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Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Freistil Lagerfeld Mode, Menschen, Macht Von Johannes Nichelmann und Florian Siebeck Produktion: NDR/BR/rbb 2018 Redaktion Dlf: Klaus Pilger Sendung: Sonntag, 16.02.2020, 20:05-21:00 Uhr Regie: Johannes Nichelmann Es sprachen: Eva Meckbach und Johannes Nichelmann Technische Realisation: Hermann Leppich Komposition: Andreas Bick Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. ©

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Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur

Freistil

Lagerfeld

Mode, Menschen, Macht

Von Johannes Nichelmann und Florian Siebeck

Produktion: NDR/BR/rbb 2018

Redaktion Dlf: Klaus Pilger

Sendung: Sonntag, 16.02.2020, 20:05-21:00 Uhr

Regie: Johannes Nichelmann

Es sprachen: Eva Meckbach und Johannes Nichelmann

Technische Realisation: Hermann Leppich

Komposition: Andreas Bick

Urheberrechtlicher Hinweis

Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt

und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein

privaten Zwecken genutzt werden.

Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige

Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz

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Karl Lagerfeld Wissen Sie, ich hab Schwein gehabt im Leben. Ich mach genau das, was ich will. Meine Mutter sagte, Du bist nicht ganz ehrgeizig. Du hättest was Besseres aus Dir machen können. Aber mir reicht das.

Frau mit Hund Stay! Stay! Stay! Stay! Good girl. Come.

Erzähler Ein Hündchen, in ein weißes Kleid gezwängt, mit einem Hut

auf dem Köpfchen, steht zittrig und verloren auf einem Rad

aus Pappe – einer Hutschachtel mit Chanel-Logo – und

wird von seinem Frauchen, ebenfalls ganz in weiß,

angefeuert, darauf zu balancieren.

Frau mit Hund Good girl! Good girl! Sweet! Good girl!

Erzähler Es ist Fashion Week in Paris. Sommer 2018. Trois Avenue

du Général Eisenhower. Im Grand Palais findet heute die

Haute Couture Schau von Chanel statt. Hier zeigt Karl

Lagerfeld seine neue Kollektion.

Polizist Sur le trottoir! D’accord?!

Erzähler Polizisten und Pressefotografen.

Pressefotograf Please go one step back! One step! Thank you! Thank you very much, thank you very much!

Journalistin I was looking at your bag! Which is just wonderful!

Mann Yes. Thank you!

Erzähler Journalistinnen und Journalisten.

Journalistin That’s why I interview you! Do you like leather?

Erzähler Reiche. Schöne. Blogger und Influencer.

Besucherin I Être surprise, d’être emportée, de m’évader, très grande fan!

Erzähler Kreative Arbeit mit Marken. Eine Ehre hier zu sein.

Besucherin II My name is Charlotte, I am here to go to the Chanel show. I am a fashion writer, creative. Work with brands and also with Chanel, so it’s always an honour to come here.

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Erzähler Alle wollen ihn. Wollen ein Teil seiner Welt sein. Ein Teil

des Kosmos von Karl Lagerfeld.

Karl Lagerfeld Die Leute können nur sich das vorstellen, was sie kennen. Sie wissen aber nicht, was sie nicht kennen. Sie haben vielleicht Lust auf was anderes, aber sie können es nicht formulieren. Und daraus besteht mein Beruf, auch das zu formulieren, was die Leute sich irgendwie wünschen, vorstellen, aber sich nicht selber formulieren können. Da können Sie doch endlich mal träumen, nicht?

Ansage Lagerfeld

Feature von Johannes Nichelmann und Florian Siebeck

Erzähler Er ist Ikone unserer Zeit. Der Mensch und die Marke Karl

Lagerfeld sind jedem ein Begriff, weltweit. Er ist ein

Megastar. Wie funktioniert das System Lagerfeld? Wer

erhält Zutritt und wer nicht? Es geht um Traumwelten, aber

auch um Geld, Macht und Einfluss.

Karl Lagerfeld Ich will auch gar nicht richtig gekannt werden! Was die Leute sich vorstellen, finde ich viel stimulierender wie die Wirklichkeit. Ich kenne die Wirklichkeit. Die ist okay. Aber sich eine andere Wirklichkeit auszumalen ist im Grunde für die Leute kreativer.

Erzähler Karl Lagerfeld ist Mode- und Möbeldesigner,

Innenarchitekt, Fotograf, Buchautor, Karikaturist,

Geschäftsmann und Gesamtkunstwerk.

Karl Lagerfeld Ich halte mich auch nicht selber für einen Künstler! Ich bin jemand, der zeichnet, der Mode macht, der fotografiert und so. Das können die Leute hinterher selber beurteilen. Aber ich kann mir keine Autoprädikate geben.

Erzähler Wie kommt man an einen Menschen heran, der zwar die

Nähe zum Volk sucht, aber wie ein Kaiser verehrt und

abgeschirmt wird? Karl Lagerfeld ist überall und immer

unnahbar. E-Mails bei Chanel kommen offiziell nicht an,

bleiben lange unbeantwortet.

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Kommt doch eine Antwort, ist sie vage, unbestimmt.

Anrufe zwecklos. Aber es gibt Menschen, die einen Draht

zu ihm haben.

A. Golovanoff I am presenting these days my spring summer collection and I am doing knitwear and my specificity are the colours. I am quite good for colours. I don’t do black!

Erzähler Alexandra Golovanoff ist Journalistin, lebt in Paris. Sie hat

eine eigene Modelinie, moderiert im Fernsehen die

Fashion-Sendung „La mode, la mode, la mode“. Es heißt,

Karl Lagerfeld würde sie lieben. Und sie liebt ihn.

A. Golovanoff He is happy to see me, because I am so happy to see him. And when I don’t see him, I miss him and I write him, because I miss him. I don’t know why, because for some reason I don’t see him for the last three months.

Sprecherin Er ist froh, mich zu sehen, weil ich froh bin, ihn zu sehen.

Wenn ich ihn nicht sehe, vermisse ich ihn und schreibe

ihm. Ich weiß nicht warum, aber ich habe ihn schon seit

drei Monaten nicht mehr gesehen.

A. Golovanoff No, I don’t text him. I write on paper and I leave it at his personal address and if I have to say something, I can text to Sebastien.

Sprecherin Ich tippe keine SMS. Ich schreibe auf Papier und schicke es

an seine Privatadresse. Wenn es dringend ist, melde ich

mich bei Sebastien.

Erzähler Seinem Bodyguard und Vertrauten. Einem ehemaligen

Model. Die Modejournalistin und Modedesignerin

Alexandra Golovanoff lernt Lagerfeld vor einigen Jahren

nach einer seiner Shows kennen. Mit wackligen Knien geht

sie zu ihm. Sie erhält eine Audienz.

A. Golovanoff For him, you have to choose the words very precise in what you mean! So I was a little bit like, okay, I gonna do an interview with Karl and I have to pay attention of HOW I am asking. I arrived and I was just so happy. And I said: Hi Karl!

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Well and I said something and I don’t know exactly why and he said: Yes! You are right! And that was the first time.

Sprecherin Für Karl musst Du deine Worte sehr präzise wählen. Ich

dachte, okay, ich führe ein Interview mit ihm, ich muss

wirklich aufpassen, wie ich ihn frage. Ich kam also an und

war sehr glücklich. Ich sagte: Hi Karl! Und dann irgendwas,

woran ich mich nicht genau erinnere. Aber er antwortet: Ja!

Du hast Recht! Das war das erste Mal!

Erzähler Seitdem darf Alexandra für ihre Fernsehsendung sogar

während seiner laufenden Haute-Couture-Schauen

Backstage-Interviews mit Lagerfeld führen. Sie gehört also

dazu.

A. Golovanoff He is a monster. A „übermensch“. Really.

Archiv-Collage Lagerfeld bestimmt selbst, wer Lagerfeld ist! Unstrittig einer der ganz Großen der Modewelt.

Karl Lagerfeld, ein Hansdampf in allen Gassen!

Ein Dampfplauderer eigenen Stils!

Er hat kein Alter …

Fächer, Sonnenbrille und weißer Zopf!

Er spricht mit einer unglaublichen Geschwindigkeit.

Noch ohne diese Markenzeichen wurde Karl Lagerfeld in Hamburg geboren.

Und kommt nie aus der Mode.

Karl lebte ein Leben in Wohlstand, durch die Mutter auf Distanz

zum Hamburger Bürgertum.

Sein Vater war Generaldirektor der „Glücksklee Milch GmbH“.

Sie hatte nichts dagegen, dass Karl, zu Besuch in Paris, nicht wieder nach Hamburg zurückkehren wollte. Er wechselte auf ein Gymnasium in der französischen Hauptstadt.

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Doch bereits 1954 gewann der 16-Jährige für eine Mantelzeichnung den ersten Preis in einem internationalen Wettbewerb.

Seitdem rissen sich große Pariser Modehäuser wie Balmain, Patou, Chloé und Fendi um das Schneiderlein.

Auf die Jahre bei Balmain folgte die Station als Direktor bei Jean Patou und 1963 entwarf er sein erstes Kleid für Chloé.

Parfüm, Accessoires und Kleidung sind nur wenige Facetten des kreativen Vielarbeiters.

Im Januar 1983 entwarf er die erste Haute-Coutoure-Kollektion für Chanel.

… der Stile lebt, sie wechselt und pflegt. Ein Dandy.

Ein Jahr später machte er sein eigenes Haus auf den Pariser Champs-Élysées auf.

Der Pariser aus Hamburg ist lebende Legende. Ein Fürst der Postmoderne.

Für wen machen Sie Mode? Jung, alt, Mittelalter?

Karl Lagerfeld Das ist noch wieder eine Frage, auf die ich nicht mehr antworten möchte, weil für mich ist das wie Rassismus. Was heißt hier jung, alt und mittelalt, he?

Archiv-Collage Was ist das Geheimnis?

Erzähler Lagerfeld, geboren am 10. September 1933, ist

Angestellter. Entwirft für mehrere Marken zeitgleich. Vor

allem für Fendi aus Italien, für Chanel aus Frankreich und

für ein Label, das seinen Namen trägt. Zu seinem

Repertoire gehören aber auch unzählige Kostüme für

Opern und Theaterstücke. Alles beginnt in den 1950er

Jahren. Karl Lagerfeld ist 15, als er nach Paris kommt. Das

Abitur lässt er für die Laufbahn in der Modewelt sausen.

Karl Lagerfeld Ich erinnere mich, ich war ganz jung, da saß ich mal auf einer Terrasse in Saint-Germain-des-Prés. Da saß am Nebentisch bei mir so ein damaliger Modeschöpfer, der Castillo hieß und der arbeitete für Lanvin, ein ganz furchtbarer alter Kerl. Der sagte zu den Leuten, die bei ihm am Tisch saßen, ich meine da war ich vielleicht 16,17 Jahre alt, da sagte er, ja, heute habe ich Kleider entworfen, wenn jemand die gemacht hätte, dann wäre ich eifersüchtig gewesen.

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Wenn man an den Mist denkt, den dieser gute Mann machte, dann wird das ja lächerlich. Und dann hab ich mir gedacht, so möchte ich ja nun nie werden.

Erzählung Karl Lagerfeld arbeitet zunächst für den französischen

Designer Pierre Balmain. Der stellt ihm einen befreundeten

Deutschen vor. Den Journalisten Peter Bermbach.

Peter Bermbach Naja, also ich arbeitete mit einem deutschen Fotografen zusammen, der sehr berühmt geworden ist und auch damals schon war. Willy Maywald. Eines Tages habe ich ihm dann gesagt, Du übrigens, nein wir haben uns gesiezt, ich hab einen Freund, der heißt Karl und der ist jetzt in ein anderes Modehaus gekommen, wollen wir nicht über den was machen? Und Karl war völlig unbekannt und noch nie hat jemand eine Reportage über ihn gemacht. Er war dritter Zeichner bei Balmain oder sowas und hatte nun aber einen Posten in diesem Modehaus und Karl wurde dort als Deutscher, was sehr ungewöhnlich war, engagiert.

Kommen Sie mit! Ich zeige Ihnen schnell die Wohnung. Das ist meine Bibliothek und da sehen Sie, hier habe ich einen George Grosz, kennen Sie George Grosz?

Erzähler An den Wänden Gemälde, auf und neben den Tischen,

Sofas und Sesseln Skulpturen.

Peter Bermbach Für mich wunderschön, ist eine Wunderkammer heißt es!

Erzähler Hier und da Schwarz-weiß-Fotos. Ein Besuch im Paris des

20. Jahrhunderts.

Peter Bermbach Da ist Karl, da oben. Warten Sie mal. Das Foto, wo ist denn das? Gibt’s doch nicht. Das ist Raddatz! Da! Hier ist Karl.

Reporter Da!

Peter Bermbach Das ist ein Privatfoto, als wir von Karl die Reportage gemacht haben.

Reporter Da sieht er sehr freundlich drauf aus, lächelt. Bisschen verschmitzt.

Peter Bermbach Ja, ja. Das ist Paloma Picasso. Mit einem Kleid von Karl, wo man den Hintern-Ansatz sieht.

Erzähler Die 1960er Jahre.

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Peter Bermbach Karl hatte einen Mercedes 190 SL, weiß, mit roten Sitzen. Das fand ich toll und da ich gerade über 10.000 Mark verdient hatte, bin ich nach Düsseldorf gefahren, habe mir im „Haus Becker“ – das billig Autos verkaufte – einen MG 1600 gekauft. Weiß, mit roten Ledersitzen. Aber es gab ganz wenig so schicke Autos, mit deutschen Nummern und das war also der Beginn der Freundschaft mit Karl Lagerfeld.

Reporter Was war das denn für ein Typ als junger Mann?

Peter Bermbach Stolz. Das ist glaube ich, sein Hauptcharakteristikum. Stolz und selbstsicher. Ich meine, er sah sehr gut aus.

Ich meine, der redete nicht mit allen Leuten und er war also auch etwas hochmütig und er wusste, wie gut er aussieht, nicht. Er hatte schwarze Locken, unter denen er angeblich litt. Er hatte wunderschöne große schwarze Augen und das setzte er voll ein, wenn er an Leuten interessiert war. Da hab ich sehr schnell gemerkt, dass er mich nicht attraktiv fand. Aber das war kein Problem zwischen uns. Nein, nein.

Er hatte immer „Toyboys“ oder wie das heißt, die für ihn Sachen machten. Der machte die Elektrizität und Karl kannte dann, ich weiß, einen Deutschen, der war schon ein Starmodel und den sah man auf allen Werbungen und der war in seiner Wohnung. Ein saudummer, netter, geiler sexy Boy. Dann hab ich gesagt, sag, was redest Du denn mit dem? Sagt er: Ja, du! Meine Elektrizität muss neu gemacht werden. Wenn das fertig ist, werde ich ihn nicht mehr sehen. Also er wusste auch schon, wie man Leute ausnutzt. Das ist eine Geschichte, die mir neulich eingefallen ist.

Wir hatten sehr viel Fröhlichkeit. Es war eine schöne Jugend und das in Paris und wir waren verhältnismäßig reich. Mit tollen Autos und …

Karl Lagerfeld Wenn alles ewig dauern würde, wäre das ohne Interesse. Wenn man ewig jung wäre, die Jugend ohne Interesse.

Alfons Kaiser Das ist natürlich auch ein bisschen Modeszene! Man will verzweifelt jung bleiben, auf allen Ebenen und das heißt, dass man natürlich nur Jugendsender hören kann.

Erzähler Frankfurt am Main. Alfons Kaiser berichtet für die

Frankfurter Allgemeine Zeitung, F.A.Z., über Mode. Er ist

auf dem Weg in die Redaktion. Heute stehen Planungen für

die Pariser Haute-Couture-Schauen an. In ein paar Wochen

geht es los. Seit über zwanzig Jahren ist der Journalist

dabei.

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Alfons Kaiser Ja und der Herr Lagerfeld schickt natürlich immer so, ich weiß nicht wie vielen, das möchte ich gerne mal wissen, Leuten … der will immer genau wissen, wann kommen die in ihrem Hotel an und genau an dem Tag kommt ein riesiger Strauß weißer Rosen. Der ist so groß, dass er bei mir im Hotelzimmer immer schon so quasi ins Ehebett neben mir gelegt werden muss, weil ich hab sonst überhaupt keinen Platz dafür und immer mit persönlicher Note. Da frage ich mich dann, bei wie vielen Leuten macht er das und wann hat der eigentlich Freizeit?

Reporter Darf man das annehmen? Das ist ja schon fast Bestechung!

Alfons Kaiser Da fängt es eben an! Jetzt kann man die Blumen schlecht zurückschicken. Allein die Kosten, die … oder soll ich die selbst vorbeibringen? Aber ist natürlich schon irgendwie unangenehm.

Radio Hier ist „You FM“, 8 Uhr 37!

Erzähler Der Rosenstrauß von Karl Lagerfeld bedeutet, dass Alfons

Kaiser wichtig ist und geachtet wird. Eine Art

Mitgliedsausweis, um in den engsten Kreis des Meisters

eintreten zu dürfen. Und über ihn und seine Arbeit mit

exklusiven Einblicken zu berichten.

Alfons Kaiser Die ersten Treffen mit Karl Lagerfeld, die waren noch sehr schmeichelhaft für mich, weil da war er noch dicker als ich. Vor 15 Jahren hat sich das radikal gewandelt, auch das zeigt seine Stärke. Nicht, dass ich dicker werde zeigt seine Stärke, sondern, dass er so schmal geworden ist.

Karl Lagerfeld Schwitzen? Das tun Leute, die zu viel essen, die zu viel trinken und so. Aber, das ist nicht mein Fall! Ich schwitze nicht.

Alfons Kaiser Ich habe ihn, wie alle Journalisten, nach den Schauen immer befragt und dadurch haben wir uns über die Jahre immer ein bisschen besser kennengelernt und ich glaube eine gewisse Vertrauensbasis ist wichtig bei ihm, bevor man mit ihm zusammenarbeitet und dann committed er sich auch und was mir eben aufgefallen war, dass er unglaublich zugänglich ist, witzig, offen und auch sehr pragmatisch. Also nicht abgehoben, wie man vielleicht manchmal denken könnte, sondern eigentlich sehr erdverbunden und sehr locker. Immer gute Sprüche auf Lager und das macht ihn ideal für jeden Modeberichterstatter.

Archiv Karl Lagerfeld, wenn man Ihre Fotos anschaut, ob Sie nun die Männer abfotografiert haben oder die Damen, Sie schauen immer sehr auf die Ästhetik. Was ist denn für Sie einfacher zu fotografieren? Ein männliches Model oder ein weibliches Model?

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Karl Lagerfeld Jeder hat zwei Arme und zwei Beine und einen Kopf.

Archiv Bleiben wir mal beim Kopf!

Heute trägt er Zopf. Warum?

Karl Lagerfeld Weil das die bequemste Frisur der Welt ist, denn meine Haare sind wahnsinnig zottelig und gelockt. Das kann man in drei Sekunden waschen und in drei Sekunden ist wieder alles okay.

Archiv Hinter der gewohnten Sonnenbrille erkennt man nicht, ob er sein Publikum fixiert.

Karl Lagerfeld Wissen Sie, kurzsichtige Leute, die haben oft etwas traurige Augen. Und dann sieht man beinahe aus wie ein Hund, der adoptiert werden möchte. Das ist wirklich etwas, was ich nicht haben will.

David Baum Das Witzige ist ja so, jeder kennt so seinen aktuellen Lagerfeld, mit dem man irgendwie was verbindet.

Erzähler Hamburg. Der 45-jährige Österreicher David Baum arbeitet

als Autor für den Stern. War davor unter anderem Mitglied

der Bunte-Chefredaktion und Sonderkorrespondent der

Park Avenue. Er durfte viele Interviews mit Karl Lagerfeld

führen.

David Baum Wenn man mal so in die Archive geht, man traut ja seinen Augen nicht! Dieser Karl Lagerfeld, der ein Boxer war, der einen schwarzen Bart hatte, Sonnenbrillen und der hat ja wirklich viel geboxt und war wahnsinnig muskulös. Das ist ja ein Lagerfeld, den wir alle nicht mehr in Erinnerung haben. Der wird ja immer überlagert von der nächsten persönlichen Epoche, die er sich gibt.

Erzähler David Baum und Lagerfeld treffen sich 1997 das erste Mal –

in Hamburg. Zu einer Zeit, in der alle drei großen Designer

der Stadt zu Hause sind: Jil Sander, Wolfgang Joop und

eben Karl Lagerfeld.

David Baum Karl Lagerfeld hatte sich irgendwie in diese Idee verliebt, in Blankenese diese Villa zu kaufen. Hatte ein Parfüm danach benannt oder eigentlich umgekehrt, er hatte die Villa nach dem Parfüm benannt.

Marietta Andreae Und dann sagt er an dem einen Tag, Marietta, ich hab da an einem Tag verschieden Häuser angeboten bekommen und die gucken wir uns jetzt mal an.

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Erzähler Am Neuen Wall, in direkter Nähe zu den Boutiquen von

Chanel, Louis Vuitton oder Burberry hat Marietta Andreae

ihr Büro. Die PR-Agentin vertritt über zwanzig Jahre lang

Lagerfelds Interessen in Deutschland, Österreich und der

Schweiz. Die Bayerin ist lange Zeit eine enge Vertraute.

Marietta Andreae Dann sind wir also beide losgefahren und das erste Haus war auf der Elbchaussee, auf der rechten Seite. Das war hübsch, aber mich hat es jetzt nicht besonders fasziniert, und das zweite Haus war eben die Villa Jako. Das war wirklich bizarr. Schon die Zufahrt. Das ging so den Berg runter, so eine kleine schmale Straße. Dann ein riesen Turm, man wusste gar nicht, was man zu erwarten und kam dann in einen relativ kleinen Kiesvorplatz, ging in das Haus. Also es wurde eigentlich immer größer und hatte dann den Blick eben auf diesen prachtvollen Garten und bis runter zur Elbe, rechts der Süllberg und das war unfassbar. Vielleicht wusste ich schon vor ihm, das ist es! Ich hab ihm auch gesagt, wenn Sie wirklich was hier in Hamburg wollen, dann würde ich denken, dieses Haus mit dem Park ist einfach fantastisch. Ich bin sicher, es hat nicht meiner Überzeugungskraft bedurft, aber er hat es dann effektiv gekauft.

Reporter Warum hat er es wieder verkauft?

Marietta Andreae Ich glaube, dass jemand wie er, der eben immer von den Neuheiten lebt, aber natürlich diese unglaubliche Kultur hat und sehr gebildet und was immer man nennen will, der braucht auch immer wieder Abwechslung. Er hat eben dann das Haus mehrmals fotografiert, aber es war mir klar, je mehr er das Haus fotografiert, desto mehr distanziert er sich auch davon. Dann hat er am Schluss das Parfüm „Jako“ vorgestellt und kurze Zeit darauf es verkauft. Weil er, so schön er es fand, so wohl er sich fühlte, sagt, der ewige Blick auf die Elbe macht einen träge und es ist schwierig, dann zu arbeiten. Also diese kreative Energie fehlte.

Reporter Also das Haus war dann auch einfach eine Muse für ihn?

Marietta Andreae Absolut!

Karl Lagerfeld Die Fantasie, die muss ja irgendwie stimuliert werden. Ich lieg ja nicht in der Sonne und warte auf Inspiration. Inspiration – das ist aber auch 99 Prozent für den Papierkorb arbeiten und der Rest der bleibt.

Erzähler Paris. Alle Interview-Anfragen an Karl Lagerfeld sind ins

Leere gelaufen. Auf der Straße treffe ich zufällig die Frau,

die zwischen Lagerfeld und der Außenwelt steht:

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Caroline Lebar. Meine Chance! Ich spreche sie an. An

meine letzte Anfrage kann sie sich erinnern.

Caroline Lebar We discuss this afternoon. Just give me a ring and I will see.

Erzähler Noch am selben Nachmittag will sie mit ihrem Chef

sprechen. Ich soll einfach später anrufen.

Hotelfrau Soll ich es zusammen?

Alfons Kaiser Ja, das wäre nett, weil dann hab ich es einmal richtig.

Erzähler Auch F.A.Z.-Moderedakteur Alfons Kaiser ist in Paris

angekommen. Er checkt in einem kleinen Hotel im 10.

Arrondissement ein.

Alfons Kaiser Oh, ich hab sogar ein schönes Zimmer, oben!

Hotelfrau Ja!

Alfons Kaiser Wunderbar! Ist ja toll.

Erzähler Er ist in angereist, um über die Haute-Couture-Schauen der

kommenden Tage zu berichten. Es geht um die

handwerkliche Kunst der Modehäuser, um einen Blick auf

Kleidung, die sich nur wenige hundert erlesene Menschen

auf der Welt leisten können und wollen. Ein Abendkleid

kann bis zu 200.000 Euro kosten. Kaiser wird Artikel

schreiben für die Zeitung und deren Online-Angebot.

Außerdem Videos und Bilder auf Instagram posten.

Alfons Kaiser Und haben Sie auch irgendwelche Einladungen bekommen oder so etwas?

Hotelfrau Normalerweise wir haben alles …

Alfons Kaiser Alles oben.

Reporter Lässt Du Dir die Einladungen für die Veranstaltungen immer direkt hierher schicken?

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Alfons Kaiser Ähm, ja. Ist zwar auch ein bisschen anachronistisch, weil man kann sich ja auch elektronisch registrieren lassen, aber die wollen ja immer noch ihre wunderbaren Einladungen, teils dann von einem Kalligraphen handgeschrieben, ins Hotel schicken, aus Imagegründen wahrscheinlich und damit die Leute dann auch schon einmal, bitte …

Reporter Danke.

Alfons Kaiser … dass die Leute dann auch schon mal schön posten, weil viele dann ihre Einladungen sofort posten. Was ich immer ein bisschen peinlich finde, weil dann gibt man ja zu, dass man sehr happy ist über solche Einladungen.

Erzähler Im obersten Stockwerk des Hotels gehen wir einen

schmalen Gang entlang und bleiben vor dem Zimmer von

Alfons Kaiser stehen. Ich bin mit ihm hierher gekommen,

weil ich den imposanten Strauß weißer Rosen und die

handgeschriebene Karte von Karl Lagerfeld sehen will.

Reporter Also jetzt erwarten wir darin einen riesigen Blumenstrauß?

Alfons Kaiser Na, ich hoffe mal, dass darin ein paar Blumen stehen, sonst würde ich doch ins Grübeln kommen.

Reporter Wenn jetzt keine Blumen da sind, dann wäre das wirklich ein schlechtes Zeichen?

Alfons Kaiser Ich glaube, dass wäre ein schlechtes Zeichen. Also lass uns beten, dass alles in Ordnung ist und ein Haufen Einladungen und ein paar schöne, weiße Rosen da stehen. (Tür geht auf)

Oh. Keine Blumen. (Tür fliegt zu)

Erzähler Ich kann mir gut vorstellen, wie Alfons sich jetzt fühlt.

Inzwischen habe ich mehrfach versucht, Caroline Lebar,

die Vertraute von Lagerfeld, wie vereinbart telefonisch zu

erreichen. Ohne Erfolg. Nach zwei Tagen meldet sie sich,

per E-Mail.

Sprecherin Unfortunately, Karl Lagerfeld will not be able for your interview as he is leaving Paris soon and will be fully booked before. On another hand, to be frank with you, he doesn’t wish to be part of a documentary about his life and achievement.

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Erzähler Leider habe er einen vollen Terminplan. Außerdem wolle

Frau Lebar, die seit über dreißig Jahren für Lagerfeld

arbeitet, ganz ehrlich mit mir sein: Er wäre nur allzu ungern

Teil einer Dokumentation über sein Lebenswerk.

Karl Lagerfeld Wie entsetzlich! Das Wort Rückblick allein, da werde ich blind! Man darf sich selber nicht mit Wohlwollen und Gefallen in seiner eigenen Vergangenheit rumrekeln. Das ist äußerst ungesund. Da bin ich total gegen. Denn weiß Gott versuche ich mich nicht ernst zu nehmen.

Erzähler Karl Lagerfeld und die Medien.

Archiv Ein Auftrieb ohne Gleichen!

Da ist er also! Eine Art Lichtgestalt.

Karl Lagerfeld Ich war zu spät, aber das tut mir furchtbar leid. Ich bin zu spät seit heute morgen, weil man vorher nicht aus Paris fliegen konnte.

Archiv Ein Mode-Gott mit seinem Hofstaat. Frisch gelandet, vor seinem großen Auftritt.

Karl Lagerfeld Trommeln gehört zum Handwerk! Aber heutzutage mit den Medien ist das so, ist das alles ein bisschen aus der Hand geraten, ne.

Archiv Über 300 Journalisten. Dazu Fashionistas und Fans. Presserummel, wie für ein Staatsoberhaupt, den Modepapst.

Karl Lagerfeld Und dann hab ich den Tag über und dann kann ich in mein kleines Flugzeug steigen und nach Hause fliegen.

Archiv Ausnahmezustand.

Karl Lagerfeld Ich bin an irdische Dinge nicht gebunden.

Archiv Was will er überhaupt, hier bei uns auf Erden?

David Baum Er hat halt mit einigen Modejournalisten oder Chefredakteurinnen hat er so was wie Freundschaften. Ob das jetzt eben Christiane Arp von der Vogue ist, sicherlich auch mit Patricia Riekel, der früheren „Bunte“-Chefredakteurin. Da hat ja natürlich eine große Lust am Klatsch.

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Erzähler Christiane Arp lehnt ein Interview für diese Sendung in

knappen Worten ab. Frau Riekel sagt zunächst zu, will

dann aber 400 Euro Honorar haben. Als wir das ablehnen,

hat sie plötzlich keine Zeit mehr. Der allerengste Kreis um

Karl bleibt uns bisher verschlossen.

Reporter Du bist seit wie vielen Jahren im Modejournalismus?

Alfons Kaiser Zwanzig Jahre.

Reporter Warum ist das so eine schwierige Branche? Warum ist das so ein …

Alfons Kaiser Das ist eine Branche, in der viel Schein ist und wenig Sein. Klingt klischeehaft, ist aber so. Man bekommt unglaublich große Gefühlswerte mitgeteilt, aber sehr wenig Information. Zum Beispiel ist es aus der Mode gekommen, dass man zu den einzelnen Teilen, die über den Laufsteg schweben, Infos bekommt. Was für ein Teil das ist, was für eine Farbe, aus was für einem Stoff. Das führt auch dazu, dass sich alle in Bildern ergehen und nicht mehr versuchen, zu analysieren, das im Kontext zu erzählen, und das macht es unglaublich schwer.

Alfons Kaiser (öffnet einen Umschlag) Hier ist die Chanel-Einladung. Relativ entspannt. Dritte Reihe. Das passt doch …

Reporter Was wäre eigentlich, wenn jetzt von Herrn Lagerfeld gar keine Blumen mehr kämen – wäre das wirklich ein Zeichen oder wäre das auch irgendwie egal am Ende?

Alfons Kaiser Schwer einzuschätzen. Ich denke mal, es wäre nicht gut. (Polizeisirenen)

Reporter Was wäre denn ein Grund dafür, dass er das nicht schicken würde?

Alfons Kaiser Naja, wahrscheinlich hat er nur 50, 60 Leute, die so etwas bekommen und wenn dann einer rausfällt, also an Bedeutung verliert, ist das natürlich eine bittere Erkenntnis.

Reporter Ist damit der Verfall der deutschen Printmedien gemeint, also wie …

Alfons Kaiser Könnte sein!

Erzähler Ich hab gut lachen! Radio hat bei Chanel überhaupt nichts

zu melden. Fernsehen, Zeitungen, Instagram – darauf

kommt es an. Auf die Bildgewalt.

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Reporter Könnte wirklich sein, dass er die Verkaufszahlen der F.A.Z. …

Alfons Kaiser Äh, nö. Aber das natürlich, also nicht sozusagen so negativ gesehen, sondern positiv gesehen, dass die Influencer so wichtig werden, dass sie es vielleicht auch verdient haben, mal was zu bekommen.

Reporter Ah, also irgendein Instagrammer kriegt jetzt Deine Blumen?

Alfons Kaiser Es könnte sein! So wie sich schon so mancher Instagrammer meinen Platz in der ersten Reihe gepackt hat. Sieht man nicht so gerne, aber andererseits finde ich, ist das auch eine unheimliche Belebung der ganzen Berichterstattung.

Das Schöne bei denen ist ja auch, bei den Influencern, die machen natürlich Eindruck durch ihre Persönlichkeit, die machen Eindruck dadurch, dass sie eben sehr jung sind, was ja in der Mode ein absoluter Fetisch ist, jung zu sein und schlank zu sein und toll auszusehen, und sie machen insofern etwas her, plus sie schmeicheln den Marken noch sehr. Tragen ihre Sachen, posten immer wunderbaren Content und nicht halbwegs kritischen, und das ist natürlich etwas, was dem Markt unglaublich gut gefällt. Deswegen kann ich schon verstehen, wenn die darauf abfahren.

Archiv Was ich diesmal wirklich scheußlich fand, die riesigen schwerfälligen Dachkrägen auf langen Mänteln und kurzen Blouson-Kostümen. Aber keiner kann ja immer gut sein. Immerhin, die Kollektion war aus einem Guss und voller Humor und darin ist KL ja spitze. Nur schön und edel ist ja manchmal auch langweilig.

Karl Lagerfeld Wissen Sie, man kann viel Applaus kriegen und dann plötzlich schlechtere Kritiken. Man kann gute Kritiken und wenig Applaus. Das ist etwas sehr komisches. Meistens glauben Leute, wenn man da schön klatscht, dann vergessen Sie, dass da auch viele Freunde bei sind, dann haben Sie einen Triumph gemacht und am Morgen machen Sie die Zeitung auf und dann steht da was Böses. (Applaus)

Alfons Kaiser Also, wenn eine Chanel-Kollektion ein richtiger Durchhänger wäre, würde ich das schon schreiben. Vielleicht nicht so in dem Sinne, das war jetzt vollkommen misslungen, aber durchaus kritisch. Da geht’s eher um die Zwischentöne.

Reporter Was sind die Zwischentöne in so einem Fall?

Alfons Kaiser Joa, dass man sagt, dass vielleicht ein Rock, der so auf Wadenlänge ist, „altfränkisch“ wirkt. Oder dass etwas altmodisch ist oder nicht mehr so „up to date“. So zum Beispiel.

Reporter Und da wären die schon sauer?

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Alfons Kaiser Joa.

Reporter Da kann die Politik ja wahnsinnig von lernen, von der Modewelt, wie man quasi ein Klima der Angst schafft, dass keiner mehr negativ über einen berichtet.

Alfons Kaiser Ja, man muss nur genug Claqueure haben und dann geht das. Da muss allerdings die Politik noch ein bisschen und auch die Wirtschaft, in Sachen Sexyness dazu lernen.

Archiv Ist Karl Lagerfeld ein politischer Mensch?

Karl Lagerfeld Total unpolitisch!

Erzähler Lagerfeld ist nicht nur Produzent von teuren Lifestyle-

Produkten. Er habe auch immer eine Meinung, sagt seine

ehemalige PR-Managerin Marietta Andreae:

Marietta Andreae Aber er hat sich jetzt nicht wahnsinnig politisch in irgendeiner Form geäußert. Was er allerdings nie war, politically correct. Weil das langweilt ihn zu Tode. Also er sagt das, was er denkt.

Erzähler Die aktuelle Version von Karl Lagerfeld sagt öffentlich, was

sie von Politikerinnen und Politikern und deren Arbeit hält.

TV-Moderator Karl Lagerfeld, Mesdames et Messieurs!

Erzähler November 2017. Karl Lagerfeld ist in einer Talkshow des

französischen Fernsehsenders Canal 8 zu Gast. Es geht

um die sogenannte Flüchtlingskrise. Der Moderator fragt,

ob Lagerfeld denke, dass Angela Merkel hier einen großen

Fehler gemacht habe.

TV-Moderator Vous pensez qu’Angela Merkel a fait une grosse faute.

Karl Lagerfeld Oui, à mon avis oui.

Erzähler Ja, seiner Meinung nach schon. Dann kündigt er an, etwas

Ungeheuerliches zu Protokoll zu geben.

Karl Lagerfeld On ne peut pas, même s’il y a des décennies entre, tuer des millions de juifs pour faire venir des millions de leurs pires ennemis après.

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Erzähler „Wir können nicht“, sagt er, „selbst wenn Jahrzehnte

zwischen den beiden Ereignissen liegen, Millionen Juden

töten und Millionen ihrer schlimmsten Feinde ins Land

holen.“ Diese Worte werden auch in Deutschland

wahrgenommen – alle Medien berichten. Ein Skandal.

Stern-Journalist David Baum:

David Baum Aber ich glaube, man darf auch das Nachkriegsdeutschland nicht unterschätzen, aus dem er ja bewusst auch abgehauen ist und dann gibt es natürlich noch diese besondere Sicht aus Frankreich heraus, wo man natürlich eine ganz andere Flucht der Juden hat. Also die Zahl der jüdischen Bevölkerung Frankreichs hat sich ja in den letzten Jahren und Jahrzehnten so massiv verringert, weil das einfach in vielen Orten, also die können sich dann aussuchen, von wem sie irgendwie antisemitisch diskriminiert werden wollen. Ob das jetzt die Muslime sind oder die „Front National“-Leute. Das sind sicher so Eindrücke, die er auch hat und es war ihm offenbar ein Anliegen, das so spitz zu formulieren.

Erzähler Lagerfeld äußert sich regelmäßig, fast jeden Monat, zur

Lage der Nationen. Im „Frankfurter Allgemeine Magazin“ –

das Alfons Kaiser leitet – erscheinen seine politischen

Karikaturen. Für Lagerfeld die Erfüllung eines

Lebenstraums, für die er auch nur mit einem

Jahresabonnement der F.A.Z. bezahlt wird.

Karl Lagerfeld Ganz ursprünglich, bevor ich überhaupt wusste, dass man aus Mode einen Beruf machen konnte, wollte ich Karikaturist werden und als Kind schon sammelte ich Karikaturen oder guckte ich mir die auch an, wo ich die auch fand, in alten Büchern.

Erzähler Nur zu gern arbeitet er sich auch in seinen Zeichnungen an

der deutschen Regierungschefin Angela Merkel ab, die er

nach eigener Aussage hasst. In der französischen

Zeitschrift „Le Point“ kritisiert er im Mai 2018, Merkel habe

mit ihrer Entscheidung, „eine Million Zuwanderer“ in

Deutschland aufzunehmen, der AfD bei den Wahlen den

Weg in den Bundestag geebnet. Nun säßen Neonazis im

Parlament. In einer seiner Karikaturen übersetzt er das so:

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Hinter einer Angela Merkel mit angsterfülltem Blick und

beiden Händen vor dem Mund steht Adolf Hitler. Darüber

die Worte: „Vielen Dank, dass Sie ungewollt meinen

Nachfahren erlaubt haben, wieder im Parlament vertreten

zu sein“. Die Botschaften des Modedesigners erreichen

maximale Aufmerksamkeit. Lagerfeld ruft und erhält ein

Echo. Auch Merkel selbst scheint sich damit zu

beschäftigen.

Alfons Kaiser Zum Beispiel kam dann aus dem Bundeskanzleramt so ein bisschen eine seltsame Reaktion. Die waren so ein bisschen indigniert, als er mal gezeichnet hatte, Angela Merkel im Anzug und darunter stand: „Der einzige Mann in Berlin.“ Das fand, glaube ich, die Bundeskanzlerin, jedenfalls laut ihrem Sprecher, nicht so lustig, weil das eben sehr zugespitzt war, dass sie die Macht hatte. Dass sie die Macht offenbar auch auslebt, wie ein Mann und deswegen, Angela Merkel ist ein ganz bevorzugtes Sujet. Aber ein weiteres war auch immer François Hollande. Ich glaube auch, weil der ihn sehr gepiesackt hat, wegen der Steuern.

Reporter Hat der Élysée-Palast darauf auch reagiert?

Alfons Kaiser Nein, das wüsste ich nicht!

Kollegin Morgen!

Alfons Kaiser Morgen!

Als es den Lauschangriff gab der Amerikaner auf deutsche Behörden und auf das Bundeskanzleramt sogar, hat er mal Obama mit so riesigen Ohren gezeichnet. Also er nimmt sich dann immer gerne die Mächtigen vor. Zum Beispiel auch den türkischen Präsidenten Erdoğan. Den er so auf einem fliegenden Teppich in Richtung Europa hat fliegen lassen.

Reporter Joa, interessant.

Alfons Kaiser Joa, ist jetzt naheliegend. Aber immer wieder witzig gemacht.

Erzähler Lagerfeld hat Narrenfreiheit. David Baum.

David Baum Also da hat manche Karikatur, hat da ja auch Aussagen, die könnte man ja auch auf ein AfD-Plakat malen. Das ist schon sehr deftig zuweilen. Ich glaube, man würde es niemand anderem erlauben als ihm. Nur, er ist halt Lagerfeld. Wie in allem, in seinen ganzen Interviews, da sind sehr viele originelle Ideen dabei, aber ich habe nicht den Eindruck, dass da eine ganz große, ich weiß nicht, politische These oder Aussage oder

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Haltung dahinter steckt. Ich glaube, das wäre ihm auch schon wieder viel zu arriviert und viel zu ernst.

Reporter Das heißt, das ist auch ein Spiel?

David Baum Es ist auch ein Spiel, ja! Ich glaube, ich glaube, ein bisschen so, wenn es so die große Grundannahme dieser Persönlichkeit gibt, dann die, dass eigentlich ja eh nichts wirklich von Gültigkeit ist.

Erzähler In einem Interview wird er später sagen: „Als ich jünger

war, wollte ich Karikaturist werden. Am Ende bin ich eine

Karikatur geworden“.

Karl Lagerfeld Ich interessiere mich für alle Phänomene der Gesellschaft, alles was passiert, in allen Domänen vom Theater, aber auch fürs tägliche Leben, für die dümmsten und banalsten Sachen. Für musikalische Sachen. Ich bin ein neugieriger Mensch! Das heißt, ich bin jemand, der alles gerne weiß und meine Lieblingslektüre sind Wörterbücher und dictionnaire.

Erzähler Karl Lagerfelds Tage beginnen früh und enden spät.

Karl Lagerfeld Nichts tun, das ist, dann mag ich auch das Wort Ferien nicht oder den französischen Ausdruck vacances – das heißt Leere. Ich hasse jede Art von Leere.

Erzähler Er ist den ganzen Tag von seinen Mitarbeiterinnen und

Mitarbeitern umgeben – außer am Wochenende. Dann zieht

er sich zurück.

Marietta Andreae Ich glaube einfach, bei seiner Arbeit braucht der einfach Tage oder Momente oder Stunden, wo er vollkommen sich selbst überlassen ist und seine Batterien aufladen kann. Deshalb ist eben am Wochenende, egal wo er ist, in welchem seiner Häuser, ist kein Personal da. Die bereiten ihm das Essen vor, er sagt, er kann nicht einmal ein Ei kochen, aber das steht eben dann im Kühlschrank und dann holt er sich das raus und ist glücklichst und sagt, das braucht er eben, um die Batterien aufzuladen.

Erzähler Karl Lagerfeld mit sich allein. Der Mann, der sein gesamtes

Leben öffentlich macht, sich zur Schau stellt und die

Aufmerksamkeit genießt, ist äußerst diskret, wenn es um

sein Liebesleben geht.

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Das Gespräch über seine Beziehungen zu Männern war

lange ein Tabu. Jugendfreund Peter Bermbach:

Peter Bermbach Ja, das hat er immer verheimlicht, komischerweise. Auch bei mir, ich meine, wir haben darüber nie viel geredet. Ich glaube er hat, ich hatte diesen selben Komplex jahrelang. Jahrzehntelang! Bis ich offen darüber rede. In Deutschland war das verboten. Deutschland war ein faschistisches Land!

Erzähler Auf Homosexualität steht damals in der Bundesrepublik

Gefängnis. Frankreich ist liberaler. In den 1980er Jahren

macht Lagerfeld seine große Liebe öffentlich.

Marietta Andreae Den kannte ich auch. Jacques de Bascher, um den es sich handelt. Das war ursprünglich mal sein Freund und dann später eben im Grunde wie Familie. Den gab es, aber ich glaube, davor und danach oder bin ziemlich sicher, nichts mehr Spezifisches.

Erzähler Jacques de Bascher. Ein Dandy aus bestem Hause,

geboren 1951. Er und Lagerfeld teilen zwanzig Jahre ihres

Lebens. 1983, kurz nachdem Lagerfeld in den Dienst von

Chanel tritt, erkrankt sein Freund an der Immunschwäche-

krankheit AIDS. Sechs Jahre bleiben ihm. Lagerfeld steht

de Bascher bis zum Schluss zur Seite. Sein Tod ist

Lagerfelds wohl größte persönliche Krise, die auch an

seinem Körper Spuren hinterlässt. Es ist die Zeit, in der er

massiv an Gewicht zunimmt. Später wird er über de

Bascher von einer „platonischen Liebe“ sprechen.

Heute lebt Karl mit einer Katze zusammen. Choupette. Sie

hat einen eigenen Instagram-Account mit über

einhunderttausend Followern. Willkommen in der

wunderbaren Welt der Vermarktung. Choupette und

Lagerfeld als Cartoon-Figuren auf Geldbörsen. Kerzen,

Schlafmasken und Regenschirme mit seinem Konterfei. Es

gibt alles – sogar 25 Zentimeter hohe Figuren des Mannes.

Die Marke „Karl Lagerfeld“ ist der krasse Gegensatz zur

Luxusmarke Chanel. Was sich verkaufen lässt, wird

verkauft.

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Peter Bermbach Alles was er anfasst, wie der Gott Midas, der ist, alles wird zu Gold, zu Geld bei ihm.

Erzähler Karl Lagerfeld hat mit Chanel einen Vertrag auf Lebenszeit

geschlossen. Auch wenn die Umsätze zuletzt eingebrochen

sind – noch immer setzt der Konzern jährlich über fünf

Milliarden Dollar um.

Verkäuferin Chanel möchte ich mir gerne leisten können.

Kundin Ich glaube Karl Lagerfeld hat das für die Jüngeren greifbarer gemacht. Einfach, weil er ja so ist, wie er ist!

Verkäuferin Wir haben viele Damen, die das „kleine Schwarze“ von Chanel suchen.

Kundin Was man vererben kann, was man der Tochter irgendwann schenken kann, was einfach etwas ganz Besonderes ist.

Archiv Dass jedes der Modelle zum Preis eins Mittelklassewagens zu haben ist. Nichts für Jedermann! Die Haute-Couture-Kundin ist etwas Besonderes.

Karl Lagerfeld Das ist sehr eigentümlich! Das ist eine Mischung aus allen Ländern, aus allen Kontinenten und sehr jungen Frauen.

Archiv Sehr reiche?

Karl Lagerfeld Ich meine total arm können sie schon nicht sein, denn das ist ja nicht so billig, nicht?

Archiv Können Sie nicht einen Namen droppen?

Karl Lagerfeld Ich kümmere mich selber nicht um das Kommerzielle der Haute Courtoure. Ich kümmere mich nicht um die Privatkunden und nichts. Da kümmere ich mich nicht. Ich mach nur Kollektion. Ich habe da nichts mit zu tun.

Erzähler Eine Chanel-Handtasche kostet mehrere tausend Euro.

Eine Handtasche unter dem Label „Karl Lagerfeld“ um die

400 Euro. Jahresumsatz der Marke: 350 Millionen Euro. Er

macht Kollektionen für die schwedische Kette H&M,

entwirft ein Piano, gestaltet Hotels. Lagerfeld arbeitet und

arbeitet. Auch mit 85 Jahren. Was soll nach Lagerfeld

kommen? Wie soll es ohne ihn weitergehen, für „seine

Konzerne“? Darauf gibt es keine Antwort.

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Karl Lagerfeld Alles, was man gemacht hat, spielt keine Rolle und die nächste Kollektion ist die Wichtigste. Das nächste Foto das Beste und das ist die einzige, für mich, instinktive und normale Disziplin, das als automatischen und gewünschten Prozess weiterzuentwickeln und den Enthusiasmus nicht nur zu erhalten, aber auch noch zu steigern.

Erzähler Sommer 2018. Aufregung vor dem Grand Palais in Paris.

Chanel stellt Lagerfelds neueste Kreationen vor. Es gibt

zwei Vorstellungen, um zehn und um zwölf Uhr.

Alfons Kaiser Good morning guys! How are you?

Erzähler Alfons Kaiser hat sich für die zweite Runde angemeldet. Er

kämpft sich an den Fotografen vorbei – sie lichten

aufwändig zurechtgemachte Frauen und Männer ab.

Journalistinnen notieren sich, welche Jacken-, Hosen-, Hut-

und Schuhmarken die Gäste von Lagerfeld tragen.

Einige Fashionistas nutzen den Rummel, um auch ohne

Einladung Aufmerksamkeit zu bekommen. Auffallend oft

stolzieren sie in Richtung Eingang und wieder zurück.

Alfons Kaiser hat mir in der Nacht vor der Show übrigens

noch eine SMS geschickt. Der Blumenstrauß von Karl sei

doch noch angekommen, mit einer handgeschriebenen

Grußkarte. Alfons gehört also weiterhin zum „Inner circle“.

Alfons Kaiser Das ist Brigitte Winkler. Die wahrscheinlich bekannteste österreichische Modejournalistin vom „Kurier“. Einer Tageszeitung.

Brigitte Winkler Für meine normalen Postings, normalerweise habe ich so 200, maximal 400 Likes. Karl hab ich jetzt gepostet, 18.000!

Erzähler Brigitte Winkler kommt gerade aus der ersten Show und

erzählt davon, dass als Kulisse für die Models eine Straße

an der Seine nachgebaut worden ist. Man habe sogar

einige der echten Bouquinisten, die dort antiquarische

Bücher an Touristen verkaufen, in Szene gesetzt. Das alte

Paris.

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Brigitte Winkler Ja, so serious. So …

Alfons Kaiser Aber nicht so wie Chanel, eigentlich?

Brigitte Winkler Doch, doch! Wahnsinnig Chanel!

Alfons Kaiser Warum gehen die Couture-Kollektionen zurück auf ihre Gründer, Brigitte?

Brigitte Winkler Die ganze Welt geht zurück.

Alfons Kaiser Auf was?

Brigitte Winkler Es hat das Chaos geherrscht und jetzt versucht die Welt wieder Ordnung zu machen, wie machen wir das, indem wir uns auf alte Traditionen besinnen. So sehe ich das.

Alfons Kaiser Ja, genau.

Brigitte Winkler Weil einen anderen Weg finden wir nicht, wie man bei Euch auch sieht, bei uns ja auch. Krr. Krr. Krr. Seehofer und Merkel, ich find das ja so deppert. Immer wieder dieses hinhauen, hinhauen.

Alfons Kaiser Vielleicht bedient die Mode dann doch ein bisschen mehr als nur diese Traditionsseligkeit, sondern auch so einen Eskapismus. Das heißt, man träumt sich so in eine andere Welt und die liegt dann doch in der Vergangenheit. Das ist so die vermeintlich heile Welt, weil in der Kindheit, da war alles schöner. Audrey, die hatte noch richtige Mode an und das versucht die Couture jetzt so zu bedienen, ja, dieses Gefühl.

Alfons Kaiser Guten Morgen, Inga!

Inga Griese Good morning!

Alfons Kaiser Hier haben wir den NDR!

Inga Griese Ach! Das ja schön für den NDR!

Alfons Kaiser Die machen ein Radiofeature über …

Reporter Hallo! Johannes …

Inga Griese Guten Tag! Inga Griese!

Alfons Kaiser Die machen ein Radiofeature über Karl Lagerfeld.

Inga Griese Na, bitte! Ein Radiofeature?! Ist ja toll!

Alfons Kaiser Da musst Du ja eigentlich drin auftauchen, oder?

Inga Griese Joa.

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Alfons Kaiser Willst Du nicht ein paar Sätze sagen?

Inga Griese Zu Karl?

Alfons Kaiser Joa! Du kennst ihn doch ziemlich gut!

Inga Griese Joa, das kann man sagen.

Alfons Kaiser Ja, dann los!

Inga Griese Was soll ich jetzt zu Karl sagen?

Reporter Erst einmal, wie war denn die Show?

Inga Griese Herrlich. Es war wieder so elegant. Und diese Idee, so einen Boulevard aufzubauen, ist natürlich genau das, was man braucht. Das Gefühl, es gibt noch so ein gutes Leben abseits von dem ganzen Wahnsinn, in dem wir unterwegs sind. Man flaniert in schönen Klamotten. Stöbert in Coco-Chanel-Büchern und hat’s einfach gut. Alles ein bisschen langsamer. Das schöne ist ja, dass Lagerfeld mit wenig Dekoration und manchmal auch mit viel Dekoration ganze Gedankenwelten aufrufen kann und er eben für etwas steht, was wir manchmal denken, dass es vielleicht unmodisch ist, aber das ist es ganz und gar nicht. Weil wir in der Tat alle kleine Fluchten brauchen. Es geht hier gar nicht um Reichtum. Es geht einfach um eine Idee von Schönheit.

Reporter Was verbindet Sie denn mit Karl Lagerfeld, wie gut kennen Sie sich? Was machen Sie so gemeinsam?

Inga Griese Oh my god! Schon sehr, sehr lange. Jahrzehnte, um es klar und deutlich zu sagen, aber ich glaube uns verbindet das Norddeutsche.

Reporter Aber wie sieht denn so der Kontakt mit Karl aus? Wie oft treffen Sie sich? Was machen Sie dann zusammen?

Inga Griese Wir telefonieren mehr. Weil treffen ist ja bei seinem Schedule und ehrlicherweise bei meinem Schedule, wir treffen uns bei den Schauen und diesen Sachen, aber wir haben schon Projekte zusammen gemacht und wir haben so eine kleine, wie soll ich sagen, man ist mit Karl Lagerfeld glaube ich nicht befreundet. Das wäre eine komische Formulierung. Das wäre falsch. Aber wir haben so Vertrauen zueinander und deshalb, wir reden sehr viel über Politik. Ich bin vielleicht auch so seine Verbindung zu Deutschland.

Erzähler Von einem „besonderen Vertrauensverhältnis“ erzählen

mir viele Menschen, die im Umfeld von Lagerfeld wirken

und gewirkt haben. Hamburg, Marietta Andreae.

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Reporter Was heißt es, mit Karl Lagerfeld befreundet zu sein?

Marietta Andreae Ich glaube, diese Art von normaler Freundschaft, wüsste ich ehrlich gesagt nicht, mit wem er die hat. Also diese extreme Enge. Also ich bin sehr, sehr vorsichtig mit dem Begriff Freundschaft und das entsteht ja nicht sofort. Also ich meine glücklicherweise gab es diese Sympathie. Wir haben sehr viel korrespondiert, überwiegend per Fax. Allerdings, wenn ich in Paris war, was reizend war, kam immer ein großer, im Grunde ein Blumenkorb mit einem handgeschriebenen Brieflein. Herzlich Willkommen und ich freue mich darauf, Sie zu sehen. Wir haben uns immer gesiezt, aber per Vornamen. Ja, so hat sich so eine Vertrauensgeschichte aufgebaut.

Reporter Erinnern Sie sich an Ihre letzte Begegnung mit Karl Lagerfeld?

Marietta Andreae Das war jetzt im Dezember in der Elbphilharmonie.

Reporter Wie war das?

Marietta Andreae Wunderbar. Also wir hatten uns länger davor nicht gesehen, aber es war im Grunde so wie immer.

Reporter Wie lange haben Sie sich vorher nicht gesehen, wenn Sie zurückdenken?

Marietta Andreae Das weiß ich jetzt gar nicht.

Reporter Aber mehrere Jahre, oder?

Marietta Andreae Ja, zwischendurch eine ganze Zeit lang nicht.

Reporter Warum ist das so abgerissen dann auf einmal?

Marietta Andreae Das hab ich im Laufe der vielen Jahre, die ich mit Karl Lagerfeld zusammengearbeitet habe, mit vielen Mitarbeitern erlebt, die dem Karl vermutlich noch näher standen als ich und es gab nie einen spezifischen Grund, aber es war dann eben von einem Tag auf den anderen beendet, und darauf war ich immer gefasst und hatte so im Hinterkopf, also bei aller Liebenswürdigkeit, wusste ich, dass es eines Tages passieren würde und so war es dann auch. Ich hab da oft drüber nachgedacht und ich glaube, dass jemand wie der Karl eben dann auch irgendwie frischen Input braucht. Aber ich kann es Ihnen nicht erklären. Ich war natürlich wahnsinnig traurig, weil ich einfach ihn unendlich gerne mag und er mir menschlich fehlte, aber ich war, das ist ja auch nicht unwichtig, nicht auf seiner Payroll. Insofern war es ein menschlicher Verlust, aber kein finanzieller Verlust.

David Baum Er umgibt sich ja auch gern immer mit jungen Menschen. Da sind ja sehr wenige Leute, die auch nur in die Nähe seines eigenen Alters geraten in seinem Umfeld.

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Vielleicht noch eher im Haus Chanel, aber so in seinem eigenen Umfeld bezieht er ja gerne auch seine Energie durch ein junges Umfeld.

Peter Bermbach Wir waren sehr vertraut miteinander. Wobei es sehr seltsam ist. Wenn ich vertraut sage, Karl hat mir nie etwas über sein Sexualleben erzählt zum Beispiel. Also er baute eine Mauer zwischen uns. Dinge, die mich nichts angehen und Dinge, die mich was angehen. War also schon so. Er hat sich sehr geschützt und seine Freunde waren nicht meine Freunde. Aber meine Freunde waren dann auch nicht seine Freunde.

Reporter Was glauben Sie, welche Funktion haben Sie in seinem Kosmos erfüllt?

Peter Bermbach Ich glaube, er hat mich total vergessen. Wenn wir uns heute auf der Straße sehen. Neulich, vor zwei, drei Jahren, war eine Fotomesse. Er hat mich gesehen und er hat nicht guten Tag gesagt und ich ab auch nicht guten Tag gesagt. Also wir haben keinerlei Kontakt mehr.

Nein, nein. Das ist vorbei. Das ist eine andere Zeit!

Karl Lagerfeld Ich bin sehr bösartig mit den Gleichgestellten. Nicht bösartig, aber sehr kampfbereit, ne. Weil ich gerne auch Krach schlage und einen gewissen Geschmack an Intrigen habe und ein ziemlich teuflischer Mensch bin vielleicht.

Reporter Als was wird er denn in die Geschichte eingehen?

David Baum Die Idee von Mode ist ja nicht, dass es bleibend ist, nicht. Das große Lebenswerk von Karl Lagerfeld besteht sicherlich einmal aus dem, was er aus sich selber gemacht hat. Diese, diese, diese gigantische und sehr volatile Idee, einer öffentlichen Person, die sich immer wieder häutet, immer wieder neu erfindet und immer wieder die jeweils neu kommende Generation für sich einzunehmen weiß und braucht dazu ja offensichtlich auch nicht dringend die Mode!

Marietta Andreae Also ich bin ja wirklich der Meinung, dass er eines der Multitalente, Multigenies unserer Zeit ist und ich denke, dass er so auch in die Geschichte eingehen wird.

Alfons Kaiser Ich denke er wird in die Geschichte eingehen, erst einmal als Reinterpret von Coco Chanel. Das ist schon mal das Wichtigste, dass er in den inzwischen 35 Jahren diese Marke so zum Blühen gebracht hat. Dann als Interpret von Fendi. Eine Familie, die vielleicht ein bisschen müde ist, vielleicht ein bisschen römisch, vielleicht ein bisschen uninspiriert.

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Dass er diese Marke zum Laufen und zum Blühen gebracht hat, seit nun mehr über 50 Jahren. Dann natürlich als Modemacher seiner eigenen Linien, aber dann eben auch als Gesamtkunstwerk der eben ganz viele Dinge beherrscht, der in der Pariser Nachkriegsgeschichte wirklich so dominierend ist in der Modeszene, wie es eigentlich nur Yves Saint Laurent und Christian Dior waren.

Peter Bermbach Aber sonst ist Karl schon ein bewundernswerter Mensch!

David Baum Ein Superstar dieser Art, weiß nicht, ob der je noch mal möglich sein wird in diesem Land.

Absage Lagerfeld

Feature von Johannes Nichelmann und Florian Siebeck

Es sprachen: Eva Meckbach und Johannes Nichelmann

Technische Realisation: Hermann Leppich

Komposition: Andreas Bick

Regie: Johannes Nichelmann

Redaktion: Christiane Glas

Karl Lagerfeld Jede Retrospektive hat etwas endgültiges, etwas was abgeschlossen ist. Bei mir ist das nicht abgeschlossen. Der Kampf geht weiter.

Absage Eine Produktion des Norddeutschen Rundfunks mit dem

Bayerischen Rundfunk und dem Rundfunk Berlin-

Brandenburg, 2018.