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Falk Gastro-Kolleg Leber und Gallenwege Fragebeantwortung unter www.falkfoundation.de Falk Gastro-Kolleg 29 Prof. Dr. S. Sorichter Universitätsklinikum Freiburg – Abteilung Pneumologie Alpha--Center Freiburg für Erwachsene Killianstr. Freiburg Titelbild: CT-Thorax: Nachweis eines ausgeprägten panlobulären Emphysems mit Bullae- und Bronchiektasenbildung Alpha-1-Antitrypsinmangel – hereditäre Leber- und Lungenerkrankung Zusammenfassung Der hereditäre Alpha-1-Antitrypsin (AAT)-Mangel ist die häufigste angeborene Stoffwech- selerkrankung, die primär zu einer obstruktiven Ventilationsstörung und Lungenerkran- kung, aber auch zu Leberveränderungen führt. Ursächlich ist ein autosomal-rezessiver Gendefekt auf Chromosom 14, der die Synthese von AAT in den Hepatozyten und dessen Freisetzung negativ beeinflusst. Abnormalen Sequenzen auf beiden Allelen folgt im Regelfall ein verminderter Serumspiegel (SS), ein dauerhafter Abfall unter 0,8 g/L (= 35% Sollwert) ist für die Lungenschäden (selten Hepatitis, Leberzirrhose) verant- wortlich. Von den über 32 pathologischen (Mangel-)Genvarianten ist die Z-Variante die häufigste; die homozygote Form (PIZZ) geht immer mit einer hochgradig verminderten antiproteolytischen Kapazität einher (SS ~0,35 g/L), beim Vorliegen von Null-Allelen wird kein AAT synthetisiert. Die überwiegende physiologische Bedeutung von AAT ist der Schutz von empfindlichem, ortsständigem Alveolargewebe vor der proteolytischen Aktivität von Proteasen, insbesondere der neutrophilen Elastase. Dies erklärt, warum gravierende Organschäden bei AAT-Mangel fast ausschließlich die Lunge betreffen. Neugeborene mit (Kern-)Ikterus, Erwachsene mit obstruktiven Ventilationsstörungen oder unerklärten Leberschäden sowie Familienmitglieder bei bekanntem AAT-Mangel müssen auf das Bestehen eines AAT-Mangels untersucht werden. Bei vermindertem AAT-Serumspiegel sollte eine Genotypbestimmung erfolgen. Wichtigste Therapiemaß- nahme ist die Nikotinkarenz sowie die konsequente Umsetzung der COPD-Basistherapie (langwirksame inhalative Broncholytika, Lungensport/Rehabilitation, ggf. inhalative Stero- ide). Bei mittelgradig eingeschränkter Lungenfunktion (FEV 1 zwischen 35 und 65% Soll)

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Leber und Gallenwege

Fragebeantwortung unter

www.falkfoundation.de

Falk Gastro-Kolleg

29

Prof. Dr. S. SorichterUniversitätsklinikum Freiburg – Abteilung PneumologieAlpha--Center Freiburg für ErwachseneKillianstr. Freiburg

Titelbild: CT-Thorax: Nachweis eines ausgeprägten panlobulären Emphysems mit Bullae- und Bronchiektasenbildung

Alpha-1-Antitrypsinmangel – hereditäre Leber- und LungenerkrankungZusammenfassung

Der hereditäre Alpha-1-Antitrypsin (AAT)-Mangel ist die häufigste angeborene Stoffwech-selerkrankung, die primär zu einer obstruktiven Ventilationsstörung und Lungenerkran-kung, aber auch zu Leberveränderungen führt. Ursächlich ist ein autosomal-rezessiver Gendefekt auf Chromosom 14, der die Synthese von AAT in den Hepatozyten und dessen Freisetzung negativ beeinflusst. Abnormalen Sequenzen auf beiden Allelen folgt im Regelfall ein verminderter Serumspiegel (SS), ein dauerhafter Abfall unter 0,8 g/L (= 35% Sollwert) ist für die Lungenschäden (selten Hepatitis, Leberzirrhose) verant-wortlich. Von den über 32 pathologischen (Mangel-)Genvarianten ist die Z-Variante die häufigste; die homozygote Form (PIZZ) geht immer mit einer hochgradig verminderten antiproteolytischen Kapazität einher (SS ~0,35 g/L), beim Vorliegen von Null-Allelen wird kein AAT synthetisiert. Die überwiegende physiologische Bedeutung von AAT ist der Schutz von empfindlichem, ortsständigem Alveolargewebe vor der proteolytischen Aktivität von Proteasen, insbesondere der neutrophilen Elastase. Dies erklärt, warum gravierende Organschäden bei AAT-Mangel fast ausschließlich die Lunge betreffen. Neugeborene mit (Kern-)Ikterus, Erwachsene mit obstruktiven Ventilationsstörungen oder unerklärten Leberschäden sowie Familienmitglieder bei bekanntem AAT-Mangel müssen auf das Bestehen eines AAT-Mangels untersucht werden. Bei vermindertem AAT-Serumspiegel sollte eine Genotypbestimmung erfolgen. Wichtigste Therapiemaß-nahme ist die Nikotinkarenz sowie die konsequente Umsetzung der COPD-Basistherapie (langwirk same inhalative Broncholytika, Lungensport/Rehabilitation, ggf. inhalative Stero-ide). Bei mittelgradig eingeschränkter Lungenfunktion (FEV1 zwischen 35 und 65% Soll)

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und/oder raschem Funktionsverlust (> 10%/a) kann eine Substitutionstherapie mit humanem AAT eine zusätzliche Therapieergänzung darstellen, da hierunter eine signifikante Reduktion des Lungenfunktionsverlusts nachgewiesen wurde. Operative (Lungenvolumenreduk tion/-transplantation) sowie Ersatzverfahren (Sauerstofflangzeit-therapie, nicht-invasive Beatmung) können bei fortgeschrittenen Lungenerkrankungen notwendig werden. Zur Verbesserung der medizinischen Versorgung wurden deutsch-landweit sogenannte Alpha-1-Zentren gegründet.

Schlüsselwörter

Lungenemphysem | Neugeborenenikterus | Proteasen | Anti-Proteasen | Nikotinkonsum | COPD

Alpha-1-Antitrypsinmangel – hereditäre Leber- und Lungenerkrankung

Einleitung

Erst seit den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts konnte mithilfe der Serumelektro-phorese eine Beurteilung des Proteinstatus routinehaft in der medizinischen Diagnos-tik erfolgen. Verschiedene Banden zeigten typische Muster für Erkrankungen an, unter anderem eine Erhöhung der Trypsin-inhibierenden Alpha-1-Globulin-Bande bei aku-ten Infektionserkrankungen. 1963 beschrieben die Schweden Eriksson und Laurell erstmalig das Fehlen dieser Bande (Abb. 1) bei jungen Patienten mit Lungenemphy-sem und gaben der Erkrankung den Namen: Alpha-1-Antitrypsin (AAT)-Mangel [1, 2]. Der AAT-Mangel ist eine genetisch bedingte Erkrankung, die eine Strukturänderung des in den Hepatozyten gebildeten AAT bewirkt. Folge hiervon ist eine Anhäufung des Moleküls in der Leber sowie ein extrahepatischer Mangel, wodurch die Schutz-funktion (Proteaseinhibition) nicht mehr oder nur noch teilweise erfüllt wird. Dies kann zu einer erheblichen Funktionsstörung verschiedener Organe, aber insbesondere der Lunge führen. Da diese Veränderungen durch exogene Einflüsse, wie zum Beispiel inhalativem Nikotinkonsum oder anderen inhalativen Noxen, negativ beeinflusst wer-den, ist eine frühzeitige Diagnostik aus präventiven Überlegungen notwendig.

Abb. 1Eiweißelektrophorese bei leichtem Alpha-1-Antitrypsinmangel (↓)

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Genetik, Häufigkeit, Biologie und Pathophysiologie

Der hereditäre AAT-Mangel entsteht durch einen autosomal-rezessiven Gendefekt auf Chromosom 14 in der Region 14q32.1. Diese Region wird als Proteaseinhibitor-Gen (PI-Gen) oder SERPINA1-Gen bezeichnet [3]. Das PI-Gen wird kodominat vererbt und, neben einer geringen Menge in den Makrophagen, fast ausschließlich in den Hepato-zyten exprimiert [4]. Da vom PI-Gen viele erbliche Varianten vorliegen, sind sowohl auf DNA- als auch auf Proteinebene zahlreiche Polymorphismen nachweisbar. Durch Elek-trophorese mit isoelektrischer Fokusierung konnte als Hauptallel das PIM-Allel (Subty-pen M1–5) mit einer über 90%igen Häufigkeit nachgewiesen werden. Diese gehen mit einer normalen AAT-Konzentration im Blutplasma einher. Die (Defizienz-)Allele PIS und PIZ sind die häufigsten Allele die zu einem AAT-Mangel führen, wobei es europa-weit regionale Unterschiede in der Häufigkeit gibt (Skandinavien bevorzugt PIZ, die Iberische Halbinsel bevorzugt PIS) [5]. Ebenso gibt es einen Allel-bezogenen Unter-schied in der Ursache des AAT-Mangels, bedingt durch eine Instabilität des Genpro-dukts beim PIS-Typ bzw. eine Störung der Sekretion des Genprodukts im Hepatozyten beim PIZ-Typ [6]. Selten kommen (Null-)Allele vor, die zu einer Konzentration von un-ter 1% der normalen AAT-Menge im Plasma führen, und deswegen als PI00 bezeichnet werden. Die biologische Funktion des AAT besteht in der Inhibition verschiedener Proteasen, wie zum Beispiel der neutrophilen Elastase, die in ihrem aktiven Zentrum die Aminosäure Serin beinhalten. Als Synonym für AAT wird daher auch der Begriff Alpha-1-Proteaseinhibitor verwendet, insbesondere im englischen Sprachraum. Orts-gebunden kommt die neutrophile Elastase in großen Mengen in den Granula der neutrophilen Granulozyten der Lunge vor, die neben den endogen sezernierten so-wie exogen inhalierten Oxidanzien (Zigarettenrauch, Stäube), ein hohes Schädigungs-potenzial der Alveolen besitzt. Alpha-1-Antitrypsin als natürlicher und hoch bindungs-affiner Inhibitor der neutrophilen Elastase besitzt daher in der Protektion der Lungenstruktur eine ganz besondere Rolle. Das von Eriksson und Laurell geprägte Konzept eines Ungleichgewichts zwischen schützender (Proteaseinhibition) und schädigender (Proteolyse) Kapazität in der Lunge, hat sich daher bis heute als gültig erwiesen [1, 7]. Ein relevanter AAT-Mangel, ggf. verstärkt durch eine exogene Zufuhr von inhalierten Oxidanzien (Zigarettenrauch), wird sich daher primär als Lungener-krankung manifestieren. Ein solcher klinisch manifester AAT-Mangel wird mit einer Häufigkeit von ~0,01% innerhalb der mitteleuropäischen Bevölkerung (entsprechend 8000 Patienten für Deutschland) geschätzt, wobei deutschlandweit bisher aber nur ca. 1000 Patienten diagnostiziert wurden [8].

P Der Alpha-1-Antitrypsinmangel ist ein autosomal-rezessiver Gendefekt, der zu einer verminderten antiproteolytischen Kapazität vorwiegend in der Lunge führt. Die klinisch manifeste Erkrankung ist selten, sie ist aber auch deutlich unterdiagnostiziert.

P Die verminderte antiproteolytische Kapazität führt zu einer gestörten Balance von Proteasen und Protease-inhibitoren.

Tab. 1Risikoabschätzung für Leber- und Lungenerkrankungen bei Alpha-1-Antitrypsinmangel (nach [7, 8])

Phänotyp Serumspiegel (g/L) Risiko für Leber-erkrankung

Risiko für Lungen-erkrankung

MM Normal (> 1,5) Kein Risiko Kein Risiko

MZ Intermediär (> 0,9) Kein Risiko Kein Risiko

MNull Intermediär (> 0,9) Kein Risiko Unbekannt

SS Intermediär (> 0,9) Kein Risiko/ Unbekannt

Kein Risiko

SZ Niedrig (> 0,75) Möglicherweise erhöht

Leichtes Risiko (< 50%)

ZZ Sehr niedrig (< 0,75) Hohes Risiko (> 50%)

Hohes Risiko (> 50%)

ZNull Sehr niedrig (< 0,75) Unbekannt Hohes Risiko (> 50%)

NullNull Negativ Kein Risiko Hohes Risiko (100% > 30 Jahre)

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Manifestation im Neugeborenenalter

Der AAT-Mangel tritt im Neugeborenenalter sehr selten auf, dann aber ausschließlich in Form eines hepatitischen Syndroms mit abnormen Leberenzymwerten und einem Ikterus (konjugierte Hyperbilirubinämie) als Leitsymptom [9]. Betroffen sind die Phä-notypen PIZZ, PIZ0 sowie PI00, ein foudroyanter Verlauf ist in Einzelfällen beschrieben worden [10]. Ungefähr die Hälfte der Kinder mit AAT-Mangel-bedingter neonataler Le-bererkrankung entwickelt im weiteren Verlauf eine Leberzirrhose, die im Allgemeinen langsam progredient ist [11]. Die Diagnostik beinhaltet die Messung des AAT. Bei Werten unter 1,6 g/L sollte eine Phänotypisierung erfolgen, wodurch eine differenzial-diagnostische Abgrenzung zu infektionsbedingten neonatalen Hepatitiden möglich wird. Eine pulmonale Manifestation im Neugeborenenalter ist nicht bekannt.

Manifestation an der Leber

Die Zirrhose ist die typische Manifestation des AAT-Mangels an der Leber; im Kindes-alter stellt der AAT-Mangel die häufigste genetische Ursache einer Lebererkrankung sowie Ursache für eine Lebertransplantation dar [12]. Von Lebererkrankungen betrof-fen sind fast ausschließlich Patienten mit dem Phänotyp PIZZ, sehr viel seltener kann dies aber auch bei einer heterozygoten Erkrankung mit einem Z-Allel auftreten. Ursächlich ist hier eine Störung der Sekretion des Genprodukts in den Hepatozyten, wodurch der überwiegende Teil polymerisiert und im endoplasmatischen Retikulum aggregiert (Einschlusskörper) und im weiteren Verlauf degradiert wird [6]. Mehr als ein Drittel der Erwachsenen mit dem Phänotyp PIZZ weist im Alter von über 50 Jahren eine Leberzirrhose auf, die individuellen Verläufe sind aber sehr variabel. Da die Leber-zirrhose einen Risikofaktor für das primäre hepatozelluläre Karzinom darstellt, sollten hier regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen stattfinden. Dies gilt ebenso für den Son-derfall des heterozygoten PIZ-Phänotyps, bei dem Lebertumoren auch ohne Beleg einer Zirrhose gehäuft nachgewiesen werden konnten [13, 14].

Manifestation an der Lunge

Die gestörte Balance zwischen Proteasen und Proteaseinhibitoren in der Lunge bei AAT-Mangel führt zu einer langsamen Zerstörung von Alveolar- und Kapillargewebe. Liegt eine permanente Reduktion des Serumspiegels von AAT unter 0,8 g/L (= 35% Sollwert) vor, muss von der Entwicklung einer schweren obstruktiven Lungenerkran-kung im Sinne einer chronisch obstruktiven Bronchitis in Kombination mit einem Lun-genemphysem ausgegangen werden (Abb. 2). Die klinisch spürbare Erstmanifestation findet meist nach dem 30. Lebensjahr statt, abhängig davon, ob insbesondere zusätz-lich ein inhalativer Nikotinkonsum betrieben wird [15]. Neben den klassischen Symp-tomen der COPD mit Husten, Auswurf und (Belastungs-)Dyspnoe, entwickeln manche Patienten auch eine bronchiale Hyperreagibilität sowie Bronchiektasen. Der progre-diente Krankheitsverlauf bis hin zum Lungenversagen wird insbesondere durch respi-ratorische Infekte getriggert, da durch den AAT-Mangel die vermehrte proteolytische Aktivität durch den Neutrophileneinstrom in die Atemwege nicht kompensiert wer-den kann [16]. Die Entwicklung einer höhergradigen obstruktiven Lungenerkrankung im jüngeren Lebensalter (early-onset COPD) ist bis zum Ausschluss eines AAT-Mangels immer hochgradig verdächtig auf diesen.

P Zur seltenen Differenzialdiagnose des neonatalen Ikterus gehört der Alpha-1-Antitrypsinmangel.

P Die durch das Z-Allel bewirkte Störung der Sekretion von Alpha-1- Antitrypsin in Hepatozyten kann eine Leberzirrhose meist im höheren Lebens-alter bewirken. Es besteht ein erhöhtes Risiko für Leberzellkarzinome.

P Ein permanenter Serumspiegel von Alpha-1-Antitrypsin unter 0,8 g/L (= 35% Sollwert) führt zur Entwicklung einer schweren COPD und eines Lungenemphysems.

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Diagnostik

Alpha-1-Antitrypsin gehört zu den Akute-Phase-Proteinen. Deren Synthese wird bei bestimmten Situationen, wie z. B. akuten Infektionen, gesteigert; dadurch kann ein normaler Plasmaspiegel situationsbedingt auch bei Mangelträgern gemessen wer-den. Die gleichzeitige Bestimmung des C-reaktiven Proteins (CRP) kann hier eine bes-sere Beurteilung ermöglichen und bei erhöhten Werten eine Nachmessung im infekt-freien Intervall sinnvoll machen. Die Beurteilung der Eiweißelektrophorese und Abschätzung des AAT-Gehalts ist sehr unsicher und wird daher als Basisdiagnostik zum Nachweis eines AAT-Mangels nicht mehr empfohlen. Sie wird durch die Bestim-mung der Plasmakonzentration des AAT ersetzt. Eine weiterführende Diagnostik mittels Geno- bzw. Phänotypisierung sollte bei verminderten Werten erfolgen, eine kostenlose Möglichkeit besteht hier über den AlphaKit® und Zusendung zum Alpha-1-Antitrypsin-Zentrum Marburg (www.alpha-1-center.de) (Tab. 2). Da der AAT-Mangel zu den häufig erst spät oder nicht erkannten Krankheitsursachen zählt, wird versucht mithilfe der Alpha-1-Center ein deutschlandweit flächendeckendes Exper-tenangebot anzubieten. Ein Screening auf einen AAT-Mangel wird bei Neugeborenen mit Ikterus, Kindern mit Lebererkrankungen sowie Erwachsenen mit einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) oder Leberzirrhose empfohlen. Blutsver-wandten bekannter Mangelträger wird ebenso eine Untersuchung angeraten. Eine fortgeschrittene Lungenerkrankung ist in der Lungenfunktion mittels Ganzkörperple-thysmografie und CO-Diffusion (Überblähung, Obstruktion, Gasaustauschstörung) sowie hochauflösender Computertomografie des Thorax erkennbar [17] (Abb. 2), wo-bei sich radiologisch oft ein panlobuläres, basal betontes Emphysembild zeigt [18]. Zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit sollten zusätzliche Blutgase in Ruhe und unter Belastung (6-Minuten-Gehtest, ausbelastende Ergometrie) erfolgen.

Abb. 2

Lungenfunktionelle Messungen mittels Bodyplethysmografie im Sinne eines Lungenemphysems mit relativer und absoluter Überblähung, verminderten exspiratorischen Flüssen (Emphysem-knick) sowie erhöhten Atemwegswiderständen. Im CT-Thorax Nachweis eines ausgeprägten panlobulären Emphysems mit Bullae- und Bronchiektasenbildung.

Fortgeschrittenes Lungenemphysem bei Alpha-1-Antitrypsinmangel (, 36a)

P Plasmaspiegel und ggf. Geno-typisierung sichern die Diagnose des Alpha-1-Antitrypsinmangels.

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Therapie

Therapeutisch behandelbar ist vorwiegend die Manifestation des AAT-Mangels an der Lunge. Obligat für eine erfolgreiche Therapie ist eine absolute Nikotinkarenz ein-schließlich der Vermeidung von Passivrauchexposition (Lebenspartner) und berufli-chen Belastungen (Stäube, Rauch). Symptomatisch wird die obstruktive Ventilations-störung entsprechend den Empfehlungen zur COPD mit inhalativen langwirksamen Bronchodilatatoren behandelt, bei häufigen Exazerbationen und fortgeschrittenem Lungenfunktionsverlust (FEV1 < 60%) ergänzt durch inhalative Steroide. Wichtig sind eine optimierte Infektprophylaxe (Schutzimpfungen), eine regelmäßige Atem- und Physiotherapie und der Erhalt der körperlichen Belastbarkeit (Rehabilitation, Lungen-sport). Im weiter fortgeschrittenen Erkrankungsstadium können Ersatzverfahren (Sauerstofflangzeittherapie, nicht-invasive häusliche Beatmung) sowie operative Verfahren (Lungenvolumenreduktion) bis hin zur Lungentransplantation notwendig werden. Seit Ende der 80er-Jahre ist in einigen Ländern Europas und in Amerika zusätzlich eine medikamentöse Ersatztherapie durch parenterale Substitution von humanem AAT möglich. Diese Therapieform wird für sicher nikotinfreie Patienten mit einer mittel-gradig eingeschränkten Lungenfunktion (FEV1 zwischen 35 und 65% Soll) und/oder raschem Funktionsverlust (> 10%/Jahr) empfohlen, da hierunter eine signifikante Reduktion des Lungenfunktionsverlusts nachgewiesen wurde. Einen Benefit dieser Substitutionstherapie für gesündere oder kränkere Patienten mit AAT-Mangel konnte nicht gezeigt werden.

Fazit

Der AAT-Mangel stellt leider eine immer noch häufig erst zu spät diagnostizierte Ursa-che der chronisch obstruktiven Bronchitis und des Lungenemphysems dar. Weitere Bemühungen zur rechtzeitigen Diagnose durch frühzeitiges Screening dieser autoso-mal-rezessiv vererbten Erkrankung sind daher dringend notwendig. Die pulmonal verursachten Krankheitssymptome können symptomatisch behandelt werden; im Vordergrund stehen der Rauchverzicht, die Infektprophylaxe sowie der Erhalt der körperlichen Belastbarkeit. Die Möglichkeit einer Substitutionstherapie verbessert die Prognose für ein mittelschwer erkranktes Patientenkollektiv; im Endstadium sind Ersatztherapien bis hin zur Transplantation sinnvoll.

Tab. 2Diagnostik des Alpha-1-Antitrypsinmangels im Erwachsenenalter

Indikation Basis Bestätigung

•PatientenmitCOPD

• PatientenmitchronischerLebererkrankung

• BlutsverwandtevonMangelträgern

Für alle:

Bestimmung des Alpha-1-Antitrypsins im Serum/Plasma, ggf. mit CRP (Infektausschluss)

Bei vermindertem Spiegel:

Genotypisierung z. B. mit Alpha1Kit www.alpha-1-center.de

P Nikotinkarenz, Infektprophylaxe, Bewegung und langwirksame inhalative Bronchodilatatoren stellen die Basis-therapie des Alpha-1-Antitrypsin-mangels dar.

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Zu empfehlende Literatur

1 Laurell CB, Eriksson S. The electrophoretic alpha1-globulin pattern of serum in alpha1-antitrypsin deficiency. Scand J Clin Lab Invest 1963; 15: 132.

2 Laurell CB, Eriksson S. [Hypo-alpha-1-antitrypsinemia]. Verh Dtsch Ges Inn Med 1964; 70: 537–539.

3 Yamamoto Y, Sawa R, Okamoto N, Matsui A, Yanagisawa M, Ikemoto S. Deletion 14q(q24.3 to q32.1) syndrome: significance of peculiar facial appearance in its diagnosis, and deletion mapping of Pi(alpha 1-antitrypsin). Hum Genet 1986; 74: 190–192.

4 Rollini P, Fournier RE. Differential regulation of gene activity and chromatin structure within the human serpin gene cluster at 14q32.1 in macrophage microcell hybrids. Nucleic Acids Res 2000; 28: 1767–1777.

5 van Steenbergen W. Alpha 1-antitrypsin deficiency: an overview. Acta Clin Belg 1993; 48: 171–189.

6 Lomas DA, Evans DL, Finch JT, Carrell RW. The mechanism of Z alpha 1-antitrypsin accumulation in the liver. Nature 1992; 357: 605–607.

7 Silverman EK, Sandhaus RA. Clinical practice. Alpha1-antitrypsin deficiency. N Engl J Med 2009; 360: 2749–2457.

8 Stoller JK, Snider GL, Brantly ML, Fallat RJ, Stockley RA, Turino GM, Konietzko N, Dirksen A, Eden E, Fallat RJ, Luisetti M, Stolk J, Strange C; American Thoracic Society; European Respiratory Society. [American Thoracic Society/European Respiratory Society Statement: Standards for the diagnosis and management of individuals with alpha-1 antitrypsin deficiency]. Pneumologie 2005; 59: 36–68.

9 Hussain M, Mieli-Vergani G, Mowat AP. Alpha 1-antitrypsin deficiency and liver disease: clinical presentation, diagnosis and treatment. J Inherit Metab Dis. 1991; 14: 497–511.

10 Strobel S, Bender SW, Posselt HG, Hübner K. Alpha-1-antitrypsin deficiency: fulminant course in early infancy. Helv Paediatr Acta 1980; 35: 75–83.

11 Volpert D, Molleston JP, Perlmutter DH. Alpha1-antitrypsin deficiency-associated liver disease progresses slowly in some children. J Pediatr Gastroenterol Nutr 2000; 31: 258–263.

12 Eriksson S. Alpha 1-antitrypsin deficiency. J Hepatol 1999; 30 Suppl 1: 34–39.

13 Zhou H, Fischer HP. Liver carcinoma in PiZ alpha-1-antitrypsin deficiency. Am J Surg Pathol 1998; 22: 742–748.

Literatur

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14 Zhou H, Ortiz-Pallardó ME, Ko Y, Fischer HP. Is heterozygous alpha-1-antitrypsin deficiency type PIZ a risk factor for primary liver carcinoma? Cancer 2000; 88: 2668–2676.

15 Janus ED, Phillips NT, Carrell RW. Smoking, lung function, and alpha 1-antitrypsin deficiency. Lancet 1985; 1: 152–154.

16 Dowson LJ, Guest PJ, Stockley RA. Longitudinal changes in physiological, radiological, and health status measurements in alpha(1)-antitrypsin deficiency and factors associated with decline. Am J Respir Crit Care Med 2001;164: 1805–1809.

17 Sorichter S. [Lung function]. Radiologe 2009; 49: 676–686.

18 Dowson LJ, Guest PJ, Hill SL, Holder RL, Stockley RA. High-resolution computed tomography scanning in alpha1-antitrypsin deficiency: relationship to lung function and health status. Eur Respir J 2001; 17: 1097–1104.

Weitere Literatur

Biedermann A, Köhnlein T. Alpha-1-Antitrypsin-Mangel – eine versteckte Ursache der COPD. Dtsch Ärztebl 2006; 103:A1828–A1832.

Köhnlein T, Welte T. Alpha1-Antitrypsinmangel – Pathogenese, Klinik, Diagnostik und Therapie. Pneumologe 2006; 3: 340–348.

Köhnlein T, Welte T (eds). Alpha-1 Antitrypsin Deficiency – Clinical Aspects and Management. 1st edition 2007, Bremen: UNI-MED Science.

Literatur

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Fragen zum Alpha--Antitrypsin (AAT)-Mangel

Zu Fragen 1–9: Welche der Antworten ist richtig?

Frage 1:Der genetisch bedingte AAT-Mangel

EE wird autosomal-dominant vererbtEE ist eine seltene genetische Ursache von LungenerkrankungenEE kommt nur mit den Allelen S (PIS) und Null (PI00) vorEE wird autosomal-rezidiv kodominant vererbtEE kommt vorwiegend in den Mittelmeerländern vor

Frage 2:Die Funktion des AAT-Proteins besteht

EE in der Aktivierung von ProteasenEE in der Inaktivierung von Oxidanzien EE in der Inaktivierung von ProteasenEE selektiv in der Inaktivierung von neutrophiler ElastaseEE im Austausch der Metformin-Gruppe durch Serin in der neutrophilen Elastase

Frage 3:Das Risiko für eine Lungenerkrankung durch einen AAT-Mangel ist

EE nicht vom Genotyp abhängigEE für die homozygote Variante PIMM am höchstenEE für die heterozygote Variante PIMZ nicht erhöhtEE nur durch die homozygote Variante PIZZ gegebenEE anhand der Leberbeteiligung beurteilbar

Frage 4:Der AAT-Mangel

EE gehört zur seltenen Differenzialdiagnose des neonatalen IkterusEE manifestiert sich schon im frühen Kindesalter an der LungeEE mit neonataler Manifestation führt immer zu einer LeberzirrhoseEE kann bei einem Neugeborenen mit einem Serumspiegel unter 1,6 g/L sicher

diagnostiziert werdenEE tritt im Neugeborenenalter typischerweise beim Phänotyp PISS auf

Frage 5:Die klinische Manifestation des AAT-Mangels an der Leber

EE ist durch eine akute Hepatitis im Erwachsenenalter gekennzeichnetEE tritt meist vor dem 50. Lebensjahr aufEE hat ausschließlich für den homozygoten PIZ-Typ ein KarzinomrisikoEE ist fast ausschließlich mit dem Z-Allel verbundenEE führt frühzeitig zum Leberversagen mit Indikation zur Lebertransplantation

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Frage 6:Die Entwicklung einer Lungenbeteiligung bei AAT-Mangel

EE hängt nicht vom Plasmaspiegel des AAT abEE zeigt sich typischerweise klinisch durch eine ausgeprägte bronchiale

HyperreagibilitätEE ist bei einem dauerhaften Plasmaspiegel > 0,8 g/L regelhaft zu erwartenEE tritt bei Rauchern früher aufEE ist das klassische Merkmal der heterozygoten Allelträger

Frage 7:Der Verlauf der Lungenbeteiligung bei AAT-Mangel wird nicht beeinflusst durch

EE respiratorische InfekteEE inhalativen NikotinkonsumEE BronchiektasenEE AlkoholkonsumEE den Phänotyp

Frage 8:Ein AAT-Mangel

EE kann durch den einmaligen Nachweis eines normalen AAT-Plasmaspiegels – auch im Infekt – sicher ausgeschlossen werden

EE sollte immer durch eine Geno- bzw. Phänotypisierung bestätigt werdenEE kann durch die Ganzkörperplethysmografie diagnostiziert werdenEE kann durch die Computertomografie des Thorax sicher diagnostiziert werdenEE kann als Basisuntersuchung in der Eiweißelektrophorese sicher nachgewiesen

werden

Frage 9:Ein durch AAT-Mangel verursachtes Lungenemphysem

EE unterscheidet sich in der Bodyplethysmografie von einem Lungenemphysem anderer Ursache

EE ist typischerweise panazinär und kranial betontEE zeigt keine Einschränkung des pulmonalen GasaustauschsEE ist typischerweise panlobulär und basal betont EE ist eine seltene Krankheitsmanifestation des AAT-Mangels

Frage 10:Welche Antwort ist falsch? Die Basistherapie des AAT-Mangels ist

EE der absolute NikotinverzichtEE die jährliche GrippeschutzimpfungEE die regelhafte Inhalation langwirksamer BronchodilatatorenEE die frühzeitige Substitution von humanem AAT schon bei einer FEV1 von 75% SollEE Rehabilitation, Lungensport, Physiotherapie