Europäisches Strafrecht...IV.Strafverfolgung in der EU V.Rechtshilfe in Strafsachen...

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StPO Vertiefung Europäisches Strafrecht I. Grundlagen des Europäischen Strafrechts II. Grundrechtsschutz in der EU III. Nationales Recht und Unionsrecht IV. Strafverfolgung in der EU V. Rechtshilfe in Strafsachen VI. Europäischer Haftbefehl

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StPO Vertiefung

Europäisches Strafrecht

I. Grundlagen des Europäischen StrafrechtsII. Grundrechtsschutz in der EUIII. Nationales Recht und UnionsrechtIV. Strafverfolgung in der EUV. Rechtshilfe in StrafsachenVI. Europäischer Haftbefehl

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Nationales Recht und Unionsrecht

Gliederung: Nationales Recht und Unionsrecht

I. Zuständigkeit der EU vs. Nationales RechtII. Verweisungen des Unionsrechts auf nationales RechtIII. Anwendbarkeit des Unionsrechts und unionsrechtskonforme AuslegungIV. Verweisungen im nationalen Recht auf Unionsrecht

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• EU-Recht hat grundsätzlich Anwendungsvorrang, nicht aber Geltungsvorrang, vor dem nationalen Recht.

ØGeltungsvorrang• = Im Kollisionsfall ist nationales Recht nichtig.ØAnwendungsvorrang• = Im Kollisionsfall bleibt die nationale Vorschrift bestehen, darf aber

nicht angewendet werden.

• In der Normhierarchie steht das gesamte Primär- und Sekundärrecht der EU über dem Grundgesetz.

• Grund: Deutschland hat nach Art. 23 GG Souveränitätsrechte an die EU abgetreten. Ist der Anwendungsbereich des EU-Rechts eröffnet, tritt das nationale Recht insoweit zurück.

Zuständigkeit EU Recht vs. Nationales Recht

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Wann ist der europäische Anwendungsbereich eröffnet?

• Es bedarf eines europarechtlichen Anknüpfungspunktes!• Anknüpfungspunkte sind:

a) Grundfreiheiten:

Sachverhalt betrifft grenzüberschreitend Grundfreiheiten. Rein interne Szenarien haben keinen europarechtlichen Anknüpfungspunkt. Z.B. Die negative Dienstleistungsfreiheit kann durch übermäßige Strafen

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Wann ist der europäische Anwendungsbereich eröffnet?

b) Grundrechte

Für den Bereich der Grundrechtecharta (GrCh) wird die Einschlägigkeit des EU-Rechts durch Art. 51 GrChdadurch bestimmt, dass die Grundrechte der Charta dann gelten, wenn der Mitgliedstaat EU-Recht „durchführt“.

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Wann ist der europäische Anwendungsbereich eröffnet?

c) Sonstige Normen:

Eine Norm des Europarechts ist in dem entsprechenden Sachverhalt einschlägig.

Dies können zumindest alle Normen sein, welche einen inhaltlichen Bezug zu dem Sachverhalt aufweisen und in den Mitgliedstaaten unmittelbar Rechte und Pflichten für diese entfalten wie Verordnungen; aber auch ausnahmsweise eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien.

Europarecht kann auch tangiert sein, wenn der Opferschutz im Strafverfahren nicht an den in einem Rahmenbeschluss vereinbarten Mindeststandard angepasst wird.

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Welche Reichweite hat die Übertragung der Souveränitätsrechte?

Ziel des Lissabonner Vertrages ist es, „einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu schaffen“, so dass sich die europarechtlichen Anknüpfungspunkte nach und nach in sämtliche Lebensbereiche ausbreiten.

Grundlage des Kompetenzgefüges der EU ist das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 I und II EUV). Die Souveränitätsübertragung (Art. 23 GG) von den Mitgliedstaaten auf die Union erfolgt nur punktuell.

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Welche Reichweite hat die Übertragung der Souveränitätsrechte?

a) Materielles Strafrecht

EU hat keine allgemeine originäre Rechtssetzungskompetenz im Bereich des materiellen Strafrechts.

Stattdessen gilt der Grundsatz der Harmonisierung der Strafrechtssysteme der Mitgliedstaaten (vgl. Art. 83 AEUV). Abs.1 enthält eine Ermächtigungsnorm zur Festlegung von Mindeststandards in Fällen grenzüberschreitender besonders schwerer Kriminalität. In Abs. 2 wird darüber hinaus die Ermächtigung erteilt, in jedem Politikfeld, in dem bereits Harmonisierungsmaßnahmen durchgeführt wurden, deren Effizienz mit strafrechtlichen Mitteln zu schützen.

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Welche Reichweite hat die Übertragung der Souveränitätsrechte?

b) Verfahrensrecht

Harmonisierung steht im Verfahrensrecht nicht im Vordergrund. Über das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung (Art. 82 I AEUV) sollen Urteile, Beschlüsse, Entscheidungen unabhängig von dem verfahrensmäßigen Zustandekommen in allen Mitgliedstaaten in gleicher Weise exekutiert werden können.

Die gegenseitige Anerkennung solcher grundrechts-beschneidender staatlicher Akte wird aber nur akzeptiert werden, wenn in den Mitgliedstaaten ein vergleichbares Schutzniveau gilt.

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Prinzipien der Kompetenzverteilung

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Zuständigkeit der EU vs. Nationales Recht

Artikel 3 AEUV (ex-Artikel 2 EUV)

(2) Die Union bietet ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen, in dem — in Verbindung mit geeigneten Maßnahmen in Bezug auf die Kontrollen an den Außengrenzen, das Asyl, die Einwanderung sowie die Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität — der freie Personenverkehr gewährleistet ist.

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Zuständigkeit der EU vs. Nationales Recht

Artikel 67 (ex-Artikel 61 EGV und ex-Artikel 29 EUV)

(1) Die Union bildet einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem die Grundrechte und die verschiedenen Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten geachtet werden.

(2) Sie stellt sicher, dass Personen an den Binnengrenzen nicht kontrolliert werden, und entwickelt eine gemeinsame Politik in den Bereichen Asyl, Einwanderung und Kontrollen an den Außengrenzen, die sich auf die Solidarität der Mitgliedstaaten gründet und gegenüber Drittstaatsangehörigen angemessen ist. Für die Zwecke dieses Titels werden Staatenlose den Drittstaatsangehörigen gleichgestellt.

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Zuständigkeit der EU vs. Nationales Recht

Artikel 67 (ex-Artikel 61 EGV und ex-Artikel 29 EUV)

(3) Die Union wirkt darauf hin, durch Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Kriminalität sowie von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, zur Koordinierung und Zusammenarbeit von Polizeibehörden und Organen der Strafrechtspflege und den anderen zuständigen Behörden sowie durch die gegenseitige Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen und erforderlichenfalls durch die Angleichung der strafrechtlichen Rechtsvorschriften ein hohes Maß an Sicherheit zu gewährleisten.

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Zuständigkeit der EU vs. Nationales Recht

Artikel 67 (ex-Artikel 61 EGV und ex-Artikel 29 EUV)

(4) Die Union erleichtert den Zugang zum Recht, insbesondere durch den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen in Zivilsachen.

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Zuständigkeit der EU vs. Nationales Recht

Art. 5 EUV(1) Für die Abgrenzung der Zuständigkeiten der Union gilt der

Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung. Für die Ausübung der Zuständigkeiten der Union gelten die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit.

(2) Nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung wird die Union nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben. Alle der Union nicht in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten verbleiben bei den Mitgliedstaaten.

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Zuständigkeit der EU vs. Nationales Recht

Art. 5 EUV

(3) Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind. […]

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Zuständigkeit der EU vs. Nationales Recht

Art. 5 EUV

(4) Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehen die Maßnahmen der Union inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinaus. […]

Subsidiaritätsgrundsatz + Verhältnismäßigkeitsgrundsatz =

strafrechtsspezifisches Schonungsgebot

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Zuständigkeit der EU vs. Nationales Recht

ØNoch einmal: Die Union hat keine allgemeine Strafrechtssetzungskompetenz. Eine solche würde auch durch möglichst genaue sekundärrechtliche Vorgaben unterlaufen.

ØGegen eine allgemeines Strafrechtssetzungskompetenz spricht der Wortlaut des Vertrages, der keine ausdrückliche Ermächtigung i.S.d. Art. 5 I EUV für das Strafrecht enthält. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass die Gesetzgebungsorgane der EG nicht im Sinne der klassischen Gewaltenteilungslehre demokratisch legitimiert seien.

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Zuständigkeit der EU vs. Nationales Recht

ØNach dem strafrechtsspezifischen Schonungsgebot, das auf den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität beruht, darf die Union keine unmittelbar anwendbaren Strafvorschriften erlassen. Schon gar nicht darf sie den Mitgliedstaaten so detailliert Tatbestand und Rechtsfolge vorgeben, dass ihnen kein Umsetzungsspielraum verbleibt.