FAZ: Der Ausweg aus dem Irrweg

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  • 8/8/2019 FAZ: Der Ausweg aus dem Irrweg

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    RANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG MITTWOCH, 10 . NOVEMBER 2010 NR. 262 SEITE N 5Forschung und Lehre

    Der Untergang des Abendlandesist vorlufig aufgeschoben. Weildie Steuerschtzung dem Finanz-

    minister fr die nchsten drei Jahre je-weils rund 1,5 Milliarden Euro Mehrein-nahmen in Aussicht stellt, konnte Bay-erns Ministerprsident Horst Seehofer(CSU) seine Kabinettskollegen vor denschlimmsten Streichungen bewahren wie die Sache im Detail ausgehen wird,ist aber weiterhin unklar. Mit welchenFolterinstrumenten man schon mal vor-sorglich gewunken hat, davon konntesich zuletzt die Bayerische Staatsbiblio-thek (BSB, im Volksmund Stabi) einBild machen.

    Ende September hat GeneraldirektorRolf Griebel erfahren, dass er rckwir-kend fr das Jahr 2010 noch 1,4 Millio-nen Euro einsparen muss, ein gutesZehntel des jhrlichen Sachmittel-Etats.Das ist einerseits terminlich knapp, weilman nicht einfach bestehende Vertrgekndigen kann. Andererseits und daswurmt die Staatsbibliothekare beson-ders werden sie im Vergleich zu den

    Universittsbibliotheken gleicher be-handelt denn diese mssen zwanzigProzent Haushaltssperre verkraften, dieStabi dreiig. Warum ausgerechnet dieBayerische Staatsbibliothek in die Zange

    genommen wird, bleibt das Geheimnisdes Finanzministeriums. Immerhin ver-greift man sich an einer Perle der deut-schenBibliothekslandschaft.Im europi-schen Vergleich rangiert sie gemessenanBestandundBedeutung mit9,5 Mil-lionen Bchern und annhernd 50 000Zeitschriften hinter der British Library.

    Sollte die Haushaltssperre tatschlichBestand haben, sei man ratlos, wonoch gespart werden knne ohne sub-stantiellenSchaden anzurichten.Gefhr-det sind dann Tausende von Abonne-ments wissenschaftlicher Zeitschriften,welche die BSB als last resort bezieht.Sie ist damit ein Eckstein des seit zehnJahren bestehenden kooperativen Leis-tungsverbundes bayerischer Universitts-bibliotheken. Die BSB fhrt jene Zeit-schriften,die anzuschaffen eineeinzelneUniversittsbibliothek nicht in der Lagewre. Gerade im Bereich biomedizini-scher Journale seien die Abo-Preise un-verhltnismig hoch, wenn der Anbie-ter als Monopolist in seinem Fachgebietrangiert. So schlgt etwa das Journal ofComparative Neurology mit rund24 000 Euro pro Jahr zu Buche.

    Die altehrwrdige Bibliothek ist aufdem Weg in die digitale Welt ziemlichweit, unter anderem mit einer Google-Partnerschaft zur Digitalisierung rechte-freierBestnde.Das Hausistvon zentra-ler Bedeutung fr den Wissenschafts-standort Bayern. Und es wird berannt.Seit Jahr und Tag nehmen die Ausleih-zahlen zu. Im Zeitraum von 2002 bis2009 wuchs die Besucherzahl auf 70 000(ein Plus von 143 Prozent), die der Lese-saalbesuche sogar um 229 Prozent auf1,18 Millionen per annum was auch

    daran liegt, dass man mittlerweile sie-ben Tage die Woche von acht Uhr mor-gens bis Mitternacht hier arbeiten kann.Obwohl die BSB grundstzlich jedemBrger offensteht, sind mehr als achtzig

    Prozent ihrer Benutzer im universitrenBereich beschftigt.

    Griebel hat dieser Tage in auerge-whnlich scharfer Form ffentlich aufdie Haushaltssperrereagiert: Habe dieseBestand, sei die Bibliothek nicht lngerin der Lage, ihren gesetzlichen Auftragzu erfllen. Dazu gehrt zum Beispielder Sammlungsauftrag im Bereich Anti-quaria und Handschriften, der 2009 ei-nen nicht sehr ppigen Etat von 572 000Euro aufwies. Als ersten Einsparschritthat Griebel nun einen vermeintlich wei-chen Weg beschritten. Er lsst Bcherund Zeitschriften zunchst nicht mehraufbinden, was ihre Haltbarkeit deutlichverringert. Betroffen ist hier ein Gewer-be, das abhngig ist von staatlichen Auf-trgen: Siebzehn Buchbinderbetriebe ar-beiten fast ausschlielich fr die groeBibliothek, versehen Paperbacks, Zeit-schriften undNoten mit festen Umschl-gen. Zuletzt war der Binde-Etat von 1,4Millionen auf 900 000 Euro zusammen-gestrichen worden;bleibtdie dreiigpro-zentige Haushaltssperre bestehen wo-rber es bis Redaktionsschluss keineKlarheit gab , wird man im nchstenJahr nur noch 250 000 Euro dafr ausge-ben.Im Vergleichzum Landesbankende-saster sind das winzige Summen, fr diebetroffene Branche aber existentielle.

    Zustndig fr die Staatsbibliothek istdas Staatsministerium fr Wissenschaft,Forschung und Kunst unter Leitung von

    Wolfgang Heubisch. Der studierte Be-triebswirt und Zahnarzt ist einer vonzwei FDP-Ministern im Kabinett Seeho-fer; er hat sein Amt bislang auffallendunaufflligversehen.Nach den abschlie-enden Haushaltsverhandlungen kurz

    vor Weihnachten wird sich zeigen, ob erseine rtlichen Kritiker, die behaupten,Bayerns Wissenschaftspolitik kme aufdem Zahnfleisch daher, widerlegenkonnte. HANNESHINTERMEIER

    Moderne Regulierungsregime zeichnench oft durch ein Ineinander privaternd ffentlicher Normsetzung aus. Da-on erhoffen sich beide Seiten etwas:er Staat mchte Geld sparen und denachverstand der Betroffenen mobilisie-en,diesewiederumwitterneineeinmali-e Chance, ihren Interessen angemesseneltungzu verschaffen, wennsie Heikles

    elbst regeln drfen. Das erfolgt manch-mal, aber nicht immer autonom. Wo die

    brigkeit aber letztlich die Oberhand be-alten will, bt man sich in regulierterelbstregulierung.Klassisches Beispiel von privaten

    elbstregulierungen sind die freiwilligenontrollen der Wirtschaft. Andere For-men findet sich auf zahlreichen Sachge-

    ieten, deren prominentestes ist vermut-ch die Normierung technischer Risiken,ei der ffentliches Recht und privatechnische Normung kooperieren. Weni-

    er bekannt und neueren Datums sindemgegenber die Selbstregulierungener Pharmaindustrie. Der Mannheimertrafrechtler Lothar Kuhlen zeigt in ei-erneuenStudieam Beispielder Korrup-onsbekmpfung durch verbandlicheelbstregulierungen die rechtsstaatli-hen Probleme solcher Normwerke. Il-ustratives Beispiel ist die Einladung zuerufsbezogenen wissenschaftlichen

    Fortbildungsveranstaltungen (LotharKuhlen,Strafrechtund freiwillige Selbst-kontrolle der Wirtschaft: dasBeispiel derPharmaindustrie, Festschrift fr Win-fried Hassemer, hrsg. von Felix Herzogund Ulfrid Neumann, C. F. Mller VerlagHeidelberg 2010).

    Aufgeschreckt durch Ereignisse wieden Herzklappenskandal Mitte der neun-ziger Jahre, gerieten Kooperationen zwi-schen Unternehmen der pharmazeuti-schen Industrie mit medizinischen Insti-tutionen immer mehr ins Zwielicht. Han-deltees hierum denstrafrechtlichenVor-wurf der Bestechung und Vorteilsgewh-

    rung bzw.Bestechlichkeitund Vorteilsan-nahme, so kamen bald auch andere For-men der Zusammenarbeit an die ffent-lichkeit. Immer ging es um den anrchigscheinenden Transfer von materiellen

    Vorteilen an die rzte, und stets wurdeauf das Korruptionsstrafrechtals gesetzli-che Grenze fr die Zusammenarbeit ver-wiesen.

    Nun zeichnen sich Korruptionstatbe-stnde der Paragraphen 331 bis 334 desStrafgesetzbuches nicht eben durch be-sondere Klarheit aus, erst recht seit de-ren Ausweitung im Jahr 1997. Im Zen-trum steht die Frage, ob eine sogenannteUnrechtsvereinbarung geschlossen wur-de. Wo aber genau verluft die Grenze

    bei Zuwendungen, um das dienstliche Wohlwollen des Amtstrgers zu errin-gen? Diese Unsicherheit war besondersauf Seiten der gegenber strafrechtlichen

    Vorwrfenbesonders empfindlichenrz-ten zu spren und ein wesentlicher An-trieb fr die Entwicklung einer freiwilli-gen Selbstkontrolle.

    ber mehrere Zwischenschritteentwi-ckelte schlielich der Verein FreiwilligeSelbstkontrolle fr die Arzneimittelindus-trie e.V. den FSA-Kodex Fachkreise,der in seiner verschrften Version zuletztdurch das Bundeskartellamt im Frhjahr2010genehmigtwurde.Aus bloen Emp-

    fehlungen wurden schlielich verbindli-che Regeln. Eine Verfahrensordnunglegtihre Einhaltung fest und bestimmt, dass

    Verste sanktioniert werden. Als Ver-einsgerichte wurden SpruchkammernErster und Zweiter Instanz installiert.Die Vereins-Rechtsprechung wird publi-ziert und von Juristen vorgestellt undkommentiert.

    EinAnliegen derSelbstregulierungist,dem Missbrauchvon Fortbildungsveran-staltungen als Verschleierungsinstru-ment fr industriefinanzierte Freizeitver-anstaltungen und Urlaube von rztenentgegenzuwirken, so Paragraf 20 desFSA-Kodex.Wannaber stehtderberufs-bezogene wissenschaftliche Charakter

    eindeutig im Vordergrund? Ist die Unter-haltung durch eine zur Begrung spie-lende Blasmusikkapelle erlaubt, und darfauf einem Donauschiff getagt werden?Ersteres wurde durch den Spruchkrperverneint, zweites bejaht.

    Die Vereinsgerichte mssen sich dem-nach auf smtliche Details und Abgren-zungsprobleme einlassen, die ihnen diemitunter sehr gesellige Praxis dieserBranche stellt. Sie mssen darauf achten,dass die Freizeitfenster im Tagungspro-gramm nicht zu gro sind und die Ta-gungsorte nicht den Verdacht erzeugen,nach ihrem Freizeitwert ausgesucht wor-

    den zu sein: Monte Carlo wurde bean-standet, Warnemnde nicht. Ganz zuschweigen von der Hotelauswahl undden Tagesstzen der Bewirtung.

    Rechtsstaatlich pikant wird es, wennman darin die Auslagerung von Aufga-ben der Strafrechtspflege sieht, da hierdas Verhalten der Betroffenen sanktio-niert wird. Die Bestimmung des strafba-ren Verhaltens wird nicht durch staatli-che Gerichte, sondern, privaten Akteu-ren vorgenommen. Evident ist das Pro-blem der Bestimmtheit der Verbotsnor-men: Gerade die Kasuistik im Fall derFortbildungen illustriert, dass sich die

    Voraussetzungender Strafbarkeitschwer-lich aus der Lektre des Gesetzes erge-

    ben, in diesem Fall sind aber es abernicht einmal staatliche Richter, welchedie Festlegung leisten. Stattdessen bleibtdie strafrechtliche Normkonkretisierungdauerhaft aus.

    Aber auch von einer anderen Seitescheintdiese Praxis problematisch.Dennder FSA-Kodex sollte der Vermeidungstrafrechtlicher Risiken dienen. Thema-tisch geht er ber das Ziel der Minimie-rung hinaus und konkretisiert vielfltigerechtliche Vorgaben. Deren Missachtungwre aber nicht gleichbedeutend mitdem Eingehen einer Unrechtsvereinba-rung. Zum anderen hat die Strategie der

    Vermeidungdazugefhrt, dassdieSelbst-regulierungen risikoscheu ausgefallensind.

    Anders gesagt: Die rzte deklarierten,so Kuhlen, vieles liebermal als unzuls-sig, was irgendwem suspekt erscheinenknnte. Die Unbestimmtheit des Korrup-tionsstrafrechts hat weite Schatten hin-ein in die Selbstnormierung geworfen.

    Wrde man dann noch Verletzungen derRegeln des FSA-Kodex als Indiz fr Un-rechtsvereinbarungen im strafrechtli-chenSinnedeuten, sohtten dieBeteilig-ten die eigenen Standards der Strafhaf-tung unwillentlich verschrft und zudemauchdie GrenzezwischenRechtund Mo-ral aufgehoben. MILO VEC

    Die Lebensverhltnisse anzugleichen ge-hrte zu den wichtigsten Zielen nach der

    Wiedervereinigung. Im Groen und Gan-zen ist dies gelungen. Dass sich auch Le-bensentwrfe und Verhaltensweisen an-

    passen, immer natrlich Ost an West, warals selbstverstndlich angenommen wor-den. Und als die Geburtenziffer in Ost-deutschland zwischen 1990 und 1994 aufden historischen Tiefstand von 0,8 gefal-len war, stand eigentlich fest, dass es nureineFrage derZeitist,bis sich auchFamili-enplanung, Heiratsverhalten und die Er-werbsttigkeit von Frauen an das Niveauder Westdeutschen anpassen wrden.Doch gerade das ist nicht eingetroffen.

    DieWissenschaftler desMax-Planck-In-stitutes fr demographische Forschung inRostock haben sogar festgestellt, dass dieDifferenzen, die grundverschiedenen An-sichten zu Kindern und Karriere, sich ver-festigt haben. Immer noch ist die Mehr-heit der ostdeutschen Mtter berufsttig,leben mehr Eltern ohne Trauschein zu-sammen, zumindest bis zur Geburt eineszweiten Kindes. Und die Geburtenratenhaben die der Westdeutschen berholt:Die endgltigen Geburtenraten von Frau-en, die heute 45 Jahre alt sind, liegen bei1,6 Kindern gegenber 1,51 Kindern in

    Westdeutschland.In Rostock verlsst man sich seit Grn-

    dung des Institutes nicht auf die unscharfejhrliche Geburtenziffer, weil sie Effekte

    kaum bercksichtigt, die entstehen, wennsich das Alter der Frauen bei der Geburtdes ersten Kindes verndert. Und dassteigt seit den siebziger Jahren im Westenund seit den Neunzigern auch im Ostenstetig an. Die endgltige Geburtenrate da-gegen umfasst Alterskohorten und ist dar-um zuverlssiger. Die Legende, wonachsichostdeutsche Frauen in rekordverdch-tig kurzer Zeit und unter dem Druck gra-vierender konomischer und sozialer Ver-nderungen angepasst htten, konnte soentzaubert werden.Biszum Mauerfallwa-ren ostdeutsche Mtter im Durchschnittetwa22 Jahre altbei derGeburtdeserstenKindes, inzwischen sind sie 27 immernoch jnger als Westdeutsche.

    In einer Broschre haben die Rostocker Wissenschaftler jetzt die Befunde ihrervergleichenden Forschung zu Familie undPartnerschaft zusammengestellt (Ergeb-nisseim Rahmen desProjektesDemogra-phic Differences in Life Course in Easternand Western Germany; Rostock 2010).MichaelaKreyenfeld, die das Projektkoor-diniert, sagt: Im Osten wird ein ganz an-deres Familienmodell gelebt als im Wes-ten. Der Befund hat auch sie berrascht,

    man hatte immer damit gerechnet, dasssichdieDifferenzenauflsen mitder Zeit.Zu den deutlichsten Unterschieden nebenderendgltigenKinderzahlgehrt dieEnt-koppelung von Heirat und Familiengrn-dung.

    Nirgendwo sonst in Europa werden soviele Kinder auerhalb der Ehe geborenwie in Ostdeutschland: 2009 galt das fr61 Prozent der Kinder, im Westen warenes zum gleichen Zeitpunkt nur 26 Prozent(Tendenz steigend). Bei der Geburt eineszweiten und dritten Kindes sind im Ostendie Hlfte der Eltern verheiratet, im Wes-ten werden nur etwa 17 Prozent der Ge-schwister nichtehelich geboren. Hinzuge-fgt werden muss hier, dass es sich dabeinichtunbedingt um alleinerziehende Mt-terhandelt, dieMehrzahl derunverheirate-ten ostdeutschen Eltern leben zusammen.Geschieden werden Ehen und Lebensge-meinschaften allerdings gleich hufig.

    Zurckzufhren seien die Unterschie-de, so die Wissenschaftler, auf historischeTraditionen. Noch 1949 lagen Ost und

    West in diesem Punkt nahe beieinander.Dann fhrte die DDR Mitte der siebzigerJahre das sogenannte Babyjahr ein (zumTeilvollbezahlt beiErhalt des Arbeitsplat-

    zes),doch nurunverheirateteMtterkonn-ten dies schon fr das erste Kind in An-spruch nehmen. Also unterliefen Elterndie Verordnung und schoben die Hochzeitauf. Bis 1986war die Nichtehelichenquotebereitsauf30 Prozentgestiegen,dannwur-de das Gesetz gendert. Alle Frauen beka-men das Babyjahr, die Quote stieg (vor-erst) nicht mehr, ging aber auch nie wie-der zurck. Auch die Religionszugehrig-keit folgt anderen Traditionen, wobei dierigideKirchenpolitikder DDRnicht alleinfr diese Differenz verantwortlich ist.Eine bersicht von 1933 aus dem Statisti-schen Reichsamt verzeichnet bereits da-mals deutlich mehr Konfessionslose imOsten als im Westen.

    Noch deutlicher sind die Ost-West-Un-terschiede bei der Kinderlosigkeit. Vonden Jahrgngen bis1964 blieben im Ostennur zehn Prozent der Frauen kinderlos ge-genber bereits einem Fnftel der gleich-altrigen westdeutschen Frauen. Die Kin-derlosigkeit kann ja berhaupt erst seitder nderung des Mikrozensusgesetzes2007 einigermaen seris gemessen wer-den. Damals konnte auch die frauenfeind-liche Behauptung, mehr als vierzig Pro-zent der Akademikerinnen blieben ausKarrieregrnden ohne Kind, widerlegtwerden. Blieb im Westen sodann nurnochjedefnfteFraumit hhererBildungkinderlos, waren es im Osten lediglichacht Prozent. Zwar wird ber Sinn undZweck einer guten Infrastruktur fr dieKinderbetreuung immernoch heigestrit-ten,dochweistdieserBefunddeutlich undunmissverstndlich auf diesen Standort-vorteil Ost.

    Natrlich kann diese Entwicklung dasGeburtentief bis 1994 nicht kompensie-ren. Schwerwiegender jedoch wirkt sichauf die demographische Situation in Ost-deutschland die anhaltende Abwande-rungjunger Menschen aus,die ja potentiel-le Eltern sind. REGINA MNCH

    n der Kritik des bisherigen Verlaufs desologna-Prozesses herrscht mittlerweilene derart unheimliche Einigkeit, dass

    man auf den Gedanken kommen kann,ne feindliche Macht und nicht der kon-

    ertierte Wille der Bildungsminister habee dem europischen Hochschulsystemngetragen. Dass die Reform ihre Zieleicht erreicht hat und selbst reformbe-rftig ist, haben inzwischen nicht nurie deutsche Bildungsministerin Annettechavan, sondern auch ihre europischen

    Amtskollegen bekannt. Die Abbrecher-uoteistnicht gesunken,die wechselseiti-e Anerkennung von Abschlssen berei-t weiter Probleme, und die malose B-

    okratisierung der Lehre hintertreibt dierwnschte Mobilisierung der Studenten.

    Im Studienalltag fhlt man sich unterrfllungsdruck technokratischer Vorga-en, ohne zu wissen, wohin erledigteflichten spter fhren. In der Arbeits-elt werden Bachelorabsolventen nicht

    mit offenen Armen empfangen. Auf Pro-ssorenseite wird der Freiheitsgewinn in

    er Forschung mit Knebelung in der Leh-e und dem Zahlenterror permanentervaluationen bezahlt.Zehn Jahre nach dem Bologneser Re-

    ormbeschluss kamen Professoren, Politi-er, Verbandsvertreter und eine Studentinn der Villa Vigoni am Comer See zu ei-em Resum aus internationaler Sicht zu-ammen. Die Bilanz fiel vernichtend aus.endert hat sich dabei, dass die Reform-

    ritik nicht mehralsSachegestrigerTradi-onalisten oder typisch deutsche Angele-

    enheit abgetan werden kann. Unbestrit-n war aber trotzdem der Wille, am Gro-en und Ganzen der Reform festzuhalten.er Integrationsprozess sei, global be-achtet,unerlsslich,und derAutonomie-ewinn der Universitten genauso wie derelzitierte europische Raum des unge-inderten Austauschs von Personen und

    Wissen seien unvermindert erstrebens-erte Ziele. Das ntigte zum rhetorischenpagat zwischen der Entrstung ber un-gliche Zustnde und dicke Skandalend dem davon auf seltsame Weise unan-etasteten Bewusstsein, insgesamt dochuf dem goldrichtigen Weg zu sein.

    lles nicht so eng sehen

    erKardinalfehlerder Reform bestandinem Glauben, die gewaltigen Umstellun-en im Studiensystem zum Nulltarif undne massive Ausweitung der Studenten-

    ahlen ohne Aufstockung des Lehrperso-als bewltigen zu knnen. Der Versuch,ie Vermassung der Universitten mitem Bachelor als Filter fr wissenschaft-ch ambitionslose Studenten aufzufan-en, mag noch sinnvoll sein. Der Irrwegegann sptestens,alsdie Reformvon derolitik zur Kosteneinsparung miss-

    raucht wurde. Auf die Professoren kamies als der Zwang zu, mehr Studentenmit gleichbleibenden Mitteln intensiveru betreuen, studienbegleitend.

    Gemigt hat sich der politische Ver-uch, dieMngelim Reformprozesszu na-onalen Umsetzungproblemen zu erkl-en. Whrend Hochschulvertreter sicheutlich zu erinnern meinen, die Bolo-na-Beschlsse als unmissverstndlichesktroyat erfahren zu haben, warf ihnenie Politik vor, sich gegen Evaluationsver-ahren gesperrt zu haben und aus der ge-iegenen Lehrverantwortung geflohen

    u sein. In der Villa Vigoni wurde dies zuresart abgemildert, die Beschlsse derultusministerkonferenz seien falsch,mlich zu verbindlich interpretiert wor-en. Wo stehe geschrieben, dass der Ba-helor in der allgemein als zu kurz emp-undenen Spanne von drei Jahren absol-ert sein msse, fragte der baden-wrt-mbergische Ministerialdirektor Klausappeser, blieb aber die Antwort schul-ig, woher das Geld fr die AusweitungufvierJahrezu nehmensei. DieHambur-er Wissenschaftssenatorin Herlind Gun-elach rumte ein generelles Finanzie-ungsdefizit der Reform ein, dmpfte die

    offnung auf zustzliche Mittel aber mitem Hinweis auf die Schuldenbremse.Der beliebte Ausweg, die Misere einem

    ypisch deutschen Umsetzungsproblemuzuschreiben, stand in Como auch des-

    halb nicht offen, weil im Lnderberblickvon Italien ber die Schweiz bis Polen inabgestufterIntensitt ein hnlichesUnbe-hagen an Bologna zum Ausdruck kam.Das Reformwerk krankt eher an der ty-pisch europischen Logik, technokrati-sche Verfahren nachtrglich mit Sinn fl-len zu mssen. Dass im Regeldickicht desModulbetriebskritisches Denkenund per-snliche Reifung auf der Strecke blieben,ist allgemein erkannt. Der konomisti-sche Denkfehler der Reform drckt sichdarin aus,dass unter der Managervokabelemployability nicht das Interesse amStudienfach, sondern am spteren Ar-beitsplatzan erster Stellerangierte. Inzwi-schen ist man sich einig, unter employa-bility nicht mehr Berufsfertigkeit, son-dern Berufsfhigkeit zu verstehen. Derschnelle Wandel der Arbeitswelt machtflexibelbertragbare Fhigkeiten wertvol-ler als eng definierte Kenntnisse.

    Unklar ist weiter, welche Funktion derBachelor ausfllen soll.In der Praxis wirder meist als Vorbereitung fr den Masterund kaum als eigenstndiger Studienab-schluss verstanden. Als zweckfernes Mo-bilittshindernis haben sich die Vielzahlder Bachelorstudiengnge und das ver-krampfte Bemhen um Alleinstellungs-merkmale erwiesen. Der Bachelor msseallgemeinen Charakter haben, schon umdie Bildungsdefizite einer gewachsenenZahl von Studienanfngern zu beheben.Zum Ausgleich dieser Mngel schlug Her-lind Gundelach ein erstes Jahr mit allge-meinbildendem Charakter vor.

    Wiedervorlage FachhochschulausbauNationale Eigenart zeigt sich dann dochin dem aufgeblhten und von Bologna inkeinerWeiseerzwungenendeutschen Ak-kreditierungssystem, leider von ihrerschlimmsten Seite. Die Bewertung allerStudiengnge durch externe Agenturenhat horrende Kosten verursacht und ge-hrt zu den Hauptverantwortlichen frden brokratischen Exzess. Von RainerKnzel, dem Leiter der Zentralen Akkre-ditierungsagentur, erfuhr man nun, dassdas System ohnehin nur zur Prfung for-maler Kriterien, aber nicht zur qualitati-ven Bewertung der Lehre tauge. Die Ten-denz geht dahin, die Qualittssicherungden Hochschulen selbst zu berlassenund diese in regelmigen Abstnden ex-tern zu prfen. Problematisch bleibt, dassdie Systemakkreditierung,die statt einzel-ner Studiengnge das Evaluationssystemeiner gesamten Universitt prft, bisherkaum weniger unbersichtlich ist.

    SabineBehrenbeck vomWissenschafts-rat, die der Eigenregie der Universittennicht so recht traute, suchte nach Anrei-zen, um Professoren den gestiegenenLehrbedarf schmackhaft zu machen, und

    brachte das Reizwort politische Steue-rung in die Runde. Woraufhin man sichaufProfessorenseitein Knstlerpose warfund nicht Erkenntnisinteresse, sondernEitelkeit zur Haupttriebfeder der eigenenProfession erklrte. Weil Bologna bisheraber keine Methode gefunden hat, umLehre qualitativ zu bewerten, kann siedem Wissenschaftler weiterhin kaum Re-putationsgewinn verschaffen. Sinnvoll er-scheint Behrenbecks Vorschlag, die Uni-versittenmitdem Ausbau vonFachhoch-schulen von Lehraufgaben zu entlasten.Die Finanzierungsfrage drfte hier er-neut interessant werden: Ob sich die Uni-versitten an den Kosten dieser Entlas-tung wohl beteiligen wrden?

    Bologna ist flexibler als gedacht, sohieamEnde dieneuepolitischeWunsch-formel.Das ewige europische Rtselvonder Einheit in der Vielfalt msse nur et-was anders aufgelst, die Einheit nur alsformales Kriterium verstanden werden,dann bleibe den Nationen alle Freiheit inder Ausgestaltung. Fr die Hochschulensoll das heien, Strukturvorgaben nichtals strikte Normen zu verstehen. Fr dieMinisterialbrokratie soll es eine ent-spanntere Herangehensweise bedeuten.

    Vieles, aber nicht alles hngt am Geld:Wenn das byzantinische Regelwerk gelo-ckert wrde, das war Konsens, knnteman auch mit gleichbleibenden MittelnBesseres erreichen. THOMASTHIEL

    Wann sind wissenschaftliche Fortbildungen ein Fall von Bestechung?Wenn Pharmafirmenrzteeinladen: Wer in Monte Carlo mit Blaskapelle tagt, mussaufpassen, einSchiff in Warnemndehingegen geht

    Geburtenrateund Ehe

    Akademikerinnen im Osten

    Immer mehr mit immer weniger

    Der Ausweg aus dem IrrwegEine Villa-Vigoni-Tagung zur Hochschulreform

    Die Bayerische Staats-bibliothek steht unterimmer greremSparzwang. IhrDirektor warnt, dergesetzliche Auftrag seiso nicht erfllbar.

    Was macht er denn mit der Staatsbibliothek, der Seehofer? Homer, Aristoteles und Thukydides rtseln mit. Foto Imago