Ärztliche Leichenschau – Kritik, Diskussionen und ein Ausweg?...Kritik, Diskussionen und ein...

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10 Ärzteblatt Rheinland-Pfalz 9/2019 Gastbeitrag Die Qualität der ärztlichen Leichenschau beziehungsweise die „mangelnde Qualität“ ist immer wieder Gegenstand wissenschaft- licher und medialer Diskussionen. Die Kritik an der Ärzteschaft wird vor allem mit der oberflächlichen oder inkorrekten Durch- führung der Leichenschau, dem Verkennen der Leichenschau als ärztliche Aufgabe und unzureichenden Kenntnissen, zum Beispiel im Hinblick auf die Klassifizierung der Todesart, begründet. Die tatsächliche Vielschichtigkeit der Problematik wird bei ein- gehender Betrachtung deutlich. Im Medizinstudium mit einer Regelstudienzeit von zwölf Semestern stehen für die Lehre der Leichenschau durch die Rechtsmedizin lediglich zwei bis drei Stunden zur Verfügung. In der ärztlich-praktischen Tätigkeit ist die Leichenschau für viele Ärztinnen und Ärzte eine seltene Aufgabe, sodass kaum Routine in dieser verantwortungsvollen Tätigkeit erlangt werden kann. Hervorgehoben werden muss jedoch auch, dass nicht ärztlich begründete Faktoren erheblichen Einfluss nehmen. Neben polizeilichen Pressionen einen natürlichen Tod zu bescheinigen, sind auch Abhängigkeitsverhältnisse wie beispielsweise Be- treuungsverhältnisse in Pflegeeinrichtungen sowie widrige Umstände (zum Beispiel adipöser Leichnam, Auffindung in der Öffentlichkeit) beeinflussende Faktoren bei der Durchführung der Leichenschau und den Angaben in der Todesbescheinigung. Vorschläge zur Verbesserung der Leichenschau Seitens der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin wurden Vorschläge zur Verbesserung der Leichenschau und zur Auf- deckung nicht natürlicher Todesfälle erarbeitet und 2015 ver- öffentlicht (www.dgrm.de). Diese Vorschläge beinhalten: • die Festigung und Vertiefung der ärztlichen Leichenschau im Medizinstudium, • verpflichtende und wiederholende Fortbildungen für Ärztin- nen und Ärzte, • eine Steigerung der Obduktionsquote in Deutschland zur sicheren Klärung von Todesfällen und als Qualitätssicherungs- maßnahme, • eine Rückmeldung der Obduktionsergebnisse an die leichen- schauhaltenden Ärztinnen und Ärzte, • den Fortbestand der Feuerbestattungsleichenschau (Krema- toriumsleichenschau), • eine angemessene Honorierung der Leichenschau gegebe- nenfalls durch die Krankenkassen. Die Tötungsserie des „Todespflegers“ Niels H. lässt aktuell For- derungen nach einer sogenannten qualifizierten Leichenschau durch speziell ausgebildete Ärztinnen und Ärzte laut werden. Seit nunmehr zwei Jahren ist in Bremen, als erstem und einzi- gen Bundesland, die qualifizierte Leichenschau etabliert, das heißt jeder Leichnam wird durch Ärztinnen und Ärzte des Ins- tituts für Rechtsmedizin am Klinikum Bremen-Mitte untersucht. Ja zur qualifizierten Leichenschau Die Einführung der qualifizierten Leichenschau zur Verbesse- rung des aktuellen Leichenschauwesens in Rheinland-Pfalz ist aus rechtsmedizinischer Sicht klar zu befürworten. Diesbezüg- lich ist jedoch zu berücksichtigen, dass Rheinland-Pfalz im Gegensatz zum Stadtstaat Bremen ein Flächenstaat ist, so dass für eine zeitnahe und flächendeckende Versorgung, gerade auch in ländlichen Gebieten, ausreichende personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen und spezielle Fortbildungen und Schulungen für Ärztinnen und Ärzte ange- boten werden müssen. Gleichwohl ist auch eine qualifizierte Leichenschau lediglich eine äußere Besichtigung des Leichnams und somit eine Unter- suchung mit limitierter Aussagekraft. Begründet ist dieses darin, dass auch bei sorgfältiger Leichenschau, insbesondere bei fehlenden Informationen zur Krankenvorgeschichte, die Todesursache oftmals ein „educated guess“ bleiben muss. Untermauert wird dieses durch zahlreiche Obduktionsstudien, die aufzeigen, dass sich in bis zu 50 Prozent der Fälle die auf der Todesbescheinigung angegebene Todesursache autoptisch nicht verifizieren lässt. Die qualifizierte Leichenschau ist der richtige Weg zur Verbes- serung der Qualität der ärztlichen Leichenschau, jedoch sollte unbedingt auch eine Erhöhung der Obduktionsquote zur Qua- litätssicherung angestrebt werden. Univ.-Prof. Dr. Tanja Germerott, MBA Direktorin des Instituts für Rechtsmedizin der Universitäts- medizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Tanja Germerott Foto: Universitätsmedizin Mainz/Böhm Ärztliche Leichenschau – Kritik, Diskussionen und ein Ausweg?

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G a s t b e i t r a g

Die Qualität der ärztlichen Leichenschau beziehungsweise die „mangelnde Qualität“ ist immer wieder Gegenstand wissenschaft-licher und medialer Diskussionen. Die Kritik an der Ärzteschaft wird vor allem mit der oberflächlichen oder inkorrekten Durch-führung der Leichenschau, dem Verkennen der Leichenschau als ärztliche Aufgabe und unzureichenden Kenntnissen, zum Beispiel im Hinblick auf die Klassifizierung der Todesart, begründet. Die tatsächliche Vielschichtigkeit der Problematik wird bei ein-gehender Betrachtung deutlich. Im Medizinstudium mit einer Regelstudienzeit von zwölf Semestern stehen für die Lehre der Leichenschau durch die Rechtsmedizin lediglich zwei bis drei Stunden zur Verfügung. In der ärztlich-praktischen Tätigkeit ist die Leichenschau für viele Ärztinnen und Ärzte eine seltene Aufgabe, sodass kaum Routine in dieser verantwortungsvollen Tätigkeit erlangt werden kann. Hervorgehoben werden muss jedoch auch, dass nicht ärztlich begründete Faktoren erheblichen Einfluss nehmen. Neben polizeilichen Pressionen einen natürlichen Tod zu bescheinigen, sind auch Abhängigkeitsverhältnisse wie beispielsweise Be -treuungsverhältnisse in Pflegeeinrichtungen sowie widrige Umstände (zum Beispiel adipöser Leichnam, Auffindung in der Öffentlichkeit) beeinflussende Faktoren bei der Durchführung der Leichenschau und den Angaben in der Todesbescheinigung.

Vorschläge zur Verb esserung der LeichenschauSeitens der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin wurden Vorschläge zur Verbesserung der Leichenschau und zur Auf-deckung nicht natürlicher Todesfälle erarbeitet und 2015 ver-öffentlicht (www.dgrm.de). Diese Vorschläge beinhalten: • dieFestigungundVertiefungderärztlichenLeichenschauim

Medizinstudium, • verpflichtendeundwiederholendeFortbildungenfürÄrztin-

nen und Ärzte,• eine Steigerung der Obduktionsquote in Deutschland zur

sicheren Klärung von Todesfällen und als Qualitätssicherungs-maßnahme,

• eineRückmeldungderObduktionsergebnisseandieleichen-schauhaltenden Ärztinnen und Ärzte,

• denFortbestandderFeuerbestattungsleichenschau(Krema-toriumsleichenschau),

• eine angemessene Honorierung der Leichenschau gegebe-nenfalls durch die Krankenkassen.

Die Tötungsserie des „Todespflegers“ Niels H. lässt aktuell For-derungennacheinersogenanntenqualifiziertenLeichenschaudurch speziell ausgebildete Ärztinnen und Ärzte laut werden. Seit nunmehr zwei Jahren ist in Bremen, als erstem und einzi-genBundesland,diequalifizierteLeichenschauetabliert,dasheißt jeder Leichnam wird durch Ärztinnen und Ärzte des Ins-tituts für Rechtsmedizin am Klinikum Bremen-Mitte untersucht.

Ja zur qualif iz ier ten LeichenschauDie Einführungderqualifizierten Leichenschau zurVerbesse-rung des aktuellen Leichenschauwesens in Rheinland-Pfalz ist aus rechtsmedizinischer Sicht klar zu befürworten. Diesbezüg-lich ist jedoch zu berücksichtigen, dass Rheinland-Pfalz im Gegensatz zum Stadtstaat Bremen ein Flächenstaat ist, so dass für eine zeitnahe und flächendeckende Versorgung, gerade auch in ländlichen Gebieten, ausreichende personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen und spezielle Fortbildungen und Schulungen für Ärztinnen und Ärzte ange-boten werden müssen. Gleichwohl ist auch eine qualifizierte Leichenschau lediglicheine äußere Besichtigung des Leichnams und somit eine Unter-suchung mit limitierter Aussagekraft. Begründet ist dieses darin, dass auch bei sorgfältiger Leichenschau, insbesondere bei fehlenden Informationen zur Krankenvorgeschichte, die Todesursache oftmals ein „educated guess“ bleiben muss. UntermauertwirddiesesdurchzahlreicheObduktionsstudien,die aufzeigen, dass sich in bis zu 50 Prozent der Fälle die auf der Todesbescheinigung angegebene Todesursache autoptisch nicht verifizieren lässt. DiequalifizierteLeichenschauistderrichtigeWegzurVerbes-serung der Qualität der ärztlichen Leichenschau, jedoch sollte unbedingtaucheineErhöhungderObduktionsquotezurQua-litätssicherung angestrebt werden.

Univ.-Prof. Dr. Tanja Germerott, MBADirektorin des Instituts für Rechtsmedizin der Universitäts-medizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

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In Rheinland-Pfalz ist die Leichenschau im Bestattungsgesetz festgehalten. Demnach ist jeder erreichbare niedergelassene Arzt verpflichtet, die Leichenschau unverzüglich vorzunehmen

sowie die Todesbescheinigung auszustellen und auszuhändi-gen. Dasselbe gilt für Ärzte von Krankenhäusern und vergleich-baren Einrichtungen für die dort Verstorbenen. Erfolgt die

Die ärztliche Leichenschau: Ist alles gut so wie es geregelt ist oder brauchen wir Spezialärzte?Ines Engelmohr

Die ärztl iche Leichenschau ist sozusagen der letzte ärzt l iche Dienst für den Patienten. Jede approbier te Ärztin und jeder approbierte Arzt dar f und muss in Deutschland eine Leichenschau vornehmen und darüber eine Bescheinigung ausstellen.

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Geburt und Tod: Beide Ereignisse gehören zum Kreislauf des Lebens. Ärztinnen und Ärzte sind für ihre Patientinnen und Patienten hierbei wichtige Begleiter. Ist ein Mensch gestorben, haben Ärztinnen und Ärzte eine letzte wichtige ärztliche Aufgabe: die Leichenschau. Jede approbierte Ärztin und jeder approbierte Arzt darf und muss in Deutschland eine Lei-chenschau vornehmen und darüber eine Bescheinigung ausstellen. Die Regelungen zur Leichenschau sind Ländersache und in den entsprechenden Landesgesetzen rechtlich verankert. Abgerechnet wird die Leichenschau nach der Gebüh-renordnung für Ärzte. Aktuell hat das Bundeskabinett ohne Aussprache einen Verordnungsentwurf verabschiedet, der eine höhere Vergütung der Leichenschau vorsieht und der im Januar 2020 in Kraft treten kann, wenn die Länderkammer ihm zustimmt.

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Feststellung des Todes durch einen Arzt während eines Einsat-zes im Rettungsdienst oder im Notfalldienst, so ist dieser nur zur Ausstellung und Aushändigung einer vorläufigen Todesbe-scheinigung verpflichtet.

Eine Ausnahmeregelung besteht für Notärzte, denen aufgrund fehlender Todeszeichen und möglicher Kollisionen mit dienst-lichen Verpflichtungen nur die Feststellung des Todes obliegt. Zudem kann ein Arzt die Leichenschau verweigern, wenn er den Tod des Patienten durch einen ärztlichen Fehler selbst ver-schuldet hat und sich durch seine Angaben selbst belasten würde (Zeugnisverweigerungsrecht).

Die Qualität der Leichenschau ist seit Jahren immer wieder in der Kritik. Die Forderung, hierfür professionelle Leichenbe-schauer einzusetzen, kommt immer wieder auf.So sprachen sich beispielsweise die Justizminister 2009 für eine Professionalisierung der ärztlichen Leichenschau aus. Sie folg-ten damit den Vorschlägen einer interministeriellen Projekt-gruppe zur Verbesserung der Qualität der äußeren Leichen-schau. Ein entsprechendes Gesetz scheiterte jedoch an der Zustimmung der Bundesländer.

G ewerkschaf t der Polizei forder t sp eziel l ausgebildete Är zte

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Rheinland-Pfalz fordert seit vielen Jahren, dass Leichenschauen nur noch von speziell qualifiziertem und amtlich verpflichtetem Personal durchge-führt werden sollen.

„Für das Entdecken unnatürlicher Todesfälle ist der erfolgskriti-sche Punkt die ärztliche Leichenschau“, erklärt der stellvertre-tende GdP-Landesvorsitzende Bernd Becker. Die Leichenschau liege zwangsläufig vor einer eventuellen polizeilichen Ermitt-lung. Für ihn folgt daraus, dass die ärztliche Leichenschau durch„einenhierfürbesondersqualifiziertenArztdurchgeführtwerden soll und zwar am Sterbe- oder Fundort, weil die Gesamtumstände ausschlaggebend dafür sind, ob es Hinweise auf einen nicht-natürlichen Tod gibt“. Im Idealfall, so Becker, würden die ärztliche und die polizeiliche Leichenschau dann gemeinsam durchgeführt; die Expertise beider Professionen kämesovollzurWirkung.

Zugleich räumt Becker aber auch ein, dass Ärztinnen und Ärzte sehr wohl in ihren Fachgebieten „Hervorragendes leisten“. Doch in puncto Leichenschau sei nicht jeder Arzt „im erforderlichen Maße“ forensisch aus- oder fortgebildet. Becker: „Es gehört nicht viel Fantasie dazu, dass ein Arzt bei der Leichenschau an fachliche aber auch menschliche Grenzen stoßen kann.“ Er finde es deshalb auch gut, dass es inzwischen auch bei den Ärzten Eingeständnisse gebe, dass es durchaus zu „Situationen der Überforderung“ kommen könne. Und das liege nicht an dem einzelnen Arzt, sondern daran, dass die gesetzliche Rege-lung „Unmögliches“ verlange. „Es muss Schluss damit sein, dass dieLückezwischenGesetzundWirklichkeitaufdemRückender Ärzte geschlossen wird“, fordert er. Die Forderung der GdP seideshalb:DieärztlicheLeichenschausolltenspeziellqualifi-zierte Ärztinnen und Ärzten übernehmen.

L andesär ztek ammer: G eltende Regelung reicht aus

Die Forderung nach speziellen ärztlichen Leichenbeschauern unterstützt die Landesärztekammer Rheinland-Pfalz derzeit nicht. „Sie ist in einer Zeit, in der immer weniger Ärzte zur Ver-fügung stehen, auch nicht abbildbar“, erklärt Landesärztekam-mer-Präsident Dr. Günther Matheis. Um die Qualität der Lei-chenschau sicherzustellen, gebe es regelmäßige Fortbildungen,

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B estattungsgesetz R heinland-Pfalz § 11 Leichenschau und Totenscheine

(1) Tod, Todeszeitpunkt, Todesart und Todesursache wer-den von einem Arzt festgestellt (Leichenschau).

(2) Jeder erreichbare niedergelassene Arzt ist verpflichtet, die Leichenschau unverzüglich vorzunehmen sowie die Todesbescheinigung auszustellen und auszuhändigen. Dasselbe gilt für Ärzte von Krankenhäusern und ver-gleichbaren Einrichtungen für die dort Verstorbenen. Erfolgt die Feststellung des Todes durch einen Arzt wäh-rend eines Einsatzes im Rettungsdienst oder im Notfall-dienst, so ist dieser nur zur Ausstellung und Aushändi-gung einer vorläufigen Todesbescheinigung verpflichtet.

(3) Bestehen Anhaltspunkte für einen nicht natürlichen Tod, hat der Arzt sofort die Polizei zu verständigen. Er soll dafür sorgen, dass an der Leiche und deren Umgebung bis zum Eintreffen der Polizei keine Veränderungen vor-genommen werden.

(4) Der Verantwortliche (§ 9 Abs. 1 und 2) hat die Leichen-schau unverzüglich zu veranlassen; dies gilt auch dann, wenn eine vorläufige Todesbescheinigung ausgestellt worden ist. Tritt der Tod in einem Betrieb, einem Heim, einer Schule, einer Anstalt, einem Krankenhaus oder einer vergleichbaren Einrichtung ein, veranlasst der Leiter oder Inhaber dieser Einrichtung die Leichenschau.

(5) Totenscheine sind:1. die vorläufige Todesbescheinigung,2. die Todesbescheinigung mit einem vertraulichen und

einem nicht vertraulichen Teil,3. derObduktionsschein.

Für jede Leiche wird eine Todesbescheinigung mit einem vertraulichen und einem nicht vertraulichen Teil ausge-stellt. Ist eine innere Leichenschau durchgeführt worden, wird auch ein Obduktionsschein ausgestellt. Bei einerFehlgeburt werden keine Totenscheine ausgestellt.

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die auch gut besucht seien, „die aber durchaus noch mehr gefördert und intensiviert werden können, denn die äußere Leichenschau ist aufgrund der begrenzten Untersuchungs-möglichkeiten mit Unsicherheiten behaftet“. Der medizinisch unklare Todesfall müsse unabhängig von Ermittlungen der Polizei und der Staatsanwaltschaft durch eine innere Leichen-schau medizinisch geklärt werden. Matheis: „Nur eine deutlich höhere Obduktionsfrequenz kann helfen, Fehler bei der Be­stimmung der Todesursache und der Todesart zu vermeiden.“

Dass es beim Ausfüllen von Totenscheinen immer wieder zu Fehlern komme, räumt Matheis ein. Seiner Meinung liege dies auch daran, dass es immer wiederkehrende Fallkonstellationen gebe, bei denen auch erfahrene Leichenschauer objektiv über-fordert seien – etwa die Leichenschau beim Tod in der Öffent-lichkeit, erhebliches Körpergewicht des Verstorbenen, Fäul-niserscheinungen oder der Gestorbene war dem Arzt nicht bekannt. Und oft gebe es auch Unsicherheiten beim Ausfüllen der sehr umfangreichen und bürokratischen Todesbeschei-nigung.

Nicht selten sehe der Arzt den Toten bei der Leichenschau zum ersten Mal; er kenne also die Krankenvorgeschichte nicht aus eigener Betreuung. Matheis: „Dies erschwert es erheblich, die Todesursache richtig zu erfassen und zu dokumentieren – zumal in dieser Situation apparative Diagnostik nicht zur Verfü-gung steht.“

Manchmal könne es bei einer Leichenschau auch zu Konflikten mit Angehörigen kommen.Angehörige stünden zum Zeitpunkt einer Leichenschau unter starker emotionaler Belastung. Daher erscheine es ihnen mit-unter befremdlich, wenn der Arzt den Verstorbenen für die äußere Leichenschau vollständig entkleiden und untersuchen muss.

Da die ärztliche Leichenschau selbst für erfahrene Ärzte eine Herausforderung sein kann, gibt es mittlerweile auch eine App, die interaktiv unterstützt. Diese Post-mortem-App wurde von der Rechtsmedizin am Klinikum Saarbrücken entwickelt und soll demnächst gegen Gebühr verfügbar sein.

Hat Österreich ein Vorbild-System?

Als ein gut funktionierendes System der ärztlichen Leichen-schau wird auch in Rheinland-Pfalz immer wieder auf den österreichischen Sprengelarzt verwiesen. Der Sprengelarzt ist ein Allgemeinmediziner, der für eine Gemeinde für die Aufga-ben der örtlichen Gesundheitspolizei zuständig ist. Gesetzliche Basis sind die Gemeindeordnung, das Stadtrecht, Bundes- und Landesgesetze. Seine Aufgaben sind vielfältig: Mitwirkung bei Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten und bei öffentlichen Impfungen, Überwachung der sanitären Ver-hältnisse in öffentlichen Einrichtungen, Mitwirkung bei Katast-rophen, Umweltschäden und Umweltbelastungen, Hilfe bei der Einweisung psychisch Kranker. Und dazu ist er auch zuständig für die amtliche Leichenschau. Hierfür ist eine spezielle Quali-fizierung notwendig.

Der Sprengelarzt ist beispielsweise in Tirol und im Land in Salz-burg gesetzlich vorgeschrieben. In der Stadt Salzburg sind AmtsärztedesGesundheitsamteszuständig.InOberösterreichund im Burgenland und Kärnten gibt es keine Sprengelärzte. Dort sieht das jeweilige Leichenbestattungsgesetz vor, dass die Leichenschau außerhalb von Krankenanstalten von den Gemeindeärzten durchzuführen ist. Eine spezielle Ausbildung oder forensische Spezialkenntnisse auf dem Gebiet der Lei-chenschau seien für eine Bestellung zum Gemeindearzt nicht erforderlich. Es bestehe auch keine gesetzliche oder vertragli-che Verpflichtung für Gemeindeärzte, Fortbildungsveranstal-tungen zum Thema Leichenschau zu absolvieren. Das liege in

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Die Forderung nach speziellen ärztlichen Leichenbeschauern ist in einer Zeit des Ärztemangels nicht abbildbar.

Dr. Günther Matheis,Präsident der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz:Fo

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B estattungsgesetz R heinland-Pfalz § 12 Auskunf tspfl icht

Ärzte und andere Personen, die den Verstorbenen vor seinem Tode behandelt oder gepflegt haben, … sind gegenüber dem Arzt, der die Leichenschau vornimmt, zur Auskunft über die Todesumstände und die Erkrankung verpflichtet. Sie können die Auskunft verweigern, soweit sie dadurch sich selbst oder einen Angehörigen, zu des-sen Gunsten ihnen wegen familienrechtlicher Beziehun-gen im Strafverfahren ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, der Gefahr aussetzen würden, wegen einer Straf-tatodereinerOrdnungswidrigkeitverfolgtzuwerden.

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ihrer Eigenverantwortung, sagt Dr. Gregor Thorwartl, Allge-mein- und Gerichtsmediziner in Salzburg. Er arbeitet seit 25 Jahren beim Landespolizeidienst Salzburg als Polizeiarzt. Da er in der Stadt tätig ist, ist er kein Sprengelarzt.

Sprengelär zte werden k napp

Doch aus seinem Alltag heraus beobachtet er immer häufiger, dass es „zunehmend schwieriger wird, Sprengel- beziehungs-weise Gemeindeärzte zu rekrutieren“. Seiner Meinung nach liege dies einerseits daran, dass ein Sprengel- beziehungsweise Gemeindearzt rund um die Uhr erreichbar sein und zudem seine Vertretungen selbst organisieren müsse. Thorwartl: „Auch die Bezahlung ist denkbar schlecht. Die Tarife für die Leichen-beschau sind schon immer sehr niedrig angesetzt gewesen, und auch das Gebührenanspruchsgesetz ist seit 2007 in Öster-reich nicht mehr angepasst worden.“

In jüngster Zeit komme es immer öfter vor, dass Sprengelärzte nicht erreichbar seien, und „wir bei unserem 24-Stunden-Dienstplan für die Kollegen einspringen müssen“, berichtet der österreichische Gerichtsmediziner.

Für ihn ist das Sprengelarzt- beziehungsweise Gemeindearzt-Konzept dem deutschen Konzept, bei dem jeder Arzt zur Lei-chenbeschau herangezogen werden kann, „nicht wirklich überlegen“. Er kann sich aber vorstellen, mehr technische Möglichkeiten zu nutzen, um beispielsweise ein „Expertenteam aus der Forensik“ zu schaffen. Dieses könnte dann online per Videoschaltung dem Leichenbeschauarzt für Fragestellungen zur Verfügung stehen. Eine solche Videoplattform mit Dolmet-schern existiere seit geraumer Zeit in Österreich für Polizei und Justiz mit großem Erfolg, so Thorwartl.

For tbi ldung wird gut angenommen

Die Akademie für Ärztliche Fortbildung in Rheinland-Pfalz bie-tet seit einer ganzen Reihe von Jahren eine jährliche Fortbil-dungsveranstaltung unter der Überschrift „Todesermittlungen zwischen Herzinfarkt und Mord – Grundlagen der Ärztlichen Leichenschau“ an, die von Ärztinnen und Ärzten gut angenom-men wird. Ein Rechtsmediziner, ein Kriminalbeamter und ein

Staatsanwalt sprechen die Problemstellungen der ärztlichen Leichenschau an, vertiefen dabei die notwendigen Kenntnisse und erläutern auch an Einzelfällen wie ein normgerechtes und aufgabenerfüllendes Vorgehen aussehen sollte.

Leichenschau aus fünf M etern Entfernung ist unzulässig

Ein Totenschein ohne vorherige Leichenschau ist nicht möglich, erklärt Kai Zaun, Erster Kriminalhauptkommissar und Leiter K1 der Kriminalpolizei Mainz. Hierfür müsse der Arzt den Toten auch persönlich untersuchen. „Ein In-Augenschein-Nehmen aus fünf Metern Entfernung reicht hierfür nicht aus“, fügt er hinzu.

Die Polizei, so erklärt er, kommt dann ins Spiel, wenn es um Todesermittlungsverfahren geht wegen Fremdverschuldens oder einer Straftat. Zaun: „Unser Ziel ist nicht die Feststellung der genauen medizinischen Todesursache, sondern die Ermitt-lung wegen einer möglichen Straftat.“

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Es wird zunehmend schwieriger, Sprengel- beziehungsweise Gemeindeärzte zu rekrutieren.

Dr. Gregor Thorwartl,Allgemein- und Gerichtsmediziner in Salzburg:

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Anforderungen Leichenschau

Die Leichenschau muss persönlich vorgenommen wer-den am entkleideten Leichnam.Die Untersuchung erfolgt systematisch von Kopf bis Fuß und dann von der Vorder- über die Rückenseite. Inspiziert werden dabei alle Körperöffnungen. Eine zweite Leichen-schau (Kremationsleichenschau) ist gesetzlich vor einer Feuerbestattung vorgeschrieben, um eine natürliche Todesursache zu bestätigen. Die Regeln zur Durchführung der ärztlichen Leichen-schau sind als Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin im AWMF­Portal hinterlegt: www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/054-002l_S1_Regeln-zur-Durchfuehrung-der-aerztlichen-Leichenschau_2018-02_ 01.pdf (eb)

Die Todeszeit ist nicht der Zeitpunkt des Auffindens der Leiche.

Kai Zaun,Erster Kriminalhauptkommissar bei der Kriminaldirektion Mainz:

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Nach seiner Erfahrung gibt es bei Ärzten immer wieder Verwir-rung beim Thema Todeszeitpunkt. Der Todeszeitpunkt sei ein-fach festzulegen, wenn ein Mensch stirbt, der zuvor im Kran-kenhaus an Überwachungsmonitoren angeschlossen gewesen sei.WerdeeinArztjedochzueinerLeichegerufen,dannsollerden Zeitpunkt aufschreiben, an dem er die Leiche vorgefunden hat. Zaun: „Ärzte sollen sich hierbei nicht auf Aussagen Anderer verlassen oder gar versuchen, den Todeszeitpunkt zu berech-nen. Das bringt viel zu viele Fehler.“ Sein klarer Appell: „Schrei-ben Sie nur die Uhrzeit auf, zu der Sie die Leiche auffinden und begeben Sie sich nicht ins Reich der Spekulationen!“ Keine Sp ekulationen b eim Feststel len des To deszeitpunktes

DazurätauchderMainzerOberstaatsanwaltDipl.­Ing.Dipl.­Jur.Rainer Hofius: „Lassen Sie sich bei der Feststellung des Todes-zeitpunktes auf keine Diskussionen ein. Tragen Sie nur die Uhrzeit ein, zu der Sie die Leiche auffinden.“ Mitunter komme ihm zu Ohren, dass beispielsweise Bestatter Druck ausübenwürden, andere Todeszeitpunkte einzutragen. Hier sollten sich Ärzte auf keinen Fall unter Druck setzen lassen. Man müsse zum einen immer bedenken, dass Todeszeitpunkte auch Auswirkun-gen haben beispielsweise auf Erbfolgen, Renten- und Gehalts-zahlungen. Hofius: „Eine Todesbescheinigung ist eine Urkunde. Keiner kann jemanden zwingen, eine Urkunde mit einem fal-schen Todeszeitpunkt zu fälschen.“

Unsicher fühlen sich Ärzte bei der Leichenschau mitunter auch, wenn es um Veränderungen an der Leiche geht. Stellen sie einen nicht-natürlichen Tod fest, gelte es schließlich, keine Ver-änderungen an der Leiche vorzunehmen, um eventuelle Spu-ren zu zerstören. Hier beruhigt Kriminalhauptkommissar Zaun:

„Sie müssen ja erst einmal die Leiche untersuchen, um einen nicht-natürlichen Tod festzustellen. Erst danach sollten mög-lichst keine Veränderungen an der Leiche mehr vorgenommen werden.“UndnocheinHinweis:WenndiePolizeiverständigtwerde, dann „muss der Arzt bei der Leiche bleiben bis die Poli-zei eintrifft und er muss auch die Angehörigen daran hindern, etwas an der Leiche zu verändern“, so Zaun.

Und was ist, wenn Ärzte auf der Todesbescheinigung „nicht-natürlicher Tod“ eintragen und es sich später als „natürlicher

Tod“herausstellt?„HierfürwirdkeinArztbelangt“,stelltOber-staatsanwalt Hofius klar. Und umgekehrt? „Strafrechtlich pas-siert nichts, solange der Arzt lege artis gehandelt hat. Dann wird keiner ermitteln“, fügt er hinzu. Verfolgt werde es nur, wenn sich herausstellen sollte, dass der Arzt vorsätzlich falsch die Bescheinigung ausgefüllt habe. Hofius: „Dann gibt es Ärger.“

Auch b ei „unver züglich“ geht Versorgung der Leb enden vor

Die Unterscheidung zwischen natürlichem und nicht-natürli-chem Tod bringt Univ.-Prof. Dr. Thomas Riepert, stellvertreten-der Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsme-dizin Mainz, auf den Punkt: Ein natürlicher Tod liegt dann vor, wenn der Tod aufgrund krankhafter innerer Ursache erfolgt ist. Ein nicht-natürlicher Tod hingegen ist von außen gewaltsam verursacht worden nämlich durch Unfall, Suizid oder Tötungs-delikt. Demnach gelte: Erst einmal den mutmaßlich Verstorbe-nen, aber möglicherweise noch Lebenden untersuchen – auch mit dem Risiko, dass möglicherweise Beweismittel vernichtet werden könnten.

Und es gibt noch eine gesetzliche Formulierung, die die Ärzte stark verunsichert. Das ist das Wort „unverzüglich“: Jedererreichbare niedergelassene Arzt ist verpflichtet, die Leichen-schau unverzüglich vorzunehmen. Doch was bedeutet das konkret? Müssen Ärzte sofort alles stehen und liegen lassen, wenn sie zu einer Leichenschau gerufen werden? „Nein“, da

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Qualifizierte Leichenschau könnte Problemstellungen bei der Todesfeststellung lösen.

Rainer Hofius,Oberstaatsanwalt, Mainz:Fo

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Nur mit den Angaben in der Todesbescheinigung können wir die Todesursachen-statistik führen.

Univ.-Prof. Dr. Thomas Riepert,stellvertretender Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin Mainz:Fo

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sind sich Hofius, Zaun und Riepert einig: „Jede Versorgung von Lebendengehtvor.WanndieLebendversorgungabgeschlos-sen und Zeit für die Leichenschau ist, bestimmt der Arzt.“

Rückfragen haben Ärzte oft auch beim Ausfüllen des vertrauli-chen Teils der Todesbescheinigung, berichtet Rieper. Viele hal-ten diesen Teil für unnötig. Doch gerade dieser Teil sei so wich-tig für die Todesursachenstatistik. Rieper: „Nur mit diesen Angaben können wir die Todesursachenstatistik mit Leben füllen, da weniger als fünf Prozent der Verstorbenen obduziert werden.“

To desursachenstatist ik R heinland-Pfalz

Die offiziellen Todesbescheinigungen sind Grundlage der Todesursachenstatistik. Aus diesen Angaben ermittelt das Sta-tistische Landesamt nach international festgelegten Regeln das zum Tod führende Grundleiden. Die Ergebnisse der Todesursa-chenstatistik werden jährlich aufbereitet. Die Unterscheidung nach den verschiedenen Todesursachen folgt einer internatio-nalen Klassifikation.

Im Jahr 2015 sind laut Statistischem Landesamt in Bad Ems insgesamt 46.777 Menschen aus Rheinland-Pfalz gestorben; das seien fast sechs Prozent mehr als im Jahr zuvor (44.307). Das durchschnittliche Sterbealter betrug 78 Jahre (Frauen: 81; Männer: 75 Jahre).

Herz-Kreislauf-Erkrankungen (18.690) waren mit einem Anteil von 40 Prozent die mit Abstand häufigste Todesursache. Rund ein Viertel aller Sterbefälle (11.172) ist auf eine bösartige Neu-bildung (Krebs) zurückzuführen. An Krankheiten des Atmungs-systems starben 3.298 Menschen (7 Prozent).

Im Jahr 2015 starben 1.907 Personen an einer Verletzung oder Vergiftung. Hierzu zählten 533 Menschen, die aus eigenem Entschluss ihrem Leben ein Ende setzten. 207 Personen wur-den Opfer eines Unfalls. Opfer einer Gewalttat wurden 26 Menschen.

Fazit

Ärztinnen und Ärzte sind sich ihrer Verantwortung bei der Leichenschau und beim Ausstellen der Todesbescheinigung bewusst. Aus bekanntgewordenen kritischen Einzelfällen las-sen sich keine tragfähigen allgemeingültigen Rückschlüsse ziehen.VermutlichkannnureinedeutlichhöhereObduktions-frequenzhelfen,FehlerbeiderBestimmungderTodesursacheund der Todesart zu vermeiden.

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Sichere To deszeichen

• Totenflecken–dabeiVorsichtbeihellrotenTotenflecken,denn diese können auf Kohlenmonoxidvergiftung hin-weisen.

• Totenstarre.• Fäulnis.• MitdemLebennichtvertretbareVerletzungen.• FeststellungdesHirntodes. (eb)

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Ein Toter wird gefunden. Ein hinzugerufener Arzt übernimmt vor Ort die Leichenschau und füllt die Todesbescheinigung aus. Mitunter wird die Polizei hinzugezogen. Doch wann und warum kommt die Polizei ins Spiel?Die einfache Regel: Die Polizei kommt dann ins Spiel, wenn ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet wird. Also wenn Fremd-verschulden oder eine Straftat vorliegen könnten.

Die Polizei nimmt eine Todesermittlung aufgrund des Paragra-fen159Strafprozessordnung(§159StPO)auf.FürdieseErmitt-lungen sind bereits Anhaltspunkte für einen nicht-natürlichen Tod ausreichend. Alternativer Anlass ist das Auffinden des Leichnams eines Unbekannten.

N icht-natürl icher To d? Dann muss die Polizei verständigt werdenÄrzte sind verpflichtet, die Polizei zu verständigen, sofern sie keinen natürlichen Tod attestieren. In Rheinland-Pfalz ergibt sich dies aus dem Bestattungsgesetz und hier aus den §§ 10, 11 BestG RP. Der § 10 BestG RP richtet sich an Jedermann und verpflichtet ihn im Fall der Anwesenheit beim Tode oder dem Auffinden eines Toten die Erben oder die Polizei zu verständi-gen. Im Falle des Auffindens von Leichenteilen ist die Polizei sofort zu verständigen. Der Absatz 3 des § 11 BestG RP ver-pflichtet den Arzt, bei Vorliegen von Anhaltspunkten für einen nicht-natürlichen Tod die Polizei zu verständigen. Dies hat sofort zu erfolgen, also ohne schuldhafte (vom Arzt zu vertre-tende) Verzögerung. Darüber hinaus soll er dafür sorgen, dass an der Leiche und der Umgebung keine Veränderungen vorge-nommen werden.

Aus dem Absatz 2 des § 11 BestG RP ergibt sich, welcher Arzt verpflichtet ist, unverzüglich die Leichenschau durchzuführen und eine (endgültige) Todesbescheinigung auszustellen. Ange-sprochen sind die niedergelassenen Ärzte sowie die Ärzte in Krankenhäusern oder vergleichbaren Einrichtungen. Diese für die dort verstorbenen Personen.

Ferner ist hier festgeschrieben, dass der Arzt im Einsatz wäh-rend eines Rettungs- oder Notarztdienstes lediglich den Tod feststellen muss: dokumentiert durch die Ausstellung und Aus-händigung einer vorläufigen Todesbescheinigung.

Erst die Leiche untersuchen, dann den To desschein ausstel lenIm § 4 der Landesverordnung zur Durchführung des Bestat-tungsgesetzes ist festgehalten, dass die Todesbescheinigung

erst nach der persönlichen Untersuchung der Leiche ausge-stellt werden darf. SowohldieStPOalsauchdasBestGRPsprechenvonAnhalts-punkten für einen nicht­natürlichen Tod.Wir unterscheidenaber zwischen der Todesart und der Todesursache.Die Ärzte verstehen unter dem unklaren Tod bereits einen Tod aus innerer (medizinischer) Ursache, der jedoch nicht genau beschrieben werden kann. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass der vertrauliche Teil der Todesbescheinigung die Angabe des unmittelbar zum Tode führenden Ereignisses sowie die hierzu führenden Erkrankungen verlangt und diese Angaben die einzige Quelle der Todesursachenstatistik darstellen. Inso-fern kann auf diese Angaben nicht verzichtet werden. Selbstre-dend stößt ein Arzt bei einer (äußeren) Leichenschau hier oft an seine Grenzen. Er trifft somit eine Aussage zu der Todesursache.

Unk larer To de b edeutet für die Polizei mö gliches FremdverschuldenFür die Polizei bezieht sich der Begriff des unklaren Todes auf den Umstand eines möglichen Fremdverschuldens. Polizei und StaatsanwaltschaftuntersuchenimRahmendes§159StPO,obes für das Ableben äußere Einflüsse gibt und prüfen dann, ob es hierbei eine strafrechtliche Verantwortung gibt. Diese Ein-flüsse müssen kausal zu dem Todeseintritt sein, können aber auch längere Zeit zurückliegen. Somit bezieht sich die Untersu-chung der Polizei und der Staatsanwaltschaft auf die Todesart. Diese unterscheidet sich in natürlicher, nicht-natürlicher und unklarer Tod.

To deszeitpunkt und Auffinden der Leiche ist nicht dasselb eGroße Unsicherheit besteht bei dem Ausfüllen der Todesbe-scheinigung und hier bei der Todeszeit. Das in Rheinland-Pfalz angewandte Formular unterscheidet zwischen dem Todeszeit-punkt und dem Zeitpunkt des Auffindens. Der Todeszeitpunkt verlangt die Anwesenheit des Arztes bei dem Sterbeprozess. WirdderArztzueinemTotengerufenundstelltdanndenTodfest, so gibt er den Zeitpunkt der Leichenauffindung an. Beide Daten meinen die ärztliche Feststellung. Gegebenenfalls kann unter „Nähere Angaben zur Todesursache“ angeben werden, wer den vermeintlich Verstorbenen wann leblos aufgefunden hat.

Autor:Kai ZaunErster Kriminalhauptkommissarbei der Kriminaldirektion Mainz

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Polizei kommt dazu, wenn ein Todes-ermittlungsverfahren eingeleitet wirdKai Zaun

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Die ärztliche Leichenschau stellt dieWeiche, ob einTötungs­delikt entdeckt wird. Sie ist demnach entscheidend für die Feststellung: Herzinfarkt oder Mord?WissenschaftlicheUntersuchungenkommenebensowieBuch-autoren stets zum gleichen Ergebnis: Ein System, das jeden niedergelassenen Arzt oder Krankenhausarzt, der nicht im Notdienst zum Patienten eilte, zur Leichenschau verpflichtet (§ 11 Bestattungsgesetz RP), nimmt billigend in Kauf, dass Fälle eines nicht-natürlichen Todes übersehen werden, die zudem auf Fremdverschulden beruhen könnten.

Das Gesetz definiert als Leichenschau die Feststellung des Todes, des Todeszeitpunktes, der Todesart und der Todesursa-che. Dabei ist die Leichenschau unverzüglich nach Anrufung und zudem zu wirtschaftlich kaum auskömmlichen Konditio-nen vorzunehmen. Da keine Krankenkasse für das Honorar aufkommt, muss der Arzt seinen Anspruch letztendlich bei den von ihm zu ermittelnden Erben geltend machen.Die Feststellung des Todes ist dabei wohl noch der Teil der Lei-chenschau, der dem Arzt die wenigsten Schwierigkeiten berei-ten dürfte. Fragen des Zeitpunktes, der Art und der Ursache des Todes bergen aber offenbar große Gefahren für falsche Feststel-lungen gerade dann, wenn die notwendige Erfahrung fehlt.

B eim Ausfül len der To desb escheinigung b estehen Unsicherheiten

Auch das Ausfüllen der Todesbescheinigung ist mitunter eine bürokratische Herausforderung – insbesondere dann, wenn es nur selten vorkommt. Im praktischen Alltag bestehen hierbei durchaus Unsicherheiten bei Ärztinnen und Ärzten.

So wird oft hinterfragt, was mit dem Begriff „unverzüglich“ im BestattungsgesetzRPgemeintsei.WerbeiGooglenachsieht,kann dann lesen, „ohne schuldhaftes Verzögern“, und dürfte kaum weitergekommen sein. Juristen lieben solche sogenann-ten unbestimmten Rechtsbegriffe. Der Arzt, der zu einer Lei-chenschau aufgefordert wird, steht dann vor der Frage, ob er nun sozusagen alles liegen und stehen lassen muss, oder etwas zu warten und zum Beispiel einen Patienten noch abschließend behandeln darf.

B ei „unver züglich“ gi lt die subjektive Zumutbarkeit

Eine stets geltende Antwort auf die Frage gibt es zwar nicht; zu beachten ist aber, dass entscheidend für den Begriff der Unver-

züglichkeit nicht die objektive, sondern die subjektive Zumut-barkeit des alsbaldigen Handelns ist. Es kommt also auf die Einschätzung und persönliche Sichtweise des zum Handeln Verpflichteten an. Das Risiko einer Fehleinschätzung ist zudem übersichtlich.Vertritt eine Ordnungsbehörde später eine ab­weichende Auffassung, so sieht das Bestattungsgesetz RP in letzter Konsequenz allenfalls die Verhängung eines Bußgel­ des vor.

Regelmäßig wird auch die Frage gestellt, was in der Rubrik „Sterbezeitpunkt“ auf dem nicht-vertraulichen Teil der Todesbe-scheinigung einzutragen sei. Hier ist die Antwort eindeutig: nichts – wenn man nicht selbst beim Ableben zugegen war. Dafür gibt es die Rubrik „Zeitpunkt der Leichenauffindung“. Zudem ist es weiter unten auf dem Vordruck möglich unter

„Eintragungen zum Sterbezeitpunkt“ Angaben von Dritten nie-derzulegen, die dann allerdings namentlich festzuhalten sind.

B ei D ränglern nicht nachgeb en

Es wird hier immer wieder vorgetragen, dass sich beispiels-weise Standesämter damit nicht zufriedengäben und durchaus auch mehrfach insistieren. Wer hier nachgibt, kann bei un­glücklich gelagerten Fällen, vor allem in späteren zivilrechtli-chen Auseinandersetzungen um den Nachlass, sich gegebe-nenfalls gewichtigen Forderungen sich benachteiligt fühlender Erben ausgesetzt sehen.

Viele Problemstellungen, die um die Feststellung eines Todes auftreten, könnten durch die Einführung einer sogenannten qualifiziertenLeichenschaugelöstwerden.

Da der Tod sozusagen Ländersache ist, existieren 16 – aller-dings ähnliche – Regelungen. Allein Bremen hat vor zwei Jah-ren sein entsprechendes Gesetz geändert und die Feststellung des Todes selbst zwar jedem Arzt aufgegeben, die Leichen-schau ansonsten aber „professionalisiert“. Auch wenn berichtet wird, man habe bisher keinen übersehenen Mord entdeckt, ist dortderrichtigeWegeingeschlagenworden.

Autor:OberstaatsanwaltDipl.-Ing. Dipl.-Jur. Rainer HofiusAbteilungsleiter in der Staatsanwaltschaft Mainz

Die Leichenschau entscheidet über Herzinfarkt oder MordRainer Hofius

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Die ärztliche Leichenschau ist der letzte Dienst für den Patien-ten. Im Allgemeinen und auch im ärztlichen Umfeld, wird zunächst daran gedacht, dass hierdurch Tötungsdelikte aufge-deckt werden. Das ist richtig, wenn auch in einem vergleichs-weise friedlichen Umfeld wie Rheinland-Pfalz glücklicherweise nicht sehr häufig. Die Bedeutung der Leichenschau geht aber weit darüber hinaus. Denn der Arzt/die Ärztin soll nicht nur die Todesart feststellen (natürlicher Tod versus nicht-natürlicher Tod), sondern auch die Todesursache, den Todeszeitpunkt und zuallererst den Todeseintritt.

Der To deseintritt

darf nur anhand zumindest eines sicheren Todeszeichens fest-gestellt werden (Totenflecken, Totenstarre, Fäulnis, mit dem Leben nicht vereinbare Verletzungen, Hirntod). Andernfalls sind Fälle von „Scheintod“ nicht auszuschließen, wobei es sich hierbei immer um eine ärztliche Fehldiagnose handelt.

Der To deszeitpunkt

kann nur konkret festgestellt werden, wenn man beim Eintritt des Todes zugegen war. Ansonsten ist der Zeitpunkt des Auffin-dens des oder der Verstorbenen zu dokumentieren. Andernfalls drohen strafrechtliche und zivilrechtliche Implikationen (zum Beispiel Alibi, Erbreihenfolge, Auszahlung des Gehalts).

D ie To desursache

ist entweder unklar oder eine konkrete Diagnose (zum Beispiel Lungenembolie), nicht aber Herz-Kreislauf-Versagen oder Ähn-liches. Bei einerObduktionsfrequenz von unter fünf Prozent in Deutschland muss man sich vor Augen halten, dass über 95 Prozent der Todesursachen, die letztlich in der amtlichen Todesursachenstatistik erscheinen, allein aus dem Ergebnis der ärztlichen Leichenschau resultieren, und das in Zeiten der Qua-litätssicherung!

D ie To desar t

Deren Feststellung bedeutet die Unterscheidung zwischen natürlichem Tod aus krankhafter Ursache und dem nicht-natürlichen Tod durch äußere Einwirkung (Unfall, Suizid, Tötungsdelikt). Liegt eine äußere Einwirkung (zum Beispiel ein Treppensturz) vor, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Eintritt des Todes entfällt, dann handelt es sich um einen nicht-natürlichen Tod.

Hierbei sind zwei Punkte zu beachten, die häufig unklar sind: Zum einen gilt ein Tod auch dann als nicht-natürlich, wenn er auf einen Unfall zurückzuführen ist, der schon längere Zeit zurückliegt (zum Beispiel Verkehrsunfall, apallisches Syndrom über Monate, Lungenentzündung). Eine rein zeitliche Begren-zung gibt es nicht.

Zum anderen ist die Bewertung der Todesart allein medizinisch und prüft nur den kausalen Zusammenhang zwischen einer äußeren Einwirkung und dem Todeseintritt. Die Frage einer möglichen Schuld bleibt der juristischen Einschätzung vorbe-halten. Daher ist es unerheblich, ob die verstorbene Person einen Verkehrsunfall selbst verschuldet hat, der Verkehrsunfall von einer dritten Person verursacht wurde oder der Verkehrs-unfall ohne jedes Verschulden zustande gekommen ist.

To desfäl le nach är ztl iche Eingriffen

Diese Überlegungen gelten im Übrigen auch für Todesfälle nachärztlichenEingriffen.WenneinPatientbeispielsweisebeieinem Elektiveingriff an einer Komplikation verstirbt, ist dies als ein nicht-natürlicher Tod zu klassifizieren. Eine zivilrechtliche oder strafrechtliche Haftung für den Arzt ist nur dann zu besor-gen, falls ein vorwerfbarer Behandlungsfehler sicher nachweis-bar ist, dagegen nicht, falls eine typische Komplikation vorliegt, die auch bei gewissenhaftem Vorgehen nicht immer zu vermei-den ist.Wenndagegen ein natürlicherTodbescheinigtwird,kann im Nachhinein leicht der Verdacht der Vertuschung eines Behandlungsfehlers entstehen.

Die ärztliche Leichenschau ist eine schwierige und belastende Aufgabe und kann sogar Leben retten (Erkennen einer Kohlen-monoxidvergiftung an der hellroten Farbe der Totenflecken und hierdurch Vermeidung weitere Todesfälle). Gleichzeitig kanndie Leichenschauweitreichende juristische Konsequen-zen haben, die zum Zeitpunkt der Untersuchung oft nicht bekannt sind. Daher sollte die Leichenschau unbedingt gewis-senhaft und mit der erforderlichen Sorgfalt durchgeführt wer-den. Letztendlich bescheinigen Ärztinnen und Ärzte dies mit ihrer Unterschrift auf der Todesbescheinigung.

Autor:Prof. Dr. Thomas RiepertStv. Direktor und Unterrichtsbeauftragter des Instituts für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin Mainz

Die ärztliche Leichenschau – letzter Dienst für den PatientenThomas Riepert

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Der österreichische Sprengelarzt wird immer wieder als gutes Beispiel genannt, um die ärztliche Totenbeschau zu verbessern. Das österreichische Bundesland Salzburg verfügt mit den ein-schlägigen Bestimmungen des Bestattungsgesetzes über eine beispielhafte Regelung zur Gewährleistung der Beschau aller LeichendurchqualifizierteundbesondersverpflichteteÄrztin-nen und Ärzte. Bei genauem Hinsehen sieht aber auch hier die Realität anders aus.

D ie RegelungslageDie für die virulente Fragestellung maßgebliche Vorschrift ist der § 2 des Salzburger Leichen- und Bestattungsgesetz 1986 in der Fassung vom 29.12.2011. Hier wird geregelt, dass die Toten-beschau in der Landeshauptstadt durch Amtsärzte und in den

„übrigen Gemeinden” durch die „zuständigen Sprengelärzte” durchzuführen ist. Die Vorschriften über den Sanitätsdienst, die hier erwähnt werden, sehen eine amtliche Verpflichtung als Sprengelarzt vor, der auf Ebene der Gemeinden, für die er oder sie zuständig ist, als verlängerter Arm des Gesundheitsamtes fungiert. Die amtliche Verpflichtung setzt eine Qualifizierung voraus, die durch eine Prüfung zu bestätigen ist. Dazu der ein-deutige Auszug aus § 3 Abs. 5 des Salzburger Gemeinde-Sani-täts-Gesetzes: „Die Prüfung auf dem Gebiet des Sanitätswesens hat sich insbesondere auf Sanitätsrecht, Hygiene einschließlich Umwelthygiene und gerichtliche Medizin zu erstrecken.”Dass das Salzburger Bestattungsrecht sich auch als ein Instru-ment der Strafrechtspflege versteht, zeigt die Bestimmung des § 5 Bestattungsgesetz, die darauf abzielt, den Auffinde- oder Sterbeort nicht zu verändern. Aus Sicht eines Gerichtsmedizi-nerslassendieseRegelungenkaumWünscheoffen.

D ie PraxisAllerdings ist nicht alles Gold, was glänzt und in der Praxis gibt es auch im Land Salzburg durchaus Probleme, die hier nicht verschwiegen werden sollen, weil sie für eine in Deutschland zu beschreibende Regelung eine gewisse Vorausschau ermög-lichen. Es wird offenbar für die Gemeinden zunehmend prob-lematisch, Sprengelärzte zu finden und zu verpflichten. Hinter-gründe dürften das Zeitbudget der Ärzte, die Vergütung für amtsärztliche Tätigkeiten, möglicherweise aber auch das mit früheren Zeiten nicht mehr mithaltende positive Image eines Sprengel arztes sein. Die amtierenden Sprengelärzte des Lan-des Salzburg sind auf einer öffentlichen Liste aufgeführt, die belegt, dass einige Stellen vakant sind. Darüber hinaus dürfte es wegen der recht großen Bezirke schwierig sein, wirksame Vertretungsregelungen zu organisie-ren. Das lässt die Beanspruchung der einzelnen Kolleginnen

und Kollegen weiter wachsen und möglicherweise mit den heutigen Erwartungen an den Beruf, beispielsweise feste Arbeitszeiten im Angestelltenverhältnis, nicht mehr kompatibel erscheinen. Im Umland von Salzburg wird die Aufgabe der Totenbeschau zunehmend durch Amts- und Gerichtsmediziner aus der Stadt Salzburg wahrgenommen.

FazitIn Anbetracht der oben dargelegten Ausführungen ist das Sprengelarzt- beziehungsweise Gemeindearzt-Konzept dem deutschen Konzept, bei dem jeder Arzt zur Totenbeschau her-angezogen werden kann, nur in der Theorie überlegen. Das Land Salzburg kann nicht mit einem problemfreien Ideal-Beispiel aufwarten. Auch hier muss es eine Suche nach zu -kunftsfähigen Lösungen geben; vielleicht auch eine Besinnung auf das, was die Gesetz- und Verordnungsgeber mit der gelten-den Vorschriftenlage bezwecken wollten.Am Ende wird aber immer die Forderung zu erheben sein, dass jede Totenbeschau von forensisch aus- oder fortgebildeten Ärztinnen und Ärzten, die einer amtlichen Verpflichtung unter-liegen, durchgeführt wird.

Autor:Dr. Gregor ThorwartlAllgemein- und Gerichtsmediziner in Salzburg

Ist der österreichische Sprengelarzt eine Möglichkeit für Deutschland?Gregor Thorwartl

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§ 2 Totenb eschauer

(1) Die Totenbeschau ist in der Landeshauptstadt Salz-burg von dem für diesen Bereich zuständigen Amtsarzt, in den übrigen Gemeinden von dem nach den Vorschrif-ten über den Gemeindesanitätsdienst zuständigen Sprengelarzt als Totenbeschauer vorzunehmen. (eb)

§ 5 Verb ot von Veränderungen am Verstorb enen

(1) Bis zur Vornahme der Totenbeschau ist der Verstor-bene am Sterbeort zu belassen. Hiervon kann nur mit Zustimmung des Totenbeschauers Abstand genommen werden,wennaufGrunddesseneigenerWahrnehmungoder auf Grund des ärztlichen Behandlungsscheines kei-nerlei Zweifel an der Todesursache bestehen und das Belassen des Verstorbenen am Sterbeort unzweckmäßig erscheint. (eb)

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Der Erlös aus der Leichenschau ist aktuell niedrig. Dies ist auch dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) bekannt. Daher legte das BMG kürzlich einen Änderungsvorschlag allen Betei-ligten zur Kommentierung vor. Das Bundeskabinett hat nun den „Entwurf einer Fünften Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Ärzte“ beschlossen. Stimmt die Länder-kammer dem zu, könnte diese Neuregelung zum 1. Januar 2020 in Kraft treten.

Bis zur Reform gilt jedoch die aktuelle Fassung der Gebühren-ordnung für Ärzte (GOÄ). Die Regelungen werden hier kurzdargestellt. Die Hinweise sind Konsens unter den Ärztekam-mern Deutschlands und das Ergebnis einer langjährigen Beob-achtung der bundesweiten Rechtsprechung zum Thema. So -bald die neue Regelung umgesetzt ist, werden wir Sie darüber informieren.

Grundsätzliches:Gemäß § 11 Sozialgesetzbuch V hat die gesetzliche Krankenver-sicherung (GKV) nur Leistungen an Lebenden zu tragen. Die Leichenschau und die Ausstellung der Todesbescheinigung sind keineGKV­Leistungen. Sie sind ausnahmslos nachGOÄabzurechnen.

Zur Honorarrechnung nach GOÄ:

GOÄ-Nummer 100 (Untersuchung eines Toten)Mit der Ziffer 100 sind in der Regel alle Leistungen des Arztes im Zusammenhang mit der Leichenschau abgegolten (Aus-nahme: Eintreten des Todes nach Anforderung des Arztes). Bei entsprechenden Gründen und kurzer Begründung in der Rech-nung kann ein erhöhter Steigerungsfaktor bis 3,5 angesetzt werden. Geeignete Begründungen sind z.B. unbekannter Ver-storbener, an Sonn- und Feiertagen, zur Unzeit (22:00 bis 6:00 Uhr), aus laufender Sprechstunde heraus oder Gründe, die im Verstorbenen liegen wie sehr hohes Gewicht, bereits einge-setzte Verwesung oder durch Unfall stark deformierte oder zerstückelte Leiche.

Wegegeld nach § 8 GOÄWegegeld ist zulässig.DieEntfernungwirddabeialsStrecke(Luftlinie!) zwischen Ausgangsort und Ort der Leichenschauermittelt.

Ersatz von AuslagenEntstandene Kosten für die Todesbescheinigung können nach §10GOÄ„ErsatzvonAuslagen“berechnetwerden.PortoundAuslagen für die Rechnung sind hingegen ausgeschlossen.

Liquidation der „vorläufigen Leichenschau“Im Rahmen des Rettungsdienstes kann im Regelfall keine voll-ständigeLeichenschauerfolgen.DerAnsatzderGOÄ­Nr.100istdamit nicht sachgerecht. Die ärztlichen Leistungen können hier mit der Nr. 7 (vollständige körperliche Untersuchung mindes-tenseinesderfolgendenOrgansysteme)fürdieUntersuchungund der Nr. 70 analog („Ausstellung eines vorläufigen Leichen-scheins“)liquidiertwerden.

GOÄ-Nummer 50 (Besuch)Neben der GOÄ­Nummer 100 kann die Nummer 50 nichtberechnet werden.Ausnahme: Bei einem privatversicherten Patienten, wenn die-ser bei Anforderung des Arztes noch lebt. Dem Arzt steht die Vergütung auch dann zu, wenn der Patient bei Eintreffen des Arztes bereits verstorben ist. Bei einem gesetzlich versicherten PatientenkanndieGOÄ­Nummer50nichtberechnetwerden.DiesgiltdannauchfürZuschlägeunddasWegegeld.

Auch eine Analogabrechnung der GOÄ­Nr. 50 ist unzulässig,gleich ob komplett oder reduziert auf die Besuchstätigkeit.

GOÄ-Zuschläge A, B, C, D, E, F, G und HZuschläge nach B II der GOÄ dürfen nur angesetzt werden,wenn eine Leistung nach den Nummern 1, 3, 4, 5, 6, 7 oder 8 erbracht worden ist.Weil der Arzt keine solche Leistung er­bracht hat, scheidet ein Ansatz der Zuschläge aus.

GOÄ-Nummer 3 (eingehende, das gewöhnliche Maß überstei-gende Beratung)Eine Abrechnung scheidet aus, weil ein Verstorbener nicht ein-gehend beraten werden kann.

GOÄ-Nummer 4 (Erhebung der Fremdanamnese)Die Ermittlung der Todesursache und -umstände sind Leis-tungsbestandteilderGOÄ­Nummer100.

GOÄ-Nummer 60 (Konsiliarische Erörterung zwischen zwei odermehrliquidationsberechtigtenÄrzten,fürjedenArzt)DieseLeistungistbereitsBestandteilderGOÄ­Nummer100.

GOÄ-Nummer 75 (Ausführlicher schriftlicher Krankheits- und Befundbericht)Das Ausfüllen des Leichenschauscheins ist bereits Bestandteil derGOÄ­Ziffer100.

Autor:Dr. Günter HockÄrztlicher Referent bei der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz

Die Abrechnung der ärztlichen LeichenschauGünter Hock

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Auf Defizite bei der ärztlichen Leichenschau weist seit vielen Jahren die Gewerkschaft der Polizei Rheinland-Pfalz (GdP) hin. Sie mutmaßt, dass wegen ungenauer Leichenschauen oder fehlender Obduktionen pro Jahr in Rheinland­Pfalz rund 50 Tötungsdelikte nicht entdeckt werden. Die GdP sieht Hand-lungsbedarf und fordert, dass Leichenschauen nur noch von speziell ausgebildetem Personal durchgeführt werden sollen. Der stellvertretende GdP-Landesvorsitzende Bernd Becker begründet im Gespräch mit dem Ärzteblatt die Forderungen:

Die Gewerkschaft der Polizei schätzt, dass pro Jahr etwa 50 Tötungsdelikte nicht aufgedeckt werden. Worauf bezieht sich diese Zahl?SeitvielenJahrenschätztdieWissenschaft,dassinDeutschlandetwa 3.000 unnatürliche Todesfälle pro Jahr unentdeckt blei-ben, davon etwa 1.200 Tötungsdelikte. Es gibt auch Schätzun-gen, die viel höher sind. Aber wenn wir von den 3.000 ausge-hen und die Zahl auf Rheinland-Pfalz anhand des Königsteiner Schlüssels herunterbrechen, kommt man auf etwa 150 Fälle; rund 50 bis 60 von ihnen wären demnach Tötungsdelikte.

Sie sehen die Ursache bei den Ärztinnen und Ärzten?Aber nein! Ärztinnen und Ärzte leisten Hervorragendes in ihren Fachgebieten. Es ist vielmehr so, dass das Gesetz und die Bestattungsverordnung von den Ärzten in zahllosen Fällen

nahezu Unmögliches fordern. Jeder Arzt ist berechtigt bezie-hungsweise sogar verpflichtet, die Leichenschau an der entklei-deten Leiche durchzuführen. Längst nicht jeder Arzt ist im erforderlichen Maße forensisch aus- oder fortgebildet. Es ge -hört nicht viel Fantasie dazu, dass ein Arzt dabei an fachliche aber auch menschliche Grenzen stoßen kann. Stellen Sie sich vor, Sie müssen mitten in der Nacht inmitten einer lautstark trauernden Großfamilie allein eine Leiche untersuchen. Der verstorbene Mensch muss entkleidet werden, gewendet, jeder Quadratzentimeter muss angeschaut werden, die Körperöff-nungen untersucht.

Was ist denn dann Ihre Kritik?WirkritisierendiebisherigeDoktrinvonÄrztevertretern:„JederArzt lernt das, jeder Arzt kann das, jeder Arzt macht das; es gibt kein Problem.“ Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass inzwi-schen zu hören ist, dass Ärztevertreter mittlerweile konstatie-ren, dass es zu Situationen der Überforderung kommen kann. Und noch mal: Das liegt nicht an dem einzelnen Arzt oder der Ärztin, sondern daran, dass die gesetzliche Regelung Unmögli-ches verlangt. Es muss Schluss damit sein, dass die Lücke zwi-schen Gesetz und Wirklichkeit auf dem Rücken der Ärztegeschlossen wird.

Es gibt aber auch Vorwürfe von Ärzten gegen die Polizei. Ihre Kollegen sollen darauf drängen, einen natürlichen Tod zu bescheinigen, damit kein Todesermittlungsverfahren durchge-führt werden muss. Wie sehen Sie das?Solche strittigen Fälle entstehen, wenn die Polizei aus irgend-welchen Gründen dazu gerufen wurde. Es geht dann oft um mangelnde Routine und unterschiedliche Vorstellungen beim Ausfüllen der Todesbescheinigung. Es kann sehr wohl medizi-nisch unklar sein, woran ein Mensch gestorben ist. Darum geht es der Polizei aber nicht. Sie will nur wissen, ob es Hinweise auf eine nichtnatürliche Todesursache gibt, insbesondere auf Fremdverschulden. Zu solchen Unklarheiten würde es nicht kommen,wenndieLeichenschauvonbesondersqualifiziertenund amtlich verpflichteten Ärzten mit Routine durchgeführt würde.

Wie bewerten Sie das österreichische Modell?Ich bin der Meinung, dass das österreichische Modell auf ein Flächenland wie Rheinland-Pfalz sehr gut passen würde. Dort werden die Großstädte durch die Rechtsmedizin beziehungs-weise das Gesundheitsamt abgedeckt und auf dem Land gibt es den so genannten Sprengelarzt, der jede Leiche in seinem BezirkqualifiziertbeschautundeineramtlichenVerpflichtungunterliegt. Ich bin mir sicher: Die allermeisten deutschen Ärzte wären heilfroh, wenn sie diese schwierige Aufgabe in die Hände eines solchen Experten geben könnten. (eng)

Polizei-Gewerkschaft: Nur speziell ausge-bildete Ärzte sollen Leichenschau machen

Bernd Becker von der Gewerkschaf t der Pol izei : Wegenungenauer Leichenschauenoder fehlender Obdukt ionen werden proJahr in R heinland-Pfalz rund 50 Tötungs-del ikte nicht entdeckt .

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