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F. Povacz
Geschichte der Unfallchirurgie
Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH
F. Povacz
Geschichte der Unfallchirurgie
Mit 415 Abbildungen, davon 42 farbig und 30 Tabellen
Springer
Dr. med. Fritz Povacz
WodauerstraBe 10
4673 Gaspoltshofen, Austria
ISBN 978-3-662-07478-7 ISBN 978-3-662-07477-0 (eBook) DOI 10.1007/978-3-662-07477-0
Die Deutsche Bibliothek-CIP-Einheitsaufnahme
Povacz,F.: Geschichte der Unfallchirurgie / F. Povacz. - Berlin; Heidelberg; New York; Barcelona; Hongkong ; London; Mailand ; Paris; Singapur ; Tokio: Springer, 2000
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© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2000
Urspriinglich erschienen bei Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2000.
Softcover reprint of the hardcover I st edition 2000
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Inhaltsverzeichnis
Kapitell: Das 10000 jahrige Vorspiel
Die Entwicklung der Medizin von den fruhen Anfangen his zu Rhazes und Avicenna ......................... .
Die Weiterentwicklung der Medizin im christlichen Ahendland
Die Entwicklung der Medizin im 17. und 18. Jahrhundert Unfallchirurgische Schriftsteller im 17. Jahrhundert Unfallchirurgische Schriftsteller im 18. Jahrhundert . . Weitere Autoren des 18. Jahrhunderts ........ . Weitere wichtige Autoren am Dhergang vom 18. zum 19. Jahrhundert
Erfolge der Unfallchirurgie im 19. Jahrhundert Die ruhigstellenden Verbande ...... . Der Seutinsche Verband . . . . . . . Bedeutende Unfallchirurgische Handbiicher Frakturen ............. .
Offene Knochenbriiche Posttraumatische Fehlstellungen Pseudarthrose ........ . Theorie der Knochenheilung Spezielle Therapie bei Knochenbriichen
Wirhelbriiche ........... . Thoraxverletzungen . . . . . . . . . Schaftbriiche der langen R6hrenknochen Beckenbriiche . . . . . . . . . . . . . . Gelenkfrakturen . . . . . . . . . . . . . Frakturen, die infolge Muskelzuges mit Diastase einhergehen (Patella, Olecranon) . . .
Luxationen ......... . Behandlung von Luxationen Spezielle FaIle
Wirbelsaule Clavikel Schulter .. Ellbogen .. Handgelenk Hiifte Knie und oberes Sprunggelenk Offene Verrenkung
Anmerkungen . . . . . . .
Literatur zur Vorgeschichte
11
15 15 16
17 17
18
18 19 21
23 25 26 27 27 28 28 29 30
32
32
33 33 34 34
34 35 35 35 35 35 35 36
38
39
VI Inhaltsverzeichnis
Kapitel 2: Die Wundinfektion
Bakterien und Wundinfektion
Die Entdeckung der Bakterien und die Frage nach ihrer Herkunft Die Entdeckung der Bakterten ................. . Welche Konsequenzen hatte die Entdeckung der Bakterien? -Das Problem der Entstehung des Lebens . . . . . . . . .
Die Frage nach der biologischen Bedeutung der Bakterien Entwicklungsgeschichte des Bacillus anthracis . . . . . .
Versuchsanordnung zur Erforschung des Entwicklungsganges Biologie des Bacillus anthracis . . .
Der Kampf gegen die pathogen en Keime
Die Entfernung von Bakterien, die in Wunden eingedrungen sind
Die natiirlichen Abwehrmechanismen gegen eingedrungene Bakterien Immunitat im Tierreich
Das angeborene Immunsystem Schutzmechanismen der Haut Schutzmechanismen der Schleimhaute
Das erworbene Immunsystem Antikorper ........ .
Strategien der Bakterien . Strategien des Bakterienwirtes
Die Chemotherapie und die Antibiotika Antibiotika ...
Zusammenfassung
Anmerkungen
Literatur
Kapitel3: Der Kampf gegen den Schmerz
Anfange der Schmerzbekiimpfung - Opium, Haschisch, AderlaB
Die ersten Erfolge mit Ather, Lachgas und Chloroform
Die Lokalaniisthesie . . . . . . . . . . . . . .
Die Weiterentwicklung der Allgemeinnarkose
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . .
Literatur zur Narkose und Lokalaniisthesie
Kapitel 4: Die Entwicklung der Knochenbruchbehandlung ab der Mitte des 19. Jahrhunderts
41
43
43
45
49 57
57 58
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82 82
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91
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95
104
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121
Stand der Knochenbruchbehandlung Mitte des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . 123
Die weitere Entwicklung der Knochenbruchbehandlung ab der Mitte des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
Inhaltsverzeichnis VII
Die konservative Behandlung der Knochenbriiche 125 Die geschlossenen Briiche .......... 125 Die »funktionelle« Knochenbruchbehandlung 129 Anfange der operativen Behandlung 132 Die Plattenosteosynthese 139 Die Markraumbolzung . . . . . 140 Der Fixateur externe ...... 141
Die gesetzliche Unfallversicherung 142
Die Rontgenuntersuchung in der Unfallchirurgie 143 Die Entdeckung der Rontgenstrahlen 144
Die weitere Entwicklung der Knochenbruchbehandlung 147 Frakturen im Einzelnen ................ 151
Neue Methoden in der Frakturbehandlung im 20. Jahrhundert 155 Die direkt am Knochen angreifende Extensionsbehandlung 155 Die weitere Entwicklung der konservativen Behandlung 159 Das Konzept Bohlers fUr die Unfallchirurgie 163
Die Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Unterricht ....................... 165 Bohlers Grundgesetze der Knochenbruchbehandlung 165
Reposition . . . . . . . . . . . . . . . 165 Ruhigstellung ............. 165 Die transossare Extensionsbehandlung 167
Weitere Behandlungsergebnisse Bohlers 168 Oberschenkelbriiche 168 Wirbelbriiche 169 Die Handchirurgie 171
Die weitere Entwicklung der operativen Therapie 174 Die Klammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Die Bohrdrahte bzw. die »Knochenannagelung« 178 Schrauben 179 Platten ..................... 179 Fixateur externe ................ 179 Der Dreilamellennagel und die Behandlung des Schenkelhalsbruches 180 Die operative Behandlung der pertrochanteren Oberschenkelbriiche 188 Die Kompressionsplatte von Danis 192 Knochelbriiche 193 Tibiaschaft . . . . . 194 Schenkelhals . . . . 194 Oberschenkelschaft 194 Obere Extremitat 194
Oberarm . . . . . 194 Unterarm 194 Die Marknagelung 195
Die weitere Entwicklung des Fixateur externe 201
Zusammenfassung der Entwicklung der Osteosynthese bis zur Griindung der AO 205
Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft fUr Osteosynthese 206
Die Deutsche Sektion der AO-International 209
Die Osterreichische Sektion der AO-International 210
Die operative Therapie der Wirbelsiiulenverletzungen 219 Hintere Zugange ......... 219 Vordere Zugange zur Wirbelsaule 222
VIII Inhaltsverzeichnis
Osteosynthesen bei Beckenfrakturen Osteosynthesen am Thorax
SchluBbemerkung
Anmerkungen . .
Literatur zur Knochenbruchbehandlung
Kapitel 5: Die Gelenkverletzungen
Veraltete Verrenkungen Offene Verrenkungen
Verrenkungsbriiche . . Verrenkungen im Einzelnen
Wirbelsaule ...... . Sternoklavikular- und Akromeoklavikulargelenk Schulter Ellbogen .. Handgelenk Finger Becken Hiifte . Knie Oberes Sprunggelenk FuBwurzel und Zehen Andere Gelenkverletzungen Gelenkversteifungen und ihre Behandlung durch Resektion und gelenknahe Osteotomie
Die Bandverletzungen Lockerung Muskelschwund . . Bewegungseinschrankung Arthrose Reizergiisse . . Berufsfahigkeit Sportfahigkeit . Subjektive Beschwerden
Die Arthroskopie
Anmerkungen
Literatur
Kapitel 6: Die Verletzungen der Korperhohlen
6A - Das Schadel-Him-Trauma ........... . Klinik und Behandlung der Schadel-Hirnverletzung
Die Commotio cerebri Die Trepanation Die Schadelbriiche . Die Kalottenbriiche Die Basisbriiche BewuBtseinsstorung und Hirndruck Die zerebrale Angiographie .....
223 224
225
226
227
235 236
236 237 237 238 238 240 240 241 241 241 242 242 242 243
243
244 249 249 249 249 249 249 249 249
258
264
264
Inhaltsverzeichnis IX
Die Echoenzephalographie ............. 297
Computertomographie . . . . . . . . . . . . . 298 Die Nuc1ear-Magnet-Resonanz-Tomographie (NMR) 300 Die intrakranielle Druckmessung 301
Die Oberwachung .......... 303
Das EEG ............... 304
Die fortlaufende Hirndruckmessung 304 Die Ergebnisse in der Behandlung des Schadel-Hirn-Traumas 304
Die Querschnittlasion des Rfickenmarks . . . . . 306
Ergebnisse der neuen umfassenden Behandlung 309
Operative Behandlung 3lO
68 - Verletzungen des Abdomens 312 Darm ............ 312
Netz . . . . . . . . . . . . 315 Parenchymatose Organe (Milz, Leber, Niere) 316
Milz 316 Leber . . . 317 Niere . . . 317
Zur Diagnose 320
Die Probelaparatomie 320 Die Rontgenuntersuchung in der Akutdiagnostik des stumpfen Bauchtraumas 321
Die diagnostische Laparaskopie 321 Die abdominelle Parazentese 323
Fortschritte in der Therapie 324
Milz 324 Leber . . 325 Pankreas 326
Niere . . 326
Zusammenfassung 326
6C - Verletzungen des Thorax 326
Brustwand- und Lungenverletzungen 326 Verletzungen im Einzelnen 332
Die Bronchusruptur 332
Herzverletzungen 332
Perikard 334 GroBe GefaBe 335 Zwerchfellrisse 335
bsophagusverletzungen 335
Anmerkungen 336
Literatur 336
Kapitel 7: Verletzungen der Weichteile
Verletzungen der Haut ..... . Die Wunde und ihre Behandlung . . Die Wundbehandlung ...... .
Verbrennungen und ihre Behandlung Zusammenfassung ........ .
GefaBverletzungen und ihre Therapie Entwicklung der Kenntnisse fiber GefaBe und Blut Behandlung der Verletzungen .......... .
339 339 341
344 356
356 356
357
X Inhaltsverzeichnis
Die GefaBnaht und das Veneninterponat Die Replantation Mikroreplantationen
Nervenverletzungen . Ergebnisbewertung
Sehnenverletzungen . Risse groBer Sehnen (Achilles-, Trizeps-, Quadrizepssehne, Lig. patellae)
Funktionelle Anatomie . . Pathologische Anatomie . Experimentelle Chirurgie Klinische Erfahrung
Anmerkungen
Literatur
Kapitel 8: Schock und erste Hilfe
Die neurale Theorie . . . . . . .
Die Theorie yom Volumenverlust
Die Toxintheorie
Zur Pathophysiologie und Klinik Lunge Niere Leber
Therapie Geschichte der Bluttransfusion Erste Hilfe .
Anmerkungen
Literatur
Kapitel 9: Die Bedeutung der gesetzlichen Unfallversicherungen fUr die Unfallchirurgie
372
375 377 377 377 378
379
381
385
386
386
388 390 390 390
392
392 395
403
405
Der Umbau der Gesellschaft und der Produktionsmethoden im 19. Jahrhundert 407
Die Arbeitsunfallversicherung ...................... 408
Die Entwicklung der Unfallheilbehandlung in Osterreich von 1887-1997 409
Die Entwicklung in Deutschland (BRD) von 1884-1984 412
Literatur
Abbildungsverzeichnis
Personenverzeichnis
Sachverzeichnis . .
415
417
425
433
Geleitwort
Alles und jedes, das uns als Studierende, spater als Ante oder Facharzte begegnete, hat seine eigene Geschichte. In der Medizin, aber auch in jedem anderen Fach, ist Geschichte in der Regel mit einer oder mehreren Personen verbunden, ohne die vieles gar nicht entstanden ware oder doch zumindest ein anderes Gesicht aufweisen wiirde. Dies detailgetreu zu recherchieren und in einen zeitlichen und fachlichen Gesamtzusammenhang zu stellen, ist Dr. Fritz Povacz mit der »Geschichte der Unfallchirurgie« in einer Weise gelungen, die im deutschsprachigen Raum einmalig ist.
Der Autor dieser Monographie, Schiiler von Jorg Bohler, war 17 Jahre in verantwortlicher leitender SteHung als Chefarzt einer der grogten unfaHchirurgischen Abteilungen Osterreichs in Wels tatig. Er hat die moderne Entwicklung der konservativen und besonders der operativen Knochen-bruchbehandlung selbst erlebt und Bewahrtes nicht nur in sein Behandlungskonzept eingefiihrt, sondern auch in einer liickenlosen Dokumentation festgehalten. Ais Primarius war er Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der Osterreichischen Gesellschaft fUr Unfallchirurgie und 3 Jahre deren Prasident. Ais korrespondierendes Mitglied internationaler wissenschaftlicher Fachgesellschaften sowie einer iiberdurchschnittlichen Vortragsund Publikationstatigkeit und eben dieser umfassenden Recherchen zu dies em Werk, verfiigt Dr. Povacz iiber ein augerst fundiertes Wissen, das die entscheidenden Entwicklungen seines Fachgebietes betrifft.
Schon als Medizinstudent wandte er sich dem Studium der Geschichte, der Philo sophie und der Religion zu und erlernte 3 Fremdsprachen - englisch, franzosisch und italienisch. Dies gestattete dem Autor, viele Publikationen zur Geschichte der Unfallchirurgie im Original zu lesen und die wichtigsten Inhalte in die vorliegende Monographie aufzunehmen, an der er mehr als 7 Jahre taglich gearbeitet hat.
Es verdient, festgehalten zu werden, dag das Buch nicht aus einem medizinhistorischen Institut stammt, sondern einen Verfasser hat, der ein Berufsleben lang aktiv und in vorderster Linie in der altesten Fachdisziplin der Chirurgie - der Unfallchirurgie - tatig war. Kompetenter kann Geschichte nicht erzahlt werden.
Angesichts der Fiille des Materials mugte die Entscheidung getroffen werden, diejenigen Entwicklungen auszuwahlen, die den heutigen Fortschritt dieser Disziplin begriinden. Die konsequent getroffene Auswahl kann derjenige gut nachvollziehen, der die stiirmische Entwicklung der Unfallchirurgie in den letzten Jahrzehnten selbst miterlebt hat. Voraussetzungen dazu lieferten die wirkungsvolle Schmerzbekampfung und Anasthesie, Asepsis und Hygiene im Operationssaal, Antibiotika, Diagnostik mittels Rontgenstrahlen und anderer bildgebender Verfahren, Erkenntnisse aus der Biomechanik, Materialkunde und -entwicklungen u.v.a.
Die »Geschichte der Unfallchirurgie« ist in 9 Kapitel gegliedert, von denen eines fast spannender zu lesen ist als das andere. Schon im ersten Kapitel »Das 10 000 jiihrige Vorspie/« wird erkennbar, dag dieses Buch nicht eine oberflachliche Zusammenstellung geschichtlicher Entwicklungen in der Medizin und speziell in der Unfallchirurgie zum
XII Geleitwort
Inhalt hat, sondern ganz fundiert das Wesentliche und Entscheidende aus zuverHissigen Quellen mitteilt. Bezeichnenderweise stellt Povacz den Satz von Soren A. Kierkegard (1813-1855) an den Anfang »Das Leben kann nur ruckwiirts verstanden, muft aber vorwiirts gelebt werden.«
Nach einem groBartigen Kapitel tiber »die Wundinfektion« wird man fasziniert von der Darstellung des »Kampfes gegen den Schmerz«. Umfassend werden im 4. Kapitel »die Entwicklungen der Knochenbruchbehandlung« ab der Mitte des 19. Jahrhunderts herausgearbeitet. Folgender Satz von Johann Wolfgang von Goethe leitet dieses ein: »Das Denken muft immer das Tun und das Tun immer das Denken kontrollieren, nur so entsteht wirkliches Wissen.«
Ein eigenes Kapitel ist den »Gelenkverletzungen« gewidmet und ein weiteres dem »Schiidel-Hirn-Trauma«. Zur Schadeltrepanation wird Guy de Chauliac (1300-1368) zitiert: »Necessarium est in magnis contusionibus denudare et dilatare aliquam partem fracturae, ut possimus abstergere et levare a myringa ychores.«
1m Kapitel 7 werden die geschichtlichen Entwicklungen der Verletzungen der Haut, der GefaBe und der Nerven etc. zusammengefaBt. Das Kapitel »Die Wunde und ihre Behandlung« leitet Povacz mit dem Satz des Evangelisten und Arztes Lukas (Kapitel 10,
Vers 34) ein: »Er ging zu ihm hin, behandelte seine Wunden mit 01 und Wein und verband sie. Dann setzte er ihn auf sein eigenes Reittier und brachte ihn zu einer Herberge und pflegte ihn.«
Das vorletzte Kapitel handelt von »Schock und erste Hilfe«. Beispielhaft stellt Povacz einen Satz von Rene Leriche (1879-1955) voran. »II est peu questions qui aient plus douloureusement trouble la conscience chirurgiale que celie du choc.«
In diesem Kapitel spielt die Geschichte der Bluttransfusion die entscheidende Rolle. Sie ist so spannend erzahlt, daB man sich zurtickversetzt fUhlt in die Zeit der Romer, ins Mittelalter bis hin zu Landsteiner (1868-1943), der 1901 die Isoagglutinine als Ursache der Verklumpung des Blutes nachweisen konnte und 1940 den Rhesusfaktor entdeckte.
Den SchluB des Buches bildet das 9. Kapitel »die Bedeutung der gesetzlichen Unfallversicherungen fur die Unfallchirurgie«.
Die industrielle Revolution hat ftir viele Menschen zunachst nur unsagbares Leid, Entwurzelung, Elend und Krankheit gebracht. Erst die Modernisierung der Produktionsmethoden im 19. Jh. und der Umbau der Gesellschaft haben zu bisher ungeahntem Wohlstand, Reichtum und viel Freizeit gefUhrt. Eine ganz entscheidende Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Unfallversicherungsgesetz yom 6. Juli 1884 zu, wonach der arbeitenden Bevolkerung ein gesetzlicher Schutz garantiert wurde. Die dar in zugesicherten Leistungen galten international als vorbildlich.
Dieser Zusammenhang wird treffend durch den Satz von Johann Wolfgang von Goethe unterstrichen: »Wir leben, so lange es Gott bestimmt hat: aber es ist ein grofter Unterschied, ob wir jiimmerlich wie arme Hunde leben oder wohl und frisch.«
Das Buch aus der Feder von Primarius a.D. Dr. Fritz Povacz erzahlt die Geschichte von der Entwicklung der Unfallchirurgie bis in unsere Zeit hinein. Es ist eine sprudelnde Quelle von unterschiedlichsten Informationen und bietet jedem, der an diesem Fachgebiet interessiert ist, eine Ftille fundierter und lebendig erzahlter Ereignisse, auch tiber Personen, die dieses Fachgebiet maBgeblich befruchtet haben. GleichermaBen stellt es eine Schatztruhe bedeutender Fakten fUr all diejenigen dar, die eigene Forschungsergebnisse und/oder neue Entwicklungen operativer Verfahren im historischen Kontext tiberprtifen wollen.
Dem wertvollen und auBerst informativen Buch ist eine weite Verbreitung und eine interessierte Leserschaft zu wiinschen, die tiber den deutschsprachigen Raum und das beschriebene Fachgebiet hinaus reicht.
Freiburg, im September 1999 Universitatsprofessor em. Dr. med. Eugen H. Kuner
Geleitwort
Vor 50 Jahren schrieb der bertihmte franzosische Chirurg Rene Leriche in seiner »Philosophie der Chirurgie« (Deutsche Ausgabe 1954, S. 161), es sei zu bedauern, »dag keine ausfUhrliche Geschichte zeitgenossischer Chirurgie und nicht zahlreichere Biographien bedeutender Chirurgen« existierten. Anstatt der »fragmentarischen Erzahlungen« wiinscht er ein »Panorama der Ideen ... eine schwierige Aufgabe fur den, der bis zur Wahrheit vordringen mochte«.
Ganz in dies em Geist - umfassend - ist diese groge Geschichte konzipiert und strukturiert. Entstanden ist sie aus der Freiheit der Emeritierung.
Die Unfallchirurgie, in die er weitgehend aus eigener Kraft hineingewachsen ist, hat F. Povacz gepragt. Nun gestaltet er sie: In seinem Werk ist nicht die Chronologie des Geschehens entscheidend, sondern des sen logisch-kausale Zusammenhange. Es geht ihm urn die Entwicklung von der Beobachtung und der Idee tiber das Experiment bis hin zum klinischen Ergebnis - also urn die Beantwortung der Fragen nach dem »Warum« und dem »Wie«. Dabei kommen unvermutete Verbindungen innerhalb des Faches zu Tage. Besonders tiberraschen aber Assoziationen aus benachbarten oder scheinbar entfernten Disziplinen (Biologie, Physik, Chemie etc.).
Die Personlichkeiten (mit Zitaten und Portraits) und deren Beziehungen untereinander werden uns lebensnah vorgestellt. Damals war man sprachgewandt, kannte sich durch viele Begegnungen personlich, oder man war durch Zeitschriften tiber Fortschritte rasch informiert. Wegweisenden Chirurgen und Forschern werden eigene Kurzbiographien gewidmet, worin auch die menschlichen, sozialen bzw. weltanschaulichen Aspekte nicht fehlen.
Die Entwicklung der Unfallchirurgie selbst wird mit Akribie bis in die facherartig aufgespaltene Spezialisierung der Gegenwart verfolgt. Begreiflicherweise ist hier die Denk- und Arbeitsweise der »Bohler-Schule« etwas hervorgehoben.
In den Literaturverzeichnissen werden altere Werke manchmal in ihrer (dem Autor besonders vertrauten) italienischen Fassung zitiert, ein weiterer Hinweis auf seine erstaunliche Belesenheit und augergewohnlichen Kenntnisse.
Die Lekttire ist fUr den historisch Interessierten nicht nur anregend, sondern geradezu spannend. Zweifellos wird dies auch der unvorbereitete Leser so empfinden.
Povaczs »Geschichte der Unfallchirurgie« ist ein sehr bedeutendes Werk. Erwtinscht waren baldige Ubersetzungen ins Englische und Franzosische, denn etwas Vergleichbares existiert nicht.
Gumlingen, im September 1999 PD Dr. med. Dr. h.c.Urs F. A. Heim
Vorwort
Die Unfallchirurgie ist wohl die alteste Form der Chirurgie, die der Mensch ausgeubt hat. Ihre Geschichte umfaBt daher nicht nur zeitlich Jahrtausende, es haben zudem alle Disziplinen der Medizin dazu beigetragen die Behandlungsmoglichkeiten der heutigen Unfallchirurgie zu entwickeln. In Anbetracht dieses Umfangs an Zeit und Stoff ist es unmoglich in einem Buch alle Einzelheiten wiederzugeben. Manchem Leser mag es auch vermessen erscheinen, wenn ein Einzelner sich an ein derartiges Vorhaben heranwagt. Es scheint mir daher notwendig auf die Entstehung und die Absicht des Buches kurz einzugehen. Zur Wahl des Themas war meine 37 jahrige praktische Tatigkeit als Unfallchirurg ausschlaggebend. Nach meiner Promotion im Jahr 1956 trat ich im Unfallkrankenhaus in Linz bei Jorg Bohler ein. Nach 3 Monaten absolvierte ich eine dreijahrige Ausbildung zum praktischen Arzt, anschlieBend kehrte ich ins Unfallkrankenhaus zuruck. Nach Absolvierung der Fachausbildung blieb ich bis 1975 als Oberarzt bei Bohler und ubernahm dann die Leitung der Unfallabteilung des Schwerpunktkrankenr.auses Wels bis zu meiner Pensionierung Ende 1991. rch war zu dies em Zeitpunkt erst 62 Jahre, spurte aber in Spitzenzeiten, daB mir die korperliche Belastung zu schaffen machte. Ein weiterer Grund war die Erkenntnis, daB der sogenannte »BiB«, das Bestreben alle Neuerungen aufzugreifen, deutlich nachlieB. Alles Hinweise, daB es Zeit ist sich zuruckzunehmen. Un mittel bar nach der Pensionierung legte ich ein sogenanntes »Sabbatjahr« ein, d. h., ich tat ein J ahr lang das, was mir Freude machte. Freude machte mir unter anderem das Lesen. Es war vor allem die Geschichte meines Faches, die mich interessierte. Wahrend meiner aktiven Zeit hatte ich auf meinen Reisen, die medizinischen Antiquariate immer wieder besucht und so eine nicht unbetrachtliche Zahl historischer Bucher gesammelt. In dieser Sammlung fand ich auch einen Band der gesammelten Werke von L. Pasteur, mit einem Vortrag Pasteurs zu einer Geschichte der Wissenschaften. Darin ausserte er die Meinung es gabe zwei Arten Geschichte zu schreiben. Die eine bestehe darin, alle Fakten penibel und vollstandig aufzulisten. Die zweite Art besteht darin die Entwicklung der wissenschaftlichen Erkenntnisse im Rahmen der Bedurfnisse und dem Erkenntnisstand der jeweiligen Zeit aufzuzeigen. Dazu die Sichtbarmachung der Motive, welche die Akteure eigentlich bewegten, wie sie als Menschen das Wohlergehen der Menschen fordern wollten und, welche Eigenschaften sie dazu befahigten. Pasteur vertrat die Meinung, die zweite Art der Geschichtsschreibung sei die eigentlich wertvolle. Dabei komme es in erster Linie darauf an, den Gang der Ideen herauszuarbeiten, die Darstellung musse zwar einwandfrei sein, Details seien aber nur soweit wichtig, als sie diesem Ziel dienten. Er vertrat ausserdem die Meinung, diese Art von Wissenschaftsgeschichte sei in der Lage bei der Jugend Begeisterung fUr wissenschaftliches Engagement zu wecken.
Diese Aussage Pasteurs hat mich ermutigt, einen Versuch zu einer derartigen Geschichte zu unternehmen. Wah rend meiner Lekture, die sich als ausserst spannend erwies, hatte ich laufend Aufzeichnungen angefertigt. Daraus war im Verlauf von 2 Jahren das Konzept fUr die ersten zwei Kapitel einer Geschichte der Unfallchirurgie entstanden. Dieses Konzept schickte ich an den Springer Verlag mit der Frage, ob Interesse an einer derartigen Publikation bestehe. Ich erhielt eine sehr positive Antwort und wurde zu einer Besprechung eingeladen. Kurz dar auf wurde ein Vert rag unterzeichnet, der mir 8 Jahre Zeit einraumte. Diese 8 Jahre habe ich mich taglich, ausser Sonntag dem Buch gewidmet, es wurde das nie zur Belastung sondern blieb stets ein GenuK Es war faszinierend zu sehen,
XVI Vorwort
welche Probleme der Entwicklung der Chirurgie und Unfallchirurgie im Wege standen und wie sie letztendlich, oft auf Umwegen, gelost wurden. So ist das Buch eine spezielle Problemgeschichte im Rahmen der allgemeinen Wissenschafts- und Menschheitsgeschichte im Sinne Pasteurs geworden. Geholfen hat mir der Umstand, daB ich mich nach der Matura entschlossen habe, Englisch, Franzosisch und Italienisch soweit zu lernen, daB ich im Stan de war, die besprochenen Autoren in ihrer Originalsprache zu lesen und die im Buch vorkommenden Ubersetzungen selbst vorzunehmen. DaB dem versierten Leser die eine oder andere interessante Einzelheit oder Personlichkeit fehlen wird, ist bei der Hille des Stoffes unvermeidlich. Es muBte eine Auswahl getroffen werden, ich bitte in dieser Hinsicht urn Nachsicht. Ich hoffe trotzdem, allen Interessierten eine reichhaltige Informationsquelle in die Hand zu geben, die auch spann end zu lesen ist.
Die Herren U. Heim und E. Kuner standen mir all die Jahre als Rezensenten zur Seite und haben mir bei Schwierigkeiten geholfen, auf Mangel aufmerksam gemacht und wertvolle Tips gegeben. Beiden mochte ich dafUr herzlich danken.
Ein Dank gebiihrt auch den Angestellten der zahlreichen Institute und Bibliotheken, die ich im Lauf der Jahre kontaktiert habe. Von allen Seiten erhielt ich immer bereitwillig tatkraftige Hilfe.
Dem Springer Verlag und hier vor allem Frau Gabriele Schroder und Ihren Mitarbeitern danke ich fUr die Hilfestellung und die groBziigige Ausstattung des Buches.
Dr. Fritz Povacz Gaspoltshofen, 14. 2. 2000