Mitgliedstaat 1gegründet. Hier liegen ihr Sitz und der Mittelpunkt ihrer hauptsä-chlichen Interessen. Gesellschaft A hat bei dem zuständigenInsolvenzgericht in Mitgliedstaat 1 Insolvenzantrag gestellt. DasVerfahren wurde eröffnet und es wurde ein Verwalter bestellt.Der Sitz von Gesellschaft B, der umfängliche Forderungengegenüber Gesellschaft A zustehen, liegt im Mitgliedstaat 2.Gesellschaft B ist bekannt, dass die insolvente Gesellschaft Aeine Niederlassung im Mitgliedstaat 2 unterhält, die über eingroßes Lager und über Grundbesitz verfügt. Gesellschaft B fragtan, wie sie am besten ihre Interessen in der Insolvenz vonGesellschaft A wahren kann.

Vor dem Inkrafttreten der Insolvenzverordnung hätte GesellschaftB den Versuch zur Einleitung gerichtlicher Schritte in Mitgliedstaat2 unternehmen können, mit dem Ziel, in die dort befindlichenVermögenswerte von Gesellschaft A zu vollstrecken. DieRechtswirkungen der gerichtlichen Entscheidungen inInsolvenzsachen waren auf den Mitgliedstaat beschränkt, in demsie getroffen wurden; häufig hinderten Insolvenzentscheidungen

in dem einen Mitgliedstaat nicht die Ausbringung von Maßnahmender Zwangsvollstreckung in anderen Mitgliedstaaten. DieInsolvenzverordnung hat hier eine grundlegende Änderunggebracht. Heute sind ab dem Tag, an dem in einem Mitgliedstaatein Insolvenzverfahren eröffnet wird, individuelle Vollstreckungs-maßnahmen in allen anderen Mitgliedstaaten ausgeschlossen.Nach den Bestimmungen der Insolvenzverordnung muss Gesel-lschaft B ihre Forderung deshalb in dem in Mitgliedstaat 1eröffneten Insolvenzverfahren anmelden. Für Fälle wie den von Gesellschaft A, die in einem anderenMitgliedstaat als dem Staat, in dem das Hauptinsolvenzverfahreneröffnet wurde, über umfängliche Vermögenswerte verfügt, stelltdie Insolvenzverordnung die Möglichkeit der Eröffnung sogenannter Sekundärverfahren bereit. Ein solches Verfahren kannnur unter bestimmten Voraussetzungen eingeleitet werden. SeineWirkungen sind auf die Vermögenswerte des Schuldners in demMitgliedstaat beschränkt, in dem es geführt wird. Für GesellschaftB könnte es sich deshalb empfehlen zu prüfen, ob in Mitgliedstaat2 bereits ein Sekundärverfahren eröffnet wurde oder ob diebesonderen Bedingungen vorliegen, unter denen ein einzelnerGläubiger die Eröffnung eines solchen Verfahren beantragenkann.

Nach der Grundregel in Artikel 4 Absatz 1 Insolvenzverordnung gilt für dieDurchführung des Insolvenzverfahren und seine Rechtswirkungen das Rechtdes Mitgliedstaats, in welchem das Verfahren eröffnet wurde. Die lex concur-sus regelt alle verfahrensrechtlichen und materiell-rechtlichen Wirkungen desInsolvenzverfahrens für die betroffenen Personen und Rechtsverhältnisse.Die Verordnung gibt darüber hinaus für den Insolvenzbereich einheitlicheKollisionsnormen vor, die – im Rahmen ihres Geltungsbereiches - an die

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 24

Page 25: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

Stelle der Regeln des internationalen Privatrechts der Mitgliedstaaten treten.Besondere Kollisionsregeln gelten für besonders wichtige Rechte und Rechts-verhältnisse wie z. B. dingliche Rechte, Aufrechnung, Eigentumsvorbehaltoder Arbeitsverträge (Artikel 5 bis 10). Mit diesen Sonderanknüpfungen solldem Bedürfnis des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit in den ande-ren Mitgliedstaaten als dem Staat Rechnung getragen werden, in dem dasHauptinsolvenzverfahren eröffnet wurde.

Die Verordnung sieht die unmittelbare Anerkennung von gerichtlichenEntscheidungen über die Eröffnung, die Abwicklung und die Beendigung derin ihren Geltungsbereich fallenden Insolvenzverfahren sowie solcherEntscheidungen vor, welche in unmittelbarem Zusammenhang mit diesenergehen.

Die Entscheidung über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wird in sämtli-chen Mitgliedstaaten anerkannt, sobald sie im Staat der VerfahrenseröffnungWirksamkeit erlangt (Artikel 16). Sie entfaltet in jedem anderen Mitgliedstaatdie gleichen Wirkungen, die ihr von dem Recht des Staates derVerfahrenseröffnung beigelegt werden, ohne dass hierfür irgendwelcheFörmlichkeiten erforderlich wären (Artikel 17). Eine Ausnahme gilt nur für denFall, dass die Anerkennung mit dem ordre public des Anerkennungsstaatesoffensichtlich unvereinbar ist (Artikel 26). Auch werden die Bestellung desVerwalters und die ihm nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnungzustehenden Befugnisse in sämtlichen anderen Mitgliedstaaten unein-geschränkt anerkannt (Artikel 18).

22

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 25

Page 26: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

V. JURISTISCHE ZUSAMMENARBEIT IN DER PRAXIS

23

Verordnung über die Zustellung von Schriftstücken

Zur reibungslosen Zusammenarbeit zwischen den Gerichten derMitgliedstaaten in der Europäischen Union ist eine schnelle und sichereÜbermittlung von Schriftstücken erforderlich. Die Verordnung (EG) Nr.1348/2000 vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher undaußergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in denMitgliedstaaten betrifft die Übermittlung von Schriftstücken von einemMitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat. Diese Verordnung trat am31. Mai 2001 für alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Dänemark inKraft. Im Verhältnis zwischen Dänemark und den anderen Mitgliedstaatenfindet das Haager Zustellungsübereinkommen von 1965 Anwendung.

Gesellschaft A aus Mitgliedstaat 1 verklagte Gesellschaft B ausMitgliedstaat 2 auf Zahlung einer beträchtlichen Geldsumme.Nach 14-monatiger Verfahrensdauer erging ein Versäumnis-urteil, in welchem Gesellschaft A die Geldsumme zugesprochenwurde. Gesellschaft A beantragte beim zuständigen Gericht inMitgliedstaat 2 zu dem Versäumnisurteil die Vollstreckungs-klausel, da Gesellschaft B dort Immobilien besitzt. Das Gerichtstellte nach sorgfältiger Prüfung jedoch fest, dass GesellschaftB das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäßzugestellt worden war und verweigerte die Erteilung der Voll-streckungsklausel. Einige Monate später stellte Gesellschaft BInsolvenzantrag und Gesellschaft A musste die Forderungabschreiben.

Der ordnungsgemäßen Zustellung von Schriftstücken kommt inGerichtsverfahren grundlegende Bedeutung zu. Zustellungsmängelkönnen die rechtlichen Interessen der Parteien ernsthaft

1 gefährden. Die Zustellung von Schriftstücken an Parteien in ande-ren Mitgliedstaaten hat in der Vergangenheit die Durchführungzahlreicher grenzüberschreitender Rechtsstreitigkeiten erschwert.Einfache und praxisnahe Regeln für die grenzüberschreitendeZustellung sind daher eine der wichtigsten Voraussetzungen fürein funktionsfähiges europäisches Zivilverfahrensrecht.

Die Verordnung über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicherSchriftstücke hat die Zustellung von Schriftstücken in grenzüber-schreitenden Rechtsstreitigkeiten erheblich vereinfacht. Alle Mitglied-staaten haben Behörden - so genannte „Übermittlungsstellen“ und„Empfangsstellen“ - bestimmt, die für die Übermittlung beziehungsweiseden Empfang von Schriftstücken zuständig sind. Dem zu übermittelndenSchriftstück ist ein Antrag auf einem Standard-Formblatt beizufügen. DieÜbermittlungsstelle versendet das Schriftstück zusammen mit demAntrag an die bezeichnete Empfangsstelle in dem Staat, in dem dieSchriftstücke zugestellt werden sollen. Die Zustellung des Schriftstückswird von der Empfangsstelle bewirkt oder veranlasst, und zwar entwedernach dem Recht des Empfangsstaats oder in einer von der Übermitt-lungsstelle gewünschten besonderen Form, sofern dieses Verfahren mitdem Recht des Empfangsstaats vereinbar ist. Der Adressat kann dieAnnahme des Schriftstücks verweigern, sofern dieses in einer anderenals der Amtssprache des Empfangsstaats oder einer Sprache des Über-mittlungsstaats, die der Empfänger versteht, abgefasst ist. NachErledigung der für die Zustellung des Schriftstücks vorzunehmendenSchritte stellt die Empfangsstelle eine entsprechende Bescheinigung aus,die der Übermittlungsstelle übersandt wird. Sowohl die Übermittlungs- alsauch die Empfangsstelle benutzen das im Anhang der Verordnung abge-druckte Formblatt. Die Kommission hat ein Handbuch mit Informationenüber die Empfangsstellen der Mitgliedstaaten veröffentlicht. Jeder

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 26

Page 27: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

Mitgliedstaat benennt eine „Zentralstelle“, die den ÜbermittlungsstellenAuskünfte erteilt und nach Lösungswegen sucht, wenn bei der Übermitt-lung von Schriftstücken zum Zweck der Zustellung Schwierigkeitenauftreten.

Die Verordnung sieht darüber hinaus andere Arten der Übermittlung undZustellung gerichtlicher Schriftstücke vor: Übermittlung auf konsularischemoder diplomatischem Weg, Zustellung durch die diplomatischen oderkonsularischen Vertretungen oder unmittelbare Zustellung von gericht-lichen Schriftstücken durch die Post. Jeder an einem gerichtlichenVerfahren Beteiligte kann zudem gerichtliche Schriftstücke unmittelbardurch Amtspersonen, Beamte oder sonstige zuständige Personen desEmpfangsstaats zustellen lassen, sofern der betreffende Mitgliedstaatnicht erklärt hat, dass er die unmittelbare Zustellung gerichtlicherSchriftstücke in seinem Hoheitsgebiet nicht zulässt.

Verordnung über die Zusammenarbeit zwischen denGerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet derBeweisaufnahme

In grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten ist es für eine Entschei-dung in einem bei einem Gericht eines Mitgliedstaats anhängigen zivil-oder handelsrechtlichen Verfahren oft erforderlich, in einem anderenMitgliedstaat Beweis erheben zu lassen. Die Verordnung Nr. 1206/2001vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichtender Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil-oder Handelssachen hat ein gemeinschaftsweites System der schnellenund unmittelbaren Übermittlung von Beweisaufnahmeersuchen undderen Erledigung geschaffen und konkrete Kriterien hinsichtlich der Formund des Inhalts des Ersuchens aufgestellt. Diese Verordnung gilt seit dem1. Januar 2004 in allen Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Dänemark. Im

2

Verhältnis zu Dänemark findet das Haager Übereinkommen vom 18. März1970 über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder HandelssachenAnwendung, dem allerdings nicht alle Mitgliedstaaten beigetreten sind.

Die Verordnung sieht zwei Formen der Beweisaufnahme in einemanderen Mitgliedstaat vor. Das Gericht eines Mitgliedstaats kann daszuständige Gericht eines anderen Mitgliedstaats um die erforderlicheBeweisaufnahme ersuchen oder in einem anderen Mitgliedstaat unmit-telbar Beweis erheben. Die Verordnung beruht auf dem Grundsatz derdirekten Übermittlung zwischen den Gerichten, bei dem die Ersuchen umeine Beweisaufnahme direkt vom „ersuchenden“ an das „ersuchte“Gericht übersendet werden. Jeder Mitgliedstaat hat eine Liste der für dieDurchführung von Beweisaufnahmen nach dieser Verordnung zustän-digen Gerichte erstellt. In dieser Liste ist auch der örtlicheZuständigkeitsbereich dieser Gerichte angegeben. Darüber hinaushaben die Mitgliedstaaten jeweils eine Zentralstelle benannt, die denGerichten Auskünfte erteilt und nach Lösungswegen sucht, wenn beieinem Ersuchen Schwierigkeiten auftreten.

Die Verordnung sieht konkrete Kriterien hinsichtlich der Form und desInhalts des Ersuchens vor und stellt in ihrem Anhang spezielleFormblätter bereit. Das ersuchte Gericht wird das Ersuchen umBeweisaufnahme umgehend, spätestens jedoch innerhalb von 90 Tagennach Eingang erledigen. Sollte dies nicht möglich sein, muss dasersuchte Gericht das ersuchende Gericht hiervon unter Angabe derGründe in Kenntnis setzen.

Ein Ersuchen um Vernehmung einer Person wird nicht erledigt, wenn sichdie betreffende Person auf ein Recht zur Aussageverweigerung oder aufein Aussageverbot beruft, das nach dem Recht des Mitgliedstaats desersuchten Gerichts oder nach dem Recht des Mitgliedstaats des

24

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 27

Page 28: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

25

ersuchenden Gerichts vorgesehen ist. Ansonsten kann ein Ersuchen umBeweisaufnahme nur in wenigen Ausnahmefällen abgelehnt werden.

In seinem Ersuchen um Beweisaufnahme hat das ersuchende Gerichtmitzuteilen, ob die Parteien und/oder ihre Vertreter bei der Beweis-aufnahme zugegen sein werden und ob ihre Anwesenheit beantragt wird.Das ersuchte Gericht erledigt das Ersuchen nach Maßgabe des Rechtsseines Mitgliedstaats. Die Beweisaufnahme kann zudem auch in einerbesonderen Form erledigt werden, die das Recht des Mitgliedstaats desersuchenden Gerichts vorsieht, falls letzteres ein solches Vorgehenbegehrt. Das ersuchte Gericht entspricht einem solchen Antrag, es seidenn, dass diese Form mit dem Recht des Mitgliedstaats des ersuchtenGerichts unvereinbar ist. Nach der Verordnung können Beweisaufnahmenauch unter Einsatz von moderner Kommunikationstechnologie wieinsbesondere Tele- und Videokonferenzen durchgeführt werden.

Ein Ersuchen um eine unmittelbare Beweisaufnahme ist an die bestimm-te Zentralstelle oder zuständige Behörde des anderen Mitgliedstaats zuübermitteln. Sie kann nur in Ausnahmefällen verweigert werden. Dieunmittelbare Beweisaufnahme ist nur statthaft, wenn sie auf freiwilligerGrundlage und ohne Zwangsmaßnahmen erfolgen kann. Die Beweis-aufnahme wird von einem nach Maßgabe des Rechts des Mitgliedstaatsdes ersuchenden Gerichts bestimmten Gerichtsangehörigen oder voneiner anderen Person, wie etwa einem Sachverständigen, durchgeführt.

Das Europäische Justizielle Netz für Zivil- undHandelssachen

Am 1. Dezember 2002 wurde ein Europäisches Justizielles Netz fürZivil- und Handelssachen geschaffen, um die justizielle Zusammenarbeit

3

zwischen den Mitgliedstaaten zu vereinfachen und den Zugang derBürger zu den nationalen Gerichten durch die Bereitstellung von prak-tischen Informationen zu erleichtern. Ziel war es auch, schrittweise einInternet-gestütztes Informationssystem für die Öffentlichkeit im Hinblickauf einen leichteren Zugang zu den Justizsystemen der Mitgliedstaateneinzurichten. Dieses Informationssystem, das in allen offiziellen Sprachender Europäischen Gemeinschaft bereitgestellt werden soll, befindet sichderzeit auf folgender Webseite im Aufbau:http://europa.eu.int/comm/justice_home/ejn/.

In jedem Mitgliedstaat stehen eine oder mehrere Kontaktstellen fürjustizielle und administrative Behörden zur Verfügung, um grenzüber-schreitende Streitigkeiten zu lösen, mit denen sie konfrontiert sind, undum sie mit aktuellem Informationsmaterial über das Recht der anderenMitgliedstaaten zu versorgen.

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 28

Page 29: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

VI . ZUGANG ZUM RECHT

Die Richtlinie über Prozesskostenhilfe

In einem Europa der offenen Grenzen kann es leicht dazu kommen,dass Bürger in Rechtsstreitigkeiten vor Gerichten eines anderenMitgliedstaats verwickelt werden. Grenzüberschreitende Streitig-keiten sind nicht allein auf große Unternehmen beschränkt; siekönnen auch kleine oder mittelständische Unternehmen odernatürliche Personen betreffen, die vielleicht nur über bescheidenefinanzielle Mittel verfügen. Grenzüberschreitende Rechtsstreitigkeitenkönnen mit erheblichen Kosten verbunden sein, vor allem wennumfängliche Forderungen oder Interessen auf dem Spiel stehen.Oftmals erfordern grenzüberschreitende Rechtssachen sowohl dierechtliche Vertretung in dem Mitgliedstaat, in dem sie verhandeltwerden, als auch die rechtliche Beratung durch einen Rechtsanwaltam Wohnsitz der Partei. Weiterhin fallen Übersetzungen,Reisekosten sowie andere zusätzliche Kosten an.

Die Richtlinie 2003/8/EG wurde vom Rat im Januar 2003 verab-schiedet. Sie zielt darauf ab, die bestehenden Hindernisse beimZugang zu Prozesskostenhilfe zu beseitigen und für jedermann inallen Mitgliedstaaten einen rechtswirksamen Anspruch auf Prozess-kostenhilfe in gleicher Weise wie in seinem eigenen Wohnsitzstaatzu gewährleisten. Ziel der Richtlinie ist es, den Zugang zum Rechtbei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch dieFestlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozess-kostenhilfe in derartigen Streitsachen zu verbessern. Die Richtlinieist zum überwiegenden Teil von den Mitgliedstaaten bis zum 30.November 2004 umzusetzen. Die Regeln zur vorprozessualenRechtsberatung mit dem Ziel der außergerichtlichen Streitbeilegungsind bis zum 30. Mai 2006 umzusetzen.

1Herr A, Bürger von Mitgliedstaat 1, erhält die Mitteilung,dass er in Mitgliedstaat 2 auf Zahlung eines Betrages von€ 235.000 für Schäden verklagt worden ist, die sein 12-jährigerSohn während des Familienurlaubs in Mitgliedstaat 2 ver-ursacht haben soll. Herr A, der zwei Töchter aber keinenSohn hat, hat erfahren, dass eine Rechtsanwaltskanzlei inMitgliedstaat 2 für die rechtliche Vertretung mindestens€ 8.000 verlangen würde, wovon im Falle der Abweisung derKlage vom Kläger lediglich ein geringer Teil erstatten würde.Herr A und seine Familie leben von einem monatlichenNettoeinkommen von € 1.850. Sie sind über die Höhe derVerfahrenskosten beunruhigt und wissen nicht, wie sie zueinem in Mitgliedstaat 2 ansässigen Rechtsanwalt Kontaktaufnehmen sollen. Die von dem Gericht des Mitgliedstaats2 bestimmte Verteidigungsfrist droht abzulaufen

Herr A’s schwierige Situation ist nur ein Beispiel für diezahlreichen Hindernisse, die Bürgern anderer Mitgliedstaatenbegegnen können, wenn sie in grenzüberschreitendeRechtsstreitigkeiten verwickelt werden. Dies gilt insbesonderedann, wenn sie sich gegen eine Klage in einem anderenMitgliedstaat verteidigen müssen, da damit im Allgemeinendie rechtliche Beratung und Vertretung in zwei unterschied-lichen Mitgliedstaaten verbunden ist. Es kann eine Vielzahl vonSchwierigkeiten auftreten, vor allem im Hinblick auf Spracheund Kosten. Sprachschwierigkeiten können eine kosten-intensive Übersetzung von Schriftstücken erforderlichmachen; die Anordnung des persönlichen Erscheinens derPartei vor dem Gericht des anderen Mitgliedstaats kannzusätzliche Kosten mit sich bringen.

26

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 29

Page 30: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

Die Richtlinie findet Anwendung auf grenzüberschreitende Streitigkeitenin Zivil- oder Handelssachen – jedoch nur dann, wenn der Wohnsitz oderder gewöhnliche Aufenthalt der Prozesskostenhilfe beantragenden Parteiin einem anderen Mitgliedstaat als in dem Gerichts- oder demVollstreckungsmitgliedstaat liegt. Die Richtlinie zielt darauf ab, dieAnwendung der Prozesskostenhilfe in Streitsachen mit grenzüberschrei-tendem Bezug für Personen zu fördern, die nicht über ausreichendeMittel verfügen – soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu denGerichten wirksam zu gewährleisten. Darüber hinaus enthält die RichtlinieRegelungen, um die Übermittlung von Anträgen auf Prozesskostenhilfeim Wege einer Koordinierung der justiziellen Zusammenarbeit zwischenden Mitgliedstaaten zu vereinfachen und zu beschleunigen.

Über Prozesskostenhilfe ist von der zuständigen Behörde in demMitgliedstaat zu entscheiden, in dem das gerichtliche Verfahren geführtwird oder die Entscheidung vollstreckt werden soll. DieProzesskostenhilfe soll nicht nur die Kosten gerichtlicher Verfahren, son-dern auch die der Vollstreckung öffentlicher Urkunden in einem anderenMitgliedstaat abdecken, ebenso wie die Kosten in außergerichtlichenVerfahren, falls die Parteien diese in Anspruch nehmen. DieProzesskostenhilfe soll einen Rechtsbeistand und die rechtlicheVertretung vor Gericht sowie eine Befreiung bzw. Unterstützung bei denGerichtskosten des Empfängers sicherstellen; auch soll sie die mit demgrenzüberschreitenden Charakter der Streitsache unmittelbar verbunde-nen Kosten umfassen, wie Dolmetscherleistungen, die Übersetzung dererforderlichen Schriftstücke oder Reisekosten.

Der Wohnsitzstaat des Begünstigten soll diesbezügliche Leistungenerbringen, insofern sie für die Vorbereitungen des Antrags aufProzesskostenhilfe und seine Übermittlung an das Gericht, vor dem dasVerfahren geführt wird, notwendig sind. Die Mitgliedstaaten bestimmen

die zuständigen Behörden für die Übermittlung des Antrags aufProzesskostenhilfe („Übermittlungsbehörden“) bzw. für den Empfang desAntrags („Empfangsbehörden“). Zur Erleichterung der Übermittlung derAnträge wird ein Standardformular für Anträge auf Prozesskostenhilfe undfür die Übermittlung dieser Anträge erstellt.

Vorschlag für eine Richtlinie zur Entschädigung für Opfer vonStraftaten

Der von der Kommission am 16. Oktober 2002 vorgelegte Entwurf einerRichtlinie zur Entschädigung für Opfer von Straftaten hat zum Ziel, inden Mitgliedstaaten Mindeststandards für den Schutz der Opfer vonVerbrechen aufzustellen und in grenzüberschreitenden Fällen den Zugangzu Entschädigungsleistungen zu erleichtern. Der Richtlinienvorschlagbezweckt in sämtlichen Mitgliedstaaten ein angemessenes Maß staat-licher Entschädigung festzuschreiben. Damit soll sichergestellt werden,dass der Zugang zu staatlicher Entschädigung einfach gestaltet wird unddass dieser davon unabhängig ist, in welchem Mitgliedstaat innerhalb derEU ein Betroffener Opfer einer Straftat geworden ist. Eine verstärkteZusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden wird in grenzüber-schreitenden Fällen den Zugang zu staatlicher Entschädigung erleichtern.

2

27

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 30

Page 31: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

Aktualisierung

Nach Fertigstellung dieser Broschüre wurden die folgenden Rechtsakte angenommen:

- Die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zurEinführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen

- Eine Richtlinie des Rates zur Entschädigung der Opfer von Straftaten

Die Kommission hat außerdem einen Vorschlag für eine Verordnung zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrensvorgelegt. Vorschläge zur Schlichtung zum einen und zu Streitigkeiten mit geringem Streitwert zum anderen sind vor Endedes Jahres zu erwarten.

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 31

Page 32: Eur Civil Law brochure GERlorenz.userweb.mwn.de/lehre/ipr/leitfadeneu.pdf · Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 6. Tampere legte drei Handlungsprioritäten fest: die

5

Eur Civil Law brochure GER 17/6/2004 14:35 Page 32