Gefangenen Info #326

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Gefangenen Info C 10190 3.7.2007 Preis: 1,55 326 Hervorgegangen aus dem Angehörigen Info. Das Angehörigen Info entstand im Hungerstreik der politischen Gefangenen 1989. § 129a-Verfahren in Norddeutschland gegen „linke Szene“ Hausdurchsuchungen in Bad Oldesloe, Hamburg und Berlin Aktivitäten als Globalisierungs- und Militarismusgegner als Anhaltspunkt für Hausdurchsuchungen Ermittler betreiben verfassungswidrige Aufweichung von Durchsuchungsvoraus- setzungen Grundlage der Durchsuchungen vom 19.6.2007 in Berlin wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Verei- nigung gemäß § 129a StGB waren lediglich Bekanntschaften zu weiteren Beschuldigten und legales politisches Engagement. Die Generalbundesanwaltschaft ließ am 19.6.2007 insgesamt vier Objekte in Berlin durchsuchen. Anlass der Durchsuchungen sind Ermittlungsverfahren wegen des Ver- dachts der Mitgliedschaft in einer terroristi- schen Vereinigung nach § 129a StGB gegen zwei Berliner Beschuldigte. Eine Woche zuvor wurden in Schleswig- Holstein und Hamburg bereits zahlreiche Durchsuchungen vorgenommen, die sich ge- gen neun weitere Beschuldigte richteten. Un- ter wechselnden Gruppenbezeichnungen sol- len die Beschuldigten insgesamt vier Bran- danschläge in den Jahren 2002, 2004 und 2006 auf Fahrzeuge der Bundeswehr und ei- ne Firma, die an Rüstungsprojekten beteiligt gewesen sei, verübt haben. Dabei seien die Anschläge in Glinde (2002), Bad Oldesloe und Berlin (2004) sowie erneut Bad Oldesloe (2006) begangen worden. In ständiger Rechtsprechung hat das Bundes-  verfassungsgericht festgeschrieben, dass zu- mindest tatsächliche Anhaltspunkte für die  Wahrscheinlichkeit einer begangenen Straf- tat vorliegen müssen. In den vorliegenden, größtenteils worti- dentischen Durchsuchungsbefehlen wird der Tatverdacht gegen einen Beschuldigten bei- spielsweise daraus abgeleitet, dass er mit wei- teren Beschuldigten bekannt sei und sich als Globalisierungs- und Militarismusgegner en- gagiert habe. Dass Bekanntschaften und politisches En- gagement keineswegs tatsächliche Anhalts- punkte für das Begehen ei- ner Straftat sind, liegt auf der Hand. Als Beispiele für das Fehlen ernsthafter An- haltspunkte sollen zwei Bei- spiele aus den vorliegenden Durchsuchungsbeschlüssen genannt werden: X, der seit 2001 in Berlin lebt, stamme gleichfalls aus Bad Oldes- loe; angesichts der Tatsa- che, dass die Anschläge un- ter der Gruppenbezeich- nung AK Origami in Berlin und Bad Oldesloe gleichzei- tig mit gleicher Zielrichtung begangen wurde, müsse da-  von ausgegangen werden, dass X an der Brandstiftung in Berlin beteiligt gewesen sei. Und: Y sei der engste Vertrau te von X. Y unterhalte außer- dem Kontakte zu weiteren Beschuldigten und halte sich zeitweilig in Bad Oldesloe auf, z.B.  Trotz verstopfter Bypässe keine Haftunter- brechung für herzkranken türkischen Unter- suchungsgefangenen in Hannover Keine Menschenrechte für einen „Terroristen“? Viel Aufmerksamkeit für einen Deutschen im türkischen Knast, aber nicht umgekehrt Seit November 2006 befindet sich mein Man- dant Mustafa Atalay in Untersuchungshaft in Hannover. Ihm wird Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung  vorgeworfen. Anklage ist noch nicht erho- ben, er gilt nach dem Gesetz als unschuldig.. Zum Zeitpunkt seiner V erhaftung war Herr  Atalay nach überstandener Herzoperation in einer Reha-Klinik in Niedersachsen. Von dort wurde er in das Untersuchungsgefängnis in Hannover gebracht. Dort sitzt er seither in strenger Isolationshaft ohne eine zweite Per- son in der Zelle und ohne Deutschkenntnis- se. Seine Gesundheit ist, auch durch eine lan- ge Haft als politischer Gefangener in der Tür- kei mit Foltererfahrungen, stark angegriffen. Neben seinen Herzproblemen leidet er an zu hohem Blutdruck, posttraumatischen Störungen und Diabetes. In den letzten Wochen hat sich Mustafa  Atalays Gesundheitszustand dramatisch ver- schlechtert. Zwei von drei Bypass-Zugängen sind ver- stopft. Der Haftarzt der Justizvollzugsanstalt Hannover hat schriftlich am 29.5.07 die wei- tere medizinische Verantwortung abgelehnt.  Von seinen Anwälten ist eine Haftunter- brechung und die Verlegung in ein ziviles Krankenhaus gefordert worden. Herr Atalay selbst hat sich mit (englischsprachigen) Schreiben u.a. an Kanzlerin Merkel, den nie- dersächsischen Justizminister und das Anti- Folter-Komitee des Europarates gewandt. Bis auf Ausführungen nur zur Unter suchung in die Medizinische Hochschule Hannover ist aber nichts passiert. Er sitzt weiter. „Sicherheitsfragen“ stehen nicht vor dem Schutz der Gesundheit. Ist jemand schwer er- krankt, muss er die ärztlich notwenige Ver- sorgung erhalten. Es darf nicht mit dem Le- ben gespielt werden. Mustafa Atalay muss in ein Krankenhaus verlegt werden.  Jeder, dem seine Freiheit entzogen ist, muss menschlich und mit Achtung vor der dem Menschen innewohnenden Würde behan- delt werden.  Art. 10 Absatz 1 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Rechtsanwalt Dr. Heinz Jürgen Schneider Siehe auch Seite 2 unten  Weg mi  t dem § 129a

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Gefangenen InfoC 10190 3.7.2007 Preis: 1,55 326

Hervorgegangen aus demAngehörigen Info. Das

Angehörigen Info entstand imHungerstreik der politischen

Gefangenen 1989.

§ 129a-Verfahren inNorddeutschlandgegen „linke Szene“

Hausdurchsuchungen in Bad Oldesloe,Hamburg und BerlinAktivitäten als Globalisierungs- undMilitarismusgegner als Anhaltspunkt fürHausdurchsuchungen

Ermittler betreiben verfassungswidrigeAufweichung von Durchsuchungsvoraus-setzungen

Grundlage der Durchsuchungen vom19.6.2007 in Berlin wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Verei-nigung gemäß § 129a StGB waren lediglichBekanntschaften zu weiteren Beschuldigtenund legales politisches Engagement.

Die Generalbundesanwaltschaft ließ am19.6.2007 insgesamt vier Objekte in Berlindurchsuchen. Anlass der Durchsuchungensind Ermittlungsverfahren wegen des Ver-dachts der Mitgliedschaft in einer terroristi-schen Vereinigung nach § 129a StGB gegenzwei Berliner Beschuldigte.

Eine Woche zuvor wurden in Schleswig-Holstein und Hamburg bereits zahlreicheDurchsuchungen vorgenommen, die sich ge-

gen neun weitere Beschuldigte richteten. Un-ter wechselnden Gruppenbezeichnungen sol-len die Beschuldigten insgesamt vier Bran-danschläge in den Jahren 2002, 2004 und2006 auf Fahrzeuge der Bundeswehr und ei-ne Firma, die an Rüstungsprojekten beteiligtgewesen sei, verübt haben.

Dabei seien die Anschläge in Glinde (2002),Bad Oldesloe und Berlin (2004) sowie erneutBad Oldesloe (2006) begangen worden. In

ständiger Rechtsprechung hat das Bundes- verfassungsgericht festgeschrieben, dass zu-mindest tatsächliche Anhaltspunkte für die

 Wahrscheinlichkeit einer begangenen Straf-

tat vorliegen müssen.In den vorliegenden, größtenteils worti-

dentischen Durchsuchungsbefehlen wird der Tatverdacht gegen einen Beschuldigten bei-spielsweise daraus abgeleitet, dass er mit wei-teren Beschuldigten bekannt sei und sich alsGlobalisierungs- und Militarismusgegner en-gagiert habe.

Dass Bekanntschaften und politisches En-gagement keineswegs tatsächliche Anhalts-

punkte für das Begehen ei-ner Straftat sind, liegt auf der Hand. Als Beispiele für 

das Fehlen ernsthafter An-haltspunkte sollen zwei Bei-spiele aus den vorliegendenDurchsuchungsbeschlüssengenannt werden: X, der seit2001 in Berlin lebt, stammegleichfalls aus Bad Oldes-loe; angesichts der Tatsa-che, dass die Anschläge un-ter der Gruppenbezeich-nung AK Origami in Berlinund Bad Oldesloe gleichzei-tig mit gleicher Zielrichtungbegangen wurde, müsse da-

  von ausgegangen werden,dass X an der Brandstiftung

in Berlin beteiligt gewesen sei. Und: Y sei der engste Vertraute von X. Y unterhalte außer-dem Kontakte zu weiteren Beschuldigten undhalte sich zeitweilig in Bad Oldesloe auf, z.B.

 Trotz verstopfter Bypässe keine Haftunter-brechung für herzkranken türkischen Unter-suchungsgefangenen in Hannover

Keine Menschenrechte

für einen „Terroristen“?Viel Aufmerksamkeit für einen Deutschen imtürkischen Knast, aber nicht umgekehrt

Seit November 2006 befindet sich mein Man-dant Mustafa Atalay in Untersuchungshaft inHannover. Ihm wird Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung

 vorgeworfen. Anklage ist noch nicht erho-ben, er gilt nach dem Gesetz als unschuldig..

Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung war Herr  Atalay nach überstandener Herzoperation ineiner Reha-Klinik in Niedersachsen. Von dort

wurde er in das Untersuchungsgefängnis inHannover gebracht. Dort sitzt er seither instrenger Isolationshaft ohne eine zweite Per-son in der Zelle und ohne Deutschkenntnis-se. Seine Gesundheit ist, auch durch eine lan-

ge Haft als politischer Gefangener in der Tür-kei mit Foltererfahrungen, stark angegriffen.Neben seinen Herzproblemen leidet er an zuhohem Blutdruck, posttraumatischenStörungen und Diabetes.

In den letzten Wochen hat sich Mustafa Atalays Gesundheitszustand dramatisch ver-schlechtert.

Zwei von drei Bypass-Zugängen sind ver-stopft. Der Haftarzt der JustizvollzugsanstaltHannover hat schriftlich am 29.5.07 die wei-tere medizinische Verantwortung abgelehnt.

 Von seinen Anwälten ist eine Haftunter-brechung und die Verlegung in ein zivilesKrankenhaus gefordert worden. Herr Atalayselbst hat sich mit (englischsprachigen)Schreiben u.a. an Kanzlerin Merkel, den nie-

dersächsischen Justizminister und das Anti-Folter-Komitee des Europarates gewandt. Bisauf Ausführungen nur zur Untersuchung indie Medizinische Hochschule Hannover istaber nichts passiert. Er sitzt weiter.

„Sicherheitsfragen“ stehen nicht vor demSchutz der Gesundheit. Ist jemand schwer er-krankt, muss er die ärztlich notwenige Ver-sorgung erhalten. Es darf nicht mit dem Le-ben gespielt werden. Mustafa Atalay muss inein Krankenhaus verlegt werden.

 Jeder, dem seine Freiheit entzogen ist, mussmenschlich und mit Achtung vor der demMenschen innewohnenden Würde behan-

delt werden. Art. 10 Absatz 1 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische RechteRechtsanwalt Dr. Heinz Jürgen Schneider 

Siehe auch Seite 2 unten

 Weg mi t dem § 129a

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anlässlich einer Weihnachtsfeier 2005. Auchnehme er an Demonstrationen in Hamburgteil. Außerdem nehme Y nicht nur an Anti-fa-Aktivitäten teil, sondern trete auch aktivals Globalisierungs- und Militarismusgegner in Erscheinung. Seine politischen Aktivitätenentsprächen also dem Betätigungsfeld der 

  vorliegenden terroristischen Vereinigung.Deshalb sei davon auszugehen, dass Y nebenX als Mitglied der Vereinigung in Berlin agiert

und zumindest an dem Brandanschlag am 20.März gegen eine Firma in Berlin, die zu ei-ner Firma in Bad Oldeslos gehört, beteiligtgewesen sei.

RA Daniel Wölky (Berlin): „Angesichts der Begründung des Beschlusses gehe ich davonaus, dass die Ermittler nichts gegen meinenMandanten in der Hand haben. Dass inDeutschland ein Durchsuchungsbeschlussmit Bekanntschaften und politischem Enga-gement begründet werden kann, erschrecktmich. Ich habe angenommen, dass diese Zei-ten längst überwunden wurden.“

RA Alexander Hoffmann (Kiel): „Dieses Er-

mittlungsverfahren wegen § 129a ist ein of-fener Angriff auf legale Strukturen. Mit der 

  vorliegenden Konstruktion der Durchsu-chungsbeschlüsse könnte eine Vielzahl der im Norddeutschen Raum aktiven Antifaschi-sten und Kapitalismusgegner ins Visier der Bundesanwaltschaft geraten. Eine beliebige

 Vielzahl von Hausdurchsuchungen kann an-geschlossen werden. Denn was macht einepolitische Szene aus?: Praktisch kennt jeder 

 jeden und alle sind politisch ähnlich aktiv.Die Durchsuchungen sollen offensichtlich

Druck auf die linksradikale norddeutscheSzene ausüben und dienen vornehmlich zur Einschüchterung und zu einer allgemeinenInformationsbeschaffung.“Quelle: PE vom 21.6. RA Alexander Hoff-mann, RA Daniel Wölky 

Mein Besuchsverbot beiMustafa Atalay

Mustafa ist am 15.11.2006 kurz nach einer Bypassoperation im RehabilationszentrumBad Bevensen auf Betreiben der Bundes-

anwaltschaft verhaftet worden. In diesemZusammenhang gab es über 60 Haus-durchsuchungen, auch insgesamt noch 6Festnahmen wegen § 129b StGB (Mitglied-schaft in einer ausländischen terroristi-schen Vereinigung).

Mustafa, ein linker anatolischer Journa-list, war in der Türkei 20 Jahre weggesperrt.Er wurde während dieser Zeit mehrere Ma-le gefoltert und leidet heute noch an ernst-haften gesundheitlichen Problemen wie ei-ner kaputten Wirbelsäule und posttrauma-tischen Belastungsstörungen.

In der JVA Hannover ist er einzelisoliert,

und es wurden von den Sicherheitsorganeninnerhalb von 7 Monate nur 4 Besuche ge-nehmigt, davon die letzten beiden nur für 30 Minuten. Die Besuche finden mit Trenn-scheibe und unter optischer Überwachung

durch Beamte von LKA (Landeskriminal-amt) und der Anstalt statt.  Vor kurzem erfuhr ich durch meinen

Rechtsanwalt, dass der Ermittlungsrichter beim BGH (Bundesgerichtshof), Dr. Appl,gegen mich Besuchsverbot verfügt hat. Dasist übrigens schon das zweite Besuchsver-

bot. Als Grund für das Besuchsverbot gegenmich wird laut BKA (Bundeskriminalamt)angegeben, sei meine Tätigkeit für Tayadund ich würde daher den Besuch beiMustafa „zur verdeckten Nachrichtenüber-mittlung nutzen“ könnten (BGH vom30.5.07), was natürlich unter diesen über-wachten Bedingungen absurd ist. Ziel die-ser Behörden ist es vielmehr, erstens Besu-cherInnen abschrecken und zu kriminali-sieren und zweitens Mustafas Isolation wei-terhin zu verschärfen.

Tayad ist ein eingetragener bürgerlicher 

 Verein hier in Deutschland, der sich vor al-lem gegen die Isolationsgefängnisse in der Türkei, aber auch gegen andere überall auf der Welt, arbeitet. Ich habe Vorstandsfunk-tionen übernommen, um zum einen hier le-

bende türkischstämmige Menschen vor Kri-minalisierung durch die hiesigen Behördenzu schützen, die einsetzte, wenn sie sich für Tayad hier engagieren, und zum anderenist das Ausdruck meiner internationalenSolidarität, mich gegen Repression hier undanderswo einzusetzen.

 Vor 24 Jahren war ich schon einmal vonBesuchsverbot betroffen, als ich u.a. denGefangenen aus der RAF Christian Klar be-suchte. Christian war ebenso wie andereGefangene aus der RAF und des anti-im-perialistischen Widerstand von verschärf-ter Isolationshaft betroffen. Christian ist seitbald 25 Jahren inhaftiert und muss ebensowie die anderen beiden Gefangenen aus der RAF, Eva Haule und Birgit Hogefeld, be-dingungslos frei kommen!

Damals wie heute sind dieselben Behör-den wie GBA, BKA und Justizministerien

 von Bund und Ländern für die Isolation ver-

antwortlich. Aufgabe aller Linken sollte essein, den Verantwortlichen der Repressionsamt ihrer gesetzlichen Grundlagen wie den§129a und §129b politisch den Boden zuentziehen! Wolfgang

Repression und Grundrechtsabbauim Zusammenhang mit demG8-Gipfel – eine ChronologieDer G8-Gipfel in Heiligendamm im Juni

2007 war nicht nur ein Kristallisations-punkt für die linke Bewegung, er stellt aucheinen Höhepunkt in den staatlichen Versu-chen dar, gesellschaftlichen Protest zu kri-minalisieren und politische Grundrechteeinzuschränken. Die Rote Hilfe e.V. veröf-fentlicht einen ersten Überblick über die ge-zielte Eskalation staatlicher Repressions-maßnahmen im Zusammenhang mit demGipfeltreffen in Heiligendamm.Winter 2006/2007:

Die Bundesregierung kündigt die zeit-weise Aufhebung des Schengener Abkom-mens und die Wiedereinführung von

Grenzkontrollen an, um aus anderen Län-dern kommende AktivistInnen an der Ein-reise zu hindern.

Für den direkten Schutz der „Roten Zo-ne“ um den Tagungsort werden 16.000 Po-lizistInnen eingeplant; bundesweit sollen35.000 im Einsatz sein.Frühling 2007:

Rund um die Sicherheitszone wird mitdem Bau des 12,5 km langen und 2,5 Me-ter hohen Stahlzauns begonnen, der – ver-stärkt durch NATO-Stacheldraht und Über-wachungskameras – den G8-Gipfel vomProtest abschirmen soll. Die Polizeiführungkündigt an, sämtliche Blockadeversuche

 verhindern zu wollen.25. März 2007:

Eine kleine Gruppe von G8-GegnerInnen

wird bei einer Besichtigung der Zaunanla-

ge rund um die „Rote Zone“ von einemenormen Polizeiaufgebot angehalten undkontrolliert. Alle AktivistInnen erhaltenPlatzverweise für die gesamte Region biszum Ende des Gipfels.9. Mai 2007:

In den frühen Morgenstunden finden in40 Wohnungen und linken Projekten -hauptsächlich in Hamburg und Berlin, aber auch in anderen Städten - Hausdurchsu-chungen statt, bei denen Berge von Unter-lagen sowie zahlreiche Computer beschla-gnahmt werden. Anlass ist die groteskeKonstruktion der Bundesanwaltschaft, G8-

GegnerInnen hätten eine „terroristischen Vereinigung“ (§129a) gegründet. Dieser ab-surde Vorwurf, der auch in diesem Fall wie-der einmal nur der Durchleuchtung vonSzenestrukturen dient, lässt sich durch dieriesige Razzia in keiner Weise erhärten und

 verschwindet danach spurlos von der Bild-fläche. Am Abend finden in zahlreichen Städten

Protestkundgebungen und Solidaritätsde-monstrationen statt.10.Mai 2007:

Die Stadt Rostock verbietet den für 7. Ju-ni geplanten Sternmarsch. Die Organisato-rInnen kündigen rechtliche Schritte an.11. Mai 2007:

Innenminister Schäuble kündigt denmassenhaften Einsatz von bis zu zehntägi-

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ger Präventivhaft gegen GipfelgegnerInnenan, die ohne jeden konkreten Verdacht auf-grund bloßer „Einschätzungen“ durch die

Polizei verhängt werden kann.Der Innenminister von Mecklenburg-

 Vorpommern, Caffier, plant die Einrichtungspezieller Gefangenensammellager sowiedie Abhaltung von Schnellverfahren, beidenen die Rechte der Angeklagten starkeingeschränkt sind.15. Mai 2007:

Die G8-Einsatzkoordination „Kavala“ verhängt für die Zeit vom 30. Mai bis zum8. Juni ein vollständiges Versammlungs-

 verbot für ein 40 qkm großes Areal rundum den Tagungsort. Damit erreicht die Pra-xis der demonstrationsrechtsfreien Zoneneine völlig neue Dimension. G8-GegnerIn-nen klagen gegen diese dauerhafte Außer-kraftsetzung von Grundrechten.

Nachdem am 25. Mai das Gericht inSchwerin die betroffene Zone stark einge-schränkt hatte, erklärt das OVG Greifswaldam 31. Mai die polizeiliche Maßnahme für rundum gerechtfertigt. Damit ist das Rechtauf Versammlungsfreiheit mehrere Tagelang für den ganzen Großraum aufgehoben.22. Mai 2007:

Es wird bekannt, dass die Ermittlungs-behörden in mehreren Fällen G8-Gegne-

rinnen zur Abgabe von Geruchsproben für Spürhunde gezwungen haben. Nicht ein-mal die Bundesanwaltschaft kann bei die-ser Repressionsmaßnahme juristisch ver-wertbaren Beweiszweck feststellen.23. Mai 2007:

Die Polizei bestätigt, dass sie über einigeZeit hinweg die Briefpost von Anti-G8-Ak-tivistInnen in Hamburg kontrolliert hat. Siebegründet diesen einschneidenden Grund-rechtsverstoß mit der Suche nach einem Be-kennerschreiben für militante Aktionen inden vergangenen Wochen.28. Mai 2007:

Eine Demonstration gegen den ASEM-Gipfel in Hamburg wird von den Einsatz-kräften behindert und mehrfach angegrif-fen. Letztlich entschließen sich die Organi-satorInnen, die Veranstaltung abzubre-

chen. Auch nach der Auflösung der Demoattackiert die Polizei auf dem Heimweg be-findliche Gruppen mit Wasserwerfern und

nimmt AktivistInnen fest. Am Rande der   Veranstaltung greifen PolizeibeamtInneneine Rechtsanwältin an, die rechtlichen Bei-stand leisten will.Ende Mai 2007:

Über Wochen hinweg sind die Aktivi-stInnen, die rund um Heiligendamm dieCamps vorbereiten, Schikanen, ständigenKontrollen und permanenter Überwachungdurch die Einsatzkräfte ausgesetzt.

Kurz vor Beginn des Gipfels wird eineneue „Sicherheitspartnerschaft“ der Polizeimit einem privaten Unternehmen sichtbar:die Deutsche Bahn AG weigert sich, in der Zeit der Proteste Fahrräder nördlichenMecklenburg-Vorpommern zu transportie-ren. Außerdem wird das DB-Personal ver-pflichtet, größere „verdächtige“ Reisegrup-

pen bei der Polizei zu denunzieren.31. Mai 2007:  Auf Betreiben des Bundeskriminalamts

entzieht das Bundespresseamt ohne Anga-be von Gründen einigen linken und libera-len JournalistInnen die Akkreditierung für den G8-Gipfel und schließt sie somit vonder Berichterstattung vor Ort aus. Alle Be-troffenen hatten zuvor die große Razzia imMai und andere Repressionsmaßnahmen

kritisiert.1. Juni 2007:

Das durch das Schengener Abkommeneingeführte System der offenen Grenzenwird für die Zeit während des Gipfels außer Kraft gesetzt. Bei Grenzkontrollen werdeneinige aus anderen Ländern kommende Ak-tivistInnen an der Einreise gehindert.

Die Polizei beschlagnahmt massenhaftFahrräder von anreisenden Gipfelgegne-rInnen.

Das OVG Greifswald bestätigt das Verbotdes Sternmarschs mit der Begründung, dieDemo könne von den Regierungschefs als

„unfreundlicher Akt“ wahrgenommenwerden.2. Juni 2007:

Das Bundesverfassungsgericht hebt das Verbot der antifaschistischen Demonstrati-on in Schwerin nicht auf, die sich gegen ei-nen „Anti-Globalisierungs“-Naziauf-marsch richtet. Damit bleiben beide Demos

 verboten. 150 AntifaschistInnen, die trotz-dem nach Schwerin gefahren sind, werdenin Gewahrsam genommen. Die NPD kanndagegen ungehindert in verschiedenenStädten kleinere Demonstrationen abhalten(unter anderem am Brandenburger Tor). Am Nachmittag findet die große Anti-

G8-Demonstration mit 80.000 Teilnehme-rInnen in Rostock statt, die von Anfang anpolizeilichen Provokationen ausgesetzt ist.

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Schließlich nimmt die Polizei die Beschä-digung eines auf der Route geparkten Ein-satzfahrzeugs zum Anlass, um die Demomassiv anzugreifen. Auf die militante Ge-genwehr eines Teils der AktivistInnen rea-giert die Polizei mit dem permanenten Ein-satz von Wasserwerfern, Tränengas undbrutalen Schlagstockattacken. HunderteGipfelgegnerInnen werden verletzt, etwa170 Menschen in Gewahrsam genommen.

RechtsanwältInnen und DemosanitäterIn-nen, die den Festgenommenen helfen wol-len, werden von der Polizei behindert undbedroht.3. Juni 2007:

Nachdem die Polizei ursprünglich von ca.140 verletzten BeamtInnen gesprochenhatte, korrigiert sie gegenüber der Presse dieZahl um ein Vielfaches nach oben: an die500 PolizistInnen hätten demnach Verlet-zungen erlitten, was sich später als purePropaganda erweist: der weitaus größte Teilder Verletzungen bestand aus blauenFlecken und Reizungen durch das selbst

 versprühte Tränengas, ein einziger Polizistmusste stationär behandelt werden. DieMedien behalten die ursprünglichen Poli-zeiangaben dennoch bei.

Die Polizei hindert die AnwältInnen desRepublikanischen Anwältinnen- und An-wältevereins (RAV), mit ihren MandantIn-nen Kontakt aufzunehmen, indem sie denin Gewahrsam genommenen AktivistInnendie ihnen zustehenden Anrufe verweigertund die JuristInnen in den Gefangenen-sammelstellen behindert.

Bildzeitung und Spiegel überbieten sichin reißerischer Propaganda über die „Orgieder Gewalt“ in Rostock. Einige SprecherIn-

nen von Anti-G8-Organisationen distan-zieren sich unter dem Druck von Polizei undMedien von nicht näher bestimmten „Au-tonomen“ und fordern gar dazu auf, sie beider Polizei zu denunzieren.

Die Polizeigewerkschaft NRW fordert den Ausschluss Heiner Geißlers aus der CDU.Dieser hatte in einer Fernsehdiskussion ge-sagt: „Wenn ich demonstriere, dann neh-me ich ein Grundrecht wahr. Wenn micheiner anfasst, dann schlage ich zurück - und

wenn es ein Polizist ist: dann schlage ichzurück“. MdB Petra Pau kommentiert: „Esgibt im Grundgesetz ein Demonstrations-recht, aber keine Anfasspflicht. Das giltmeines Wissens auch für CDU-Mitglieder.“4. Juni 2007:

Das OVG Greifswald erlaubt die für denFlughafen Rostock-Laage geplante Demonur unter der Auflage, dass anstelle der 1500 angekündigten AktivistInnen die Zahl

 von 50 nicht überschritten wird. Mit dieser Zulassung einer Handvoll von Quotenop-positionellen legt das Gericht das Grund-gesetz neu aus: Versammlungsfreiheit gilt,solange keineR sie nutzt.

Die Polizei setzt diese neue Linie amNachmittag gleich in die Praxis um. Nach-dem sie die Demonstration für Flüchtlings-rechte in Rostock von Anfang an durchBlockaden behindert und durch exzessiveKontrollen mehrere Stunden lang aufge-halten hat, löst sie die Versammlung auf,weil sich zu viele Menschen daran beteili-

gen: anstatt der angekündigten 2000 An-tirassistInnen sind 8000 erschienen.5. Juni 2007:

Konservative Politiker überbieten sich inabsurden Vorschlägen zur Unterdrückungder Anti-G8-Proteste: Sebastian Edathy(SPD) fordert den Einsatz von Gummige-schossen gegen DemonstrantInnen, andere

 Abgeordnete von CDU und SPD fordern denEinsatz der Anti-Terror-Einheit GSG 9.

Das BVG bestätigt die absurden Auflagengegen eine Mahnwache „Jüdische Stimmefür einen gerechten Frieden in Nahost“:demnach dürfen15 Menschen teilnehmen,

wenn sie 24 Stunden vorher der Polizei na-mentlich benannt werden. Die Veranstalte-rInnen sagen die Demonstration daraufhinab.

Die Polizei lanciert die gezielte Falsch-

G8: Zwei sitzen nochim Knast

Die Rote Hilfe OG Rostock fordert diesofortige Freilassung der letzten beidenGipfel-Gegner, die sich derzeit immer noch in Untersuchungshaft in der JVA

 Waldeck befinden. Sie waren während der internationalen Großdemonstration am

2.Juni im Zuge der brutalen Polizeian-griffe festgenommen worden, bei denenzahlreiche Demonstrierende zum Teilschwer verletzt wurden.

Ihnen wird Landfriedensbruch und Wi-derstand gegen die Staatsgewalt vorge-worfen.

Einer der Gefangenen kommt aus Ro-stock. Die Begründung für seine immer noch andauernde Haft ist, dass er durchseine Teilnahme an der Großdemonstra-tion am 2.Juni gegen seine Bewährungs-auflagen verstoßen habe.

Bei dem anderen Gefangenen handelt

es sich um den in den Niederlanden le-benden L.Y., der Mitarbeiter im Institut für 

internationale Kultur und Kunst (VEK-SAV) und Vorstandsmitglied des Vereinstürkischer Arbeiter und Schüler (TIÖD)ist.L.Y. hat im Jahre 2002 in einem türki-schen Gefängnis am Todesfasten gegendie Isolationshaft teilgenommen und istdarauf in die Niederlande geflohen. Er istanerkannter politischer Flüchtling und inFolge der Traumatisierung durch die Er-

lebnisse in türkischen GefängnissenFrührentner und in psychologischer Be-handlung, die fortgesetzt werden muss.

Es ist durch nichts zu rechtfertigen, dassdie Aktivisten weiter in Haft gehaltenwerden. Dadurch wird offensichtlich, dassdie Polizeibehörden ihren auf Repressionund Einschüchterung abzielenden Kurswährend der Protesttage gegen den G8Gipfel fortzusetzen gedenken. Wir rufen alle linken, fortschrittlichen

Kräfte und Organisationen dazu auf, dieInhaftierten politisch und materiell zu un-terstützen und sich für ihre Freilassung

einzusetzen.Rote Hilfe OG Rostock

Armeeeinsatz gegen dieeigene Bevölkerung

  Verfassungsrechtlicher Dammbruch inHeiligendamm - Armeeeinsatz gegen dieeigene Bevölkerung in greifbare NähegerücktDer Bundeswehrgefreiter gegen demon-strierende G8-Gegner hatte weit größere

 Ausmaße, als das Bundesinnenministeri-

um und das Verteidigungsministeriumbislang zugegeben hatten: Zur Überwa-chung der Proteste waren zahlreiche Pan-zerspähwagen des Typs Fennek einge-setzt, Tornados flogen Einsätze bis hinabzur niedrigsten zulässigen Höhe von 150Metern, um die Camps der Gipfelgegne-rInnen auszuspähen. Das Verteidigungs-ministerium räumt mittlerweile den Ein-satz von 2100 BundeswehrsoldatInnenein.

Gegenüber der Tageszeitung „Junge  Welt“ bestätigte ein Sprecher, dass der 

Bundeswehr selbst das Hausrecht für Tei-le des Krankenhauses in Bad Doberan ein-geräumt wurden. Die Bundestagsabge-ordnete Eva Bulling-Schröter hatte darü-

ber berichtet, bei einem Besuch in der Kli-nik bis hinein in das Krankenzimmer vonBundeswehrangehörigen überwacht wor-den zu sein.

Der parlamentarische Staatssekretär im  Verteidigungsministerium WolfgangBosbach (CSU) rechtfertigte den Armee-einsatz gegen DemonstrantInnen als„technische Amtshilfe“. Damit wird das

 verfassungsmäßige Verbot von Bundes-wehreinsätzen im Inneren des Landes fak-

tisch ausgehebelt.Eine Sprecherin der Roten Hilfe erklär-te dazu: „Es ist nicht schwer, sich vorzu-stellen, wohin dieser verfassungsrechtli-che Dammbruch führen kann, wenn eseinmal um mehr gehen sollte, als um un-angemeldete Demonstrationen gegen einTreffen von Regierungschefs. Die BRD istdamit einen weiteren Schritt in Richtungmilitärischer Aufstandsbekämpfung ge-gen innergesellschaftliche Proteste ge-gangen.“

Die Rote Hilfe wird alles in ihren Kräf-ten stehende tun, um dem Abbau des De-

monstrationsrechts und der Versamm-lungsfreiheit etwas entgegenzusetzen.Mathias Krause für den Bundesvorstandder Roten Hilfe, Göttingen,14.6.07

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meldung, als Clowns verkleidete Demon-strantInnen hätten PolizistInnen mit Säurebesprüht und 8 BeamtInnen verletzt. ImNachhinein wird bekannt, dass es sich beider Flüssigkeit um Orangensaft handelte.

Eine weitere frei erfundene Meldung setztdie Polizei am selben Tag in die Welt: De-monstrantInnen hätten Kartoffeln mit Ra-sierklingen und Nägeln gespickt, um sie als

  Wurfgeschosse einzusetzen. Auch dieses

Gerücht verschwindet ohne Belege wieder im fantasievollen Propagandaarsenal der Polizei.

Das erste absurde Schnellverfahren fin-det statt: ein nicht vorbestrafter Mann ausSüddeutschland wird zu 10 Monaten Haft

 verurteilt, weil er Steine geworfen habensoll. Verletzt wurde niemand.6. Juni 2007:

Die Bundeswehr ist im Gebiet um Heili-gendamm unter anderem mit Spähpanzernund Tornados, die die Camps überfliegen,am Einsatz gegen DemonstrantInnen be-teiligt, indem sie Lagebilder erstellt und die-

se der Polizei weiterleitet. Damit ist dasgrundgesetzliche Verbot des Bundesweh-reinsatzes im Inneren faktisch außer Kraftgesetzt.

In weiteren 7 Schnellverfahren werdenMenschen zu Haftstrafen zwischen 7 und10 Monaten verurteilt. In den Verfahren lie-gen meist keine ernstzunehmenden Bewei-se vor, das Recht auf anwaltlichen Beistandwird nur unzureichend gewährt.

Nach wie vor verwehrt die Polizei den An-wältInnen Kontakt zu ihren MandantInnen,indem sie ihnen den Zutritt zu den Gefan-genensammelstellen (GeSa) vollständig un-tersagt. Auch bei den Blockadeaktionen se-hen sich die JuristInnen massiver Repres-sion ausgesetzt. Immer wieder werden Mit-glieder der deutlich gekennzeichneten „Le-gal Teams“ von PolizeibeamtInnen in ihrer 

 Arbeit behindert, bedroht und sogar tätlichangegriffen.

In der GeSa in der Rostocker Industrie-straße sind jeweils bis zu 20 Menschen inoffenen Käfigen eingesperrt, ohne ausrei-chend Decken und Nahrung, mit 24 Stun-den Neonlicht und Kameraüberwachung.

Trotz Wasserwerfern und Tränengas ge-

lingt es, den Gipfel nahezu vollständig zublockieren. Der Tagungsort ist nur per Schiff und Hubschrauber zu erreichen. Beieiner Blockade enttarnen DemonstrantIn-nen mehrere Agents provocateurs. Die Po-lizei bestreitet den Vorwurf zunächst, mussihn in den folgenden Tagen jedoch zuneh-mend bestätigen, nachdem der Presse Fo-tos der enttarnten ZivilbeamtInnen vorge-legt werden.

Das Bundesverfassungsgericht verbietetendgültig den großen „Sternmarsch”, der in der Nähe des Zauns stattfinden sollte.Zugleich werden alle Ersatzveranstaltun-

gen, die für diesen Fall bereits vorsorglichin größerer Entfernung von der „Roten Zo-ne“ angemeldet wurden, ebenfalls unter-sagt. Damit wird die Versammlungsfreiheitsogar außerhalb des 40qm-Gebiets ausge-

hebelt.7. Juni 2007:

Schlauchboote von Greenpeace, die ander Küste in die Sicherheitszone einge-drungen waren, um einen Brief an die G8zu übergeben, werden mit Kampfschiffenund Hubschraubern gejagt. Zwei Bootewerden von einem Motorschiff regelrechtüberfahren, die Insassen müssen vorläufigins Krankenhaus eingeliefert werden.

Die Repression gegen die „Legal Teams“bei den Blockaden erreicht einen neuenHöhepunkt: der Anwalt Dietmar Sasse wird

 von Polizisten geschlagen, gestoßen und et-wa 100 Meter weit über den Boden ge-schleift. Im Anschluss werden er und eini-ge seiner KollegInnen schikanösen Kon-trollen unterzogen.

Mitglieder des Anwaltlichen Notdienstesdemonstrieren vor der GeSa gegen die Ver-unmöglichung ihrer Arbeit. Die Polizei rea-giert darauf mit Platzverweisen gegen dieTeilnehmerInnen dieser Protestaktion. Da-mit stellt es einen Rechtsverstoß dar, wenn

sich die RechtsanwältInnen erneut dem Ortnähern, an dem ihre MandantInnen inhaf-tiert sind.  Aufgrund der unsäglichen Haftbedin-

gungen treten sechs Gefangene in Hunger-streik.8. Juni 2007:

Die Abschlusskundgebung der G8-Geg-nerInnen wird von der Polizei massiv be-hindert und gestört. Die etwa 5000 De-monstrantInnen lassen sich jedoch nichtprovozieren.

Im Anschluss findet eine Spontandemomit etwa 500 TeilnehmerInnen zur GeSa inder Industriestraße statt, wo noch immer 

 AktivistInnen unter menschenunwürdigenHaftbedingungen festgehalten werden.

Ermittlungsausschuss und Anwaltlicher Notdienst ziehen Bilanz: während der Gip-felproteste 1200 Gewahrsamnahmen undFestnahmen gekommen.

Ebenso erschreckend sind die zahllosenGrundrechtseinschränkungen, vor allembei der Versammlungsfreiheit und der Frei-zügigkeit, der Ausbau der Überwachung so-wie die Verweigerung zentraler Rechte für Festgenommene, insbesondere des Rechts

auf anwaltlichen Beistand.9. Juni 2007: August Hanning, Staatssekretär im Bun-

desinnenministerium, kündigt eine stärke-re geheimdienstliche und polizeiliche Über-wachung der nicht näher definierten „au-tonomen Szene“ an.13. Juni 2007: Auf die Ankündigung des Innenministe-

riums folgen erste Konsequenzen: In Ham-burg und Schleswig-Holstein werden auf 

 Weisung der Bundesanwaltschaft 11 Woh-nungen und Objekte durchsucht. Als Be-gründung wird erneut eine angebliche ter-

roristische Vereinigung aus dem Hut ge-zaubert. Beschlagnahmt werden hingegenin erster Linie Computer und Unterlagen,die Aufschluss über politische Zusammen-hänge und Diskussionen liefern können.

 „Aachen4“ – José Fernandez Delgado

Besuch durch die TrennscheibeJosé Fernandez Delgado, einer der „Aa-chen4“, wurde seit seiner Verurteilung zu14 Jahren am 28.09.2005 von Knast zuKnast verschubt. Nachdem es zuletzt in der JVA Bochum immer wieder Schwierigkei-

ten gab mit den Besuchen, der Post, Kla-motten etc. und Freundinnen und Freundeimmer wieder intervenierten, wollte mansich des „Problems“ Delgado wohl entledi-gen und so sitzt er jetzt in der JVA Rhein-bach.

Die Situation von José hat sich nicht ver-bessert. Es wird verhindert, dass er am Deut-schunterricht teilnehmen kann, er ist 23Stunden in seiner Zelle eingesperrt und der letzte Besuch seines Anwaltes wurde un-terbunden, da José seine Knastklamottengerade in der Wäsche hatte und Besuche imTrainingsanzug, den José stattdessen trug,

nicht erlaubt sind. Dass sein Anwalt der Be-sucher gewesen war, wurde José überhaupterst mitgeteilt, als dieser, mit der Begrün-dung, dass José ihn nicht sehen wolle, wie-der weggeschickt worden war. Ende Febru-ar diesen Jahres wurde bei José nach einemBesuch von Freunden eine kleine MengeGras gefunden. Da José vor dem Besuchnicht durchsucht worden war, beschloss die

 Anstalt, dass er das Gras während des Be-suches bekommen haben musste, leitete einErmittlungsverfahren ein, sowohl gegenden Besucher als auch gegen José. Ebensowurde angeordnet, dass für einen Zeitraum

 von drei Monaten Besuche nur durch dieTrennscheibe gemacht werden dürfen. Diedrei Monate sind mit Ende Mai 07 zu Endegegangen. Die Trennscheibe bleibt. An Stel-le der Begründung „Bestrafung“ ist nundie Begründung „Sicherheit“ getreten. Joséwill keine Besuche mit Trennscheibe, da er befürchtet, dass dieser Zustand dadurch zur Normalität werden könnte.

Freundinnen und Freunde wollen, nebendem juristischen Beistand durch den An-walt, diese neuerliche Schikane so nichthinnehmen und haben beschlossen

zunächst eine Protestbrief/fax-aktion zuinitiieren.Kurz zuvor gab es bereits eine ähnliche

 Aktion für Gabriel Pombo Da Silva, der inder JVA Aachen sitzt und dem immer wie-der Post vorenthalten wurde, Briefmarken,Bücher und CDs nicht ausgehändigt wur-den. Diese Aktion, an der sich Unterstütze-rInnen, wie bei José jetzt auch, ausHolland, Belgien, Spanien, Frankreich,England und Deutschland beteiligten, war erfolgreich. UnterstützerInnen

Justizvollzugsanstalt Rheinbach 

Heinz-Jürgen Binnenbruck Aachener Str. 47 • 53359 Rheinbach Telefon: 02226) 86-0 Telefax: Telefax: (02226) 86-209 E-Mail: [email protected] 

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Christianist wiederim Knast… trotz schwerer Krankheit und Zweifel anRechtmäßigkeit des Urteils.

Der Berliner Christian musste am 14. Junidie Haft von insgesamt 40 Monaten antre-ten. Das „Strafmaß“ setzt sich aus einer Ver-urteilung wegen Landfriedensbruch am 1.Mai 2004 und einem Bewährungswiderruf wegen Landfriedensbruch am 12. März2000 zusammen. Beide „Straftaten“ - wir halten Antifaschismus für keine strafbareHandlung - waren gegen die Durchführung

 von Großaufmärschen der NPD gerichtet.Die Bewährung im ersten Verfahren wur-

de wegen der erneuten Verurteilung wegenLandfriedensbruch widerrufen. Die Verur-teilung im 1.Mai 2004-Verfahren kam al-lerdings durch einen Deal zustande, der rechtsethisch höchst umstritten ist.

Christian wurde Anfang 2006 vom Amts-gericht Berlin genötigt, seine Berufung indem 1. Mai 2004-Verfahren zurückzuzie-hen. Als Ausgleich sollte er in einer ande-ren Sache von der Untersuchungshaft ver-schont werden. Wegen seiner schweren He-patitis C-Erkrankung und der unzureichen-den medizinischen Behandlung in der JVA-Moabit, gab es für ihn keine andere Mög-lichkeit, seine Gesundheit zu schützen, alsauf den Deal der Richterin Dr. Linke einzu-gehen. Er musste seine Rechtsmittel aufge-ben, um seine Gesundheit zu bewahren. Ge-gen diesen Deal legte seine RechtsanwältinStudzinsky Widerspruch ein. Obwohl dieEntscheidung über die unzulässige Beru-fungsrücknahme noch aussteht, wurde andem Haftantritt festgehalten.

Der Haftantritt am 14. Juni wird seineKrankheit wieder enorm verschlimmern.

Die Gesundheitsversorgung für Gefangeneist in den Berliner Haftanstalten nachweis-lich dramatisch. Auch seine Verteidigungin dem noch folgenden Verfahren kann er nicht ordentlich vorbereiten.

Obwohl Christian über den zweiten Bil-dungsweg sein Abitur nachholt, sich in vie-len Vereinen sozial engagiert und wegenseiner schweren Erkrankung therapeutischbetreut werden muss, ist er nun im Ge-fängnis.

Die Strafverfahren gegen Christian in denletzten drei Jahren sorgten für viel öffent-liches Interesse, da die Anonymisierung

  von einfachen Polizeizeugen vor Gerichtund die z.T. rechtwidrigen Taktiken ver-deckt ermittelnder Beamter des Landeskri-minalamtes immer wieder thematisiertwurden.

Ein weiteres Verfahren steht in diesemZusammenhang noch aus. Zwei anonymeLKA-Beamte geben an, Christian bei einer Straftat gesehen zu haben - weitere Bewei-se sind nicht bekannt.

Justizvollzugsanstalt Hakenfelde in Ber-lin-Spandau

Trotz des eingelegten Gnadengesuchs istChristian seit dem 14. Juni weggesperrt.Grundsätzlich werden Verurteilte nach kur-zer Zeit zum Strafantritt geladen, unab-hängig davon, ob wirklich die Vorrausset-zungen dafür vorliegen. Besonders proble-

matisch in Berlin ist die seltene Strafaus-setzung zur Bewährung nach 2/3 der Stra-fe, im letzten Jahr ist das nur 33 Mal vor-gekommen.

Platz für 418 Gefangene soll dort lautSelbstdarstellung der JVA vorhanden sein,aber dieses Gefängnis ist wie alle anderenin Berlin chronisch überfüllt. Deswegenhockt er in einer Zelle eines umgebautenFreizeitraum mit 3 weiteren Männer. AlsNichtraucher und Veganer muss er sich mitdrei stark qualmenden TV-Junkies einenHaftraum teilen, was nicht nur eine Zumu-tung, sondern auch eine zusätzliche Ge-

fährdung seiner schon durch Hepatis C ge-schwächten Gesundheit, ist.Hinzu kommt auch noch die mangelnde

bzw. die fast fehlende medizinische Ver-sorgung in den Gefängnissen.

Essen wird nur einmal am Tag ausgege-ben. Von selbst nach bürgerlichen Vorstellun-

gen festgelegten gesetzlichen Bestimmun-gen und Verordnungen kann in dieser Spandauer Anstalt nicht gesprochen wer-den, denn sie gibt es nicht. So bestimmendie reaktionären bis neonazistischen Be-diensteten willkürlich nach Lust und Lau-ne, was erlaubt und was verboten ist. Sokönnen z.B. Besuche bei „Fehlverhalten“der Beteiligten abgebrochen werden, aber was genau erlaubt oder verboten ist, ist un-bekannt.

Hakenfelde hat eigentlich auch einen of-fenen Vollzug, aber für Christian trifft daserst einmal nicht zu. Von den Sozialarbei-tern wurde ihm dieser verwehrt, da er zu„alt und kriminell“ sei.

Tagsüber hätte er neben seiner externenRekonvaleszenz die Schule weiter besuchenkönnen , um die Hochschulreife zu erlan-gen.

Berufungsverhandlung mit codiertenPolizeizeugen gegen Berliner Antifashat begonnen

  Am 21.Juni 2007 hat die Berufungsver-handlung gegen Christian und Leila vor dem Landgericht Berlin begonnen. Der Vor-wurf lautet schwerer Landfriedensbruch für Christian bzw. Beihilfe zu selbigem und

Übernimm auch DU eine Paten-schaft für Christian Sümmermann

  Am 14. Juni 2007 hat Christian eineHaftstrafe von 40 Monaten angetreten.Um ihm auch im Knast weitere politische

 Arbeit und ein angenehmes Leben zu er-möglichen, wird Geld gebraucht.

Christian ist ein langjähriger linksradi-

kaler Aktivist mit einem entsprechenden  Vorstrafenregister. Seine aktuelleHaftstrafe beruht auf zwei Verurteilungenwegen Landfriedensbruch bei der aktiven

 Verhinderung von Neonaziaufmärschenin den Jahren 2000 und 2004.

Christian hat seine Strafverfahren inden letzten Jahren trotz hoher Haftandro-hungen immer politisch und konfronta-tiv geführt. So standen nicht seine Reueoder genaue Tatumstände im Vorder-grund der Gerichtsverhandlungen, son-dern vielmehr illegale Polizeipraxis,staatsanwaltschaftliche Rechtsbrüche

und politische Justiz.Die Verselbstständigungstendenzen des

Berliner LKA und der Ausbau zu einemunkontrollierbaren Billig-Geheimdienstkonnten am Fallbeispiel Christian in dieÖffentlichkeit gezerrt werden. Eine offen-sichtliche Verquickung von Staatsschutz,Staatsanwaltschaft und einer gefügigenGerichtsbarkeit sorgten für viel Aufsehen.Das alles spielt auch für andere Strafver-fahren eine große Rolle.

Christians unfreiwillige Aufenthalte in

Untersuchungshaft bzw. die mangelhaftetherapeutische Betreuung seiner Hepati-tis-C Erkrankung veranlassten seinen Un-terstützerkreis, das Thema Gesundheitund Menschenrechte im Knast ebenfallsin den Fokus zu rücken. Dass Todesfälleim Knast plötzlich als Folge korrupter Schließer und verdeckter Missstände gel-ten, ist auch dieser Arbeit geschuldet.

Christian konnte aufzeigen, dass mit einbisschen Solidarität von außen die ent-rechteten Gefangenen sich auch selbst zur 

 Wehr setzen können.Christian will sich auch weiter politisch

betätigen. Auch DU kannst es ihm er-möglichen.

Pate/in wird, wer monatlich 10 Eurospendet. Wenn ihr uns zusätzlich per Mailüber eure Patenschaft informiert, könnenwir euch während der Haftzeit jeweilsüber den aktuellen Stand informierenÜberweisungen an:

Kontonummer: 1591 9683 00

Stichwort: Patenschaft ChristianKontoinhaberin: ssb e.v.Bankname: SEB berlinBankleitzahl: 1001 0111Swift/BIC: ESSE DE5F 100IBAN: DE61 1001 0111 15919 683 00

Christians Knastadresse:Christian SümmermannBuchungsnummer: 343-07-3JVA HakenfeldeNiederneuendorfer Allee 140-15013587 Berlin

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 Verstoß gegen das Waffengesetz für Leila. Anlass war der Naziaufmarsch am 13. Fe-bruar 2005 in Dresden, der Jahrestag der Bombardierung der Stadt. In erster Instanzwurden die beiden zu einem Jahr ohne Be-währung bzw. 7 Monate auf Bewährung

 verurteilt.Die Verurteilung stützt sich einzig und al-

lein auf die Aussage eines Polizisten, der inZivil vor Ort war, um Berliner Antifas zu

beobachten Er tritt vor Gericht nur mit ei-ner Codiernummer und äußerlich verändertauf und behauptet gesehen zu haben, wieChristian eine Flasche in Richtung der räu-menden Polizeikette am Schlossplatz warf.

 Von der angeblichen Tat gibt es kein Vi-deomaterial. Aber den dringenden Ver-dacht, dass es welches gab, dieses aber ent-lastend war und deshalb vernichtet wurde.Obwohl es einen Beweisantrag der Vertei-digung gibt, der diesen Verdacht aufklärensoll, lehnte ihn das Gericht ab, um zu ver-meiden, die Glaubwürdigkeit von Berliner Staatsschutz und dem damals zuständigen

Staatsanwalt in Dresden, der die Vernich-tung angeordnet hatte, in Frage stellen zumüssen.

Ein zweiter codierter und anonymisierter Polizist 56765 hat nicht die Tat beobachtet,aber steht trotzdem vor dem Gericht undseine Rolle ist die Glaubwürdigkeit von sei-nem Kollegen, der die Tat beobachtet ha-ben soll, zu erhöhen, indem er durch seine

 Aussagen, die des Kollegen 56766 bestäti-gen sollte, was ihm aber nicht gelingt.

Trotz eines Urteils des Verwaltungsge-richts Berlin vom 22. November 2006, dasden angegriffenen Bescheid der Senatsver-waltung für Inneres vom 16. November 2005 für rechtswidrig erklärt, weil es dieRechte des Klägers (Christian ) verletzt. Ob-wohl durch das Urteil indirekt das Amtsge-richt Tiergarten angewiesen wird, eine Ver-fremdung der Zeugen nicht zu gestatten,haben sich diese zwei Zeugen jetzt erneutmit Perücke und falschen Augenbrauen

 vors Gericht gestellt. Und das Gericht hatkeinen besonderen Wert darauf gelegt, dassdie Verwaltungsgerichtsentscheidung auchbefolgt wird. Offenbar ist es nicht gewillt,die Methoden des Berliner Staatsschutz an-

zutasten.  Am Ende der drei Tage Berufungsver-handlung hat das Gericht einen Wider-spruch zwischen der Aussage des angebli-chen Tatzeugen und dem Videomaterial,das von der Löschung verschont gebliebenist, festgestellt. Falls dieser Widerspruch be-stätigt wird, würde das einen Freispruch für Christian in dem Verfahren bedeuten. Der 

 Widerspruch basiert auf den voneinander abweichenden Uhrzeiten im polizeilichen

 Videomaterial und der vom Tatzeugen an-gegebenen Uhrzeit, der die Tat um Punkt16 Uhr beobachtet haben will.

Die einzige Waffe der Staatsanwalt ge-genüber diesem Widerspruch war zu sagen,dass polizeiliches Videomaterial selten dietatsächliche Uhrzeit zeigt. Diese absurde

 Aussage, die eigentlich die ganzen Polizei-

filmerei auf Demos in Frage stellt, ist jetztdie größte Barriere, die die Verteidigung am18.7. im Saal 700 im Landsgericht Berlin zudurchbrechen hat, um endlich ein Frei-spruch für Christian zu kriegen.

…Soligruppe Christian S.www.freechristian.gulli/to

19. Juni – Tagder revolutionärenGefangenenDer 19.6., der in Italien, Spanien, Frank-reich und mehreren anderen Ländern für den Tag der revolutionären Gefangenensteht, diente dieses Jahr auch in der BRDdazu, Aktionen durchzuführen. Im dies-

 jährigen Aktionstag für die am 12. Febru-ar 2007 in Italien verhafteten Revolutionä-rInnen, denen die Mitgliedschaft in der PCP-M (Politisch-Militärische Kommunisti-sche Partei) vorgeworfen wird.

Hintergrund: Am 19. Juni 1986 wurdenin drei Hochsicherheitsgefängnissen Perus300 Gefangene vom peruanischen Staat er-mordet. Die sozialistische Internationaleunter dem Vorsitz von Willy Brandt, die zuder Zeit in Lima tagte, begrüßte dieses Mas-

saker. Seitdem hat diese Tag in einigen Län-dern eine ähnliche Bedeutung wie in der BRD der 18. März, der Tag des politischenGefangenen. Auf Aufrufe der SRI (Rote Hilfe Interna-

tional) und des Netzwerks Freiheit für allepolitischen Gefangenen hin fand bereits am18.6. in Berlin eine Informationsveranstal-tung unter dem Titel „Revolution und Kon-terrevolution in Italien“ statt. Am 19.6. gabes eine spontane Kundgebung vor der ita-lienischen Botschaft in Berlin und gegen

 Abend desselben Tages eine weitere Kund-gebung vor dem Hamburger Hauptbahn-

hof.„Revolution und Konterrevolution inItalien“

 Am Montag den 18.6. wurde in Berlin vom

Netzwerk Freiheit für alle politischen Ge-fangenen eine Informationsveranstaltunghinsichtlich der Situation in Italien und der Repression während des G8-Gipfels durch-geführt.

Der erste Beitrag des Abends wurde vonder Vertreterin der SRI Zürich (Rote HilfeInternational) vorgetragen. Ihr Vortragwurde per Live-Videokonferenz übertra-gen, da sie zu einer der Personen gehört,

die im Rahmen der Repressionswelle am12.2. kriminalisiert wurden. Ein dem § 129aähnelnder italienischer Anti-Terror-Para-graph verhinderte ihr persönliches Erschei-nen, da ihr bei einer Ausreise eine Verhaf-tung droht.

Die Vertreterin der SRI berichtete über die Verhaftung der 15 Militanten am 12. Fe-bruar 2007, die in mehreren italienischenStädten stattfand und bei der es auch Raz-zien in Zürich gab. Im Vorfeld wurdenlangjährige nachrichtendienstliche Mittelwie Kameras und Wanzen eingesetzt.

Ein weiterer Punkt war die Geschichte des

bewaffneten Kampfes, vor allem der RotenBrigaden, aus der die PC P-M entstandenist. Weiterhin wurde über die politischen

 Vorstellungen der PC P-M berichtet. Eben-falls Thema waren die Haftbedingungen der italienischen Gefangenen, die ähnlichenIsolationshaftbedingungen unterworfensind wie damals die Gefangenen aus der RAF. Ein Beispiel davon ist die Videokon-ferenz, die es den Gefangenen nicht erlaubt,an ihren Prozessen selbst teilzunehmen, dasie nur per Videokonferenz am Prozess teil-nehmen können.

Die Vertreterin der SRI begrüßte es, dasssie trotz drohender Verhaftung an der Ver-anstaltung per Videozuschaltung teilneh-men konnte.

Der Vertreter des Anti-G8-Bündnisses für eine revolutionäre Perspektive gab einenÜberblick über die Repression während desGipfels in Heiligendamm und betonte, dassdie Angriffe auch Ausdruck der Angst der Herrschenden vor der sich entwickelndenantikapitalistischen Bewegung ist, die sielangfristig bekämpfen möchte.

Für weitere Infos zu Repression währenddes G8-Gipfels:

http://www.antig8.tkDie Veranstaltung endete mit der Verab-schiedung einer Grußadresse an die Ham-burger Kundgebung am 19.6.

Spontane Kundgebung vor deritalienischen Botschaft in Berlin

 Am 19.6. fand vor der italienischen Bot-schaft in Berlin ein spontane Kundgebungstatt. Die AktivistInnen waren mit rotenFahnen und einem Transparent mit der 

 Aufschrift „Solidarität mit den PC P-M- Ge-fangenen in Italien“ vor die Botschaft ge-gangen und riefen die Parolen „Freiheit für 

alle politischen Gefangenen, „Wir sindnicht alle Es fehlen die Gefangenen“ und„Hoch die internationale Solidarität“.http://www.political-prisoners.net 

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Dokumentiert

Solidaritätsgruß vonMarco CamenischZum 19 Juni Internationaler Tag des revo-lutionären Gefangenen:

Hiermit drücke ich meine Unterstützungund Solidarität für den Aufruf der Kom-mission für eine IRH zum Internationalen

Tag der/des revolutionären Gefangenen inParis am 19. Juni 07 als Tag der Solidaritätmit den gefangenen revolutionären Genos-sen und der gefangenen revolutionären Ge-nossin aus, die am vergangenen 12. Febru-ar von den infamen Bütteln der bürgerli-chen und imperialistischen Repression inItalien als Geiseln genommen wurden.Selbstverständlich ist der Miteinbezug die-ser Genossin und dieser Genossen in mei-ne allgemeine revolutionäre und interna-tionalistische Solidarität gegen die Repres-sion. Aber Solidarität nicht nur gegen dieRepression, sondern, ebenfalls jenseits al-

ler Unterschiede in der politischen undpraktischen Analyse und Ideologie, auchrevolutionäre Solidarität im gemeinsamenKampf gegen diese feige Scheißgesell-schaft, die global auf Ausbeutung, Kriegund allumfassenden Zerstörungen beruht.

 Was rasend voranschreitet wegen der größ-ten Krise der Umwelt, der Menschheit undder Wirtschaft seit Menschengedenken, was

  jedoch wiederum die entsprechende aber positive und ebenfalls voranschreitendeKrise des politischen Konsenses mit denzeitgenössischen Herrschenden bedeutet.Die Kommission für eine IRH meint richti-gerweise, dass wie nie zuvor ein revolu-tionärer antikapitalistischer Kampf aktuellund notwendig ist, aber es sollte auch einKampf gegen die tiefen zivilisatorischen

 Wurzeln dieses mörderischen und selbst-mörderischen Systems genauso wie gegendie erdrückenden Offensichtlichkeiten undalle kläglichen und lächerlichen Lügen desRegimes sein, und selbstverständlich binich auch einverstanden, dass die andau-ernde Ausübung, Organisierung und Aus-weitung der gemeinsamen Front revolu-tionärer Solidarität gegen die Repression

und ihre mächtigste Verbündete, die Lügezur Verfälschung, Spaltung und Korrupti-on, notwendig sind.

Revolutionäre Solidarität ist eine grund-legende Waffe gegen die Repression undzum Fortschritt im Kampf zur endgültigenNiederschlagung dieses kapitalistischenSystems, dieses Todessystems, dieses Ter-rorsystems!

Mit großer, zärtlicher und unzerstörbarer Liebe für euch wunderbare kämpfende Ge-nossInnen, für diese unsere wunderbareMutter Erde und alle, die sie achtungsvollbewohnen, mit unendlichen Zorn gegen al-

len Abschaum, der sie, als Diener und alsHerren, in unendlicher und dummer Arro-ganz heimsucht!Marco Camenisch, Lager Regensdorf,Schweiz, 7.6.07

Bericht von der Demonstra-

tion gegen Abschiebe-gefängnis Ingelheim

irka 500 Menschen demonstrierten am23. Juni für die Abschaffung der Abschie-behaft. „Wir sind hier, um kundzutun, dassdieses Gefängnis nicht in unserem Namendort steht. Die Mauer von Ingelheim mussweg.“ Diese Worte rief Kathrin Schank, Ju-gendbeauftragte der „Aktion 3.Welt Saar“,den Teilnehmer/innen der Demonstration

 vor dem Abschiebegefängnis Ingelheim bei

Mainz entgegen. Sie bezog sich bei ihrer Rede auf die mexikanischen FlüchtlingeJuan und Rosalita, deren Geschichte in demSong „Deportees“, des US-Songschreibers

 Woody Guthrie erzählt wird. Bob Dylan hatdieses Lied bekannt gemacht. „Wir sindhier, um für euch, Juan und Rosalita, einBand der Solidarität zu knüpfen, das stär-ker sein wird als die Fesseln, die jetzt nochum eure Hände gelegt sind.“ Zu der De-monstration hatten aufgerufen die Aktion3. Welt Saar, die Antifa Nierstein, die Ar-beitsgemeinschaft Frieden Trier, attacCam-pus Mainz, die Grüne Jugend RLP, die

JungdemokratInnen / Junge Linke RLP, dasMultikulturelles Zentrum Trier und die Wi-derstandsgruppe Worms-Wonnegau. Ins-gesamt wurde der Aufruf von 45 Gruppenund Organisationen unterstützt. Zeitgleich

fand in Dessau eine Demonstration wegendem Tod des Asylbewerbers Ouri Jallow ausSierra Leone in einer Polizeizelle in Dessaustatt. Dieser Fall wird zur Zeit vor Gericht

  verhandelt und schlägt bundesweit hohe Wellen. Zwischen beiden Demonstrationenwurden Grußbotschaften ausgetauscht und

 verlesen.„Der rassistische Normalzustand wird

fortgesetzt“ kommentierte Marei Pelzer vonPro Asyl das neue Zuwanderungsgesetz. Siebetonte, dass mit diesem Gesetz dem Prin-zip der Abschottung gefolgt wird. FrankGockel engagiert sich für Flüchtlinge imgrößten Abschiebegefängnis Deutschlands

in Büren bei Paderborn. Er forderte „dieSchließung aller Abschiebegefängnisse unddie Abschaffung der Sondergesetze“ undbetonte, dass „jeder Mensch das Recht hatauf freie Bewegung. Menschen hinter Mau-ern fühlen sich macht- und wertlos“.

Bernd Drücke vom Flüchtlingsrat Mainzmeinte „Nur wer ökonomisch verwertbar ist, darf bleiben.“ Begleitet wurde die De-monstration von einem massiven Polizei-aufgebot. So gab es wiederholte Kontrollender TeilnehmerInnen, was zum verspätetenBeginn der Kundgebung führte. Mit Poli-zeihubschrauber und Filmaufnahmen über 

die gesamte Kundgebung hinweg versuch-te die Polizei die TeilnehmerInnen einzu-schüchtern. Alle RednerInnen protestiertengegen diese Maßnahmen und verwartensich gegen die mehrfachen Behinderungen

„Abschiebehaft abschaffen“

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bei der Ausübung des Demonstrations-rechtes.

Das Abschiebegefängnis Ingelheim für Rheinland-Pfalz und das Saarland ging imMai 2001 in Betrieb und ist seit dem Ge-genstand regelmäßiger Proteste und De-monstrationen. Für die Teilnehmer der De-monstration ist es mit seinen fünf Meter ho-hen Mauern ein Baustein in der Mauer umEuropa. Seit Inkraftreten des Schengener 

 Vertragswerkes 1993 starben 8000 Flücht-linge an den Außengrenzen Europas durch Verhungern, Verdursten, Erfrieren und Er-trinken. Statt in Sonntagsreden von

Integration zu reden und werktagsFlüchtlinge auszugrenzen, forderten dieTeilnehmer dazu auf, das Abschiebege-fängnis zu schließen und die Fluchtursa-chen zu bekämpfen.Weitere Informationen unter:www.abschiebeknast-ingelheim.de

 Zum Abschiebeknast

IngelheimIm Rotweinstädtchen Ingelheim am Rheinbefindet sich seit bereits fünf Jahren einer der modernsten Abschiebeknäste Deutsch-lands, konzipiert für 150 Häftlinge. Aktu-ell werden dort circa 40 bis 50 sogenannte„Ausreisepflichtige“ von 60 Wärtern und 7Hunden bewacht.

Die Zuständigkeit für Abschiebungshaftliegt beim rheinland-pfälzischen Ministeri-um des Innern und für Sport.

Die Ausgestaltung der Abschiebungshaftwird im Landesaufnahmegesetz geregelt.Hierin heißt es unter anderem: „Den in Ab-schiebungshafteinrichtungen unterge-brachten Personen dürfen nur die zumZwecke des Vollzugs der Abschiebungshaftund zur Aufrechterhaltung von Sicherheitund Ordnung der Einrichtung erforderli-chen Beschränkungen auferlegt werden ...“.

Die Haftbedingungen in der Abschie-bungshaft Ingelheim;Eine fünf Meter hohe Betonmauer, etlicheKameras, dreifacher Nato-Stacheldraht, ei-ne technisch ausgeklügelte Schließanlageund Wächter mit ihren Hunden erwartendie Neuankömmlinge in einem Hochsi-

cherheitsknast und suggerieren, dort säßen„Schwerkriminelle“ ein. Vorurteile der Be-  völkerung werden so befördert und ver-hindern eine kritische Auseinandersetzungmit dieser Einrichtung und ihrer Funktion.

Bis Juli 2003 waren die Zellentüren für alle Inhaftierten permanent verschlossen.Nach aufwändigen Umbaumaßnahmensind nun auf einem Flur die Zellentürentagsüber von 9.00 bis 16.00 Uhr geöffnet.

Dieser kann von circa 30 Inhaftierten ge-nutzt werden, die jedoch zuvor von den

 Verantwortlichen in Ingelheim als nicht re-nitent eingestuft werden sowie ihre Zu-stimmung zum Umschluss geben müssen.

In dieser Zeit können sie sich frei auf der Haftetage bewegen und sich in den Zellenbesuchen.

Bewegungs- und Beschäftigungsmög-lichkeiten:

Die Errichtung der GfA (Gewahrsamsein-richtung für Ausreisepflichtige - so der of-fizielle Name)Ingelheim als Hochsicher-heitsgefängnis führt dazu, dass die dort In-haftierten einem strikten Tagesablauf un-terworfen sind, der sich an administrativenBedürfnissen orientiert und eine eigen-ständige Bewegungs- und Entscheidungs-freiheit fast unmöglich macht.

 Am Vormittag gibt es die Möglichkeit desHofganges. Dieser findet in zwei kleinen,hoch eingezäunten „Käfigen“ für maximal1,5 Stunden statt. Davor patrouilliert das

 Wachpersonal mit Hunden. Bei schlechtem Wetter gibt es keine Ausweichmöglichkeit.Per Antrag können die Inhaftierten zu fest-gelegten Zeiten an verschiedenen Sportan-geboten teilnehmen wie Tischtennis, Kicker oder Fußball. Außerdem veranstaltet der Sozialdienst einen wöchentlichen Ge-sprächskreis und hat ein Gartenprojekt insLeben gerufen. An den Samstagen laden der evangelische und katholische Seelsorger abwechselnd zum Gottesdienst ein. Der Sa-kralraum wird auch von den Muslimen zumGebet genutzt. Für wenige Gefangene gibtes die Möglichkeit, einer gemeinnützigen

 Arbeit nachzugehen. Je nach Bedarf kön-nen sie den Hof säubern, Hecken schneidenoder den Müll einsammeln. Dies wird mir knapp einem Euro pro Stunde entlohnt. Vermögen:Bargeld, das die Gefangenen bei ihrer 

 Verhaftung bei sich hatten, wird einbehal-ten und mit den Haftkosten und der Ab-schiebung verrechnet. Nach dem Asylbe-

werberleistungsgesetz erhalten die Ab-schiebungshäftlinge 6,00 Euro Taschengeldpro Woche, was je nach Bedarf für zweiPäckchen Tabak oder eine Telefonkartereicht. Jeden Donnerstag besteht die Mög-lichkeit des Einkaufs.

Kontakte zu Angehörigen/Freunden:Die Besuchsmöglichkeiten sind großzü-

gig geregelt und nach telephonischer An-meldung täglich möglich, sofern Kapazität

 vorhanden ist. Es existieren zwei Kartente-lefone, die aber nicht anrufbar sind.

Soziale Arbeit, Seelsorge und Betreuung:In der GfA Ingelheim arbeiten drei Mit-

arbeiterinnen des Sozialdienstes des Arbei-tersamariterbundes und zwei Sozialarbei-ter des Landes Rheinland-Pfalz. Es gibt ei-nen katholischen und einen evangelischenSeelsorger, eine Krankenschwester und

zwei Vertragsärzte, die an zwei Nachmitta-gen in der Woche im Wechsel Sprechstun-de haben. Da diese von der Anstaltsleitungausgewählt werden kommt es selten dazudass die Inhaftierten hierdurch Hilfe erhal-ten. Psychologische Beratungsangeboteexistieren nicht. Ehrenamtlichen von „am-nesty international“ bieten den Inhaftier-ten Verfahrensberatung und Unterstützungbei sozialen Problemen an. Von den Kir-

chen finanzierte Rechtsanwälte des öku-menischen Projekts führen im Wechsel ei-ne für die Inhaftierten kostenlose Rechts-beratung durch. Immerhin kommen fast30% der Leute frei, wenn sich ein Anwalteinschaltet.

Dieser hat eine Kapazität von 152 Haft-plätzen, und ist aktuell mit 40-50 Inhaf-tierten belegt. Es vier Hafttrakte auf ver-schiedenen Fluren mit Zellen, die für zweiPersonen ausgelegt sind und mit Stockbett,Spind, Tisch, zwei Stühlen, Fernsehgerätund einer Nasszelle mit WC auf 14 qm aus-gestattet sind. Daneben gibt es 8 „Separa-

tionszellen“. Außerdem stehen ein Sakral-raum, Duschräume und ein Fitnessraum zur 

 Verfügung.

EinschätzungBei den Einsitzenden handelt es sich meistum Menschen auf der Flucht, die in Rhein-land-Pfalz oder dem Saarland erfolglos um

 Asyl nachgesucht haben. Bei ihrem Asyl-antrag wurden sie häufig juristisch schlecht

 vertreten oder sie sind an den hohen ge-setzlichen Hürden gescheitert. Abschiebeknäste und Abschiebelager im

Inneren sind das Pendant zu den scharf be-wachten Außengrenzen Europas. Zum Sy-stem der neoliberalen Politik gehört es, dass

 Waren, Dienstleistungen, Kapital und die  verwertbaren Menschen mühelos undselbstverständlich Grenzen passieren kön-nen, während die Unerwünschten zurück-gewiesen werden.

Tagtäglich verlieren Dutzende vonFlüchtlingen ihr Leben beim Versuch, diemilitärisch überwachten EU-Außengren-zen zu überwinden. 2006 war das Jahr mitder höchsten Anzahl von Toten an den eu-ropäischen Außengrenzen und einem neu-

en historischen Tiefstand bei den Asylge-suchen. So die Jahresbilanz von PRO ASYLzur europäischen Flüchtlingspolitik. DasMittelmeer ist mittlerweile ein riesiger Friedhof.

Doch Kriege, Ausbeutung und Unter-drückung, Perspektivlosigkeit und Armutwerden Menschen immer zur Flucht bewe-gen. Wenn Fluchtursachen nicht ernsthaftbekämpft und beseitigt werden, werdensich immer wieder Menschen in der Hoff-nung auf eine bessere Lebensperspektiveauf den Weg machen. Viele Fluchtgründewerden direkt von EU und G8 verantwor-

tet: durch die Kumpanei mit Unrechtsregi-men, Raubbau, Umweltzerstörung, Rü-stungsexporte und das ungerechte Wirt-schafts- und Finanzsystem.

Zur „effizienteren“ Abwehr von Flücht-

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lingen und MigrantInnen hat die EU die„Europäische Agentur für die operative Zu-sammenarbeit an den Außengrenze“, Fron-tex, gegründet. Seit August 2006 koordi-niert diese erstmals eine EU-Eingreiftruppe

 vor den Küsten Westafrikas. EU-Patrouil-len sind nun per Schiff und Flugzeug imEinsatz, um die spanische Marine bei der 

 Abwehr afrikanischer Bootsflüchtlinge zuunterstützen und Fluchtwege zu zerschla-

gen. Gleichzeitig baut die EU ein externesLagersystem vor ihren Grenzen aus. Die„Kooperation“ der Nachbarstaaten wird zur 

 Voraussetzung für die wirtschaftliche Zu-sammenarbeit gemacht.  Auch werden immer feinmaschigere

Kontrollsysteme zur Lenkung der Migrati-on an den Rändern der Wohlstandsinselnder Welt etabliert.

Die wenigen Flüchtlinge, denen es mitGeld und unter Lebensgefahr gelingt nachDeutschland zu gelangen, erwartet eine ge-setzlich legitimierte Repressions- und Ab-schreckungspolitik: Flüchtlinge werden

durch die Unterbringung in Lagern ausge-grenzt und sind häufig dem Rassismus vongroßen Teilen der Bevölkerung und Behör-denmitarbeiterInnen ausgesetzt.

Die Botschaft ist einfach und missachtetdie im Grundgesetz verankerte Unantast-barkeit der Menschenwürde: Wer inDeutschland um Asyl nachsucht, wird mitentwürdigenden, krankmachenden und se-parierenden Lebensbedingungen bestraft.

 Weder Zuwanderungsgesetze noch Bleibe-rechts- und Härtefallregelung verbesserndie miserablen humanitären Standards.

 Anerkannt als politisch verfolgt ist kaumein Flüchtling, obwohl die meisten sehr gute und nachvollziehbare Gründe für dieFlucht aus ihren Herkunftsländern haben. Wer nicht gebraucht wird und nicht frei-

willig zurück in die Verfolgung, den Bür-gerkrieg oder die Perspektivlosigkeit geht,dem drohen der Knast und die Abschie-bung.

Gedenken an Oury Jalloh Am 23. Juni 2007 demonstrierten in Des-

sau rund 200 Menschen in Gedenken anOury Jalloh und Dominique Koumadio, der in Dortmund von einem Polizisten er-schossen wurde. Anlass für die erneute De-monstration war die Entwicklung des Pro-zesses um den Tod des Flüchtlings Oury Jal-loh aus Sierra Leone/Guinea sowie Angrif-fe auf Aktivisten der Gedenkinitiative.Fotos & ein Video von der Demo unter:http://www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/ 230607oury_jalloh.html

Der Prozess gegen die Polizeibeamten Andreas S. und Hans-Ulrich M begann am27. März 2007, mehr als zwei Jahre nach

Oury Jallohs Tod, vor dem Landgericht Des-sau. Den Beamten wird „Körperverletzungmit Todesfolge“ bzw. die „fahrlässige Tö-tung“ Oury Jallohs vorgeworfen. Eine Auf-klärung, wie Oury Jalloh ums Leben kam,

ist immer noch nicht in Sicht. Obwohl mitt-lerweile die Befragung der Polizeizeugensogar durch den Vorsitzenden Richter anSchärfe zugenommen hat, weil Wider-sprüche in ihren Aussagen offensichtlichwurden, werden bisher in der Verhandlunggrundsätzliche Fragen nicht oder nur amRande behandelt. Nach wie vor ist z. B. völ-lig ungeklärt, wie es zum NasenbeinbruchOury Jallohs kam, wie das Feuerzeug in dieZelle gelangte und wie der an Füßen undHänden gefesselte Gefangene die schwer 

entflammbare Matratze angezündet habensoll. Die „Initiative in Gedenken an OuryJalloh“ stellt berechtigterweise in ihrem

  Aufruf zur Demonstration die Grundan-nahme des Verfahrens in Frage, das von ei-nem Selbstmord Oury Jallohs ausgeht: „Al-le Ermittlungen sind darauf beschränkt, dieThese zu beweisen, dass Oury Jalloh sichselbst angezündet hat.“

 Zur Situation vonBinali YildirimUnser Freund Binali Yildirim, der am 29.05.auf Mallorca festgenommen wurde, befin-det sich jetzt in Madrid in Haft. Am 06.06.ist er in den Hungerstreik getreten, der sichgegen seine skandalösen Haftbedingungenrichtet. Denn seit seiner Festnahme sitztBinali in Isolationshaft, wird 24 Stundenam Tag überwacht und durfte bisher nur einmal Besuch empfangen. Da Binali vonseinem letzten Hungerstreik in der Türkei,

der über 70 Tage dauerte und sich gegen dieEinführung von Isolationsgefängnissenrichtete, schwere gesund-heitliche Schäden davontrug, ist die Gefährdungfür seine Gesundheit mo-mentan nicht abzuschät-zen.

In den vergangenen Ta-gen seit seiner Verhaftunghaben sich viele Leute undOrganisationen mit Binalisolidarisiert. In seinemHeimatort Hamburg fan-

den bereits zwei Kundge-bungen für seine Freilas-sung statt, die trotz kurz-zeitiger Mobilisierung mit40 bzw. ca. 100 Menschen

gut besucht waren. Auch in Spanien selbsthaben sich verschiedene Gruppen und Ein-zelpersonen mit unserem Freund solidari-siert. Verschiedene Gruppen haben Er-klärungen herausgegeben und nach Infor-mationen des türkischen Fernsehens wur-den in Madrid Institutionen des türkischenStaates mit Steinen beworfen.www.freebinali.tk

Rote Hilfe: Freiheit fürBinali Yildirim!Die Rote Hilfe protestiert gegen die anhal-tende Inhaftierung von Binali Yildirim, der in der BRD als politischer Flüchtling aner-kannt ist, und fordert seine sofortige Frei-lassung.

Der 34jährige Kurde war am 29.Mai 2007auf Gesuch von Interpol während einer Fe-rienreise mit seinem Fußballverein von denspanischen Behörden verhaftet worden undbefand sich mehrere Tage in Isolationshaft,

die inzwischen aufgehoben wurde. DenHintergrund der Festnahme liefert ein Aus-lieferungsgesuch der türkischen Regierung,die Binali Yildirim die Beteiligung an meh-reren Anschlägen der kommunistischenGuerilla TIKKO (Türkische Arbeiter undBauern Befreiungsarmee) vorwirft. Yildirim wurde in der Türkei 1995 ver-

haftet und verbrachte bereits sieben Jahrein türkischen Gefängnissen. In Folge eines78tägigen Hungerstreiks gegen die Isolati-onshaftbedingungen in türkischen Gefäng-nissen verschlechterte sich sein Gesund-heitszustand derart, dass er zeitweise frei-kam. Während dieser Haftaussetzung ge-lang Binali Yildirim die Flucht nachDeutschland, wo er gemeinsam mit seiner Familie einen kleinen Laden betreibt undals politischer Flüchtling anerkannt ist.

Hierzu erklärt Matthias Krause, Presse-sprecher der Roten Hilfe e.V.: „Es ist gera-dezu grotesk, dass ein in Deutschland an-erkannter politischer Flüchtling von denspanischen Behörden mit dem Ziel der Aus-lieferung an den türkischen Staat festge-nommen wird. Durch diese Zusammenar-beit mit dem Verfolgerstaat wird die Funk-

tion des politischen Asyls, Verfolgung, Fol-ter und Ermordungen zu verhindern, ad ab-

Hamburg: Kundgebung vor dem Konsulat 

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surdum geführt.“Die Rote Hilfe e.V. solidarisiert sich mit

den internationalen Protesten gegen Bina-li Yildirims Inhaftierung und fordert seinesofortige Freilassung.Mathias Krause für den Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V., 27.6.

Linkspartei setzt sich für

Binaldi einHamburg muss anerkannten politischenFlüchtlingen Schutz gewähren - auch imEU-Ausland

Binali Yildirim hat als politisch Verfolgter in Deutschland Asyl erhalten und lebt seit

 vier Jahren legal in unserer Stadt. Bei ei-nem Urlaubsaufenthalt auf Mallorca vonder spanischen Polizei festgenommen, istBinali Yildirim seitdem in Madrid inhaftiert.Die spanischen Behörden sind scheinbar willens, ihn an die Türkei auszuliefern.

Dort drohen Yildirim aufgrund seiner früheren politischen Aktivitäten erneutHaft und Folter - Menschenrechtsverlet-zungen, vor denen ihn zu schützen sich dieBundesrepublik mit der Gewährung politi-schen Asyls verpflichtet hat.

Mit der Bitte um eine Intervention bei denspanischen Behörden hat sich deshalb Nor-man Paech bereits am 1. Juni an Außen-minister Steinmeier gewandt. Daraufhin in-

formierte die deutsche Botschaft in Madriddie spanischen Behörden, dass Yildirims Auslieferung gegen die Genfer Flüchtlings-konvention verstoßen würde.

Norman Paech: „Ich begrüße es, dass das Auswärtige Amt inzwischen aktiv gewor-den ist. Auch die Hamburger Polizei ist ge-halten, bei ihren Kollegen in Spanien undbei Interpol zugunsten von Binali Yildirimzu intervenieren und seine sofortige Frei-lassung zu erwirken.“

Jürgen Duenbostel, Sprecher der WASGHarburg, fügt hinzu: „Binali Yildirim ist einpolitischer Flüchtling, der seit Jahren un-

bescholten und wirtschaftlich unabhängigmit seiner Familie in unserem Bezirk lebt.Dass Teile der Presse seit seiner Festnahme

 versuchen, ihn als kriminell zu denunzie-ren, ist unerträglich.“

Die Sünden gegen die Hoffnung sind die ein-zigen Sünden, die weder entschuldigt wer-

den können noch uns zum Kapitulierenbringen dürfen.

Eduardo Galeano

  Am 25. Juni 2007, wird das rassistischeSondergesetz für Flüchtlinge, die so ge-nannte Residenzpflicht, auf die Anklage-bank sitzen und verurteilt werden, denn ge-gen den Flüchtlingsaktivisten Ahmed Sa-meer, Mitglied von THE VOICE Refugee Fo-rum, wurde Strafanzeige gestellt. Der Palä-stinenser, der 2006 durch den „Jenaer Preisfür Zivilcourage“ für seinen Widerstand ge-gen das Residenzpflicht-Gesetz ausge-zeichnet wurde, wird nun ein drittes Mal

 vor Gericht stehen müssen, um die Resi-denzpflicht anzuklagen. Im Dezember wiesdas Landgericht Erfurt die Anschuldigun-gen gegen ihn zurück. (siehe:http://www.labournet.de/solidaritaet/resi-denz.html) Jetzt soll er ein weiteres Mal vor Gericht erscheinen.

Der Grund? Weil Ahmed Sameer im Rah-men verschiedener Aktivitäten des AntiLa-ger Netzwerks an Protesten gegen die men-schenverachtende Politik gegenüber Flüchtlinge und MigrantInnen teilgenom-

men und sie mitorganisiert hat. Deswegensoll er bestraft werden. Doch stattdessenwerden wir mit ihm ihre Unmenschlichkeitlaut und unaufhörlich anklagen, denn WIRSIND ALLE AHMED!!! Ahmed an Residenzpflicht:Das Residenzpflichtgesetz stammt aus ei-

ner Zeit, an die viele Deutsche nicht mehr erinnert werden möchten. Schon 1938 gabes eine Ausländerpolizeiverordnung desReichsgesetzblattes Nummer 132. In Para-graf 1 und 2 der Verordnung wurde festge-legt, dass Ausländer, die ihre Landkreise oh-ne behördliche Genehmigung verlassen,

mit eine Strafe von 150 Reichsmark und /oder Gefängnis bestraft werden. Als ich hier in Deutschland Asyl suchte,

hätte ich niemals erwartet, dass ich Bedin-gungen unterworfen sein würde, die denen

ähneln, vor denen ich aus Jenin geflohenbin.

Dieses Gesetz ist ungerecht und ich sehees als meine Verantwortung, gegen Unge-rechtigkeit und Unterdrückung überall und

 jederzeit zu kämpfen, ungeachtet, von wosie ausgehen und in welcher Form sie auf-treten. Die wahren Werte jeder Gesellschaftliegen in ihrem Festhalten an der Freiheitder Menschen, die diese Gesellschaft aus-machen.

Mein ganzes Leben lang habe ich niemalsan einem Ort gewohnt, wo mein Recht alsmenschliches Wesen respektiert wordenwäre. Doch niemals habe ich derartige Ver-letzungen meiner Rechte akzeptiert, ich ha-be immer Widerstand geleistet und dage-gen angekämpft.

Bewegungsfreiheit kann nicht ungerech-terweise einer Gruppe von Personen ver-weigert werden, die keine Kriminellen sind– lediglich aufgrund ihres sozialen undrechtlichen Status. Das Recht auf Bewe-gungsfreiheit muss notwendigerweise blindsein gegenüber den Vorurteilen von Haut-farbe, Rasse, Geschlecht, Religion und so-ziokultureller und politischer Neigungen,denn eine Gesellschaft, in der einzelne nichtfrei sind, ist eine Gesellschaft, in der keiner 

frei ist.Ich werde jedes friedvolle Mittel in An-spruch nehmen, um meine Überzeugunggegen die Residenzpflicht und für ihre Ab-schaffung zum Ausdruck zu bringen.

Niemals habe ich derartige Verletzungenmeiner Rechte akzeptiert, ich habe immer 

  Widerstand geleistet und dagegen an-gekämpft.  Ahmed Sameer 

Contact: The VOICE Refugee Forum, e-mail:[email protected],http://www.thevoiceforum.org

Die Kampagne braucht Unterstützung! Bit-te spenden an:Förderverein The VOICE e.V., Kto.Nr.: 140061, BLZ: 260 500 01, Sparkasse Göttin-gen

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In Spanien (Madrid) wird in der letzten zweiWochen eine breite und massive Kampagnezur die Freilassung des Genossen BinaliYildrim entwickelt. Die Kampagne läuft ge-rade unter der Motto: Freiheit für Binali!

Es gibt Millionen von Ahmed ...Ich bin Ahmed !!! Residenzpflicht vor Gericht - III. Installation

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Marsch durch dieInstanzenDas Bundesverfassungsgericht hob ein Ur-teil gegen den Gießener Jörg Bergstedt auf und erklärte damit eine Anweisung deshessischen Innenministers für ungerecht-fertigt.

 Außerhalb Hessens mag es Menschen ge-ben, die noch nichts von Jörg Bergstedtgehört haben. In der Umgebung von Gießenist dies undenkbar. Das Wirkungsfeld des42-Jjährigen im engeren Sinne ist die „Pro-

 jektwerkstatt Saasen“, wo er lebt und Poli-tik betreibt, im weiteren Sinne alles, was dieGelegenheit bietet, sich mit der deutschenJustiz anzulegen.

Dabei brachte er es sogar bis vors Ver-fassungsgericht und dieses auf seine Seite.Das höchste Gericht urteilte vor wenigenTagen, es sei am 11. Januar 2003 in Gießen

zu einem“rechtswidrigen Polizeiangriff“gegen Bergstedt gekommen, und vom

  Amtsgericht bis zum Oberlandesgerichthätten alle Instanzen falsch geurteilt. WeilBergstedt sich gegen seine Festnahme ge-wehrt hatte, sollte er für acht Monate insGefängnis. Was die Sache pikant macht: Das Verfas-

sungsgericht stellt explizit heraus, das der Polizeiangriff auf Anweisung des hessi-schen Innenministers Volker Bouffier (CDU)erfolgte. Dieser hatte sich am 11. Januar 2003, so schreiben die obersten deutschenRichter, mit einer Spontandemonstration

 von Unterstützerinnen und Unterstützernder „Projektwerkstatt Saasen“ an seinem

  Wahlkampfstand in Gießen konfrontiertgesehen. Der Minister habe dem anwesen-den Polizeipräsidenten die Weisung gege-ben, sich „das“ nicht bieten zu lassen - ge-meint war die Protestaktion. Die Ord-nungshüter leisteten der Anweisung eifrigFolge und rissen Bergstedt, der den Zug miteinem Megafon anführte, aus der Demon-stration heraus, um ihn in Gewahrsam zunehmen. Als sie ihn in einen Einsatzwagenbugsieren wollten, soll er angeblich einem

Polizeibeamten gegen den Kopf getretenhaben.Die Gießener Richterin Gertraud Brühl

betrachtete den Sachverhalt für „einfachgelagert“, trotz der 13 Anklagepunkte ge-gen Bergstedt, und die höheren Instanzenfolgten ihrer Argumentation. Wegenschwerer Körperverletzung und Wider-stands gegen Vollstreckungsbeamte laute-te das Urteil auf sechs Monate Haft ohneBewährung. Die Verfassungsrichter sahendagegen Bergstedts Grundrecht auf Ver-sammlungsfreiheit verletzt und betrachte-ten seinen Widerstand gegen einen solchen

schweren Rechtsverstoß als nicht strafbar.Die Gefängnisstrafe von insgesamt achtMonaten aus dem Urteil des Landgerichtsbleibt Bergstedt somit vorerst erspart, unddas Landgericht muss den Fall neu ver-

handeln.In ihrer Begründung verwiesen die Kar-

lsruher Richter auf frühere Urteile. Da fried-lich demonstriert worden sei, habe es kei-ne rechtliche Grundlage gegeben, die De-monstration aufzulösen. Eine solche for-melle Auflösung habe im betreffenden Fallauch gar nicht stattgefunden. Vielmehr ha-be die Aktion der Polizei auf die spontaneZerschlagung der Demonstration gezielt.

 Weiterhin sei es rechtswidrig von den Be-amten gewesen zu versuchen, des Mega-fons habhaft zu werden. Denn das Interes-se der CDU-Mitglieder, an ihrem Wahlstandnicht durch eine zehnminütige Rede der Demonstrierenden belästigt zu werden, sei»nicht höherrangig einzustufen als dasRecht auf freie Versammlung«.

Die Gießener Polizei gibt sich nach demKarlsruher Urteil gelassen. Polizeisprecher Gerald Frost erklärte der Jungle World, kon-kret zuständig für eine Überprüfung desFalls sei noch niemand, aber man werde„das Urteil besprechen“. Auch der Vizeprä-

sident des Gießener Landgerichts, Wilhelm Wolf, sieht in dem Urteil „nichts wirklichDramatisches“. Es entspreche dem „Alltagin einem Rechtsstaat“. Der hessische In-nenminister schweigt hingegen zu dem Ur-teil, und seine Gießener Parteikollegen sindseit Tagen „im Urlaub“. Von einer „schal-lenden Ohrfeige für den Innenminister“sprach hingegen die Gießener Linkspartei.

Jörg Bergstedt sieht seine Inan-spruchnahme des höchsten deutschen Ge-richts als »taktischen Umgang« und sagte:„Frei ’rumlaufen ist besser für die Kritik alsim Knast zu sitzen.“

  jens herrmann. Dokumentiert aus: jungleworld, Nummer 23 vom 06. Juni 2007

Strafvollzug

Orwellsche Phanta-sien werden RealitätSeit 2006 haben die Bundesländer die Ge-setzgebungskompetenz für den Bereich des

Strafvollzuges. Obwohl in der Fachöffent-lichkeit heftig kritisiert (Heribert Prantl vonder Süddeutschen Zeitung sprach von ei-nem zu erwartenden „Wettbewerb der Schäbigkeit“) wurde im Rahmen der Fö-deralismusreform beschlossen, dass der Bund künftig bestimmte Bereiche nichtmehr selbst regeln sollte; u.a. betraf diesden Ladenschluss, und eben auch den Straf-

  vollzug/Untersuchungshaftvollzug (unab-hängig ob für Erwachsene oder Jugendli-che).

Baden-Württemberg gehört zu jenenLändern, die nun eigene Gesetze erlassen

werden, eine Pflicht hierzu besteht nicht.Neben einem Entwurf für ein Jugend-strafvollzugsgesetz legte die Landesregie-rung in Stuttgart auch ein Justizvollzugs-Datenschutzgesetz vor (Landtagsdrucksa-

che 14/1241 vom 15.05.2007).Das 31 Paragrafen umfassende Gesetz re-

gelt die Verarbeitung personenbezogener Daten in den Gefängnissen des Landes.Gemäß §1 JVollzDSG gehe es darum, die„Persönlichkeitsrechte von Gefangenenund sonstigen Betroffenen zu wahren, denJustizbehörden die effiziente Erfüllung ih-rer Aufgaben zu ermöglichen, die Sicher-heit und Ordnung der Anstalten zu ge-

währleisten und einen Beitrag für die in-nere Sicherheit zu leisten“. So steht es wort-wörtlich im Gesetz.

Gefangene dürfen künftig biometrischeDaten abliefern, sprich neben Aufnahmender Stimme sind dann auch Iris-Scans undanderes zulässig (§5). Auch die Videotechnik wird geregelt (§6):

nicht nur das bloße Beobachten mittels Vi-deokameras wird legalisiert, sondern auchdas Aufzeichnen der Bilder; selbst Zellensollen optisch und akustisch überwachtwerden dürfen, soweit dies zur Abwehr „von erheblichen Gefahren für Leib oder 

Leben von Gefangenen oder Dritten sowiezur Verhinderung und Verfolgung von er-heblichen Straftaten“ (§6 Abs.2) notwendigerscheint.

Und die Überwachungswünsche der Ju-stiz gehen noch weiter: so soll die RFID-Technik Einzug halten, die Überwachungdes Aufenthaltsortes jedes Gefangenen mit-tels „Funkchips“.

So bestimmt §7, dass aus Gründen der Si-cherheit und Ordnung oder zur Überwa-chung des Aufenthaltsortes, Zeitpunkt und

 Aufenthaltsort mittels „RFID-Transponder durch Empfangsgeräte automatisiert erhe-ben“ dürfe.

Des Weiteren dürfen (wenn auch mit Ein-willigung des Inhaftierten) RFID-Trans-ponder fest mit dem Körper des Gefange-nen verbunden werden (sprich: etwas Ähn-liches wie die elektronische Fußfessel solldas werden). Dies insbesondere dann, wennder Gefangene auf dem Gelände der JVA zu

 Arbeiten eingesetzt wird, oder gegen ihnbestehende „besondere Sicherungsmaß-nahmen“ abgemildert werden sollen.

Die weiteren Paragrafen regeln die Vor-aussetzungen zur Verarbeitung von Infor-

mationen, die durch Zensur, Besuchsüber-wachung, beim Anstaltsarzt, beim Psycho-logen der Anstalt, u.a. Stellen anfallen.Letztlich läuft der Gesetzentwurf (der am1.7.2007 in Kraft treten soll) auf den „glä-sernen Gefangenen“ hinaus. Denn Schutz-maßnahmen, die Privatsphäre betreffend,stehen unter Ermessensvorbehalt der Ju-stiz: in §20 Abs. 3 wird nämlich geregelt,dass Maßnahmen zum Schutz der jeweili-gen Daten nur erforderlich sind, wenn die-se Maßnahmen hinsichtlich ihres „Auf-wands in einem angemessenem Verhältniszu dem angestrebten Schutzzweck“ stehen

(schon ohne dieses neue Gesetz haben z.B.Gerichte entschieden, dass Gefangene kein Anrecht auf Schutz ihrer Gefangenenkon-to-Daten haben. Jeder Schließer der die

 Auszüge in die Hände gedrückt erhält, um

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sie auszuteilen, darf darin lesen.).Diesem – man muss es so nennen –

„Machwerk“ den Namen „Datenschutz“-Gesetz zu geben, zeugt von einem gewis-sen Zynismus, denn geschützt werden dieDaten der Inhaftierten dadurch sicher nicht.

So bemängelte die SPD im Landtag vonStuttgart (dort ist sie in der Opposition) am24. Mai 2007 in der 5(!)-minütigen Debat-te zu diesem Gesetz, dass sich faktisch je-

der Schließer auch bei noch so „geringfü-gigen Entscheidungen wie etwa einer Ver-legung … intime Daten, die für die medizi-nische Behandlung von Bedeutung sind“,

 verschaffen könne (vgl. Debattenprotokoll vom 24. Mai 2007, S. 1601).

Sicher ist vieles in dem Gesetz noch Zu-kunftsmusik, jedoch ist die lückenlose Be-spitzelung und Ausforschung der Häftlin-ge darin angelegt. Dies zeigt, was Landes-regierung und Justiz von der Menschen-würde der Inhaftierten halten … .Thomas Meyer-Falkwww.freedom-for-thomas.de

Freiheit fürMehmet EsiyokMehmet Esiyok schloss sich 1989 der PKKan und war zehn Jahre in deren Zentralko-mitee. Er kam im Dezember 2005 in dieSchweiz, um Asyl zu beantragen, und wur-de noch am Flughafen in Auslieferungshaftgenommen.

Die Auslieferung wurde im Januar 2007  vom Bundesgericht unter der Bedingungbestätigt, dass die Türkei einem Monitoringdurch die Schweizer Botschaft zustimmt.Das Urteil ist ein Präzedenzfall. Dagegenkämpfte Mehmet mit einem Hungerstreik,den er nach 58 Tagen nur abbrach, weil ver-schiedene Rekurse hängig sind: Im Auslie-ferungsverfahren wird die Gültigkeit der türkischen Garantien bestritten, und im

 Asylverfahren ist der Entscheid zum Asyl-rekurs noch offen.

Die Türkei unterdrückt die kurdischeMinderheit und verfolgt mit großer Härte

systemkritische Kräfte. Zudem sind neueKämpfe in den Kurdengebieten aufge-flammt und die Türkei droht mit einem Ein-marsch in den Irak.

Keine Versprechen von FolterstaatenIm Gegensatz zur Schweiz schenken die EU-Staaten den Zusicherungen des FolterstaatsTürkei keinen Glauben. So hat ein deutschesGericht vor einigen Wochen die Ausliefe-rung im ähnlich gelagerten Fall Ali Biter abgelehnt. Der Schweizer Staat dagegenbeugt sich dem Druck der Antiterrorismus-politik der USA und den eigenen Wirt-

schaftsinteressen. Damit die Fassade der Fi-nanzmetropole nicht beschmutzt wird, ver-folgt man eine neue Strategie: Verlangtwird die diplomatische Zusicherungen der Türkei, dass die Verfolgten gemäß interna-

tionalen Konventionen behandelt werden,und dass die Schweizer Botschaft die Ein-haltung überprüfen darf. Allerdings wird die Schweizer Botschaft

die Aufträge für Staudammbauten undFlugzeugverkäufe nie gefährden.

Krieg gegen Terror und FlüchtlingeDas Signal ist klar: Wenn ein Mitglied ei-ner Befreiungsbewegung in der SchweizSchutz sucht, riskiert es sein Leben: Fallsder Verfolgerstaat eine Fahndung über In-terpol ausgegeben hat, kommt die gesuch-te Person sofort in den Knast. Danach mussdieser Staat nur noch sagen, es handle sichum einen Terroristen, und versprechen, die-sen nicht zu foltern. Dann sind sich Schwei-zer Behörden und Gerichte einig: Es kannausgeliefert werden!

Falls wir diese Auslieferungen nicht ver-hindern, ist es riskanter, in der Schweiz ein

 Asylgesuch zu stellen, als sich im eigenenLand zu verstecken. Damit wären die letz-ten Reste des Rechts auf Asyl abgeschafft.  Wir solidarisieren uns mit Mehmet

Esiyoks Kampf um die Freilassung und für die Gewährung des politischen Asyls in der Schweiz.Freiheit für Mehmet Esiyok - Freiheit füralle politischen GefangenenKeine Auslieferungen an FolterstaatenSunday, 1. July 2007

 Am Abend des 30. Juni 2007 fand in Zürichein lautstarker Knastspaziergang rund umdas Bezirksgefängnis Zürich und dasLangstrassenquartier statt. Im BGZ sitztnach wie vor Mehmet Esiyok in Ausliefe-rungshaft.

Freiheit von Timo B. gefordertIn Griechenland und Deutschland demon-strierten in den letzten Tage Studierende für die Freilassung von Timo B. Der 31-jährigeBerliner sitzt seit 20. Februar in Griechenlandim Gefängnis. Die griechische Justiz wirft ihmBeteiligung an militanten Auseinanderset-zungen bei Studentenprotesten in Thessalo-niki vor. Timo B. bestreitet die Vorwürfe. Er 

habe als Tourist Kontakte zu Studierendenbekommen und bei einer Universitätspartygeholfen, bei der es dann zu den Auseinan-dersetzungen gekommen ist. Er habe ver-geblich versucht, den Campus zu verlassen.

Betreut wird B. von der studentischen In-itiative „Unistreik International“. MichaelSorge vom Asta der Freien Universität hat B.im Gefängnis besucht. Auch die neue Links-partei fordert B.s Haftentlassung. „Es istrechtswidrig, dass er nur auf Grundlage der fragwürdigen Aussagen zweier Polizisten im-mer noch in griechischer Untersuchungshaftist“, erklärte das Mitglied des Berliner Abge-

ordnetenhauses Evrim Baba. Doch noch istoffen, wann B. freigelassen wird.

In einem Offenen Brief an den griechischenBotschafter in Deutschland setzen sich auchmehrere Bundestagsabgeordnete und der parteilose Europaabgeordnete Tobias Pflüger für eine Freilassung von B. ei. Es sei zu be-fürchten, dass an ihm als dem einzigen beiden Auseinandersetzungen im Februar Fest-genommenen „ein Exempel statuiert werdensoll“. Sie halte es für „völlig inakzeptabel“, sodie linke Bundestagsabgeordnete Sevim Dag-delen, „dass Timo B. mittels Untersuchungs-haft eine mögliche Strafe vor einem Straf-

 verfahren absitzen muss, obwohl der Tatvor-wurf derart fragwürdig ist. Peter Nowak

Prügelpolizisten inGriechenlandVideo mit Polizeigewalt sorgt internationalfür Aufsehen

Polizisten in Griechenland geniessen nicht

den besten Ruf. Jüngste Opfer von Polizei-willkür sind - nicht zum ersten Mal - Mit-glieder der kommunistischen Jugendorgani-sation KNE der Kommunistischen Partei Grie-chenlands, KKE. So wurden am Abend des28.6. sieben Jungkommunisten trotz vorge-zeigter Personalausweise unter dem Vorwandder „Personalienfeststellung“ auf die Polizei-wache verschleppt und für Stunden ohneMöglichkeit einen Anwalt zu kontaktierenfestgehalten. Unter dem gleichen Vorwandwaren erst zwei Tage zuvor zwei Mitglieder der KNE in der Peloponnesstadt Tripolis auf die Polizeiwache verschleppt, bedroht, be-

schimpft und beleidigt worden.Die Arroganz der Macht, bei der die Geset-ze immer nur für die anderen gelten, aber istnicht auf „Einzelne schwarze Schafe unter Tausenden hart arbeitenden Beamten“

Nathalie Ménigon: Entscheidung fürden 19. Juli angekündigt

 Am 28.6.2007 fand vor dem Berufungs-gericht in Paris eine Verhandlung statt. DieStaatsanwaltschaft hatte gegen den Ge-richtsbeschluß, Nathalie Ménigon, Gefan-gene aus der französischen Stadtguerilla-gruppe Action Directe, Freigängerstatuszuzuerkennen, im Mai Berufung eingelegt.

Neben der Staatsanwaltschaft sprach sichauch der Anwalt der Familie Besse, der ebenfalls anwesend war, dagegen aus, dassNathalie Ménigon tagsüber zum Arbeitendas Gefängnis verlassen kann.

Das Gericht hat seine Entscheidung für den 19. Juli angekündigt.

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zurückzuführen, wie der Minister für öffent-liche Ordnung nicht müde wird, öffentlich zubeschwören, seit vor einigen Wochen ein Vi-deo aus Polizeikreisen international für Empörung sorgte. In der einschlägig be-kannten Polizeistation am zentralen Omonia-Platz in Athen hatten ein Polizist unter Bei-fall von Kollegen zwei ertappte Taschendie-be dazu gezwungen, sich minutenlang ge-genseitig zu ohrfeigen. Die von einem weite-

ren Polizeibeamten gefilmte Folter undSelbstjustiz war ein Jahr lang in Polizeikrei-sen von Handy zu Handy verschickt worden,bis sie im Mitte Juni im Internet landete. Die

 Veröffentlichung auf dem alternativen Inter-netportal Indymedia.athens zog eine ganzeLawine an Aufdeckung ähnlicher Prügelor-gien der Polizei allein in den letzten Mona-ten nach sich.

Der Ministerpräsident erklärte, Polizeiwill-kür nicht dulden zu wollen, und ordnete dieEinleitung eines Ermittlungsverfahrens ge-gen die Beamten auf der Omonia-Wache an.

 Angesichts der Tatsache, dass erst kürzlich

ein Disziplinarverfahren gegen Polizisten inThessaloniki, die vor laufender Fernsehka-mera einen Studenten so krankenhausreif ge-schlagen hatten, dass er mit Brüchen und in-neren Verletzungen mehrere Tage auf der In-tensivstation hatte verbringen müssen, miteiner 15-tägigen Suspendierung vom Dienstfür den verantwortlichen Polizeioffizier en-dete, sind Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Regierungsaussagen angebracht. Und der Minister für öffentliche Ordnung, der sich bei

  jeder Gelegenheit lobend über seine „Ord-nungshüter“ ausspricht und sich schützend

 vor prügelnde Polizisten stellt, indem er bei-spielsweise einen Schlagring an der Faust ei-nes bei Demonstrationen eingesetzten Son-derpolizisten zum harmlosen Handschutz er-klärt, genießt das „vollste Vertrauen“ des Mi-nisterpräsidenten. Heike Schrader, Athen

Róisín McAliskey Als ich mich in Irland erkundigte, wie dennder Prozess zum Auslieferungsbegehren am6.Juni verlief, glaubte ich meinen Ohren nichtzu trauen. Laut der Mutter von Róisín, der 

bekannten Bürgerrechtlerin BernadetteMcAliskey, sei das Ganze wohl ein Missver-ständnis gewesen. Ein nicht genannter Mensch von der deutschen Staatsanwalt-schaft meinte, es sei ein peinlicher Fehler un-terlaufen. Man wolle Róisín gar nicht nachDeutschland ausgeliefert haben. Da frage ichmich doch, wie es denn sein kann, dass beieinem Fall, der über 10 Jahre zurückliegt, soetwas „passieren“ kann. – Wenn nicht Leutefür Róisín die Kaution gezahlt hätten, wäresie zwei Wochen lang im Knast gewesen. Dasist doch eigentlich ein Skandal erster Güte.Mir selbst ist es nicht gelungen, über die

Gründe mehr herauszufinden; Privatperso-nen bekommen da keine Auskunft. Leider hatten aber weder die Junge Welt noch dieTAZ Interesse, da zu recherchieren.Renate Döhr, Irlandgruppe Omega, Berlin

USA

Weitere Terrorurteilegegen UmweltschützerNach koordinierten Razzien in mehrerenBundesstaaten verhaftete die Polizei MitteDezember 2005 sechs Umweltaktivisten/Tierschützer wegen einer Serie von Anschlä-

gen gegen u.a Abholzunternehmen, Tierver-suchsanstalten und der Skianlage in Vail. Inden darauf folgenden Wochen wurden fünf weitere Menschen verhaftet.Die Verhaftungen erfolgtenaufgrund der Aussage desehemaligen Aktivisten JacobFerguson, der für seine Aus-sage und SpitzeltätigkeitStraffreiheit bekam. Fergu-son nahm heimlich mehrereGesprächen mit Aktivistenauf.

Kurz nach ihrer Verhaf-

tung willigten mehrere An-geklagten ein, mit der Polizeizusammenzuarbeiten undüber die Aktionen aufzu-klären. Am Ende waren essechs, Stanislas Meyerhoff, Kevin Tubbs,Chelsea Gerlach, Suzanne Savoie, KendallTankersley und Darren Thurston, sie belaste-ten sich und ihre ehemaligen Genossen. Kon-frontiert mit diesen Aussagen, willigten Nat-han Block, Joyanna Zacher, Daniel McGo-wan und Jonathan Paul, ein über ihre Betei-ligung an den Anschlägen aufzuklären, umdie Gerichtsprozesse zu verkürzen. AndereMenschen belasteten sie nicht. Der 11. An-geklagte wurde in seiner Zelle kurz nach sei-ner Verhaftung tot aufgefunden, angeblichhat er sich das Leben genommen.

Ende Mai/Anfang Juni wurden die Sechs,die mit der Polizei zusammenarbeiteten, so-wie Block und Zacher zu Haftstrafen zwi-schen 3 und 13 Jahren verurteilt. Außer Thur-ston bekamen alle noch weitere drei Jahre auf Bewährung, und ihre Taten wurden, obwohlsie kein Menschenleben gefährdet hatten, für ,terroristisch’ erklärt, was die Höhe der Straf-maß beeinflusst, aber auch dazu führen kann,

dass sie in ein Gefängnis mit höherer Si-cherheitsstufe mit entsprechenden Bedin-gungen kommen, als sie normalerweise kom-men würden (siehe auch Info 307, 309, 324). Am 4. Juni wurde Daniel McGowan (Bild),

der sich schuldig erklärte wegen Ver-schwörung und Beteiligung an Brandschlä-gen gegen ein Abholzunternehmen und eineBaumschule, zu 7 Jahren Gefängnis plus 3Jahre auf Bewährung. Auch McGowan istnun als ,Terrorist’ gebrandmarkt.

In einer Anhörung im Mai versuchte der Staatsanwalt, die Motive der Angeklagten zuentpolitisieren und sie als gewöhnliche Kri-

minelle darzustellen, verglich sie sogar mitdem rassistischen und mörderischen Klu KluxKlan. In McGowans Anhörung zur Straf-maßfestsetzung erreichte er zwar nicht dasKKK-Niveau, zog aber sonst alle anderen Re-

gister. Zuerst behauptet er, McGowan hätteein Doppelleben geführt, in der Öffentlich-keit der offene politische und soziale Aktivistund im Dunkeln der gewalttätige Anarchist,ein wahrer Jeckyll and Hyde. Jahrelang seier in verschiedenen klandestinen Gruppen in-

 volviert, u.a. die Biotic Baking Brigade (BBB),deren Aktionsform Torte-ins-Gesicht Vertre-ter des Neoliberalismus und Umweltver-schmutzer in Angst und Schrecken versetzt

habe. McGowan habe in Dezember 2004 ein-fach zugeguckt, als ein Unbekannter eine Tor-te ins Gesicht des rechten Gründers einer An-

tiabtreibungsorganisationwarf. Er sei an Anschlägengegen Forschungslabore be-teiligt und habe eine be-schrieben, wie man gegensolche vorgeht, und „die jah-relange Arbeit von For-schern zerstört“. Gemeintwaren Gentechniklabore,auch wenn der Staatsanwaltes vermied, diese beim Na-

men zu nennen.McGowan, meinte der 

Staatsanwalt, sei ein „inte-graler Teil“ der Black-Bloc-

  Aktivitäten während des WTO-Treffens in Seattle gewesen und damit verantwortlich für entstandene Sachschadenwährend der Auseinandersetzung zwischenDemonstranten und Staatsapparat - McGo-wan war bekannt als Pressesprecher der An-ti-WTO-Organisation.  Als einer der Hauptorganisatoren gegen

den Parteitag der republikanischen Partei inNew York 2004 „führte er seinen Kader von

 Anarchisten, verfolgte die Delegierten und versuchte das Leben der Republikaner so mi-serabel wie möglich zu machen“.

Die Richterin machte McGowan klar, wassie von Leuten hält, die nicht bereit sind, In-formant zu sein. Als erstes übernahm sie vomStaatsanwalt die Beschreibung von McGo-wan als Jeckyll und Hyde, zeigte aber ihreBildung und Kenntnis der römischen My-thologie, indem sie dies seine Janus-Gesich-ter nannte. Dann griff sie ihn an, weil seineFamilie und Freunde eine Webseite einrich-teten, auf der über den Prozess berichtet wird,

nirgends auf der Webseite steht, wozu er sichschuldig bekennt, sagte sie, sicherlich habendie Anwälte davon abgeraten. Schon am glei-chen Tag, als McGowan bei der Polizei ein-willigte, seine Beteiligung an den Anschlä-gen zuzugeben, wurde die schriftliche Ab-machung ins Netz gestellt und ist immer nochauf der Website. Warum hat er einen Privatanwalt, anstatt

einen Pflichtverteidiger, wollte sie wissen,wieso sammelt er Geld über die Website für seine Verteidigung und nicht, um die ent-standenen Schäden zu bezahlen, er wolle imGefängnis weiterstudieren und hat noch kei-

nen Cent Wiedergutmachung geleistet. Nacheinem langen Monolog schickte sie ihn insGefängnis.

www.supportdaniel.orgwww.infoshop.org/ 

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8/6/2019 Gefangenen Info #326

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 Mutulu Shakur

WillkürjustizMitte März wurde der afroamerikanische po-litische Gefangene Dr. Mutulu Shakur, Stief-

 vater des verstorbenen Rappers Tupac (2Pac)Shakur, mitten in der Nacht vom Bundesge-fängnis Coleman in Florida ins USP Pollockin Louisiana verlegt. Wenige Wochen später 

wurde er noch mal verlegt ins USP Atlanta,Georgia. Vor kurzem wurde er dann insberüchtigte Hochsicherheitsgefängnis Flo-rence in Colorado verlegt.

Seit seiner Jugendzeit ist Shakur politischaktiv. Als knapp Achtzehnjähriger war er 1968 Mitbegründer der Provisorischen Re-gierung der Republik Neu Afrika, deren Zieldie Gründung eines unabhängigen Staats inden südöstlichen Gliedstaaten Georgia, Alab-ama, South Carolina, Mississippi und Louisi-ana war. Er arbeitete auch mit dem soziali-stisch orientierten Bewegung Revolutionary

 Action Movement (RAM) zusammen, die eng

mit Malcolm X kooperierte, nachdem dieser die Nation of Islam verließ, und war jahre-lang aktiv in der Bewegung für die Freilas-sung der politischen Gefangenen.

Seit seinem 19. Lebensjahr wird er vom FBIüberwacht, alle drei Monate wurde ein Be-richt über seine Tätigkeiten an dem Chef desFBIs geschickt.

Nach einem gescheiterten Überfall einesgemischten Kommandos von euro-amerika-nischen Antiimperialisten und Mitgliedernder afro-amerikanischen Black Liberation

  Army 1981 erklärte das FBI Shakur zumDrahtzieher der Aktion. Shakur tauchte un-ter und wurde erst fünf Jahre später in Kali-fornien gefasst, anschließend wurde er zu ei-ner Gefängnisstrafe von 60 Jahren verurteilt.Nach mehreren Jahren im Gefängnis Floren-ce wurde er nach Coleman verlegt.

Nach dem Gesetz muss ein Gefangener, der  von einem Bundesgericht zu einer Haftstra-fe von mehr als 30 Jahren verurteilt ist, min-destens 10 Jahre absitzen. 1996 stand Sha-kur eine Anhörung zur Aussetzung der Rest-strafe zu. Diese Anhörung fand nicht statt,weil die Gefängnisbehörde ihn ständig voneinem Gefängnis ins andere verlegte1. Auch

im Gefängnis ist Shakur politisch aktiv. An-fang dieses Jahres z.B. fand zum zweiten Malnach letztem Jahr der „Hip-Hop Gipfel Hin-ter Gefängnismauern“ statt und die Vorbe-reitung für nächstes Jahr läuft schon. Der Gipfel dient als Forum zum Austausch zwi-schen Gefangenen und geladenen Gästen vonaußerhalb, um über die Beziehung zwischenHip-Hop, Verhalten und Straftaten und dieRolle der Medien zu diskutieren.

Eine Anhörung zur Strafaussetzung bekamShakur erst 2002. Die Kommission lehnte ei-ne Strafaussetzung ab und entschied, er dür-fe erst nach mindesten 15 Jahren wieder an-

gehört werden. 2004 reichte Shakurs Anwalteine Klage gegen die verspätete Anhörungbzw. gegen die Entscheidung der Strafaus-setzungskommission bezüglich eines neuen

 Antrags. Ein Jahr später gab ein Prüfer der 

Kommission Shakur recht und empfahl der Kommission, ihren Fehler zu korrigieren. ImMärz desselben Jahres lehnte die Kommissi-on die Empfehlung ihres Prüfers ab und wei-gert sich, eine neue Anhörung anzusetzen.

Im November 2005 bestätigte ein Bundes-berufungsgericht die Entscheidung der Kom-mission mit der Begründung, dass Shakur ei-ne Gefahr für die Gesellschaft darstelle undder Kommission daher eine viel größere Er-

messungsfreiheit eingeräumt wird. Im Juni2006 weigerte sich das Oberste Gericht der USA, den Fall überhaupt zu untersuchen.

Für den 18. Juni war eine gesetzlich vor-geschriebene Zwischenanhörung terminiert.

 Auch diese Anhörung fand nicht statt, denndie Gefängnisbehörde hatte Shakur schonwieder ,auf Reisen’ geschickt.www.mutulushakur.com„CAN’T JAIL THE SPIRIT“, Third Edition,October, 1992

1 Besonders politische Gefangene werden erstsehr spät über ihre Verlegung informiert, oft

werden sie mitten in der Nach verlegt und dür-fen sowieso nur das Nötigste mitnehmen. Allesandere wird dann nachgeliefert, was teilweiseMonate dauert.

Eskalierende Repression

Protestbewegung inKolumbienForderung nach kritischer medialer Be-richterstattung über das aktuelle brutale Vorgehen der kolumbianischen Regierunggegen Hunderttausende SchülerInnen,

Studierende, ProfessorInnen und Arbeite-rInnen

Seit dem 2. Mai befinden sich landesweit über 24 öffentliche Universitäten Kolumbiens imStreik. Am 23. Mai kam es zu einemNationalstreik: 1 Million Menschen(!), die ihre Wut auf die Straßen tru-gen (Bild S. 16). Seit diesem Tagschlossen sich sämtliche Oberschu-len den universitären Protesten an:

Studierende, SchülerInnen, Pro-fessorInnen und ArbeiterInnen in-nerhalb des akademischen Sektors

besetzen seit Wochen ihre jeweili-gen Einrichtungen, kämpfen zuTausenden für den Erhalt des öf-fentlichen Bildungssystems und ge-gen die aktuelle paramilitärische

Regierung, sind dabei konsequent Gewalt,Drohungen, Verfolgungen und Stigmatisie-rungen von Seiten der Polizei und des Mi-litärs ausgesetzt. Wie gegen viele soziale AkteurInnen, kri-

tische Stimmen und politische Oppositionel-le in Kolumbien werden auch gegen die ak-tuelle Protestbewegung – die stärkste sozia-le Mobilisierung der Bevölkerung seit Jahren!- schwere Geschütze aufgefahren. Demon-

strationen und Protestmärsche werden mitTränengas, Wasserwerfern, Räumpanzernund Massenverhaftungen zerschlagen, densozialen Forderungen der Bewegung begeg-net die Exekutive mit blanker Gewalt, die Re-gierung mit Verleumdungen, Verklärung undStigmatisierung. Am 24. Mai erklärte Präsident Alvaro Uri-

be innerhalb der wichtigsten Nachrichten-sendungen die Illegitimität des öffentlichenProtestes und der Massenbewegung. In dendarauf folgenden Tagen bereitete die Regie-rung die nun zu befürchtende Eskalation der Repression scheibchenweise über diverse

Botschaften und Signale in den Massenme-dien vor. Am 28. Mai verkündete der (von der uribi-

schen Regierung vor rund einem Jahr einge-setzte) Rektor der Universidad Nacional deColombia / Bogotà (UNAL), Moises Wasser-man, die polizeiliche Räumung des Campussowie die unbefristete Schließung dieser größten, wichtigsten - und sicherlich kri-tischsten - kolumbianischen Bildungsein-richtung an.

Dieser radikale Schritt kommt nicht vonungefähr: die UNAL Bogotà hat sich ge-genüber der systematischen staatlichen Ge-walt und der versuchten politischen Ein-flussnahme sowie den latenten Intentionender Militarisierung der Universität selbst, bis-weilen als bemerkenswert resistent erwiesen.

Ihre 30.000 Studierenden, ProfessorInnenund ArbeiterInnen sind nicht zufällig auchdas Epizentrum der aktuellen Massenmobili-sierung. Mit der nun angedrohten Räumungund unbefristeten Schließung der Universitätsoll die sich seit wenigen Wochen rasant in-tensivierende Organisierung des Protestes(welcher sich innerhalb dieses Monats schonauf sämtliche soziale Sektoren ausgeweitet

hatte) eingestampft und weiteres Aufbegeh-ren gegen die repressive Staatlichkeit unter-bunden werden.

Dieser Versuch der Unterdrückung undNiederschlagung der aktuellen Protestbewe-

Eine Krähe sorgt dafür, dass der an-deren kein Auge ausgehackt wird

Bush hat jetzt kurzerhand die gegen denfrüheren Stabschef seines Vizepräsiden-ten Dick Cheney, Lewis Libby, verhängteHaftstrafe aufgehoben. Das Strafmaß, soBush, halte er für „übertrieben“. Libby war im so genannten Spygate Prozess um dieEnttarnung einer Ex-CIA-Agentin zu 30Monaten Gefängnis verurteilt worden.

Tägliche Mahnwache

Page 16: Gefangenen Info #326

8/6/2019 Gefangenen Info #326

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Das Gefangenen Info ist aus dem Angehörigen Infohervorgegangen. Es erscheint vierwöchentlich beiGNN Gesellschaft für Nachrichtenerfassung und Nach-richtenverbreitung, Verlagsgesellschaft in Schleswig-

Holstein / Hamburg m. b. H., Neuer Kamp 25, 20359Hamburg. V.i.S.d.P. : Christiane Schneider. Redakti-onsanschrift u. Bestellungen: GNN-Verlag, Neuer Kamp 25, 20359 HH, Tel.: (040) 43188820, Fax:(040) 43188821, eMail: [email protected]

Einzelpreis : 1,55 Euro. Ein Jahresabonnement kostet29,90 Euro (Förderabonnement 33,20 Euro), Buchläden,Infoläden und sonstige Weiterverkäufer erhalten bei Be-stellung ab 3 Stück 30 % Rabatt. Bei Bestellung erhal-

ten Sie eine Rechnung bzw. ein Formular für eine Ein-zugsvollmacht, die Sie uns bitte zurückschicken. Ver-lagskonto: Postbank Hamburg, BLZ 200 100 20, Konto-nummer: 25265-201. Gesamtherstellung: GNN Gesell-schaft für Nachrichtenerfassung und Nachrichtenver-

breitung, Verlagsgesellschaft in Schleswig-Holstein /Hamburg m.b.H.Eigentumsvorbehalt:Nach diesem Ei-gentumsvorbehalt ist die Zeitung so lange Eigentumdes Absenders, bis es dem Gefangenen ausgehändigt

wird. „Zur-Habe-Nahme“ ist keine Aushändigung imSinne des Vorbehalts. Wird das Info dem Gefangenennicht persönlich ausgehändigt, ist es dem Absender mit dem Grund der Nichtaushändigung zurückzu-schicken. Redaktionsschluss für Nr. 327: So, 22.7.07 

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E-Mail: [email protected] • Gefangenen Info im Netz: www.political-prisoners.net

gung richtet sich dabei nicht „nur“gegen grundlegenden soziale, politi-sche und demokratische Rechte, son-dern entwickelt sich zunehmend auchzu einer schwerwiegenden Bedro-hung für die physische Unversehrt-heit und Integrität von zig tausenden– zu einem großen Anteil jugendli-chen – Protestierenden.

Seit gestern, dem 28. Mai, werden

die landesweit besetzten Schulen undUniversitäten suksessive geräumt, dieBesetzerInnen sind der einrückendenstaatlichen Exekutive - bewaffnet mitGummigeschoß, Gasgranaten undKnallkörperexplosiva - dabei wehr-los ausgeliefert.

Die intentierte Zerschlagung dessozialen Zentrums des Protests – dieRäumung der von Hunderten Studie-renden und ArbeiterInnen besetztenUNAL, welche hiermit gegen die be-nannte Schließung verteidigt werdensoll - wird höchstwahrscheinlich mit

weiterer Gewalt, weiteren Massen-  verhaftungen, weiterer Stigmatisie-rung, kurz: einer Eskalation der Re-pression, durchgesetzt werden.

Das aktuelle Geschehen sowie das  Auftreten der politischen Entschei-dungsorgane lässt diese Eskalationdabei als zeitlich bereits sehr nahe lie-gend erscheinen. Wie eingangs ersichtlich, ist dieser 

Bericht hier nicht als rein deskriptiveSchilderung dieser Prozesse gedacht,sondern ...

... als Bitte an alle persönlichen Ein-zelkontakte (KollegInnen, Bekannte,FreundInnen etc.) diesen Aufruf analle Menschen, Anstalten, Vereine,Institutionen und Medien weiterzuleiten,welche für die Thematik empfänglich er-scheinen.

... als Aufforderung an Medien aller Art, diegeschilderten Geschehnisse und Entwicklun-gen in ihre aktuelle Berichterstattung aufzu-nehmen bzs. dies zu intensivieren.

Soweit Bogotà auch von Wien oder Berlinentfernt sein mag, ist die Präsenz und die kri-tische Wahrnehmung der momentanen Ge-

schehnisse in internationalen Medien vonausgesprochener Bedeutung für den Hand-lungsspielraum der jeweiligen AkteurInnenKolumbiens. Von kritischen Medien, welchesich deren gesellschaftlichen Funktion be-wusst sind, muss eine gewisse Verantwortungeingefordert werden, zur Gewahrung grund-legender Rechte beizutragen und totalitärenRegimen mit aufklärerischem Journalismus

zu begegnen - national, international, don-de sea ... Vom inner-kolumbianische Mediengefüge

kann dabei keine Aufklärung und Wahrheit-sorientierte Informationsvermittlung erwar-tet werden, befinden sich alle großen Zei-tungen, Radio- und Fernsehsender doch inreichlicher Konzentration in den Händen we-niger Großfamilien, welche gegenüber demautoritären Status Quo überwiegend einen

kaschierenden, beschwichtigenden oder gar gut heissenden ideologischen Standpunkteinnehmen.

So werden hier die zehntausende prote-stierende Studierende der UNAL kurzerhandzu einer verschwindenden Gruppe von „150“(!) UnruhestifterInnen herbeigeschriebenbzw. -gesendet. Das ist absurd.

Und effektiv. Die über derlei Mechanismen

  vermittelten Informationen schlagen ein:prägen die Wahrnehmung innerhalb Kolum-biens und spiegeln sich quasi unverändert inden – ohnehin sehr spärlichen - Aussendun-gen internationaler Presseagenturen wider.Die 22.000 Studierenden der UNAL (von ins-gesamt 25.000), welche sich z.B. am Carne-

 val de Protesta – einer bunten Widerstand-sorgie quer durch Bogota vor rund zwei Wo-chen – beteiligten, schluckt die Propaganda,

sie landen im medialen Off.Um trotz alledem ein wenig Realitätsnähein der Berichterstattung zu gewähren: es han-delt sich um eine Massenbewegung und diestärkste soziale Mobilisierung seit Jahren.Diese richtet sich einerseits (anlassbezogen)gegen die drohende – weitere – Exklusionbreiter Bevölkerungsteile aus dem Bildungs-system durch schrittweise Privatisierung die-ses Sektors. Jedoch richtet sich der Protestgleichfalls gegen die fortschreitende sozialeMarginalisierung im Allgemeinen, die (unter Uribe enorm intensivierte) Militarisierung desLandes, sowie vor allem auch gegen die pa-

ramilitarisierte kolumbianische Regierung:sowohl verschiedenen Regierungsminister als auch beinahe einem Drittel der Kongres-smitglieder konnten in den letzten Monatenpersönliche Beziehungen mit den parami-litärischen Todesschwadronen nachgewiesenwerden.

Dies berücksichtigend, wird verständlich,warum sich die Protestbewegung gegen die„illegitime“ Regierung gleichfalls als antifa-schistisch tituliert. O-Ton:¡Somos un grito de libertad!

Weiterführende Berichte und Artikel zuden Hintergründen:Homepage der Asamblea General permanente der UNAL:http://unbogota.tripod.comIndymedia Colombia:http://colombia.indymedia.org/news/ Aktuellere Berichte zur kolumbianischen Lage auf Deutsch:Der Standard-Online zum Nationalstreik:http://derstandard.at/?id=2892885Der Standard-Online Kolumbien allgemein:http://derstandard.at/?ressort=kolumbienLe Monde Diplomatique über die Paramilitarisie-rung des Staates (Mai 2007):http://www.monde-diplomatique.de/pm/2007/

05/11.mondeText1.artikel,a0033.idx,9Le Monde Diplomatique zu den aktuellen Para-Po-litica-Aufdeckungen (Mai 2007)http://www.monde-diplomatique.de/pm/2007/05/11.mondeText1.artikel,a003 5.idx,8Raul Zelik „Das mafiose Kontrollregime - Para-militarismus und Staat in Kolumbien“ (2006)http://www.raulzelik.net/textarchiv/kolumbien/kontrollregime.htm