Feinmotorik und Rechnen: Zusammenhänge bei Kindern mit und ... · Graphomotorik...

Universität Konstanz

Prof. Dr. Ursula Fischer

Juniorprofessorin für Entwicklung und

Förderung in der frühen Kindheit

24.05.2019

Feinmotorik und Rechnen:

mit und ohne Rechenschwäche

Zusammenhänge bei Kindern


Feinmotorik

Luo et al., 2007:

Feinmotorik: Kleine Muskelbewegungen, die eine genaue Auge-Hand-

Koordination erfordern

Martzog, 2013:

Feinmotorische Fertigkeiten sind kleinräumige Handlungen, die mit den

Fingern, der Hand oder Teilen des Armes ausgeführt werden und für die

Bewältigung mehr oder weniger spezifischer Aufgaben erforderlich sind.


Bereiche der Feinmotorik

Es gibt unterschiedlichste Definitionen und Klassifikationen

Für diesen Vortrag greife ich drei Aspekte heraus:

− Graphomotorik/Visuomotorik (z.B. Spur nachzeichnen, Formen

kopieren)

− Handgeschicklichkeit (z.B. Perlen auffädeln, Münzen in eine Spardose

einwerfen)

− Fingerbeweglichkeit (z.B. Daumen-Opposition)


Feinmotorik und Schulische Kompetenzen

Feinmotorik ist im Kindesalter mit schriftsprachlichen und mathematischen

Kompetenzen assoziiert

Feinmotorische

Kompetenzen

Lese- und Rechtschreib-

kompetenzen

Mathematische

Kompetenzen

(z.B. Cameron et al., 2012; Dinehart & Manfra, 2013; Grissmer et al., 2010; Luo, Jose, Huntsinger, & Pigott, 2007; Pagani,

Fitzpatrick, Archambault, & Janosz, 2010; Penner-Wilger et al., 2007; Pitchford, Papini, Outhwaite, & Gulliford, 2016; Son &

Meisels, 2006)


Feinmotorik und Schulische Kompetenzen

Feinmotorische

Kompetenzen

Lese- und Rechtschreib-

kompetenzen

Mathematische

Kompetenzen

Aber warum?

Und mit welchen?


Gemeinsame Reifung?

− Möglicherweise entwickeln sich Feinmotorik und Mathematik in einem

ähnlichen zeitlichen Verlauf (z.B. Cameron et al., 2012)

− Dadurch werden Zusammenhänge gefunden, die gar keine sind


Feinmotorik als domänenübergreifende Lernvoraussetzung?

− „Nimble hands, nimble minds“ Hypothese:

(Suggate & Stoeger, 2014; 2016)

− Kinder mit geschickten Händen haben auch geschicktere Köpfe

− Dadurch haben sie Vorteile in verschiedensten Lernbereichen


Gemeinsame Grundlage im Gehirn?

− Handmotorik-Areale im Gehirn werden beim Zählen aktiviert

(Andres, Seron, & Olivier, 2007)

− Gemeinsame neuronale Basis für Fingernutzung und

Zahlenverarbeitung

(Kaufmann et al., 2008; Penner-Wilger & Anderson, 2013)


Gemeinsamer Nenner Fingerzählen?

− Feinmotorik wird benötigt für frühe Fingerzählerfahrungen

(Suggate, Stoeger & Fischer, 2017; Fischer, Suggate, Schmirl &

Stoeger, 2018)

− Durch Fingerzählen entwickeln Kinder fingerbasierte Zahlvorstellungen

(vgl. Wasner et al., 2015; Roesch & Moeller, 2015)

− Diese fingerbasierte Zahlvorstellungen beeinflussen die numerische

Entwicklung und damit die Mathematikleistung

(vgl. M. H. Fischer, 2008; Klein et al., 2012)


Forschungsfragen:

1. Hängt die Feinmotorik stärker mit mathematischen Aufgaben

zusammen, bei denen die Finger benutzt werden?

2. Hängen mathematische Kompetenzen stärker mit feinmotorischen

Fertigkeiten zusammen, die für das Zählen und Rechnen mit den

Fingern benötigt werden (Handgeschicklichkeit und

Fingerbeweglichkeit) als mit Graphomotorik?

3. Lassen sich bei Kindern mit und ohne Rechenschwäche Unterschiede in

den feinmotorischen Fertigkeiten beobachten?


1. Hängt die Feinmotorik stärker mit mathematischen Aufgaben zusammen, bei denen die Finger benutzt werden?

Suggate, Fischer, & Stoeger, 2017:

Aufgaben:

- Handgeschicklichkeit (Stifte umstecken, Perlen auffädeln, Klötze umdrehen)

- Fingerzählen und –rechnen

- Zählen und Rechnen ohne Finger

Ergebnis:

Handgeschicklichkeit

Fingerzählen und –

rechnen

Zählen und Rechnen

ohne Finger


2. Hängen mathematische Kompetenzen stärker mit Handgeschicklichkeit und Fingerbeweglichkeit zusammen als mit Graphomotorik?

Fischer, Suggate, & Stoeger, in Vorbereitung:

Aufgaben:

- Handgeschicklichkeit (Münzen einwerfen, Perlen auffädeln, Klötze umdrehen)

- Graphomotorik (Spur nachzeichnen)

- Fingerzählen, Zahlen mit den Fingern zeigen, Zahlen- und Mengenvergleich

Ergebnis:

Graphomotorik


Mathematische

Kompetenzen


2. Hängen mathematische Kompetenzen stärker mit Handgeschicklichkeit und Fingerbeweglichkeit zusammen als mit Graphomotorik?

Rösch, Fischer, Suggate, Moeller, & Stoeger, eingereicht:

Aufgaben:

- Fingerbeweglichkeit (Einzelne Finger anheben)

- Graphomotorik (Spur nachzeichnen)

- Addition, Subtraktion

Ergebnis:

Graphomotorik

Fingerbeweglichkeit

Mathematische

Kompetenzen


3. Lassen sich bei Kindern mit und ohne Rechenschwäche Unterschiede in den feinmotorischen Fertigkeiten beobachten?

− Gibt es diese Zusammenhänge auch bei Kindern mit Rechenschwäche?

− Unterscheiden sich die Kinder mit und ohne Schwäche in der

Feinmotorik?

Aktuelle Studie (Fischer, in Vorbereitung):

− Untersuchung der Feinmotorik (Graphomotorik, Handgeschicklichkeit)

bei Kindern der 2.-4. Klasse mit Rechenschwäche und/oder LRS


Gruppenscreening schulischer Fertigkeiten (Lesen, Rechtschreiben, Rechnen)

− Klassentestungen in 6 Klassen (104 Kinder)

− Aufgaben:

− Lesen: ELFE 1-6 (Wortleseverständnis)

− Rechtschreiben: SLRT-II (Rechtschreibtest)

− Rechnen: DIRG (Addition & Subtraktion)

− Auswertung des Gruppenscreenings zur Feststellung von

unterdurchschnittlicher Leistung in Lesen, Rechtschreiben und Rechnen


ELFE 1-6: Wortverständnis


SLRT-II: Rechtschreibtest


DIRG: Addition / Subtraktion auf Zeit


Ergebnisse Gruppenscreening: 52 Kinder mit unterdurchschnittlicher Leistung

RechtschreibschwachLeseschwach

Rechenschwach

14 Kinder

2 Kinder

10 Kinder

10 Kinder

9 Kinder

3 Kinder

4 Kinder


Einzeltestung:

Feinmotorik:

− Graphomotorik: Spur nachzeichnen

− Handgeschicklichkeit: Stifte ein- und umstecken

Kontrollvariablen:

− visuelles Arbeitsgedächtnis (Corsi Block-Tapping)

− Intelligenz (CFT 1-R, Untertest 6 Matrizen)


Graphomotorik: Spur nachzeichnen


Handgeschicklichkeit: Stifte umstecken


Visuelles Arbeitsgedächtnis: Corsi Block-Tapping

„Mache genau das nach, was ich mache.“

Ansicht Testleiter:Ansicht Kind:


Intelligenz: CFT 1-R, Matrizen


Welche Faktoren sagen die Lese-, Rechtschreib- und Rechenleistung voraus?

Leseleistung:

Abhängig von…

− Alter

− Graphomotorik

− Arbeitsgedächtnis

Rechtschreib-

leistung:

Abhängig von…

− Alter

− Graphomotorik

Rechenleistung:

Abhängig von…

− Handgeschick-

lichkeit


Worin unterscheiden sich Kinder…

…mit und ohne

Leseschwäche?

− Lesen

− Rechtschreiben

− Graphomotorik

…mit und ohne

Rechtschreib-

schwäche?

− Rechtschreiben

− Graphomotorik

…mit und ohne

Rechenschwäche?

− Addition

− Subtraktion

− Handgeschick-

lichkeit

− Intelligenz


Fazit Forschung

Zusammenhänge mit

Lesekompetenzen: (Suggate, Pufke & Stoeger, 2018)

✓ Graphomotorik


Zusammenhänge mit mathematischen

Kompetenzen:

(Fischer et al., 2017; Roesch et al., eingereicht)

✓ Handgeschicklichkeit

✓ Fingerbeweglichkeit

Graphomotorik

Verschiedene Aspekte der Feinmotorik sind relevant für verschiedene

schulische Fertigkeiten


Fazit Forschung

− Handgeschicklichkeit wird benötigt für frühe Fingerzählerfahrungen →

Transfer auf Mathematikleistungen

− Weitere Forschungsfrage: Welche Rolle spielt die Feinmotorik beim

Hantieren mit Arbeitsmitteln?

HandgeschicklichkeitMathematische

Kompetenzen

Fingerzählen


Fazit Praxis: Was bedeuten diese Ergebnisse für die Lerntherapie und Förderung?

− Feinmotorik sollte in die Förderdiagnostik einbezogen werden

− Bei der Auswahl des geeigneten

Arbeitsmittels:

Je nach feinmotorischen Fertigkeiten

des Kindes können gewisse

Materialien ungeeignet sein


Prof. Dr. Ursula Fischer

Juniorprofessorin für Entwicklung und

Förderung in der frühen Kindheit

Tel.: +49 (0) 75 31/88 - 3473

[email protected]

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