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44 V ORBILD N ATUR F A S Z I N A T I O N EER M M EER

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  • 44 VO R B I L D NA T U R

    FASZINATION

    EERMMEER

  • NA T U R S T O F F-FO R S C H U N G I N DE U T S C H L A N D 45

    AquakulturKultur von Wasserorganismen.

    AlgenEin- bis mehrzellige Lebewesen,die Photosynthese betreiben, abernicht zu den Pflanzen gehören. Zuden Algen gehören einige Protis-tengruppen wie Kiesel-, Rot-,Braun- und Grünalgen.

    BiofilmeAuf Oberflächen angesiedelteSchichten von lebenden und abge-storbenen Mikroorganismen.

    MolekulargenetikVererbungslehre auf der Ebeneder Erbmoleküle (DNA undRNA).

    NaturstoffNiedermolekulare Einzelsubstanz,die in manchen, jedoch nicht in al-len Organismen vorkommt („Se-kundärmetabolit”).

    Schwämme(Phylum Porifera, Porenträger)Frühe Entwicklungsform der Viel-zeller. Schwämme bilden einenTierstamm innerhalb der Abtei-lung der Gewebelosen. Sie lebenallesamt im Wasser und kommenin allen Meeresgewässern der Erdevor. Nur wenige Arten leben imSüßwasser.

    Symbiose, symbiontischEin dauerhaftes Zusammenlebenverschiedenartiger Lebewesen zugegenseitigem Nutzen. Ein Bei-spiel sind die einzelligen Algen-symbionten von Korallen, diemittels Photosynthese das Überle-ben der Wirte in nährstoffarmen,tropischen Gewässern ermög-lichen.

    Ökosystem Riff

    Das Korallenriff stellt ein beson-deres Ökosystem dar, in demdie Organismen in enger Bezie-hung zueinander stehen. Koral-lenriffe werden in Bezug auf dieKomplexität häufig mit tropi-schen Regenwäldern verglichen.Beiden Lebensräumen ist ge-meinsam, dass der Platz und dasNährstoffangebot begrenzt sind.Der daraus resultierende Anpas-sungsdruck an diese besonderenLebensbedingungen hat zu ei-nem außerordentlich großen Ar-tenreichtum an Tieren und Pflan-zen geführt. Zahlreiche riffbe-wohnende Tiere sind mit symbiontischenMikroorganismen assoziiert. So beherbergenKorallen symbiontische Algen (Zooxanthel-len), die den Korallenpolyp mit wichtigenNährstoffen versorgen. Auch Schwämmeenthalten große Mengen an Mikroorganis-men in ihrem Gewebe, die bis zu 40% derBiomasse ausmachen können, über derenFunktion aber bisher fast nichts bekannt ist.Durch das begrenzte Raumangebot sind dieBewohner der Korallenriffe einem starkenKonkurrenzdruck ausgesetzt und müssenzudem noch vermeiden, von Biofilm-bilden-den Mikroorganismen überwachsen zu wer-den (Biofouling). Viele Wirbellose sind zu-dem sesshaft (sessil) und besitzen wederPanzer, Zähne oder Klauen zur Verteidi-gung. Um den Kampf um Raum und Überle-ben auf dem Riff zu sichern, haben sich ver-schiedene Verteidigungsstrategien herausge-bildet, wie beispielsweise das Verdrängendurch Überwachsen oder das Ausscheidenwachstumshemmender oder toxischer Sub-stanzen. Die Naturstoffe, die dieser „chemi-schen Kriegsführung“ zu Grunde liegen, ha-ben sich für pharmakologische, medizinischeund (bio)technologische Anwendungen alsaußerordentlich wertvoll herausgestellt.

    Die Entwicklung mariner Naturstoffe undderen Verwertung wird hauptsächlich vonamerikanischen und japanischen, aber auchvon deutschen (z.B. BiotecMarin) und ande-ren europäischen Firmen verfolgt, jedoch ge-staltet sich die Umsetzung dieser Ziele nachwie vor schwierig. Weil viele potenziell inter-essante Substanzen nur in Spuren aufzufin-den sind, wären gewaltige Materialsamm-lungen notwendig, um genügende Mengenzu produzieren. Dieser Raubbau ist nicht ver-tretbar und entsprechend reguliert. Bestre-bungen, eine nachhaltige Versorgung mitmarinen Naturstoffen zu gewährleisten, rei-chen von der chemischen Total- und Partial-synthese, der Aquakultur im Meer bis hin zurAnzucht in kontrollierten Laboranlagen. Dar-über hinaus werden molekulargenetischeAnsätze verfolgt, einzelne marine Naturstof-fe für die Anwendung verfügbar zu machen.Wenn es gelänge, deren Biosynthese-Gene inkultivierbare Organismen zu übertragen,würde die Bereitstellung größerer Substanz-mengen stark erleichtert.

    Etwa 70% der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt. Hier hatte das Leben sei-nen Ursprung und konnte sich zu einem enormen Artenreichtum entfalten. Mit derFülle ihrer Naturstoffe stellen Meeresmakro- (z.B. Schwämme, Manteltiere, Weich-korallen) und Mikroorganismen (z.B. Bakterien, Pilze, einzellige Algen) ein gewal-tiges Reservoir für technologische und medizinische Anwendungen dar. Währendsich die Erforschung des Lebensraums Meer anfangs auf tropische Gewässer kon-zentrierte, werden mittlerweile auch gemäßigte Zonen und sogar die Polarregionenintensiv untersucht. Die große Vielfalt an neuen Strukturen und biologischen Ak-tivitäten und das Wissen, dass in marinen Nahrungsketten Jahrmillionen der Evo-lution zur Entstehung der hochwirksamen Substanzen geführt haben, machen dieFaszination der interdisziplinären Forschungsgebiete Marine Chemie, Mikrobiolo-gie und Chemische Ökologie aus. Bei der Erschließung und Nutzung der Ozeanesteht man jedoch erst noch am Anfang.

    FA S Z I N A T I O N ME E R

    Die enge Besiedlung von Korallenriffen und der hohe Konkurrenzdruckgelten als Ursache für die „chemische Verteidigung” vieler Riffbewohner.

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    AlkaloideVornehmlich in Pflanzen auftre-tende basische Naturstoffe, dieein oder mehrere meist hetero-zyklisch eingebaute Stickstoffa-tome enthalten.

    Biosynthese-GeneGene, die für die an der Synthe-se eines Naturstoffes beteiligtenProteine codieren.

    TotalsyntheseGebiet der Organischen Che-mie, welches die möglichst effi-ziente Herstellung von Natur-stoffen aus einfacheren Vorstu-fen erforscht.

    Naturstoffe aus dem Meer –überraschende Strukturen undungewöhnliche Eigenschaften

    Naturstoff-Chemiker und Biologen sind be-geisterungsfähig, und so behält das Meer mitseinen ungewöhnlichen Moleküle und derenunbekannten Reaktivitäten und Funktionenfür sie eine große Faszination. Als Beispielsei das cytostatische und immunsuppressivePalau´amin aus dem Meeresschwamm Stylo-tella aurantium genannt, welches ein interna-tional intensiv beforschtes - und bisher uner-reichtes - Syntheseziel darstellt und zur ex-klusiv marinen Gruppe der Pyrrol-Imidazol-Alkaloide gehört. Ohne Synthese hat mankeinen Nachschub und wird die biologischeAktivität dieses Naturstoffs kaum verstehen.

    Es sei das tetrazyklische Alkaloid Dibrom-phakellstatin genannt, welches 1997 aus demMeeresschwamm Phakellia mauritiana isoliertwurde und welches in ersten Tests cytostati-sche Eigenschaften zeigte. Der Haken aufdem Weg zu genauerer Erforschung von Di-bromphakellstatin lag lange in der geringenMenge, die überhaupt verfügbar war: aus170 kg Meeresschwamm wurden seinerzeitganze 31 mg Naturstoff isoliert. Allein zurBeantwortung der Frage, ob Dibromphakell-statin überhaupt zum Medikament taugt,muß zunächst auf unabhängigem Wege einneuer Zugang geschaffen werden.

    Hier findet sich der Chemiker in der Rolledes Architekten: es gilt, einen kompliziertenNaturstoff in möglichst wenigen Schrittenund unter möglichst geringem Substanzver-lust aufzubauen. Eine ideale Totalsynthesewürde von allgemein verfügbaren Baustei-nen ausgehen, die in einem einzigen Schrittselektiv zum gewünschten Zielmolekül rea-

    gierten. Von diesem Idealist man noch Lichtjahreentfernt, und es bleibt einefaszinierende Aufgabe derGrundlagenforschung aufdem Gebiet der Naturstoff-Chemie, sich jenem mög-lichst weit zu nähern. Inder Realtität benötigen wirfür die Totalsynthese vonDibromphakellstatin nachheutigem Stand der For-schung zehn Synthesestu-fen. Man erhält den Natur-

    stoff nun leicht in einer 100-fach größerenMenge, als es durch Isolierung möglich wäre- ein notwendiger Schritt für alle weiterenStudien.

    Bei fast allen Naturstoffen ist noch ein weite-res Problem zu beachten. Es lassen sich zweinicht identische Spiegelbilder - ähnlich wierechte und linke Hand - formulieren, von de-nen meist nur eins biologisch aktiv ist. Diesist auch für Dibromphakellstatin der Fall,wie kürzlich in einer Forschungskooperationzwischen Chemikern in München und Medi-zinern in Freiburg gefunden wurde. Manentdeckte weiterhin, daß Dibromphakellsta-tin einen neuen Wirkmechanismus zeigenmuß - ein Startsignal für biologisch-chemi-sche Studien, die nun die Wechselwirkungvon Dibromphakellstatin mit Proteinen ausempfindlichen Zelllinien erforschen werden.Naturstoffe und Proteine gehören zusam-men.

    Wie steht es nun mit dem weiten Feld derbiologischen Funktion? Nur exemplarischkennt man die Rolle mariner Naturstoffe, diedas Zusammenleben von sesshaften und da-her auf chemische Verteidigung angewiese-nen Organismen steuert. Im Fall der Pyrrol-Imidazol-Alkaloide hat die enge Koopera-tion zwischen Organischer Synthese undMariner Chemischer Ökologie bisher erge-ben, dass diese Fischfraß-abschreckend wir-ken und so das Überleben von Agelas-Schwämmen im Riff sichern. Die dieser Ei-genschaft zu Grunde liegenden pharmakolo-gischen Prinzipien sind jedoch bisher unge-klärt.

    Der karibische Schwamm Agelasconifera, eine Quelle der Pyrrol-Imidazol-Alkaloide.

    HI G H L I G H T S

    Spiegelbildliche Dibromphakellstatine: RäumlicheStruktur.

    (-)-Dibromphakellstatinantitumoral

    (+)-Dibromphakellstatininaktiv

  • NA T U R S T O F F-FO R S C H U N G I N DE U T S C H L A N D 47

    ApoptoseBezeichnung für den program-mierten Zelltod, ein "Selbstmord-programm" einzelner biologischerZellen. Er kann von außen ange-regt (z.B. durch Immunzellen)oder aufgrund von zellinternenProzessen ausgelöst werden (z.B.nach starker Schädigung der Er-binformation).

    DepsipeptidPeptid, das zugleich Ester undAmidbindungen hat.

    MembranTrennschicht zwischen verschiede-nen Bereichen innerhalb einer Zel-le oder auch zwischen dem Inne-ren einer Zelle und dem Zellaus-senraum (Zellmembran). Eine bio-logische Membran ist nicht nureine passive Trennschicht, sondernsie spielt eine aktive Rolle beimTransport von Molekülen und In-formationen von einer Seite zuranderen.

    NekroseAm lebenden Organismus stattfin-dender pathologischer Untergangeinzelner oder mehrerer Zellen.

    ωω-CONOTOXIN MVIIA ODER ZICONOTIDDas von Olivera und seiner Gruppe iso-lierte ω-Conotoxin MVIIA (Ziconotid,SNX-111, Prialt®) aus der KegelschneckeConus magus ist der erste ausschließlich inMeeresorganismen vorkommende Natur-stoff, der in einigen Ländern als Medika-ment zugelassen wurde. Ziconotid ist einaus 25 Aminosäuren bestehendes, am C-Terminus amidiertes Peptid und gehörtzu einer neuen Klasse nicht-opioiderAnalgetika, die mit subnanomolarer Affi-nität selektiv Calciumkanäle des N-Typsblockieren. Der Einsatz von Ziconotid istbei Opioid-resistenten Schmerzen indi-ziert, und die Dosis beträgt weniger als10 µg pro Tag. Die Applikation alsSchmerzmittel muss allerdings aufwändigdurch Pumpen-gesteuerte Injektion in dieRückenmarksflüssigkeit erfolgen. Die Zu-lassung von Prialt® ist ein ermutigendesSignal an alle Forscher auf dem Gebietmariner Naturstoffe.

    DIDEMNINEDie Didemnine aus der Seescheide Tridi-demnum solidum sind zyklisch aufgebautePeptide, die aus ungewöhnlichen Amino-säuren bestehen. 1981 berichteten Rine-hart und Mitarbeiter erstmals über die cy-totoxische und antivirale Aktivität dieserNaturstoffe, die bereits direkt an Bord ei-nes Expeditionsschiffes aufgefallen war.Didemnin B wurde trotz eines unbekann-ten Wirkmechanismus der erste marineNaturstoff, der ab 1986 klinisch zur Be-handlung von Krebs getestet wurde. Esstellte sich dabei neuromuskuläre Toxi-zität heraus. Neue Hoffnung kam auf, alsman Dehydrodidemnin B (Aplidin) ausder Seescheide Aplidium albicans isolierte.Aplidin unterscheidet sich von DidemninB durch eine höher oxidierte Seitenkette.2004 wurde Aplidin der Status eines soge-nannten Nischen-Arzneimittels („orphandrug”) zur Behandlung von multiplenMyelomen und von lymphoblastischerLeukämie eingeräumt, der nun die einge-schränkte Vermarktung erlaubt.

    MARINE NATURSTOFFE IN DER KLINIK

    ECTEINASCIDIN 743Das Alkaloid Ecteinascidin 743 ist ein Ni-schen-Arzneimittel und wurde ur-sprünglich von Rinehart und Mitarbei-tern sowie von Wright und Mitarbeiternaus dem Manteltier Ecteinascidia turbinataisoliert. Ecteinascidin 743 wird in fortge-schrittenen klinischen Studien als Antitu-mormittel getestet. Auf Basis der Kristall-struktur und der strukturellen Ver-wandtschaft mit dem bakteriellen Meta-boliten Saframycin schlug man früh vor,dass Ecteinascidin in die kleine Furcheder DNA bindet. Inzwischen gibt es dreiTotalsynthesen, doch erst die von Cuevasund seiner Gruppe entwickelte Partial-synthese ausgehend von Cyanosafracin Beröffnete den Zugang zu größeren Men-gen. Auch Aquakulturen von Ecteinasci-dia turbinata wurden aufgebaut.

    KAHALALID FZu den klinischen Kandidaten gegenProstata- und Lungenkrebs gehört dasDepsipeptid Kahalalid F, welches vomBegründer des Gebiets „Marine Chemie”Paul Scheuer, aus der marinen Nackt-schnecke Elysia rufescens und deren Nah-rungsquelle, der Grünalge Bryopsis sp.,isoliert wurde. Die absolute Stereoche-mie von Kahalalid F wurde 2001 durchTotalsynthese aufgeklärt. Benannt wurdedieser Naturstoff nach dem Sammlungs-ort, der Kahala-Bucht auf der hawaiiani-schen Insel Oahu. Kahalalid F ist etwa100-fach weniger cytotoxisch als Aplidin.Als günstig könnte sich die geringe Cyto-toxizität gegen Nicht-Tumorzellen her-ausstellen, die ein nutzbares therapeuti-sches Fenster verspricht. Kahalalid Fwirkt auf Membranen und löst Nekrose,jedoch keine Apoptose aus.

    MARINE NATURSTOFFE IN DER KLINIK

    FA S Z I N A T I O N ME E R

    Aus Aquakulturen vom ManteltierchenEcteinascidia turbinata werden Antitu-mormittel gewonnen.

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    (Gen-) ExpressionUmsetzung der in Genen co-dierten Information zu Protei-nen.

    GenEin Abschnitt auf der DNA, derdie Grundinformationen zurHerstellung einer biologisch ak-tiven Ribonukleinsäure (RNA)bzw. eines Proteins enthält.

    ToxineGifte, die von Lebewesen zu ihrer Verteidigung synthetisiertwerden. Sie stören oder beschä-digen die grundlegenden zellu-lären Prozesse anderer Organis-men.

    Ein offenes Gebiet ist auch die Aufklärungder Biosynthese von Alkaloiden aus Meeres-schwämmen. Schwämme sind komplexe Le-bensgemeinschaften aus dem Tier und ver-gesellschafteten mikrobiellen Symbionten.Kürzlich konnte gezeigt werden, dass es dieSchwammzellen selbst sind, die die Pyrrol-Imidazol-Alkaloide enthalten. Die mit demSchwamm assoziierten Mikroorganismensind dagegen frei von diesen Sekundärstof-fen.

    Geht man von biologisch aktiven und auswenigen Aminosäuren aufgebauten Alkaloi-den zu höhermolekularen Inhaltsstoffen ausMeeresorganismen über, so ist ein Molekülin seiner Bedeutung überragend: das Grün-

    Fluoreszierende-Protein,kurz GFP. Zwischen seinerIsolierung aus der Qualle Ae-quorea victoria und der Struk-turaufklärung liegen mehrals dreißig Jahre. Schlüsselwaren schließlich Methodender Gentechnik, die die Be-stimmung der Aminosäure-sequenz erlaubten. NachÜbertragung des Gens in einBakterium brachte man die-ses dazu, große Mengen vonhochreinem GFP zu produ-zieren. Man erhielt Kristalle,

    anhand derer 1996 durch Röntgenbeugungdie dreidimensionale Proteinstruktur aufge-klärt wurde. Das Ergebnis war auch ästhe-tisch ansprechend: das Grün-Fluoreszieren-de-Protein ist ein so genanntes ß-Fass, des-sen Wände aus elf antiparallelen Peptidket-ten gebildet werden, die zu einem einzigenStrang gehören. Im Inneren des Fasses liegtwie ein Docht in einer Kerze eine α-Helix miteinem farbigen Strukturelement, einemChromophor. Dieser Chromophor macht dasGFP für die moderne Biochemie zu einemunverzichtbaren Werkzeug. Möchte manzum Beispiel die Expression eines beliebigenGens verfolgen, so kann man die Gense-quenz von GFP mit dem zu untersuchendenGen verknüpfen. Überall dort, wo das ei-gentlich zu untersuchende Gen exprimiertwird, kommt es damit auch zur Expressionvon GFP, das sich leicht im UV-Licht anhandseiner grünen Fluoreszenz analysieren lässt.Man kann so etwa den Befall von Zellendurch Viren verfolgen – oder auch grün fluo-reszierende Mäuse erzeugen.

    Toxine aus dem Meer

    Dass Toxine im Meer eine große Rolle spie-len, ist jedem schmerzlich bewusst, der imBadeurlaub mit Quallen, Korallen oder See-igeln Kontakt hatte. Toxine erfüllen verschie-dene Zwecke von der Verteidigung und demFraßschutz bis hin zur Jagd. Das bekanntesteToxin ist Tetrodotoxin aus dem Kugelfisch.Einige Toxine befinden sich in verschiedenenPhasen der klinischen Testung und sollen alsArzneimittel bald auf den Markt kommen.Beispielsweise wurden aus dem Gift der Co-nusschnecken mehr als 100 Peptidtoxine iso-liert, von denen eines die neuronale Weiter-leitung von Schmerzempfindungen durchdie Blockierung der Natriumkanäle blo-ckiert. Der Wirkstoff (ω-Conotoxin VIII)diente als Basis für die Entwicklung desSchmerzmittels Ziconotid, welches inzwi-schen auch in Deutschland auf dem Markt ist(siehe Kasten S. 47). Ziconotid ist um Grös-senordnungen aktiver als Morphin und kannsynthetisch hergestellt werden, was insbe-sondere bei marinen Naturstoffen eineGrundvoraussetzung ist. Aber auch der Be-darf an anderen Lifestyle-Produkten wächststetig. Eine im Hochpreissektor aktive Kos-metikfirma fügt zum Beispiel einer Produkt-serie geringe Mengen des Naturstoffs Pseu-dopterosin E hinzu, der aus Hornkorallengewonnen wird und entzündungshemmendund schmerzlindernd wirkt. Allerdings müs-sen jährlich 5.000 kg Biomasse per Hand ge-erntet werden, um den Bedarf zu decken.

    Neue Impulse für dieMaterialforschung

    Neben der Entwicklung neuer Medikamenteund der Nutzung als Werkzeuge für die Bio-chemie und die Zellbiologie haben marineNaturstoffe auch in die Materialwissenschaf-ten Einzug gehalten. Auch technische Inno-vationen können von der genauen Beobach-tung der Natur profitieren: Warum haftenMuscheln so fest auf glatten Felsen und sindselbst durch die stärkste Brandung nicht ab-zulösen? Wieso finden bei vielen Algen ei-gentlich keine Fäulnis und keine Besiedlungdurch andere Organismen statt? Diese Fra-gen stehen am Anfang der Entwicklung neu-er Klebstoffe und Schiffsanstriche.

    Die Entwicklung neuer Klebstoffe profi-tiert von dem Mechanismus der natür-lichen Anheftung von Miesmuscheln anSteinen und Felsen.

    HI G H L I G H T S

  • NA T U R S T O F F-FO R S C H U N G I N DE U T S C H L A N D 49

    AminosteroideSteroide, die eine Aminogruppetragen.

    BronchokonstriktionKrampfzustand der Bronchien

    SporozoitenVorläuferzellen von Sporenbzw. ein Entwicklungstadiumvon Plasmodien, zu denen dieMalariaerreger zählen.

    SQUALAMIN UND NEOVASTAT1993 berichteten Zasloff und Mitarbeiterüber die Isolierung des marinen Natur-stoffs Squalamin aus der Leber desDornhais Squalus acanthias. Triebkraftwar die antimikrobielle Aktivität desExtrakts, deren Verfolgung zur Entde-ckung mehrerer eng verwandter Ami-nosteroide führte. Besonders interessantwurde es, als man für Squalamin zusätz-lich antitumorale Wirkung fand, die aufder Hemmung des Wachstums von Blut-gefäßen in Tumoren, der so genanntenAngiogenese, beruht. Im Unterschied zuden meisten in der Krebsbehandlungeingesetzten Medikamenten ist der Na-turstoff Squalamin nicht cytotoxisch. Da-her erhofft man sich von dieser Substanzeine nebenwirkungsarme Therapie. In-zwischen befindet sich Squalamin in derklinischer Prüfung zur Behandlung vonLungenkrebs. Bemerkenswerterweisescheint Squalamin auf dem besten Wegezu weiteren Karrieren zu sein. So soll dasMedikament Evizon™ (Squalamin-Lac-tat) zur Behandlung der AltersbedingtenMakula-Degeneration eingesetzt wer-den, einer Krankheit, die durch zerstöre-rische Gefäßneubildung zum vollständi-gen Verlust des Sehvermögens führt.Auch hier befindet man sich in der klini-schen Prüfung. Als drittes Derivat iden-tifizierten Zasloff und Mitarbeiter dieeng verwandte Verbindung MSI-1436,die sich als Appetitzügler erwies und da-mit auch gute Marktchancen habenkönnte. Squalamine sind nicht zu ver-wechseln mit dem aus Hai-Knorpel ge-wonnenen Proteingemisch Neovastat,welches ebenfalls antiangiogene Akti-vität aufweist und sich auch in der klini-schen Entwicklung zur Behandlung vonLungenkrebs befindet.

    AGELASPHINEDie strukturell eng miteinander verwand-ten Agelasphine wurden erstmals 1993von Natori und Mitarbeiter im Meeres-schwamm Agelas mauritianus entdeckt.Cytotoxizität wurde in vivo, jedoch nichtin vitro festgestellt. Ursache ist die im-munstimulierende Wirkung der Agelas-phine. Das durch Synthese erhaltene Deri-vat KRN7000 kommt zur Behandlungauch von Hepatitis C oder Malaria in Fra-ge. Bereits 1 mg KRN7000 pro Maus ist inder Lage, die Zahl der Sporozoiten in derLeber um 90% zu verringern.

    HALICHONDRIN BDer Polyether-Naturstoff Halichondrin Baus dem Meeresschwamm Halichondriaokadai wurde erstmals 1986 durch Hirataund Uemura publiziert. Die Substanz fieldurch ausgeprägte in vitro-Cytotoxizität(IC50 < 1 nM) und in vivo-Antitumor-Ak-tivität auf und veranlasste Kishi und Mit-arbeiter zur bisher einzigen Totalsynthe-se, die auch die relative und absolute Ste-reochemie klärte. Es erwies sich als rich-tig, auch Syntheseintermediate zu testen.Man fand, dass die makrozyklische Teil-struktur von Halichondrin ebenfalls cyto-toxisch ist, und gelangte nach Strukturop-timierung zum Aminoalkohol E7389, dernun klinisch getestet wird.

    CONTIGNASTEROL UND IPL576,092Contignasterol, isoliert von Andersen undseiner Gruppe aus dem MeeresschwammPetrosia contignata, wurde Leitstruktur fürLeukozyten-selektive, entzündungshem-mende Wirkstoffe. Contignasterol schütztin vivo gegen Allergen-induzierte Bron-chokonstriktion. Das vereinfachte Analo-gon IPL576,092, dargestellt durch Total-synthese, wird als Asthma-Mittel entwickelt.

    MARINE NATURSTOFFE IN DER KLINIK MARINE NATURSTOFFE IN DER KLINIK

    Die Weichkoralle Pseudopterogorgia sp.ist Lieferant für entzündungshemmendeStoffe, die in kosmetischen Produkten An-wendung finden.

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    HohltiereDie Hohltiere (Coelenterata)umfassen die beiden Tierstäm-me der Nesseltiere (Cnidaria)und Rippenquallen (Ctenopho-ra). Beiden gemeinsam ist dieradialsymmetrische Körper-form, ein diffuses Nervennetz,das Fehlen von Atmung undBlutkreislauf und der grund-sätzliche Aufbau aus lediglichzwei Zellschichten Epidermisund Gastrodermis.

    KatalysatorenReaktionsbeschleuniger; wer-den selbst nicht umgesetzt.

    Manteltiere (Tunicata, Uro-chordata)Ein Unterstamm der Chordatie-re; ihr Körper ist von einemMantel aus Cellulose-ähnlichemMaterial (Tunicin) umgeben.

    Moostierchen (Bryozoen)Moostierchenkolonien bestehenaus hunderten von Einzeltieren(Zooiden), die an der Basis mit-einander verbunden sind. DerName „Moostierchen” kommtvom pelzigen Aussehen der Ko-lonien.

    Weichkorallen (Alcyonaria) Polypen mit häutigem oder flei-schigem Weichkörper.

    Die Rotalge Delisea pulchra speichertin speziellen Zellen halogenierteFuranone, die langsam an die Ober-fläche freigesetzt werden. Man fand,dass diese Furanone den Befall derAlge durch Mikro- und Makroorga-nismen wirkungsvoll verhindern. Eswurde nun in Australien eine Firmagegründet, deren Geschäftsidee derEinbau der Furanone in Polymereist. Das Potenzial dieser neuen Stra-tegie zur Fäulnishemmung liegt aufder Hand: Es ist zu hoffen, dass diebiologisch aktiven Naturstoffe dieim Moment gebräuchlichen toxi-

    schen Tributylstannyl-Verbindungen inSchiffsanstrichen ersetzen können.

    Viele Urlauber haben an felsigen Strändendie außerordentliche Standfestigkeit vonMiesmuscheln bemerkt. Wissenschaftlichstand man vor dem Problem, dass der Kleberselbst aufgrund seines polymeren Charak-ters nur sehr schwer analysierbar war. Mankonnte zwar einige spektroskopische Datenerheben, diese reichten jedoch nicht zur Lö-sung des Problems aus. Es mussten auf che-mischem Wege Modellverbindungen syn-thetisiert werden, deren physikalische Eigen-schaften schließlich tatsächlich mit denendes Muschelklebers übereinstimmten. DerSchlüssel zur Effizienz ist die Vernetzungmodifizierter Proteine durch Komplexierungmit Eisen(III)-Ionen.

    Eine der herausragenden neueren Entde-ckungen im Grenzbereich zur Anorgani-schen Chemie ist die Beteiligung der Silaffineam Aufbau der Silikat-Hülle bei Kieselalgen.Silaffin 1A1 ist ein vielfach phosphorylierteskleines Peptid mit Polyamin-Seitenketten. Esgelang aufgrund dieser Beobachtung, dieGröße von künstlich erzeugten Kieselgel-Na-nosphären durch Polyamine zu kontrollie-ren.

    Interessant wäre auch die Suche nach mari-nen Naturstoffen als Katalysatoren. Die we-nigen bisher verwendeten Naturstoff-Deri-vate in der Katalyse wurden wohl nur ent-deckt, weil die Verbindungen selbst leichtund in ausreichender Menge verfügbar wa-ren.

    Marine Naturstoffe als Arzneimittel

    Die größte Bedeutung als Quelle der bisheretwa 11.000 strukturell charakterisierten ma-rinen Naturstoffe besitzen die Bewohner derKorallenriffe; dazu gehören die wirbellosenTiere wie Schwämme, Hohltiere, Manteltie-re, Moostierchen und Weichkorallen, aberauch Mikroorganismen und Algen. Natur-stoffe sind in lebenden Systemen im Laufeder Evolution nach Kriterien der maximalenWirksamkeit ausgewählt und angepasstworden; sie besitzen gegenüber beliebig er-zeugten synthetischen organischen Verbin-dungen also deutlich größere Relevanz:Mehr als die Hälfte aller in den vergangenenzwanzig Jahren zugelassenen Wirkstoffe ha-ben zumindest das intellektuelle Vorbild ei-nes biologisch aktiven Naturstoffs.

    Eine ganze Reihe von marinen Naturstoffenhat es schon bis zu fortgeschrittenen klini-schen Studien geschafft. Der Indikations-schwerpunkt liegt dabei bislang auf der Be-handlung von Krebserkrankungen, aberauch gegen Entzündungen und für die The-rapie von Schmerzen, bei denen die Gabevon Morphium nicht ausreicht, gibt es Ent-wicklungsprodukte aus dem Meer.

    Der Arbeitskreis um U. Hentschel konzen-triert sich auf die Suche nach neuen antiin-fektiv wirksamen Substanzen aus marinenSchwamm-assoziierten Mikroorganismen.Nach Aussagen des Weltgesundheitsberich-tes der World Health Organization (WHO)sind Infektionskrankheiten weltweit nachwie vor die Todesursache Nr. 1. Auch imHinblick auf das vermehrte Auftreten vonmultiresistenten Infektionserregern ist dieSuche nach neuen Wirkstoffen dringend ge-boten. Hentschel und Mitarbeiter haben da-bei nicht nur das Auffinden von bakteriosta-tisch- oder bakterizid-wirksamen Substan-zen im Blick, sondern auch von Substanzen,die in die Genregulation und Genexpressionvon Virulenzfaktoren eingreifen. Insbeson-dere die Hemmung von Biofilm-bildendenStaphylokokken, die zur Verschleimung vonKathetern und anderen medizinischen Im-plantanten führen, steht im Vordergrund.

    Es gibt auch Naturstoffe, die sich in klini-schen Tests als weit weniger wirksam als ge-dacht herausstellten. Hierzu gehören Bryo-statin 1 und die Gruppe der Dolastatine, für

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    Der karibische Schwamm Xestospongiamuta (Tonnenschwamm) beherbergt großeMengen an mikrobiellen Symbionten, dieinteressante Wirkstoffe liefern.

  • NA T U R S T O F F-FO R S C H U N G I N DE U T S C H L A N D 51

    Bakteriostatisch/bakterizidsiehe „Antibiotika”, Glossar S. 102

    Klinische StudienPrüfung der therapeutischenWirksamkeit eines Arzneimittelsam Menschen. Für klinische Stu-dien gibt es strenge gesetzlicheVorschriften.

    Polyketidsynthase-GeneGene für multifunktionelle En-zyme, die für die Biosynthesevon Polyketiden verantwortlichsind.

    die es unwahrscheinlich geworden ist, klini-sche Bedeutung als Antitumormittel zu erlan-gen. Die über lange Zeit prominente Rolle vonBryostatin 1 hat jedoch wichtige Impulse fürdie Weiterentwicklung des interdisziplinärenForschungsfelds Marine Chemie ergeben. Aufchemischer Seite wurden Totalsynthesen fürverwandte Bryostatine entwickelt. Die Tech-nologie der Aquakultur mariner Wirbelloserhat sich in der Hoffnung auf kommerzielleNutzung stark verbessert. Man entdeckte indem Moostierchen Bugula neritina, dem Pro-duzenten von Bryostatin 1, auch den bisherunkultivierten Endosymbionten CandidatusEndobugula sertula, der Polyketidsynthase-Gene aufweist, die zur wahrscheinlichen Bio-synthese der Bryostatine passen.

    Vielleicht gibt es auch eine Renaissance fürBryostatin 1, denn es hat kürzlich Interesseauf dem Gebiet der Neurobiologie geweckt,da die Substanz dem Gedächtnis der Nackt-schnecke Hermissenda auf die Sprünge half.Nach vierstündiger Exposition gegenüber0.25 ng/ml Bryostatin 1 verlängerte sich dasGedächtnis der Schnecke von sieben Minutenauf mehr als eine Woche. Vielleicht entwickeltsich eine neue Karriere dieses marinen Natur-stoffs im Bereich der Alzheimer-Forschung.

    Thomas Lindel und Ute Hentschel

    Weiterführende Literatur

    Simmons TL, Andrianasolo E, McPhail K, Flatt P, Gerwick WH: Marine natural products asanticancer drugs (2005), Mol. Cancer Ther. 4, 333-342

    Butler MS: The role of natural product chemistry in drug discovery (2004), J. Nat. Prod. 67, 2141-2153

    Baker DD, Khisal AA: Small-molecule natural products: new structures, new activities (2004), Curr. Opin. Biotechn. 15, 576-583

    Mayer AMS, Gustafson KR: Marine pharmacology in 2001–2: antitumour and cytotoxic com-pounds (2004), Eur. J. Cancer 40, 2676-2704

    Newman DJ, Cragg GM: Advanced preclinical and clinical trials of natural products and rela-ted compounds from marine sources (2004), Curr. Med. Chem. 11, 1693-1713

    Internetlinks

    Lindel Research Group Marine Natural Products - Tools of Lifewww.cup.uni-muenchen.de/oc/lindel/

    Zentrum für Infektionsforschung - Institut für Molekulare Infektionsbiologiewww.infektionsforschung.uni-wuerzburg.de/hentschel/hentschel.htm

    Kompetenz-Zentrum BIOTECmarinwww.biotecmarin.de/

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