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Gisela Wiemer Felix Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen Ihre Stellung in der Gattungsgeschichte des 19. Jahrhunderts Untersuchung zum Vokalstil

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Gisela Wiemer

Felix Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

Ihre Stellung in der

Gattungsgeschichte des 19. Jahrhunderts

Untersuchung zum Vokalstil

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Für meine Tochter Gundula

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Ölportrait Felix Draesekes von Robert Sterl, 1907 (Museum für Geschichte der Stadt Dresden)

Aus: Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke. Chronik seines Lebens. Hrsg. v. Helmut Loos. Schriften. Internationale Draeseke-Gesellschaft. Bd. 3, Bonn 1989

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»Wer die Erscheinungen seiner Zeit liebevoll in sich aufnimmt und sich mit ihnen künstlerisch abzufinden versteht, seine Belehrung aber sucht bei den großen Meistern der Vergangenheit, wird der Gefahr entgehen, einem öden, lebenslosen Akademismus zu verfallen, aber auch über die, nach Befinden ganz weit zu steckenden Grenzen des künstlerisch Zulässigen zu sehr hinaus zu gehen«.1

1 Felix Draeseke: Wachstum der Impietät gegenüber den großen Tonmeistern der Vergangenheit. Aus dem Nachlass Hans von Bülows. Königliche Bibliothek. Berlin o. J., S. 9.

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Felix Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen Ihre Stellung in der Gattungsgeschichte des 19. Jahrhunderts Untersuchung zum Vokalstil Vorwort I. Ziel und Methode I 1. Religion im Wandel: Ein kulturhistorischer Aspekt im 19. Jahrhundert 1 1.1 Entwicklung des Katholizismus in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts 1 1.1.1 Katholizismus, Staat und Nation 2 1.1.2 Katholizismus und Soziale Frage 3 1.2 Entwicklung des Protestantismus in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts 5 1.2.1 Protestantismus, Politik und Verfassung 8 1.2.2 Protestantismus und Soziale Frage 9 1.3 Säkularer Glaube in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts 11 1.4 Theologische und kirchenmusikalische Diskussion in der Katholischen und Protestantischen Kirche im 19. Jahrhundert 13 2. Stand der Forschung: Messe und Requiem in der Literatur über Felix Draeseke 15 3. Einführung 30 3.1 Allgemeine Bedeutung der Messe 30 3.2 Allgemeine Bedeutung des Requiems 33 3.3 Biographische Skizze: Felix Draeseke 35 3.4 Draeseke in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts 42 3.5 Felix Draeseke und die Religion – Gottesdienstliche Kirchenmusik 46 4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

Kurzanalyse 54

4.1 Requiem h-Moll op. 22 (sinfonisch) 56 4.1.1 Kyrie 57 4.1.2 Dies irae 58 4.1.3 Offertorium 61 4.1.4 Sanctus 64 4.1.5 Agnus Dei 65

4.2 Große Messe fis-Moll op. 60 (sinfonisch) 67 4.2.1 Kyrie 68 4.2.2 Gloria 71 4.2.3 Credo 76 4.2.4 Sanctus 83 4.2.5 Agnus Dei 85

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4.3 Große Messe a-Moll op. 85 (a cappella) 85 4.3.1 Kyrie 85 4.3.2 Gloria 86 4.3.3 Credo 88 4.3.4 Sanctus 88 4.3.5 Agnus Dei 90 4.4 Requiem für fünf Gesangsstimmen e-Moll WoO 35 (a cappella) 91 4.4.1 Kyrie 92 4.4.2 Dies irae 92 4.4.3 Offertorium 94 4.4.4 Sanctus 95 4.4.5 Agnus Dei 97 5. Draesekes Vokalstil in seinen Messen und Requiem-Vertonungen -ein Vergleich- 98 5.1 Melodik: Allgemeine Kriterien 98 5.1.1 Melodische Formen: Kleine Linien und Bögen 111 5.1.2 Melodische Formen: Große Linien und Bögen 119 5.1.3 Melodische Formen: Innere Abhängigkeit großer Linien 144 5.1.4 Melodieführung: Lineare Bewegungen 152 5.1.5 Einzelne Intervalle 156 5.1.6 Motivik: Themenbehandlung 161 5.1.7 Zusammenfassung 167 5.2 Musikalische und sprachliche Rhythmik 169 5.2.1 Musikalische Rhythmik 170 5.2.2 Sprachliche Rhythmik/Wort-Ton-Verhältnis/Deklamationsverfahren 174 5.2.3 Messen und Requiem-Vertonungen/Musikalische Auslegung 181 5.2.4 Zusammenfassung 186 5.3 Chorsatz 189 5.3.1 Einstimmigkeit 191 5.3.2 Mehrstimmigkeit 193 5.3.3 Polyphoner Satz 197 5.3.4 A-cappella-Satz 200 5.3.5 Zusammenfassung 204 5.4 Orchestersatz 206 5.4.1 Begleitfunktionen 206 5.4.2 Dramatische Verstärkung 208 5.4.3 Ein- und Überleitungsfunktionen 209 5.4.4 Wechselfunktion zwischen Soloformen/Chor- und Orchestersatz 214 5.4.5 Orchester- und Chorteilungen 217 5.4.6 Zusammenfassung 230

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5.5 Satzstrukturen 235 5.5.1 Übereinstimmung von Chor- und Orchestersatz 235 5.5.2 Unterschiedliche Satzstrukturen 240 5.5.3 Verhältnismäßigkeit der Intervalle: Chor- und Orchesterklang 245 5.5.4 Lösung von Dissonanzen 250 5.5.5 Umfang der Tonbereiche: Chorstimmen 255 5.5.6 Harmonische/polyphone Formen und Tonartenverhältnisse 255 5.5.7 Zusammenfassung 262 5.6 Dynamik und Tempo 267 5.6.1 Interpretationsmittel der Sprache 270 5.6.2 Gliederungsmomente im musikalisch-methodischen Ablauf 272 5.6.3 Zusammenfassung 275 5.7 Soloformen 278 5.7.1 Rezitative Formen 279 5.7.2 Ariose Formen 281 5.7.3 Zusammenfassung 283 5.8 Kleine und große Formen in den Messen Draesekes 284 5.8.1 Kleine und große Formen in den Requiem-Vertonungen Draesekes 291 5.8.2 Zusammenfassung 302 6. Beethoven als Vorbild der Neudeutschen Schule 307 6.1 Draesekes fis-Moll-Messe und a-Moll-Messe im Vergleich zu Beethovens Missa Solemnis 308 6.2 Draesekes h-Moll-Requiem und e-Moll-Requiem im Topoi-Vergleich 314 6.3 Zusammenfassung 319 6.4 Gemeinsame und divergierende Topoi in Draesekes Requiem-Vertonungen 324 7. Vokalstilistische Vergleiche unter gattungsgeschichtlichen Gesichtspunkten mit ausgewählten Messen und Requiem-Vertonungen aus Spätbarock, Wiener Klassik und Romantik 329 7.1 Spätbarock 329 7.1.1 Joh. Seb. Bach: Hohe Messe in h-Moll 332 7.2. Wiener Klassik 334 7.2.1 Franz Joseph Haydn: Missa in Tempore Belli 335 7.2.2 W. A. Mozart: Große Messe in c-Moll KV 427 336 7.2.3 W. A. Mozart: Requiem d-Moll KV 626 338 7.2.4 L. van Beethoven: Missa Solemnis op. 123 340 7.3 Romantik 344 7.3.1 Franz Schubert: Messe As-Dur D 678 345 7.3.2 Hector Berlioz: Grande messe des morts 348 7.3.3 Franz Liszt: Missa Solemnis 350 7.3.4 Giuseppe Verdi: Requiem 352

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7.3.5 Anton Bruckner: Messe f-Moll 354 7.3.6 Peter Cornelius: Messe in d-Moll CWV 91 357 7.3.7 Johannes Brahms: Ein deutsches Requiem op. 45 359 7.3.8 Zusammenfassung 364 8. Résumée der vokalstilistischen Untersuchung Bedeutung der Messen 373 8.1 Thesen und Belegpunkte zu Draesekes sinfonisch-, sowie a-cappella- gestalteten Messen und Requiem-Vertonungen 397 9. Anhang 403 9.1 Sozialpolitischer und kultureller Hintergrund der Messen und Requiem-Vertonungen Draesekes im 19. Jahrhundert 403 9.2 Aufführungen und Veröffentlichungen der Messen und 407 Requiem-Vertonungen vom 19. bis 21. Jahrhundert 9.3 Verzeichnis der Bibliotheks-Sigeln 416 9.4 Verzeichnis der Abkürzungen 418 9.5 Verzeichnis der Notenbeispiele 420 Musikalien 9.5.1 Notenbeispiele h-Moll-Requiem op. 22 423 9.5.2 Notenbeispiele fis-Moll-Messe op. 60 426 9.5.3 Notenbeispiele a-Moll-Messe op. 85 428 9.5.4 Notenbeispiele e-Moll-Requiem WoO 35 430 9.5.5 Notenbeispiele Kapitel 4 432 9.5.6 Notenbeispiele Kapitel 5 434 9.5.7 Verzeichnis exemplarischer Vergleichswerke aus Spätbarock/ Klassik und Romantik 440 9.5.8 Liturgische Texte 441 9.6 Literaturverzeichnis 454 Schrifttum

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Ziel und Methode: Felix Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen / Ihre Stellung in der Gattungsgeschichte des 19. Jahrhunderts / Untersuchung zum Vokalstil

I

I. Ziel und Methode Vor dem geschichtlichen Hintergrund der verschiedenen Haltungen zu Religion und politischen Entwicklungen im 19. Jahrhundert werden die Messen Felix Draesekes musikwissenschaftlich untersucht, und es erfolgt eine Zuordnung in die Gattung >Messe und Requiem<. Die gewonnenen Erkenntnisse resultieren aus den Verglei-chen der Draesekeschen Messen und Requiem-Vertonungen mit klassischen und zeitgenössischen Kompositionen. Die Studie über Felix Draeseke stellt eine Analyse vokaler Bereiche seiner Messen und Requiem-Vertonungen durch historische und systematische Prinzipien in den musikalischen Gesamtzusammenhang. Diese werden unterschiedlich bewertet. Mit Hilfe von Analyse und Hermeneutik wird eine Prozessentwicklung gezeigt, in der wechselseitige Ergänzungen vom Allgemeinen zum Besonderen dargestellt werden. Auf der Basis der angegebenen Literatur befasst sich quellenorientiertes Arbeiten mit differenzierender Gewichtung einzelner musikalischer Prinzipien, begründet auf der Ebene vokaler Stilmittel. Diese Untersuchung rückt den gattungsgeschichtlichen Standort in den Mittelpunkt. Die heute fast in Vergessenheit geratenen Messen und Requiem-Vertonungen Draesekes sollen durch Analysen und musikwissenschaft-liche Vergleiche daraufhin untersucht werden, mit welchen Mitteln der Komponist Felix Draeseke in seinen Messen und Requiem-Vertonungen gearbeitet hat. Es sind dies die einzigen Messenkompositionen, die der Komponist verfasst hat. Ein Zeitraum von über vierzig Jahren lässt hier zum einen mit großer Klangfülle zum Teil konzertierende und zum anderen an Palestrina anlehnende Kompositionsweisen erklingen. Ob diese typische Draeseke-Eigenheiten sind, wird in dieser Untersu-chung eindeutig geklärt. Ein abschließendes Resultat kann sie nur in dem gesteckten Rahmenvergleich nachweisen.1 Die angewandte Methode sieht die Kompositionen als übergeordnete Ganzheiten, die eine Vielzahl von musikalischen Gedanken--gängen in sich vereinigen. Auf der einen Seite bilden die bisher erschienenen Ausführungen die musikwissenschaftliche Begründung, auf der anderen orientiert sich die Verfahrens- und Darstellungsweise an der Draesekeschen vokalen Kompo-sition. Der kirchenmusikalische Kompositionsstil steht dabei im Vordergrund. In den verschiedenen musikalischen Denkansätzen werden allgemeine und spezielle Stilkriterien dargelegt. »Der klassische Elementen- und Formenkanon liegt auch der romantischen Musik zugrunde«.2 Die Begründungen dafür liegen ebenso in den musikalischen Anfängen des Jahrhunderts wie auch in Draesekes späterer Haltung zum Cäcilianismus.3 1 Legende: Die Arbeit ist in neun Kapiteln aufgeteilt. Die Kapitel 5 bis 7 weisen jeweils am Ende der Ausführungen auf tabellarische Zusammenfassungen hin. Das 5. Kapitel wird abschnittsweise durch sie besonders hervorgehoben, da es parameterartige Merkmale sukzessive aufzeigt und damit das vokalstilistische Verständnis vervollständigt. Die verwendeten Notenbeispiele werden durch einfache Abkürzungen gekennzeichnet: z. B. NB h 1: Requiem h-Moll op. 22: Kyrie/Vc. T. 1-6 (NB = Notenbeispiel h-Moll-Requiem Nr. 1/Kyrie/Violoncello, Takt 1-6). Die Notenbeispiele werden im Nachhinein kommentiert, seltener gibt es den umgekehrten Weg. Querverweise befinden sich ab dem 5. bis einschließlich 7. Kapitel. 2 Friedrich Blume: Art. Romantik. In: MGG, Bd. 11. Hrsg. von Friedrich Blume. München 1989, Sp. 806. 3 Johannes Schwermer: Der Cäcilianismus. In: Geschichte der katholischen Kirchenmusik. Vom Tridentinum bis zur Gegenwart. Hrsg. von Karl Gustav Fellerer. Bd. 2. London 1976, S. 226.

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II

I. 1 Aufbau des Inhalts Das vorliegende Thema >Felix Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen / Ihre Stellung in der Gattungsgeschichte des 19. Jahrhunderts / Untersuchung zum Vokalstil< ist von den vorliegenden Kompositionen und vom Text >Messe und Requiem< aus entwickelt worden. Verschiedene Denkweisen und Ansätze, sowie Fragestellungen zur Analyse werden dabei durch gemeinsame Ziele hervorgehoben. Von 1865 bis 1875/76 schrieb Felix Draeseke vor allem weltliche Musik. Sein Werdegang richtete sich besonders ab 1876 auf die Kirchenmusik, die ihre musikalische Blütezeit ab ca. 1875/76 verstärkt zeigte. Fortschritt im Sinn der Neudeutschen Schule und Tradition waren bei Felix Draeseke die musikalischen Kriterien. Die vier vorliegenden Werke spiegeln das Bild der unterschiedlichen Kompositionsarten, sinfonisch- und a-cappella-gestaltete wider. 1. - op. 22 Requiem h-Moll für vier Solostimmen, Chor/Orchester 1865/1875 1880 2. - op. 60 Große Messe fis-Moll für Soli, Chor/Orchester 1891 3. - op. 85 Große Messe a-Moll a-cappella 1909 4. - WoO 35 Requiem e-Moll für fünf Gesangsstimmen a-cappella 1909/1910 Um 1810 dominiert die Instrumentalmusik. Die vokale Musik erhielt durch die Instrumentierung 1814 ihre eigentliche Bestätigung und Wirkung. Jean Paul, Wilhelm Heinrich Wackenroder und E.T.A. Hoffmann begriffen die Musik als Ästhetik der Sinfonie und bezeichneten sie als Kunstreligion. Die durch sie getragene literarische Musikästhetik wurde auf die klassische Instrumentalmusik im 19. Jahrhundert übertragen.4 Felix Draeseke zeigt hier unterschiedlich angelegte Kompositionen, die sich auch durch das gesellschaftliche Umfeld und seine Haltung zur Rolle der Kirche im 19. Jahrhundert bedingten. Die Stellung der Kirchenmusik war für das Schaffen des Komponisten Draeseke und für seinen Lebenslauf von großer Bedeutung. Es folgen jeweils vokalstilistische, sowie kompositionstechnische Überlegungen zum Vokalstil Draesekes. Jede dieser Kompositionen wird mit ihren Besonderheiten zur Analyse herangezogen. Die neun Kapitel der Arbeit zeigen eine Entwicklung in folgerichtigen Abläufen von musikwissenschaftlicher Untersuchung. Für meine Thematik >Vokalstil< lag nur wenig aufschlussreiche Literatur vor. Im ersten Kapitel wird der Einführung ein Überblick der >Religion im Wandel< in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorangestellt. Im zweiten Kapitel, dem >Stand der Wissenschaft<, werden die Begriffe >Messe< und >Requiem< in der Draeseke-Literatur herausgehoben und miteinander ver-knüpft. 4 Carl Dahlhaus: Ästhetik als Systemphilosophie. In: Musik zur Sprache gebracht. Musikästhetische Texte aus drei Jahrhunderten. Ausgewählt und kommentiert von Carl Dahlhaus und Michael Zimmermann. Kassel. Basel. London 1984, S. 180. Die Verknüpfung beider Richtungen ergab im 20. Jahrhundert Schwierigkeiten im Verständnis für die Beethoven-Rezeption.

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III

Die Einführung zeigt im dritten Kapitel die Bedeutung der Messe und des Requiems im Allgemeinen. Es werden wichtige biographische Daten Draesekes, seine Religi-onshaltung und Stellung in der Gesellschaft miteinander verbunden. Im vierten Kapitel werden die vier Messen in einer Kurzanalyse vorgestellt, damit wird ein grundlegendes Verständnis der Messen erreicht. Die aus den Vergleichen gewonnenen Merkmale werden innerhalb der Messen und Requiem-Vertonungen Draesekes übernommen. Im fünften Kapitel wird der Vokalstil Draesekes in seinen Messen und Requiem-Vertonungen ausgebreitet. Alle vier Werke werden untereinander vokalstilistisch verglichen. Dieses Kapitel ist auch das längste der Arbeit. Hier sollen diese kirchenmusikalischen Werke so besprochen werden, dass die Messenkompositionen und Requiem-Vertonungen Draesekes dem Betrachter in erster Linie in vokalstili-stischer Hinsicht durch Vergleiche nahe gebracht werden. Das vokale Element wird somit als Schwerpunkt gesetzt. Die Instrumentierung wird in der Folge nur dann herausgestellt, wenn das Verhältnis von Chor und Orchester in dem zu erwartenden Rahmen aus kompositorischen Gründen berücksichtigt werden muss. Hinweise für das Vorgehen liegen in den Quellen, Autographen, Erstdrucken der Messepartituren und Requiem-Vertonungen, sowie in der Literatur seiner Umgebung und zu Felix Draeseke selbst begründet. Zunächst wird der musikalische dem philologischen Teil vorgezogen. Die musikalische Form gibt darüber Aufschluss, wie der Komponist mit musikalischen Mitteln gearbeitet hat, um die unmittelbare Erhöhung durch die sprachliche Komponente zu erfassen und den Vokalstil aufzeigen zu können. Näher angesprochen werden besondere sprachliche Behandlungen im Messe- und Requiem-Text Draesekes. Die Melodieführung erscheint im Chor- und Solosatz, im homophonen Satzbau. Polyphone, kontrapunktische Ausarbeitungen wie Kanon, Fuge, Choralbearbeitung folgen mit den übrigen Stimmen des Satzes. Dabei steht der melodische Teil im Vordergrund. Der daraus resultierende Schritt umfasst die Rhythmik, zunächst wieder die musikalische, des Weiteren in Bezug auf die Textunterlegung die sprachliche Rhythmik. Stimmführung, Funktion und die sich ergebenden Klanggruppen werden in der Analyse der Chorsätze erläutert. Die harmonische Analyse wird punktuell eingesetzt, wie sie in die Anbindung der verschiedenen harmonischen Strukturen passt und sich darstellt. Die Verhältnis-mäßigkeit von Solo, Chor und Orchester wird in den genannten Werken untersucht. Das dramatische Prinzip von Musik und Sprache steht der Interpretation auch umgekehrt gegenüber. Letztere ist der folgerichtige Höhepunkt, der durch zu bestimmende Stilmittel des Komponisten angewandt und weiter entwickelt worden ist. Zwei Stränge laufen parallel oder sie greifen ineinander über. Musik und Text bedingen sich gegenseitig im engen wie im weiten musikalischen Rahmen. Es gibt in Draesekes Messen-kompositionen Stellen, in denen beide Prinzipien, auf der sprachlichen wie musikali-schen Ebene, in einem Punkt zusammentreffen. Im Falle der musikalischen Verbindung von >Sprache und Musik< auf der einen und von >Musik und Sprache< auf der anderen Seite, bilden beide eine Einheit und zeigen in der Geschlossenheit eine verstärkende Wirkung. Die Erfassung dieses dramatischen Elements wird zur Grundlage der folgenden Merkmale.

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Während die zwei ersten Werke sinfonisch geprägt sind, sind die beiden letztge-nannten im A-cappella-Stil verfasst. Draeseke vertrat hier zwei Stilrichtungen, die für das 19. Jahrhundert bezeichnend sind und die der Komponist in der Musikgeschichte >Messe< und >Requiem< vorfand. Unter dem musikalischen Einfluss Joseph Haydns, Wolfgang Amadeus Mozarts und besonders Ludwig van Beethovens steht Felix Draeseke als Komponist in seinen vier Messen. Die Entwicklung erfolgte unter anderem in einzelnen Interpretationen durch Kirchentonarten, Molltonarten, Durbe-reiche, Erweiterung von Klängen, Trugschlüsse und besonders gestaltete Fugen-formen. Auf dem Boden von Renaissance, Spätbarock, Wiener Klassik und Hochromantik sind die Messen Draesekes im 19. Jahrhundert anzusiedeln. Der musikalische Standort wurde anhand der gewonnenen Daten festgelegt: Musikalischer Ausdruck stellte sich als Ziel in den Kompositionen dar, mit zwei zu unterscheidenden musikalischen Richtungen und gleichen, bzw. ähnlichen Kriterien. Die Untersuchung geschah über verschiedene musikalische Bereiche und Vergleiche mit klassischen und zeitgenössischen Werken, unter Berücksichtigung des geistigen Umfelds. Die Formen der Missa Solemnis Beethovens wurden von Draeseke oft ähnlich gestaltet und in seinem Sinn weiterentwickelt. Besondere Text-Szenen wie Trauer und Schmerz wurden in Molltonarten oder chromatischen Zügen von Draeseke vorgestellt. Bei der Interpretation fand in der Haupttonart eine Verschleierung statt, zum Beispiel bei Quintklängen oder Verzögerungen von Auflösungen. Aus alten Topois konnten sich daher text- und musikimmanente Interpretationen entwickeln.5 Im sechsten Kapitel wird Beethovens Missa Solemnis mit den Messen Draesekes verglichen und gemeinsame und divergierende Topoi festgestellt, sowie ausgefeilte Formen. Im siebten Kapitel stehen vergleichende Merkmale in den einzelnen Werken im Vordergrund, die aus den verschiedensten musikalischen Zeiten rühren: Spätbarock, Wiener Klassik und Romantik. Die A-cappella-Werke und die beiden Messen Draesekes bilden nicht nur den Zugang zu den zeitlich nahe stehenden Messenkom-positionen, sondern auch zu denen aus Spätbarock und Wiener Klassik. Die Kapitel fünf bis sieben zeigen Zusammenfassungen nach bestimmten Kriterien, die die musikalischen Mittel im Vergleich tabellarisch darstellen. Bei Zusammen-legung all dieser Bereiche gelingt dem Leser ein musikwissenschaftliches Bild der Kompositionsmerkmale Draesekes. Im achten Kapitel wird die Bedeutung der Messen dargestellt und damit eine verstärkte gattungsgeschichtliche Zuordnung des Komponisten Felix Draeseke vorgenommen. Im neunten Kapitel werden verschiedene Bereiche wie sozialpolitischer Hintergrund, Aufführungen der beschriebenen Werke, Musikalien, Liturgische Texte und das Schrifttum nachgewiesen.

5 Helmut Loos: Zur Rezeption der Missa Solemnis von Ludwig van Beethoven. In: KmJb 82 (1998), S. 67-75.

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Die Stilelemente Draesekes -sinfonische Gestaltung und A-cappella-Stilweisen- stellen in den unterschiedlichen Kompositionen entweder eine stilistische Parallelität oder einen Gegensatz dar. Es sollte gezeigt werden, wie Felix Draeseke die Messen- und Requiem-Texte bearbeitet und welche stilistisch-musikalischen Merkmale er hervorgebracht hat. Der Komponist wendet in seinen vier Messen gattungsgeschichtliche Entwicklungen so an, indem er die Wurzeln über den gregorianischen Choral, Palestrina, Bach, Mozart und vor allem Beethoven, sowie seine Zeitgenossen ausschöpft und die genannten Ressourcen auf seine Weise musikalisch verarbeitet. Der Komponist Draeseke ist ein musikalisches und musikhistorisches Bindeglied zwischen den genannten Zeiten. Besonders auffällig neben der traditionellen Kompositionsweise ist die Vorwegnahme von erweiterten Sept- und Nonklängen in bestimmten Szenen der Messe und des Requiems. In seinen Lebenserinnerungen kommt Draesekes Auffas- sung zu den Kompositionen deutlich zum Ausdruck: »Ihre großen Errungenschaften [der früheren Meister] sollten hoch und wert gehalten werden und neben ihnen die der sogenannten Zukunftsmusik. Was diese uns an neuem Stoff und neuen Mitteln zugeführt hatte, wollte ich versuchen, der Musikwelt in klassischer Form darzubieten. Natürlich war hierunter nicht zu verstehen eine sklavische Nachbildung der früheren Leistungen. Deren Formen sollten behandelt und entwickelt, auch formelle Neu-bildungen versucht, alle gebotenen harmonischen, rhythmischen, modulatorischen Mittel ausgenutzt werden«.6 Felix Draesekes Messen zeigen auf der Grundlage des 18. und 19. Jahrhunderts ihre Stellung in der Gattungsgeschichte Messe und Requiem-Vertonung, sowie mögliche musikalische Auswirkungen vom 19. bis 21. Jahrhundert. In dieser vokalstilistischen Untersuchung werden musikalische Entwicklungen dargelegt, die neben den musikalischen Ergebnissen auch noch weitere musikwissenschaftliche Fragestellun-gen für die Zukunft erforderlich machen, zum Beispiel wäre generell das Verhältnis der Neudeutschen Schule zur geistlichen Musik zu klären.7 Weiterführende Forschungen zeigen bei Beethoven und Liszt nicht nur eine Methodik für den Gebrauch von rhetorischen Mitteln. Warren Kirkendale befasst sich mit Beethoven und der rhetorischen Tradition: »Der Topos spiegelt die uralte Vorstellung von Gott als dem, der apatheia besitzt, frei von allen Leidenschaften und als Urgrund des Seins unbeweglich ist – wie sie aus der Stoa über die griechischen Väter in die abendländische Theologie eingegangen war«.8 Beethoven ist ein musikalisches Vorbild für die Neudeutsche Schule. »Da Liszt auch die Verherrlichung des einen Gottes in der Gloria-Fuge betont, muss der Gedanke der Einheit und Geschlos-senheit, so wie er in der Liturgie ausgesprochen wird, als besonderes Anliegen des

6 Felix Draeseke: Lebenserinnerungen. Hrsg. von Hermann Stephani. Typoskript. Coburgica Nr. XI. 30, S. 216. 7 James A. Deaville: Felix Draeseke und die geistliche Musik der Neudeutschen Schule. Dargestellt am Beispiel von Peter Cornelius. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 181. (Fußnote 48). 8 Warren Kirkendale: Beethovens Missa Solemnis und die rhetorische Tradition. In: Beethoven- Symposion. Wien 1970. (Veröffentlichung der Kommission für Musikforschung). Heft 12. Wien 1971, S. 124.

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Komponisten gelten. Er steht damit im Einklang zu starken kirchlichen Bestrebungen des 19. Jahrhunderts«.9 Zu dieser Arbeit gibt es zwei Thesen: A. Felix Draeseke ist ein stilistischer Vermittler, und er steht der Verfremdung von Harmonie offen gegenüber. B. An besonders eschatologischen Textstellen der Messen und der Requiem- Vertonungen Draesekes werden text- und musikimmanente Interpretationen verstärkt sicht- und hörbar.

9 Helmut Loos: Franz Liszts Graner Festmesse. In: KmJb 67 (1983), S. 59.

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1. Religion im Wandel: Ein kulturhistorischer Aspekt im 19. Jahrhundert

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1. Religion im Wandel: Ein kulturhistorischer Aspekt im 19. Jahrhundert In Deutschland wird eine >kulturhistorische Betrachtung< über das 19. Jahrhundert seit 1959 vermehrt betrieben. Sie umfasst allgemein verschiedene Aufgaben des Lebens wie Staat, Rechtspflege, Wirtschaftsentwicklung, Kunst, Philosophie und Religion. Gerade die Religion nimmt im 19. Jahrhundert einen breiten Raum ein. Begonnen hat Wilhelm Dilthey zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit >kulturhisto-rischer Betrachtung<. Diese wurde von Hans-Joachim Schoeps und anderen Herausgebern, sowie Autoren fortgesetzt, indem sie die Rolle der Religion besonders aus dem Kontext des 19. Jahrhunderts herausstellten und wissenschaftlich hinter-fragten. Thomas Nipperdey, ein Vertreter der jüngeren Generation, beschäftigte sich im 21. Jahrhundert mit dem Wandel von Religion im 19. Jahrhundert. In seiner Sichtweise lag die Religion im geschichtlich gewachsenen Aspekt und in ihrer großen Verschiedenartigkeit. Wilhelm Dilthey und Thomas Nipperdey hoben das Jahr 1870 inhaltlich mit seinen politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts hervor,1 und die Religion trug -gleich welcher Couleur- die Hauptverantwortung dafür. »In Deutschland hat die Konzilsentscheidung unter Theologen und in der Bildungsschicht eine Aufsehen erregende Opposition hervorgerufen«.2 1.1 Entwicklung des Katholizismus in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts Die Kleinstaaterei, in Form von kleinen Verfassungsstaaten, zerfiel in Deutschland, es entstand das Deutsche Reich. Das Territorium Preußen wurde Nationalstaat und als >Reich< bezeichnet, Thron und Altar sollten als Einheit gelten. Das war der erste Teil der Rolle von Religion. Im Übergang zur Neuzeit galt sie als Verbindung einer Gemeinschaft. Die Aufklärung war dagegen und eine allgemeine Säkularisierung trat ein. »Die politische Verbindlichkeit der öffentlichen Anerkennung einer bestimmten Religion wurde aufgegeben. Damit ging zwangsläufig auch die Bedeutung organi-sierter Religion als eines Mittels sozialer Kontrolle zurück«.3 Daneben entwickelte sich die Förderung von Toleranz und Freiheit der Religion als subjektives Bürger-recht.4 Der zweite Teil zielte auf den Rückzug von Religion in die private Sphäre, der dritte Teil wies auf den nationalen Staat und eine universelle Kirche hin. Die Religion zeigte mehrere philosophische Bedeutungsansätze: Martin Buber sprach von Religion als >Urvertrauen<, radikale Aufklärer >von der Befreiung der Religion und Befreiung von der Religion< zwischen Staat und Kirche. Bei Jean Jacques Rousseau galt Religion als Bürgerpflicht. Immanuel Kant stellte Religion mit göttlichen Geboten dar. Georg Wilhelm Friedrich Hegel verwies auf Religion mit der >Selbstkonstitution des Geistes<. Ludwig Feuerbach hob einen anthroprologischen

1 Kurt Kluxen: Religion und Nationalstaat im 19. Jahrhundert. In: Julius H. Schoeps (Hg.): Religion und Zeitgeist im 19. Jahrhundert. Stuttgart. Bonn 1982, S. 38. 2 Thomas Nipperdey: Religion im Umbruch. Deutschland 1870-1918. München 1988, S. 13. 3 Ebd., S. 38. 4 Ebd., S. 38.

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Religionsansatz hervor, während Karl Marx eine evolutionstheoretische Auslegung von Heilsgeschichte einbrachte. Eine weitere Transformation der Religion ging von der Dichtung aus: Bei Johann Georg Hamann trat Johann Gottfried Herder in den religiösen Mittelpunkt. Er stand gegen David Humes Idee der >natürlichen Religion<. Gott trat als Ausdruck des Absoluten auf. Die Sprache Gottes und die Sprache der Menschen galten als Abbild. »Im Ursprung waren Religion, Poesie und Kunst eins und älter als die Vernunft«.5 Das Gemeinsame eines Volkes lag in der Zeit der Romantik in der Suche nach einem Mythos, nach Individualität. Im Staatskirchentum von 1803/05 gab es eine Konkordatsbewegung, die dem Zentralismus zugute kam. Das Resultat waren Aufsichtsrechte des Staates über die Kirche.6 Die Wende erfolgte 1830/1837. Die gesellschaftliche Orientierung der katholischen Kirche stand gegen den innerkirchlichen Liberalismus. Der Aufstieg der Liberalen fand zunächst in Baden und dann in Preußen statt. 1850/70 beschloss die katholische Kirche, sie wolle nicht frei durch die Konkordate werden, sondern souverän. Der entstandene Kulturkampf äußerte sich unter anderem im Ersten Vaticanum 1868/1870 im Unfehlbarkeitsdogma des Papstes. Darin musste der Anti-Modernisteneid abgelegt werden. »Einerseits gab die Entfremdung von moderner Wissenschaft und Kultur eine Inferiorität des deutschen Katholizismus im protestantisch bestimmten Deutschland; andererseits erreichte der Klerus einen hohen moralischen Standard, wie er ihn wohl noch nie besessen hatte«.7 Der >Kulturkampf< ist die unmittelbare Folge der vorhergehenden Auseinandersetzungen der Nationalgeschichte gewe-sen.8 »Die großdeutschen katholischen Gegner traten mit übernationalen Reichsideen dem Nationalstaat gegenüber«.9 Otto von Bismarck wollte vom Nationalstaat nichts wissen; er war dagegen, auf die preußische Staatsnationalität zu verzichten. Nationalliberale strebten eine deutsche Nationalkirche an. Die Fort-schrittspartei plädierte für die Trennung von Staat und Kirche. »Im Deutschen Reich war die Religion nach Abebben des Kulturkampfes keine Streitfrage mehr, wenn auch der evangelische Vorrang in Militär und Verwaltung, in Industrie und Handel unübersehbar war. Die Gegner der Kirche waren nicht die Monarchie und auch nicht das evangelische Pfarrhaus, selbst nicht die militärischen Institutionen, sondern der Liberalismus und das liberale Großbürgertum des Handelns, der Industrie und der Bildung«.10

1.1.1 Katholizismus, Staat und Nation Die katholische Kirche und der Staat befanden sich in einem besonderen politischen Verhältnis. Die Kirche forderte von der Politik Anerkennung, das hieß Loyalität zur Zentrumspartei. »Alle Einzelinteressen hatten sich der Verteidigung des Glaubens und der dazu nötigen Einheit unterzuordnen«.11 Die Katholiken kämpften für ihre Minderheitsrechte. Der Gegner war nicht nur der Protestantismus, sondern auch der Liberalismus. »Ideengeschichtlich stand die Kirche im Gegensatz

5 Ebd., S. 39. 6 Ebd., S. 41. 7 Ebd., S. 43. 8 Ebd., S. 53. 9 Ebd., S. 53. 10 Ebd., S. 54. 11 Thomas Nipperdey: Religion im Umbruch. Deutschland 1870-1918. München 1988, S. 43.

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sowohl zum liberalen Individualismus wie zum sozialistischen Kollektivismus und zum Konservatismus«.12 Nach dem Liberalismus hatte die katholische Kirche sich mit dem Sozialismus, der gegen die Kirche stand, auseinander zu setzen. In der Folge war ein Anschluss an die Konservativen nicht ausge-schlossen. »Die Interessen des Katholizismus schienen jetzt erst recht im konstitutionellen-obrigkeitlichen System besser aufgehoben als in einem parla-mentarisch-demokratischen«.13 Neben Machtverteilung und Verfassung des Staates stand die Haltung der Katholiken zur Nation. »Die katholische Kirche war international, sie ließ den Volkstümern und Nationalen Raum, aber sie relativierte sie und ihre Absolut-heitsansprüche«.14 Im Gegensatz zu den Protestanten hielten sie sich in der Politik zurück. »Das war schon deshalb [….] der Fall, weil die nationale Frage im politischen Bewusstsein der Katholiken nicht so dominant war wie bei den Protestanten«.15 Um 1870/1871 war es aber wichtig, dass »der Widerstand gegen die Verpreußung Deutschlands [zunahm] und auch die wachsende Sorge vor den nationalprotestantischen und liberalen Tendenzen und der Bedrohung der Freiheiten der katholischen Kirche«.16 Die Integration der Katholiken ins kleindeutsche Reich wurde durch die Haltung der Protestanten verzögert, indem diese sich mit dem Kaiserreich identifizierten, mit dem Kultur-kampf, die Protestgruppen (Polen, Welfen, Elsässer) für ihre Zwecke und gegen das Zentrum nutzten. »Die katholische Kirche ist darum, anders als die evangelische, keine aktive Kraft des Nationalismus geworden«.17 Thomas Nipperdey schrieb in seinen Ausführungen, dass es eine Theologie des Katholizismus vor 1914 nicht gäbe, aber dennoch eine Nationalisierung: »Die Geschichte des Katholizismus in Deutschland ist zwischen 1871 und 1914 auch eine Geschichte seiner Nationalisierung, das wirkt von den Laien her auch in die Kirche zurück«.18 Das Ergebnis von 1914 war, dass die Katholiken sich der nationalen Sache annahmen. Die Nation war nicht mehr liberal, nicht antikatholisch. »Aber im ganzen wurde der Nationalismus der Katholiken in den letzten Kriegsjahren realistischer, ganz anders als der der Protestanten«.19 1.1.2 Katholizismus und Soziale Frage Katholizismus und Soziale Frage hängen eng zusammen. Die katholische Kirche und ihre Tradition entfernten sich vom Kapitalismus, von Markt und Konkurrenz. Sie waren gegen die Auflösung der traditionellen Sozialordnung, gegen die Proleta-risierung. Das ältere Gesellschaftsbild zeigte einen katholischen Antiliberalismus. Die

12 Ebd., S. 45. 12 Ebd., S. 45. 14 Ebd., S. 46. 15 Ebd., S. 47. 16 Ebd., S. 48. 17 Ebd., S. 49. 18 Ebd., S. 49. 19 Ebd., S. 51.

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Soziale Frage/Krise wurde religiös-moralisch durch Egoismus, Sünde, etc. gedeutet. Dadurch erhoffte man sich die ‚Rückkehr zur Religion’. Zwei gegensätzliche Vorstellungen haben sich entwickelt: eine Gesellschaftspolitik mit konservativer Sozialkritik und ein liberales Marktsystem. Innerhalb der Stände sollte eine Ungleich-heit mit Klassenkonflikt ausgerechnet zu Solidarität und Einvernehmen führen.20 Der Konflikt entstand durch die Begriffe Kapital und Arbeit. Der moderne Sozialkatholizismus entwickelte sich auf dem Boden des Kapitalismus. Franz Hitze zeichnete sich dafür aus. Demgegenüber entstand eine Sozialreform aus dem ökonomischen System unter Bischof Ketteler. Bei ihm galt »der antichristliche Liberalismus als ‚Ursache der Sozialen Frage’, aber neben die Moral tritt die Wirtschafts- und Sozialordnung«.21 Ketteler verlangte, dass die Kirche sich auf das neue Industriesystem einstellen solle, mit sozialen Menschenrechten, Streik- und Koalitionsrecht. Es galt eine Begrenzung von Staatsmacht, Arbeiter wurden Gewerkschaftsglieder mit eigener Verantwortung. Das Ziel war der soziale Rechtsstaat. Die deutschen Katholiken blieben aber noch agrarisch-mittel-ständisch, und jedes soziale Handeln wurde unter klerikale Aufsicht gestellt. Thomas Dilthey stellte den Sozialkatholizismus heraus, indem er auf den gesamten Katholizismus wies. »Die tragenden Elemente des Sozialkatho-lizismus waren die verschiedenen Teile einer katholischen Arbeiterbewegung und dann die sie unterstützenden bürgerlichen Gruppen«.22 Die Katholiken kämpften gegen die Arbeiterschaft ohne Religion, gegen die Liberalen mit Geldmacht ohne Religion, gegen die nicht-katholischen Bürger als protestan-tische Unternehmer des Westens. »In der Doppelbewegung des Staates gegen Katholizismus und Sozialdemokratie gingen diese Vereine erst recht unter«.23 Erst am Ende des Kulturkampfes gewannen die katholische-soziale Bewegung und die katholische Arbeiterbewegung durch die Vereine, durch die christ-lichen Gewerkschaften und durch neue katholische Vereine von Industrie- und Fabrikarbeitern unter geistlicher Führung.24 »Diese Arbeitervereine wuchsen über die bloß religiös-kirchliche Aktivität hinaus, sie wurden Interessenvertre-tungen der Arbeiterschaft und in Westdeutschland zu Organisationen des Kampfes um wirtschaftliche, gesellschaftliche, politische Gleichberechtigung, um Emanzipation der Arbeiterschaft«.25 Die Christlichen Gewerkschaften waren bei den Katholiken das entsprechende zweite Fundament. Ein erster Kongress fand 1899 statt, interkonfessionell und parteipolitisch neutral. Die Führung lag nicht mehr bei der Geistlichkeit, Adam Stegerwald war ihr Wortführer. Das dritte Fundament des Sozialkatholizismus wurde von August Pieper angeführt. Er plädierte für eine Einheit des politisch-sozialen Katholizismus.26 »Der Volksverein hat die soziale Aktivität und die

20 Ebd., S. 51. 21 Ebd., S. 53. 22 Ebd., S. 56. 23 Ebd., S. 57. 24 Ebd., S. 57. 25 Ebd., S. 58. 26 Ebd., S. 60.

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Sozialreform zur akzeptierten und legitimierten Sache des Gesamtkatho-lizismus gemacht«.27 Die politische Kultur wurde demokratisiert, und die Repräsentanz des Katholizismus wurde mehr und mehr selbstverständlich. Hier wurde der Integration der Katholiken in die Nation Vorschub geleistet. Außerdem wurde das Wahlrecht propagiert. »Diese Einbindung in den Gesamtkatholizismus ist einer der Gründe dafür, dass der Sozialkatholizismus nur ein Teil der katholischen Arbeiterschaft halten konnte«.28 Daher sahen die Sozialisten im Sozialkatholizismus nur eine Ablenkung, nämlich den Kapita-lismus einzuschränken und dem Sozialismus den Eintritt in die Arbeiterschaft zu ermöglichen. »Der katholischen Kirche ist es weit besser gelungen als der protestantischen, sich im Zeitalter der modernen Massen- und Industriege-sellschaft zu behaupten«:29 Traditionalismus und Moderne des Vereinskatho-lizismus und Kirchenzugehörigkeit, sowie Aufbruchspotential. Diese Stich-wörter führten 1918 in die Weimarer Republik. 1.2 Entwicklung des Protestantismus in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts Im Vergleich zu den Katholiken sah die Vielfältigkeit der Protestanten anders aus und zeigte sich in mehreren Richtungen gleichzeitig: in großen theologischen Richtungen, in der Orthodoxie, im Pietismus, in den Liberalen und den Vermittlern zwischen einzelnen Gruppierungen. Es gab in Preußen lutherische und unierte evangelische Kirchen. »Der Protestantismus war pluralisiert in Gebieten, in Landeskir-chen«.30 Die Religion wurde durch die Landesherren bestimmt. Die Theologie des 19. Jahrhunderts hat mit ihren vermittelnden Formen durch Friedrich Schleiermacher zum Beispiel besonders Tradition und Moderne eingebracht, nämlich durch eine verständliche Auslegung der menschlichen Existenz und deren Erfahrung.31 Aber am Ende des Idealismus verlor Schleiermachers ‚natürliche Religion’ an Bedeutung. Sein Konzept des Endlichen und Unend-lichen, des Bedingten und Unbedingten und seiner ‚Gottesphilosophie’ hatte die Zeit überdauert. Albrecht Ritschl, ein großer Theologe des 19. Jahrhun-derts, begründete um 1870 seine praktische Philosophie der Freiheit, indem er die Koexistenz von Wissenschaftlichkeit und Ethik der Freiheit miteinander verband. Ritschls These zeigte die Tradition und verknüpfte das bürgerliche Arbeiterleben mit einer sozialverträglichen Ethik. Die Quintessenz dieser Theologie des Menschlichen verhalf ihr zur tragenden Wirkung. »Das Christentum ist eine praktische Religion, es allein begründet und ermöglicht, unangefochten von den legitimen Ergebnissen der Wissenschaften, ein höchstes ethisches Lebensideal, Freiheit und Moralität des Individuums«.32

27 Ebd., S. 61. 28 Ebd., S. 61. 29 Ebd., S. 66. 30 Ebd., S. 67. 31 Ebd., S. 68. 32 Ebd., S. 69.

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Ritschl vertrat den religiösen Individualismus im Protestantismus und die Beteiligung an der modernen religiösen Auffassung.33 Zwei liberale Theologen sind aus diesem Gedankengut erwachsen: Wilhelm Hermann und Adolf von Harnack. Beide konzentrierten sich auf den Einzelnen in seiner Persönlichkeit. »Nicht Beweise, sondern Erleben vermitteln persön-liche Gewissheit, vermitteln eine neue personale Existenz«.34 Das Zentrum der Theologie war für Rudolf Bultmann, einem Schüler von Hermann, persona-listisch- geschichtlich existent. Im Grundsatz ähnlich wie Bultmann zeigte sich Adolf von Harnack: »Es geht um den Kern der Botschaft Jesu, der Botschaft von Gott dem Vater und vom unendlichen Wert der einzelnen Seele. Das erfährt der Mensch nur in der Geschichte von und mit Jesus«.35 Das war die Basis der bürgerlichen Kultur und auch des Weltverständnisses. Adolf von Harnacks Sichtweise von Kirche bedeutete, dass das Christentum mehr als nur eine Belehrung war, nämlich eine wirkliche Veränderung. Ernst Troeltsch und Max Weber traten für eine soziale Reform wie Friedrich Nietzsche ein: Alles ‚wackelt’. Diese Worte bezeichneten den Historismus, der alles relati-vierte. »Die ethisch-personalistische Reduktion bei Ritschl, Hermann und Harnack, verflüchtigt sowohl die Wirklichkeit der Religion wie die Verflochtenheit der personalen Existenz mit dem Ganzen der Welt und der Geschichte«.36 Ernst Troeltsch wollte aufzeigen, dass das Christentum in seiner Zeit als relativ höchste Form der Religion galt. Sein Credo lautete: »Nur Religion sichert Geist und Freiheit in dieser modernen Welt«.37 Eine Wechselwirkung mit der liberalen Theologie wurde vorangetrieben, und im Laufe der Zeit entwickelten sich daraus Teilwissenschaften der Theologie. Auch die Stellung der Laien wurde verstärkt. Adolf von Harnack war der Geschichtsschreiber der Aka-demie. Er setzte sich mit Dogmen-Untersuchung und Entfaltung der Kirchen-geschichte auseinander.38 Seit der Jahrhundertwende wurden die Religionen der Bibel in eine orientalische, jüdische Tradition gestellt. Jede basiere auf Kult, Mythos und Mysterien. Die Protestanten traten in der rationalen Ebene in den Vordergrund. In der liberalen Theologie des 19. Jahrhunderts kam die Eschatologie mit dem Thema ‚Leben Jesu’ hervor. Rudolf Bultmann setzte dieser Theologie die Entmythologisierung entgegen. Rudolf Otto sprach von religionswissenschaftlicher Phänomenologie. Die historische Theologie ran-gierte innerkirchlich mit Auflösung, mit symbolischer Deutung der Bibel, sie stand gegen traditionelle Dogmatik und Frömmigkeit.39 Das konservative

33 Ernst Troeltsch: Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt. 3. Aufl. Oldenbourg. München. Berlin 1924, S. 23. 34 Thomas Nipperdey: Religion im Umbruch. Deutschland 1870-1918. München 1988, S. 70. 35 Ebd., S. 71. 36 Ebd., S. 72. 37 Ebd., S. 73. 38 Ebd., S. 73. 39 Ebd., S. 75.

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Lager bediente sich folgender Leitworte, die am Ende des 19. Jahrhunderts verstärkt wichtig wurden: Geschichte, Erfahrung und Tatsache.40 Bis 1914 hielt sich die Zeit der historischen Kritik. Martin Kähler als Geschichtstheologe mit liberalem Ansatz (historischer Jesus) war feder-führend. Reinhold Seeberg arbeitete mit erweiterten Kategorien in seiner Theologie: Realität, Erfahrung, Geschichte, Entwicklung, Macht, Leben und Willen. Für ihn war Religion eine Offenbarungsreligion, mit den Ergebnissen moderner Wissenschaft. »Politisch entsteht eine konservative Theologie der Schöpfung wie Volk, Nation, Rasse«.41 Klare Abgrenzungen konnte es in dieser Zeit nicht geben. »Ein wirkliches Gefühl für die Krise der modernen Welt haben weder die Alt- noch die Neukonservativen entwickelt, aber auch bei den Liberalen kann man das eigentlich nur von Troeltsch sagen«.42 Gegen Ende des Jahrhunderts gab es verschiedene evangelische Religions-richtungen: Konservative und lutherische Konfessionen, Unierte, sowie verschiedene Formen des Pietismus und Neupietisten, die antitheologisch fungierten. Bis 1914 bildeten sich protestantische Freikirchen heraus. Die Liberalen hatten eine andere, abweichende Theologie: Sie versprach eine Versöhnung mit der Wissenschaft gegen eine konfessionelle Enge, Pietisten, gegen Ritschl, der die Entchristlichung bereitet habe. Liberale achteten auf die Bildung und Innerlichkeit, auf die Institution Kirche schauten sie mehr als auf die Religion. Die theologischen Fakultäten existierten informell in der Kirche, im Staat, in der Öffentlichkeit mit einer starken Unabhängigkeit. »Insgesamt stand deshalb die Theologie in einer institutionalisierten Dauerspannung zur Kirche«.43 Ritschl und Harnack haben mit ihrem theologischen Liberalismus dafür gesorgt, dass in Deutschland die Kirche nicht gemeindemäßig, sondern staatlich geführt wurde.44 Der Liberalismus gehörte zur Randgemeinde und nicht zur Kerngemeinde. Er war freier Protestantismus. 1886 wurde eine Großorganisation gegründet. Das Ziel war am Ende des Kulturkampfes, den Evangelischen Bund zur Wahrung der deutsch-protestantischen Interessen zu formen. »Der Antikatholizismus der Protestanten, den der Kulturkampf trotz konservativer Reserven besonders gesteigert hatte, verfestigte sich jetzt organisatorisch«.45 Der Protestantismus vertrat die Mitte der Gesellschaft, indem er gegen den Katholizismus stand und nicht mehr um eine theologische Aussage kämpfte. Evangelische Kirchen waren Pastorenkirchen, akademisch gebildet. Es war selbstverständlich, dass die Pfarrer in die Mitte der Gesell-schaft gehörten. Ein Element der Erneuerung der evangelischen Kirche erhielt sie durch viele Vereinsgründungen. 40 Ebd., S. 76. 41 Ebd., S. 76. 42 Ebd., S. 76. 43 Ebd., S. 79. 44 Ebd., S. 80. 45 Ebd., S. 81.

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1.2.1 Protestantische Kirche, Politik und Verfassung Wie ist aber das Verhältnis des Protestantismus zum Staat zu werten? Thomas Dilthey wertete, dass die Kirche der wilhelminischen Zeit auf der Anklagebank säße. Thron und Altar und die Soziale Frage seien für die Krise der Kirche zuständig. Von 1813 bis 1817 gab es eine protestantisch-nationale Tradition. Friedrich Schleier-macher sprach von ‚Volkstreue’ und ‚Gottestreue’. Seit 1866 waren liberale Protes-tanten national. 1866 wurde als Sieg protestantischer Kultur und Staatlichkeit interpretiert, als protestantische ‚Übertreibung’. 1871 wurde in den Predigten der Krieg als ‚gerechter Krieg bezeichnet’. Der Krieg wurde allerdings auch unter Sünde und Buße gestellt. Die Liberalen haben das kritisiert. In der Vorsehungstheologie wird die Kriegsentscheidung als »Entscheidung des gerechten, richtenden, strafenden, segnenden Gottes« angeführt. Und dadurch gewinnt auch die Reichsgründung, die Zeitgeschichte eine >religiöse Qualität<.46 Es gab auch die protestantische Deutung des Krieges: Die Reichsgründung wurde zur Vollendung der Reformation. Adolf Stöcker sprach von ‚Spur Gottes von 1517–1871’. »Bei den Liberalen war der Zusammenhang von Reformation und Reichsgründung beliebter als bei den Konservativen«.47 Thomas Dilthey fasste das Ergebnis zusammen: »Wie immer man diese protestantischen Interpretationen von Krieg und Reichsgründung gewichtet, kein Zweifel kann sein, dass nach 1871 relativ schnell der entschiedene Nationalismus in der Kirche einströmt«.48 1914 war das ganz anders. Alles wurde auf den Frieden ausgerichtet. Zwei Gründe für die Identifizierung der Protestanten waren in dieser Zeit bis 1914 ausschlaggebend: 1. Die liberale Verbindung von deutscher und protes-tantischer, reformatorischer Kultur wurde zur nationalen protestantischen Geschichtstheologie. Im kulturprotestantischen Bereich brachte die Nation mehr Initiative auf als der Staat. Der Nationalliberalismus verschmolz mit protestantischen Gegebenheiten. Heinrich von Treitschke hielt 1883 eine Lutherrede mit folgendem Tenor: »Liberal-nationale Kirchenmänner sprechen davon, dass die Nationalität ein göttliches Recht in der Kirche habe, der nationale Staat bedürfe der Festigung des nationalen Bundes einer nationalen Kirche«.49 2. Der protestantische Konservatismus wurde national. Die Nation bedeutete ‚sittliche Macht’. Johann Hinrich Wichern dachte in diesen Dimensionen: »Und wenn man bis dahin auf Staat und Obrigkeit und Monarchie bezogen war, so musste das nun auch für die nationale Monarchie gelten – Thron und Altar erweiterten sich zur Dreiheit von Thron, Nation und Altar«.50 Die Kirche stand zum nationalen Reich. Wichtig für eine veränderte Nationalisierung war die Religion des Kulturkampfes, eine antikatholische Haltung, ohne Dogmen-zwang (1873). Bismarck, Treitschke und Stoecker waren die führenden Vorbilder bis 1918.

46 Ebd., S. 93. 47 Ebd., S. 94. 48 Ebd., S. 94. 49 Ebd., S. 95. 50 Ebd., S. 95.

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»Die Nationalisierung Luthers 1917 ist ein Höhepunkt, Wittenberg und Friedrichsruh werden in eine Linie gestellt«.51 Diese Haltung der Kirchenmänner war immer wieder bestätigt worden. »Auch die Kräfte, die dem deutschen Nationalstaat viel reservierter gegenüberstanden, Katholiken, Sozialdemokraten und linksliberale Intelligenz, sind 1914 solchem nationalen Enthusiasmus gefolgt«.52 Der deutsche Protestantismus war im Laufe des 19. Jahrhunderts moderner geworden. Nach der Jahrhundertmitte gab es nicht nur die konservative Theologie des Staates, sondern auch den Bund von Thron und Altar. Liberale und konservative Theologie waren das Ergebnis. Auf der anderen Seite hatte der »moderne Liberalismus seine Position theologisch zur Anerkennung gebracht«.53 Die Opposition der konservativen Kirchenkreise stand gegen Bismarck und gegen die Religion des Nationalliberalismus. Religion und Politik, Kirche und Staat waren voneinander getrennt. Daneben befand sich aber die enge Verbindung von Staat und Kirche. Grundvereinbarungen in Staat und Kirche waren demnach miteinander verbunden. Einer der Vertreter der Liberalen war Georg Wilhelm Hegel. »Und die Liberalen haben die sittlich-religiösen Wirklichkeiten, deren Profanität sie so betonten, den Staat, die Nation, die Kultur, doch auch geheiligt, sakralisiert«.54 Die Beurteilung des vorliegenden Themas war bei Martin Kähler 1872 das protestantische Element, ähnlich dachte auch Albrecht Ritschl. »Das liberalkonservative Verständnis von Staat und Politik war eher statisch, am monarchistischen Beamtenstaat orientiert, nicht dynamisch, nicht an Parlament und Parteien oder gar deren Bedeutungsvermehrung«.55 Die Theologie stand an der Seite der Kirche und des Monarchen. Sie war gegen den Atheismus, gegen die ‚Linke’. Später nahm die Entwicklung einen anderen Weg. Es galt das Ergebnis der Zwei-Reiche-Theologie und der Vorbehalte gegen jede Verkirchlichung der Welt, die Legitimation der modernen Vielfältigkeiten gelangte noch nicht in den Fokus. Reinhold Seeberg propa-gierte den Begriff ‚Schöpfungsordnung’. Harnack war dagegen. Seine Aussa-gen wandten sich gegen die Bevormundung aller Bürger durch die Kirche. »Das war metapolitisch Grundlage liberaler Politik«.56 1.2.2 Protestantismus und Soziale Frage Die Soziale Frage war der dritte Punkt für die Protestanten. Der Inhalt einer Predigt war unter anderem mit den sozialen Angelegenheiten der Gesellschaft gefüllt. Der Klassenkampf machte auch hier nicht Halt. Die Kategorie ‚Neid’. Der Normalton gegen Materialismus, für Askese, Glaube und Hoffnung war auf das Jenseits gerichtet, als Hilfe in der Not deklariert. »Die Deutung der Sozialen Frage ging in der Tradition zuerst eigentlich auf Verlust an Religion und Verlust von

51 Ebd., S. 99. 52 Ebd., S. 100. 53 Ebd., S. 102. 54 Ebd., S. 103. 55 Ebd., S. 104. 56 Ebd., S. 106.

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patriarchalisch-bindender moralischer Ordnung«.57 Die Soziale Frage verän-derte sich im Laufe der Zeit zur politisch-sozialen, »wenn auch die Kirche jedem politischen Lösungskonzept in der lutherischen Tradition der zwei Reiche ganz reserviert gegenüberstand«.58 Bei den Sozialversicherungs-gesetzen war Theodor Lohmann mit tätig. Sein Ziel war es, die Gleichbe-rechtigung der Arbeiterschaft in ihrem sozialen Umfeld zu erreichen. Eine weitere Richtung machte sich bei Rudolf Todt bemerkbar. Die Protestanten führten bei ihm nicht nur eine Diskussion über soziale Fragen, sondern auch über den Sozialismus mit seinen Erscheinungen. Adolf Stoecker hat die Soziale Frage zum Thema der Kirche gemacht. Er war gegen die Sozialde-mokratie, Gegen den Atheismus. Sein Ziel war, dass das Evangelium in die politisch-soziale Diskussion gehöre, quasi als Basis der sozialen Reform. Es ging um Politik, gegen den Kapitalismus, für Absicherung, gegen die Risiken. »Der eigentliche Gegner ist der Liberalismus«.59 Denn »der Liberalismus ist die Ursache der Not, der Sozialismus nur Ausdruck dieser Not, nicht der primäre Gegner«.60 Adolf Stoecker gründete 1878 die Christlich-Soziale Arbeiterpartei, eine Verbindung konservativer Mitglieder, mit sozialem Engagement. Stoecker scheiterte mit seinem Programm, das sich antisemitisch zwischenzeitlich darstellte. Das war die Richtung des Mittelstandes, gegen Kapitalismus und Judentum. »Aber gleichzeitig, in Wechselwirkung und Widerspruch, blieb [er] Repräsentant und Führer einer auf Arbeiterschaft und Soziale Frage gerichte-ten kirchlich-sozialen Bewegung«.61 Stoecker verlor sein Hofpredigeramt mit folgender Begründung: »Eine evangelische Partei musste scheitern, weil der evangelische Volksteil zwischen Konservativen und Liberalen keine Einheit war, weil es für die Frommen keine konfessionelle Bedrängnissituation gab, weil lutherisch-deutsche Tradition solcher Verflechtung mit der Politik wider-sprach«.62 Und die Kirche war gegen eine linke Haltung der Kirchenmänner, gegen eine Rolle der Kirche, die permanent eine Kontrolle ausübte. Friedrich Naumann und Rudolph Solm unterstützten den Gedanken der Trennung der beiden Reiche. Das Verständnis von Demokratie und Kaisertum unter der Aufsicht der Kirche widersprach sich selber. Die Kirche hat nun nicht mehr die politische Vorherrschaft.63 Zwei Lager entstanden in diesen Jahren: 1. Der Evangelisch-Soziale Kongress mit Diskussionsforum wurde aufgestellt. Folgendes Ziel wurde erreicht: Die Zwei-Reichs-Lehre und Politisierung des Evangeliums. Eine weitere Forderung war die Gleichsetzung von Sozialismus und Materialismus. »Gerade in diesem Personalismus ließen Eigengesetzlichkeit der Welt und

57 Ebd., S. 106. 58 Ebd., S. 107. 59 Ebd., S. 109. 60 Ebd., S. 109. 61 Ebd., S. 110. 62 Ebd., S. 110. 63 Ebd., S. 114.

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evangelische Norm sich verbinden«.64 Man wollte den Klassenkampf mit ethisch-religiösen Vorschriften durchsetzen. Bezeichnend für die weitere Entwicklung war, dass »der Protestantismus im sozialen Leben nicht über die Organisation Kirche, sondern als Kulturmacht über die Einzelnen zur Geltung kommen sollte«.65 Es zeigte sich ein moderner Begriff der nicht mehr ständischen, sondern nicht individualistischen Gesellschaft.66 2. Das zweite Lager war die Stoeckersche Konferenz mit der Bildung der konservativen Christlich-Sozialen Partei. Diese positive Theologie bezog sich auf Gemein-schaft und Kirche. Das Ziel des evangelischen Arbeitervereins war die Führung des Volkslebens, eine Sozialpolitik mit einer friedlichen Interessen-vertretung. In der Kirche waren sozial-engagierte Pfarrer mehr auf den Wegen Stoeckers, die Liberalen mehr auf den Wegen Naumanns.67 Die geschicht-lichen Gründe liegen in den 40er Jahren, in der liberalen Gesellschaft mit ihrer Religion, bzw. Theologie, ebenso in der konservativ-agrarischen Gesellschaft und in der Verbindung des Staates durch die Kirche. »Auch wenn die Kirche Stoecker gefolgt wäre oder Naumann oder allen beiden – an dem Bruch zwischen Kirche und Arbeiterschaft hätte das nichts geändert«.68

1.3 Säkularer Glaube in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts Randgebiete der Religion wurden von Thomas Dilthey als Quasi-Religionen bezeich-net. Im Punkt der Sünde wurde die Schwächung des Jenseits der Wert des Diesseits in der Predigt hervorgehoben. Zwei wichtige Pfeiler bildeten sich heraus: Arbeit und Familie. Hier wurden die Mittel zum Zweck, das Arbeiten zum Selbstzweck und die Heirat zur Kultur. »Diese bürgerliche Disposition breitet sich weit aus in der Arbeiterschaft und ins Bauerntum hinein«.69 Hinzu kam noch der politische Glaube, und die Nation wurde sakralisiert, das heißt, »die ausgebreitete Symbolik der Nation, die Feste und Denkmäler, die Formen des nationalen Kultes, das sind andere Hinweise auf den quasi-religiösen Charakter. Darin befestigten sich Loyalität wie Abgrenzung«. Die andere säkulare Richtung war die der Revolution der Sozialdemokratie.70 Die alte Welt brach zusammen, und die neue kümmerte sich um den Zukunftsstaat. »Darum auch hatten die Konflikte um Endziel und Wege den Charakter und die moralische Qualität von Glaubenskämpfen«.71 Der Arbeits- und Familienreligion folgte die politische Nationsreligion, danach die Bildungs- und Kunstreligion. Die Bildungsreligion des deutschen Idealismus existierte in ihrer Überlieferung. Jacob Burckardt war einer ihrer Vertreter. »Der Schmerz über den Verlust des Ganzen dieser Bildung und ihre Relativierung, wie sie in der Kulturkritik hervortreten, verraten gleichsam in der Umkehrung den quasi-religiösen Charakter dieses Bildungs-

64 Ebd., S. 115. 65 Ebd., S. 115. 66 Ebd., S. 115. 67 Ebd., S. 117. 68 Ebd., S. 118. 69 Ebd., S. 137. 70 Ebd., S. 139. 71 Ebd., S. 140.

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glaubens«.72 Kunst sei auf das Volk bezogen selbst Religion, und Künstler seien es, die die letzten Fragen des Lebens deuten, Ziel und Sinn sagen, so war die Publikumserwartung.73 Künstler, die sich noch nach 1900 gegen die rationale Kultur wehrten, sahen ihre Kunst als Religion an. »Kunst rückt in der Interpretation des Lebenssinnes mit dem Verblassen der Religion weit nach vorn und wird insoweit ein Stück Religion«.74 Der Begriff >Religion< umfasste auch säkulare Transzendenzen und Quasi-Religionen, weiter philosophische und wissenschaftliche Rationalisten. Im Zeichen von Friedrich Wilhelm Nietzsche oder des Ästhetizismus formierte sich ein neues Interesse an Religion und an einer neuen säkularen Religiosität. Der Agnostizismus und die verschiedenen Formen des säkularen Glaubens mussten noch mit einbezogen werden.75 Es hat unterschiedliche Verbindungen von Religion gegeben, nämlich eine Wandlung des Christen-tums in eine ‚nicht dogmatische Geistreligion’.76 Wilhelm Bölsche polarisierte den Monismus und benutzte ihn mit Weltfrömmig-keit. Rudolf Steiner gehörte in diese Riege. Aus der Theosophie kommend, hat er sich der Eurythmie verschrieben.77 Eugen Diederichs, Paul de Lagarde und andere stemmten sich gegen die Mechanisierung und Rationalisierung der Arbeit, gegen die Kirchen und gegen das Christentum.78 Die Nation war der Mittelpunkt, und sie stand gegen die Juden. »Diese zukünftige Nation bedarf der Religion. Dazu gehört Lagerdes antipaulinisches Jesusbild: Jesus war die Inkarnation von Energie, Selbstvergewisserung«, das Gegenbild zur Aussage bei Paulus.79 Lagerdes Gedanken wurden an Julius Langbehn weitergegeben: mit >kulturpessimistischer Zivilisationskritik< und Erneuerung einer >innerli-chen Frömmigkeit< aus dem deutschen Volkstum, politisch rechts stehend und oppositionell.80 »Die germanische Rasse sollte gegen die orientalisch und modern-semitische wie gegen die katholische Kultur eine neue germanisch-protestantische Kultur schaffen: Jesus, Luther, Kant, Goethe und Wagner«.81 Die Summe dieser religiösen Richtungen wurde mit >natürlicher Religion< bezeichnet.82 Um die Jahrhundertwende wurde die Religion neu als Phäno-men und Gegenstand der Reflexion entdeckt.83 Der Philosoph Georg Simmel hat die Religion als säkulares Phänomen analysiert. Max Weber leitete aus der Religion und ihren Gesetzen das praktische Leben ab und hat damit die Religion besser verstanden.84 »Religiöse und wissenschaftliche wie technisch- 72 Ebd., S. 140. 73 Ebd., S. 141. 74 Ebd., S. 142. 75 Ebd., S. 144. 76 Ebd., S. 144. 77 Ebd., S. 145. 78 Ebd., S. 146. 79 Ebd., S. 147. 80 Ebd., S. 147. 81 Ebd., S. 147. 82 Ebd., S. 148. 83 Ebd., S. 148. 84 Ebd., S. 148.

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praktische Welterfahrung brachen auseinander, in diesem Bruch etablierten sich andere Lebens- und Weltdeutungen«.85 Die Literatur war eigentlich ein Zeichen der Opposition gegen die überlieferten Ordnungen der Religion. Ihre Kritik zielte auf Religion und Ethos. Daraus entstand der Nihilismus. Zu Beginn des Jahrhunderts entwickelte die Religion selbst religiöse Ansprüche. Zum Beispiel Rainer Maria Rilke, der mit seinem Ästhetizismus eine religiöse Phase einleitete. »Nach 1900 gewinnt sehr viel Literatur eine religiöse Dimension, wie Nietzsche. Diese Literatur wollte die säkulare Welt sakralisieren«.86 Die Rollen der Katholiken und die der Prote-stanten waren unterschiedlich. »Die Protestanten waren die Unruhigen und die Reflektierer, anfällig für Modernität, für den Zeitgeist und seine Trends, reserviert gegen die Kirche, sie waren stärker den Krisen und Verlusten der Modernität ausgesetzt, waren mit der lutherischen Bindung des Gewissens aus Wissen zuerst für die wissenschaftliche Religionskritik und dann an Nietzsche empfänglich nach säkularen Überzeugungen«.87 Um die Jahrhundertwende gab es in Deutschland drei religiöse Gruppen: Katholiken, vertreten durch das Zentrum, Protestanten, durch Liberale und Sozialdemokraten. Protestanten und Katholiken zeigten sich in ihren gegen-sätzlichen Auffassungen, und in dem Gegensatz zwischen Christen und Nichtchristen oder Nicht-mehr-Christen. »Weil man protestantisch geboren war, blieb man antikatholisch und weil man antikatholisch war, fühlte man sich protestantisch«.88 Thomas Dilthey fasste die Wandlung der Religionsentwick-lung in Deutschland folgendermaßen zusammen: »Die großen Umbrüche der Religion wie der säkularen Welt standen in Wechselwirkung, über das Wollen und Wissen der Menschen hinaus«.89 1.4 Theologische und kirchenmusikalische Diskussion in der Katholischen und Protestantischen Kirche im 19. Jahrhundert Durch ihre Tradition steht und stand die Messenkomposition in der katholischen Kirche im Mittelpunkt. Der Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert brachte der Kirchenmusik eine Reduktion der Liturgie und eine folgende Restauration.90 Dabei muss der Blick auf beide großen Kirchen gerichtet werden: »In der katholischen Kirche gehörte die Musik als ein substantieller Bestandteil zur Liturgie, und diese strenge Liturgiebindung hatte bewirkt, dass an ihrer Stellung und Bedeutung nie grundsätzlich gezweifelt wurde. Die evangelische Kirche hatte dagegen der Musikpflege im Gottesdienst lediglich akzessorischen Charakter beigemessen«.91 85 Ebd., S. 149. 86 Ebd., S. 151. 87 Ebd., S. 153. 88 Ebd., S. 155. 89 Ebd., S. 157. 90 Karl Gustav Fellerer: Kirchenmusikalische Reformbestrebungen im 19. Jahrhundert. In: Studien zur Musik des 19. Jahrhunderts. Bd. 2. Regensburg 1985, S. 97ff. 91 Ulrich Konrad: Der Beitrag evangelischer Komponisten zur Messenkomposition im 19. Jahrhundert. In: KmJb71 (1987), S. 70. Vgl. G.L.P. Sievers: Ueber das Wesen der Kirchenmusik und die Verschiedenheit ihrer Bedeutung in der katholischen und in der protestantischen Kirche.

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Evangelische Komponisten schrieben im 19. Jahrhundert vollständige Messen, das heißt Ordinarien. Daneben blieb die Missa brevis bestehen. Was hat evangelische Kirchenmusiker dazu gebracht, Messen zu verfassen? Die Antwort liegt in der allgemeinen und speziellen Geistesgeschichte der Gattung Messe: einmal in der Haltung der Theologie auf katholischer und evangelischer Seite, zum anderen in der Literatur- und Kunstgeschichte.92 Differierende Formen -wie die sinfonische Messe und die A-cappella-Messe- bilden sich mit neuen Stilmitteln heraus.93 Wie war der Zeitgeist, der kulturhistorische Aspekt, was war für Felix Draeseke im 19. Jahrhundert bedeutsam? Wo liegen seine Quellen? Erst durch die Beantwortung dieser Fragen kann ein Überblick geschaffen werden, das 19. Jahrhundert mit seinen religionspolitischen Widersprüchen zu charakterisieren und zu verstehen. Inwieweit ist der musikalische Vokalstil für Felix Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen von Bedeutung für den Komponisten? Welche Auseinandersetzungen und Auswir-kungen hatte sein Kompositionsstil auf Messen- und Requiem-Entwicklungen genommen? Wo liegen seine besonderen Schwerpunkte in der Messen- und Requiem-Vertonungen? Welchen stilistischen Einflüssen ist Draeseke gefolgt, und welchen hat er Widerstand entgegengebracht? Weiterführende Forschungen zeigen bei Beethoven und Liszt nicht nur eine Methodik für den Gebrauch von rhetorischen Mitteln. Warren Kirkendale befasst sich mit Beethoven und der rhetorischen Tradition: »Der Topos spiegelt die uralte Vorstellung von Gott als dem, der apatheia besitzt, frei von allen Leidenschaften und als Urgrund des Seins unbeweglich ist – wie sie aus der Stoa über die griechischen Väter in die abendländische Theologie eingegangen war«.94 Beethoven ist ein musikalisches Vorbild für die Neudeutsche Schule. »Da Liszt auch die Verherrlichung des einen Gottes in der Gloria-Fuge betont, muss der Gedanke der Einheit und Geschlos-senheit, so wie er in der Liturgie ausgesprochen wird, als besonderes Anliegen des Komponisten gelten. Er steht damit im Einklang zu starken kirchlichen Bestrebungen des 19. Jahrhunderts«.95 Zu dieser Arbeit gibt es zwei Thesen: A. Felix Draeseke ist ein stilistischer Vermittler, und er steht der Verfremdung von Harmonie offen gegenüber. B. An besonders aussagekräftigen Textstellen der Messen und der Requiem-

In: Caecilia 10 (1829). Heft 37, S. 8: »Die Kirchenmusik der Katholiken hat mit der der Protestanten gar nichts gemein, denn beide sind, ihrer Anwendung nach, durchaus voneinander unterschieden. In der katholischen Kirche macht die Musik, der Gesang, einen integrirenden Teil des Gottes- dienstes aus, der protestantischen dient er blos zum accessorischen Aushülfsmittel zur Erbauung der Gemeinde«. 92 Heinrich Heine plädierte für die >Wiedererweckung des Mittelalters<, die sich in der Kunst, Musik und Architektur wieder findet. In: Ulrich Konrad: Der Beitrag evangelischer Komponisten zur Messenkomposition im 19. Jahrhundert. In: KmJb 71 (1987), S. 72. 93 Hans Joachim Moser: Die evangelische Kirchenmusik in Deutschland. Berlin. Darmstadt 1953, S. 204. Vgl. Christiane Bernsdorff-Engelbrecht: Geschichte der evangelischen Kirchenmusik. 2 Bde. Bd. 2. Wilhelmshaven 1980, S. 263. 94 Warren Kirkendale: Beethovens Missa Solemnis und die rhetorische Tradition. In: Beethoven- Symposion. Wien 1970. (Veröffentlichung der Kommission für Musikforschung). Heft 12. Wien 1971, S. 124. 95 Helmut Loos: Franz Liszts Graner Festmesse. In: KmJb 67 (1983), S. 59.

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Vertonungen Draesekes werden text- und musik-immanente Interpretationen verstärkt sicht- und hörbar.

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Felix Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen Ihre Stellung in der Gattungsgeschichte des 19. Jahrhunderts Untersuchung zum Vokalstil 2. Stand der Forschung: Messe und Requiem in der Literatur über Felix Draeseke Zu >Messe< und >Requiem< existieren im 19. Jahrhundert bestimmte religiöse Haltungen. Neben den unterschiedlichen Formen und Inhalten liegt der Schwerpunkt auf dem Ritus und der Tradition. Messen sind insgesamt sehr früh in der Musikgeschichte komponiert worden, wobei sie eine größere Tradition als Requiem-Vertonungen aufweisen. Unter den zahlreichen Messen-Kompositionen des 19. Jahrhunderts befinden sich auch die von Felix Draeseke: Zwei sinfonische und zwei a-cappella -gestaltete Messen stehen sich in ihren Kompositionsstilen gegenüber. Die musikalischen Auffassungen Draesekes zeigten sich früh in der Sinfonie und gegen Ende seines Lebens auch im Palestrinastil. Messe und Requiem-Vertonung spiegelten sich im Stand der Forschung durch Kategorien von Tradition und Gegenwart im sinfonisch-gestalteten und A-cappella-Stil wider. In der Sekundär-literatur zu Felix Draeseke handelt es sich vorwiegend um Ausführungen geistlicher Musik. Unterschiedliche Musik-Begriffe prägen das Zeitbild. Verbunden mit den politisch-sozialen Strömungen der Zeit, der katholischen wie protestantischen Kirchenmusik, steht neben der Analyse von Messe und Requiem auch die religiöse Haltung des Komponisten. Begriffe wie Kirchenmusik, geistliche Musik und Kunstreligion besitzen für das 19. Jahrhundert Schlüsselfunktionen, sie verweisen auf die Spannung zwischen drei ganz unterschiedlichen Bereichen.1 Das Bestreben, reiner Instrumentalmusik höchsten Rang zuzuschreiben, sie als »neue Kirchenmusik« zu werten, spricht deutlich aus E. T. A. Hoffmanns Ausführungen über alte und neue Kirchenmusik (1814).2 Umgekehrt lässt sich eine klare Tendenz erkennen, große kirchen-musikalische Werke, insbesondere Festmessen, zu absoluter Musik zu erklären und so von ihrer liturgischen Bindung zu befreien. Beethovens Missa Solemnis ist dafür ein prominentes Beispiel, der Streit um ihre richtige Deutung reicht bis in die Gegenwart.3 Beethoven vermittelt eine Ausprägung emphatischer Kunstmusik, die sich von der christlichen Tradition nicht abwandte.4 Für die liturgisch ungebundene Musik ist die Verbindung problematisch. Die Messe als Gattung bleibt davon unberührt. Allerdings wird sie insgesamt im Sprachgebrauch romantischer Musik- 1 Friedhelm Krummacher: Kunstreligion und religiöse Musik. Zur ästhetischen Problematik geistlicher Musik im 19. Jahrhundert. In: Die Musikforschung 32 (1979), S. 365-393. 2 E. T. A. Hoffmann: Alte und neue Kirchenmusik (1814). In: E. T. A. Hoffmann: Schriften zur Musik. Hrsg. von F. Schnapp. Darmstadt. München 1963, S. 212. 3 Helmut Loos: Zur Rezeption der Missa Solemnis von Ludwig van Beethoven. In: KmJb 82. Jg. (1998), S. 71. Vgl. Gerhard Poppe: Festhochamt, sinfonische Messe oder überkonfessionelles Glaubensbekenntnis? Studien zur Rezeption von Beethovens Missa Solemnis. Beeskow 2007, S. 224. 4 Helmut Loos: Der Komponist als Gott musikalischer Kunstreligion. Die Sakralisierung der Tonkunst. In: Musik im Raum der Kirche. Fragen und Perspektiven. Ein ökumenisches Handbuch zur Kirchenmusik. Hrsg. von Winfried Bönig u. a., Stuttgart und Ostfildern 2007, S. 98-138.

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anschauung mit dem Ideal der absoluten Musik zu Gebrauchsmusik erklärt, die niemals Kunstcharakter beanspruchen könne. Die Problematik dieser Definitionen war Zeitgenossen durchaus bewusst. Ferdinand Hand suchte in seiner >Ästhetik der Tonkunst< (1837-41) einen Ausgleich zu schaffen, den Ulrich Konrad kritisch hinter-fragte: »Die begriffliche Unschärfe seiner [Hands] Argumentation unterscheidet nicht klar zwischen kirchlicher, religiöser und geistlicher Musik, grenzt aber erkennbar einerseits die Bereiche kirchlicher und weltlicher Musik, andererseits grundsätzlich Kunst und Religion voneinander ab».5 Neben der emphatischen Kunstmusik des Konzertsaals existierte der Bereich der Kirchenmusik im 19. Jahrhundert in reprä-sentativer Form weiter. Katholische und evangelische Kirchenmusik befanden sich dabei in getrennten Sphären. Die lateinische Messe bildete selbstverständlich das Zentrum und die wichtigste Form katholischer Kirchenmusik. In der umfangreich angelegten >Geschichte der katholischen Kirchenmusik< von Gustav Fellerer tauchte Draeseke nicht auf.6 Als evangelischer Messenkomponist fand der Komponist keine Bewertung. 1951 beschrieb Fellerer, die musikalische Messe träte im 19. Jahrhundert selbstherrlich vor die liturgische Handlung und bescheinige der Wiener Klassik, dass die Kunst selbst zum Gottesdienst würde, auch wenn sie für kirchliche Feiern geschaffen wurde.7 Weiter übte Fellerer Kritik an Beethovens Missa Solemnis, sie sprenge den zeitlichen Rahmen der Messe, und das Werk sei »zum Bekenntnis seiner [Beethovens] Religiosität« geworden. Alle Grenzen liturgischer Ordnung seien zugunsten subjektiver Ausdrucksdeutung des Textes überschritten.8 Dazu stünden Haydn und Mozart im Gegensatz. Diese »haben in ihren Messen den Übergang von der Kantatenmesse mit der Aufgliederung in selbstständige, musikalisch in sich geschlossene Sätze zur einheitlichen sinfonischen Messe gewonnen«.9 Fellerer bezog sich auf Mozarts c-Moll-Messe und das d-Moll-Requiem. In der Mitte des 18. Jahrhunderts vermischten sich Missa brevis und Missa solemnis, in der solistische, ariose Sologesänge einen breiten Raum einnahmen.10 Karl Gustav Fellerer beschrieb den Cäcilianismus der zweiten Hälfte des Jahrhun-derts durch die Wiederholung der Polyphonie. Sie sei »nicht die Folge liturgischer Vorschriften, sondern« [läge] »in der Geistesrichtung der Romantik«.11 Denn

Restauration und Historismus bildeten für ihn »eine wesentliche Grundlage der Kirchenmusik im 19. Jahrhundert«.12 Fellerer unterteilte die liturgische Musik in >Musik des Gottesdienstes<, >Musik im Gottesdienst< und >Musik zum Gottes-dienst<. Mit dieser Unterscheidung stellte er die Liturgik rangweise vor die Musik. Für ihn war das die >richtige Kirchenmusik<. Sein Blick galt für das 20. Jahrhundert.13

5 Ulrich Konrad: Der Beitrag evangelischer Komponisten zur Messenkomposition im 19. Jahrhundert. In: KmJb 71 (1987), S. 86. 6 Karl Gustav Fellerer: Die Messe. Ihre Gestalt vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Dortmund 1951. 7 Ebd., S. 15. 8 Ebd., S. 17. 9 Ebd., S. 17. 10 Ebd., S. 163. 11 Karl Gustav Fellerer: Grundzüge der Geschichte der katholischen Kirchenmusik. Paderborn 1929, S. 87. 12 Karl Gustav Fellerer (Hrsg.): Geschichte der katholischen Kirchenmusik. Vom Tridentinum bis zur Gegenwart. London u. a. 1976, S. 218. 13 Oskar Söhngen: Theologie der Musik. Kassel 1967, S. 173.

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Auch andere religiöse Strömungen spiegelten sich im 19. Jahrhundert, die einen politischen und kirchlichen Sonderweg gingen, aber nebeneinander existierten. »Kult und Ritus rangieren vor der Rede; Lebensorientierung und Lebenshalt, die die Kirche gewährt, sind vor allem symbolisch, in den Formen und Beschwörungen des Ritus präsent«.14 Gemeint ist die Haltung der katholischen Kirche, die die Moderne strikt ablehnte. »Modernität, das war die Gefahr des Liberalismus, des Rationalismus, des Sozialismus, war Gefahr vor allem der Entkirchlichung und Entsittlichung«.15 Thomas Nipperdey beschrieb die katholische Kirche im 19. Jahrhundert als »nach außen abgegrenzt, mit einer Fülle integrativer Symbole von Institutionen«.16 Nach dem Liberalismus gelangte der Sozialismus, der auch gegen die Kirche stand, in den Vordergrund. Er wurde gezwungen, sich eher der konstitutionellen als der parlamen-tarisch-demokratischen Linie anzuschließen.17 In der evangelischen Kirche war die Lage eine andere. Auf der einen Seite gab es lutherische und unierte Richtungen, ebenso Auseinandersetzungen innerhalb dieser religiösen Gruppierungen. Andererseits war der Protestantismus pluralisiert angelegt, obwohl er in dem Gebiet nur als »einzige Kirche dieser Konfession« galt.18 Die Hauptintentionen des 19. Jahrhunderts sah Thomas Nipperdey in der Geschichte, der Erfahrung und der Tatsache. In der Auseinandersetzung mit der Moderne spiegelte sich das konservative Denken wider. »Ein wirkliches Gefühl für die Krise der modernen Welt haben weder Alt- noch die Neukonservativen entwickelt, aber auch bei den Liberalen konnte man das nur« bedingt feststellen.19 In die Geschichte der katholischen Kirchenmusik haben Draesekes Messen wenig Eingang gefunden, sie wurden weitgehend einer anderen Sphäre zugehörig empfunden. Nur Alfred Schnerich beschrieb Felix Draesekes Schaffen in kurzer Form und betonte dabei die Zugehörigkeit zum Protestantismus, und zwar zu den Repräsentanten der Reaktion. In diese Gruppe seien einzureihen Albert Becker (1834-1899), dessen Messe in b-Moll sehr gerühmt werde, sowie Felix Draeseke (geb. 1835), beide Protestanten.20 Draesekes Werk als solches wurde nicht berück-sichtigt.21 Im Handbuch zur evangelischen Kirchenmusik beklagte Friedrich Blume, die Musiker im 19. Jahrhundert hätten eine »abgewandte Haltung gegenüber der Kirche« eingenommen. Er nannte Johann Christian Friedrich Schneider, Louis Spohr, Franz Ries, Carl Loewe, Sigmund Romberg, Albert Becker, Bernhard Joseph Klein, Moritz Hauptmann, Hans Richter, Friedrich Kiel, Leopold Heinrich von Herzogenberg, sowie Felix Draeseke und meinte, sie hätten »mit Kirchenmusik nicht mehr als den Stoff

14 Thomas Nipperdey: Religion im Umbruch. Deutschland 1870 – 1918. München 1988, S. 18. 15 Ebd., S. 20. 16 Ebd., S. 38. 17 Ebd., S. 45. 18 Thomas Nipperdey: Religion im Umbruch. Deutschland 1870-1918. München 1988, S. 67. 19 Ebd., S. 76. 20 Alfred Schnerich: Messe und Requiem seit Mozart. Wien. Leipzig 1909, S. 107. Schnerich beschreibt Kretzschmar als musikalischen Gegenpol zu Witt, den Cäcilianer. Daher ist die Zurückhaltung Kretzschmars gegenüber Draeseke nicht zu verstehen. 21 Alfred Schnerich: Messe und Requiem seit Mozart. Wien. Leipzig 1909.

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ihrer Texte gemein«. Blumes Kritik wies auf die Vernachlässigung des Kirchenver-ständnisses zu Gunsten des Epischen, Dramatischen und Lyrischen hin.22 In der 2. Auflage des Handbuchs von Friedrich Blume zeichnete Georg Feder für das Kapitel verantwortlich, das sich auch mit Felix Draeseke befasste. Feder bezeichnete in >Verfall und Restauration< Draesekes h-Moll-Requiem als »etwas spröden Charakter«. Die Ideen vom Wesen wahrer Kirchenmusik würden bei Draeseke nicht erfüllt. Dieser habe wie andere protestantische Komponisten im 19. Jahrhundert Konzertmessen mit den fünf Ordinarien geschrieben.23 Draeseke führe zum Ursprungstext im Offertorium des h-Moll-Requiems einen protestantischen Choral-cantus-firmus ein. Das Requiem sei aber für Feder im Allgemeinen »frei vom protestantischen Choral und dogmatisch indifferent«, es spräche die allgemeinsten Gedanken des Totenfestes aus: ein erhabenes Kunstwerk im Ausstrahlungsbereich des Christentums, aber es ist keine Kirchenmusik.24 Bei Feder stand der ursprüng-lich alte Kirchenstil im Mittelpunkt. Deutliche Unterschiede kennzeichneten die Haltung Feders gegenüber Blume. Eingehender berücksichtigte Hans Joachim Moser in seinem Werk >Die evangelische Kirchenmusik in Deutschland< den Komponisten Felix Draeseke. Dabei hob er Draesekes Formverständnis hervor, zum Beispiel »die Form des Ghasels […] mit rondoartigem Liedumfang, oder in den lyrischen Stücken op. 21 […] die Formenwelt […] Schumanns«.25 Einen Schwerpunkt legte Moser auf den Kontra-punktiker und wies Draesekes Kanons op. 37 und 42 zu Bachs dreistimmigen Inventionen.26 Weiter stellte er den Rhythmiker Draeseke heraus und »einen der bedeutendsten Sinfoniker neben Brahms«.27 Hans Joachim Moser setzte Draesekes Kirchenmusik in den Mittelpunkt, besonders das h-Moll-Reqiem op. 22 und die fis-Moll-Messe op. 60. »Die große, Kretzschmar zugeeignete fis-Moll-Messe op. 60 zeigt den Fugenmeister voll entwickelt und hält einen würdigen Mittelweg zwischen Liszts Dramatik und Brahmsscher Gediegenheit ein«.28 Die 1910 entstandene A-cappella-Messe op. 85 brachte in Bezug auf die Behandlung von Septimenklängen Einflüsse »Schubert-scher Sanftmut« heraus.29 Das stilistische Gegenteil zeigte sich in Draesekes >Christus<. »Als Krönung seines Schaffens ist der vierteilige Oratorienkoloss Christus zu betrachten, dessen Gesamtaufführung 1912 durch den Kittelschen Chor in Berlin und Dresden ihm den Ehrendoktor der größten deutschen Universität eintrug«.30 Bezugnehmend auf die Messen zeigte Moser den damaligen hohen Stellenwert Draesekes an. In der >Geschichte der evangelischen Kirchenmusik< von Christiane Bernsdorff-Engelbrecht verglich die Verfasserin 1990 Draesekes h-Moll-Requiem mit Rossini-, 22 Friedrich Blume: Die evangelische Kirchenmusik in Deutschland (Handbuch zur Musikwissen- wissenschaft). Bd. 10. Potsdam 1931, S. 160. 23 Georg Feder: Verfall und Restauration. In: Geschichte der evangelischen Kirchenmusik. 2. Aufl. Hrsg. von Friedrich Blume unter Mitarbeit von Ludwig Finscher, Georg Feder, Adam Adrio und Walter Blankenburg. Kassel. Basel. Paris. London. New York 1965, S. 244. 24 Ebd., S. 244. 25 Hans Joachim Moser: Die evangelische Kirchenmusik in Deutschland. Berlin. Darmstadt 1953, S. 208. 26 Ebd., S. 208. 27 Ebd., S. 208. 28 Ebd., S. 209. 29 Ebd., S. 209. 30 Ebd., S. 209.

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Verdi-, Berlioz- und Bruckner-Vertonungen. Ihr Urteil fiel für Felix Draeseke wegen der fehlenden >glanzvollen Ausdrucksweise< ungünstig aus. »Auch Felix Draeseke arbeitete in sein Requiem op. 22 […] einen Choral ein: Jesus, meine Zuversicht. Alle diese Werke [vieler evangelischer Komponisten] stehen freilich im Schatten der glanzvollen festlichen Werke katholischer Meister: Rossini, Verdi, Berlioz, Bruckner«.31 Bernsdorff-Engelbrecht berief sich auf Blume, der den Begriff Romantik als >geistige Haltung< auffasste. Romantik sei kein definierbarer Stil, sondern eine Geisteshaltung, die sich auf allen Gebieten des menschlichen Daseins ausdrücke und infolgedessen in allen Bereichen sinnlicher Wahrnehmung ihren Niederschlag fände.32 Die evangelisch-ausgerichtete Messenliteratur im 19. Jahrhundert ergab sich aus der Besonderheit der Existenz evangelischer Komponisten. Ulrich Konrad hat diese Werke einer Untersuchung unterzogen, charakterisierte das Phänomen und traf eine zentrale Aussage: »Stimmte die offensichtliche historische Erfahrung, dass die musikalische Messe dem katholischen Kultus angehöre, dann muss das Interesse evangelischer Komponisten an der Liturgie der Schwesternkonfession verwirren«.33

Zu jener Zeit trat in der katholischen Kirche eine Änderung ein. Konrad wies auf die katholische Reformbewegung mit ihrem Rückgriff auf die Ursprünge der Messe und auf die restaurativen Ambitionen der evangelischen Kirche. »Das geistige Vorfeld der evangelischen Restauration lag in der Gedanken- und Vorstellungswelt der frühen Romantik«.34 Ulrich Konrads zentrale Aussage hat immer auch die gegenseitigen Anregungen der verschiedenen Richtungen im Blick gehabt, die historisch berücksichtigt werden mussten. Für den Katholizismus sprach die Begeisterung für das Mittelalter und die Symbolsprache. Evangelische Komponisten des 19. Jahrhunderts haben sich die Verbindung zwischen literarischer Frühromantik und kirchenmusikalischer Restaura-tion zu Eigen gemacht. Die liturgisch-bestimmte Musik gehörte ursprünglich in die katholische Kirche selbst, der säkulare Aufführungsort befasste sich aber mit der Kirchenmusik beider Konfessionen. Die Tradition schuf eine anscheinend >überkonfessionelle Aussage< der Messe.35 Zwei liturgiegeschichtliche Bereiche traten hervor: eine allgemein musikalische Entwicklung und eine Entwicklung des evangelischen Gottesdienstes. Beide Konfessionen bedienten sich der vorgege-benen musikalischen Literatur. Katholische wie evangelische Komponisten lieferten sich gegenseitig gottesdienstliche Musik. Welche Messentexte wurden in ihrer Ursprünglichkeit von Felix Draeseke belassen? Arbeiteten Komponisten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konfessionsübergreifend? Felix Draeseke war einer der Komponisten, der einen katholischen Messetext in seinem Sinn >verfremdete< (h-Moll-Requiem). Im Offertorium desselben Werkes ließ er einen evangelischen Choral mit verlängerten Notenwerten erklingen. Draeseke sah in der

31 Christiane Bernsdorff-Engelbrecht: Geschichte der evangelischen Kirchenmusik. Einführung. Wilhelmshaven 1990, S. 264. 32 Ebd., S. 232. Vgl. Friedrich Blume: Art. Romantik. In: MGG, Bd. 11. Kassel. Basel. London. Paris. New York. München 1989, Sp. 785. 33 Ulrich Konrad: Der Beitrag evangelischer Komponisten zur Messenkomposition im 19. Jahrhundert. In: KmJb 71 (1987), S. 69. 34 Ebd., S. 71. Vgl. Walter Wiora: Die Musik im Weltbild der deutschen Romantik. In: Beiträge zur Geschichte der Musikanschauung im 19. Jahrhundert. Hrsg. von W. Salmen. Regensburg 1965. Studien zur Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts 1, S. 11ff. 35 Ulrich Konrad: Der Beitrag evangelischer Komponisten zur Messenkomposition im 19. Jahrhundert. In: KmJb 71 (1987), S. 91.

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Komposition eine geschlossene, künstlerische Form. Oder aber plädierte er in einzelnen Bereichen wie hier für eine musikalisch-liturgische Freiheit? Im Deutschland des 19. Jahrhunderts zeichneten sich verschiedene landeskirchliche Bestimmungen und gesamtkirchliche Auseinandersetzungen, auf dem Boden großer politischer und damit verbunden geistiger Veränderungen, ab. Ulrich Konrad ordnete Draeseke in einen stilistischen Zusammenhang mit anderen evangelischen Komponisten ein. Preußen kämpfte um die Souveränität und um die Rechtsgebundenheit der Herrschaft.36 Durch politische und Religions-Auswirkungen des >Gottesgnadentums< wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts katholische und evangelische Kirchenmusik streng auseinander gehalten. Das Handbuch zur musikalischen Gattungsgeschichte katholischer und evangelischer Kirchenmusik von Leuchtmann / Mauser trennt diese Bereiche nicht mehr. >Die Messe im 19. Jahrhundert< von Birgit Lodes weist Felix Draeseke einen historischen Platz zu: Es schrieben protestantische Komponisten auch groß besetzte Messen nicht mehr [nur] für den Gottesdienst, sondern für eine Aufführung im Konzertsaal.37 Durch die Anwendung eines Chorals im h-Moll-Requiem Draesekes bekäme das Requiem eine protestantische Prägung, so die Verfasserin. Besonders stellt sie die fis-Moll-Messe als Messe im Konzert und die besondere Stellung der A-cappella-Messen heraus. »A-cappella-Messen waren -im Unterschied zu symphonischen- schon in der ersten Jahrhunderthälfte für den Konzertsaal komponiert worden«.38 Hier sah Lodes im Vergleich zur katholischen und evangelischen Sichtweise der Messe neben der praktischen Kirchenmusik eine übergreifend-künstlerische Haltung: »Außerliturgische geistliche Kunst übernahm im Konzertsaal gleichsam Kirchenaufgaben: liturgische Musik wurde hingegen eher als Gebrauchsmusik angesehen und in ihrer künstlerischen Entfaltung begrenzt«.39 In einem abwertenden Sinn befasste sich Philipp Spitta mit dem Requiem h-Moll von Felix Draeseke 1892. Seine Meinung über den eingesetzten Choral-cantus-firmus im Offertorium war für ihn eine Nachahmung Johann Sebastian Bachs: Wenn zwei dasselbe tun, ist es noch längst nicht dasselbe.40 Daneben erkannte Draeseke »nicht die Befreiung in jener liturgischen Bewegung, die durch Philipp Spitta, Julius Smend und Arnold Mendelssohn für den kirchenmusikalischen Impuls das Werk von Heinrich Schütz und seinen Zeitgenossen aufnahm«.41 Jüngere Komponisten wie Richard Strauß und Max Reger werteten Draesekes Kompositionsstil sehr kritisch. In der >Konfusion der Musik< von 1906 entfachte Felix

36 Hugo Staudinger: Das Wilhelminische Deutschland in der Spannung zwischen Gottesgnadentum und wissenschaftlich-technischer Weltauffassung. In: Religion und Zeitgeist im 19. Jahrhundert. Studien zur Geistesgeschichte. Hrsg. von Julius H. Schoeps. Stuttgart / Bonn 1982, S. 118. 37 Birgit Lodes: Das 19. Jahrhundert. Die Messe im 19. Jahrhundert. In: Messe und Motette. Hrsg. von Horst Leuchtmann / Siegfried Mauser. Bd. 9. München 1998, S. 281. 38 Ebd., S. 281. 39 Ebd., S. 274. 40 Philipp Spitta: Musikalische Seelenmessen. In: Zur Musik. Sechzehn Aufsätze. Berlin 1892, S. 439. Vgl. Kap. 3, S. 31. >Soll der Gottesdienst wieder werden, was er einst war und seiner Idee nach sein müsse, ein religiöses Kunstwerk höchster Art, so darf man die Grundform der Messe nicht aufgeben. Dies war auch Luthers Ansicht, als er für die fünf Hauptstücke der lateinischen Messe entsprechende deutsche wieder bezeichnete<. Ebd., S. 56. 41 Friedbert Streller: Fugen, Kanons und strenger Satz. Die A-cappella-Werke Felix Draesekes. In. Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 289.

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Draeseke einen anhaltenden Streit der ganz neuen Musik, die sich >vom alten Zopf< absolut trennen wollte. Draeseke »versucht[e] etwas noch nicht Dagewesenes: die Schilderung der Gesamtlage der Musik«.42 1908 äußerte sich Hugo Riemann zustimmend zu Felix Draesekes Mahnruf >Über die Konfusion in der Musik<: »Nicht nur um ihres Eigenwertes willen müssen die

Werke der Vergangenheit, sondern zur Gesundung unseres dekadenten und degenerierten Schaffens, und auch zur Regeneration unseres gesamten musika-lischen Empfindens; also auch zur Wiedererziehung der nicht selbstschöpferischen, sondern reproduzierenden und genießenden Elemente der musikalischen Welt ist dieses Schöpfen aus dem Jungbrunnen der wahren, ernsten Musik aller Zeiten unerlässlich«.43 Arnold Schering beschäftigte sich mit Felix Draeseke 1911 in der >Geschichte des Oratoriums<, indem er die Dramatik und die Musik der Sinfonie besonders hervorhob.44 Hermann Kretzschmar hielt in seinem >Führer durch den Konzertsaal< für Felix Draeseke einen kirchenmusikalischen Platz bereit.45 Er berichtete über das h-Moll-Requiem op. 22 und die fis-Moll-Messe op. 60. Unter dem Kapitel >Gesangswerke< schrieb Paul Bekker 1912 über Beethovens zwei Messen, die er als »Pole der Beethovenschen Glaubenswelt überhaupt« bezeichnete.46 Bekker hob besonders die Missa Solemnis hervor. Das religiöse Bekenntnis Beethovens verstehe er […] nicht als konfessionell gebunden, sondern als weit darüber hinausragend.47 Draeseke sähe in Beethovens dritter Schaffens-periode und speziell dieser musikalischen Seite des Werks die Ankündigung und Vorwegnahme der Musik der >Neudeutschen Schule<.48 Zwei Dissertationen folgten in dieser Zeit von Otto zur Nedden mit >Die Opern und Oratorien Felix Draesekes und ihre geschichtliche Stellung< (Marburg 1925) und Erich Roeder mit >Felix Draeseke als Programmmusiker< (Heidelberg 1926). Otto zur Nedden verfasste in seiner Dissertation von 1925 eine geschichtliche Beschrei-bung. Es fehlen musikpsychologische und vor allem musikphilologische Auseinan-dersetzungen.49 Er zielte in seiner Arbeit auf das sinfonische Prinzip, das ein gehöriger Teil der Kompositionsausdrucksweise im 19. Jahrhundert war. Dem sinfonischen Prinzip wurden alle weiteren musikalischen Schreibweisen bei Otto zur 42 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. II. Berlin 1937, S. 418. Draeseke wandte sich gegen die Kompositionsart der >Salome< von Strauß. 43 Hugo Riemann: Degenration und Regeneration in der Musik. In: Deutscher Musikerkalender für das Jahr 1908 (Max Hesse). 23. Jg. Leipzig 1908, S. 136-138. 44 Arnold Schering: Geschichte des Oratoriums. Kleine Handbücher der Musikgeschichte nach Gattungen. Hrsg. von Hermann Kretzschmar. Bd. III. Leipzig 1911. 45 Hermann Kretzschmar: Führer durch den Konzertsaal. II. Abt. Bd. I. Kirchliche Werke: Passionen, Messen, Hymnen, Psalmen, Motetten, Kantaten. 4. vollständig neu bearbeitete Aufl. Leipzig 1916. 46 Paul Bekker: Beethoven. 2. Aufl. Berlin 1912, S. 373. 47 Helmut Loos: Zur Rezeption der Missa Solemnis von Ludwig van Beethoven. In: KmJb 82 (1998), S. 72. 48 Ebd., S, 69. Vgl. Felix Draeseke: Schriften 1855-1861. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 1. Hrsg. von Martella Gutiérrez-Denhoff und Helmut Loos. Bad Honnef 1987, S. 44. 49 Otto zur Nedden: Die Opern und Oratorien Felix Draesekes und ihre geschichtliche Stellung<. Marburg 1925.

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Nedden untergeordnet. Erich Roeder ging in seiner Dissertation schwerpunktmäßig auf die Form der Werke Felix Draesekes ein und verzichtete auf eine musik-psychologische Betrachtungsweise. Formale Kriterien im Zusammenhang mit der Inhaltlichkeit standen bei beiden Arbeiten im Vordergrund.50 Theodor Müller-Reuter gab 1909 einen Konzertführer heraus. Darin wurden das h-Moll-Requiem op. 22 und die fis-Moll-Messe op. 60 von Felix Draeseke beschrieben. Die Werke op. 85 und das e-Moll-Requiem waren zu der Zeit gerade erst oder noch nicht geschrieben. Die Beschreibung des h-Moll-Requiems bezog sich in erster Linie auf die Besetzung der Bläsergruppen, während außer den musikalischen aufführungspraktischen Anmerkungen eine Kritik über die fis-Moll-Messe ausgespro-chen wurde, dass auch Draeseke die Chorvereine und Dirigenten mit Literatur vernachlässigt habe. Anhand des Lexikontitels wird dem Betrachter klar, dass die genannten Werke Draesekes zu der Zeit im Konzertsaal aufgeführt wurden und nicht zuerst für den Kirchenraum bestimmt waren.51 Die Aufführungsorte der Messe und des Requiems wurden aus der Kirche in den Konzertsaal verlagert. Einen Hinweis auf den Aufführungsort zeigte Hermann Kretzschmar auf. Der Musikwissenschaftler, ein Zeitgenosse Felix Draesekes, gab in seinem >Führer durch den Konzertsaal< einen Überblick der Kompositionen Felix Draesekes. In der Bewertung ragte besonders die Kirchenmusik heraus. Kretzschmar hob Unterschiede hervor, das h-Moll-Requiem op. 22 wurde im Gegensatz zur fis-Moll-Messe op. 60 besonders bedacht. Zu Kretzschmars Zeiten (1916) haben aber nur zwei Aufführungen der fis-Moll-Messe stattgefunden. Kretzschmar schrieb über Draesekes fis-Moll-Messe, dass sie an Selbstständigkeit und Charakter die Arbeit Beckers übertroffen habe. Sie sei eine Musik Cherubinischen Geistes, die oft verschlossen und in sich gekehrt sei, näher gekannt sein wolle, um verstanden zu werden.52 Wer in dieser Messe die Darstellung der Passion, des Benedictus und des Agnus Dei studiere, würde darüber nicht in Zweifel sein, dass hier die Arbeit eines Meisters vorläge.53 Hermann Stephani hat sich mit der Person des Komponisten Draeseke 1935/36 in >Felix Draeseke und seine geschichtliche Sendung< auseinandergesetzt.54 Stephani fasste die Gedanken über Draeseke folgendermaßen zusammen: Im Vergleich zur katholischen und evangelischen Sichtweise der Messe neben der praktischen Kirchenmusik gab es für Draeseke eine übergreifend-künstlerische Haltung: »Außerliturgische ungebrochenen Urkraft gelungen, den […] Ausdrucksstil der Neudeutschen, deren kraftgenialisch überhobener Subjektivismus einst in dem Jüngling sich selbst überschlagen hatte, in unerhörter Selbstbezwingung zu beherrschter objektiver Haltung zurückzuführen und seelische Dynamik ins Gleichgewicht zu bringen mit musikalischer Statik, mit den überpersönlich und

50 Erich Roeder: Felix Draeseke als Programmmusiker. Heidelberg 1926. 51 Theodor Müller-Reuter: Lexikon der deutschen Konzertliteratur. Ein Ratgeber für Dirigenten, Konzertveranstalter, Musikschriftsteller und Musikfreunde. Leipzig 1909, S. 499. 52 Hermann Kretzschmar: Führer durch den Konzertsaal. Kirchliche Werke: Messe, Requiem, Oratorium: Passionen, Messen, Hymnen, Psalmen, Motetten, Kantaten. Bd. 1. 4. Auflage. Leipzig 1916, S. 259. 53 Ebd., S. 260. 54 Hermann Stephani: Felix Draeseke und seine geschichtliche Sendung. In: Die Musik. Monatsschrift XXVIII. Jg. Amtliches Organ der NS-Kulturgemeinde. 1. Bd. Berlin-Schöneberg 1935/1936, S. 7-12.

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überzeitlich gültigen Werten und Gestaltungskräften reiner Musikarchitektur«.55

Stephani sah nicht nur eine musikalische »Gegenspannung der Grundkräfte« Draesekes, sondern dass dieser »quer zu seiner Zeit« stünde.56 Der Verfasser sprach die Haltung zum Antisemitismus Draesekes an und bekräftigte seine eigene Einstellung: »Aufs Neue ist dem deutschen Menschen bewusst geworden der Heros als Verkörperer absoluter sittlicher Werte. Der Führergedanke, der ihm [Draeseke] im staatlichen Dasein voranleuchtet, er soll ihm auch erstehen aus den Werken der Kunst«.57 Hermann Stephani vermischte Draesekes antisemitische Haltung mit der musikalischen Tätigkeit: Ein solcher Mann, der noch dazu aus seinem Antisemitis-mus keinen Hehl mache, müsse quer zu seiner Zeit stehen.58 Eine erste Biographie, >Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters<, wurde von Erich Roeder 1930 und 1937 zusammengestellt. Es gab hier in Inhaltlichkeit und vor allem in der Bewertung gravierende Unterschiede: In Band 1 berichtete Erich Roeder ausführlich über Draesekes biographische Daten aus seiner Familiengeschichte. Roeder unterstrich unter anderem die Rollen der beiden theologischen Großväter und die des evangelischen Elternhauses. Der Verfasser hat Daten Felix Draesekes gesammelt und sie in einen ausführlichen musikgeschicht-lichen Rahmen gesetzt. Vor allem wurden die Kompositionen Draesekes vorgestellt. Das zeitgenössische Musikleben fand eine ausgewogene Wiedergabe, Draesekes Kirchenmusik wurde aber weniger herausgestellt. Der Komponist ging auf verschie-dene musikalische Schreibweisen ein. Erich Roeder berichtete zum Beispiel aus den Bayreuther Blättern 1913, dass Draeseke zwar erst mit 77 Jahren »entdeckt« worden sei. Bruno Kittel habe einen gehörigen Anteil daran. Hervorgehoben wurden zum Beispiel die großen Chöre des Christus-Oratoriums. Draeseke wurde aber einerseits als »Bach des 20. Jahrhunderts« bezeichnet,59 andererseits fragte sich Erich Roeder, warum Draeseke sich nicht früher musikalisch auf breiter Ebene durchge-setzt habe. Er berief sich dabei auf Georg Göhler, der in >Signale 1918< >Mehr Draeseke< anmahnte. Dieser schrieb, es »stände um Draeseke anders und besser, wenn man sich um ihn einmal so viel bemühen wollte, wie um Brahms«.60 Erich Roeder beschrieb im ersten Band über Felix Draeseke die Kompositionen aus seiner Jugend bis zum Jahr 1876, danach schloss sich der zweite Band an. Hier wurden in der Regel Theater-Musiken, vor allem Opern, besprochen. Das Vokabular bediente sich der Sprache der Theaterwelt und der Nationalsozialisten. Roeder ging aber in seinem ersten Band so weit, dass er Draesekes lateinische Kirchenmusik für den evangelischen Raum als >weniger geeignet< bezeichnete.61 Bemerkenswert war die Jugendkomposition Draesekes von 1865: das >Lacrimosa< als op. 10. Erich Roeder beschrieb die biographischen Umstände Draesekes näher. Das Jahr 1865 war ein Wendepunkt: ein Gehörleiden des Komponisten nahm zusätzlich einen großen Raum ein. Bis dahin hatte sich Draeseke mehr heidnischen und mythischen Vorlagen gewidmet. »Jetzt komponiert er einen Teil des mittelalterlichen >Dies irae< und beginnt somit seine Laufbahn als Kirchenmusiker mit einem lateinischen Werke, wobei er sich gleichzeitig Bach zum Führer nimmt«.62 Die Inhaltlichkeit forderte Erich 55 Ebd., S. 12. 56 Ebd., S. 12. 57 Ebd., S. 12. 58 Ebd., S. 12. 59 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 1. Dresden 1930, S. 8. 60 Zitiert nach Roeder, Bd. 1, S. 11. 61 Ebd., S. 12. 62 Ebd., S. 169/170.

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Roeder mit den Worten des Hansteinschen Großvaters: »Das Lacrimosa gleicht der Gebete eines Menschen, dem […] die Religion erst dann in ihrem hohen Werte und in ihrer Unentbehrlichkeit erscheint, wenn sein Herz das Bedürfnis des Trostes und der Erhebung fühlt«.63 In Band 2 von Erich Roeder wird neben der anerkannten musikalischen Arbeit nationalsozialistisches Gedankengut in Draeseke hineininterpretiert. Roeder sah Draeseke 1937 als einen Vorboten des Dritten Reiches. »Etwas ließ bis dahin noch nicht Dagewesenes aufhorchen: ein Draeseke-Fest, dem ein noch größeres zweites folgte. Die Vaterstadt Koburg ehrte ihren Sohn durch eine dreitägige Feier (05.-07. Okt.), verbunden mit der Weihe der bisher einzigen Gedenktafel. Dresden, die Stadt seines Wirkens und Todes, gab eine ganze Festwoche (18.-24. Nov.). Im Vollbewusstsein seiner Gegenwartsbedeutung traten hier wie dort die nationalso-zialistischen Kulturorganisationen für Draeseke ein«.64 Roeder berichtete über Draeseke aus relativ zeitnaher Sicht: >Der seiner Zeit weit vorauseilende Denker, der zielbewusste Kämpfer für die Rein- und Arterhaltung unserer Musik gelte plötzlich als der Musikpolitiker der Gegenwart<.65 Eine weitere musikalische Bewertung sprach Roeder aus: »Es darf dabei nicht überraschen, wenn von Draeseke als dem ungekrönten König der >Neudeutschen<, dem […] letzten Klassiker und dem wahrscheinlichen Führer in der deutschen Tonkunst nach Brahms die Rede ist«.66 In seinen Werk-Beschreibungen charakterisierte Erich Roeder unter anderem die Messen und Requiem-Vertonungen in ihrer musikalischen Struktur. Seine Analysen stellten musikalisch unterschiedliche Ausdrucksweisen des Komponisten Draeseke dar. Dieser betrachtete das Ordinarium Missae und band alle Sätze in den musikalisch-liturgischen Kontext >Messe< ein. Zahlreiche Beispiele zum Nationa-lismus zeigten Erich Roeders politische Einstellung. In jüngerer Zeit ist von Alan Krueck >The Symphonies of Felix Draeseke< (Diss. Roscoe, Pa.) 1967 erschienen. H. Cassimirs (Karlsruhe) und B. Engelkes (Kiel) Arbeiten über Draeseke blieben ungedruckt, weil sie >bei Draesekes Aufenthalt in der Schweiz stehen blieben<.67

Ebenso wurde W. Engelmanns Vortrag über die >Einheitsthematik< in Draesekes III. Symphonie< nicht veröffentlicht.68 Im Lexikon der Herausgeber Marc Honegger und Günther Massenkeil von 1979 wird über Felix Draeseke ein kurzer Lebensabriss dargestellt. Die angegebene Literatur zu Draeseke reicht bis in das Jahr 1967.69 Ein weiterer Artikel von Hermann Stephani über Felix Draeseke beschäftigte sich 1989 mit Leben und Arbeiten des Komponisten.70 Den Schwerpunkt legte er dabei 63 Ebd., S. 170. 64 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 4. 65 Ebd., S. 5. 66 Ebd., S. 7. 67 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 1. Dresden 1930, S. 14. 68 Hermann Stephani: Art Draeseke. MGG. Kassel. Basel. London. München 1989. Hrsg. von Friedrich Blume. Bd. 3, Sp. 734. 69 Marc Honegger / Günther Massenkeil (Hg.): Das große Lexikon der Musik. Freiburg. Basel. Bd. 2. Wien 1979, S. 357. 70 Ebd., Sp. 734.

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auf Draesekes Lebenslauf und sein kirchenmusikalisches Werk. Er wies auf bestehende Literatur über Draeseke bis ca. 1939 hin und sprach von »neuen Ausdrucksmitteln seelischer Dynamik«.71 Am Anfang des 20. Jahrhunderts und gegen Ende seines Lebens wurden der Komponist und sein Werk von einigen Musikern und Wissenschaftlern beschrieben. Hans Joachim Moser, Erich Roeder, Hermann Stephani, haben sich neben Hermann Kretzschmar, Otto zur Nedden mit Draeseke auseinander gesetzt. Nach dem Ersten Weltkrieg wie auch unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es um Felix Draeseke still. Erst ab 1986 änderte die erneut gegründete Internationale Draeseke-Gesellschaft die Aufarbeitung von Draesekes Werk. Ab 1987 bis 2007 erschienen mehrere Ausfüh-rungen in sieben Bänden. An den engen zeitlichen Abständen der Veröffentlichungen lässt sich der Interessengrad an Felix Draeseke ablesen. Im Unterschied zu Erich Roeders >Biographie Draeseke< von 1930 und 193772 wurde eine >Chronik< 1989 erstellt. Den Schwerpunkt legt diese Chronik nicht nur auf die entsprechenden Lebensdaten, sondern auch auf die Entwicklung von Draesekes musikalischer Persönlichkeit.73 »Die Zeremonien, Symbole und Bilder übte eine unvergleichliche Faszination auf die Frühromantiker evangelischer Konfession aus«.74 Aus dieser Lage entstand eine eigene Richtung evangelischer Messkompositionen, der auch Felix Draeseke zuzurechnen ist. »Vielleicht sollte man auch für das 19. Jahrhundert differenzierter zunächst von einer kirchenmusikalischen Reform auf katholischer, von einer Restauration im vollen Wortsinn auf evangelischer Seite sprechen«.75 Analytische Hinweise der Messen und Requiem-Vertonungen werden in Band 5 der Internationalen Draeseke-Gesellschaft gegeben. Es werden Instrumentalwerke und die geistliche Musik Draesekes vorgestellt. Wichtig für diese Arbeit sind die Abhandlungen über die vier Messen von Peter Andraschke (h-Moll-Requiem op. 22), Reinhold Dusella (Große Messe fis-Moll op. 60) und Friedbert Streller (A-cappella-Werke op. 85 und WoO 35 e-Moll-Requiem). Peter Andraschkes Darlegungen über das h-Moll-Requiem zeigen nicht nur die Bindung an die lateinische Tradition des Requiems, indem er unter anderem auffällige semantische Strukturen benennt, sondern auch die Rezeption barocker Formen und Strukturen hervorhebt. »Dieses Bestreben, einen Zusammen-schluss von derart gegensätzlichen stilistischen und ästhetischen Bedingun-gen zu erreichen, war ein schwieriges Vorhaben«.76 Der Verfasser beschrieb die Konzeption des Werks mit dem frühen Lacrimosa (op. 10), das zum Schwerpunkt der Requiem-Vertonung herangezogen wurde.77 Trotz musikalischer Schwierigkeiten 71 Ebd., Sp. 733. 72 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Dresden 1930, S. 14. 73 Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke. Chronik seines Lebens. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften Bd. 3. Hrsg. von Helmut Loos. Vorwort. Bonn 1989, S. VII/VIII. 74 Ulrich Konrad: Der Beitrag evangelischer Komponisten zur Messenkomposition im 19. Jahrhundert. In: KmJb 71 (1987), S. 72. 75 Ebd., S. 71. 76 Peter Andraschke: Felix Draesekes Requiem op. 22. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Hrsg. von Helmut Loos. Schriften, Bd. 5. Bonn 1994, S. 157. 77 Ebd., S. 155.

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»gelangte es [das h-Moll-Requiem] auch bei bedeutenden und repräsentativen Anlässen zur Aufführung, etwa bei der Gedächtnisfeier für Richard Wagner in der Thomaskirche am 3. Mai 1883«.78 Andraschke hebt in der Beurteilung des h-Moll-Requiems einmal die Tradition und die Gegenwart als Kategorien hervor. Beide Richtungen bilden in der Komposition eine Verbindung. Die Melodie steht bei ihm im Vordergrund. Darüber hinaus sind der eingebundene evangelische Choral im Offertorium und der lateinische Text mit Übersetzung für ihn von großer Bedeutung. Andraschke betont nicht nur die Stellung des Chorals >Jesus, meine Zuversicht< innerhalb des Ganzen, sondern vertritt die These, dass das h-Moll-Requiem durch den Choral und die Übersetzung eine >überkonfessionelle Bedeutung< erhalten habe und das Zusammengehen von Tradition und Gegenwart unterstreiche. Barocke Formen neben anderen sind für Andraschke ebenso relevant.79 Durch den Zusammenschluss dieser beiden Richtun-gen entsteht Draesekes neue Musiksprache. Damit befindet sich Draeseke zu Georg Feder im Gegensatz, der sich gegen die Einbindung eines evangelischen Chorals in die Messe wendet.80 »Dieses Bestreben, einen Zusammenschluss von derart gegensätzlichen stilistischen und ästhetischen Bedingungen zu erreichen, war ein schwieriges Vorhaben«.81 Peter Andraschke beurteilt Draesekes h-Moll-Requiem im musikalischen Konzept letztlich als noch nicht ausgewogen. »Es [das h-Moll-Requiem] überdeckt noch manche Unausgewogenheit in Klang und Form in diesem frühen Opus, in dem Draeseke seinen hohen Anspruch in der kompositorischen Konzeption noch nicht vollends einlösen konnte, trotz des eindrucksvollen und überwiegend überzeugenden Ergebnisses«.82 Der Verfasser beschreibt die Konzeption des Werks mit dem frühen Lacrimosa (op.10)..83 Bestimmte Aspekte der Semantik sind unter anderem für Andraschkes Beurteilung des h-Moll-Requiems wichtig. Friedbert Streller hat sich mit den A-cappella-Kompositionen des Komponisten befasst. Draesekes A-cappella-Werke seien im strengen Stil komponiert. Zeitfragen über Rezeptionsfähigkeit Draesekes, sowie Liturgik stehen bei Streller im Mittel-punkt. Rochus von Liliencron und Philipp Spitta werden als Historiker und Musik-wissenschaftler hervorgehoben. Rochus von Liliencron ist Anhänger Luthers mit seiner Deutschen Messe, er arbeitet über den Ablauf und die Musik des evan-gelischen Gottesdienstes.84 Von Liliencron steht an der Seite Draesekes.

78 Ebd., S. 166. 79 Peter Andraschke: Felix Draesekes Requiem op. 22. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke- Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. Von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 157. 80 Georg Feder: Verfall und Restauration. In: Geschichte der evangelischen Kirchenmusik. 2. Aufl. Hrsg. von Friedrich Blume unter Mitarbeit von Ludwig Finscher, Georg Feder, Adam Adrio und Walter Blankenburg. Kassel. Basel. London. New York 1965, S. 244. 81 Peter Andraschke: Felix Draesekes Requiem op.22. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Hrsg. von Helmut Loos. Schriften, Bd. 5. Bonn 1994, S. 157. 82 Ebd., S. 166. 83 Ebd., S. 155. 84 Rochus von Liliencron: Ueber den Chorgesang in der evangelischen Kirche. Deutsche Zeit- und Streitfragen. Heft 144. Berlin 1881, S. 42. Ders.: Liturgisch-musikalische Geschichte der evange- lischen Gottesdienste von 1523 bis 1700. Schleswig 1893. Hildesheim. NEW York 1970, S. 28. Vgl. Alfred Einstein: Die Romantik in der Musik. Sechzehn Aufsätze. Stuttgart. Weimar 1992, S. 143.

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2. Stand der Forschung: Messe und Requiem in der Literatur über Felix Draeseke

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Friedbert Streller sieht in der fis-Moll-Messe Draesekes »die Wendung zu einem strengen Stil linearen Gestaltens, imitatorischer Arbeit in den Stimmen und strenger kontrapunktischer Durchformung«.85 Reinhold Dusella setzt den Fokus auf »die dramaturgische Absicht des Kompo-nisten«.86 Sein Einwand an Draesekes Kompositionsweise liegt für ihn in dem Unterschied einer Tradition und den kompositorischen Möglichkeiten der Neudeut-schen Schule. Er zeigt dort eher als Peter Andraschke eine abwartende Haltung: »Der Widerstreit zwischen traditionsgebundenen Idealen und dem Aufspüren neuer dramatischer Ausdrucksmöglichkeiten auf geistesgeschichtlicher und musikalisch-formaler Ebene, welcher sich in Draesekes Biographie erkennen lässt, ist auch anhand der >Großen Messe in fis-Moll< dokumentierbar«.87 Dusellas Schwerpunkt liegt dabei auf der Kirchenmusik, verbunden mit Draesekes Religiosität.88 »Das Komponieren einer Messe ist […] für den Protestanten Draeseke nicht nur ein Akt der Anbetung und Gottesverehrung, sondern auch eine Kapitulation vor dem Mangel spezifischer Formen innerhalb der eigenen Glaubensrichtung«.89 Hinzu kommt die Bezeichnung >Große Messe<, die für Dusella sich nicht nur auf die musikalische Struktur bezieht, sondern auf den »künstlerisch hohen Anspruch, den Draeseke mit der Messe op. 60 verbindet und den er an eine gottesdienstliche Aufführung stellt«.90 Eine gottesdienstliche Aufführung ist in seinen Ausführungen danach im Kirchen-raum möglich, im Gegensatz zu Birgit Lodes, die die Messe fis-Moll op. 60 eindeutig in den Konzertsaal setzt.91 Aussagekräftig zum Thema Zeitgeist sind die beiden Aufsätze über die Begriffe >Kirchenmusik< und >Religion< von Gustav Adolf Krieg, sowie die Auffassung über die >Oratorien im 19. Jahrhundert< von Helmut Loos. Gustav Adolf Krieg berichtet über das Oratorium Christus von Felix Draeseke. In der Zeit um Luther »ist das Oratorium eine liturgische Größe und damit eingebunden in das Kirchenjahr«.92 Helmut Loos beschäftigt sich mit Oratorienvergleichen von Liszt, Kiel und Draeseke und stellt fest, dass die Gattung Oratorium schon im Protestantismus ihre Form ge- funden habe. Selbst Hegel sähe die Kirchenmusik als episch an und nenne als Gegenstück zum Oratorium auf katholischer Seite die Messe.93 Gustav A. Krieg 85 Ebd., S. 288. 86 Reinhold Dusella: Felix Draesekes Große Messe in fis-Moll op. 60 für Soli, Chor und Orchester. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 207. 87 Ebd., S. 210. 88 Reinhold Dusella: Felix Draesekes Große Messe in fis-Moll op. 60 für Soli, Chor und Orchester. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Hrsg. von Helmut Loos. Schriften, Bd. 5. Bonn 1994, S. 189. 89 Ebd., S. 191. 90 Ebd., S. 193. 91 Birgit Lodes: Die Messe im 19. Jahrhundert. In: Horst Leuchtmann/Siegfried Mauser ( Hg.). Messe und Motette. Handbuch der musikalischen Gattungen. Salzburg. München 1998, S. 281. 92 Gustav Adolf Krieg: Der Christus von Felix Draeseke im Spiegel protestantischer Frömmigkeits- und Kirchenmusikgeschichte. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 219. 93 Helmut Loos: Christus-Oratorien im 19. Jahrhundert. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden.

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2. Stand der Forschung: Messe und Requiem in der Literatur über Felix Draeseke

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beschreibt das religiöse Bürgertum in seinen säkularen Ausprägungen. Er zählt auch Draeseke dazu, der mit seiner Familie nicht zum theologischen Konservatismus gehöre.94 Ergänzend sind die Ausführungen von James A. Deaville über Felix Draeseke und die geistliche Musik der Neudeutschen Schule, dargestellt am Beispiel von Peter Cornelius, zu werten. Deaville vergleicht geistliche Kompositionen von Cornelius mit Werken von Draeseke. Der Verfasser gelangt zu dem Schluss, dass gegenseitige stilistische Einflüsse der Freunde stattgefunden haben müssen. Bei Cornelius stehe der homophone Satz neben den Kontrapunktausführungen an oberster Stelle, ebenso bei Draeseke. Die Neudeutsche Schule zeichne sich durch klaren Satzbau, gesangliche Melodik, Einarbeiten von cantus firmi, erweiterte Instrumentierung und einen ausgearbeiteten Kontrapunkt aus.95 Deaville versucht herauszustellen, wie und wann Draeseke sich dem Religiösen endgültig näherte und beruft sich dabei auf Roeder.96 Dieser berücksichtigt besonders die biographischen Hintergründe des evangelischen Elternhauses und die theologischen Rollen der beiden Großväter Draesekes. In seinen Abhandlungen >Festhochamt, sinfonische Messe oder überkonfessionelles Bekenntnis?> untersucht Gerhard Poppe die Rezeptionsgeschichte Beethovens. Die Rolle Draesekes ist dabei für Poppe in Bezug auf die Ansicht über die Missa Solemnis Beethovens fragwürdig, denn Draeseke betrachte »die Missa Solemnis Beethovens vorrangig als Durchgangsstation zur Zukunftsmusik«.97 Poppe vertritt den Standpunkt, der Komponist habe in der Einordnung und Einnahme Beethovens für die Neudeutsche Schule zu schnell und ohne Begründung reagiert: »Nach dem überschwänglichen Lob aller Mitwirkenden der Aufführung nimmt Draeseke die Missa Solemnis kurzerhand für die Ziele der Neudeutschen Schule in Anspruch, ohne jedoch seine Position argumentativ zu untermauern«.98 Im Lexikon der Kirchenmusik von 2013 von Günther Massenkeil und Michael Zywietz wird der Kirchenmusik im Allgemeinen und Besonderen ein breiter Raum eingeräumt.99 Darin werden das Leben Draesekes, seine kirchenmusikalischen Werke, zum Beispiel das Christus-Oratorium und Draesekes vier Messen kurz besprochen. Im h-Moll-Requiem op. 22 zitiert Peter Schmitz Helmut Loos: Das

(Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 251. 94 Gustav A. Krieg: Der Christus von Felix Draeske im Spiegel protestantischer Frömmigkeits- und Kirchenmusikgeschichte. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. Herausgegeben von Helmut Loos. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Bonn 1994, S. 228. 95 Deaville, James A.: Felix Draeseke und die geistliche Musik der Neudeutschen Schule, dargestellt am Beispiel von Peter Cornelius. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 315. 96 Erich Roeder: Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 1. Berlin 1932, S. 156. 97 Gerhard Poppe: Festhochamt, sinfonische Messe oder überkonfessionelles Bekenntnis? Studien zur Rezeptionsgeschichte von Beethovens Missa Solemnis. Beeskow 2007, S. 224. 98 Ebd., S. 224. 99 Günther Massenkeil / Michael Zywietz (Hg.): Enzyklopädie der Kirchenmusik. Lexikon der Kirchenmusik. Bd. 6/1. 2013, S. 304.

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2. Stand der Forschung: Messe und Requiem in der Literatur über Felix Draeseke

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Offertorium würde mit einem »cantus firmus eines evangelischen Chorals gekrönt«.100 Die Literatur zu Felix Draeseke umfasst die Moderne ab 1982.101 Die weltlichen und übrigen kirchenmusikalischen Werke, vor allem die vier Messen Draesekes und einige zeitgenössische Beurteilungen runden das musikalische Bild und Profil ab. »Als die Ausweitung der Harmonik ihre Grenze erreichte, beschritt [Draeseke] mit dem Kontrapunkt den einzig möglichen Ausweg und erhob diesen zugleich zu einer Schutzwehr gegen den musikalischen Liberalismus«.102 Ergänzend zur aufgearbeiteten Literatur stehen Aussagen zu Messe und Requiem von Felix Draeseke selbst bereit. Seine Lebenserinnerungen fließen in den Kontext mit ein.103 Sie sind vor allem für Draesekes musikalische und religiöse Persönlichkeit wichtig. In der Literatur über Felix Draeseke gibt es aber keine weiteren Ausfüh-rungen über Begriffe wie Messe und Requiem. Der Kenntnisstand über Felix Draeseke und seine Messen besagt, dass der Komponist ein musikalischer Vermittler (Neoklassizismus)104 zwischen den Zeiten gewesen sei. Beethoven gilt unter anderem bei Draeseke als musikalisches Vorbild. Dies bestätigt die Literatur durch zu bestimmende Topoi105 und Vergleiche. Draeseke gestaltet besondere Textstellen von Messe und Requiem-Vertonungen in Bildern aus. Sie belegen, dass an besonders eschatologischen, aussagekräftigen Textstellen der Messe und der Requiem-Vertonungen Interpretationen sicht- und hörbar erscheinen, die den Text durch die Musik verständlicher werden lassen. Diese Thesen werden in der Folge der Ausführungen bestätigt. In Bezug auf die Rhetorik »war Musik nicht nur genossen, sondern auch verstanden worden«.106

100 Helmut Loos: Die geistliche Musik von Felix Draeseke. In: M. Heinemann (Hg.): Die Dresdener Kirchenmusik im 19. und 20. Jahrhundert. 1998, S. 197-209. 101 Günther Massenkeil / Michael Zywietz (Hg.): Enzyklopädie der Kirchenmusik. Lexikon der Kirchenmusik. Bd. 6/1. 2013, S. 304/305. 102 Erich Roeder: Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 1. Berlin 1932, S. 6. 103 Felix Draeseke: Lebenserinnerungen nach Diktat. Gekürztes Manuskript (1906 – 17.06.1909) von Hermann Stephani niedergeschrieben (Typoskript). Coburgica Nr. XI. 30. 104 Hugo Riemann: Musiklexikon. 11. Auflage, bearbeitet von Alfred Einstein. Berlin 1929, S. 423. 105 Warren Kirkendale: Beethovens Missa Solemnis und die rhetorische Tradition. In: Beethoven- Symposion. Wien 1970. (Veröffentlichung der Kommission für Musikforschung). Hrsg. von Erich Schenk. Heft 12. Wien 1971, S. 122. Vgl. Helmut Loos: Zur Rezeption der Missa Solemnis von Ludwig van Beethoven. In: KmJb 82 (1998), S. 67-76. 106 Ebd., S. 122. Vgl. Helmut Loos: Zur Rezeption der Missa Solemnis von Ludwig van Beethoven. In: KmJb 82 (1998), S. 67-76.

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3. Einführung Felix Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen 30

3.1 Einführung: Allgemeine Bedeutung der Messe Von >Ite missa est<, der Entlassungsformel, wurde das Wort >Messe< abgeleitet. Unter geschichtlichem Aspekt zeigt der Aufbau der Messe, dass bestimmte Teile in Form und Inhalt alte Bestandteile bewahrt haben. Im 4. Jahrhundert wird das Christentum zur Staatsreligion erhoben, und die Kirchenmusik erfährt einen Aufschwung. Seit dem 2. und 3. Jahrhundert erreicht die lateinische Sprache im Gottesdienst eine häufige Anwendung. Bis dahin verläuft er in griechischer Sprache. Um 600 n. Chr. tritt der römische Kanon immer mehr in den Vordergrund. Dieser Prozess ist bis zum Ende des 5. Jahrhunderts nahezu abgeschlossen. »Fehlen würde [..] von unserem heutigen Kanon zu Beginn des 5. Jahrhunderts nur Communicantes, Hanc igitur sowie nach der Wandlung Memento etiam und Nobis quoque. Aber auch diese Formeln -mit Ausnahme des Memento der Verstorbenen- sind schon vorhanden in den ältesten Handschriften, die den römischen Kanon enthalten«.1 Alle Kirchengesänge, die Papst Gregor vorfindet, wie Wechselgesänge, Psalmen, Responsorien, Hymnen, die einstimmig gesungen wurden, hat er für das Kirchenjahr ordnen lassen.2 Für die frühe Zeit sind ein Überwiegen von Propriums-stücken und die Beschränkung der Mehrstimmigkeit auf Sologesänge charakte-ristisch. Die mehrstimmige Messe entwickelt sich seit 900 n. Chr. aus alten gregorianischen, liturgischen Melodien zu einem polyphonen, kontrapunktischen Vokalstil. Die Messe hat bei den Alleluja-Gesängen an der responsorialen Form und der Repetition des Responsoriums nach dem Vers mit nachfolgenden Mischformen festgehalten.3 »Tropus und liturgische Mehrstimmigkeit haben eine verwandte geistige Haltung: Beide bringen Neues hervor, ohne das Alte, das liturgisch Gegebene, auszuschalten«.4 Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus mit Osanna und Benedictus, Offertorium und Agnus Dei bilden den Kanon der Messe. Im Missale Romanum wird die Neuordnung der Liturgie endgültig für das Abendland mit der lateinischen Sprache verbrieft: In der Festlegung der fünf großen Messeteile, dem Ordinarium Missae und den Propriumsteilen, die sich an das Kirchenjahr halten, in der Verteilung der Gesänge auf Priester und Diakon, sowie den Chor, der früher nur von Klerikern gestellt wurde.5 Das allgemeine Volk nimmt zunächst schweigend an der Messe teil. Das Glaubensbekenntnis Credo hat seinen festen Platz in der römisch-katholischen Kirche direkt nach der Predigt, in der evangelischen Kirche entweder vor oder nach der Predigt. Verschiedene Texte sind im Apostolischen und Athanasischen Bekenntnis enthalten. In den meisten Fällen wurde das Apostolische Glaubensbe-

1 Thrasybulos Georgiades: Musik und Sprache. Das Werden der abendländischen Musik. Berlin. Göttingen. Heidelberg 1954, S. 9. Vgl. Josef Andreas Jungmann: Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der Römischen Messe. Bd. 1. Wien 1948, S. 71. 2 Karl Gustav Fellerer: Grundzüge der Geschichte der katholischen Kirchenmusik. Paderborn 1929, S. 17. 3 Paul Kast: Die mehrstimmige Messe. In: MGG, Bd. 9. Hrsg. von Friedrich Blume. München 1989, Sp. 170. 4 Thrasybulos Georgiades: Musik und Sprache. Das Werden der abendländischen Musik. Berlin. Göttingen. Heidelberg 1954, S. 17. 5 Josef Andreas Jungmann: Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der Römischen Messe. Bd. 1. Wien 1948, S. 171.

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3. Einführung Felix Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen 31

kenntnis im Stundengebet gesprochen.6 Im Messe-Text wird das Nicänische Credo gebetet.7 Die Worte Alleluja und Amen sind literarisch ältere Zeugnisse aus dem Hebräischen. Der Ruf Kyrie eleison wurde nicht nur in der christlichen Welt verwandt, sondern auch im Hellenismus. Als Kyrios galt schon der römische Kaiser, welcher sich als Gott feiern ließ. Die Anrufung findet sich im Neuen Testament (z. B. in Matth 15, 22 oder 20, 30). In diesen Stellen wird Christus von Menschen angesprochen, die in großer Not sind. Mit der Ansprache ist eine Autoritätsverehrung verbunden, Christus ist Gott. In dem Wort eleison wird eine Zusammenfassung der Bitte deutlich. Zu Beginn der Messe beugt sich der Mensch vor Gott und bittet um die Anerkennung und Erhörung seines Anliegens. Die Geschichte des Kyrie zeigt sich unter einem weiteren Gesichtspunkt: Man erkennt die Tradition des Kyrie in einer langen Litanei, bei der unterschiedliche Bitten durch den Diakon vorgestellt wurden, die Gemeinde antwortete mit Kyrie eleison. Die Fürbitten am Anfang einer römischen Messe verschwanden, d.h. es blieben die neunmaligen Kyrie-Rufe übrig. Die dazugehö-renden Bitten erschienen am Ende eines Gottesdienstes. Den Mittelpunkt der Messe bildet die Eucharistiefeier oder das Abendmahl mit dem Sanctus, Benedictus und Osanna. Brot und Wein nehmen eine neue Gestalt an, sie werden zu Fleisch und Blut Jesu Christi. Indem der Mensch Brot und Wein zu sich nimmt, wird die direkte Teilhabe an der Vergebung der Sünden zelebriert. Nach einem Gebet beginnt das Praefationsgebet, das je nach Jahreszeit unterschiedliche Texte aufweisen kann. Benedictus und Sanctus schließen das Abendmahl. Die Eucharistiefeier und das Ende des Ritus weisen ebenfalls auf alte Traditionen hin. Inhaltlich geht es um die unblutige Wiederholung des Opfers Christi. Diese Handlung vollzieht in der katholischen Kirche allein der Priester. In der evangelischen Kirche wird seit Luther eine Abendmahlsfeier aller am Gottesdienst Beteiligten gefeiert. »In mehreren Schriften und Gottesdienstordnungen -zum Beispiel Deutsche Messe, Wittenberg 1526- hat Luther schwer mit der musikalischen Formulierung gerun-gen«.8 Während der Reformationszeit hat die evangelische Seite einen größeren musikalischen Einfluss auf die Kirchenmusik als die katholische Kirche. Das Einsetzen der deutschen Sprache durch Martin Luther ist ein wesentlicher Bestand-teil für eine Herausstellung des Wortgottesdienstes und eine direkte Teilnahme am liturgischen Geschehen. »Der Bedeutungsgehalt wird nicht allein durch die Satzstruktur auf Umwegen dargestellt, sondern verwirklicht sich unmittelbar im Erklingen«.9

6 Peter Wagner: Geschichte der Messe. 1. Teil bis 1600. Leipzig 1913, S. 102. 7 Bruno Stäblein: Art. Credo. In: MGG, Bd. 2. Kassel. Basel. London. München 1989, Sp. 1769. Zwei Ereignisse waren für das Nicänische Glaubensbekenntnis wichtig: 1. das ökumenische Konzil zu Nicäa 325 und 2. die Synode von Konstantinopel 381. 8 Paul Kast: Die mehrstimmige Messe. In: MGG, Bd. 9. Hrsg. von Friedrich Blume. München 1989, Sp. 170. 9 Thrasybulos Georgiades: Musik und Sprache. Das Werden der abendländischen Musik. Berlin. Göttingen. Heidelberg 1954, S. 54.

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3. Einführung Felix Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen 32

Das Agnus Dei gehört zur Eucharistie und wird nach dem Vater Unser und unmittelbar vor der Austeilung des Brotes oder der Hostien gesungen oder auch gesprochen. Die Einheit der Kirche kann nur dann erreicht werden, wenn die Christen den sich hingebenden Jesus Christus annehmen und begreifen, dass das Lamm Gottes für die Menschen gelitten und die Versöhnung in die Welt gebracht hat. In der katholischen Kirche steht die Messenkomposition durch ihre Tradition im Mittelpunkt. Der Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert brachte der Kirchenmusik eine Reduktion der Liturgie und eine folgende Restauration.10 Dabei muss der Blick auf beide großen Kirchen gerichtet werden: »In der katholischen Kirche gehörte die Musik als ein substantieller Bestandteil zur Liturgie, und diese strenge Liturgie-bindung hatte bewirkt, dass an ihrer Stellung und Bedeutung nie grundsätzlich gezweifelt wurde. Die evangelische Kirche hatte dagegen der Musikpflege im Gottesdienst lediglich akzessorischen Charakter beigemessen«.11 Evangelische Komponisten schreiben zu Beginn des 19. Jahrhunderts vollständige Messen, d.h. Ordinarien, daneben bleibt die Missa brevis bestehen. Was hat evangelische Kirchenmusiker dazu gebracht, Messen zu verfassen? Die Antwort liegt in der allgemeinen und speziellen Geistesgeschichte der Gattung Messe: einmal in der Haltung der Theologie auf katholischer und evangelischer Seite, zum anderen in der Literatur- und Kunstgeschichte.12 Differierende Formen -wie die sinfonische Messe und die A-cappella-Messe mit neuen Stilmitteln- bilden sich heraus.13 Der gottesdienstliche Ritus hat sich von Beginn an mit dem religiösen Gesang auseinandergesetzt, so dass das Wort-Ton-Verhältnis in der Messe und im Requiem einen symbiotischen Raum darstellt. »Die Messe bedeutet nicht einfachhin Vokal-musik, sondern diese Vokalmusik ist wiederum mit einer Handlung innerlich verbunden«.14 Große Messekompositionen sind im Verlauf der Musikgeschichte unter anderem von Palestrina, Monteverdi, Bach, Mozart, Beethoven, Schubert, Bruckner, Verdi, Berlioz und Liszt geschaffen worden. In der Zeit des Rationalismus werden in der Liturgie eine Menge Änderungen vorgenommen: alte Texte - gregorianische Weisen - werden durch moderne Melodien ersetzt. Erst im 19. Jahrhundert finden zum Beispiel bei Franz Liszt und anderen Komponisten gregorianische Melodien ihre Verwendung wieder. Sie stehen dort neben zeitgemäßer Tonalität und Chromatik. 10 Karl Gustav Fellerer: Kirchenmusikalische Reformbestrebungen im 19. Jahrhundert. In: Studien zur Musik des 19. Jahrhunderts. Bd. 2. Regensburg 1985, S. 97ff. 11 Ulrich Konrad: Der Beitrag evangelischer Komponisten zur Messenkomposition im 19. Jahrhundert. In: KmJb 71 (1987), S. 70. Vgl. G.L.P. Sievers: Ueber das Wesen der Kirchenmusik und die Verschiedenheit ihrer Bedeutung in der katholischen und in der protestantischen Kirche. In: Caecilia 10 (1829). Heft 37, S. 8: »Die Kirchenmusik der Katholiken hat mit der der Protestanten gar nichts gemein, denn beide sind, ihrer Anwendung nach, durchaus voneinander unterschieden. In der katholischen Kirche macht die Musik, der Gesang, einen integrirenden Teil des Gottesdienstes aus, der protestantischen dient er blos zum accessorischen Aushülfsmittel zur Erbauung der Gemeinde«. 12 Heinrich Heine plädiert für die >Wiedererweckung des Mittelalters<, die sich in der Kunst, Musik und Architektur wiederfindet. Vgl. Ulrich Konrad: Der Beitrag evangelischer Komponisten zur Messenkomposition im 19. Jahrhundert. In: KmJb 71 (1987), S. 72. 13 Hans Joachim Moser: Die evangelische Kirchenmusik in Deutschland. Berlin. Darmstadt 1953, S. 204. Vgl. Christiane Bernsdorff-Engelbrecht: Geschichte der evangelischen Kirchenmusik. 2 Bde. Bd. 2. Wilhelmshaven 1980, S. 263. 14 Joseph Schmidt-Görg: Geschichte der Messe. Heft 30. Köln 1967, S.6.

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3. Einführung Felix Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen 33

Liszt und andere Komponisten erstreben eine Reform durch Verbindung des alten und neuen Stils. Auch Felix Draeseke hat in seinem Requiem h-Moll op. 22 durch einen cantus firmus in ausführlich angelegtem Orchester- und Chorsatz diese Idee aufgegriffen. »Die Messe für den Konzertsaal darf eben nicht mehr nach ihrer kirchlichen Bedeutung, sondern muss nach ihrem künstlerischen Wert beurteilt werden«.15 Ulrich Konrad vertritt eine klare Sicht auf die Ungebundenheit der Messen einiger Komponisten aus dem 19. Jahrhundert: »Kiels, Beckers und Draesekes Beiträge sind […] als liturgisch ungebundene Messen etwa für geistliche Konzerte anzusehen«.16 Hermann Kretzschmar spricht von evangelischem Bewusstsein17, das der Messe näher gebracht wird. Er beruft sich dabei auf Albert Becker. Dessen Messe zeige eine Nähe zur Neudeutschen Schule: mit sinfonischer Instrumentation, chromatischer Harmonik, chororatorischer Anlage, mit einer betont evangelischen Haltung gegen-über der Gattung Messe durch Einbeziehung eines Chorals >Aus tiefer Not schrei ich zu dir<, ähnlich wie die Ausführungen in Draesekes h-Moll-Requiem mit dem Choral >Jesus, meine Zuversicht<.18 Bis ca. 1850 wurde die geistes- und kirchenmusikalische Zeit in den Blick genommen. »Vermochte man als generellen Zug der ersten Hälfte eine gewisse konfessionelle Indifferenz der beiden Kirchenmusiken, hauptsächlich der evangeli-schen, festzustellen, gilt nach 1850 zunehmend das Gegenteil«.19 Becker, Draeseke und andere Komponisten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stehen unter folgenden Eindrücken: 1. der Bindung zwischen literarischer Frühro-mantik und kirchenmusikalischer Restauration, 2. dem Verhältnis von liturgischer Mu- sik und säkularem Aufführungsort, 3. der Unterscheidung von kirchlicher und religiö-ser Musik, 4. der konfessionellen und überkonfessionellen Aussagekraft, 5. einem Zusammenfinden beider Kirchenmusikrichtungen. 3.2 Allgemeine Bedeutung des Requiems Wie in der Messe der Name von der Entlassungsformel >Ite missa est< entstanden ist, so ist das Requiem aeternam eine Ableitung aus den Anfangsworten: >Requiem aeternam dona eis, Domine<. Die Totenmesse wurde seit dem 2. November 998 n. Chr. bei vielen Gelegenheiten gefeiert. Das Requiem ist aber nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil20 nicht mehr regelmäßig zelebriert worden. Es hat zwar eine außerordentliche Stellung innerhalb der Messgottesdienste beibehalten und wie die Messe inhaltlich die großen Ordinarienstücke. Es fehlt das Gloria. Dafür bringt es an- dere liturgische Stücke, die von speziellem Oeuvre zeugen: den Introitus Requiem aeternam, die Sequenz Dies irae, das Responsorium Libera me und das Geleitwort

15 Ulrich Konrad: Der Beitrag evangelischer Komponisten zur Messenkomposition im 19. Jahrhundert. In: KmJb 71 (1987), S. 86. 16 Ebd., S. 69. 17 Hermann Kretzschmar: Führer durch den Konzertsaal. Kirchliche Werke: Passionen, Messen, Hymnen, Psalmen, Motetten, Kantaten. Bd. 1. 4. Aufl. Leipzig 1916, S. 255. 18 Ulrich Konrad: Der Beitrag evangelischer Komponisten zur Messenkomposition im 19. Jahrhundert. In: KmJb 71 (1987), S. 89. 19 Ebd., S. 87. 20 Rom 1962-1965.

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3. Einführung Felix Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen 34

In paradisum. Das Responsorium und das Geleitwort sind nicht unmittelbar am Requiemgeschehen beteiligt, d.h. sie stellen keinen direkten Bezug zum Kanon dar, sondern sind ein Teil der Beerdigungszeremonie, der kirchlichen Handlung.21 Zwei Bereiche sind für das Requiem bezeichnend: Das Gedenken und das Gebet für den Toten. Wie in der Fortschreibung der Messegeschichte, hat sich das Requiem zu seiner Form ebenfalls nur langsam entwickelt. Den Mittelpunkt der Totenmesse bildet seit dem 13. Jahrhundert das Dies irae, die Sequenz. Die Christen setzen auf das Prinzip Hoffnung, indem sie das Leiden Christi und seine Auferstehung in den gedanklichen Fokus stellen, und sie fassen besonders den Tod Christi als Erlösung auf.22 Das Andenken an den Toten wurde im Laufe der Geschichte weiter gepflegt, d.h. es wurden besondere Tage für Totenmessen eingerichtet.23 Drei Bereiche sind für das Requiem bezeichnend: Zum einen das Gedenken, zum zweiten das Gebet und zum dritten das Opfer für den Toten. Hier ist ein deutlicher Unterschied zum frühchristlich- lateinischen Beerdigungsritus auszumachen. Wie in der Fortschreibung der Messe-geschichte hat sich das Requiem zu seiner heutigen Form ebenfalls nur langsam entwickelt. Ab dem 10. Jahrhundert lassen sich erste schriftliche Zeugnisse fest-stellen.24 Seit dem 13. Jahrhundert bildet das Dies irae, die Sequenz, den Mittelpunkt der Totenmesse.25 Ordinarium und Proprium26 werden in gegenseitiger geistiger Abhängigkeit gesehen. Ohne Gebete und entsprechende Lesungen des Tages sind die liturgischen Besonderheiten nur unvollständig. Das Graduale wiederholt den Beginn des Introitus

21 Ursprünglich sind es drei Stationen, die den Verstorbenen bei seiner Beerdigung begleiten: 1. Die Überführung vom Sterbehaus bis zur Kirche, 2. das Totenamt und die Messe in der Kirche, 3. der Weg mit dem Toten auf den Friedhof. Heute gelten nur wenige Abweichungen. »Die römische Kirche hat die mittelalterliche Entwicklung der Begräbnisriten, die vor allem von den Klöstern getragen wurde, im Rituale Romanum von 1614 zusammengefasst und den Bischöfen des Weltklerus zur Einführung empfohlen. Sie bilden die liturgische Grundlage für die mehr- stimmigen Vertonungen des lateinischen Requiems und sind selbst in der deutschen Begräbis- musik noch in Umrissen zu erkennen«. In: Gerhard Kappner: Lateinische Totenmesse und deutsche Begräbnismusik. Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie. Kassel 1984, S. 122. 22 Gerhard Kappner: Lateinische Totenmesse und deutsche Begräbnismusik. Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie. Kassel 1984, S. 121. 23 Nach dem Todesdatum wurden der 3., 7., 9., 30. und/oder 40. Tag dazu verwendet, den Toten zu ehren, indem man ihm Opfer brachte. Der heidnische Brauch vermischte sich mit diesem Gedankengut. Dieses wurde auch von der Lehre des Fegefeuers in Höllenqualen beeinflusst. Luther wandte sich gegen diese Auffassung. In: Ebd., S. 119. 24 »Doch schlug die Geburtsstunde des Allerseelentages erst im Jahre 998, als Odilo von Cluny das feierliche Gedächtnis aller verstorbenen Gläubigen am 2. November für seine Klöster anordnete«. In: Ebd., S. 121. 25 Diese Sequenz nahm ihren Weg vermutlich von Italien aus und beeinflusste Abt Berno, der »durch Heinrich II. aus Prüm ins Inselkloster berufen wurde«. In: Hans Oesch: Art. Reichenau. In: MGG, Bd. 11. München 1989, Sp. 164. 26 Josef Andreas Jungmann: Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der Römischen Messe. Bd. 1. Wien 1948, S. 161. »In der Folge bleiben die Gesänge des Propriums, deren Texte aus dem lyrischen Baustoff der Psalmen aufgebaut sind und die an den Ruhepunkten des Gottesdienstes bewusst als künstlerisches Element eingefügt worden waren, in der archaischen Einfachheit ihrer altüberlieferten Choralmelodien«.

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mit der Bitte um die ewige Ruhe und das ewige Licht. Weiter spricht es von dem gerechten Menschen, der sich vor einem Unglück nicht zu fürchten brauche, wenn er ewig an Gott denke. Das Graduale bildet im Requiem formell das Ende vom Introitus. Die Sequenz, das Dies irae, beschreibt in ihrem Inhalt die ausweglose Lage eines Menschen, der das jüngste Gericht erwartet. Hier werden düstere Gedanken ins Gedächtnis des Menschen gebracht, die Ängste hervorrufen können.27 Der Dies-Text ist der längste im Requiem und hat schon von daher ein großes Gewicht. Die Inhaltlichkeit mit ihren beängstigenden Szenen nimmt einen breiten Raum ein. Der Introitus zielt durch die Bitte für ewige Ruhe der Toten auf die Sequenz. Sie umfasst das Bestehen des Lebens und ist auf die Ewigkeit ausgerichtet. Weit wichtiger scheinen Vorstellungen zu sein, die die Vergebung der Sünden, das Gericht Gottes und die Auferstehung der Toten, zum Inhalt haben. »Die Reihe der Requiem-Vertonungen von evangelischen Komponisten setzt später ein als diejenige der Messenbearbeitung. Beim Requiem scheint im 19. Jahrhundert die liturgische Bindung viel loser gewesen zu sein als bei der Messe. Die Zuweisung solcher Kompositionen in den Konzertsaal wurde von vorneherein als weniger pro- blematisch empfunden«.28 Die Gattungen Messe- und Requiem-Vertonungen zeigen einen musikalisch-gleichberechtigten Weg für unterschiedliche Richtungen. »So steht gerade die Missa pro defunctis des 19. Jahrhunderts auf dem schmalen Grat von objektivem Dogmatismus und den für die Zeit der Romantik wichtigen Erscheinungs-formen wie Nacht, Tiefe, Unendlichkeit, die der Komponist, der sich als Künstler ver- stand, als magisches Reich mittels neuer Ausdrucksformen in seiner Kunst zu erreichen sucht und in der Folge das Sakrale in einem mystischen Pantheismus zu entdecken glaubte«.29 Diese romantische Auffassung findet sich auch bei den Requiem-Vertonungen Draesekes. 3.3 Biographische Skizze: Felix Draeseke Der Komponist Felix Draeseke, am 7. Oktober 1835 in Coburg geboren und am 26. Februar 1913 in Dresden gestorben, erfuhr sowohl Anerkennung als auch Ablehnung seiner Kompositionen und redaktionellen Arbeiten. Zu Beginn seiner Kompositions-phase gehörte Draeseke zum Kreis um Franz Liszt, zur Neudeutschen Schule. Unter seinen Anhängern waren Franz Liszt, Richard Wagner, Peter Cornelius, Anton Bruckner und zu seinen Gegnern Johannes Brahms, Clara und Robert Schumann und andere Komponisten. Schon als junger Mann wurde er von Franz Brendel für die Neue Zeitschrift für Musik als Kritiker gewonnen. Draeseke unterrichtete 28 Jahre am Konservatorium in Dresden, schrieb eine Fülle weltlicher und vor allem geistlicher Musik. Allem Neuen gegenüber war er zunächst aufgeschlossen. Er versuchte im fortgeschrittenen Alter, altes kompositorisches Gedankengut mit dem neuen auf seine Weise zu verbinden. »Zu Beginn seiner Laufbahn, mit jugendlichem Eifer für die Zukunftsmusik wirkend, konnte Draeseke im Alter die Musik der Zukunft nicht mehr verstehen«.30

27 Diese Haltung war auch mit ein Grund, weshalb das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) das Dies irae in seinem Formular gestrichen hat. 28 Ulrich Konrad: Der Beitrag evangelischer Komponisten zur Messenkomposition im 19. Jahrhundert. In: KmJb 71 (1987), S. 90. 29 Ursula Adamski-Störmer: Requiem aeternam. Tod und Trauer im 19. Jahrhundert im Spiegel einer musikalischen Gattung. Frankfurt 1991, S. 19. 30 Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke. Chronik seines Lebens. (Veröffentlichungen

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Als junger Musiker widmete er sein Augenmerk auf die zeitgenössische Musik. Seine Kritiken betrafen vor allem Johannes Brahms als Gegenspieler31 und viele andere Komponisten. Die Haltung, die er als Kritiker einnahm, zeigte Draeseke als einen Menschen, der die Zeit beobachtete und sich einzelnen Kunst- und Kompositions-richtungen sowie theologischen Strömungen widmete, Zeitfragen stellte und sie hinterfragte. »Es scheint in der That, dass ein so ungehemmter Fortschritt, wie er bis in die jüngste Zeit zu constatiren gewesen, in Bezug auf die Bereicherung der musi-kalischen Mittel nicht mehr angenommen werden kann«.32 Und weiter schrieb Draeseke: »Wir brauchen nur an gewisse überschwengliche Accorde zu erinnern, die gar nicht überall da am Platze sind, wo sie verwendet werden und die späteren Zeiten geradezu zopfig erscheinen dürften. Und auch sonst befindet sich der Vergangenheit gegenüber die Neuzeit durchaus nicht unbedingt im Vortheile«.33 Der Spannungsbogen wird deutlich, unter den sich Draeseke mit seinen 87 Komposi-tionen stellte. Es gab fast kein Oeuvre in der Musik, das er nicht bearbeitet hat: Bühnenmusik, Orchester-Musik, eine Komposition für Orgel,34 Lieder und Balladen. »Draeseke beherrscht alle Gattungen, von der Sinfonie bis zum kleinen Klavierstück, vom Musikdrama bis zum einfachen Lied«.35 Die Kirchenmusik nimmt den größten Teil seiner Kompositionen ab 1875 ein.36 Hier spiegelt sich nicht nur seine musikalische Leistung wider, sondern auch seine Eigeneinschätzung. Sie wurde auch durch sein Elternhaus gefestigt. Seine Eltern waren der herzoglich sächsische Hofprediger Theodor Heinrich Timotheus Draeseke (1808-1870) und seine Frau Maria Antonie Theodore, geb. Hanstein (1815-1835). Diese haben darauf Wert gelegt, dem Sohn die beiden Rufnamen der Großväter, Gottfried August Hanstein (Domprobst) und Johannes August Bernhard Draeseke (Generalsuperintendent), zu geben. Den ersten Vornamen bezog die Mutter auf Felix Mendelssohn-Bartholdy, mit dem Marias Elternhaus eng verbunden war und »der im Hansteinschen Hause zu Berlin ein häufiger, gern gesehener Gast war«.37 Maria Draeseke starb kurz nach der Geburt ihres Sohnes. der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 3. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1989, S. VII. 31 Eduard Hanslick beschrieb den Konflikt zwischen dem Vertreter und dem Gegner der >absoluten Musik<, »dass Draeseke […] Wagners gegen Brahms gerichtete Schriften gelesen hat und dass dies sein Brahms-Bild mitgeprägt hat«. In: Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke und Johannes Brahms. Ein biographischer Annäherungsversuch. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke- Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 145. 32 Felix Draeseke: Wachstum der Impietät gegenüber den großen Tonmeistern der Vergangenheit. Aus dem Nachlass Hans von Bülows. Berlin o. J., S. 1. 33 Ebd., S. 3. 34 Auftragsarbeit für das Pfälzische Choralbuch: >O Ewigkeit, du Donnerwort< durch Seminar- musiklehrer Trautner in Kaiserslautern. Es ist das einzige Orgelwerk Draesekes. Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 440. 35 Otto zur Nedden: Die Opern und Oratorien Felix Draesekes und ihre geschichtliche Stellung. Ein Beitrag zur neueren Geschichte der Oper und des Oratoriums. Diss. Marburg 1926, S. 12. 36 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd.2. Berlin 1937, S. 254. Das Adventlied 1875. » [Draesekes] erste große geistliche Tonschöpfung für gemischten Chor, Orchester und vier Einzelstimmen«. 37 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters.

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Die Kinder- und Jugendjahre verbrachte Felix in Coburg. Ein Gehörleiden, das ihn ein Leben lang begleiten sollte, zog der Junge sich im Alter von fünf Jahren zu. Dem Vater, der sich der Kunst, dem Theater, der Musik und vor allem der Theologie verschrieben hatte, zeigte Draeseke wenige Jahre später seine ersten Kompositions-versuche. Nach dem Schulbesuch und einer entscheidenden Reise nach Frankfurt, wurde er dort dem Komponisten Aloys Schmitt vorgestellt. Dieser bestätigte seine musikalische Begabung, und Felix widmete sich der Musik.38 Der Vater war mit den musikalischen Plänen seines Sohnes zunächst nicht einverstanden. Frida Draeseke39 schrieb aus späterer Sicht über die Jugendjahre ihres Mannes Felix: »Außerordentlich günstig war es für meinen Mann, dass der Vater, welcher selbst musikalisch war, gut Geige spielte, dem Wunsche des Sohnes, den er doch gerne als Theologe(n) gesehen, als derselbe seinen festen Entschluss fasste, Musiker zu werden, nachgab. Es ist rührend, wie er zunächst als Vater, dann als Freund bis zu seinem Lebensende Freud und Leid des Künstlerberufes aufs innigste miterlebt. Insofern hat mein Mann eine besonders glückliche Jugend gehabt, und ihm ist viel Liebe entgegengebracht worden«.40 Im Jahre 1852 bestand Draeseke die Aufnahmeprüfung für das Konservatorium in Leipzig und begann mit seinen Musikstudien. Seine Lehrer waren Benjamin Robert Papperitz und Friedrich Richter (Theorie und Harmonielehre), Louis Plaidy und Ignaz Moscheles (Klavier), Julius Rietz (Tonsatz) und Franz Brendel (Musikgeschichte).41 Auch Moritz Hauptmann war sein Lehrer in Leipzig. Die Lehrer attestierten Draeseke zwar fast alle bei mehr Einsatz ein hohes Können, doch die Leipziger Zeit wirkte insgesamt auf Draeseke nicht motivierend.42 »Auf dem Konservatorium galt ich während meiner ganzen Lernzeit für einen Wagnerianer, was mir sowohl bei Rietz als insbesondere bei Direktor Schleinitz hinderlich werden sollte. Obwohl zu den hervorragenden Kompositionstalenten des betreffenden Jahrgangs gezählt, wurde ich gelegentlich der öffentlichen Prüfungsaufführungen übergangen, und dies machte es mir leichter, den bereits gefassten Entschluss, mich der Weimarer Schule zuzugesellen, nun in Ausführung zu bringen«.43 In dieser Zeit (1850-1853) traf Felix

Bd. 1. Berlin, 1930, S. 35. 38 Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke. Chronik seines Lebens. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 3. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1989, S. 17. Vgl. LE, S. 30: »Georg Aloys Schmitt, 1827-1902, Pianist, 57-92 in Schwerin Hof- kapellmeister; fast 70-jährig übernahm er den Dresdener Mozartverein und führte ihn zur Blüte. Er starb am Dirigentenpult«. Vgl. LE, S. 197. 39 Am 16.5.1894 heiratete Draeseke Frida Neuhaus, seine frühere Schülerin aus Gotha. In: LE, S. 103. 40 Felix Draeseke: Lebenserinnerungen nach Diktat. Gekürztes Manuskript (1906-17.06.1909). Hrsg. von Hermann Stephani. Typoskript. Coburgica Nr. XI. 30, S. 22. Zitiert aus einem Brief vom 6.4.1925 an Hermann Stephani. 41 Ebd., S. 24. 42 Doris Mundus: Überall Concert, überall Publicum. Komponisten, Dirigenten und Klavier- fabriken: Wie Leipzig im 19. Jahrhundert Deutschlands Musikhauptstadt wurde. »Mendelssohn verstand sich als Primus inter Pares, gab Gesangs- und Kompositions- unterricht und konnte neben Schumann bedeutende Künstler wie Moritz Hauptmann (Musiktheorie), Ferdinand David (Violine), Ignaz Moscheles aus London (Klavier) gewinnen«. In: Die Zeit Nr. 9 vom 25.02.2010, S. 90. 43 Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke. Chronik seines Lebens. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 3. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1989, S. 26, sowie Draesekes > Autobiographische Skizze<. In: Neue Musik-Zeitung. Köln 7. Jg. Nr. 11, 1886, S. 130.

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Draeseke mit Hans von Bülow in Berlin zusammen, der ihn mit der Musik von Franz Liszt und Richard Wagner bekannt machte. »Beide (von Bülow und Draeseke) erhalten durch den Besuch einer Lohengrin-Aufführung den entscheidenden Anstoß zu dem Entschluss, sich in Zukunft der Musik zu verschreiben«.44 Draeseke hatte den Eindruck, dass er seine Ausbildung als Musiker abgeschlossen hätte und verließ deshalb das Konservatorium 1855 in Leipzig. Auf dem Abgangszeugnis stand unter anderem: »Theorie der Musik und Composition: Herr Draeseke war nur abwechselnd fleißig und konnte, infolge einer eigentümlichen Kunstanschauung, eine solide Durchbildung nicht befördern«45, er nahm allerdings weiter bei seinem Lehrer Julius Rietz Kompositionsunterricht. Sein Musikgeschichts-lehrer, Franz Brendel, warb ihn als Musikkritiker für die Neue Zeitschrift für Musik46, weil dieser erkannt hatte, dass Draeseke- trotz der Misserfolge auf dem Konservatorium- musikalisch zu beurteilen wusste.47 »Die Ästhetik, die Draesekes Lehrer Franz Brendel am Leipziger Konservatorium und in der Neuen Zeitschrift predigte, war zum großen Teil weltlich und beruhte auf der Komposition von Orchesterwerken und Opern«.48 Der gerade Zwanzigjährige verfasste viele Kritiken und Abhandlungen, unter anderem über Werke von von Bülow, Wagner und seinem Lehrer Rietz. Zu einem Teil waren die Kritiken von einem vernichtenden Urteil, zu einem anderen von tiefer Verehrung für manche Zeitgenossen geprägt. »Der Umstand aber, dass Brendel mich zugleich als Vokalkritiker verwendete, sowie das unzeitige Bekanntwerden dieser Verwendung zog mir in einem Grade den Hass des offiziellen Leipziger Musikertums zu, wie er sich während meiner Lebenszeit wohl kaum sonst noch auf einen einzigen Musiker konzentriert hat«.49 Seine erste Begegnung mit Franz Liszt als Dirigent hatte Draeseke in einem Konzert in Leipzig am 26.02.1857 miterlebt. Hans von Bülow spielte im 2. Teil Liszts Klavierkonzert Es-Dur.50 »Im Zentrum der neudeutschen Fortschrittspartei stand Franz Liszt während seines Weimarer Aufenthalts 1849-1861, wo er von zahlreichen Verehrern und Gleichgesinnten umgeben war, unter ihnen der hoch bedeutende Dirigent und 44 Heribert Schröder: Felix Draeseke und Hans von Bülow. Ein Beitrag zur Kritik an Erich Roeders Draeseke-Bild. In: Draeseke und Liszt. Draesekes Liedschaffen. (Veröffentlichun- gen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 2. Hrsg. von Helga Lühning und Helmut Loos. Bad Honnef 1988, S. 23. 45 Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke. Chronik seines Lebens. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 3. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1989, S. 26. 46 »Als Publikationsorgan des Musikvereins diente die in Leipzig erscheinende, ehemals von Robert Schumann geleitete Neue Zeitschrift für Musik, die ab 1845 Brendel herausgab, der erstmals 1851 Partei für Wagner ergriff. Zu Brendels Leipziger Mitarbeiterkreis gehörten als Liszt- und Wagner- Anhänger unter anderem Richard Pohl, Karl Friedrich Weitzmann, Joachim Raff, Felix Draeseke und Heinrich Porges«. In: Hans Heinrich Eggebrecht: Musik im Abendland. Prozesse und Stationen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. München 1991, S. 666. 47 Franz Brendel: Felix Draesekes Musikgeschichtslehrer am Konservatorium hatte ihn, die Begabung seines ehemaligen Schülers erkennend, dazu eingeladen, für die von ihm redigierte >Neue Zeitschrift für Musik< zu schreiben. In: Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke. Chronik seines Lebens. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 3. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1989, S. 27. 48 James A. Deaville: Das Verhältnis Draeseke-Cornelius in kirchenmusikalischer Hinsicht. Ihre ästhetischen Ansichten. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 327. 49 Felix Draeseke: Lebenserinnerungen. Hrsg. von Hermann Stephani. Coburgica Nr. XI, S. 10. 50 Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke. Chronik seines Lebens. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 3. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1989, S. 32.

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Komponist Hans von Bülow51, der Komponist Peter Cornelius, der Liszt als Sekretär zur Seite stand, sowie Joachim Raff, Liszts Mitarbeiter in Weimar, der ihm bei der Instrumentation seiner Orchesterwerke assistierte. Die Kennzeichen des Kunst-wollens, das in dieser Weimarer Schule einen Mittelpunkt fand, waren: Liszts Symphonische Dichtungen, Hector Berlioz' Programmsymphonien und Richard Wagners Bühnenwerke«.52 Neben dem Schreiben für die Neue Zeitschrift für Musik verfasste Draeseke kleinere und größere Kompositionen. Durch Hans von Bülow vermittelt, wurde Draeseke von Franz Liszt 1857 eingeladen, um Teile aus seiner ersten Oper >Sigurd< vorzu-führen. Die Proben weckten ein breites Interesse. »Ich hatte in Berlin für die Brendelsche Zeitung gearbeitet und war infolgedessen aufgefordert worden, auch in den >Anregungen für Kunst und Leben und Wissenschaft<, einer neuen, durch Brendel ins Leben gerufene Zeitung, mich vernehmen zu lassen. In dieser Zeitung erschienen meine großen Analysen, die Symphonischen Dichtungen von Liszt. Sie erstreckten sich auf die Nummern 1-9, erschienen von Ende 57 bis Ende 59 und machten im Ganzen nicht geringes Aufsehen. Hauptsächlich durch diese Artikel, so sehr ihr Inhalt auch angefeindet wurde, errang ich mir als Schriftsteller Beachtung, und es ist vielleicht einer der dümmsten Streiche meines Lebens gewesen, dass ich sobald auf derartige Tätigkeit verzichtet habe«.53 Der Einfluss Liszts machte sich zunächst in Draesekes frühen Werken in der Erweiterung der Harmonik und Instrumentierung, unter anderem von Blechbläsern, bemerkbar. Seine Klavierkompositionen tragen ebenfalls Lisztsche Einflüsse. »Auch er [Draeseke] zeigt in jugendlichen Klavierwerken als Verkörperung Liszt'schen Einflusses fesselnde Gattungsgründungen«.54 Die Zustimmung fand sich in frühen Klavierstücken wieder, die Draeseke neben dem Requiem schaffte und 1877 beendete. In späteren Jahren löste sich Draeseke von Liszt. Grund dafür waren die Ereignisse um die Aufführung von Draesekes >Germania-Marsch< und die vermehrte Eigenständigkeit in der Schweiz. Weiteres Auseinandergehen zeigte sich in reinen Orchesterstücken der Lisztschen sinfonischen Orchesterstücke. Liszt und Draeseke gingen auf dem Gebiet der Symphonischen Vorspiele »in entgegenge-setzte Richtung«.55 Wegen der persönlichen Schwierigkeiten Wagners wurde Draeseke im Oktober 1862 von Liszt in die Schweiz geschickt, »von Liszt als Tröster zu Richard Wagner entsandt«.56 Richard Wagner leistete er sehr oft Gesellschaft und lernte dessen Musik und vor allem die Werke Johann Sebastian Bachs durch ihn näher kennen. Weiter verwies Wagner auf Beethoven: »Dass der melodische Fluss in den

51 Nachdem Hans von Bülow Draeseke kennen gelernt hat, äußerte sich dieser wie folgt: »Du bist mir der Interessanteste und Sympatischste unter den Gleichzeitigen; du bist der Muskulöseste unter all den jungen Musikern«. In: LE, S. 393. 52 Hans Heinrich Eggebrecht: Musik im Abendland. Prozesse und Stationen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. München 1991, S. 666. 53 Felix Draeseke: Lebenserinnerungen. Hrsg. von Hermann Stephani. Coburgica XI, S. 47. 54 Hans Joachim Moser: Geschichte der deutschen Musik. Bd. 2. Stuttgart. Berlin 1924, S. 207. 55 Helmut Loos: Felix Draesekes Symphonische Vorspiele. In: Draeseke und Liszt. Draesekes Liedschaffen. Tagungen 1987 und 1988 in Coburg. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 2. Hrsg. von Helmut Loos. Bad Honnef 1988, S. 100. 56 Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke. Chronik seines Lebens. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 3. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1989, S. 37.

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Beethovenschen Symphonien unversiegbar daherströme, und man sich an der Hand der Melodie die ganze Symphonie deutlich ins Gedächtnis rufen könne, gab er mir einen Anstoß zum Nachdenken, der auf meine eigenen Produktionen sehr eingewirkt hat«.57 Seinen Lebensunterhalt bestritt Draeseke durch Klavierstunden in Yverdon und Lausanne. Es entstehen theoretische Schriften, eine sinfonische Dichtung, eine Sinfonie, Klavier- und Chorwerke. Bei mehreren Deutschlandfahrten holt er sich immer wieder zusätzlich Anregungen. Mit Schollmeyer58 stellte er den Text zum >Christus-Oratorium< zusammen. Wenig später fertigt Draeseke 1865 das >Lacrimosa< als op. 10 an, das Jahre später im musikalischen Mittelpunkt seines Requiems h-Moll, op. 22 stehen sollte. Liedkompositionen folgten, in denen Draeseke Texte von Strachwitz,59 Mörike60 und Rückert61 und anderen vermehrt vertonte. Zwischenzeitlich hatte Draeseke Bach und Beethoven studiert und sich mit ihrer Musik auseinandergesetzt, sodass er einen besonderen Zugang dafür gewann, die Entwicklung des eigenen Kontrapunktes zu bereichern. Insgesamt beurteilte Draeseke die Schweizer Jahre aber »als verlorene Jahre«,62 obwohl er viele musikalische und politische Anregungen durch Richard Wagner und Hans von Bülow erfahren hatte.63 Die folgenden Dresdener Jahre von 1875 bis etwa 1893 waren von hohem, musikalischem Arbeitseinsatz gekennzeichnet. In Dresden, wo Draeseke seit 1876 als Lehrer am Konservatorium arbeitete, komponierte der Vierzigjährige viele musikalische Ideen aus, schrieb unter anderem seine G-Dur Symphonie, mit der er auf dem Erfurter Tonkünstlerfest großen Erfolg hatte.

57 Felix Draeseke: Lebenserinnerungen. Hrsg. von Hermann Stephani. Coburgica Nr. XI, S. 75. 58 Adolf Schollmeyer war Pfarrer in Dingelstedt und Schwager von Felix Draeseke. In: Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke. Chronik seines Lebens. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 3. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1989, S. 47, 103, 114, 215. 59 Moritz von Strachwitz schrieb den Text >Helges Treue<, den Felix Draeseke als op. 1 1859 vertonte. In: Ebd., S. 36, 38, 183, 184, 220. 60 Eduard Mörike verfasste den Text >Das verlassene Mägdlein<, vertont von Felix Draeseke und in op. 2 erschienen. Lieder für eine Singstimme und Klavier, 2. Heft: Cypressen. In: Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke. Chronik seines Lebens. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 3. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1989, S. 184, 217, 218, 221. 61 Hans Joachim Moser: Geschichte der deutschen Musik. Bd. 2. Stuttgart. Berlin 1924, S. 209. Vgl. Erich Roeder: »Seit dem Adventlied weiß Draeseke, dass er berufen ist, Überragendes in der geistlichen Musik zu leisten, vorausgesetzt, dass sein Können dem Wollen entspricht«. In: Felix Draeseke: Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 31. Draeseke arbeitet auch in dieser Zeit an dem Agnus Dei für sein Requiem op. 22. Vgl. Felix Draeseke: Adventlied op. 30. Text von F. Rückert. Vgl. Harald Krebs: Textbehandlung in Draesekes Adventlied. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 173ff. 62 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 1. Berlin 1930, S. 262. 63 Draeseke präsentierte auf der Tonkünstlerversammlung 1861 die Germania-Ode und den Germania-Marsch, »zwei Werke, die offenbar alle Register der Lisztschen Tonsprache in überzeichnetem Maße einsetzten«. Es kam zum Streit. Draeseke ging danach in die Schweiz. In: Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke und Johannes Brahms. Ein biographischer Annäherungsversuch. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 142.

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»Nun ist Draeseke der Held des Tages und des Festes. Man ruft ihn zum Gegenpapst von Brahms aus. Gegen ihn hat er sich nun im Lauf eines halben Jahres schon zweimal behauptet. Eine Rivalität zwischen beiden bestand schon lange. Sie waren sich dessen auch bewusst. Dass man jetzt darauf aufmerksam macht, erscheint viel natürlicher als das ständige Ausspielen von Brahms gegen Wagner. Denn das Schaffen der fast Gleichaltrigen lag ja auf derselben Linie. Die verschiedenen seelischen Grundrichtungen ihrer Kunst, der Optimismus [Brahms] des einen und der Pessimismus [Draeseke] des anderen, ließen schon im Weltanschaulichen eine Quelle finden, den einen für den Gegenpol des anderen zu halten«.64 Draeseke hat 1884 die Nachfolge Franz Wüllners angetreten, mit der Aufgabe, den Kompositions-, Kontrapunkt- und Harmonielehreunterricht am Konservatorium in Dresden zu erteilen. 1898 wurde er Hofrat, 1906 Geheimer Hofrat und 1912 zum Dr. phil. der Universität Berlin ernannt.65 Angeregt durch seine pädagogischen und musiktheoretischen Tätigkeiten, gelangen ihm in diesen und den folgenden Jahren unter anderem auch große Kompositionen und weitere Schriften. Besonders herausragend und zu erwähnen sind das Adventlied op. 30 von 1871-1875 und die Symphonia tragica von 1886.66 Felix Draeseke wurde 1892 zum Professor ernannt,67 und am Ende des Jahres fand in der Thomaskirche zu Leipzig die Uraufführung seiner Großen Messe in fis-Moll, op. 60 statt.68 In diese Schaffenszeit fiel die Heirat mit Frida Neuhaus, einer ehemaligen Schülerin Draesekes.69 1894 begann Draeseke mit der Komposition des >Christus<, einem Oratorium, dessen Text er mit seinem Schwager und Theologen Schollmeyer bereits 1864 fertig gestellt hatte. Die restlichen Arbeiten an diesem Oratorium dauerten bis zum Jahr 1899. »In überaus glücklicher Ehe fand er die Geborgenheit, sich für das umfassendste Werk seines Lebens zu sammeln, die Tetralogie Christus, ein Oratorien-Gegenstück zu Wagners Ring des Nibelungen, das er binnen vier Jahren bewältigte«.70 Draeseke setzte einen musikalischen Markstein mit seiner Christus-Komposition. In Anlehnung und Wirkung auf den Schlusschor schrieb Moser in seiner Beurteilung: »Die übersteigernde Ballung polyphoner und 64 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 45. 65 Hans Joachim Moser: Geschichte der deutschen Musik. Bd. 2. Stuttgart. Berlin 1924, S. 207. Vgl. Erich Roeder: Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 454. 66 Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke. Chronik seines Lebens. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 3. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1989, S. 66, S. 88. Text von Friedrich Rückert. Uraufführung in der Dresdener Frauenkirche am 22. 11. 1878. 67 Verleihung des Professorentitels an Felix Draeseke am 29.03.1892 (Urkunde Dl, Mscr. Dresd. App.1193, B, 2, c (2)). Vgl. Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke. Chronik seines Lebens. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 3. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1989, S. 100. 68 Am 18.11.1892 wurde die fis-Moll-Messe durch Hermann Kretzschmar im 214. Konzert des Riedel- Vereins in der Thomaskirche uraufgeführt. In: Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 1. Berlin 1930, S. 271. 69 Felix Draeseke: Lebenserinnerungen. Hrsg. von Hermann Stephani. Coburgica Nr. XI. 30, S. 249f. 70 Hermann Stephani: Art. Draeseke. In: MGG, Bd. 3. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London. Paris. New York. München 1989, Sp. 731.

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klanglicher Mittel wird hier zum bezeichnenden fin-de-siècle-Merkmal geistlichen norddeutschen Neubarocks«.71 Die musikpädagogische Arbeit an der Musikhochschule gab Draeseke den entscheidenden Anstoß, ein Lehrbuch für Kontrapunkt und Fuge 1902 herauszugeben: >Der gebundene Styl<. In seiner Einleitung zum ersten Band äußerte Draeseke sich über Johann Sebastian Bach, den er sehr verehrte: »Bach hatte die Polyphonie in ungeahnter Weise neu entwickelt, insbesondere der Fuge und den ihr verwandten Formen ihre bis heute gültige klassische Gestalt gegeben und war durch seinen großen Zeitgenossen Haendel in diesem Bestreben in ausgiebiger Weise unterstützt worden«.72 1906 verfasste Draeseke eine Schrift >Die Konfusion in der Musik<. Diese richtete sich gegen die neue Musik, besonders gegen Richard Strauss’ >Salome<. Über die verschiedenen Auffassungen von Musik brach nach dieser Veröffentlichung ein großer musikalischer Streit aus.73 Die anschließenden Jahre waren in Draesekes Arbeiten vom Palestrina-Stil gekennzeichnet. So entstanden A-cappella-Komposi-tionen, die im Kontrapunkt geschrieben wurden: Große Messe a-Moll, op. 85 und das Requiem e-Moll, WoO 35 aus dem Jahre 1908/1909 und 1910. 1913 wollte der Lehrer seine musikpädagogische Tätigkeit am Konservatorium in Dresden beenden, doch Draeseke starb am 26. Februar 1913. 3.4 Draeseke in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts Im 19. Jahrhundert war die Gesellschaft von zwei großen Säulen Wirtschaft/Politik und Kunst/Musik geprägt, wobei beides als etwas Besonderes, Unabhängiges, dargestellt wurde. Das Besondere war darin zu finden, dass sich das Alltagsleben deutlich von den Künsten absetzte. Zunächst waren die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Belange für die Existenzgründung der Menschen wichtig. Beides beruhte auf der Industrialisierung ab der Mitte des 18. Jahrhunderts. Neue Erkenntnisse und Erfindungen sorgten für einen enormen Aufschwung in der Produktion in den Industriebetrieben. Daraus erwuchsen neue Arbeitsbedingungen und letztlich gesellschaftliche Umschichtungen. Die soziale Struktur wurde verändert: Unternehmer, Arbeiter und Angestellte bildeten die neue industrielle Gesellschaft. Eine geistige und kulturelle Umwandlung wurde ebenfalls nötig. »Die industrielle Revolution, beruhend auf zahlreichen großen Erfindungen, veränderte zusammen mit der raschen Bevölkerungszunahme die bisherigen Lebensverhältnisse. Die Naturkräfte wurden dem menschlichen Leben dienstbar gemacht, das sie äußerlich erleichterten und verfeinerten. Aber durch gesteigerten Wettbewerb, strengere Forderungen an Arbeit und Leistung des Einzelnen wurde das Dasein härter und kälter«.74 Die Menschen wurden durch die großen Religionen und verschiedene Philosophien in ihrem Denken unterstützt und begleitet oder aber kontraproduktiv beeinflusst.

71 Hans Joachim Moser: Geschichte der deutschen Musik. Bd. 2. Stuttgart. Berlin 1924, S. 210. 72 Felix Draeseke: Kontrapunkt und Fuge. Bd. 1. Hannover. London 1902, S. 4. 73 Vgl. >Die Konfusion in der Musik<, Felix Draesekes Kampfschrift von 1906 und ihre Folgen. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 4. Hrsg. von Susanne Shigihara und Helmut Loos. Bonn 1990, S. 41. 74 Johannes Hartmann: Das Geschichtsbuch. Frankfurt/Main 1955, S.170.

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Bei der Wiederaufnahme der Kritik der positiven Religion fasste Georg Friedrich Wilhelm Hegel den Zeitgeist in seinen Widersprüchen zusammen: »Das beschränkte Leben erhebt sich zum Unendlichen und nur dadurch, dass das Endliche selbst Leben ist, trägt es die Möglichkeit in sich, zum unendlichen Leben sich zu erheben. Die Philosophie muss eben darum mit der Religion aufhören, weil jene ein Denken ist, also einen Gegensatz hat, theils des Nichtdenkenden, theils des Denkenden und des Gedachten. Sie hat in allem Endlichen die Endlichkeit aufzuzeigen und durch Vernunft die Vervollständigung desselben zu fordern«.75 Das 19. Jahrhundert ließ Künstlern im Allgemeinen einen weiten Kritikraum zu. Felix Draeseke hatte in seinen Kritiken über die Musik konstruktiv mitgearbeitet. Er nutzte die von Robert Schumann gegründete Neue Zeitschrift für Musik als Forum für seine musikalischen Anliegen. »Liszt und Draeseke fassten die Musik im Sinne eines >civilisirenden Waltens< der Kunst für ein großes Publikum auf, dazu sollte eine ausgewogene Balance zwischen Realismus und Idealismus in der Tonmalerei dienen. Draeseke formuliert seine Schriften stets in dem Bewusstsein, dass er als ästhetisches Subjekt zu überzeugen hatte, es fanden sich keine Anzeichen für ein Vorgehen, das diese Situation durch vorgetäuschte Wissenschaftlichkeit vernebelte. Insofern war Draeseke geradezu das Musterbeispiel eines verantwortungsvollen Musikschriftstellers, zumal seine Argumentation auf musikalischer Betrachtung fußte«.76 Bei einem Vortrag, den Draeseke am 8. August 1861 in Weimar gehalten hat, äußerte er sich nicht nur kritisch zu dem Personenkreis, der sich an der Diskussion über die >Zukunftsmusik< beteiligt hat, sondern sprach direkt die Bevormundung der Kritikerstimmen an. Draeseke spürte auch, dass durch die Missachtung der Künste der Lebensraum sehr eng gehalten wurde, denn der Lebensraum der Kunst wurde den Menschen entzogen, indem die Arbeit als oberstes Gebot Geltung erhielt. Die Menschen wurden zu Automaten, das Geld diktierte kategorisch das Leben. Die industrielle Arbeit zeigte auf der einen Seite zwar Fortschritte, auf der anderen Seite aber eine Abhängigkeit mit inhumanen Zügen. 75 Karl Rosenkranz: Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben. Unveränderter reprografischer Nachdruck der Ausgabe Berlin 1844, unter Hinzufügung einer Nachbemerkung von Otto Pöggeler zum Nachdruck 1977. Darmstadt 1998, S. 96. Hegel kannte ebenfalls die andere Seite: »Daher sehen wir Hegel gar nicht, wie man nach manchen Schilderungen seiner Philosophie erwarten sollte, in seiner Jünglingsperiode mit einem dürren, logischen Schematismus sich beschäftigen und dessen Kategorien den äußerlich aufgegriffenen Reichthum des Universums mechanisch einordnen, sondern wir sehen einen gemüthvollen Menschen, der in ungeheurem Wissensdrang sich mit einer gewissen Gleichmäßigkeit um Alles kümmert, dem aber besonders die Geschichte als das Werk des Geistes und die Religion als die universellste Form der Vorstellung, welche sich der geschichtlich erscheinende Geist von seinem Wesen macht, durch das Herz gehen«. Vgl. Ebd., S. 101. 76 Helmut Loos: Die Wagner- und Liszt-Aufsätze. In: Felix Draeseke: Schriften 1855-1861. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 1.Hrsg. von Martella Gutiérrez-Denhoff und Helmut Loos. Bad Honnef 1987. S. XXV. Vgl. Bd.1. Felix Draeseke: Die sogenannte Zukunftsmusik und ihre Gegner. Ein Vortrag, gehalten am 8. August zu Weimar, 1861: »Der Kampf gegen die sogenannte Zukunftsmusik ist kein rein musikalischer geblieben, Berufene und Unberufene fühlten sich gemüßigt, ihr Wort vernehmen zu lassen; eine Zeit lang sogar schien es, als solle die Epoche der Inquisitionen auf künstlerischem Gebiete wieder erstehen, als solle durch Vernichtung einer Partei, ad majorem artis gloriam, die fehlende Productionskraft des Jahrhunderts gesichert werden«. In: Ebd., S. 315.

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Die gesetzten Bildungsziele existierten im Nebeneinander zweier Kulturen: auf der einen Seite haben »der geistige und künstlerische Individualismus parallel zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen im 18. Jahrhundert und in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts diesem Ideal in den europäischen Bildungs-schichten zur fast unumschränkten Vorherrschaft verholfen«. Auf der anderen Seite »beherrschte das durch die Kirchen geformte und überlieferte traditionelle geistige und religiöse Welt- und Menschenbild noch sehr weitgehend das Feld«.77 Es setzte in der Bildung eine kulturpolitische Auseinandersetzung zwischen den beiden Strömungen ein. Das Ergebnis dieses Kulturkampfes in der Bildungspolitik war die Trennung von Kirche und Staat. Auf der einen Seite konnten die Kirchen ihre geistig-weltanschaulichen Positionen verstärken, indem sie Mobilität anzeigten und doch in ihren christlichen Grundsätzen standhielten. Der Fortschrittsglaube auf der anderen Seite erfuhr eine Krise. »Der Flucht in den Positivismus einerseits, in den Historismus und Relativismus andererseits«,78 wollte Friedrich Nietzsche die Umwertung aller Werte entgegensetzen.79 Natur- und Kulturwissenschaften wurden auf der Grundlage von Empirie und Iststand als historische Wissenschaften anerkannt. Dieser Prozess war mit einer neuen Veränderung der Stellung und Bedeutung der Kunst und Literatur verbunden.80 Die Geschichte rückte in den Vordergrund, indem »Historismus und Realismus nicht nur in der Themenauswahl und Gestaltung dominierten, [sondern] bis hin zu vergleichs-weise abstrakten Kunstarten wie der Musik«.81 Die Zeitkritik proklamierte den Weg nach innen, denn Traum, Gefühl und Phantasie wurden höher eingestuft als der materielle Fortschritt. Die Romantik hielt mit Prosa und Poesie zwei Begriffe bereit. Aus der organischen Entwicklung entstand für Dilthey das Prinzip der Individualität.82 Aber die Auslegung erweiterte sich: Prosa hing mit dem alltäglichen Leben, dem Kampf um die Existenz, zusammen, während Poesie alles Natürliche, Traumhafte, Künstlerische in das Leben mit einbezog und somit die Individualität des Einzelnen unterstützte und rechtfertigte. Die Musik war gegenüber allen anderen Künsten in der Lage, eine eigene Sprache zu vermitteln. Sie wurde als Bereicherung des Lebens angesehen und eine Fähig-keit erreicht, den Menschen eine gesunde Gegenkraft zu ihrer Arbeit zu geben. Daraus entstand auch eine religiöse Komponente, die vor allem Künstler und Musiker darstellen konnten. »Kunst und Poesie sind für die Gebildeten unserer Zeit die wirksamsten Erweckungsmittel religiöser Gefühle. Im Gefühl tut sich der Glaube am unmittelbarsten kund. Dem religiösen Gefühl dient aber am besten die Kunst«.83 Hier spiegelte sich der Beginn des 19. Jahrhunderts wider. Sehr deutlich wurde diese Haltung 1799 bei Friedrich Schleiermacher. Er verfasste als Theologe eine Abhandlung über die Religion. Dort beschrieb er den Begriff der >Kunstreligion<. Das war eine der Ideen, die das Bürgertum des 19. Jahrhunderts annahm oder verwarf.

77 Lothar Gall: Europa auf dem Weg in die Moderne 1850-1890. München 1984, S. 23. 78 Ebd., S. 25. 79 Draeseke, Felix: LE, S. 396. Arthur Schopenhauer nimmt als Wesen aller Dinge, das Ding >an sich<, den Willen zum Leben an, der als widerspruchsvoll zu verneinen sei. Bei Nietzsche würde dieser Wille zur Grundlage einer bejahenden Weltansicht führen. 80 Lothar Gall: Europa auf dem Weg in die Moderne 1850-1890. München 1984, S. 28. 81 Ebd., S. 28. 82 Joachim Thielen: Wilhelm Dilthey und die Entwicklung des geschichtlichen Denkens in Deutschland im ausgehenden 19. Jahrhundert. Würzburg 1996, S. 397. 83 Martin Leberecht de Wette: Die neue Kirche (1815). Zitiert nach: Carl Dahlhaus: Die Idee der absoluten Musik. Kassel 1978, S. 89.

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Der Streit um die >wahre Kirchenmusik< konnte nur dahin gehend verstanden werden, wenn die Gesellschaft sich mit dem Begriff der >religiösen Substanz< auseinandersetzte. »Eine Religion, die sich aus der Kulthandlung in das Gefühl des Einzelnen zurückzieht, konvergiert mit einer Musik, deren ästhetische Kontemplation in eine metaphysische übergeht, und die Theologie, in der die Konvergenz begründet wurde, war die Schleiermachers«.84 Diese Zeit beleuchtete die Biographien beider Großväter Draesekes: einerseits den Dompropst Gottfried August Ludwig Hanstein, andererseits den Generalsuperintendenten Johann Heinrich Bernhard Draeseke. Beide waren mehr der lutherischen Theologie zugeneigt als der mehr künstlerischen Musik. Für Felix Draeseke als Enkel war »die Restauration der evangelischen Kirchenmusik [im hohen Alter] wesentlich bestimmt von einer Hinwendung zur A-cappella-Musik der Renaissance und des Barock«, und sie »erhielt ihre geistigen Anstöße weitgehend von der literarisch sich artikulierenden Romantik«.85 Die Gedankenwelt beider Großväter Draesekes lag in der philosophisch-ausgerich-teten Religion und im politischen Raum. Beide Männer zeigten die Überzeugung, dass ein lutherischer Gottesdienst mit Wortauslegung und festem Ritus in deutscher Sprache der Gemeinde dienlich sei. Draeseke selbst vertonte aber den Ritus seiner vier Messen nicht in deutscher, sondern in lateinischer Sprache. Hinzu kam die Spaltung des Musikbegriffs. Er wurde bei E.T. A. Hoffmann schon vorbereitet. Dieser lehnte sich an die veränderte Gesellschaft an. Zum einen gab es die Gesellschaft, die sich an den Adel anschloss. Zum anderen wurde der Begriff vom neuen Bürgertum dahingehend erweitert, als es sich mit Kunst und Musik schmückte, ohne sich der musikalischen Tradition im klassischen Sinn zu stellen. »Macht man sich E.T. A. Hoffmanns These zu Eigen, dass sich in den Symphonien von Haydn, Mozart und Beethoven das romantische Wesen der modernen Instru-mentalmusik manifestiere, so drängt sich als Resultat die Behauptung auf, dass die musikalische Romantik um 1790 entstanden sei, und zwar unabhängig voneinander in der französischen Oper, in der Wiener Instrumentalmusik- genauer: in der durch die Generation von Wackenroder, Tieck und Hoffmann rezipierten Wiener Instrumen-talmusik- und in der norddeutschen Musikästhetik, die dem Zeitgeist die Sprache lieh«.86 Die >wahre Kirchenmusik< zielte auf die Vergangenheit. E.T.A. Hoffmann fasste die Musik als >fortschreitenden Geist< auf, seine Ästhetik bestand aus dem religiösen Inhalt der Vokalmusik und dem metaphysischen Ansatz der Instrumentalmusik Beethovens. »Am Ende fließen in Hoffmanns Ästhetik der Kirchenmusik der religiöse Gehalt der Vokalmusik Palestrinas und der metaphysische der Beethovenschen Instrumentalmusik ineinander«.87

84 Friedrich Schleiermacher: Über die Religion. 1799. In: Musik zur Sprache gebracht. Musikästhetische Texte aus drei Jahrhunderten. Ausgewählt und kommentiert von Carl Dahlhaus und Michael Zimmermann. Kassel. Basel. London. München 1984, S. 210. 85 Ulrich Konrad: Der Beitrag evangelischer Komponisten zur Messenkomposition im 19. Jahrhundert. In: KmJb 71 (1987), S. 74. 86 Carl Dahlhaus: Die Musik des 19. Jahrhunderts. Wiesbaden 1980, S. 16. 87 E.T.A. Hoffmann: Alte und neue Kirchenmusik. In: Allgemeine musikalische Zeitung. Bd. 16, 1814. In: Musik zur Sprache gebracht. Musikästhetische Texte aus drei Jahrhunderten. Ausgewählt und kommentiert von Carl Dahlhaus und Michael Zimmermann. Kassel. Basel. London. München 1984, S. 209.

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Bei den musikalischen wie schriftstellerischen Aufgaben stand Felix Draeseke auf literarischem, theologischem und musikgeschichtlichem Boden. »Als Historismus wird zunächst ein mit dem 18. Jahrhundert einsetzendes neues Geschichtsver-ständnis bezeichnet, das jede geschichtliche Epoche allein aus ihren eigenen Bedingungen heraus verstehen will«.88 Die Entwicklung der vor allem geistlichen Vokalmusik war ohne den Historismus nicht zu verstehen. Für die Kirchenmusik der Klassik war der Zeitstil mit den starken weltlichen Einflüssen wie Oper und Sinfonie bestimmend. Die Kirchenmusik konnte sich diesen nicht verschließen. Sie öffnete sich ihnen, und dadurch erhielt sie auch teilweise konzertanten Charakter. Das hatte im 19. Jahrhundert zur Folge, dass in der Kirchenmusik kirchliche und geistliche Musik nebeneinander bestanden: Kirchliche, die rein liturgisch und organisch in die Messe eingebaut war, und geistliche Musik, die im Sinne einer Konzertaufführung für die Kirche und den Konzertsaal komponiert wurde. »Somit erfüllt die musikalische Messe ihren Zweck ausschließlich im katholischen Gottesdienst. Ihren Sinn kann sie dagegen auch außerhalb der Kirche, als überkonfessionelles Glaubensbekenntnis bewahren«.89 Das Problem für die Auffassung geistlicher Musik im Konzertsaal lag nicht nur auf den kirchlichen Seiten, sondern auch auf der soziologischen Ebene der Zeit. . 3.5 Draeseke und die Religion - Gottesdienstliche Kirchenmusik Obwohl Draeseke in einem evangelisch-lutherischen Hause aufwuchs, unterlag er starken religiösen Schwankungen. In seinen Lebenserinnerungen verglich er Richard Wagners religiöse Haltung mit der Seinen. Als junger Mann war er der Religion gegenüber eher skeptisch eingestellt. »Wagner war sehr freigeistig und, wie mir schien, jener Zeit absolut religionslos. Gleichwohl sollte ich von ihm auch auf diesem Gebiete eine mich höchst überraschende Antwort erhalten. Mein Verhältnis zum Christentum war nämlich auch sehr erschüttert und der nicht gerade günstige Einfluss, den der engherzige und etwas zelotische Diakonus meines Vaters auf diesen ausgeübt hatte [gemeint ist der Großvater väterlicherseits], war noch mehr Grund gewesen, mich auf die andere Seite zu treiben«.90 Das war Wagners Feuerbachszeit. Später, -nach der Jugendzeit-, wandelte sich Wagners religiöse

88 Felix Draeseke: Gottesdienstliche Kirchenmusik. In: Kirchliche Monatsschrift. Organ für die Bestrebungen der positiven Union. Bd. 4. Heft 1. 1885, S. 558. 89 Ulrich Konrad: Der Beitrag evangelischer Komponisten zur Messenkomposition im 19. Jahr- hundert. In: KmJb 71 (1987), S. 86. 90 Felix Draeseke: Lebenserinnerungen. Hrsg. von Hermann Stephani. Coburgica XI. 30, S. 81. Johann Heinrich Bernhard Draeseke, geb. 18.01.1774 in Braunschweig, Kanzel-Redner in Mölln, Ratzeburg, Bremen und Magdeburg, wo er evangelischer Landesbischof wurde, starb 1849 in Potsdam. Seine Predigten über Deutschlands Wiedergeburt waren berühmt und zogen ihm den Protest des Bundestags zu. Er war 20 Jahre lang in Bremen an St. Ansgarid als Generalsuper- intendent tätig. Danach wurde er nach Magdeburg berufen, »nachdem er durch die Gewalt seiner Persönlichkeit an der inneren Wiederaufrichtung Preußens mitgearbeitet hatte«. In: Ebd., S. 6. »Aufklärung, Sturm und Drang, Idealismus, romantische Mystik und Erweckung vereinen sich in Bernhard Draeseke zu einer Synthese von Humanitätsgesinnung und Christentum«. In: RGG, Sp. 261f.

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Haltung. »Mit Schopenhauer und den Erfahrungen seines Lebens wandelte sich auch Wagners Einstellung zur Religion«.91 Auch wenn Felix in jungen Jahren seine Großväter Johann Heinrich Bernhard Draeseke und Gottfried August Ludwig Hanstein92 wie den Vater Theodor kritisch betrachtete, war er durch Humanitätsgedanken und lutherische Auffassung93 dieser Theologen beeinflusst worden, aber »nebenbei begünstigte der in den 50er Jahren allmählich sich regende Liberalismus die ebenfalls allmächtig anwachsende Gleichgültigkeit gegen die Religion, sowie eine seichte, verwässerte und laxe Anschauung: und dieser Strömung des Zeitgeistes war auch ich verfallen«.94 Sein Vater, Theodor Timotheus Draeseke, hielt eine Probepredigt am 19.10. 1813 in Rodach, um die vakante Stelle eines Superintendenten zu besetzen. »Seine Probepredigt fiel am 19. Oktober mit der Feier der Leipziger Völkerschlacht zusammen, die vom 16. bis 19. Oktober stattgefunden hatte«.95 In dieser Predigt zeigte der Vater Draesekes sehr deutlich seine politische Haltung, indem er Begriffe wie >Fortschritt< und >Kämpfer für die Ordnung< auf der einen Seite sah und auf der anderen >Freiheit< und >Hochmut< in einem Zuge nannte.96 In der Predigt wurde der nationale Grundtenor herausgestellt. Dass Felix Draeseke mit dieser Sichtweise persönliche Schwierigkeiten verband, war aus der politisch unruhigen Zeit heraus zu verstehen. Eine künstlerische Ausbildung lehnte der Vater nämlich für Felix vorerst ab. Er wollte aus ihm einen Theologen machen, wie sein Vater aus ihm. Doch Felix setzte sich durch und verfolgte sein Ziel des Komponierens. Dass er einen möglicherweise langen Weg vor sich hatte, war ihm in der Jugend nicht klar. Relativ spät, ab 1876, wendete sich Felix Draeseke der Kirchenmusik zu. 91 Peter Steinacker: Richard Wagner und die Religion. Darmstadt 2008, S. 12. 92 Gottfried August Ludwig Hanstein, geb. 07.09.1761 in Magdeburg, gest. 25.02. 1821 in Berlin, war Theologe + Oberkonsistorialrat. In: Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke: Chronik seines Lebens. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke- Gesellschaft). Schriften, Bd. 3. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1989, S.1, S. 5, S. 169. Gottfried August Ludwig Hanstein war Draesekes Großvater mütterlicherseits. 93 Bernhard (Johann Heinrich) Dräseke: Ausgewählte Predigten. Mit einer einleitenden Monographie von Gustav Viehweger. Hrsg. von Gustav Leonhardi. Bd. 9. Leipzig 1890, S. 11. Bernhard Dräseke war Theologe, Publizist, von Friedrich Wilhelm III. zum Domprediger ernannt, Generalsuperintendent und Draesekes Großvater väterlicherseits. 94 Felix Draeseke: LE, S. 82. Theodor Heinrich Timotheus Draeseke, geb. 25.11.1808 in St. Georg bei Ratzeburg, lebte in Braunschweig, Göttingen, Berlin, Bonn und Jena. Dort studierte er Theologie. 1834 wurde er beim Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha in Coburg als Hofprediger angestellt, danach als Superintendent in Rodach. Vgl. Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke. Chronik seines Lebens. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 3. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1989, S. 1. 95 Rainer Axmann: Theodor Heinrich Timotheus Draeseke – Schüler Schleiermachers. In: Von Superintendenten, Adjunkten und anderen geistlichen Herren in Rodach. Schriften des Rückertkreises Bad Rodach e.V. Heft 34. Jahrgang 2008, S. 134. »Religion lebt vom ununterbrochenen Tätigsein des Universums, das als eine jede inhaltliche Fixierung, auch die Natur, die Menschheit und die Geschichte überschreitende, denkbar umfassende Tota- lität zu verstehen ist. Anschauung und Gefühl sind komplementäre Aspekte derselben Wirklichkeit«, so die Auffassung Schleiermachers. In: Helmut Schanze (Hrsg.): Die deutsche Romantik in Religion und Theologie. In: Romantik-Handbuch. Tübingen 1994, S. 563. 96 »Darum, wer von reiner Liebe zum Vaterlande erfüllt ist, wer das Beste der Stadt sucht, in die der Herr ihn geführt hat, wer einen Fortschritt will zu wahrhaftigem Segen, der beweise sich als Kämpfer für Ordnung und Recht, der trete auf gegen den Geist der Willkür, der in unsern Tagen so viel Herzen ergriffen hat, der erhebe laut seine Stimme gegen die Ver- führer, die da rufen: Freiheit, Freiheit, und doch so oft nichts wissen wollen, als die Herr- schaft ihres Hochmuths und Eigennutzes, der kämpfe unter dem Panier ächter Vaterlands- liebe gegen Alle, die das Wohl des Vaterlandes hindern und stören«. In: Ebd., S. 134.

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Seine religiöse Grundhaltung, die Draeseke im lutherischen Elternhaus und durch seine Großväter erfahren hatte, spiegelt sich in seiner Kirchenmusik wider. Das Lacrimosa ist das einzige frühe kirchenmusikalische Werk (op. 10), das 1865 entstanden ist. Als der Klosterpropst Freiherr von Liliencron aus Schleswig einen Vortrag über Kirchenmusik und Kirchenkonzert hielt, wurde Draeseke in seinen Ansichten, die er schon zuvor in einem Aufsatz über >Gottesdienstliche Kirchen-musik<, geäußert hatte, bestätigt.97 Liliencron unterstützte das freie, künstlerische Schaffen, indem er darauf verwies, »wenn der künstlerische Geist aufhört, nach neuen Formen zu ringen, die dem, was ganz und voll auszusprechen unmöglich ist, näher zu kommen scheinen, so hört er auch zu leben auf«.98 Der Historiker Liliencron beschäftigte sich mit dem Ritus durch das Beobachten katholischer Gottesdienste. Dagegen sei in der evangelischen Kirche eine solche Tradition nicht vorhanden.99 Bestrebungen von Rochus von Liliencron in den 80er Jahren, kirchenmusikalische Zeitfragen zu erörtern, wurden durchgesetzt.100 Auch Draesekes Vorstellungen von Messeordnung Ordinarium (Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Agnus Dei) und Proprium sollten beibehalten werden. Besonders die wechselnden Stücke des Kirchenjahres und die Pflege des Chorals durch die Gemeinde forderten die deutsche Sprache. Darin waren sich Liliencron und Draeseke einig.101 Daher war Draeseke gegenüber der Form der Messe, den kompositorischen Möglichkeiten und den daraus resultierenden Ergebnissen, aufgeschlossen. Sein Form- und Gestaltungsver-ständnis und ebenfalls sein religiöses Bewusstsein wuchsen. Aber das »teilweise Erlöschen der Liturgie«102, das ein Zeichen seiner Zeit war, hatte Draeseke in seinem Denken und Tun in jungen Jahren noch weitgehend verkannt, es aber später

97 Äußerung auf der Leipziger Gründungsversammlung (1.-4. Juni 1859) des Allgemeinen Deutschen Musikvereins mit dem Thema: Die protestantische Kirchenmusik und die Gründung einer festen Form für dieselbe, analog der katholischen Messeform. »Diese wählte er [Draeseke] zu einer Zeit, wo er nach verschiedenen Äußerungen religionslos war und kirchenfeindlicher Freidenkerge- sinnung huldigte«. In: Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Leidens- und Lebensweg eines deutschen Meisters. Bd. 1. Berlin 1930, S.101. 98 Felix Draeseke: Gottesdienstliche Kirchenmusik. In: Kirchliche Monatsschrift. Organ für die Bestrebungen der positiven Union. Bd. 4. Heft 1 1885, S. 560. 99 Ebd., S. 558. 100 Richard Schaal: Art. Rochus von Liliencron. In: MGG, Bd. 8. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. München 1989, Sp. 868. 101 »Liturgisch-musikalische Elemente: Liturgische Texte nennen wir innerhalb eines Gottes- dienstes diejenigen, welche der uralten Einrichtung der Kirche gemäß nicht gesprochen, sondern auf die Notenreihen des sog. Gregorianischen Chorals singend oder wie man wohl, wenn auch nicht ganz correct, sagt, psalmodierend vorgetragen werden. Für einen Theil dieser liturgischen Texte nun hat sich schon im früheren Mittelalter die Gewohnheit gebildet, sie in beliebigem Wechsel zwischen beiden Formen bald liturgisch bald musikalisch zu be- handeln. Im ersten Fall werden sie also entweder vom Geistlichen oder vom respondirenden Chor, von diesem dann im unisonen Gesange, auf die Noten des Gregorianischen Chorals vorgetragen. Im zweiten werden sie vom Chor in einem frei gebildeten musikalischen Satz gesungen. Beides wechselt, wie in der älteren Kirche so in der katholischen Kirche noch heute ganz beliebig, entweder je nach der höheren Festlichkeit des Gottesdienstes oder auch nur nach Beschaffenheit der für die Ausführung vorhandenen Mittel. Die Texte der Gesänge aber bleiben in beiden Fällen dieselben«. In: Rochus von Liliencron: Deutsche Zeit- und Streit-Fragen. Flugschriften zur Kenntniß der Gegenwart. Ueber den Chorgesang in der evangelischen Kirche. Berlin 1880, S. 5f. Vgl. Friedbert Streller: Fugen, Kanons und strenger Satz. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internatio- nalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 283. 102 Felix Draeseke: Gottesdienstliche Kirchenmusik. In: Kirchliche Monatsschrift. Organ für die Bestrebungen der positiven Union. Bd. 4. Heft 1, 1885, S. 558.

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bekämpft. »Die größte Triebfeder für evangelische Kirchenkomponisten, viel und anhaltend zu schaffen, wird sich aus dem Umstand ergeben, dass die Kirche für Kompositionen, die in gewissen Formen gehalten sind, in ihrem gottesdienstlichen Aufbau Raum vorbehält«.103 Philipp Spitta, der Bachbiograph, beurteilt Draesekes h-Moll-Requiem. Er stellt sich gegen Draeseke, der einen evangelischen Choral in das Offertorium eingebaut habe. Hier würde die katholische Handlung in ihrer Grundidee verworfen.104 Die liturgischen Formen des gottesdienstlichen Handelns haben ihre biblischen Grundlagen in der neutestamentlichen und jüdischen Tradition, sowie in der daraus gewachsenen Römischen Messe.105 Draeseke verknüpfte Form und Gehalt, den Kanon der Römischen Messe zu erhalten und das Messeopfer durch die evangelische Abendmahlsfeier zu ersetzen. »In allem, was die Messe an biblischem Stoff, Lobpreisung und Bekenntnis enthält, sowie in allem, was im Gesange des Chores erscheint, finde sich nichts, was nicht dem evangelischen Gottesdienste ursprünglich so gut, wie dem der Mutterkirche geeignet hätte, und noch eignen könnte«.106

Der Komponist ging in seinem Bekenntnis zur alten Kirche noch weiter, indem er darauf aufmerksam machte, »dass diese liturgischen Zusammenstellungen von Psalmworten mit den Episteln und Evangelien eines jeden Sonntages ein herrliches Kunstwerk der alten Kirche von großartiger und zugleich poetischer, eben darum also der Musik zugänglicher Schönheit sind«.107 In der >Gottesdienstlichen Kirchen-musik< von Felix Draeseke zeigte er als Komponist seine eigenen grundsätzlichen Gedanken zum Ablauf des lutherischen Gottesdienstes. Die Form der Messe war für ihn traditionelles Vorbild. »Mit Liliencron kommt Draeseke zu der Ansicht, dass die Kirchenmusik im Gottesdienst fest verankert sein muss, um eine gottesdienstliche Wirkung zu erzielen«.108 Für Draeseke waren die alten Gottesdienstformen der katholischen Kirche relevant. Er war mit diesen Formen eng verbunden: »Ich will nur darauf hinweisen, dass die katholische Kirche im Laufe vieler Jahrhunderte ganz herrliche Formen geschaffen hat, in welchen die für die Kirche schreibenden Tonsetzer sich aussprechen konnten, und dass den Hauptformen ihres Gottesdienstes, der Messe, dem Requiem, dem Stabat Mater, dem Te Deum Texte zugrunde liegen, die durch Jahrhunderte lange

103 Ebd., S. 560. 104 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 121. 105 Joseph Andreas Jungmann: Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der Römischen Messe. Bd. 1. Wien 1948, S. 491ff. Die Verbindung von alttestamentlicher, neutestamentlicher und jüdischer Tradition spiegelt sich in der Messe und im Requiem wider: Verkündigung des Wortes, Gebet und Gesang, sowie Feier des Abendmahles: 1. Kor 11, 20/ Apg 2, 42/ Phil 2, 6-11/ Kol 1, 12-20/, 1 Kor 10, 6-13. 106 Felix Draeseke: Gottesdienstliche Kirchenmusik. In: Kirchliche Monatsschrift. Organ für die Bestrebungen der positiven Union. Bd. 4. Heft 1, 1885, S. 559. 107 Ebd., S. 559. 108 Felix Draeseke: Gottesdienstliche Kirchenmusik, S. 556-567. Vgl. Reinhold Dusella: >Nach hergebrachten Schablonen wird man daher ein wahrhaft lebensfähiges neues Werk ohne Ungerechtigkeit niemals beurteilen können<. Felix Draesekes Große Messe in fis-Moll op. 60 für Soli, Chor und Orchester. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 191.

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andauernde Arbeit zu außerordentlicher musikalischer Vollendung gebracht worden sind«.109 Draeseke ging in seinen Lebenserinnerungen auf die 1861 stattfindende Tonkünstlerversammlung in Weimar ein. In dem Zusammenhang zeigte er, wie von Liliencron in Schleswig die Kirchenmusikfrage in Bezug auf den Gottesdienst erörtert habe: »Leider sind die von mir gegebenen Anregungen ebenso fruchtlos geblieben, wie die noch viel energischer betriebenen Versuche des Dompropstes von Liliencron in Schleswig, der mit offenem Freimut das meine geheimen Vermutungen bestätigende Wort aussprach, dass den evangelischen Geistlichen an der Sache nichts gelegen sei und sie am liebsten die Kunst gänzlich aus der Kirche verbannt sähen«.110 Seine Kirchenmusik hatte Draeseke aus einer letztlich gewachsenen Überzeugung heraus geschrieben. »Kompositionen von geistlicher Musik durchziehen sein Schaffen bis hin zum breit angelegten Mysterium Christus, op. 70-73 (1895-99) als Höhepunkt und den abschließenden A-cappella-Werken: der Großen Messe in a-Moll, op. 85 (1908-09), und dem Requiem für fünf Gesangsstimmen in e-Moll, WoO 35 (1909)«.111 Besonders aber hatte ihn das Messe-Thema (eine Reflexion über die Urkirche)112 in seinem Schaffen nicht verlassen. »Das Komponieren einer Messe ist somit für den Protestanten Draeseke nicht nur ein Akt der Anbetung und Gottes-verehrung, sondern auch eine Kapitulation vor dem Mangel spezifischer Formen innerhalb der eigenen Glaubensrichtung«.113 Der Komponist beschäftigte sich in den letzten Lebensjahren mit dem >wahren Kirchenstil<. »Bisher war nur von der Kirchenmusik in ihrem eigentlichsten Wesen, wenn sie nämlich selbst Kultus ist, die Rede: schon in früher Zeit entstand aber das geistliche Drama, und so wurde eine Kirchenmusik gebildet, die, ohne Kultus zu sein, als geistliche Oper das Gemüt mit den Gegenständen der heiligen Geschichte erfüllen, und so Erbauung, religiöse Erhebung des Geistes, bewirken sollte; späterhin aber wohl den ersten Anlass zum Verfall des wahren Kirchenstils gab. Aus der Kirche wanderte die Musik in das Theater und kehrte aus diesem, mit all dem nichtigen Prunk, den sie dort erworben, dann in die Kirche zurück«.114 Bedingt durch den Zeitgeist, spaltete sich die bürgerliche Gesellschaft im Kulturkampf in zwei Lager. Zunächst stand der Bildungsimpetus bei der Trennung des Musikbegriffs Pate. »Es ist richtig, dass der evangelische Kultus eigentlich dem wahrhaft Musikalischen entgegenstrebt: aber mit dem Wiederaufblühen wahrer Kirchenmusik würde der Zeitgeist hier auch das Herrliche, Erfreuliche bilden, und die

109 Felix Draeseke: LE, S. 169. 110 Ebd., S. 169. 111 Peter Andraschke: Felix Draesekes Requiem, op. 22. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 155. 112 Urkirche: Geschichtlich gewachsene Messenordnung im Laufe von Jahrhunderten. Neuer Gesichtspunkt seit Martin Luther: Differenziertes Verständnis von Abendmahl. 113 Reinhold Dusella: >Nach hergebrachten Schablonen wird man daher ein wahrhaft lebens- fähiges neues Werk ohne Ungerechtigkeit niemals beurteilen können<: Felix Draesekes Große Messe in fis-Moll op. 60 für Soli, Chor und Orchester. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 191. 114 E.T. A. Hoffmann: Schriften zur Musik. Hrsg. von Friedrich Schnapp. Nachlese. Aufsätze und Rezensionen. München 1963, S. 223.

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heilige Musik auch wieder eindringen in den Kultus der evangelischen Gemeinde«.115 Das bedeutet im Sinne von E. T. A. Hoffmann, dass das Bürgertum sich in der evangelischen Kirche ansiedeln sollte und zwar mit ausgewählter musikalischer Literatur. »Für Tonkünstler und Komponisten, ja für jeden echten Verehrer der wahren Kirchenmusik, wäre nichts erfreulicher, als wenn die Werke der alten Meister, die nur wie verborgene Schätze selten hin und wieder anzutreffen sind, durch Druck und Stich in das Publikum kämen«.116 Doch die Herkunft der kirchen-musikalischen Werke Draesekes beruhte nicht nur auf traditionellen stilistischen Strömungen. Wichtig waren für ihn außer Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven auch Franz Liszt, Richard Wagner117 und Peter Cornelius118. Draesekes Verhältnis zur Musik Palestrinas machte sich in den Kompositionen gegen Ende seines Lebens verstärkt bemerkbar. In den Orgelwerken Liszts über B-A-C-H erfasste Draeseke die harmonischen und modulatorischen Prinzipien. Ebenfalls beschäftigten den Musiker die Formen der Orgelsonaten Mendelssohns. Draeseke hatte von diesen Komponisten gelernt. Allerdings bedeutete das keine feste Größe. Er komponierte Bachsche Formen wie die Choralfuge, die 1838 in der Griepenkerl-Roitzsch-Ausgabe zwar schon vorlagen, aber noch nicht für den damaligen Musiker selbstverständlich greifbar waren.119 Durch neue Möglichkeiten des Ausdrucks hatte Draeseke in seinen Kompositionen auf die alten Meister hingewiesen, um die Verbindung von Homophonie und Polyphonie herzustellen, indem er Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges in der Musik zusammen-fügte. »Seine Kräfte [Draesekes] maßen sich an der Größe Beethovens und ganz besonders Bachs. Mit diesen beiden Meistern zeigt er wirkliche Geistesver-wandtschaft«.120 Franz Brendel hat den Komponisten dahingehend unterrichtet. Die katholische Messe mit ihren entsprechenden Formen hat Draeseke musikalisch zu hohen linearen und vertikalen Formen herausgefordert. Leipzig und das evangelische Denken standen Weimar gegenüber. »Die kathegorische Frage nach katholischer und protestantischer Musik, […], geht von der falschen Voraussetzung aus, dass Musik als absoluter Wert gesetzt und zu beurteilen sei«.121 Das selbstbe-

115 Ebd., S. 234. 116 Ebd., S. 235. 117 »Dass gegen Wagners Musikdrama und Liszts Symphonische Dichtung, gegen die westlich orientierte und stark literarische Richtung der Neudeutschen Schule eine Reaktion der abso- luten Musik erfolgen musste, erscheint als natürliches Entwicklungsgesetz«. In: Hans Mersmann: Musikgeschichte in der abendländischen Kultur. 3. Aufl. Hamburg 1967, S. 271. 118 Draeseke verband mit Peter Cornelius eine lange Freundschaft, die sich auch im musika- lischen Austausch zeigte. »Diese Freundschaft blieb im Lauf der Zeit ungetrübt, im Gegen- satz zum Verhältnis Draesekes mit Liszt, dessen Einfluss während Draesekes Schweizer Exil wesentlich abnahm«. James A. Deaville: Felix Draeseke und die geistliche Musik der neudeutschen Schule, dargestellt am Beispiel von Peter Cornelius. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. Schriften, Bd. 5. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 315. 119 Das Gesamtwerk Bachs erschien 1851-59 in einer ersten kritischen Ausgabe. 120 Georg Seywald: Felix Draeseke. Zum 10. Todestag am 26. Februar. NZfM, 90. Jg. Nr. 4, 1923, S. 74f. 121 Gustav Adolf Krieg: Der Christus von Felix Draeseke im Spiegel protestantischer Frömmigkeits- und Kirchenmusikgeschichte. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke. Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der

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wusste Eintreten Draesekes, der Kirchenmusik neue musikalische Formen zu geben, fand auch in dem Mysterium Christus den Beleg, einem monumentalen Werk mit vorwiegend harmonisch ausgearbeitetem Kompositionsstil. »Liszt schrieb einen katholischen, Kiel einen protestantischen, Rubinstein einen jüdischen Christus. Sie aber haben den kulturellen, den historischen Christus, den Christus der Menschheit geschrieben und das ist Ihr Verdienst«.122 Neben seine kompositorischen traten für Draeseke auch die schriftstellerischen Tätigkeiten. Durch diese hatte sich der Komponist seiner Zeit musikalisch geöffnet und seine Zeit beschrieben, indem die musikalischen Gegensätze seines Jahrhunderts klar zum Ausdruck gelangten: Draeseke konnte verschiedene musikalische Ebenen miteinander verbinden, indem er alte, klassische Formen und Muster mit neuen musikalischen Klängen mischte. »Zwar findet der Kirchenmusikstil der Wiener Klassik seine Nachfolge bei Schubert und wird bei Beethoven noch sinfonisch überhöht (Missa Solemnis), zwar wird die instrumental begleitete Kirchenmusik ins Monumentale oder Theatralische gesteigert bei Cherubini, Lesueur, Liszt oder in den monströsen Requiem-Vertonungen von Verdi und Berlioz, doch entstehen daneben Bemühungen um die Reinheit der Tonkunst, die einen schlichten, am A-cappella- Ideal orientierten Kirchenstil als einzig wahren ausgeben und ihre Vorbilder im 16. und 17. Jahrhundert suchen«.123 Die Draesekeschen musikalischen Besonderheiten der vier Messen finden sich in vielen Modulationen, Vorhalten, in bestimmten verschobenen Auflösungen und Quintkadenzen. Sie signalisieren einen musikalischen Schwebestand. Der Kompo-nist verfügt über eine hohe Stringenz, die sich in den beiden sinfonischen und A-cappella-Werken ausdrückt. In allen vier Messen hat der Komponist zielgerichtet auf die Behandlung der Melodienentwicklung Wert gelegt. Der musikalische Anspruch ist in diesen Werken hoch anzusetzen. Den Messe-Text hat Draeseke selber aus dem Lateinischen übersetzt, stellenweise verkürzt und geändert. Der deutsche Text bildet den Hintergrund zum besseren Verständnis des lateinischen. Besonders wird der historische Requiem-Text im h-Moll-Requiem ergänzt und im Offertorium des Werkes ein Choral als cantus firmus instrumental eingearbeitet. »Die Vertonung des Offertoriums zeigt, dass es Draeseke nicht einfach um das kunstfertige Darstellen verschiedener Techniken geht, sondern vielmehr um die Vermittlung zwischen älteren Traditionen und den entwickelten Möglichkeiten der neudeutschen Schule«.124 In Bezug auf die Begriffe Messe und Requiem sind zwei Veröffentlichungen von Felix Draeseke von großer Bedeutung: Lebenserinnerungen nach Diktat125 und Felix Draeseke: Schriften 1855-1861.126 Der Komponist gab in seinen >Lebenserinne-rungen< wichtige Hinweise auf seine Messenkompositionen, einerseits inhaltlich auf Messe und Gottesdienst, andererseits auf einzelne musikalische Bemerkungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 249. 122 Kistler schrieb an Draeseke. In: Georg Seywald: Felix Draeseke. S. 75. 123 Gerhard Dietel: Die Musik des 19. Jahrhunderts. In: Musikgeschichte in Daten. München. Kassel 1994, S. 560. 124 Peter Andraschke: Felix Draesekes Requiem op. 22. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke. Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 164. 125 Felix Draeseke: Lebenserinnerungen nach Diktat. Gekürztes Manuskript (1906-17.06.1909) von Hermann Stephani niedergeschrieben (Typoskript). Coburgica Nr. XI. 30. 126 Felix Draeseke: Schriften 1855-1861. Schriften hrsg. von Helmut Loos. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Bd. 1. Bad Honnef 1987.

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kirchlichen Auffassung über Gottesdienstordnungen. In Draesekes Lebenserinne-rungen finden sich nicht nur Hinweise zur Messe und zum Requiem, sondern auch zur lutherischen Gottesdienstordnung, evangelischen und katholischen Kirche, zur Haltung gegenüber der Religion im Allgemeinen und Besonderen. Felix Draeseke ging auf die Missa Solemnis Beethovens ein. Auf ihn machte die Messe einen großen Eindruck, und manche der darin enthaltenen satztechnischen Kühnheiten wirkten auf ihn >wie eine Erlösung<, so Draeseke.127 Weiter schreibt dieser: >Ich konnte die Messe nie ohne den Gedanken anhören, dass in ihr die gewaltigste Demonstration für die >Zukunftsmusik< zu finden sei<.128 Draeseke hat dieses musikalische Bekenntnis zu Beethoven in seinen vier Messen ausgeführt. In Band 1 der Draeseke-Veröffentlichungen von 1987 erscheinen Ausführungen Felix Draesekes unter anderem über die Missa Solemnis von Ludwig van Beethoven. Die Stellung Draesekes zum Komponisten der Missa Solemnis wird herausgehoben, indem Draeseke den Respekt für Beethoven ausspricht: [Es] »gehört dazu Begeisterung für das Werk selbst, das gleich der neunten Symphonie in allen seinen Theilen den Charakter unserer Zeit in sich trägt«.129 Draeseke beschreibt einzelne musikalische Bereiche, die »in der Instrumentation, der Harmonisirung, der Rhyth-mik, in der Befreiung des Inhaltes vom leeren Schematismus der Formen, [in] alle[n] Bestrebungen unserer Zeit schon ausgeführt und verwirklicht« worden sind.130 Vorlesungen von Draeseke selbst aus der Zeit in Dresden werden in Band 7 der Draeseke-Veröffentlichungen ausgeführt. Seine Hinweise zu Literatur und zu einzelnen Komponisten, sowie musikgeschichtlich ergänzende Betrachtungen rücken bei Draeseke unter anderem die Missa Solemnis Beethovens in den stilistischen Mittelpunkt.131 Die sinfonisch-gestaltete Musik hat nach Gustav A. Krieg im 19. und 20. Jahrhundert »einen metaphysischen Wert und eine religiöse Bedeutung, in denen konfessionelle Unterschiede im Sinne einer neuen Kunstreligion aufgehoben waren«.132 Der Inhalt der Schrift >Wachstum der Impietät gegenüber den großen Tonmeistern der Vergangenheit< von Draeseke beschreibt seine Enttäuschung gegenüber den musikalischen Verhaltensweisen der Zeitgenossen. Draeseke weist auf die alten Meister, die für ihn einen sehr hohen Stellenwert auch in neuen Kompositionen einnehmen sollten.133 127 Felix Draeseke: Lebenserinnerungen. Hrsg. von Hermann Stephani. (Typoskript). Coburgica Nr. XI. 30, S. 20f. Vgl. Felix Draeseke: Schriften 1855-1861. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Bd. 1. Hrsg. von Martella Guitiérrez-Denhoff und Helmut Loos. Bad Honnef 1987, S. 43. 128 Ebd., S. 44. 129 Felix Draeseke: Schriften 1855-1861. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke- Gesellschaft). Schriften, Bd. 1. Hrsg. von Martella Gutiérrez-Denhoff und Helmut Loos. Bad Honnef 1987, S. 43. 130 Felix Draeseke: Schriften 1855-1861. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke- Gesellschaft). Schriften, Bd. 1. Bad Honnef 1987, S. 44. 131 Felix Draeseke: Musikgeschichtliche Vorlesungen. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 7. Hrsg. von Michael Heinemann, Maria Kietz und Helmut Loos. Leipzig 2007, S. 79ff. 132 Gustav Adolf Krieg: Der Christus von Felix Draeseke im Spiegel protestantischer Frömmigkeits- und Kirchenmusikgeschichte. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke. Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 249. 133 Felix Draeseke: Wachstum der Impietät gegenüber den großen Tonmeistern der Vergangenheit. Aus dem Nachlass Hans von Bülows. Berlin o. J., S. 1.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen Kurzanalyse »Die evangelische Kirchenmusik wird nur dann eine allgemeine Wirkung erzie-len, wenn sie im Gottesdienst einen festen Platz angewiesen erhält und infolge dessen gottesdienstlich wirken kann«.1 Diese Wirkung begreift Draeseke als ein Sichvertiefen in die katholische Grundidee von Gottesdienst, also von Messe. Die katholische Kirche ist für ihn Vorbild in der Anordnung der Inhaltlichkeit und Tradition des Gottesdienstes. »Die[se] Hauptform besteht aus den fünf Sätzen der katholischen Messe: Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Agnus, welche verdeutscht die hauptsächlichen und unveränderlichen Bestandteile unserer Kirchenmusik darstellen müssten«.2 Als Draeseke sich gegen Ende seines Jahrhunderts in diesem Sinne äußert, sind das Requiem h-Moll, op. 22 und die Messe fis-Moll, op. 60 bereits in lateini-scher Sprache erschienen. Doch die beiden anderen Werke, die Große Messe a-Moll, op. 85 und das Requiem e-Moll, WoO 35 bedienen sich ebenfalls der lateinischen Sprache. Was Draeseke bewogen haben mag, der lateinischen Diktion treu zu bleiben, kann in der Ordnung der Inhaltlichkeit mit ihrem hohen sprachlichen und religiösen Stellenwert, eine Antwort finden. Die A-cappella-Kompositionen und die Messen Draesekes sind im konventionellen Bereich angesiedelt, auch wenn Draeseke moderne Stilmittel in allen vier Werken einsetzt.3 In den beiden ersten Messkompositionen sind sinfonische Färbungen kompo-niert, während die dritte und vierte Messe vorwiegend an Palestrina und dessen A-cappella-Stil erinnern. »Da Draeseke seine A-cappella-Kompositionen aus-schließlich im konventionsgebundenen Bereich katholischer Kirchenmusik von Propriumsvertonungen bis zum Ordinarium Missae (a-Moll-Messe op. 85 von 1909 und Requiem e-Moll von 1910) ansiedelte, geriet er mehr und mehr in diese Bahnen und vermochte sich auch stilistisch nicht daraus zu lösen, so sehr er auch im freitonalen Raum nach neuem Ausdruck suchte«.4 Außerdem stellt sich Draeseke gegen die Meinung Philipp Spittas, der sagt, dass die katho-lische Kirche hier vor der protestantischen ein Bedeutendes voraus habe, sähe man leicht.5 Spitta schreibt an anderer Stelle ein weiteres Urteil: »Die Regellosigkeit und Willkür der protestantischen Liturgie gehört auch zu den Ursachen, aus denen unsere Kirchenmusik zu Grunde gegangen ist«.6

1 Felix Draeseke: Kirchliche Monatsschrift. Organ für die Bestrebungen der positiven Union. Bd. 4. Heft 1.1885, S. 558. 2 Ebd., S. 560. 3 Friedbert Streller: Fugen, Kanons und strenger Satz. Die A-cappella-Werke Felix Draesekes. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke- Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 289. 4 Friedbert Streller: Fugen, Kanons und strenger Satz. Die A-cappella-Werke Felix Draesekes. In: Ebd., S. 289. 5 Philipp Spitta: Zur Musik. Sechzehn Aufsätze. Berlin 1892, S. 36.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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Die Rezeptionsgeschichte lässt hier etliche Fragen offen: »Ist etwa die Einbin-dung des protestantischen Kirchenliedes, die manche Zeitgenossen, wie zum Beispiel Philipp Spitta,7 aufgestört hat, auch im Sinne von Draeseke als überkonfessionelle Konzeption zu verstehen«?8 Draeseke ist daher nicht nur der Form der Messe und ihrer Aussagekraft, sondern den kompositorischen Möglichkeiten und den daraus resultierenden Aufgaben zugewandt. »Die größte Triebfeder für evangelische Kirchenkomponisten, viel und anhaltend zu schaffen, wird sich aus dem Umstand ergeben, dass die Kirche für Kompo-sitionen, die in gewissen Formen gehalten sind, in ihrem gottesdienstlichen Aufbau Raum vorbehält«.9 Das Requiem und die Messe haben das Gebet als Thema, nämlich den Menschen in seiner Schuldhaftigkeit zu entlasten. Nur Einer vermag diese Befreiung durchzuführen, und in der Communio, im Abendmahl (Eucharistie) findet diese statt. Dreh- und Angelpunkt der Messe ist das Credo, das Glaubensbekenntnis. Ohne das Ja des Menschen, die Zu-stimmung, können alle übrigen Messeteile nicht gelebt werden. Draeseke versucht, diese Gebetshaltungen in der Messe und im Requiem musikalisch zu beschreiben, zum einen sehr zurückhaltend, zum anderen musikalisch ausbrechend und wieder zurücknehmend. In den Tonarten-abfolgen wechselt ein Springen mit gleichbleibenden rezitatorischen Ausdrucks-weisen. Einerseits ist der Komponist an die Vorlage gebunden, andererseits in seiner Schreibweise spontan. Wenn alle Text-Bedingungen auf ihre Tragfähig-keit überprüft sind, ist eine Ausgewogenheit von Vokalem und Instrumentalem möglicherweise hergestellt. Hier stehen sich zwei sinfonisch gestaltete Messen und zwei A-cappella-Kompositionen, jeweils im Bereich Messe und Requiem, gegenüber. Der Text bietet in beiden Vorlagen sprachliche Formen an, die wiederum eine qualitative Musikalität unterschiedlicher Grundauffassungen zeigen.

6 Ebd., S. 36. Vgl. Heinrich Spitta: Art. Julius August Philipp Spitta. In: MGG, Bd. 12. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London. Paris. New York. München 1989, Sp. 1055. 7 Philipp Spitta: Zur Musik. Sechzehn Aufsätze. Berlin 1892, S. 439. 8 Peter Andraschke: Felix Draesekes Requiem op. 22. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 166. 9 Felix Draeseke: Gottesdienstliche Kirchenmusik. In: Kirchliche Monatsschrift. Organ für die Bestrebungen der positiven Union. Bd. 4. Heft 1 1885, S. 560.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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4.1 Requiem h-Moll, op. 22 »Das nächste Requiem, welches nach dem von Verdi Beachtung verdient und gefunden hat, ist das von Felix Draeseke (op.22)«.10 Das Requiem h- Moll, op. 22 ist für Chor, Einzelquartett und großes Orchester ausgeschrieben, zusätzlich mit vier Posaunen und Englischhorn. Eine lange Entstehenszeit kennzeichnet das Werk. 1865 verfasst Draeseke ein Lacrimosa in d-Moll als selbstständiges Werk, op. 10,11 das die Grundlage für das Requiem wird. »Als früher Vorläufer einer späteren Zeit stand es zehn Jahre einsam in weltlicher Umgebung«.12 Bis 1876 weilt Draeseke in der Schweiz, wo er im Winter desselben Jahres das Agnus Dei schreibt. Die Fortführung der Arbeiten am Requiem und an anderen Werken leistet er in Dresden. Die Komposition des Requiems ist bis auf das Domine Jesu und das Sanctus 1879/1880 fertig gestellt. Die Uraufführung findet am 26.10.1881 in Dresden unter Adolf Blaßmannn mit der Dreyssigschen Singakademie statt.13

Requiem aeternam (h-Moll-Requiem, op. 22) Das >Requiem aeternam dona eis, Domine< stellt Draeseke als ruhendes Bild in h-Moll dar, indem er durch die tiefen Streicher eine Chaconne musizieren lässt.

NB h 1: Kyrie: Requiem14

Die sechs Mal durchgeführten sich wiederholenden Bitten um die Ruhe der Verstorbenen drücken sich in ostinater Bassführung wie in einer Litanei aus. Es folgen verschiedene kleinere Variationen; ein Soloquartett wird von Streichern und Bläsern leise begleitet. Eine Ausnahme bildet die vierte Variation: Der Solobass fügt sich in das Thema ein. Die fünfte Variation ist noch einmal eine Bekräftigung des Anfangsthemas durch die Streicher. Eine Überleitung zur Höhe findet sich in Takt 26: Die ersten Violinen musizieren ihr Thema in einem Quintkanon zum ostinaten Bass, der in Cis-Dur, der Doppeldominante, endet.

10 Hermann Kretzschmar: Führer durch den Konzertsaal. Bd. 1. 4. vollständig neu bearbeitete Aufl. Leipzig 1916, S. 332. 11 »Aufführungen außer der auf dem Weimarer Tonkünstlerfest 1870: Am Novemberbußtag 1876 in Jena (Universitätschor), desgl. 1877 in Zittau«. In: Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, Anm. 18, S. 68. 12 Ebd., S. 68. 13 Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke. Chronik seines Lebens. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 3. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1989, S. 70. Vgl. Erich Roeder: Felix Draeseke. Ebd., S. 68. 14 NB h 1: Requiem h-Moll, op. 22: Kyrie/ Vc., T.1-6. Kap. 5, S. 107.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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Dadurch wird ein neuer Abschnitt mit >Et lux perpetua luceat eis< vorbereitet. Der Chor trifft diese Vorbereitung im pp, im homophonen Satz, durch mehrere Tonarten gleitend: fis-Moll, h-Moll. Die Violen bilden dazu eine lebendige Ge-genbewegung. Die Entwicklung dauert 14 Takte, einen ersten großen Höhe-punkt im ff darzustellen, um dann nach der zweiten Anspannung eine Lösung in Fis-Dur, ebenfalls nach 14 Takten, zu erreichen (Takt 60). Der >Te-decet-Hymnus< wird durch die Solostimmen gestaltet, basierend auf dem Trugschluss in G-Dur; den Kontrast bilden die polyphonen Streicherbewegungen. Der Tenor des großen Chores verstärkt die >Bitte< nach Erhörung im >Exaudi orationem meam< mit einem Fugenthema. Reminiszenzen an den >Introitus< gibt es nicht nur in den Worten >Requiem aeternam dona eis<, sondern es spiegelt sich ebenfalls das ostinate Thema wider. Bei den Worten >et lux< erreicht der Komponist in allen Stimmen >Fis<. Darauf folgt ein Trugschluss in g-Moll im Quartsext-Akkord. Dieser ist ein weiterer Höhepunkt im ff und gleichzeitig der Beginn des Abgesangs des Introitus. Er endet in seinem ersten großen Teil mit choralartigen, rezitatorischen Klängen, die die bittende Haltung des Kyrie vorausahnen lassen. Draeseke benutzt viele p-Abstufungen, um damit ein weiteres Steigerungsmoment bereitzuhalten. »Um die Einheit dieses großen Satzes zu wahren, habe ich das wilde Thema des Dies irae beibehalten, das in der Notenfolge gleich bleibend, wie in der Wirkung später oft ganz gegen-sätzlich berührt und auch noch aus der figurierten Begleitung das Lacrimosa zu hören ist«.15

4.1.1 Kyrie (h-Moll-Requiem, op. 22) Das anschließende Kyrie wird in einer Doppelfuge erschlossen. Die Begleitung durch das Orchester erfolgt sehr zurückhaltend. Nach sechs Takten zeigen die Violinen eine ihnen eigene Figur in Achtelbewegungen.

NB h 6: Kyrie-Thema16

15 Felix Draeseke: LE, S. 140. 16 NB h 6: Kyrie/Alt, T. 6-11.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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Am Ende wird anstelle des zu erwartenden h-Moll ein D-Dur notiert. Ein zweites Thema wird in D-Dur mit den Worten >Christe eleison< vorgestellt und von allen vier Chorstimmen musiziert. Nach 10 Takten erscheint wieder das Kyrie-Thema. Beide Themen gehen eine musikalische Symbiose ein: ab Takt 145 werden sie durchgeführt und von den Posaunen verstärkt geleitet. Nach 20 Takten erreicht diese Fuge ihren Höhepunkt in dem Subdominantakkord: g-h-e-h im ff. Der resultierende mollare Charakter verrät trotz der großen Lautstärke eine schwebende, unsichere Haltung der bittenden Menschen. Vertieft wird diese im nachfolgenden achttaktigen Abschluss des ersten Teils, indem Draeseke das Tempo verlangsamt und die Episode im Quintklang h-fis enden lässt.

4.1.2 Dies irae (h-Moll-Requiem, op. 22) Im Dies irae bildet das Lacrimosa von 1865 die Basis. Die Violinen geben dort den Tonablauf d-e-f-cis-d vor. Vorher wird der d-Moll-Bereich durch zwei Horntöne im Einklang bereitet. Dann setzt der Tenor mit dem oben genannten Thema ein: zwei Halbtonschritte und eine fallende verminderte Quarte um-spielen den Hauptton d. Die >Ängstlichkeit< wird durch die Streicherakkorde mit scharfem Strich und Diktion dargestellt. Alt und Bläser bilden beide einen Kanon, ebenso folgt der Sopran mit dem Tenor. Ein Zusammengehen zum vierfachen Kanon bildet sich bei >teste David cum Sybilla< und schließt in einem ff mit aufsteigender Linie. Drei Horntöne künden das >Quantus tremor< an, ein Paukenwirbel unterstreicht dieses Beben: >Quantus tremor est futurus, quando iudex>, >welch ein Beben wird sein, wenn der Richter erscheint<, wird auch mit Horntönen auf der Quinte gezeigt. Die einzelnen Stimmen stellen eine schnelle Einsatzbereitschaft, etwas Flüchtendes, dar.

Im >Cuncta stricte< wird in allen Stimmen f notiert und lässt das Dies-irae-Thema wieder anklingen. Erneut ertönen die Hörner auf der Quinte. Der Tenor und der Bass musizieren die letzte Linie von >Cuncta stricte< auf der Basis des bekannten Paukenwirbels. Streicher und Holzbläser erinnern an den Kanon des ersten Verses. Er zeigt den Weg zum >Tuba mirum sporgens sonum<, zur Posaune, wunderbaren Klang austönend. Dieser wird bis zum strahlenden B-Dur und im ff weiter entwickelt.17 Der Posaunen- und Trompetenruf bedient sich des Dreiklangs in B-Dur, der abwärts schreitet und sich drei Mal wiederholt, wie es die Form des Verses verlangt.

17 »Dass der Dresdener Meister auf dem Gebiet geistlicher Gesangsmusik am glücklichsten gewesen, beweist schon die schöne Linienführung und das packende Dies irae seines h-Moll-Requiems op. 22, das man durch sein gleich besetztes Adventlied Werk 30 gut zum vollen Konzertabend ergänzt«. Moser widmet Felix Draeseke insgesamt einen hohen Stellenwert. In: Hans Joachim Moser: Geschichte der deutschen Musik. Bd. 2. Stuttgart. Berlin 1924, S. 209.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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Bei den Worten >Mors stupebit et natura, cum resurget creatura< beginnt der Solochor mit dem Staunen über Tod, Natur und Auferstehung. Dieses geschieht in Bewegungen nach oben, von der Tiefe ausgehend. Die Begründung liegt in dem >cum resurget creatura judicandi responsura<, um sich vor dem Richter zu verantworten. Dieser Gedanke endet in F-Dur. >Liber scriptus proferetur< wird auf F weiter rezitiert. Bei der Zeile >in quo totum continetur, unde mundus judi-cetur<, in dem enthalten ist, wonach die Welt gerichtet wird, tragen die Solostimmen ein pp vor, mit dem Einwurf des großen Chores: >Judicetur< im ff.18 Die Posaunen unterstützen im Fortlauf die Rolle des Weltenrichters, der Chor nimmt das Posaunenthema auf: es-Moll wird erreicht. Die Bitte >Salva me< wird von den Solostimmen und nach acht Takten vom Chor im ppp komplettiert, denn die inständige Bitte >Salva me< wird durch den Chor noch mehr herausgehoben.

Recordare (h-Moll-Requiem, op. 22) Das Recordare Jesu, pie, quod sum causa tuae vitae ist vom Dies-irae-Thema abgeleitet. Inhaltlich wird Jesus angesprochen, um dem Menschen in seiner Not zu helfen. Diese wiederkehrende Situation drückt der Komponist in d-Moll aus und notiert eine Rondoform. Die Begleitung der Violinen tritt in umgekehrter Form wie im Dies irae auf. Das Thema wird im Kanon zwischen Sopran und Tenor dargestellt.

NB h 25: Kanon-Thema19

Über eine längere Spanne20 lässt Draeseke das Thema auf verschiedenen Stufen und Stimmen erscheinen: Tonika, Dominante und Subdominante. In Form von zusätzlichen musikalischen Einlagen, Zwischenzeilen und Episoden wirken diese sich wiederholenden Kanonstufen einmal als Spannungsmoment zur Wiederbelebung des Kanons und zum zweiten als Auflockerung durch die eingeschobenen Elemente aus. Bei >Inter oves locum praesta<, >unter den Schafen lass mich stehen<, wird auf dem Ton A das Jüngste Gericht darge-stellt. Erhöht wird die angegebene Situation durch den Chorbass >statuens in parte dextra< und durch die wenige Takte später folgenden Soprane. Alle Chorstimmen treffen sich in F-Dur.

18 Requiem h-Moll, op. 22, Dies irae, T. 120-131. 19 NB h 25: Dies irae/Recordare: Sopran, Tenor, T. 198-202. Kap. 5, S. 125. 20 Requiem h-Moll für vier Solostimmen, Chor und Orchester, op. 22, Andantino con moto, Recordare Jesu pie, T. 198-275.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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Confutatis (h-Moll-Requiem, op. 22) Der kurze Abschnitt wird von >Confutatis maledictis< eingeleitet. Der Chorbass wiederholt wörtlich einige Takte vom Sopran. Darunter liegt ein Paukenwirbel im pp und erläutert die Szene. Das folgende >Voca me< leuchtet in B-Dur.

NB h 31: Altthema/Solochor21

Das Posaunenthema wird in diesem Satz mit Dreiklängen im Alt und Bass in Erinnerung gebracht. Der Chor bittet >Oro supplex et acclinis<. Die demütige Haltung wird besonders im Orchester durch die absteigenden Bässe herausge-stellt.

Lacrimosa (h-Moll-Requiem, op. 22) Der folgende Teil ist der Mittelpunkt und der älteste des Werkes: >Lacrimosa dies illa<, >tränenreicher Tag der Klage<, drückt sich im Larghetto und Grave aus und wird im Weiteren zu >Judicandus homo reus< verbreitert.22 Der große Chor übernimmt die Rolle der wiederauftretenden Klage, der Solochor unter-streicht mit zwei Einwürfen ebenfalls das >Judicandus<. Sequenzartig steigt der Sopran von g‘ bis g“ und endet in Es-Dur, das wie ein vorübergehender Trugschluss wirkt. Dieser Gedanke mündet nach acht Takten im p.. Die Zeile >Huic ergo parce Deus< übernehmen die Solostimmen in einem >Tempo tran-quillo<. Wieder stehen Takte von Entwicklung an. Der Chor verleiht dieser Episode eine Weite und Intensität der Aussage, nämlich die Bitte an Gott, Jesus in seinem Leiden zu schonen! Draeseke setzt ein ff auf dem Wort >Deus< ein und gleitet bis zum Ende der Zeile in die Dominante in ein pp.

Ein anderer wichtiger Abschnitt wird mit >Dona eis requiem< eingeleitet. Die Solostimmen greifen hier in die Bitten des Chores ein. Die Dynamik wird vom Komponisten sehr stark entwickelt, sodass >requiem< und >Amen< im fff von Soli, Chor und dem Orchester verlangt werden. Die Schlusstakte bilden Chor

21 NB h 31: Recordare: Voca me, T. 379-384. 22 Das >Lacrimosa< (ursprünglich op. 10) von 1865 bildet die thematische Grundlage für das gesamte h- Moll-Requiem op. 22. Peter Andraschke: Felix Draesekes Requiem op. 22. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 In Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke- Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 155.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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und Orchester und verabschieden sich im pp. Vom Lacrimosa- und Dies-Thema bleibt nur noch der Grundton d in der Tiefe übrig. »Der hervorragendste [Satz] in dieser Gruppe ist das Dies irae, ein Tongemälde, welches ebenso sehr durch die Größe und Frische von Fantasie und Empfindung fesselt, als es durch die Kühnheit und Sicherheit der Ausführung imponiert«.23

4.1.3 Offertorium (h-Moll-Requiem, op. 22) Die Vorbereitung für die Eucharistiefeier, das Offertorium, beginnt mit den Worten: >Domine, Jesu Christe<. Es stellt ein Gebet für die Verstorbenen dar, das von Vertrauen durchsetzt ist.

Domine (h-Moll-Requiem, op. 22) Im musikalischen Bereich gehen die Chorstimmen im homophonen Satz von h-Moll bis zum Quintraum Fis-Dur. Ab Takt 10 bringt das >Libera animas< eine kontrapunktische Arbeit mit kurz aufeinander folgenden Einsätzen in h-Moll. Der Sterbechoral >Jesus, meine Zuversicht und mein Heiland, ist im Leben< wird von Holzbläsern und Posaunen in halben Notenwerten zusätzlich eingebracht.24 Der Choral wird zum ersten Mal durch Christoff Runge 1653 verlegt: D. M. Luthers Vnd anderer vornehmen geistreichen und gelehrten Männer Geistliche Lieder und Psalmen. Auff sonderbaren Ihrer Churfürstl. Durchlaucht, zu Brandenburg, Meiner gnädigsten Churfürstin und Frauen Gnädigstem Befehl, Zu Erweckung mehrer Andacht bey frommen Hertzen zusammengetragen. Darin die fremde vnd zum Theil annoch unbekandte Lieder, mit ihren nothwendigen Melodien versehen. Zu Berlin, Gedruckt und verleget von Christoff Runge, Im 1653 Jahre.

NB h 35:

23 Hermann Kretzschmar: Führer durch den Konzertsaal. Bd. 1. Leipzig 1916, S. 332. 24 Johannes Zahn: Die Melodien der deutschen evangelischen Kirchenlieder. Aus den Quellen geschöpft und mitgeteilt. Bd. 2. Gütersloh 1890, S. 399 f.; Bd. 6. Gütersloh 1893, S. 186, Nr. 615. NB h 35: EKG 330: 1. Jesus, meine Zuversicht und mein Heiland, ist im Leben. Dieses weiß ich, soll ich nicht darum mich zufrieden geben, was die lange Todesnacht, mir auch für Gedanken macht? Text: Otto von Schwerin (1644), Melodie: Berlin 1653. Der 1. Teil des c. f. erscheint vier Mal im Kontext, der Abgesang zwei Mal.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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Die Melodie hat wahrscheinlich Johannes Crüger geschrieben.25 »Die von Draeseke zugrunde gelegte Variante scheint auf eine Melodie-gestalt zurückzugehen, die das erste Mal in dem Geistreichen Gesang-Buch, Den Kern Alter und Neuer Lieder, Wie auch die Noten der unbekannten Melodeyen Und darzu gehörige nützliche Register in sich haltend […] von Johann Anastasio Freylinghausen, Past. Adj. Halle, Gedruckt und verlegt in Wäysen-Hause, 1704 erscheint«.26 Die Strophen lauten: 1. Jesus, meine Zuversicht und mein Heiland, ist im Leben. Dieses weiß ich, soll ich nicht darum mich zufrieden geben, was die lange Todesnacht mir auch für Gedanken macht? 2. Jesus, er mein Heiland, lebt; ich werd auch das Leben schauen, sein, wo mein Erlöser schwebt; warum sollte mir denn grauen? Lässet auch ein Haupt sein Glied, welches es nicht nach sich zieht? 3. Ich bin durch der Hoffnung Band zu genau mit ihm verbunden, meine starke Glaubenshand wird in ihn gelegt befunden, dass mich auch kein Todesbann ewig von ihm trennen kann. 4. Ich bin Fleisch und muss daher auch einmal zu Asche werden; das gesteh ich, doch wird es mich erwecken aus der Erden, dass ich in der Herrlichkeit um ihn sein mög alle Zeit. 5. Dieser meiner Augenlicht wird ihn, meinen Heiland, kennen, ich, ich selbst, ein Fremder nicht, wird in seiner Liebe brennen; nur die Schwachheit um und an wird von mir sein abgetan. 6. Was hier kranket, seufzt und fleht, wird dort frisch und herrlich gehen; irdisch werd ich ausgesät, himmlisch werd ich auferstehen; hier geh ich natürlich ein, dort da wird ich geistlich sein. 7. Seid getrost und hocherfreut, Jesus trägt euch, meine Glieder. Gebt nicht statt der Traurigkeit: sterbt ihr, Christus ruft euch wieder, wenn die letzt Posaun erklingt, die auch durch die Gräber dringt. 8. Lacht der finstern Erdenkluft, lacht des Todes und der Höllen, denn ihr sollt euch durch die Luft eurem Heiland zugesellen. Dann wird Schwachheit und Verdruss liegen unter eurem Fuß. 9. Nur dass ihr den Geist erhebt von den Lüsten dieser Erden und euch dem schon jetzt ergebt, dem ihr beigefügt wollt werden. Schickt das Herze da hinein, wo ihr ewig wünscht zu sein!27

25 Vielleicht stammt sie von Runge oder von Jakob Hintze. Hintze war Nachfolger von Runge und schrieb für diesen Texte, sowie Melodien. In: Johannes Zahn: Die Melodien der deut- schen evangelischen Kirchenlieder. Aus den Quellen geschöpft und mitgeteilt. Bd. 2. Gütersloh 1890, S. 399f.; Bd. 6. Gütersloh 1893, S. 186. 26 Ebd., S. 402. 27 Evangelisches Kirchengesangbuch. Ausgabe für die Landeskirchen Rheinland, Westfalen und Lippe. EKG 330. Gütersloh o. J.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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NB h 37: Choral/zit. nach Draeseke.28

Der Bitt- und Lobgesang, Tod und Ewigkeit betreffend, ist hier als Choralbe-arbeitung verarbeitet. Der erste Teil des Offertoriums ist zweimal bei den folgenden Textstellen zu finden. Draeseke bewegt sich nicht nur dicht am liturgischen Geschehen, sondern er erweitert dieses bei den Worten >Libera animas omnium fidelium defunctorum de poenis infernis<, >die Erlösung von höllischen Qualen< durch eine kontrapunktische Schreibweise: Es ertönt der Choral >Jesus, meine Zuversicht< als ruhender Pol in der Bläsergruppe. Der Chor musiziert in einem polyphonen Stil, in einer bildlichen Kontrapunktik. »Mit dem Text des protestantischen Kirchenliedes wird der Bitte des Offertoriums aus einer neuen Glaubenshaltung Zuversicht und die Gewissheit auf Erlösung beigegeben«.29 Bevor der Choral zu Ende geht, wird durch die inständige Bitte des Chores >Libera eas< noch einmal an den Anfang des Offertoriums erinnert.

Quam olim Abrahae (h-Moll-Requiem, op. 22): Mit der Linie >Quam olim Abrahae< setzt der Abgesang des Chorals ein: >Was die lange Todesnacht mir auch für Gedanken macht<? Der Tenor eröffnet eine Fuge mit den Worten:>Quam olim Abrahae et semini eius<. Den Choral benutzt

28 NB h 37: modifizierter Choral/Augmentation, zitiert nach Draeseke, Offertorium: Domine, Jesu Christe. Takte 12-15, 17-21, 41- 45, 76-79, 81-85, 101-104, 107-111, 122-125, 128-131. 29 Peter Andraschke: Felix Draesekes Requiem op. 22. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke. Instrumentalwerke und geistliche Musik. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke- Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 162. Andraschke macht weiter auf die Isolierung des Wortes >tartarus< (h-Moll-Requiem, Domine: T. 55) bei Draeseke aufmerksam, die die genaue Syntax unterbricht. Ebd., S. 163. Berlioz, Mozart und auch Verdi benennen in ihren Werken den sprachlichen Zusammenhang und führen ihn ganzheitlich in der Musik aus, im Gegensatz zu Draeseke.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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der Komponist als roten Faden. Er schreibt den c. f. einen Ton höher als die Ursprungstonart und beendet diese Fuge in H-Dur.30

Hostias (h-Moll-Requiem, op. 22) Das anschließende >Hostias et preces tibi, Domine, laudis offerimus< wird durch einen Wechsel vom 4/4- auf einen ¾-Takt und C-Dur vorbereitet. Der melodiöse Charakter gleitet durch entfernt verwandte Tonarten: C-Dur - Fis-Dur und umgekehrt.31 Der zweitletzte Teil wird wiederholt. Auf dem Fis erklingt ein Paukenwirbel. Dieser wird von dem Ton Fis insgesamt 25 Takte lang als Orgelpunkt dargestellt, und die Zeile >Quam olim Abrahae< wird vom Bass als Fugen-Thema entwickelt. Wieder findet ein Taktwechsel statt.

NB h 38: Bass-Fugenthema32

Nach dieser Fuge wird in Takt 261 ein homophoner Höhepunkt mit Hilfe des cantus firmus besonders musikalisch zusätzlich gestaltet. Im Sopran erscheint der Beginn des cantus firmus, wobei die ersten beiden Intervalle als Krebs notiert sind. Ab Takt 270 tritt der Abgesang des Chorals vom ff bis zum pp auf. Die Erinnerung an den Choral >Jesus, meine Zuversicht< wird auf die Worte >Quam olim Abrahae promisisti et semini ejus< wiederholt vorgetragen.

4.1.4 Sanctus (h-Moll-Requiem, op. 22) Ein Trompetendreiklang in E-Dur leitet das Sanctus ein, drei Mal ertönt dieser Klang und weist auf die Dreieinigkeit hin: >Heilig, heilig ist Gott, der Herr<. Zur Unterstreichung dieses Gedankens entwickelt der Chor ständig neue Harmonien, die auf der Quinte H enden. Das H-Dur wird nur kurz gestreift, ein D-Dur mit den Worten >Pleni sunt coeli et terra gloria tua< vorbereitet. Die

30 Die c. f. Linie müsste im D enden. Draeseke bringt zwar den Ton d, dafür in einem Quartsextakkord von h-Moll auf dem Wort >Abrahae<, T. 131. 31 Roeder spricht beim >hostias et preces< vom »lyrischen Höhepunkt dieses Teiles«. In: Erich Roeder. Felix Draeseke. Bd. 2. Berlin 1937, S.80. 32 NB h 38: Domine/Bass, T. 222-227. Kap. 5, S. 122.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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Chorrufe >Gloria tua<, die rhythmisch eine Zäsur darstellen, ragen heraus, und der Tenor beginnt mit einer Osanna-Fuge.

Osanna (h-Moll-Requiem, op. 22)

NB h 57: Osanna-Thema33

Das Osanna-Thema wird in E-Dur vom Tenor im schwungvollen ¾-Takt intoniert. Die Violinen begleiten in einem >Allegro con moto< eine strahlend angelegte Fuge. »Eine Stimme reißt die andere mit sich fort. Zahlreich sind die Engführungen«.34

Benedictus (h-Moll-Requiem, op. 22) Das Benedictus wird im 4/4-Takt mit einem aufstrebenden Thema der Streicher vorgestellt. Die Flöten bereiten Terzengänge, die G-Dur erreichen, im pp vor. Der Solochor setzt in einem verhaltenen harmonischen Sprechgesang ein, bis einschließlich >Qui venit in nomine Domini< (Takt 26).

Eine weitere Steigerung erfährt der Text im einfachen Fugato, das mit der Tenorführung >Benedictus qui venit in nomine Domini< durch eine fallende Quarte beginnt. Im Folgenden wechseln sich Soli und großer Chor ab. Letzterer musiziert in einem kommentierenden, vierstimmigen Satz. Er schließt in G-Dur und im pp mit Hilfe des Paukenwirbels auf dem Ton H.

4.1.5 Agnus Dei (h-Moll-Requiem, op. 22) Das Agnus Dei ertönt im >Andantino grave< h-Moll im ¾-Takt. Auffallend sind die tiefen Streicher, die den Chor in lang gehaltenen Akkorden begleiten. Die Violinenbewegung erinnert an das Lacrimosa mit der Triolenführung. Die Durdominante Cis wird am Ende des ersten Gedankenganges erreicht. Drei Soli -Alt, Tenor und Bass- deklarieren ihre Bitte >Dona eis requiem< im Ab-stand von Septimeneinsätzen. Dieser Kanon wird von zwei Celli und den Flöten unterstützt.

33 NB h 57: Osanna/Tenor, T. 43-47. 34 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 82.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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NB h 41: Kanoneinsatz35

Der gesamte Satz tritt drei Mal auf: h-Moll, d- Moll und h-Moll. Das Wort >sempiternam< moduliert Draeseke von e- Moll nach As-Dur. Es kündigt sich das ewige Licht an, das >lux perpetua<, das in zielstrebigen Steigerungen, wie wechselnde Tempi, Dynamik und Agogik, in fis-Moll endet. Im Orchester erklingt nur der tiefe Ton Fis im pp. Die Pauke agiert hier mit dem Fis in einer schwebenden Haltung. Daraus entwickelt sich im 3/2-Takt eine Fuge >molto tranquillo<: D-Dur und h-Moll sind ihre Grundtonarten.

NB h 42: Sopran-Thema36

Drei Durchführungen resultieren aus dem Fugenthema: die erste zeigt eine kontinuierliche Entwicklung, in der zweiten gibt es mehrere Ansätze, die nicht weiter vertieft werden, bei der dritten Durchführung tritt der Chor im A-cappella-Stil auf und erweitert seine Dynamik bis zum ff und geht zum pp zurück, um gleich wieder das ff erklingen zu lassen. Es ist durch die Worte >quia pius es< gerechtfertigt. Aus dieser Zeile spricht besonders eine große Zuversicht heraus. Der Schluss wird von einem Quintklang h-fis gebildet.

35 NB h 41: Agnus Dei, T. 13-22. 36 NB h 42: Agnus Dei, T. 105-111. Kap. 5, S. 121.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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4.2 Große Messe fis – Moll, op. 60 Die Große Messe in fis-Moll op. 60 für Chor, Soli und Orchester wird von Hermann Kretzschmar nur bedingt anerkannt. Er geht in seinem >Führer durch den Konzertsaal< nicht vertiefend auf die Messe ein. Das ist mit den übrigen kirchenmusikalischen Werken anders, mit dem Requiem in h-Moll op. 22, das z. B. mehrere Aufführungen erfahren hatte und auch dadurch eine gebührende Stellung im Lexikon erhielt. Sicher ist dieses Nichtbekanntmachen der fis-Moll-Messe auch von Seiten Draesekes mit ein Grund, warum diese Messe so wenig aufgeführt worden ist.37

Die Große Messe in fis-Moll op. 60 entsteht 1890/1891. Das Gloria ist am 3. November 1890, das Agnus Dei am 3. Dezember fertig gestellt. Credo und Sanctus folgen im Frühjahr 1891, am 20. März und am 17. April. Das Kyrie schreibt Draeseke am Schluss und beendet es am 21. April.38 Als der Komponist die Messe fis-Moll vorbereitet, stirbt seine Schwester Emma.39 Zusätzlich bricht die Zusammenarbeit mit dem Musikverlag Kistner ab.40 In ähnlichen seelischen Nöten befindet sich Draeseke nach der Komposition des Requiems. Er findet keinen Verleger, obwohl die Presse ein gutes Urteil über das Requiem abgegeben hat: »Felix Draeseke [..] zeigt in diesem neusten Werk ein so völliges Eingehen und Sichversenken in den religiösen Stoff und ein so völliges Beherrschen der strengen Formen, dass dieses Requiem zu den besten derzeitigen Werken dieser Gattung zu rechnen ist. Das ganze Werk

37 »Rechnet man die enge Beziehung der beiden Musiker [Kretzschmar und Draeseke] und den Sachverhalt, dass die vier anderen von Kretzschmar genannten Opera Draesekes [Sinfonia Tragica, Requiem, Columbus, Oratorium Christus] ausführlich dargestellt werden, hinzu, so ist zu vermuten, dass Kretzschmar zur fis-Moll-Messe zu diesem Zeitpunkt bereits eine gewisse Distanz eingenommen hatte«. Reinhold Dusella: Felix Draesekes Große Messe in fis-Moll, op. 60 für Soli, Chor und Orchester. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke- Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 187. 38 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters, Bd. 2. Berlin 1937, S. 245. Vgl. Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke. Chronik seines Lebens. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 3. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1989, S. 99. 39 »Das Städtchen [Witten] an der Ruhr sollte ihn [Draeseke] bald wiedersehen. Anfang Oktober starb seine Schwester Emma. Er gab ihr das letzte Geleit.« In: Ebd., S. 231. Vgl. Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke. Chronik seines Lebens. (Veröffentlichungen

der Internationjalen Draeseke-Gesellschaft). Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1989, S. 94. 40 Felix Draeseke: LE, S. 212: »Kistner selbst kann sich kaum einen Vorwurf deshalb machen,

denn die eigentümliche Feindseligkeit, mit der fast die gesamte deutsche Musikerwelt mich bis an mein Lebensende verfolgt hat und keiner meiner zum Teil recht großen und auffälligen Erfolge hat gelten lassen, bewirkte natürlich, dass auch Kistner, der trotz mancher günstiger Aufnahmen und Besprechungen meiner Werke (keinen erfreulichen Geschäfts- gang in Aussicht sah), am Ende kopfscheu (wurde) und, (obwohl er genügend musikalisch gebildet war, den Wert meiner Leistungen richtig zu schätzen, doch dem Zweifel Raum gab, ob sie jemals eine weitere Verbreitung gewinnen würden«. Vgl. Martella Gutiérrez- Denhoff: Felix Draeseke. Chronik, S. 94.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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zeigt deutlich, welches die eigentliche Richtung ist, in welcher der Componist sein reiches Talent zu verwerten habe«.41

Die Messe op. 60 widmet Felix Draeseke Hermann Kretzschmar.42 Der Text der Widmung lautet: »Herrn Prof. Dr. Hermann Kretzschmar verehrungsvoll gewidmet«.43 Draeseke hat das Werk für gemischten Chor und großes Or-chester deklariert. Doch Kretzschmar schlägt einen Chor, Halbchor und ein Soloquartett vor. Entsprechende Einzeichnungen werden in der Partitur ver-merkt. Laut Kretzschmar soll die >Ante-omnia-saecula-Passage< a-cappella vorgetragen werden. Die Kritik Kretzschmars zielt auf einen viel zu großen Apparat. »Zu schwer, zuviel Modulationen«.44 Draeseke widerspricht und setzt seine ursprünglich musikalischen Absichten durch. Zwei Aufführungen gibt es im 19. Jahrhundert: die erste erfolgt in Leipzig am 18.11.1892, die zweite in Dresden am 8.4.1893. Das Echo für beide Veran-staltungen hält sein Biograph, Erich Roeder, fest: »Der Riedel-Verein setzte sich für Draesekes zweite kirchenmusikalische Großtat ein: für die fis-Moll-Messe.45 Diese Messe gilt als ein »geistliches Gegenstück zum Columbus«.46

4.2.1 Kyrie (fis-Moll-Messe, op. 60) Das Kyrie zeigt einen Umfang von 127 Takten, das im 4/4-Takt mit einem >Andantino con moto< in fis-Moll beginnt. In seinen einzelnen Passagen ist es kurz angelegt, weil die Einteilung der Textmenge in Proportionen stattgefunden hat. Das erste Kyrie wird in fünf Takten vom Orchester in dunkler Färbung und vom fis-Moll-Grundton aufsteigend vorbereitet, und es zielt auf einen Sept-akkord gis, h, d, fis, der den Aufschrei, den Ruf der Menschen, auf der zweiten Stufe, symbolisieren soll.

41 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters, Bd. 2. Berlin 1937, S. 99. Vgl. Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke. Chronik seines Lebens. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 3.

Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1989, S. 72. 42 Walter Vetter: Art. Hermann Kretzschmar. MGG, Bd. 7. Kassel. Basel. London. New York 1958, München 1989, Sp. 1769. 43 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 245. 44 »Sofort war ihm [Draeseke] klar, dass die neue Besetzung die Aufführungsmöglichkeit stark herabmindere. Und die Zukunft gab ihm Recht. Das vorläufige Schicksal der Messe ist noch erschütternder als das der Missa solemnis. Bisher hat sie überhaupt nur zwei Aufführungen erlebt«. In: Ebd., S. 246. 45 »Kretzschmar war so völlig mit dem Werke vertraut, dass er die Uraufführung auswendig leitete«, Ebd., S. 270. »Der außerordentliche Eindruck auf die Fachleute wurde unter- strichen durch den Entschluss der beiden Vertreter der Dreyssigschen Akademie, Collenbusch und Müller-Reuter, das Werk auch in Dresden zu bringen«, Ebd., S. 271. »Die Dresdener Nachrichten schrieben: Das war wohl das Höchste gewagt. In Leipzig 250 Sänger, gestern 50 bis 60. Die Draesekesche Messe reicht an Umfang und Gestaltung direkt an die Messen von Beethoven und Bach heran«. Ebd., S. 271. 46 »Die Kantate wurde die letzte Komposition Felix Draesekes, die Kistner verlegte.« Ebd., Columbus, op. 52, S. 235f.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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NB fis 3: Kyrie47

Struktur und Dynamik treffen im f zusammen. Alle vier Chorpartien stimmen sprachlich syllabisch überein, Homophonie wird gefordert. Auch für den zweiten Ruf wird sie benutzt; dieses Mal mit dem hoch alterierten Quintsext-Akkord auf der Subdominante: His, Dis, Fis, Gis. Hier findet eine Öffnung nach oben statt, eine Steigerung, die als zusätzliches Spannungselement gelten darf. Die aufsteigenden kurzen orchestralen Vorbereitungen, die skalisch nach oben führen, sind ebenso als vorbereitendes Element anzusehen. Das Orchester bekräftigt den Kyrie-Ruf, indem er sich besonders durch Terzverdoppelungen ausdrückt, die wiederum einen Schwebezustand der Menschen signalisieren und tonale Unsicherheiten anklingen lassen.48 Der dritte Kyrie-Ruf setzt fugenartig auf der Subdominante, terrassenförmig in Quartabständen, ein. Auffällig ist nicht nur die Aufwärtsbewegung der Quartabstände, sondern innerhalb der einzelnen Stimmen ein regelmäßig auftretender fallender Quartsprung. Besonders bei der letzten Silbe des >eleison< findet mehr und mehr eine Aufwärtsbewegung mit einem Quartsprung statt. Draeseke umspielt damit die Haupttonart, er geht schnell den Weg von Tonartenabfolgen und gleitet über nichtdirekte, entfernte, in direkte Tonartenverhältnisse. Bei Takt 29 wird die Dur-Quinte erreicht; sie wirkt für den erneuten Kyrie-Ruf vorbereitend, wieder in der Ausgangstonart fis-Moll. Fugenmäßig, vom fis ausgehend, wird an den Beginn des ersten Kyrie-Rufes erinnert. Dieser endet auf einem Sextakkord von h-Moll. Hier ist ebenso ein Halbschluss auf der Subdominante zu hören, bei dem der Komponist die Terz verdoppelt. Dieser Plagalschluss zeigt den inständigen Anruf, die Bitte der Menschen, nicht nur in der Textwiederholung, sondern auch in der Musik, zu erfüllen.49

Von Takt 37-45 entwickelt Draeseke ein kurzes Fugato in cis-Moll, das in Takt 43, unmittelbar nach dem Sopran-Einsatz, das >Eleison< in einem ¾-Akkord auf dem Ton c wiederholt. Draeseke erklärt durch diese Mittel die ungelöste Situation, zum einen durch die Wiederholung und zum zweiten durch den spannungsgeladenen Akkord, den Aufschrei der Menschen, der sich besonders im letzten Akkord widerspiegelt. Der Komponist lässt die Sekunde im Akkord

47 NB fis 3: Kyrie/Sopran, T. 5-9. Kap. 5, S. 113. 48 In der klassischen Harmonielehre treten Terzverdoppelungen nur selten auf. Es ist zu vermuten, dass Draeseke hier bewusst die Terzverdoppelung als Stilmittel eingesetzt hat. Kyrie, T. 14, >Dis< ist verdoppelt: Chorsopran und 1. Vl., T. 25. 49 Felix Draeseke: Grosse Messe in fis-Moll für Chor, Soli und Orchester, op. 60 Kyrie: T. 36. Fis wird im Chor verdoppelt.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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unaufgelöst stehen. Der Chor wiederholt in den Takten 50-56 die vorausgegangene Orchesterpartie.

NB fis 2: Kyrie50

»Es (das >Eleison<) hat als Forte-Nachhall ebenfalls bestätigende Funktion für den dritten >Kyrieabschnitt< wie der neue >Kyrie-eleison-Nachhall< ritardieren-des Element für die gesamte erste Kyrie-Passage ist«.51 Ein völlig neuer musikalischer Charakter tritt auf. »Denn der plötzliche Stimmungsumschwung markiert dabei nach der Eleison-Bestätigung die Wandlung der Anbetungshaltung: nach dem letzten fordernden Herr, erbarme dich nun ein unterwürfiges, flehendes«.52 In Takt 59 beginnen die Frauenstimmen mit dem >Christe eleison< in einer melodiösen Terzenzeichnung. Es entsteht eine größere Bewegung, und für fünf Takte wird A-Dur erreicht. Eine selbstständige Tenorstimme bildet den Gegen-pol zu der Terzenbewegung (Takt 60). Ab Takt 64 übernimmt der Solochor das >Christe eleison<. In diesem Teil fällt ein doppelter Kontrapunkt auf, nun wie-derholt der Sopran das vorhergehende Tenorthema. Ein Fugato schließt sich an, das sich ab Takt 79 mit verkürztem Engführungscharakter auf kleinstem Raum darstellt. Der Komponist erinnert an den Anfang der Orchestervorbe-reitung, dieses Mal lebhafter im Ausdruck. Jetzt wird auch im Quintraum die richtige Terz >Eis< verwendet. Diese wird großzügig umspielt. »In scharf aufstrebenden, ungeduldigen Nachahmungen bestürmt der Gesamtchor erneut Gott Vater mit der Bitte um Erbarmen«.53 In Takt 85 schließt der erste Teil mit Cis-Dur ab. Draeseke lässt eine ganze Pause und eine Generalpause folgen. Nach einem Taktwechsel vom 2/2- zum 3/2-Takt beginnt der Sopran auf dem Ton >cis<, im fis-Moll-Bereich, mit einer großen Kyrie-eleison-Fuge.

50 NB fis 2: Kyrie/Sopran T. 50-56. Kap. 5, S. 113. 51 Reinhold Dusella: Felix Draesekes Große Messe in fis-Moll op. 60 für Soli, Chor und Orchester. Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 204. 52 Ebd., S. 206. 53 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 248.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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NB fis 4: Kyrie-Thema54

Ihr Grundcharakter ist lyrisch-melodiös, und sie hat drei Durchführungen: Die erste wird kontinuierlich durchgeführt, die zweite musiziert steigernde Elemen-te in Verbindung mit dem ersten Thema zum Durbereich, die dritte lässt die Engführung in einem musikalischen Kulminationspunkt, in einer Verdichtung mit dem Kopfthema, enden. »Ein Anhang lässt aber die letzte Bitte um Erbarmen harmonisch weich und in erwartungsvoller Andacht verklingen«.55

In Takt 126 wird wieder fis-Moll erreicht. Der Chor erscheint im Notenbild Note gegen Note. Es findet eine Intensivierung des Ausdrucks über dynamische Zei-chen vom pp zum ppp und wieder zum pp statt. Die Flöte spielt >a< in der oberen Oktave. Die drei höchsten Bläser bilden in Takt 127 alleine den Schluss. »Deutlich wird anhand des einleitenden, nachträglich komponierten Kyrie aber, dass Draeseke auch in diesem textarmen Satz wie im Gloria und im Credo nicht nur eine dramatische Musiksprache suchte, sondern dort, wo er sie nicht ohne weiteres einsetzen konnte, gleichsam eine Inszenierung von musikalischem Material vornimmt«.56 Insgesamt ist »die musikdramatische Konzeption Legiti-mation für einen sonst formal indifferenten, vielleicht sogar als unverständlich zu bezeichnenden Aufbau dieses Abschnitts«.57

4.2.2 Gloria (fis-Moll-Messe, op. 60)

Mit 291 Takten ist das Gloria deutlich länger als das Kyrie. Die Verherrlichung Gottes drückt sich in einem strahlenden D-Dur und im 4/4 -Takt aus. Das gesamte Orchester musiziert im Allegro maestoso. Der Chor setzt dem Orchester ein homophon gestaltetes Gloria entgegen. Auffällig ist der Trompeteneinsatz, der die Freude der Menschen untermalt. Die Syllabik wird

54 NB fis 4: Kyrie/Sopran, T. 108-111. 55 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 248. »Der dominantischen Funktion wird mit der Cis-Aufnahme des Hauptmotivs zwar Rechnung getragen, aber der Forte-Schluss, die Forderung nach Erbar- men, behält nicht die Oberhand. Erst die homophone Schlussphrase, das letzte demutsvolle Bitten um Erbarmen, wiederum in Nachhallfunktion gestaltet, führt den Satz zum Schluss- akkord in fis-Moll«. Reinhold Dusella: Felix Draesekes Große Messe in fis-Moll op. 60 für Soli, Chor und Orchester. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 208. 56 Ebd., S. 208f. 57 Ebd., S. 204.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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berücksichtigt, doch Draeseke verwendet einen Gegenrhythmus, d.h. dass das >Gloria< auf der 2. Zählzeit erklingt. Ab Takt 1 erscheint eine lebhafte Bewegung im gesamten Orchester. Ab Takt 7 spielen Fagott, Violoncelli und Kontrabass das aufsteigende Motiv vom Kyrie eleison. Herausragend sind besonders diese >eleison-Reminiszenzen<.58 Kyrie und Gloria werden bei Draeseke auch mit anderen musikalischen Mitteln untereinander verbunden: In Takt 8 tritt die Pauke mit der Tonika und der Dominante im Wechsel dazu. Sie unterstreicht die Festigkeit der Gloria-Aussagen. D-Dur wird wieder in Takt 12 über den Sextakkord der Subdomi-nante und den Quintsext-Akkord auf dem Leitton >Cis< erreicht.

Mit der Tempobezeichnung poco a poco rallentando bereitet der Komponist in Takt 12 >Et in terra pax< vor. Der Einsatz erfolgt ab Takt 13 wieder auf einer unbetonten Zählzeit, die synkopisch in den nächsten Takt zielt. Der Quintsext- Akkord >His, Dis, Fis, Gis< zeigt die Dominante >Cis< an. Eine einfache Doppelchörigkeit wird bis Takt 19 von drei bis sechs Stimmen im Wechsel musiziert. Die zaghafte Bitte >Et in terra pax< drückt sich in mehreren p-Abstufungen aus. Ab Takt 19/20 entwickelt sich bei den Worten >bonae voluntatis< eine Fuge, ausgehend von einem >Cis-Einsatz< des Basses, der bis zum Tenorbeginn die Gegenrhythmik weitergeben wird. Auch dabei liegt die Betonung auf Zählzeit zwei. Cis-Dur bleibt bis zum Takt 29 federführend. Ab Takt 30 wird C-Dur vorbereitet: In Takt 32 arbeitet Draeseke mit einem Non- und Septvorhalt zu C-Dur, um noch stärkere Betonungsmomente aufzuzeigen und C-Dur zu eliminieren. Weiter verlaufen ab Takt 20 die oberen drei Bläsergruppen -Flöte, Oboe, Fagott- verstärkt parallel zum Chor, während das Streichorchester gelegentlich eine wörtliche Unterstützung bereithält. Die Lebhaftigkeit im Streichorchester wird durch scheinbar polyphone Ausdeu-tungen charakterisiert. Eine starke Bindung ist durch die vertikale Konstruktion gegeben, die homophonen Gesetzmäßigkeiten stehen auch hier Pate. In Takt 39 wird der Quintraum Cis-Dur angestrebt. Der Trompeten- und Horneinsatz ab Takt 40/41 erinnert an den Beginn Gloria mit dem früheren Tempo Allegro maestoso. A-Dur steht im Mittelpunkt. Während das Orchester vorwiegend Dreiklänge im genannten Rahmen sehr lebhaft im f spielt, rezitieren der Bass und der Tenor >Laudamus te< im Quintklang, bordunartig.59

Bei >Laudamus te, benedicamus te, adoramus te< findet eine sequenzartige Imitation des aufsteigenden Themas statt. Diese Sequenzen gehen von A-Dur nach G-Dur und völlig überraschend nach Es-Dur. Der Komponist hebt das Wort >adoramus< mit einem Trugschluss hervor, damit die Tätigkeit, die damit verbunden ist, nicht in Vergessenheit gerät. In Takt 46 treten die Posaunen und die Trompeten wiederholt auf. Im Weiteren zeigt der Chor A im Unisono. Auf

58 Vgl. fis-Moll-Messe: Kyrie, T. 100, Tenoreinsatz. 59 Die tiefste Stimme als Haltestimme liegt im Chorbass. Hier sind Ansätze von einem Bordun vorhanden.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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dem Höhepunkt dieses Satzes wird bei dem Wort >te< ein Sextakkord von D -Dur erreicht. Der Chor erklingt siebenstimmig im ff. Der erste und der zweite Sopran legen die Betonung auf das >te<, während erster und zweiter Tenor, sowie erster und zweiter Bass die Anfangssilbe von >glorificamus< heraus-stellen.

Ab Takt 52 erfolgt ein Taktwechsel zu einem Alla breve. Bei den Worten >gratias agimus< ertönt B-Dur im p. Draeseke setzt antiphonale und responso-riale Elemente, Wechsel von den Chören, bewusst ein. Dem drei- bis vier-stimmigen Männerchor tritt ein dreistimmiger Frauenchor gegenüber. Die obere Bläsergruppe und das Streichorchester unterstützen die Chorstimmen. Auch die Violinstimmen gelten, trotz ihrer gebrochenen, dreiklangsartigen Figurationen, als colla parte. Eine kurze dreistimmige Fuge baut der Komponist ab Takt 74 auf: beginnend mit dem Sopran auf B, lässt er bei >Domine Deus< im Abstand von einer tiefer gelegenen Quarte den Alt und den Tenor folgen. Die Streicher führen in Ges-Dur ein Tremolo aus, das an eine musikalische Inszenierung erinnert. Ab Takt 81 bereitet der Komponist ein Konzertieren, im Dualsystem erdacht, vor: Bass und Tenor, sowie Alt und Sopran, gehen zusammen. Beide Gruppen, Frauen- wie Männerstimmen, sind in sich stimmführungsmäßig einig, sie musi-zieren zum einen im Gegensatz zu den übrigen Stimmen und zum zweiten im responsorialen Gedankengut. In der Behandlung von syllabischer Gegenrhyth-mik wirken beide Gruppen aufeinander. Es-Dur, g-Moll und D-Dur führen in Takt 88 zu As-Dur. Das Wort >omnipotens< wird mit dieser Tonart überraschend vorgestellt; auch hier findet eine musika-lische Bildersprache statt. Ab Takt 91 taucht bei >Domine fili< wieder eine dualisierende Stimmführung auf: die Sologruppen wechseln in Terzen- und Sextengängen ab. Die Worte >filius patris<, die ursprünglich zum Gloria-Text gehören, werden von Draeseke ausgespart. Bis zu Takt 107 bleibt G-Dur erhalten. Über die Subdominante C-Dur sind die oberen Sängerstimmen gegenläufig tätig. Das folgende >qui tollis peccata mundi< ist im fis-Moll-Raum notiert und wird vom Sopran vorgetragen, der durch den Leitton >His< die Quinte >Cis< mehrmals ansteuert.

NB fis 10: Sopran-Thema60

60 NB fis 10: Gloria/Sopran, T. 107-109.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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Wenige Takte danach wird ab Takt 111 das Sopran-Thema im Tenor und Bass aufgegriffen. Engführungen zwischen der ersten und dritten, sowie zweiten und vierten Chorstimme werden zum einen in einem großen Teil vom Orchester unterstützt, zum anderen in den zweiten Violinen kontrapunktisch begleitet. Der Takt 111 weist auf einen Dominantseptakkord auf A in Form eines Quintsext-

Akkordes hin. Dieser mündet in einem Quartsext-Akkord von g-Moll. Sprach-liche Wiederholungen werden mit espressivo deklariert und somit stellenweise hervorgehoben. Bis zu Takt 121 ist eine zurückhaltende Dynamik vorge-schrieben, aber ab Takt 122 wiederholt der Alt die Zeile >qui tollis peccata mundi< in einem f.. Die >Domine-fili-Melodie< wird vom Solochor im Sopran, Alt und Tenor ab Takt 126 mit den Worten >miserere nobis< wiederholt musiziert. Die drei oberen Stimmen stehen in ihrer musikalischen Diktion zusammen, während der Bass die sprachlichen Pausen nutzt, sein >Miserere< einzubringen.

Weitere Engführungen werden besonders durch den Bass vorangetrieben. In Takt 136 wird wieder fis-Moll erreicht: Die Worte >qui tollis peccata mundi suscipe deprecationem nostram< werden im p beginnend und espressivo vorgetragen. >Qui sedes ad dexteram patris< wird in Takt 143 mit einem B-Dur und danach in D-Dur ausgewiesen. Fast das gesamte Orchester spielt D-Dur- Akkordklänge im Tremolo. Sekundartige Durchgänge werden vom Fagott und den Streichern dargestellt. Der Chor dagegen erscheint Note gegen Note, unumstößlich in seiner Aussage >qui sedes ad dexteram patris<.

NB fis 1: Soli61

In Takt 152 gehen C-Dur-Klänge über in G-Dur. Nur ein Cis-Klang bleibt unisono in Takt 157 stehen, unterstützt von Oboe, Horn, Posaune, 1. Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass. Die Worte >Quoniam tu solus< beginnen ab Takt 158 in fis-Moll; in Takt 163 wird ein E-Dur erreicht; dieses wird auch noch crescendiert. Der f-Klang mündet in C-Dur (Takte 164/165) mit dem Wort: >Sanctus<. Draeseke verwendet wieder einen Trugschluss, um diese Stelle als 61 NB fis 1: Gloria/Soli-Soprane, T. 91-98. Kap. 5, S. 103.

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musikalische Exegese besonders hervorzuheben. Das Wort >Sanctus< hat für ihn daher eine exponierte Stellung. Ab Takt 166 musizieren Chor 1 und Chor 2 die Worte >tu solus altissimus< von C-Dur über den Quartsext-Akkord in As-Dur nach Es- Dur. Chor 1 formuliert >Jesu Christe< im p. Die vier oberen Bläser musizieren wörtlich, während die Streicher Es-Dur von der Tiefe her zwei Okta-ven nach oben hin dreiklangsförmig aufbauen. Dieser 1. Chor wirkt auf ein Responsorium des 2. Chores einladend: Ab Takt 171 begleiten die hohen Streicher im aufsteigenden Akkord in der Terzlage, dieses Mal in der Moll-parallele g. Die Alternatim-Praxis wird weiter mit B-Dur als Mittelpunkt fortge-führt. Die korrespondierende Doppelchörigkeit nimmt in den folgenden Takten zu und weist auf italienische Einflüsse hin. Die Einsätze differieren je um ein verschobenes Viertel, sodass nun die Zählzeit zwei hervorgehoben wird, im Gegensatz zur Betonung Schlag 1 und Schlag 3, in den Takten 169-173. Die drängende Bitte >Jesu Christe< wird weiter unterstrichen, indem der Komponist den Chor auf einem Quartsext-Akkord von G-Dur stehen lässt (Takte 177/178). Die tiefen Streicher, das Fagott, die Violen und die 2. Violinen streben einen Aufstieg an, um in Takt 179/180 einen Quintsext-Akkord, der D-Dur in sich trägt, zu erreichen. Die Pauke bereitet ab Takt 175-182 die zukünftige Tonika über der Dominante vor. Im Allegro con brio setzt ein Fugenthema im Bass auftaktig ein. NB fis 18: Gloria-Thema62

Die Hörner, Violen und Violoncelli unterstützen das Thema, den Dux. Nach den Worten >Cum sancto spiritu in gloria Dei patris< setzt der Comes auf der Quinte ein. In Takt 192 nimmt der Chor 1 >gloria in excelsis<< bis Takt 199 auf. Die Streicher gestalten lebhafte Bewegungen, während der Chor 1 im vierstimmi-gen, einfachen Satz musiziert. Eine Ermutigung der Worte >cum sancto spiritu in gloria Dei< wird durch die Verstärkung der Instrumentierung (Violinen, Fagotte, Oboen und Flöten) hervorgehoben. In Takt 212 ist die Dur-Gegenparallele Fis-Dur mit dem Choreinsatz 2 im Tenor erreicht. Zwei Takte 62 NB fis 18: Gloria/Bass, T. 182-187.

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später erklingt der Comes in der Quinte. Ab Takt 217 wird der Quintraum in den Chorbässen bestätigt; der Dux ertönt ab Takt 219 nur im Kopf wörtlich. Ab Takt 220 wird das Thema im Tenor genau durchgeführt. Durch das >gloria in excelsis Deo< bricht in Takt 229 eine Verherrlichung in strahlendem Es-Dur hervor, hier in einem Quartsext-Akkord, der aber noch keine abgeschlossene Episode darstellt. Erst in Takt 230 ist eine klare musikalische Aussage in Es-Dur bei dem Wort >sancto< erreicht. Chor 2 beginnt mit der Engführung; Chor 1 wirft das Wort >gloria< als zusätzliches Kolorit ein. Ab Takt 239-253 tritt eine Doppelchörigkeit auf. Der dritte Themeneinsatz erfolgt im Alt des 2. Chores, in der Gegenparallele h- Moll. Beim vierten Einsatz wird wieder die Durquinte A erreicht. Die Bekräf- tigung umfasst F-Dur bis hin zu D-Dur mit mannigfaltigen Querständen in den Takten 240/241/245. Ab Takt 235 ist die Pauke fast ständig mit der Tonika D und der Quinte A im Einsatz. Den Schlussteil der Fuge leitet Draeseke ab Takt 253 mit einer Stretta ein. Ihre Bezeichnung lautet: un poco piu vivo und bedeutet eine tempomäßige Änderung. Sie bereitet nicht nur im Orchester- und Chorklang eine große Klangdichte vor, sondern sie setzt auch mit der Hervor-hebung der Dynamik eine intensive Betonung des >cum sancto spiritu< ein. Hinzu kommen tonartliche Wechsel: D-Dur, G-Dur und e-Moll. Bei dem Wort >Amen< wird Fis-Dur angestrebt. Es ist die einzige Stelle im Gloria, die im gesamten Chor- und Orchesterbild harmonisch gesetzt ist: Note gegen Note. Bis zu Takt 283 wird diese Art der Darstellung über h-Moll und D-Dur durchgehalten. Die Gewissheit der Aussage im >Amen< schafft im >Gloria in excelsis Deo< im leuchtenden D-Dur durch insgesamt 33 Chor- und Orchesterstimmen einen gewaltigen musikalischen Höhepunkt.

4.2.3 Credo (fis-Moll-Messe, op. 60) Den Mittelpunkt des Ordinariums bildet das Credo mit einem Allegro maestoso, alla breve, in H-Dur. In seiner musikalischen Anlage weist es eine Länge von 478 Takten auf, ein Zeichen dafür, dass es für die Aussage des Textes und für die musikalische Interpretation des Komponisten von großer Wichtigkeit ist. Ein tremolierender Basston Fis zeigt im gesamten Orchester die Grundlage; ein Quartsext-Akkord auf H geht schnell zum Fis der Quinte über, mit doppeltem Vorhalt in Takt 14, und ein Paukenwirbel trillert auf Fis im selben Takt. Die ersten 8 Takte tragen das Thema im Bläserteil >cis-e-h< des Orchesters vor, während die Streicher, 1. und 2. Violinen, bedingt kontra-punktisch operieren, unterstützen die Violen den harmonischen Aufbau. Diese Rollen werden in den Streichern ab Takt 7-9 vertauscht.

Der Chor beginnt mit seinem >Credo, credo in unum Deum< ebenfalls auf einem Quartsext-Akkord auf H, wie der Anfang der Orchestereinleitung gezeigt hat. Ab Takt 15 erfolgt ein Einschnitt: der zweite Chor singt das zu wieder-holende Credo im f in einem Sextakkord auf Fis. Wieder wird vom Kompo-

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nisten ein schwebender Klang gewählt, der im Vergleich zum ersten Einsatz schon konkreter gestaltet wurde. Das Wort >unum< wird trugschlussartig herausgestellt, das nachfolgende Wort >Deum< erhält einen Quintsext-Akkord auf E und wird somit als musikalisches Transportmittel zum Fis-Dur in Takt 19 verstanden. Ab Takt 21 mit dem Chorbasseinsatz auf >Fis< schreibt Draeseke einen vier- bis sechsstimmigen Chor mit wechselnden Stimmenverteilungen im Sopran und Bass. Hier findet eine formale und ausgewogene Korrespondenz zwischen den hohen und tiefen Stimmen statt.

NB fis 13: Credo: Korrespondieren von Sopran und Bass63

Die Zeile >patrem omnipotentem<, der Allmächtige, wird durch tonale Rückun-gen über den A-Dur-Raum zum F-Dur im Crescendo zum ff geführt.64 Im 4/4 -

Takt und aufsteigenden F-Dur-Dreiklang singt der Chorbass >factorem coeli et terrae<. Zwischen dem Sopran und Bass entsteht ein Konzertieren. Dabei korrespondieren die Hörner mit den Chorbässen, die Flöten mit den Chor-sopranen. Auffallend sind die Bewegungen der 1. und 2. Violinen, die 8 Takte lang das Prinzip der Gegenbewegung -mit großen Linien zeichnend- durch-ziehen. In ihnen verbergen sich gebrochene Akkorde und Sekundverbindun-gen. Es erklingt eine scheinbare Polyphonie.65

Der Teil nach Takt 36 beginnt in einem tonal unsicheren, schwebenden Raum. Der aufgesplittete Quartsext-Akkord in der Abwärtsbewegung, vom Chorbass und den tiefen Streicherbässen begleitet, verrät eine abwartende Stimmung. Die Worte des Basses >et invisibilium< werden im pp vorgetragen. Dabei verwendet Draeseke im Tenor nur das >Dis<, in diesem Sinne eine praktische Rezitation. Der Komponist erinnert an die Gregorianik. Der Rezitationston wurde dominant hervorgehoben und eine clausula, ein Sekundschritt als Schlussformel, eingerichtet. Hier ist es >Cisis<, der Leitton nach >Dis<. Ursprünglich wird an dieser Stelle H-Dur erwartet. Draeseke ist aber mit dem >Unsichtbaren< noch nicht fertig. In Takt 50 bringt er erneut den aufsteigenden Dreiklang, dieses Mal von >Dis< ausgehend, aber mit der verminderten Quinte.

63 NB fis 13: Credo/Sopran/Bass, T. 19-29. Kap. 5, S. 117. 64 Credo, T. 25-29. 65 Credo, T. 29-36.

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Wieder wird H-Dur erwartet. Ab Takt 52 werden die Worte >Et in unum Dominum< auf dem Quartsext-Akkord von H-Dur aufgebaut.

In Takt 57 wird Fis-Dur im klaren Dreiklang erreicht. Die Pauke geht mit ihrem Triller bis zum ppp zurück. >Jesum Christum filium< wird ab Takt 59-64 von den Solostimmen im vierstimmigen Satz homophon gestaltet. Auf eine grundle-gende musikalische Aussage wird der >Sohn< als Person hervorgehoben. Das geschieht auch durch Flöten, Fagotte, Violen und Violoncelli, letztere sind noch geteilt. Tonartlich bleibt Draeseke im Fis-Dur-Bereich. Der Einsatz erfolgt mit einem Quartsext-Akkord. Die fragende Haltung des Menschen wird inhaltlich ins Bewusstsein gerückt und durch ein pp unterstrichen. Einen gewissen Abschluss gewinnt der Hörer in Takt 64 durch einen Sekundakkord: H Cis Eis Gis.66 Dieser löst sich nicht in einen Sextakkord, sondern in einen Quartsext-Akkord auf. Die neuen Gedanken >et ex patre natum< und >ante omnia saecula< gestalten einen vier- bis siebenstimmigen homophonen Satz. In Takt 77 formuliert der Komponist eine große Kadenz mit klassischen Vorhalten, die die Gewissheit der Aussage sichert und bekräftigt. Die Takte 78-80 schaffen einen Übergang mit anschließendem Taktwechsel vom 4/4 -Takt zum ¾ -Takt ab Takt 81 (Deum de Deo), indem sie das Wort >Deum< hervortreten lassen. Die drei oberen Chorstimmen folgen dem Duktus der rhythmischen Sprache, zunächst mit Betonung der zweiten Silbe, dann in der Wortwiederholung mit einem nicht punktierten ¾ -Takt (Takt 83). Dafür setzt hier der Solobass auf der Zählzeit 2 ein, es erklingt ein D7-Akkord auf >Eis<, deklariert als übermäßiger Quintsext-Akkord. In Takt 84 formuliert Draeseke einen Nonenakkord auf der Terz von h-Moll. Das gleiche Prinzip wendet er zwei Takte später (Takt 86) als Quintsext-Akkord auf >Fis< an, oder anders deklariert als D9/7 auf der Terz, zugehörig zu G-Dur. Diese Wendungen verlaufen rasch und zügig. Ein Quintsext-Akkord bereitet auf C in Takt 87 die Zeile >lumen de lumine< vor. Ein Sekundakkord transportiert das >lumen< nach As-Dur, um gleich wieder in Takt 91 ins C-Dur zu fallen und erneut As-Dur folgen zu lassen. Diese farblichen Überraschungseffekte beweisen sich im klanglichen Rahmen der weitläufigen Terz-Verwandtschaften.67 Auch Trompeten und Posaunen lassen das >lumen< hell in ihrer Klangfarbe erstrahlen.

Bei den Worten >Deum verum de Deo vero< (Takt 93-96) geht der vier-stimmige Satz weiter; die Bläser spielen den Chorsatz mit, während die 1. und 2. Violinen in Sprüngen musizieren, die Violen in auf- und abwärtsgerichteten Dreiklangsaufteilungen und Sekundschritten sich zeigen und die Violoncelli gelegentlich den Chorbass unterstützen. In Takt 95 wird ein E 7- Akkord in Form eines Terzquart-Akkordes erlangt, der ein offener Klang ist, manche musika-

66 Nach klassischer Harmonielehre wird ein anschließender Sextakkord -Ais Cis Fis- erwartet. Für Draeseke ist der Quartsext-Akkord auch hier eine stilistische Besonderheit. 67 Den Einsatz von Gegenparallelen pflegt der Komponist an herausragenden, bildhaften Stellen.

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lischen Möglichkeiten in sich bergend und nach sich ziehend. Durch den neuen Einsatz wird dem Solochor ein verhaltener pp-Raum auferlegt. In der Zeile >genitum factum, consubstantiatum patri< schreibt Draeseke wieder einen Quartsext-Akkord auf Fis, von h-Moll. Er benutzt ihn als Vorhalt zu Fis-Dur, das auf dem nächsten Viertel (Takt 97) auf der Zählzeit 2 erreicht ist. In Takt 98 wird die Subdominante H-Dur von Fis-Dur angestrebt. In Takt 102 wird über einen Quartsext-Akkord auf E E-Dur kurz angesprochen, weiter über cis-Moll zum gis-Moll- Quartsext-Akkord zu einem Septimenakkord auf >Eis< hinübergeleitet. Es wird ein Vorhalt in Takt 103/104 vorbereitet, um Fis-Dur zu festigen. In Takt 104-106 wird durch die Posaune und Trompete der Inhalt fanfarenartig vorgetragen, nämlich, dass durch Ihn (Gott) alles gemacht worden ist. Draeseke schreibt an dieser Stelle vor, dass das Tempo >ein wenig zu verzögern sei<, sicherlich um die >Nachdenklichkeit< musikalisch hervorzu-heben. Der Takt 119 beginnt mit der Zeile >Qui propter nos homines, et propter nostram salutem descendit, descendit, descendit de coelis< auf der Zählzeit 2 in H-Dur und wechselt direkt in die Gegenparallele. Der gesamte Chor spricht im musikalischen Rezitationsstil.68 Das gleiche Prinzip erfolgt in Takt 121 über einen d-Moll-Quartsext-Akkord nach A- Dur und anschließend nach a-Moll. Im Takt 122 schreibt der Komponist bei >salutem< einen Sekundakkord auf g mit kleiner Sexte und reiner Quarte (cis wird c): g a c es. Beim folgenden Tutti-Einsatz wird das Wort >descendit< um einen halben Ton tief alteriert. Die Komposition weist einen Quintsext-Akkord auf Fis nach und lässt einen Quartsext-Akkord von F mit kleiner Sexte und reiner Quarte (Takt 123) folgen. Der Auftakt zu Takt 124 notiert einen Quintsext-Akkord auf E. Wieder setzen Orchester und der Soli- Chor versetzt auf den Zählzeiten 2 und 3 nacheinander ein. Nach dem ersten Wort >et< entstehen zwei Viertelpausen, erst dann tauchen die restlichen Worte >incarnatus est de spiritu sancto ex Maria virgine< auf. Der Solochor wird hauptsächlich von den Streichern begleitet, während die Hörner, Fagotte, Oboen und Flöten Hauptfunktionen erklingen lassen. Ab Takt 130 übernehmen die 1. und 2. Violinen den Triller der Pauke, und in den Violoncelli entsteht ein Tremolo auf einem Quartsext-Akkord auf F.69 »Ich staunte die Partitur [Bergsymphonie] von Liszt an, ich glaube, hauptsächlich, weil sie mit einem Wirbel begann, und mir derartige Sachen jenerzeit sehr im-ponierten.«70

68 In der Gregorianik wurde ebenfalls rezitiert. Bestimmte Merkmale, Topoi erscheinen. Warren Kirkendale: Beethovens Missa Solemnis und die rhetorische Tradition. In: Beethoven-Symposion. Wien 1970. (Veröffentlichungen der Kommission für Musikforschung). Hrsg. von Erich Schenk. Heft 12. Wien 1971. S. 121f. 69 Franz Liszt hat programmatische Mittel eingesetzt und sich dabei auf rhetorische Traditionen der Missa Solemnis berufen, ebenso auf ältere musikalische Formen zurückgegriffen. Vgl. Helmut Loos: Franz Liszts Graner Festmesse. In: KmJb 67 (1983), S. 45-59, hier S. 58. 70 Felix Draeseke: LE, S. 22.

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Während die 1. und 2. Violinen lebhafte, aufsteigende Bewegungen musizieren, gestalten die Violen ein Tremolo auf einem Ton. Posaunen und Hörner bereiten auf der bekannten Gegenrhythmik und im pp mit ruhenden, synkopisierten Klängen >et homo factus est< (Takte 136/137) vor. Auch dieser neue Abschnitt wird mit einem Quartsext-Akkord auf >gis< eingeleitet: >gis cis e< von cis-Moll.

Beim nächsten Choreinsatz zeigt sich bei >et homo factus est< (Takt 138) ein Quartsext- Akkord auf g. Dieses Prinzip wird in Takt 141 weiter beibehalten:

F-Quartsext-Akkord. Im Takt 146 ist C-Dur notiert. Ein rhythmisch-markanter Gedanke wird durch die 1. und 2.Violinen vorgetragen, während die tiefen Streicher ein p-Tremolo ab Takt 147 im >crucifixus< musizieren. Ab dem Takt 148 wird zunächst vom Alt und Tenor, später vom Sopran und Alt eine Fuge in Halben und punktierten Halben gesungen. Die Streicher verwenden dagegen ihre anfänglich vorgestellte synkopisierte Form mit Achteln und Vierteln (Takt 153). >Crucifixus< steht bis zum Takt 152 in c-Moll. Ab Takt 153 wird f-Moll angesprochen. Sopran und Alt gestalten zusammen. Ab Takt 157 singt der gesamte Chor> etiam pro nobis< bis zum Takt 164, dort wird ein C-Dur erreicht. In den Takten 159-161 fällt auf, wie der Komponist die Sekunden im Gesamt-klang und deren Auflösung behandelt. Er arbeitet mit Quintsext-Akkorden, wobei er große und kleine Sekunden benutzt, die gleichzeitig als Vorhalte dienen. Dadurch ist die Wirkung des Satzes sehr dicht und pointiert.

Die Zeile >sub Pontio Pilato< erfolgt im abwärtsgerichteten, großen Septimen-einsatz oder in der verminderten Quinte. Diese Linien bilden einen Kontrast zur vorhergehenden C-Dur-Stelle, nämlich verhalten im ges-Moll-Bereich (Takte 167-169). Die Tonartenabfolge zeigt ab Takt 165 ein unsicheres Bild, denn auch im p wird die Figur des >Pontius Pilatus< musikalisch deutlich gezeichnet.

Ab Takt 171 beginnt der Chorbass mit >passus<, gefolgt vom Alt mit einer doppelt verminderten None, der Sopran mit einer zweifach verminderten Quinte. Der Tenor geht mit einer kleinen Dezime ein. Von Takt 179-182 trillert die Pauke auf A, vier Takte weiter auf Ais. Das letzte >passus< wird allgemein vom Chor formuliert, bevor noch einmal vom Sopran und Alt >sub Pontio Pilato< angestimmt wird. Tenor, Bass und Alt bringen die Aussage >et sepultus est< in den tiefen Chorlagen; dabei werden sie von drei Posaunenstimmen ab Takt 195-198 unterstützt. Der Gedanke endet im gesamten Orchester im Ton A, die Hörner verstärken den Ton; in Takt 200 steht ein pp. Eine Generalpause schließt sich in Takt 201 an. Die Spannung wird durch die folgenden drei Übergangstakte mit sfz F-Dur, A-Dur, f-Moll und As-Dur in den Streichern durch Tremolo und Taktwechsel erweitert.

>Et resurrexit tertia die secundum scripturas< wird im >piu vivo< und ff einge-richtet. Die Sicherheit, die aus dem Text spricht, klingt auch in der Musik:

G-Dur, G 7, C7, in Form einer Doppelfuge: Tenor und 1. Bass, sowie Alt und 2. Bass stehen mit dem Chorsopran und Alt in musikalischer Korrespondenz. Trompeten, Hörner, die Pauke, das übrige Orchester begleiten den Choreinsatz

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mit, bis auf die Violen und die Violoncelli. Diese bieten zügige Achtelbewe-gungen als Kontrapunkt zum fugenartigen Geflecht. In Takt 212 wird g-Moll erreicht, in Takt 213 wieder ein Quartsext- Akkord auf A, um anschließend in g-Moll in einem Sextakkord fortzufahren. Ab Takt 210 treten die 1. und 2. Posaunen dazu und unterstreichen besonders die aufsteigende Stelle >in coelum< (Takt 217), wie im gesamten Chor und Orchester: g-Moll, D7-Konstellation, D6, Cis- Dur, Gis-Dur nach B-Dur mit dem Spitzenton B im Chorsopran und tiefem F im Bass. Hier wird wieder ein B- Quartsext-Akkord an einer auffallenden Stelle geschrieben: >et ascendit< (Takt 221), im wörtlichen Sinne >aufsteigend zum Himmel<. Die nächste Passage im Credo >sedet ad dexteram< stellt eine Unisonostelle dar. Mit Bestimmtheit wird sie ab Takt 224-226 vorgetragen. Es ist ein besonderer Punkt in der Messe erreicht: Das >Unisono< erscheint zum ersten Mal. In nur acht Takten werden D-Dur, c-Moll, As- Dur, B- Dur, Es-Dur, As-Dur abgehandelt. Ein >molto piu vivo< leitet das >et iterum venturus est< wieder mit einem Kopfthema ein. Dieses Mal sind die hohen Männerstimmen geteilt und beginnen mit einem Quartsext-Akkord auf F. Sopran und Alt imitieren das Kopfthema. Am Ende dieser Zeile erklingt C-Dur (Takt 237). Das >cum gloria< setzt mit einem F auf F-Dur ein, und das Wort >gloria< kennzeichnet einen Des-Dur-Quartsext-Akkord, wieder eine herausragende Stelle im Credo. Die Bekräftigung erfährt das >cum gloria< mit einem C-Dur in Takt 241. Ab Takt 243 wird die 2. Unisono-Stelle vorbereitet: >Judicare<. Sie zitiert nur das >Cis<, während bei der 1. Unisono-Stelle zwei vollständige Dreiklänge gesetzt werden. Das Wort >vivos< zeigt durch den Chor und das Orchester einen strahlenden A-Dur-Dreiklang. Dieser wiederholt sich in Form eines fis-Moll-Akkordes im Takt 252. Auch das Tempo und die Tonart ändern sich. >Allegro con brio< ist angezeigt. In den Chortenorstimmen beginnt eine lebhafte Fuge, zunächst in den Violen und 2. Violinen, die vom übrigen Streichorchester kontrapunktisch begleitet werden. Violoncelli und Hörner treten ab Takt 262 hinzu, der Comes tritt in Takt 263 auf. Ein weiterer Dux-Einsatz erfolgt in Takt 268. Die dreistimmige Fuge wird bis zum Takt 274 konsequent durchgeführt. Ab Takt 275 entfällt der Tenor, der Bass intoniert das Thema auf der Subdominante und im Durchführungsteil. Nahtlos erfolgt durch die Takte 286-288 eine tonartliche Zäsur. H-Dur hebt die Stelle >non erit finis< hervor. Die Außen- und die Innenstimmen konzertieren miteinander. Im Takt 299 wird E-Dur als Sextakkord bei der 3. Wiederholung des Wortes >non< erreicht. Ein kurzer, absteigender Übergang ertönt in den Violen und tiefen Streicherbässen.

Un poco ritardando wird im Takt 303 aufgehoben, dort erscheint ein Alla breve und ff im gesamten Orchester auf einem H-Dur-Quartsext-Akkord. Die hervorgehobene Bläsergruppe kündet >et spiritum sanctum dominum< an. Ab Takt 308 beginnt der Chorbass mit einem vier- bis fünfstimmigen Satz, der sich eng an die sprachlichen Mittel lehnt. Homophonie im Chorsatz und eine schein-

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bare Polyphonie im Orchester machen das Prinzip des Gegensatzes, der gegenläufigen Dreiklangsbewegung, deutlich.

Die Zeile >et vivicantem< (Takt 318) wird zunächst von den Männerstimmen, dann von den Frauenstimmen in A-Dur aufgenommen. Mit Cis-Dur und D-Dur schafft der Komponist einen Übergang zum >qui ex patre filioque procedit<.71

Ab Takt 326 setzt die Pauke mit einem Triller auf F ein, und ein mächtiger F-Dur-Dreiklang zieht sich durch das gesamte Orchester, anschließend folgt eine Fermate. Die beiden letzten Takte dieser Linie werden im ritenuto musiziert, um im folgenden Abschnitt >qui cum patre et filio simul adoratur et glorificatur< vom Solochor eine Fuge darzustellen. Diese bewegt sich in B-Dur, F-Dur, B- Dur, F-Dur, am Ende dieser Linie (Takt 352) wird C-Dur im pp-Raum angestrebt. Die folgenden vier Takte enden mit der Zeile >qui locutus est per prophetas< in A-Dur. Draeseke lässt ein weiteres Fugato trugschlussartig in B-Dur enden: >et unam sanctam catholicam<.72 Beim Confiteor bevorzugt Draeseke wieder den B-Raum, der sich vorüberge-hend nach F-Dur wendet, bis zum Takt 423 erreicht er, durch mehrere alternierende Tonarten gleitend, Fis-Dur. Ab Takt 425-463 wird eine Fuge mit den Worten >Et vitam venturi saeculi< in H-Dur angeschlossen, die sich terrassenmäßig in den einzelnen Stimmen als Kanon aufbaut und zum Schluss eine vollständige Achtstimmigkeit vorweist.73 Diese wird ab Takt 463-478 besonders unterstrichen, in Takt 463-466 wird das Wort >saeculi< mit einem Sextakkord in C-Dur dargestellt, während die übrigen Takte mit dem Wort >Amen< von G-Dur nach H-Dur musikalisch gesehen einen großzügigen Bogen schlagen. Somit ist die Ausgangstonart des ersten Credos wieder erreicht worden. »Das Ganze strebt so unwiderstehlich und unendlich empor, dass es den Eindruck erweckt, als wüchsen Himmel und Erde zusammen«.74

71 Ebd., Credo, T. 321-328. Nachfolgend die Tonarten, die Felix Draeseke verwendet: B-Dur, Es-Dur und F-Dur. 72 Diese lange Passage von 42 Takten hebt Draesekes geistige Haltung hervor, indem er den Glauben an eine allgemeine und apostolische Kirche mehrmals betont. Ebd., Credo: T. 352- 394. Anstelle von D-Dur wird ein B-Dur in der Kadenz (ohne die Quinte F) vorgestellt. »Aus- gerechnet Draeseke als Protestant unterstrich den Glauben an eine allgemeine und aposto- lische Kirche«. Reinhold Dusella: Felix Draesekes Große Messe in fis-Moll, op. 60 für Soli, Chor und Orchester. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geist- liche Musik. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 196. 73 Roeder erwähnt, dass der Komponist ein Thema aus den Klavierfugen (op. 15) für die Fuge (ab Takt 424) verwendet habe. In: Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 256. Der Vergleich der Themen aus op. 15 hat ergeben, dass Draeseke ab Takt 424 ein eigenständiges Thema über dem Orgelpunkt >Fis< entwickelt hat. 74 Ebd., S. 256.

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4.2.4 Sanctus (fis-Moll-Messe, op. 60) Das Sanctus, im Andante maestoso und Alla breve gehalten, erscheint in fis-Moll. Die beiden ersten >Sanctus-Worte< werden von der Pauke mit einem Wirbel untermalt. Aufstrebende Sexten folgen in einem tempo risoluto und führen zu einem A-Dur bei den Worten >pleni sunt coeli<.75 In Takt 19/20 wird >gloria< in B-Dur zum Klingen gebracht. Sequenzartig werden die sich anschließenden >pleni-Einsätze< in Es-Dur musiziert.76 Eine exponierte Stellung erfährt der letzte >Gloria-Einsatz< in Takt 29. Mit seiner Wendung nach D-Dur lässt er Erinnerungen an >cum gloria< im Credo wach werden.77 Dieser Teil endet in einem Cis-Quintklang. Die folgende Osanna-Fuge steht in Fis-Dur und weist einen ¾ -Takt in einem >Allegro con brio< auf.

NB fis 17: Osanna-Thema78

Die erste Durchführung erfolgt regelmäßig, die zweite steht in ihrer Engführung in G-Dur, die dritte erweiterte Form gelangt wieder zur Ausgangstonart Fis-Dur.79

Benedictus (fis-Moll-Messe, op. 60) Das Benedictus wird in der Hauptsache von einem Solosopran, neben kleinem Chor und Orchester gestaltet. A-Dur steht als Tonart bereit; das Tempo ist ruhig und wird als Andante tranquillo bezeichnet. Der Solosopran entwickelt einen musikalischen Gedanken, während der Chor rezitationsähnliche Kommentare bereithält. »In schwebendem Rhythmus und altertümlicher Weise grüßt leise der sie ergänzende vierstimmige Begleitchor«.80 Der Solochor (STB) korrespon-diert ab Takt 137-144.

75 Messe fis-Moll, op. 60, Sanctus, T. 17/18. 76 Ebd., Sanctus, T. 22/26. 77 Ebd., Credo, T. 237-241. Dort stehen Wendungen nach Des-Dur. 78 Ebd., NB fis 17: Sanctus/Osanna/ Sopran, T. 35-41. Vgl. Kap. 5, S. 101. 79 Ebd., Sanctus,T. 83-124. 80 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 257. Diese musikalischen Kommentare erinnern an die Rolle des Chors im alten Griechenland, der Meinungen der Hauptperson/en psychologisch kommen- tierte, bekräftigte oder verwarf. Das 19. Jh. hat sich unter anderem dafür stark gemacht, die altklassische Sichtweise wieder aufleben zu lassen.

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Die kurze motivische Rolle wird hin- und herbewegt, als Aufforderung für die Entwicklung eines neuen musikalischen Gedankens. Dieser wird vom Solo-sopran vorgestellt, und der übrige Chor greift immer selbstständiger werdend ein. Auffällig ist das erreichte F-Dur in Takt 164 mit den Worten >qui venit in nomine Domini<. Der Solosopran zielt in wenigen Takten später auf das hohe A hin, während die Bassführung den Ton B anstrebt.81 Ab dem Takt 178 tritt noch einmal die Begrüßungsformel direkt in einem A-Dur-Klang in den Vordergrund. Die Bassstimmen sind geteilt, der Solosopran rezitiert die Formel auf der Quinte, und das Wort >Domini< wird durch das hohe A und der darauf folgenden tieferen Oktave gesondert herausgestellt.82

4.2.5 Agnus Dei (fis-Moll-Messe, op. 60) Das Agnus Dei wird im Andante (4/4- Takt) in fis-Moll von Violen und Violoncelli eingeführt. Sein Thema ist abwärtsgerichtet angelegt. Den ersten >Agnus-Anruf< (Takt 17) gestaltet Draeseke durch eine übermäßige Quarte mit Hilfe des Leittons >eis<. Durch dieses Intervall wird eine große Anspannung erreicht. Die folgenden geteilten Sopranstimmen umspielen den 11/2-Schritt aus der harmonischen Leiter bei den Worten >qui tollis peccata mundi<. In Takt 27 zeigt der zweite >Agnus-Einsatz< eine sequenzartige Wiederholung des ersten übermäßigen Quartmotivs. Bei der Zeile >miserere nobis< entwickelt der Komponist einen Quintkanon, der vom 2. und 1. Solosopran, später von Solo-tenor und Solobass getragen wird (ab Takt 40). Das >miserere nobis< des Solochors in A-Dur (Takt 57-60) wird durch die Verstärkung der Bitte des großen Chors (Takt 61-64) bis B-Dur geleitet. Im weiteren d-Moll-Teil (ab Takt 65) vertieft der Schreiber die Bitte >miserere nobis<, indem er im Solosopran ein >es< notiert.83 Beim Tutti-Einsatz in Takt 75 wird der >Agnus-Ruf< unisono von kleinen Terzen dargestellt und in der Folge mit fallender kleiner Sexte im Sopran und Tenor. Die tiefen Streicher und das Fagott ziehen sich, nach unten bewegend, vom d-Moll-Bereich zurück.

Ab Takt 88 beginnt das >Dona nobis pacem< in einem piu mosso, das sich in drei Bitten von D-Dur nach a-Moll in einem Quartett darstellt. Die Anrufung >Agnus Dei, miserere<, versetzt von Sopran, Alt und Bass in einem pp musi-ziert, bereitet den folgenden Tutti-Einsatz in A-Dur vor. Dieser erinnert an den >Agnus-Einsatz<. Soli und Tutti wechseln in den weiteren Abschnitten ab. Der letzte Teil84 endet auf dem Trugschluss in dis-Moll.85 Die Erhöhung der Bitte >dona nobis pacem< festigt sich vorwiegend durch die Tonart Fis-Dur und

In Draesekes Benedictus treten Rezitationen wie im alten griechischen Theater auf. 81 Ebd., Benedictus, T. 172/173 und 175/177. 82 Ebd., Benedictus, T. 178-187. 83 Der Ton >Es< wird hier als Vorhalt aufgefasst. 84 Messe in fis-Moll, op. 60, Agnus Dei, T. 142-146. 85 Ursprünglich wird Fis-Dur erwartet.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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dis-Moll, durch den Wechsel von Solisten und großem Chor, ebenso durch Rezitationen, d.h. durch Chöre, die Note gegen Note geschrieben sind. Das Tempo tranquillamente im 4/4-Takt zeigt im dynamischen Bereich einen Bogen von pp bis f (Takte 147-168). Ab Takt 169-173 findet ein Unterstreichen der Bitte durch sfp statt. Verstärkt wird diese vorherige Bitte durch mf bis f, um das letzte Wort >pacem< in einem leichten crescendo im p ausklingen zu lassen. In Takt 163 setzt über die Mollsubdominante das >Dona< mit einem Septakkord ein, der bis zu einem D 7 von Fis-Dur weist (Takt 173). Mit der leise trillernden Pauke unterstützt das gesamte Orchester diese Friedensbitten.

»Das allein schon bewunderten seine Zeitgenossen [Passacaglia, Doppelfuge] die jungen wie die alten, d’Albert wie Robert Franz, der an seinem 70. Geburtstag (1885) schrieb, die Beherrschung dieses Werkes müsse die Pflicht eines jeden deutschen Chorvereins sein«.86

4.3 Große Messe a-Moll, op. 85 Die Große Messe a-Moll ist in kurzer Zeit als a-cappella-Messe niederge-schrieben worden. Am 12.12.1909 sind der Kyrie - und Gloriasatz fertiggestellt, Benedictus und Sanctus folgen am 19.01.1910. »Während sich draußen in der Welt der Verismus bei der Elektra noch einmal in aller Grausamkeit austobt, besteigt Draeseke mit ihr in der Stille die höchste Höhe seiner Kunst«.87 Er bietet durch seine Musik ein Gegenstück zur literarischen Strömung an, die das Wahre an der Natur und den sozialen Verhältnissen zu messen versuchte.88

4.3.1 Kyrie (a-Moll-Messe, op. 85) Der Kyrie-Satz ist im 2/2-Takt in a-Moll verfasst und mit der deutschen Tempobezeichnung sehr mäßig versehen. Der Komponist entwickelt eine Doppelfuge, die vom Tenor eingeleitet wird. Das Thema wird zunächst nach unten zeigend konzipiert. Wenn es um die Bitten geht, wird eine Aufwärts-bewegung angestimmt.

86 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 70. 87 Ebd., S. 434. 88 Der Verismus entstand in Italien, er wurde vom Naturalismus in Frankreich beeinflusst. Er hinterfragte besonders die sozialen Probleme und war somit hoch politisch. In: Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 19. Wiesbaden 1974, S. 509.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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NB a 20: Kyrie-Thema89

In Takt 11 setzt der Alt auf dem Ton G mit dem Thema ein. Hier erwartet man eine tonartliche Wendung in die Dur-Gegenparallele, nach C-Dur. Doch Draeseke gelangt über den C-Raum in die Dominante E-Dur.90 Ab Takt 14 spielt der Tenor eine exponierte Rolle, denn im Gegensatz zu den übrigen tiefen Stimmen lebt er bei der zweitletzten Silbe von >eleison< und >Kyrie< hohe Töne aus. Beim zweiten Anruf >Christe eleison< ist einmal eine Zäsur durch Taktwechsel, zum zweiten durch Tonartenwechsel von F-Dur, d-Moll, später E-Dur und B-Dur gegeben.91 Draeseke verwendet hier im dichten musikalischen Raum hochromantische Klänge, die in A-Dur ihre Tonrückungen beenden. »Es gelang seiner ungebrochenen Urkraft, die lebenglühende Ausdrucksmusik der Neudeutschen in unerhörter Selbstbezwingung zu beherrschter Objektivität zurückzuführen und ins Gleichgewicht zu bringen mit den überpersönlichen und überzeitlich gültigen Werten und Gestaltungskräften reiner Musikarchitektur«.92

4.3.2 Gloria (a-Moll-Messe, op. 85) Das Gloria erscheint in D-Dur und mit lebhaften Gegensätzen. Draeseke schreibt ein feurig vor. Der Sopran stellt ein leichtes, tänzerisches Thema dar, das von den übrigen Stimmen in einem Fugato aufgenommen wird.

NB a 21: Gloria-Thema93

89 NB a 20: Kyrie/Tenor, T. 1-4. 90 Große Messe a-Moll, op. 85, Kyrie, T. 13/14. 91 Ebd., Kyrie, T. 48-78. 92 Hermann Stephani über Felix Draeseke: Art. zum 20. Todestag 1933. In: Udo-R. Follert: Vorwort zur Neuausgabe der Großen Messe a-Moll von Felix Draeseke. Edition Kunzelmann, GM 1114, Adliswil/ZH 1984, S. 1. 93 NB a 21: Gloria/Sopran, T. 1-4.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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Eine ruhige Gegensatzarbeit folgt mit Modulationen. Der nächste Abschnitt mit >laudamus te, benedicamus te, adoramus te< wird durch den dichten C-Raum markiert und bleibt auf einem Quartsext-Akkord von B-Dur für kurze Zeit stehen. Ein weiterer Quartsext-Akkord von g-Moll sorgt für den Übergang wieder nach D-Dur, der ein >gratias-Thema< in anfänglich ruhigen Notenwerten und fallenden Sexten vorstellt. Der Himmelskönig >rex coelestis< wird durch die Durtonart hervorgehoben. Eine besondere Stelle tritt bei dem Wort >omni-potens< auf: Fis Gis H E. Dieser erreichte Akkord mit unterlegter Sekunde als Mischklang hat Vorhaltscharakter. Die Anbetung des >omnipotens< erfährt ihre Fortsetzung im fugenartigen A-Dur. Wenn das Agnus angesprochen wird, wechselt der Komponist gleich die Tonart ges-Moll und auch die Dynamik. Ist dort noch vom selbstbewussten >Domine Deus< (entschieden, mit Kraft)-, so ist hier vom Agnus -(zurückhaltend, etwas langsamer) die Rede. Im nachfolgenden >miserere< gestaltet Draeseke eine mehrfache Engführung in wenigen Takten.94 Das >qui tollis peccata mundi< zeigt auch in der Musik eine nach unten drückende Melodie. Eine weitere Bitte an das Lamm95 >suscipe deprecationem nostram< wird kanonartig unterstrichen und endet in einem Unisono-Klang. Das vierstimmige Fugato klingt mit der nochmaligen Bitte >miserere nobis< aus.96 Frisch und lebhaft schließt Draeseke das >Quoniam tu solus sanctus< in G-Dur an. Er entwickelt ein Fugato und setzt es in Tonart, Dynamik und in der Form zum Vorhergehenden deutlich ab.96 Nach der Tonart Es-Dur schreibt Draeseke ein D-Dur für die Worte >Jesu Christe< vor. Er zeichnet auch hier eine exponierte Stellung des Höchsten, indem er nicht nur den Tonartenwechsel in einer sprachlichen Aussage be-wusst einsetzt, sondern das hohe A im Sopran erklingen lässt.97 »Im Gloria meidet der Meister die alte Fugenfessel und folgt in beweglichem Gegen-satzwechsel einem planvollen Modulationsschema«.98 Das trifft besonders auf die Konzeption des Glorias in Bezug auf Sinneinheiten zu. Die Schlussfuge über >Cum sancto spiritu in gloria< wird in ihrem ursprünglichen Thema modifiziert musiziert: D-Dur, 4/4-Takt und mit der Bezeichnung ziemlich belebt. Die Bekräftigung der Aussage durch das >Amen< erfolgt in nur fünf Takten, Note gegen Note.

94 Große Messe a-Moll, op. 85, Gloria, Tenor beginnt, T. 138-150. 95 Ebd., Gloria, Tenor beginnt, T. 166-177. 96 Ebd., Gloria, Sopran, Alt, Bass, Tenor, T. 182-208. 97 Vgl. fis-Moll Messe, op. 60, Gloria, T. 241f. 98 Felix Draeseke, Große Messe op. 85, a-Moll. Hrsg. von Udo-R. Follert. Leichlingen 1983. GM 1114, Ed. Kunzelmann, Lottstetten 1984. Vorwort, S. 1.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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4.3.3 Credo (a-Moll-Messe, op. 85) Das Credo mit seinen 325 Takten ist ein breit angelegter Teil des Werkes, den der Komponist in B-Dur abgefasst hat. Alle drei Einheiten beginnen mit dem gleichen Motiv: F B C G. Die Entfaltung von Melodienteilen -hier nach C-Dur- drücken eine inhaltliche Zuversicht aus, besonders bei den Worten >Jesum Christum filium<.99 Danach entwirft Draeseke bei >Qui propter nos homines et propter nostram salutem< durch ein Fugato in Des-Dur eine kühne Kontrapunktik.100 Zur Vorbereitung der Passion verwendet der Schreiber abstei-gende Melodienverläufe und Tonartenwechsel von Des-Dur nach Ces-Dur bei der Stelle >descendit de coelis<,101 weiter aufsteigend punktierte Oktavie-rungen, die das Wort >crucifixus< für sich wirken lassen.

Die pp-- Passage >et sepultus est< endet in einem Quintklang von e. Die an-schließende inhaltliche Zuversicht >Et resurrexit< wird in der Musik durch Quartsprünge und A-Dur in einem Fugato ausgedrückt. Bis zum nächsten >Credoruf< wird eine hohe Kontrapunktik entwickelt. Beim dritten Fugatoein-satz >qui ex patre filioque procedit< erscheint ein Taktwechsel zum 3/2-Takt nach G-Dur. Auch den nächsten Abschnitt kennzeichnet wiederum ein Takt-wechsel zum 5/2-Takt und ein Tonartenwechsel nach F-Dur, C-Dur: >unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam<.102 Die Schlussfuge beginnt in b-Moll, während der letzte Teil den B-Dur-Bereich bevorzugt und hier interpre-tatorisch tätig ist, indem die Auferstehung der Toten in Moll und die Zuversicht an den Glauben in Dur dargestellt wird.

4.3.4 Sanctus (a-Moll-Messe, op. 85) Diese respektvolle Haltung klingt im anschließenden >Sanctus< nach, denn der Komponist wählt A-Dur als Tonart, einen 2/2-Takt im mäßigen, ruhigen Tempo. »Abglanz des Göttlichen liegt in diesem Satz, den Draeseke für weni-ger bedeutend hielt, da er ihm einfach in die Feder floss«.103 Die Takte 11-14 erinnern mit einem gewagten Tonartenwechsel an die Takte >Et Lux< im Agnus Dei des h-Moll-Requiems. In diesem Werk steht ein fis-Moll-Akkord einem B-Dur-Sextakkord bei den Worten >Sabaoth, Sabaoth< gegenüber, während in 99 Große Messe a-Moll, op. 85, Credo, T. 46-54. 100 Ebd., Credo, T. 77-219. 101 Ebd., Credo, T. 95. 102 Ebd., Credo, T. 238-244. 103 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 437.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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jenem Werk as-Moll, dann As-Dur und danach ein Gis-Dur als enharmonische Verwechslung bei >Et lux< erscheint. Beide Stellen zeigen verwandtschaftliche Stilkriterien. Die >Pleni-sunt-coeli-Stelle< erfasst vier Oktaven und zeichnet die Weite des Himmels. Eine Osanna-Fuge schließt sich an. Sie steht in D-Dur und im ¾-Takt. Ihren freudigen Charakter erhält sie durch einen Teil-cantus-firmus, den Draeseke bereits im 4/4-Takt verarbeitet hat.104

NB a 22/ c. f.: Die Schwestern

NB a 23: Sanctus105

Der letzte Aufruf >Osanna< lässt die einfachen Harmonien vom Anfang noch einmal auftreten. Dieses Mal ist die Wiederholung musikalisches Stilmittel.106

104 Draeseke schrieb 1906 vier Lieder: op. 81, Vier Lieder nach Mörike für mittlere Stimme. 1. Die Schwestern. 2. Agnes. 3. Ritterliche Werbung. 4. Denk es, o Seele! (Hoffarth 30.01.1906). »In ihnen lenkt der 70jährige zur ersten Lyrik zurück. Damit erhält sein Lieder- herbst Züge seines Liederfrühlings.« In: Ebd., S. 414. Ein Teil des ersten Liedes findet sich als c. f. in der a-Moll-Messe wieder. Sanctus, T. 33-37. 105 NB a 22: Sanctus, T. 33-56. 106 NB a 23: Sanctus, T. 56-69.

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Benedictus (a-Moll-Messe) Der Benedictus-Satz enthält ein melodiöses F-Dur in einem einfachen, vierstimmigen Satz. Der Tenor ist als Stimme hervorgehoben und eröffnet die Begrüßung. Der zweite Teil >qui venit in nomine Domini< hält eine Zwei-stimmigkeit bereit, um in einer Engführung und deren Erweiterung seine Aus-sage der Hoffnung zu unterstreichen.107

4.3.5 Agnus Dei (a-Moll-Messe, op. 85) Das Agnus Dei lehnt sich in seinem a-Moll-Thema an das Kyrie an. Drei Mal steigert der Komponist das Agnus Dei mit hervorgehobenen Harmonien, um die Last der Sünden darzustellen. Die Bitte >Miserere nobis< fasst schließlich alle Intentionen zusammen.108 Im >Dona nobis pacem< stellt der Alt ein Fugenthema vor, das eng geführt wird und sich zu einer Tripelfuge entwickelt. Das erste Thema entsteht aus dem Grundton, der 2. Einsatz erfolgt unmittelbar mit einer Engführung, der dritte Einsatz ist die wörtliche Wiederholung von einem Teil eines Liedes.109

NB a 24: Dem Herrn sei Lob und Ehr

In Takt 95 tritt noch einmal der Aufschrei >Agnus Dei< auf, dieses Mal im Unisono. Es folgt die gemeinsame Durchführung des Themas. Den Schluss-punkt auf dem Wort >pacem< bildet ein strahlendes A-Dur.

107 Ebd., Benedictus, T. 13-49. 108 Agnus Dei: Der Quintraum E-Dur ist als vorläufiger Drehpunkt erreicht, T. 62. 109 NB a 24: Draeseke schrieb 1901 drei geistliche Gesänge: op. 75. Drei geistliche Gesänge für mittlere Stimme (Hoffarth 1901). 1. Im Winter (Schenkendorf). 2. Dem Herrn sei Lob und Ehr (auch für hohe Stimme). 3. Er hört dich (J. Sturm). Vom zweiten Lied bringt der Komponist Teile des c. f. in die a-Moll-Messe ein. In: Agnus Dei: Dona nobis pacem, Sopran, Bass, Tenor, Alt, Bass, T. 73-86. Die Drei Geistlichen Gesänge widmete Draeseke seinem Schwager Adolf Schollmeyer, der ihm beim Text des Oratoriums >Christus< geholfen hatte. In: Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 415.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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Nach der ersten Aufführung der A-cappella-Messe schreibt Draeseke: »Was ich selbst von den Konzertbesuchern zu hören bekam, war nur wohltuend und erfreulich, sodass ich wieder einmal recht schmerzlich empfinden musste, dass gerade die wertvollste Belohnung, die der Komponist erfahren kann, nämlich durch eine vollendete Wiederbelebung seiner tot vor ihm liegenden Partitur, meinen Ohren nun endgültig versagt sein sollte«.110

4.4 Requiem für 5 Gesangsstimmen a cappella, e-Moll, WoO 35 Nach knapp einem Jahr der Fertigstellung der a-Moll-Messe macht sich Draeseke wieder an eine Messenkomposition im A- cappella-Stil. Er entwirft ein Requiem e-Moll für Chor allein. Recht zügig arbeitet der Komponist an dem Werk, das er bis zum Recordare am 03./16.11. 1909 und bis zum Lacrimosa am 06.12. beendet hat.111 Das ganze Requiem ist am 06.01.1910 fertig gestellt.112 Draeseke verfasst dieses Werk für sich selber. Und er sollte Recht behalten. Am 30.10.1913 erklingt das Requiem zu seinem Gedenken in der Chemnitzer Lukas-Kirche unter Stolz.113

Requiem aeternam (e-Moll-Requiem) Der Introitus beginnt mit einem orgelpunktartigen Basston h, der den 1. Bass mit seinem aufstrebenden e-Moll-Thema stützt. Dieses Thema ist federführend für den sich anschließenden Kanon. Alle fünf Stimmen enden im Ton e.114

NB e 1: Introitus-Thema115

Der Ruf nach dem ewigen Licht >Et lux perpetua< zeigt sich im Gegensatz zum Kanon in einem fünfstimmigen Satz, Note gegen Note. Der >Te-decet-Hym- 110 Felix Draeseke: LE, S. 372. 111 »Die Handschrift nennt als weitere Abschlusstage für das Benedictus den 21./22., das Agnus den 28.11.«. In: Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 441. 112 Ebd., S. 442. Vgl. Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke. Chronik seines Lebens. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 3. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1989, S. 134/136. 113 Eine weitere 2. Aufführung erfuhr das e-Moll-Requiem am 20. Todestag (26.2.1933) in der Kreuzkirche in Dresden unter Mauersberger. In: Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 443. 114 Requiem für 5 Gesangsstimmen a cappella, e-Moll, WoO 35 (1909/1910), Introitus, T. 1-26. 115 NB e 1: Requiem: Introitus/Bass I, T. 2-4.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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nus< hebt eine einfache Linienführung in F-Dur hervor, die an Höhe gewinnt. Das bekannte Thema wird modifiziert und die Bitte des beginnenden Introitus wiederholt.116

4.4.1 Kyrie (e-Moll-Requiem, WoO 35) Direkt im Anschluss an den Introitus konzipiert der Komponist eine Doppelfuge, indem er den Tenor ein Thema, das nach oben strebt, p ausdrucksvoll formulieren lässt, das der Alt hervortretend übernimmt. Des Weiteren schreibt er einen >Christe-Ansatz< vor, der eine Doppelfuge auf herausragendem, dynamischem mf- Boden wiederholt ansteuert. Beide Richtungen vereinen sich in einer gesteigerten Kontrapunktik und klingen über ff, mf und bis zum p in der Ausgangstonart e-Moll aus.

4.4.2 Dies irae (e-Moll-Requiem, WoO 35) Das Dies irae, das Draeseke als letzte Komposition dieser Requiem-Vertonung geschrieben hat, ist auch die umfangreichste mit insgesamt 373 Takten. Der Beginn gestaltet sich in einem ¾-Takt in d-Moll, entsprechend der Stimmung des Jüngsten Gerichts. Das kündigt sich gleich in den beiden vorangestellten Basstönen in d an und wird in der Entwicklung der Bassmelodie weiter voran-getrieben.

NB e 4: Bass-Thema117

Der Komponist schreibt ein sehr bewegt und aufgeregt vor. Die Angst wird besonders hervorgehoben, indem Draeseke die Stelle >quando judex est

116 Ebd., Introitus, Takte 71-87. Hier entsteht durch den Introitus eine liturgisch-musikalische Umklammerung. 117 e 4: Dies irae/Bass I, T. 1-7

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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venturus, cuncta stricte discussurus< in einzelnen betonten Silben musizieren lässt.118

Im fallenden B-Dur-Dreiklang und im 2/2-Takt kündigt sich der Richter an. Ein breit angelegter kontrapunktischer Satz folgt.119 Bei der Stelle >quid sum miser< wird die Unsicherheit der Menschen in Bezug auf die Erwartung des strengen Richters in unterschiedlich folgenden p-Einsätzen der einzelnen Stimmen zaghaft deklariert. Eine musikalische Kommentierung der aufgetretenen Frage liegt in der Antwort >Rex tremendae majestatis<.120 Die Angst wird aber den Menschen bei der Zeile >qui salvandos gratis, salva me fons pietatis< ge-nommen.121 Draeseke verwendet einen Note-gegen-Note-Satz und streift Dur-Tonarten. Die Bitte wird ausdrucksvoll, vorwiegend im p-Raum, vorgebracht.

Recordare (e-Moll-Requiem, WoO 35) Das >Recordare Jesu pie< weist einen ¾-Takt und F-Dur auf. Es soll das Andenken an Jesus fördern, die Erwartung der Menschen inhaltlich-musikalisch in Verbindung bringen und eine Lösung anbieten. Draeseke schreibt zunächst einen zurückhaltenden Satz mit hoher Spannung. Er setzt mehrmals das Mittel der modifizierten Wiederholung ein, damit die Menschen das Andenken nicht vergessen: >Ne me perdas illa die<.122 Bei der Stelle >mihi quoque spem dedisti< wird eine große musikalische Zuversicht gezeigt: die Tonarten d-Moll, F-Dur und der dynamische Charakter gehen eine erleichternde Symbiose ein.123 Diese macht sich besonders bei >statuens in parte dextra<124 bemerkbar.

Confutatis (e-Moll-Requiem, WoO 35) Einen schwereren Charakter findet man bei >Confutatis maledictis< an kleinen Sekundschritten dargestellt.125 Die weitere Bitte >voca, voca me cum benedic-tis< erinnert an das >Tuba mirum< im Dies irae mit seinen B-Dur-Dreiklän-gen.126

Lacrimosa (e-Moll-Requiem, WoO 35) Das Lacrimosa nimmt B-Dur im Sopran als Dreiklang auf. Die Melodie steigt bei drei Einsätzen. Ein homogener und flüssiger Satz entsteht. Im >dona eis requiem< schließt sich der liturgische Kreis, denn das Wort >requiem< tritt wie-derholt verändert auf. Es bezieht sich in seinem geänderten Charakter auf den 118 Ebd., Dies irae: T. 26-37. 119 Ebd., Dies irae: T. 39-107. 120 Ebd., Dies irae: T. 123-127. Draeseke bündelt die Verzweiflung der Menschen in der Kommentierung durch den Chor. Das griechische Theater stand auch hier Pate. 121 Ebd., Dies irae: T. 132-147. 122 Ebd., Recordare: T. 160-166. 123 Ebd., Recordare: T. 241-251. 124 Ebd., Recordare: T. 281-293. 125 Ebd., Confutatis: T. 294-302. 126 Ebd., Confutatis: T. 303-318.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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Introitus.127 Durch das >Amen< folgt eine viermalige Bestätigung. Diese endet mit einem überraschenden D-Dur.

4.4.3 Offertorium (e-Moll-Requiem, WoO 35) Das Offertorium setzt sich im Requiem aus >Domine, quam olim Abrahae< und >Hostias< zusammen. Diese Bereiche erfassen die Vorbereitung auf das Abendmahl.

Domine (e-Moll-Requiem, WoO 35) Das Domine Jesu Christe steht in a-Moll und in einem 4/4-Takt. Der Bass II zeigt große Sprünge in seinem Stimmduktus, vorwiegend Sexten und Quinten. Die Tenorstimme hat ähnliche Strukturen. Die übrigen Chorstimmen musizieren mit den Worten >Domine Jesu Christe, rex gloriae, rex gloriae< einen drei-stimmigen Satz, Note gegen Note.128 Die nächste Bitte >Libera animas< wird durch die tiefen Männerstimmen eingeleitet. Der dynamische Ausdruck steigert sich bis in die zuletzt auftretenden Sopranstimmen zum mf. Der Schluss dieser Passage kündet von den Höllenstrafen. Der Komponist wechselt die Tonarten, indem er es-Moll, f-Moll und am Ende dieser Zeile in d-Moll vorübergehend einen Sextakkord einsetzt, der als Stilmittel des Übergangs bewertet werden kann. Draeseke lässt viele Modulationen in einem frei gestalteten Satz bei den Worten >Libera eas de ore leonis< folgen.129 Gegensätzlich in seinem Charakter ist das in D-Dur geschriebene >sed signifer sanctus Michael<. Seine Melodienführung ist gesanglich angelegt und kenn-zeichnet einen ruhigen Grundtenor.

Quam olim Abrahae (e-Moll-Requiem, WoO 35) Belebt und frisch notiert der Komponist bei >Quam olim Abrahae promisisti<. In C-Dur entwickelt er eine gewaltige, fünfstimmige Fuge, »die so bald niemand nachschreibt«.130

127 Ebd., Lacrimosa: T. 359-366. 128 Ebd., Domine: T. 1-9. Innerhalb des Chores wird von Sopran, Alt und Bass I eine Deklamation durchgeführt. 129 Ebd., Domine: T. 25-48. 130 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 445.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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NB e 20: Fugenthema: Quam olim Abrahae:131

Der Tenor stellt das Thema vor. Es folgen Alt, Bass I, Bass II und Sopran. Draeseke fordert im dynamischen Bereich von allen Stimmen f und mf und von Bass II ab Takt 117 ein ff bis f. Die unterschiedlichen dynamischen Mittel setzt er bewusst als Textinterpretation ein.

Hostias (e-Moll-Requiem, WoO 35) Merklich langsamer und in einem pp werden die ersten vier Takte mit den Worten >Hostias et preces< psalmodierend in F-Dur, E-Dur und H-Dur dar-gestellt. Diese Takte gelten als Vorbereitung für den ganzen Gedanken: >Hostias et preces tibi Domine laudis offerimus<.132 E-Dur rangiert als Haupt-tonart, und der dynamische Bereich befindet sich hier im p-Raum, um sich vom Vorherigen abzusetzen und damit eine musikalische Transparenz im Textver-ständnis zu sichern. Bei der weiteren Bitte >Fac eas Domine transire de morte ad vitam< erscheint zunächst die Tonika, später in der Satzerweiterung >de morte ad vitam< C-Dur. Diese Tonart lässt erneut das große Fugenthema >quam olim Abrahae promisisti et semini eius< auftauchen. Draeseke bringt das Thema in der Umkehrung. Eine Steigerung dieser Fugenentwicklung er-fährt in einer dreifachen Engführung ihren Höhepunkt. Dieser wird weiter von >et semini, semini eius< in einen einfachen fünfstimmigen Satz geführt und endet in einem vollen A-Dur-Dreiklang.

4.4.4 Sanctus (e-Moll-Requiem, WoO 35) Das Sanctus steht in G-Dur und wird im 2/2-Takt musiziert. Der Satz ist harmonisch aufgebaut. Draeseke schreibt ein feierlich vor. Das dreimalige Sanctus wirkt wie eine feststehende Größe. >Dominus Deus Sabaoth< endet in der Parallele h-Moll. Der Komponist wechselt bei >pleni sunt coeli< nach C-Dur

131 NB e 20: Domine: Tenor, T. 72-75. 132 Ebd., Hostias: T. 132-164.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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und E-Dur. Dreiklänge bestimmen das Bild, um die Weite des Himmels aufzuzeigen. Die Zeile >et terra gloria tua< mit ihren exponierten Tönen ist auch ein Zeugnis für eine Tonmalerei, die sich besonders im >Gloria< in der Sopranstimme zeigt.133

Osanna (e-Moll-Requiem, WoO 35) Die sich unmittelbar anschließende >Osanna-Fuge< steht in G-Dur und in einem tänzerischen ¾ -Takt.134

NB e 22: Osanna-Thema

Die Fuge schließt mit dem Ruf >Osanna, osanna in excelsis< in einem fünf-stimmigen Satz Note gegen Note. Beim zweiten >Osanna< wird eine Sechs-stimmigkeit erreicht und der Sopran in seiner Linie mit Oktave und Quinte verdoppelt. Draeseke schreibt ein >drängend< und ff für den Schluss vor.135

Benedictus (e-Moll-Requiem, WoO 35) Nach dem mächtigen Fugenschluss erscheint das Benedictus im 2/2-Takt und F-Dur. In seinem Charakter ist es weich und gesanglich. Seine Melodik verrät einen ruhigen Fluss. Auch die Dynamik bewegt sich in einem p-Raum, der von allen fünf Stimmen, gleichmäßig verteilt, ausgeführt wird. An wenigen Stellen fordert Draeseke sehr hervortretend, p ausdrucksvoll oder p zart, aber hervortretend. Erst in der Schlussphase wird ein dynamischer Bogen von mf f p bis zum pp vorgeschrieben.

133 Ebd., Sanctus: T. 35-38. 134 NB e 22, Sanctus: Osanna, T. 42-46. 135 Die Wiederholung des Osanna zwischen Benedictus und Agnus Dei hat Draeseke gestrichen.

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4. Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen

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4.4.5 Agnus Dei (e-Moll-Requiem, WoO 35) Die drei ersten Agnus-Einsätze erfolgen im mf in a-Moll im drei-, bzw. vier-stimmigen Satz. Der Tenor ruft das Agnus Dei mf bis f an, der Bass II dagegen setzt mit der Zeile >qui tollis peccata, peccata mundi< im f an, wie dann alle übrigen Stimmen ebenfalls. Der c-Moll-Bereich wird hier als Sünde der Menschen zum ersten Mal dargestellt. Die beiden weiteren Einsätze zeigen tonartliche Steigerungen. Der Komponist lässt zwei Mal den Anruf in D-Dur enden, ein drittes Mal in Ces-Dur mit nachfolgendem B-Klang in Bass I und Bass II.

Die weiteren Bitten durch das >Dona eis requiem< werden sprachlich wie musikalisch von >Agnus Dei, Agnus Dei, qui tollis peccata mundi< durchsetzt. Es folgt wieder eine dreimalige Bitte des >Dona eis requiem<. Diese gipfelt in dem pp-Wort >sempiternam<. Das Stilmittel einer Generalpause notiert der Komponist an dieser Stelle. Der Introitus wird durch >Et lux perpetua luceat eis< als fünfstimmiger Satz zitiert und weiterentwickelt. >Cum sanctis tuis in aeternum< folgt im 3/2-Takt und E-Dur.136

NB e 24: Agnus Dei

Draeseke formuliert ein >sehr weich und innig, langsamer<. Er lässt einzelne Stimmen im p erscheinen. Die Zeile >quia pius es< verarbeitet der Schreiber schon in den einzelnen Stimmen, sie wird zum Schluss im Rezitationsstil im pp als Zusammenfassung von allen Stimmen gezeigt. Die Requienteile werden von Draeseke durchkomponiert, sie gehen ineinander über. »Der Realist bringt die modernen Ausdrucksmittel zum Volleinsatz und scheut vor harmonischen und deklamatorischen Kühnheiten nicht zurück«.137

136 NB e 24: Agnus Dei/Sopran, T. 108-117. 137 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 442.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 98

5. Draesekes Vokalstil in seinen Messen und Requiem-Vertonungen -ein Vergleich- 5.1 Melodik: Allgemeine Kriterien Die Entwicklung der Vokalgeschichte zeigt sich in unterschiedlich angelegten Kompositionen. Sie spannt den Bogen von der einfachen Einstimmigkeit mit ruhigem Charakter bis hin zur kurvenreichen, weiten und lebhaften Kolorierung in der Mehrstimmigkeit, entweder gleitend oder springend dargestellt. Der Umfang der Töne, sowie rhythmische und dynamische Formen nehmen in der Musik zu. Variable kompositorische Möglichkeiten Felix Draesekes beziehen sich auf alle Musik-Parameter in der Vokalliteratur. Besonders das 19. Jahrhundert beschreibt zum einen einen weitausholend melo-diösen, linear-vokalen Kompositionsstil, in einer Art von sinfonischem Stil, zum anderen einen tonal begrenzten Raum (z. B. im Quart- und Quintraum), der auch Sprünge, kleine oder große, zulässt. »In der Instrumentalmusik führte das fast zu symphonischem concerto-grosso-Stil, im Chorwerk zur Befreiung der Singstimme von der Fessel des Orchesters, zur Eröffnung eines neuen Zeitalters der Gesangs-polyphonie, zu neuer A-cappella-Musik«.1 Der Begriff bezieht sich auf sinfonische Vokalkriterien neben anderen Vokalstilen dieser Zeit. In den melodischen Abläufen zeigen sich in ihrem speziellen Bewegungsfeld Unter-schiede in kontrastreichen Erscheinungsformen. Tonumfang, Ausweitung der Har-monik und Polyphonie, sowie das Wort-Ton-Verhältnis setzen bei Felix Draeseke neue Akzente. Die Energie weist in bestimmte Aufwärts- und Abwärtsrichtungen, angehalten durch Abschlüsse, die sich in kleineren oder größeren Umkreisungen einer Hauptfunktion finden. Dadurch können Bewegungen entstehen, die für das entsprechende Werk von Wichtigkeit sind. Es handelt sich um melodische Wellenbewegungen, die als tragendes Element der Komposition Geltung verschaffen, ob mit Annäherung an die Melodienentwicklung zur Verlängerung oder zur Verkürzung. Die Struktur der Harmonik, des Rhythmus und die Färbung der menschlichen Stimmen sowie des Orchesters folgen den genannten vorwiegend linearen musikalischen Gedanken-gängen. Der Anfang einer Melodie, die Bewegungsabsicht, ist richtungsweisend und somit zielorientiert angelegt. Daraus resultiert eine musikalische Zeichnung, die auf die folgende Weise arbeitet: die verschiedenen Linien erscheinen auf- und absteigend und sind mit einer inneren Dynamik verbunden. Der Impetus, der meist von der obersten Stimme ausgeht, kennt somit einen zukunftsweisenden Faktor, der die Richtungstendenz im Keim bei sich führt. Melodieführungen, die trug-schluss- oder plagalartig enden, gibt es selten beim Komponisten. Draeseke verwendet vorwiegend klare musikalische Linienführungen und Schlüsse.

1 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 6.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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In seinen Kompositionen steht der Schreiber in der Tradition der Wiener Klassik und des Übergangs zur Frühromantik. »Draeseke war im innersten Wesen zu sehr mit den Kunstanschauungen der vergangenen klassischen Musikepoche verwach-sen, als dass er auf deren Tradition hätte verzichten können«.2 Die kirchenmusikalischen Werke entstehen bei Draeseke spät. «Des Meisters kompositorisches Schaffen umfasst alle Gattungen der Musik, und in allen schuf er mindestens ein Werk von überragender Bedeutung».3 Viele vokalstilistische Elemente, die er in seiner Kirchenmusik eingesetzt hat, sind in seinem übrigen Werk breit gefächert zu finden. In der Zeit um 1860/65 und besonders nach 1861 (Tonkünstlerfest) werden Draesekes Werke zunehmend klarer und ausdrucks-stärker in der musikalischen Diktion, da sie sich mit der Melodienbildung bewusster auseinander setzt. Hinweise dazu bekommt der Komponist schon früh von Franz Liszt, der unter anderem sehr großes Interesse an Draesekes Sigurd-Oper bekundete. »Bei Liszt und seinen versammelten Anhängern hinterließen die Proben aus dem Werk großen Eindruck und erweckten weiteres Interesse«.4 Die Bewusstmachungsprozesse fallen bei Draeseke auf fruchtbaren Boden. Bestimmte Töne und Stufen werden für die Verläufe der Melodiebildungen führend eingesetzt. Diese Bestimmung ist bis zum melodischen Abschluss nachzuvoll-ziehen, sie hat einen fordernden Charakter, der unabdingbar sein Ziel verfolgt. Die fast fragmentarisch wirkenden kleinen Einteilungen der Melodienführung in Draesekes ersten Kompositionen verzeichnen oftmals eine Silbe auf zwei vorge-sehenen Tönen, die wiederum in kleinen Schritten fortschreiten oder sich in Sprüngen darstellen. Bei solch einer Sprachverteilungs- und Silbenumschichtung werden die anstehenden Töne in ihrem Ablauf herausgehoben. Daher lebt die Melodik auch aus dem genannten Potential, der Betonung und der Nichtbetonung, sowie den verschiedenen Schwerpunkten.

2 Erich Roeder: Felix Draeseke als Programmusiker. Diss. Heidelberg 1927, S.42. 3 Udo-R. Follert: Vorwort zur Neuausgabe der Großen Messe a-Moll, op. 85 von F. Draeseke, 1983. »Die geistliche Musik nimmt mit Motetten, zwei Messen, zwei Requien, Kantaten, Psalmen und dem Mysterium neben Oper und Symphonie den breitesten Raum ein«. 4 Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke. Chronik seines Lebens. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 3. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1989, S. 32. Franz Liszt gab Verbesserungsvorschläge, »wenn er (Liszt) gegen unsinnig verlängerte Aufzüge oder auch übermäßig ausgedehnte Chorgesänge Protest erhob«. Ebd., S. 34f.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 100

Drei typische Betonungsbeispiele zeigen, wie Draeseke mit der Silbenverteilung arbeitet. Im NB h 43 wird am Anfang besonders die zweite Sprachsilbe mit >requiem aeternam<hervorgehoben. Erst zum Schluss der Phrase wird das rhyth-mische und sprachliche Gleichgewicht mit >Domine< angestrebt. Im NB e 25 geschieht ebenfalls eine Betonungsverschiebung mit >luceat<. »Über den festen Bass ist das Stimmengewebe mit Absicht ziemlich frei entworfen worden, da die sich stets wiederholende Unterstimme alles so fest zusammenhält, dass auch die größte Mannichfaltigkeit in den Oberstimmen dieses Einheitsgefühl nicht erschüt- tern kann, wohl aber geeignet sein wird, die Gefahr einer Monotonie, die sich leicht einstellen könnte, fern zu halten«.5 Auch im dritten Beispiel NB fis 17 wird der Betonungscharakter der zweiten und dritten Sprachsilbe bevorzugt eingesetzt. Dadurch entsteht ein besonderer musi-kalischer Effekt. NB h 43: Kyrie6

5 Felix Draeseke: Der gebundene Styl. Lehrbuch für Kontrapunkt und Fuge. Bd. 1. Hannover. London 1902, S. 111. 6 NB h 43: Kyrie/Sopran, T. 11-26.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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NB e 25: lntroitus7

NB fis 17: Sanctus8

Ähnliche Betonungsstrukturen, wie sprachliche Unbetontheit auf musikalischer Betontheit in Sekunden oder in Sprüngen, treten bei Draeseke im frühen Requiem, op. 22 wie im Requiem von 1909, WoO 35 und in den beiden übrigen Messen-kompositionen häufig auf. Zu dem bestimmenden, antreibenden Melodienelement kommt noch die Melodienidee hinzu. Diese bildet den Grundstock für die Gesamt-komposition und ist tragendes Element für alle anderen Bewegungen innerhalb des musikalischen Kontextes. Von den kleinsten musikalischen Motiven bis zu den größten Linienführungen besteht ein innerer Zusammenhang, und eine spannungs-reiche Abfolge wird in ihrer Entwicklung dargelegt. Das Prinzip des Intensitätswechsels fordert sein Fortschreiten, indem die Ent-wicklung ständig in Bewegung ist. Die Aufwärtsrichtung wird als Anspannung und die Abwärtsrichtung als Entspannung im Sinne einer Lösung eingebracht. Das Steigerungsprinzip der verschiedenen Richtungsabläufe korrespondiert daher mit den übrigen Parametern, abhängig von den jeweiligen Satz-Konstruktionen, von Homophonie und Polyphonie als Formenabläufe. Nicht jeder abwärts gerichtete Melodienzug innerhalb einer Komposition bietet auch gleich eine Lösung an, aber jeder Schluss eines Satzes deklariert- selbst wenn ein Trugschluss oder ein Quint- 7 NB e 25: Introitus/ Sopran, T. 26-33. Kap. 5, S. 122. 8 NB fis 17: Sanctus/ Sopran, T. 35-41. Kap. 4, S. 83.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 102

klang erscheint- eine musikalische Geschlossenheit. Die Hinführungen ergeben die vielen aufwärtssteigenden Linien, auf deren Fortschreitungen großer Beurtei-lungswert gelegt wird. Die melodisch abwärts gerichteten Züge sind in den meisten Fällen durch Kürze ausgezeichnet. Doch sie sind für die Entwicklung wiederum sehr wichtig, denn sie verzeichnen eine vorbereitende Wirkung zu einem weiteren musikalischen Neubeginn. Die Bewegungsphasen zeigen Anspannung und Entspannung im Verlauf der melodischen Entwicklung, und sie stellen eine Gesamtsteigerung dar. Der Begriff der >Bewegung< weise auf die Antike und Kir-chenväter.9 In diesen vier Messen Draesekes gibt es musikalische Stellen im Notentext, die in ihrem Charakter melodische Verzögerungen enthalten, sodass die Melodik in ihrer Ursprungsform variiert wird oder die beschriebene Form aufgibt. Im letzten Fall bedeutet Variation nicht, dass das Thema direkt wieder erkannt wird. Die entstan-denen Takte heben die vorausgegangene Kraft, die Spannung, auf, und dadurch entsteht eine neue Kraft von vorsichtiger Anspannung. Bei allen Prozessen ist das Prinzip der Steigerung zu erkennen. Es kann nur nachvollzogen werden, wenn ruhige, entspannende Phasen mit spannungsintensiven wechseln, also ein Metho-denwechsel, vorgenommen wird. NB e 13: Dies irae10

NB a 1: Gloria11

9 Hans Engel: Sinn und Wesen der Musik. In: Karbusicky, Vladimir (Hrsg.): Sinn und Bedeutung in der Musik. Texte zur Forschung. Bd. 56. Darmstadt 1990, S. 52. 10 NB e 13: Dies irae/Sopran, T. 17-35. Kap. 5, S. 125. 11 NB a 1: Gloria/Sopran, T. 18-27.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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NB a 2: Credo12

Draeseke unterscheidet im Requiem h-Moll, op. 22 und in der Großen Messe fis-Moll, op. 60 zwischen Solo und Chor. Vor allem treten solistische Stellen hervor, in denen diese Bitten vortragen. Der große Chor kommentiert und vertritt die allge-meine Stellung des Menschen. Der Solochor berichtet weiter, der große Chor übernimmt ebenfalls Bitten, aber mehr deren Verstärkung. Die großen Chor-kommentierungen erinnern an altes griechisches Theater. Es liegt nahe, dass der Komponist dieses im Auge hatte. In seiner weltlichen Opern-Musik hat Draeseke sich vielfach mit der Theaterwelt auseinandergesetzt und sich in seiner Schreib-weise auch an Richard Wagner orientiert. »Die Ästhetik, die Draesekes Lehrer Franz Brendel am Leipziger Konservatorium und in der Neuen Zeitschrift predigte, war zum großen Teil weltlich und beruhte auf der Komposition von Orchester-werken oder Opern«.13 Die Kolorierungen sind vielschichtig. »Religiöse Anregungen aus dem Familienkreise auf der einen, Coburger Operneindrücke auf der anderen Seite wurden starke Hebel seiner inneren Entwicklung«.14 NB fis 1: Gloria15

12 NB a 2: Credo/Alt, T. 134-138. 13 James A. Deaville: Felix Draeseke und die geistliche Musik der Neudeutschen Schule. Dargestellt am Beispiel von Peter Cornelius. Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 327. 14 Hermann Stephani: Art. Felix Draeseke. MGG, Bd. 3. Kassel. Basel. München 1989, Sp. 728. 15 NB fis 1: Gloria/Teil Soli, T. 91-94. Kap. 4, S. 74.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 104

Wenn Solo und großer Chor im Requiem h-Moll zusammentreffen, dann hat der Solochor häufig die größeren Bewegungen zu verzeichnen. »Und so gelang >dem gefürchtetsten Kontrapunktiker seiner Zeit< (Kretschmar) die Verschmelzung von psychologisierender Dramatik mit objektiver, in sich selbst ruhender polyphoner Musikstruktur«.16 Solistische Einschübe wie in der fis-Moll Messe op. 60 >Et incarnatus est de spiritu sancto ex Maria virgine<17 zeigen den kleinen solistischen Chor, der im strengen vierstimmigen Satz syllabisch aufgebaut ist und die Sprache hervorhebt. Es gibt verharrende Teile, die den musikalischen Fluss eher unterbrechen und von daher beruhigend wirken. Diese Gedankengänge haben in den meisten Fällen vom Text her eher einen erzählenden Charakter, schließen einen Gedanken ab und lassen einen neuen folgen. Es sind episodenhafte Markierungen, die die Spannung auf ihre Weise erhöhen. Für den übrigen musikalischen Kontext spielen sie zunächst eine untergeordnete Rolle und haben wenig Bedeutung. Dieser Zwischenteil ist aber auf der anderen Seite Sammlung für einen neuen Impuls. Der Text unterstreicht oft die Vorlage für die musikalische Entwicklung. Ein weiteres Beispiel in diesem Sinne ist im Requiem h-Moll, op. 22 zu finden: NB h 61: Kyrie18

Auch in den folgenden zwei Beispielen der a-cappella-Messe a-Moll, op. 85 und im e-Moll-Requiem WoO 35 wird die Verbindung zur musikalischen Neuigkeit ge-schaffen:

16 Hermann Stephani: Art. Felix Draeseke. MGG, Bd. 3. Kassel. Basel. München 1989, Sp. 733. 17 op. 60/Credo/Solochor, T. 128-136. 18 NB h 61: Kyrie/Sopran, T. 61-62. Kap. 5, S. 162.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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NB a 3: Credo19

NB e 6: Requiem20

Diese Aussage wird zu einem Teil vom Sopran allein interpretiert, der nächste Gedanke aber wird von den tieferen Stimmen, bevor die Sopranzeile beendet ist, eingebracht. Ein melodischer, eigenständiger Gesichtspunkt liegt in der Melodienführung der A-cappella-Werke Draesekes vor. Sie wirken ausgeprägt, denn der Umfang der Chor-stimmen wird weitgehend ausgeschöpft und streckenweise ein plötzlicher und vor allem kurzer Abgesang deklariert. Alle vier Werke zeigen dieses Phänomen mehr- 19 NB a 3: Credo/Sopran, T. 101-109. Kap. 5, S. 138. 20 NB e 6: Requiem/Sopran, T. 61-65.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 106

mals auf. Draesekes Vokalstil verfügt über deklamatorisch ausgearbeitete Episo-den, bis hin zu melodisch ausgebauten Linien, die in ihrer Steigerung besonders in den sinfonisch gestalteten Messen den Tonumfang der Chor-, sowie Solostimmen vorantreiben. Der Höhepunkt ist der Ideenreichtum, der sich in der Improvisation bis zum exegetischen Wort-Ton-Verhältnis darstellt. Dadurch wird die Vokalmusik voran gebracht. NB a 4: Gloria21

Die interpretatorischen Freiheiten in Bezug auf das Wort-Ton-Verhältnis, die den Melodien zugrundeliegen, zielen auf die Sprache und die Sprache auf die Musik. Aber Draeseke zeigt mit Einschränkung mehr ein musikalisches, denn ein sprachliches Bild. Das Wort-Ton-Verhältnis spiegelt besonders in seinen Messen ein Arbeitsfeld wider, indem die Philologie zu einem Teil wenig berücksichtigt wird. »Die musikalische Sprachforschung geht nahtlos über in die Erforschung der Musikliteratur, die Geschichte des Komponierens, die Gattungs- und Stilgeschichte der musikalischen Kompositionen: lauter Synthesen, die aus der Kritik und Herme-neutik der einzelnen Notentexte und musiktheoretischen Texte hervorgehen«.22 Der Einsatz der Solopartien ist dem der Chorpartien nicht nur in seiner melodiösen Konstruktion ähnlich, sondern die Melodienentwicklung ist in beiden musikalischen 21 NB a 4: Gloria/Sopran, T. 41-53. 22 Georg Feder: Musikphilologie. Eine Einführung in die musikalische Textkritik, Hermeneutik und Editionstechnik. Darmstadt 1987, S. 26.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Bereichen in Bezug auf stimmliche Schwierigkeitsgrade gleich. Bestimmte Solo-quartette vertreten zum Beispiel den Priester in seiner Requiem-Gebets-Rolle, entweder im deklamatorischen oder solitisch ausgebauten Stil. Andere Quartette zeigen dagegen Übergänge, die an Erzählerriten mit deklamatorischem Repetieren auf einem Ton und an klassische Schlussmuster erinnern. Vielfach münden Solo-stellen nahtlos in Chorstellen ein, ohne eine musikalische Unterbrechung. Im Requiem h-Moll beginnt der Solochor im Alt mit dem >Requiem aeternam dona eis, Domine<, nachdem das Orchester einen kontinuierlichen h-Moll-Aufstieg vorge-zeichnet hat. NB h 1: Requiem23

Dieses chaconneartige, von den tiefen Streichern dargestellte Thema wird variiert und am Ende der Zeile durch den Solochor beendet. »Denjenigen aber, welche den basso ostinato vielleicht blos deshalb verschmähen sollten, weil sie ihm in neueren Kompositionen fast nie begegnet sind, will der Verfasser an einem Beispiele zeigen, wie auch für den modernen Styl diese Kunstform nutzbar und zum Ausdruck einer poetischen Empfindung gemacht werden kann«.24

23 NB h 1: Requiem/Vc., T. 1-6. Kap. 4, S. 56, Kap. 5, S. 107. 24 Felix Draeseke: Kontrapunkt und Fuge. Bd. 1. Hannover. London 1902, S. 107.

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NB h 3: Requiem25

Zum Anfangsthema (NB h 3) wird durch die hohen Streicher ein Quintkanon formu-liert. Diese Takte thematischer Überleitung gehören zum vorhergehenden, variierenden, musikalischen Gedanken und bereiten eine chorale Deklamation mit >Et lux perpetua luceat eis< vor. Der große Chor übernimmt diesen Part. 25 NB h 3: Requiem/Violine / Vc., Kontrabässe, T. 26-34.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Hier handelt es sich um hohe Stellen im Orchester, die in der Folge auf den Chor übertragen werden. Nicht nur ausgeprägte Höhen werden von Draeseke komponiert, sondern auch Deklamationen. Im nachstehenden Beispiel stellt der Komponist Repetitionen auf einem Ton vor, die er auf den Text anpasst und im weiteren Verlauf wiederholt. Auffallend sind die arhythmischen Einsätze, ebenso fallende Quartsprünge, die den Text noch mehr hervorheben. Den Höhepunkt bildet das Wort >luceat<, von zwei Pausen eingerahmt. Der Komponist gelangt wie zu Beginn über Quarten in den Schlusston >Fis< (NB h 7). NB h 7: Requiem26

26 NB h 7: Requiem/Sopran, T. 33-60.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 110

Der schreibtechnische Methodenwechsel fällt an dieser Stelle besonders auf, ob-wohl die grundlegende, stilistische Arbeit Draesekes, nämlich auch andere Stilmittel einzusetzen, nicht verändert wird. »Eine Vereinigung alter und neuer Kunstrich-tungen zu Stande zu bringen, war für Draeseke Kunstprinzip geworden«.27 Der Stimmenumfang im Solochor wie großen Chor und dort besonders im Sopran, sowie der orchestrale Umfang einzelner Instrumente werden in vielen Teilen der Requiemsvertonung (h-Moll op. 22) und Messe (fis-Moll op. 60) bis zu Höchst-leistungen gefordert. Der Umfang der Töne wird sehr weit gefasst. Im Kyrie des Requiems h-Moll, op. 22 ist der tiefste Ton in der Sopran-Partie das eingestrichene E’, der höchste das zweigestrichene A’’. Kontrapunktische Formen ergänzen die Melodik im polyphonen Stil und betonen somit ihre tonalen Eckpunkte. Im Requiem e-Moll, WoO 35, zeigt der tiefste Ton im Sopran ein eingestrichenes D’, der höchste ein zweigestrichenes B’’, in der fis-Moll Messe, op. 60 der tiefste Ton im Sopran das eingestrichene Cis’, der höchste ein zweigestrichenes Ais’’, in der Großen Messe a-Moll, op. 85 der tiefste Ton im Sopran ein eingestrichenes C’, der höchste ein zweigestrichenes A’’.28 Neben der Bewältigung eines großen tonalen Umfangs steht die übrige Parameter-palette mit ihren rhythmischen, dynamischen, formalen und tonartlichen Kriterien, die ein Musizieren in der Gesamtsicht erst im Zusammenhang zur Geltung bringen können. Einfache bis sehr anspruchsvolle Chorpartien wechseln mit deklamato-rischen kleinen Teilen, die nicht weniger schwierig zu musizieren sind, ab. Draeseke unterscheidet nicht zwischen der Behandlung der Solostimme, dem kleinen Chor, Solochor und dem großen Chor. Die musikalischen Ansprüche werden gleichermaßen verteilt. »Bei der Musik haben wir dementsprechend als Kern die primäre Quellen- und Notationskunde (musikalische Orthographie und Paläographie), um die herum sich die Textkritik aufbaut, der sich die theoretische Text- und Werkinterpretation (Hermeneutik) anschließt. Einen weiteren Kreis bildet die Musiktheorie als historische musikalische Grammatik und als musikalisches Lexikon der Tonsprache, sowohl im stilistischen Sinn einer systematischen Zusammenstellung musikalischer Paradigmata wie im musiktheoretischen als Wörterbuch der musikalischen Termini«.29

27 Erich Roeder: Felix Draeseke als Programmusiker. Diss. St. Ingbert 1927, S. 42. Vgl. Hermann Stephani: Felix Draeseke: »Schon in seiner mittleren Schaffenszeit scheute er [Draeseke] klangliche Sprödigkeit nicht, wo es um seelische Wahrhaftigkeit und Strenge des Satzes ging. Eigenwüchsig und in sich geschlossen, ein Vorbild geistiger Zucht und Männlichkeit, wusste er die Haltung eines herben Neubarock zu verbinden mit idealisti- stischer Klassik; bei alledem aber wahrte er den „künstlerischen Hauptgrundsatz, nirgends unsere Zeit zu verleugnen, sie vielmehr zum musikalischen Ausdruck zu bringen, mit freu- digster Benutzung der modernen Kunstmittel“ - freilich unter unerbittlicher Abweisung aller an die ethische Substanz des Volkes greifenden Tendenzen veristischer Verrohung wie impressionistischer Dekadenz«. Vgl. LE, S. 3. 28 Vgl. Tabelle Zusammenfassung, S. 266. 29 Georg Feder: Musikphilologie. Eine Einführung in die musikalische Textkritik, Hermeneutik und Editionstechnik. Darmstadt 1987, S. 26.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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In der musikalisch-linearen Sichtweise steht die Melodik zu dem übrigen musika-lischen Kontext in Beziehung. Alle Stimmen werden aufeinander bezogen, so wie im obigen Kriterien-Sinn beschrieben. Der horizontale, lineare wird zum vertikalen, strukturiert geführten Weg und umgekehrt. Im musikalischen Kontext wirkt die Einzelheit auf das Ganze. Ebenso wirkt das Ganze auf einen Teil der Musik als Reflexion. »In einem modernen Kunstwerk wirken die verschiedensten Kräfte, urtümlich körperhafte Affekte, Symbole und anderes in verschiedenen Anteilen mit«.30 Im Mittelpunkt stehen vorwiegend die Gesangsstimmen und deren Linien-führungen. Dieses musikalische Beschreiben kann nur über klare Melodien-zeichnungen gehen, kleinere und größere oder kürzere und längere. Die ersten werden zum Beispiel durch Pausen begrenzt, die zweiten kennen mehrere kleine, kurze Melodien, die aufeinander folgen und sich zu einem großen musikalischen Gedanken formen. Die genannten Merkmale sind ein im Fluss befindlicher Prozess und keine feste Größe. Sie sagen daher nichts über Längen des Zeitwertes aus. Aber sie vermitteln einen Eindruck, der die musikalischen Teile und Abschnitte aufeinander bezieht, miteinander korrespondieren und von der Form her deutlich werden lässt. 5.1.1 Melodische Formen: Kleine Linien und Bögen Einerseits bilden kleinste Bausteine Linien, haben zwei bis vier Noten anein-andergereiht und bilden somit eine musikalische Einheit, andererseits können solche Bausteine eine Erweiterung erfahren, indem sie mehrere Takte einer Motivkettung aufeinander folgen lassen. In den folgenden Zitaten stellen sich Notationen dar, die in ihren Aufwärtsrichtun-gen differenziert agieren: NB h 8: Dies Irae31

30 Hans Engel: Sinn und Wesen der Musik. In: Karbusicky, Vladimir (Hrsg.): Sinn und Bedeutung in der Musik. Darmstadt 1990, S. 59. 31 NB h 8: Dies irae/Tenor, T. 107-108.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 112

NB h 22: Dies Irae32

In den übrigen drei Werken gibt es drei-, vier- bis fünfnotige Motive wie auch erweiterte Kettungen und größere Linien, von denen die Kompositionen durch-zogen sind. Hier werden nur auffällige Notationen genannt. Durch einen kleinen Bogen mit Auf- und Abstieg zeigt sich eine abgeschlossene Linie. NB h 12: Dies irae33

NB h 28: Dies irae34

32 NB h 22: Dies irae/Sopran, T. 157-158. 33 NB h 12: Dies irae/Tenor, T. 5-8. 34 NB h 28: Dies irae/Sopran, T. 308-315.

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NB fis 3: Kyrie35

Die Takte >Kyrie eleison< werden als Aufstieg (NB fis 2), die Takte 50-56 als Abstieg deklariert, wobei in diesem letzten Fall der Abstieg weiter ausgeführt wird als der Aufstieg (NB fis 3). NB fis 2: Kyrie36

In den folgenden zwei Beispielen liegt der höchste Ton entweder im Quint- oder im benachbarten Tonraum, oder er tritt erst gegen Ende des musikalischen Gedan-kens auf und verlängert somit den aufsteigenden Teil der Melodie. Weiter gibt es die nach oben verlaufenden Melodienentwicklungen, die an ihrem Höhepunkt eine Oktave oder Quinte vorweisen. Der musikalische Gedanke kann dann beendet sein, und es bildet sich ein erneuter Impuls. Darüber hinaus können wellenförmig-musikalische Wiederholungen und Erweiterungen des vorhandenen Materials folgen:

35 NB fis 3: Kyrie/Sopran, T. 5-8. Kap. 4, S. 69. 36 NB fis 2: Kyrie/Sopran, T. 50-56. Kap. 4, S. 70.

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NB a 5: Gloria37

NB e 2: Requiem38

Im NB h 24 stellt Draeseke das Wort >pietatis< heraus mit fallendem Oktavsprung. Hinzu kommt noch die Betonung des >salva me< auf der eins des Vierertaktes. Im NB fis 5 konzentriert sich der Komponist auf den Quintraum der Ausgangstonart in Form einer Anabasis. Den Abschluss bildet wieder ein fallender Oktavsprung, um das Wort >Christe< hervorzuheben. NB h 24: Dies irae39

37 NB a 5: Gloria/Sopran, T. 81-86. 38 NB e 2: Requiem/Sopran, T. 3-5. 39 NB h 24: Dies irae/Sopran, T. 182-189.

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NB fis 5: Gloria40

Draeseke zeigt mit dem Einsatz von Pausen eine sprachliche Betonung. Nicht nur die Pausen unterstützen im NB a 17 die Bitte, sondern auch ein fallender Oktav-sprung. Im NB a 18 umspielt ein Sextensprung die Tonart D-Dur, um das Wort >pacem< hervorzuheben. Die Pause im NB e 5 wird durch die Tonikalage mit einem Dreiklang gefestigt. Sie ist als vorübergehendes musikalisches Element anzusehen, im Gegensatz zu den obigen Beispielen. Der aufsteigende verminderte Dreiklang verstärkt die dreimalige >nil-Aussage< im NB h 20. NB a 17: Agnus Dei41

40 NB fis 5: Gloria/Sopran, T. 173-178. 41 NB a 17: Agnus Dei/Sopran, T. 109-114.

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NB a 18: Agnus Dei42

NB e 5: Requiem43

NB h 20: Dies irae44

42 NB a 18: Agnus Dei/Sopran, T. 115-122. 43 NB e 5: Requiem/Sopran, T. 40-41. 44 NB h 20: Dies irae/Sopran, T. 138-146.

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Im Requiem h-Moll und in der fis-Moll-Messe gibt es vermehrt homophone Chor-einlagen, die die musikalische Rezitation verwenden, in fast allen Stimmen gleich-bleibend auf einem Ton. Wenn allgemeine Aussagen gemacht werden, so tritt der vierstimmige, homophone Satz (NB fis 13 / NB fis 19) auf. NB fis 13: Credo45

NB fis 19: Credo46

In den beiden A-cappella-Werken wird auch in den homophon gestalteten Partien (NB a 3/ NB e 10/ NB e 27) eine Fünfstimmigkeit erreicht.

45 NB fis 13: Credo/Sopran, T. 19-29. Kap. 4, S. 77. 46 NB fis 19: Credo/Sopran, T. 220-223. Kap. 5, S. 137.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 118

NB a 3: Gloria47

NB e 10: Kyrie48

NB e 27: Sanctus49

Hier erklingt die Wiederholung des Anfangmotivs. Beide Strategien -Motiv und Wiederholung- werden in allen vier Werken angewandt. Besonders ragt das Kyrie aus der fis-Moll-Messe, op. 60 hervor. Es ist in den Vokalteilen von homophonen Kyrie-Texten durchsetzt. Auch in den übrigen Ordinarien wechseln polyphone und homophone Teile ab. Der melodiöse Aufbau dieser Homophonie steht zunächst im Mittelpunkt.

47 NB a 3: Gloria/Sopran, T. 18-27. Kap. 5, S. 105, Kap. 5, S. 138. 48 NB e 10: Kyrie/Sopran, T. 138-141. 49 NB e 27: Sanctus/Sopran, T. 10-18.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Eng verknüpft sind Sprache und Musik. Im Gloria der a-Moll Messe wird die Zeile >Et in terra pax< homophon gestaltet.50

NB a 6: Gloria51

NB e 7: Requiem52

Bei den melodischen Führungen treten kleinere und größere musikalische Zeich-nungen auf, in Bögen oder großen aufsteigenden Linien. Auch absteigende Linien werden verwendet. Selbst wenn hohe und tiefe Töne gebraucht werden, so wird ein allgemeiner Charakter der Linienführung nicht verlassen. Es kann sogar gesche-hen, dass dadurch die allgemeine Spannung erhöht wird.53 5.1.2 Melodische Formen: Große Linien und Bögen

Das Komponieren mit mehreren kleineren Linien stellt in seiner Gesamtheit große Linien mit vielen kleinen Bögen dar. Auf- und Abstiege, musikalische Fragen und

50 Vgl. NB a 3, Kap. 5, S. 105, Kap. 5, S. 118, Kap. 5, S. 138. 51 NB a 6: Gloria/Sopran, T. 204-211. 52 NB e 7: Requiem/Sopran, T. 66-71. 53 NB a 4: Gloria, T. 41-53. Kap. 5, S. 106.

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Antworten, wechseln in ihren Rollen, je nach Verteilung und Intention. In diesen weiten Linien steckt eine große Spannung, die mit dem Prinzip der Steigerung als Stilmittel verbunden ist. In den folgenden acht Beispielen setzt sich die Bewegung nach oben durch. Sie ist das antreibende Element bei der Steigerung der melodischen Führung, die daraus resultierenden Linien befinden sich in einem inneren melodischen Zusammen-hang (NB h 15/ NB h 17/ NB h 19/ NB h 42/ NB h 46/ NB h 38/ NB e 18/ NB e 25). NB h 15: Dies irae54

NB h 17: Dies irae55

NB h 19: Dies irae56

54 NB h 15: Dies irae/Sopran, T. 80-86. 55 NB h 17: Dies irae/Tenor, T. 107-113. 56 NB h 19: Dies irae/Sopran, T. 126-128.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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NB h 42: Domine57

NB h 46: Kyrie58

57 NB h 42: Agnus Dei/Sopran, T. 195-111. Kap. 4, S. 66. 58 NB h 46: Kyrie/Sopran, T. 47-60.

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NB h 38: Domine59

NB e 18: Domine60

Bei NB e 25 wird zusätzlich zur aufsteigenden Linienführung der zusammen-fassende Abstieg sekundmäßig angelegt, in einer Art doppelter Katabasis. NB e 25: Introitus61

In den nächsten drei Beispielen sind zum einen besonders einfache, aufwärts-strebende Sekundschritte und zum zweiten sequenzartige Dreiklangssprünge 59 NB h 38: Domine/Bass, T. 222-227. Kap. 4, S. 63. 60 NB e 18: Domine/Sopran, T. 3-9. 61 NB e 25: Introitus, T. 26-33. Kap. 5, S. 101.

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dargestellt. Draeseke zeigt die mittlere Notation als feststehendes musikalisches Element mit >Deus Sabaoth< rezitierend auf einem Ton an, in der folgenden Zeile die Freude über die Aussage >pleni sunt coeli< als Anabasis. Die Vorstellung von >Dominus< entspricht einmal der aufwärts gerichteten Linienführung und dem Pauseneinsatz, der die Spannung noch weiter unterstreicht (NB fis 6/ NB fis 22/ NB a 19). NB fis 6: Gloria62

NB fis 22: Sanctus63

62 NB fis 6: Gloria/Soprane, T. 41-48. 63 NB fis 22: Sanctus/Sopran, T. 3-20.

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NB a 19: Gloria64

In den folgenden fünf Zitaten wird der Solo-Melodienaufstieg im ersten Beispiel mit einem Dreiklang interpretiert (NB h 18), im zweiten werden bis zum Höhepunkt im Chorsopran Sekunden eingesetzt, danach fallende Dreiklänge, die das Wort >majestatis< bezeichnen (NB h 45). Im dritten wird ein Aufstiegs- und Abstiegs-bogen gezeigt und das Wort >pie< durch die Umspielung des Quintraumes betont (NB h 25). Im vierten wird das Wort >perpetua< auf einem Ton zitiert, der Höhepunkt im Wort >luceat< steigt. Draeseke >malt< mit diesen Tönen und erreicht eine direkte Wirkung (NB e 9). Aufstiegs- und Abstiegsbogen richten sich nach dem gegebenen Text. Im fünften Beispiel werden die Sekundschritte durch einen Oktavsprung unterbrochen, der seinerseits eine Betonung hervorruft. Eine gerade Linienführung und ein großer Sprung korrespondieren miteinander (NB e 13). NB h 18: Dies irae65

NB h 45: Dies irae66

64 NB a 19: Gloria/Sopran, T. 74-77. 65 NB h 18: Dies irae/Sopran, T. 110-113. 66 NB h 45: Dies irae/Sopran, T. 167-170.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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NB h 25: Dies irae67

NB e 9: Requiem68

NB e 13: Dies irae69

Die weiteren vier Beispiele bieten sehr unterschiedliche Auf- und Abstiegsbögen an. Zuerst bildet die Melodie mit >hostias et preces< nur einen sich wiederholenden Ton an, um danach aufzusteigen und die >preces< sequenzartig folgen zu lassen. Beim Wort >tibi< wird die Kadenz für Domine vorbereitet und umspielt (NB e 21). Im zweiten Zitat wird der Aufstieg nur einen Augenblick praktisch als Wechselnote genutzt, der Abstieg dagegen sehr früh im dritten Takt angesetzt. Dieser zeigt eine lange Vorbereitung (NB e 23). Das dritte Beispiel fällt mit seinem Aufstieg besonders auf: man kann nur von einem verfremdeten sprechen, denn es werden eine fallende kleine Sexte und kurz danach eine fallende Quarte in die musikalische nach oben gerichtete Linien-führung eingebaut. Der Abstieg besteht nur aus einem Sekundschritt (NB fis7). Beim vierten Beispiel ist der Abstieg erweitert. Auf- und Abwärtsbewegung werden 67 NB h 25: Dies irae/Recordare/Sopran, T. 198-202. Kap. 4, S. 59. 68 NB e 9: Requiem/Sopran, T. 79-87. 69 NB e 13: Dies irae/Sopran, T. 17-20. Kap. 5, S. 102.

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deutlich durch eine Terzverzögerung hervorgehoben. Sie ist ein Mittel, um mit Hilfe der Synkope, eine musikalische Unterstreichung vorzunehmen. Die Führung ver- läuft auch hier von oben nach unten. Pausen stellen bildliche Unterbrechungen dar. (NB fis 9a). Aber bei einer großangelegten Linienführung haben sie innerhalb der großen Melodie eine untergeordnete oder eine herausragende betonte Rolle, denn die vielen Melodienteile sind miteinander in differenter Weise verbunden. Die Pause kann als Überbrückungsmoment genutzt werden. Beispiele für eine Nebenrolle finden sich in allen vier Werken, vor allem in den Fugen. Es sind Pausenbereiche innerhalb des Themas, die nicht zäsurartig gedacht sind, aber unterschiedliche Funktionen erfüllen. NB e 21: Domine70

NB e 23: Sanctus71

70 NB e 21: Domine/Sopran, T. 128-137. 71 NB e 23: Sanctus/Sopran, T. 1-9. Vgl. Kap. 5, e 27, S. 118.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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NB fis 7: Gloria72

NB fis 9a: Gloria73

Die nächsten sechs Notenbeispiele stellen zum einen eine einfache Melodienführung mit tragendem Charakter vor, zum anderen abwärts gerichtete Linien mit Dreiklangscharakter. Draeseke macht besonders auf folgende Stelle aufmerksam: >Tuba mirum spargens sonum< stellt die unerschütterliche Macht Gottes dar. In den Stimmen Alt, Tenor und Bass I wird das zunächst aufsteigende Thema über einem abfallenden Dreiklang nach unten hin erweitert, mehrere Haupttöne werden imitatorisch und sequenzartig erzielt. Mit Hilfe der Pause wird eine Betonung des Wortes >regionum< erreicht (NB e 14).

72 NB fis 7: Gloria/Sopran, T. 66-71. 73 NB fis 9a: Gloria/Sopran, T. 111-116.

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Im Gegenzug ist der Abstieg im dritten Zitat einfach und kurz verfasst. Demnach kann das größere Interesse nur vorrangig für den musikalischen Aufstieg sein. Verschiedene musikalische Mittel setzt Draeseke dort ein, um das Element der Steigerung hervorzuheben: Versetzte Bögen und Sequenzen lässt er auf vielfältige Art und Weise in seine Musik einfließen, indem er terrassenartig- mit Hilfe von imitatorischen Mitteln- den Aufstieg und Höhepunkt mit Spitzenton belebt (NB fis 8). Das vierte Beispiel ist in seiner Form durch klassische Elemente der Kadenz mit Tonika und Dominante gekennzeichnet. Die gestellte unsichere Frage gestaltet Draeseke mit programmatisch abwärts gerichteter Melodieführung: >quid sum miser tunc dicturus<? (NB h 21). Das fünfte Beispiel zeigt auf der höher gelegenen Quinte eine fast wörtliche, zeitversetzte Imitation. >Dignae< und >benignae< werden herausgehoben (NB h 29). Im sechsten Zitat werden die flehenden Bitten mit ihren sekundartigen Schritten nach oben und einer fallenden großen Sexte nach unten und wieder einem Aufstieg mit Wechselnote vom Tenor vorgegeben, der Sopran ahmt nach. Die Imitationen und Sequenzierungen können demnach zweierlei Formen aufweisen: zum einen eine wörtliche Wiederholung auf einer weiteren Stufe, Sekunde oder Terz, zum anderen eine tragende Rolle der Selbstständigkeit auf einer neu errichteten musikalischen Ebene. Die Melodieführung wird erweitert (NB e 16). NB e 14: Dies irae74

74 NB e 14: Dies irae/Alt, T. 39-48. Kap. 5, S. 154.

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NB fis 8: Gloria75

NB h 21: Dies irae76

75 NB fis 8: Gloria/Sopran, T. 74-85. 76 NB h 21: Dies irae/Sopran, T. 149-156.

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NB h 29: Dies irae77

NB e 16: Dies irae78

Eine Form von Melodie ist die Sequenz. Sie gilt als weiterführendes Element und nimmt daher den Schluss nicht vorweg, sie setzt auf Progression. Hier ist die tat- sächliche Sequenz mit der Heraufsetzung des Motivs angesprochen, sowie eine andere, die im Gegensatz zu der Sequenz mit tonartlichem Dreiklangs- oder D7- Charakter, in einem parallelen oder entgegengesetzten Tonraum mündet. Eine Erweiterung von verschiedenen, harmonischen Steigerungsmöglichkeiten ist die Folge (NB fis 11). Das Wiederholungsprinzip steckt in den Imitationen und Sequen-zen. Draeseke verwendet im Allgemeinen sparsame Wiederholungen, doch dann werden damit sprachliche wie musikalische Intentionen verdeutlicht. Mit der Wiederholung verwandt, ein künstlerisch bewussteres Stilmittel, ist die Variation, bei der das Motiv umspielt wird, indem der Impuls den Anstoß zu einer Melodie oder mehreren, erweiterten Melodienfindungen gibt (NB fis 12), so dass das Motiv nur

77 NB h 29: Dies irae/Sopran, T. 315-324. 78 NB e 16: Dies irae/Sopran, T. 251-259.

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noch annähernd wiederzuerkennen ist (NB a 16). Diese melodiösen Linien-zeichnungen findet man in den folgenden vier Beispielen dokumentiert: NB fis 11: Gloria79

NB e 8: Requiem80

79 NB fis 11: Gloria/Sopran, T. 126-134. 80 NB e 8: Requiem/Sopran, T. 3-11.

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NB fis 12: Credo81

NB a 16: Agnus Dei82

Ein modifiziertes Motiv/ Klein-Thema, wird in allen Stimmen unterschiedlich bear-beitet und verarbeitet, aber es ist zu erkennen. Diese Verarbeitung schlägt sich nicht nur in den Melodienbögen nieder, die von Impuls zu Impuls reicht, sondern auch in einer großen Tondichte. In ihr liegt die Kraft, Linien durch Motive zu versorgen, so dass eine Verknüpfung, Verkettung bis zum Höhepunkt oder höchsten Ton, vonstatten geht. Draeseke zeichnet zum Beispiel in seinen Fugen einen klaren Weg, indem er den Beginn eines Themas verstärkt und bis zum Höhepunkt durch sein gegebenes Material ausführt. Haupttöne kristallisieren sich danach als musikalische Gedanken heraus. Bei der Erweiterung des Motivs und Themas werden tonale Nebenräume nur gestreift, sollten aber nicht ungenannt und unerkannt bleiben. Im Mittelpunkt der Entwicklung stehen deshalb mit gleichen oder verschiedenen Fundamenten die einzelnen musikalischen Themen. Sie sind in ihrem Verlauf von Steigerung, und Entspannung geprägt. »Zwischen der Gestaltsqualität der Klangstruktur und dem Charakter der psychischen Erscheinung kann es keine gestaltliche Analogie geben; zwischen der Ausdrucksbewegung jedoch und einer musikalischen Struktur ist das dagegen wohl der Fall«.83 In vielen Melodienzügen drückt Draeseke mit den obigen Mitteln eine Zwei-und Dreiteiligkeit aus, indem er zwei kompositorische Möglichkeiten wie Motiv des Aufstiegs, weiter eine Sequenz desselben (NB h 13) oder/und eine variierte Fassung darstellt (NB a 7). Das Motiv M wird zunächst auf einer höheren Stufe

81 NB fis 12: Credo/Sopran, T. 106-113. 82 NB a 16: Agnus Dei/Sopran, T. 43-47. 83 Zofia Lissa: Semantische Elemente der Musik. In: Karbusicky, Vladimir (Hrsg.): Sinn und Bedeutung in der Musik. Darmstadt 1990, S. 118.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

133

sequenziert: M (S). Der dritte Teil ist ausführlich komponiert worden: M+V(Variation) (NB h 13). Der Abstieg oder Auslösungsteil dauert in den meisten Fällen nicht lang, hat einen eigenen Charakter. In der Strukturanalyse wird deutlich, dass dieser dritte Teil die Umspielung des höchsten Tones in sich trägt, der wiederum einen funktionsmäßigen Hinweis für die zu erreichende Kadenz ausmacht (NB h 9). NB h 9: Kyrie84

NB a 7: Gloria85

84 NB h 9: Kyrie/Sopran, T. 69-73. 85 NB a 7: Gloria/Sopran , T. 221-229.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 134

NB h 13: Dies irae86

Das Motiv wird sequenziert und ein weiteres Mal durch eine Wechselnote variiert. Den Abstieg bildet ein fallender Dreiklang (NB e 19). Auch bei diesem Beispiel wird das Motiv sequenziert und zwar vier Mal, wobei der Abstieg vorbereitet wird und eine trugschlussartige Kadenz in A-Dur sich bildet. NB e 19: Domine87

86 NB h 13: Dies irae/Sopran, T. 39-47. 87 NB e 19: Domine/Sopran, T. 48-51.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

135

NB a 26: Credo88

Das Motiv zeigt eine Sequenz, der Abstieg wird sekundmäßig dargestellt (NB a 26). Es wird in diesem Zusammenhang bewusst von Abstieg gesprochen, da beim 88 NB a 26: Credo/Sopran, T. 38-54.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 136

höchsten Ton oder in seiner unmittelbaren Umgebung eine Kadenz oder vorüber-gehende Stufe vorbereitet wird, so dass der Abstieg die anzustrebende, zukünftige Kadenz in sich trägt. Die zweite, besonders aber die dritte Steigerungs-linie, zeigt einen motivischen Bezug auf das Ausgangsmotiv und dann eine tonale Erwei-terung. Daraus resultiert eine formalanalytische Sicht- und Hörweise in Form einer Dreiteiligkeit mit verschiedenen Sequenz- und Variationsmöglichkeiten: 1.M+S (Motiv +Sequenz) 2.M+S+E (Motiv+Sequenz+Erweiterung/Ergänzung) 3.M+V+M+S+E(Motiv+Variation+Motiv+Sequenz+Erweiterung/Ergänzung) 4.M+V+M+E(Motiv+Variation+Motiv+Erweiterung/Ergänzung) 5.M+V1+V2+V3+E(Motiv+Variation1+Variation2+Variation3+Erweiterung/

Ergänzung) 6.M+V1+V2+MUV1+E(Motiv+Variation1+Variation2+Motiv+Umkehrung

+Variation1+Erweiterung/Ergänzung) 7.M+V1S+V2S+(Motiv+Variation1Sequenz+Variation2Sequenz+Erweiterung

/Ergänzung) Eine Zweiteiligkeit der Linienführungen/ Melodienführungen findet sich in diesem Beispiel der fis-Moll-Messe (NB fis 19): NB fis 19: Gloria89

89 NB fis 19: Gloria/Sopran, T. 2-12. Kap. 5, S. 117.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Im NB fis 26 wird das Initium, der >Ruf Gloria in excelsis Deo<, zunächst als musikalische Fanfare genutzt, dann beim >Cum sancto spiritu in gloria Dei patris< als sechsmaligen Einschub.90 Die Fuge wird mit den homophonen, zum Teil sequenzierten und variierten >Gloria-Teilen< durchsetzt und verliert nichts an musikalischem Schwung. Er gewinnt ihn verstärkt durch die homophonen Chor-blöcke. Draeseke setzt hier auf das Prinzip der Wiederholung, der Verstärkung und Interpretation. Diese Stilmittel unterstreichen die großen dreiteiligen Linien-führungen. Sieben Anrufungen werden im Gloria eingebaut. Der erste Ruf steht isoliert für sich, die letzten sechs beginnen mit dem Thema der Fuge >Cum sancto spiritu< (NB fis 26). NB fis 26: Gloria

In der Großen Messe a-Moll, op. 85 sind im Credo vom 2. bis zum 3. Glau-bensartikel Drei- und Fünfteiligkeiten zu finden, die Draeseke motivisch, mit Sequenzen, Variationsmöglichkeiten und tonartlichen Erweiterungen, angelegt hat.91 Im NB a 9 ist eine Abwärtsbewegung bis auf einen Quart- und Sextensprung festzustellen. Das Motiv reicht bis zum höchsten Ton und fällt bis zur Septime nach unten hin ab. Eine Erinnerung an den 1. höchsten Ton wird in Form einer kleinen Sexte nach oben angedeutet, er zeichnet einen langen Abstieg vor, unterbrochen vom 2. Spitzenton mit >descendit<, um schrittweise in die Oktave abzusteigen: M+MV+S (Motiv+Motiv Variation+Sequenz).

90 NB fis 26: Gloria/Bass, T. 182-187. 91 Messe a-Moll op. 85: Credo/Sopran, T. 192-199, 207-212, 225-231, 236-253, 266-274, 287-291.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 138

NB a 9: Credo92

Die Takte werden im NB a 3 durch das Halbtonschrittmotiv aufwärts intensiviert, indem der zweite kurze Teil die zukünftige Terz umspielt, während der Abstieg durch einen Dreiklang die Auflösung bringt: M+MS+MV. NB a 3: Credo93

Im ersten Teil (NB a 10) fällt der punktierte Oktavsprung auf, danach erfolgt eine stetige Abwärtszeichnung in Ganztönen, der zweite Teil bewegt sich in kleinen Sekundschritten nach oben und wieder entgegengesetzt in die Ausgangslage. Die Abwärtsbewegung hat zwei herausragende kleine Terzen und zwei fallende Ganztonschritte vorzuweisen: M+V1+V2.

92 NB a 9: Credo/Sopran, T. 85-99. 93 NB a 3: Credo/Soprane, T. 101-109. Kap. 5, S. 105, Kap. 5, S. 118.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Draeseke zeichnet mit dieser Melodielinie das Leiden Christi nach und zeigt damit ein musikalisches Programm. NB a 10: Credo94

Auch beim nächsten Beispiel kommt ein inhaltlicher Höhepunkt zum Tragen: Im NB a 11 gibt es fünf Melodienteile. Der erste ist von einem aufstrebenden Quartsprung und abschließendem Oktavsprung dargestellt, der zweite von einer Abwärtsbewe-gung mit Kadenzcharakter, im dritten ist ein fallender Dreiklang der Ausgangstonart erreicht, der vierte strebt als Doppeldominante in die Höhe. Daher erfolgt im fünften eine tonale Erweiterung, hervorgerufen durch die kleine Terz Fis-Dis: M+V1+V2+V3+E.

94 NB a 10: Credo/Sopran, T. 119-133.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 140

NB a 11: Credo95

Im Beispiel NB a 14 gibt es fünf Melodienteile. Das Motiv wird im ersten Teil sequenziert, im zweiten variiert, im letzten, dem Abstieg, mit einem hohen Ton begonnen. Draeseke lässt mehrere unterschiedliche Intervalle folgen: eine fallende Quinte, eine steigende kleine Sexte und eine fallende Oktave, sowie eine kleine Sekunde und eine fallende Quarte. Es entsteht bei den Worten >Judicare vivos et mortuos< eine musikalische Malerei mit programmatischem Charakter: M+MS+V1+V2 (Motiv+Motiv Sequenz+Variation 1+Variation 2).

95 NB a 11: Credo/Soprane, T. 139-154.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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NB a 14: Credo96

»Unter dem Siegel der ihm eigenen Verschmelzung von Neuerrungenschaften und verteidigten Erbgütern liefert er [Draeseke] ein rein gesangliches Gegenstück zu seiner nicht viel umfangreicheren Messe in fis mit Orchester«.97 Die Takte im Beispiel NB a 27 zeigen das Motiv im Sopran, ausgestattet mit einem Sept- und Quintsprung, im zweiten Melodienteil erfolgt eine sekundschrittartige Abwärtsbewegung, im dritten eine Änderung der Sekundschritte. Damit wird im vierten Abschnitt, dem Abstieg, die veränderte Tonart sequenzartig eingebaut: M+V1+V2+VE (Motiv+Variation 1+ Variation 2+ Variation Erweiterung).

96 NB a 14: Credo/Sopran, T. 159-175. 97 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 435.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 142

NB a 27: Credo98

Der melodiöse erste Teil (NB h 33) besteht aus einem fast unisonen Bogen, der zweite beginnt mit einem Quintsprung und Punktierung, >tibi< und >Domine< werden herausgehoben, ebenfalls >laudis offerimus< im dritten Bogen, der absteigend sequenziert wird. Das Motiv wird im vierten Teil modifiziert wiederholt und steigt bis zur Septime auf. Gleichzeitig wird der Abstieg vorbereitet: M+V1S+V2S+VE.

98 NB a 27: Credo/Sopran, T. 187-197.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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NB h 33: Domine99

Die beiden Requiem-Vertonungen und die zwei Messen Draesekes weisen vorwiegend ihre Steigerungen in großen, aber auch in kleinen Linienführungen (Drei- und Vierteiligkeiten) auf. Die Gründe dafür liegen im hervorgehobenen sprachlichen Bereich. Den formalen großen und kleinen Linien stehen auf der anderen Seite differenzierte Entwicklungen gegenüber, die mehrere Motive vorweisen, welche den vorher musikalisch gesetzten Rahmenbedingungen nicht entsprechen. Sie bilden sich aus zum Teil konträren Linienführungen, weisen ein breites Kolorit auf und verlassen den beschriebenen, symmetrisch gestalteten Rahmen. Das Requiem h-Moll, op. 22 wird wesentlich durch »die Verbindung von Tradition und Gegenwart, das Wiederbeleben historischer Formen und Techniken mit neuem Geist«100 geprägt. Die Dreiteiligkeit wird in NB h 5 durch eine tonale Bereicherung erweitert.

99 NB h 33: Domine/Sopran, T. 150-167. 100 Peter Andraschke: Felix Draesekes Requiem op. 22. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 156.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 144

NB h 5: Domine101

5.1.3 Melodische Formen: Innere Abhängigkeit großer Linien Bei all diesen Werken erkennt man einen inneren Gedanken, ein Zusammen-wirken der einzelnen Kräfte auf das Ganze. Das Prinzip der Konzentrations-abhängigkeit ist wie bei den Kleinmotiven und -themen annähernd gleich geblieben. Draeseke schafft musikalische Bedingungsfelder, die die Anspannung wie die Lösung eines Gedankens symmetrisch und asymmetrisch anlegen. Mathematisch-musikalische Grundverhältnisse bilden die Basis für den gesamten äußeren wie inneren Spannungsbogen und Rahmen. Darüber hinaus ist eine Symmetrie auch in der Asymmetrie zu finden, nämlich eine zu bestimmende Gesetzmäßigkeit, die an die vorhergehende Symmetrie mit Vorder- und Nachsatz anknüpft und freie oder textlich gebundene Ergänzungen zulässt. NB h 11: Kyrie102

101 NB h 5: Domine/Sopran, T. 11-23. 102 NB h 11: Kyrie/Alt, T. 112-114.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Das >Kyrie< im h-Moll-Requiem erscheint in drei Teilen in einer Doppelfuge. Das erste Thema wird im Alt vorgestellt. Das zweite Thema kommt in Takt 130 mit dem >Christe eleison< (NB h 49), in der Dur-Parallele D-Dur, hinzu. NB h 49: Kyrie103

Alle vier Stimmen partizipieren von dem Thema, bis das >Kyrie<-Thema wieder auftaucht. Ab Takt 145 werden beide Themen miteinander verarbeitet. Die Fuge endet auf einem Sextakkord der Subdominante. Der folgende Nachsatz von acht Takten wirkt wie eine nicht abschließende, schwebende Ergänzung im Quintklang (NB h 53).

103 NB h 49: Kyrie, T. 130-132.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 146

NB h 53: Kyrie104

Ein verwandter Nachsatz/Nebensatz von sechs Takten ist im Agnus Dei auf einer Quinte endend zu finden. Dadurch wird hier der Text >quia pius es< noch mehr hervorgehoben. Besonders tritt der Satz Note gegen Note mit unisonem Charakter in den Vordergrund (NB h 54).

104 NB h 53: Kyrie, T. 166-172.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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NB h 54: Agnus Dei105

105 NB h 54: Agnus Dei, T. 143-148.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 148

Eine freie Ergänzung mit verschiedenen musikalischen Abschnitten teilt sich im Gloria der fis-Moll-Messe besonders mit (NB fis 21): NB fis 21: Gloria106

Die folgenden Takte (NB fis 23) geben ebenfalls mit ihren Motiven, die in sich und auf das Ganze wirken, einen großen Spannungsbogen wieder:107 Auch in den übrigen Messen schreibt Draeseke in ausführlichen Spannungsbögen und Steigerungslinien, die von den Motiven getragen werden. Je nach Textaussage verwendet er Kadenz, Trugschluss, leere Quinte und Oktavklang. Dadurch ist der Spannungsbogen mit einem besonderen musikalischen Stilmittel bedacht und auf seine Weise abgeschlossen worden. Diese Stilmittel werden den entsprechenden Spannungsbögen zugeordnet.

106 NB fis 21: Gloria/Sopran, T. 56-71. 107 Vgl. Große Messe fis-Moll, op. 60, Gloria, T. 74-180.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

149

NB fis 23: Credo108

Melodienführung und musikalischer Kontext verdichten sich im NB fis 23, indem die verschiedenen Stimmen immer enger zusammengeführt werden, so dass die Vier- und Fünfstimmigkeiten eine klare Trennung von Melodienführung und harmoni-scher Basis nicht zulassen. 108 NB fis 23: Credo, T. 232-237.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 150

Das Requiem h-Moll, op. 22 und die Große Messe in fis-Moll, op. 60 zeigen in ihren melodischen Entwicklungen kleine wie große Bögen, die mit ihren Auf- und Abstiegen Steigerungen verursachen. Der Text wird zusätzlich durch Unisono- stellen interpretiert. Bei dem Wort >sedet< (NB fis 24) geht die Führung nach unten, die Worte >ad dexteram< zeigen eine unterbrochene Entwicklung nach oben, und >patris< wird durch Verlängerung des höchsten Tons hervorgehoben. Hier findet man eine programmatisch-musikalische Stelle vor: NB fis 24: Credo109

Die a-Moll-Messe, op. 85 und das Requiem e-Moll, Wo O35 verfolgen ebenfalls kleine wie große Melodienentwicklungen. Gleichberechtigte Melodienbögen bauen aufeinander auf, und es entwickelt sich eine ausgewogene Harmonik, ohne Beein-trächtigung der melodischen Aussage. Alle Sätze der a-Moll-Messe, op. 85, und des e-Moll Requiems folgen in direkter Weise aufeinander. Es gibt keine Zwischentakte, keine episodenhaften Einschübe als Überleitungen. Die Melodienbehandlungen sind in allen vier Kompositionen von hoher Konzen-tration gekennzeichnet, und die tonalen Umfänge sehr weit gegriffen. Vergleicht man die Kyrie-Sätze in Bezug auf die Melodienbehandlung, so sieht man in den beiden Messe-Texten, dass außer der gemeinsamen textlichen Dreiteiligkeit musikalisch-stilistische Unterschiede vorhanden sind: In der fis-Moll-Messe werden von den tiefen Streicher-Bässen und den Fagotten bis zu den hohen Flöten die Kyrie-Rufe sekundschrittartig eingeleitet (NB fis 25), in der a-Moll-Messe werden sie direkt in einen kontrapunktischen Satz einbezogen.

109 NB fis 24: Credo/Sopran, T. 224-229.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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NB fis 25: Kyrie110

Der Chor übernimmt mit dem >Kyrie<-Ruf das variierte Orchestermotiv und führt es zu einem Höhepunkt, indem er beim ersten wie zweiten Einsatz auf einem Ton -innerhalb der eigenen Stimme- rezitiert. Der dritte Einsatz zeigt einen fugierten Teil mit terrassenmäßigem Quartenaufbau, wobei fast alle Choreinsätze auf der Zählzeit drei notiert sind. Eine Fuge mit Dux und Comes unterstreicht die musikali-sche Intensität. Abschließend erklingt der Anfangsruf in seinen Rezitationstönen. Form und musikalischer Inhalt bilden eine Einheit (NB fis 25). »Die fis-Moll-Messe für Soli, Chor und Orchester von 1890/91 zeigt denn auch im Verhältnis zum Requiem op. 22 schon vom Notenbild her die Wendung zu einem strengen Stil linearen Gestaltens, imitatorischer Arbeit in den Stimmen und strenger kontra-punktischer Durchformung, wobei er (Draeseke) tatsächlich den Charakter des Konzertmäßigen vermied«.111 110 NB fis 25: Kyrie, T. 1-5 und Soloeinsatz. 111 Friedbert Streller: Fugen, Kanons und strenger Satz. Die a-cappella-Werke Felix Draesekes. ( Veröffentlichungen der Internationalen Draesekes-Gesellschaft). Schriften Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 288. Streller billigt Draeseke nur eine Schützsche Einschränkung zu im Gegensatz zu Roeder. Dieser vergleicht Draesekes a-Moll-Komposition mit Schütz, «dabei erfüllt von wahrhaft religiös-kirchlichem Geist», und «dem anderen Dresdner Großmeister und Retter der deutschen Musik, Heinrich Schütz». In: Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 434f.

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Die a-Moll-Messe op. 85 ist ein A-cappella-Werk. Im Kyrie erscheint eine Doppel- fuge im strengen kirchenmusikalischen Stil. »Da Draeseke seine a-cappella-Kompositionen ausschließlich im konventionsgebundenen Bereich katholischer Kirchenmusik von Propriumsvertonungen bis zum Ordinarium Missae (a-Moll-Messe op. 85 von 1909 und Requiem e-Moll von 1910) ansiedelte, geriet er mehr und mehr in diese Bahnen und vermochte sich auch stilistisch nicht daraus zu lösen, so sehr er auch im freitonalen Raum nach neuem Ausdruck suchte«.112 Die Rückbesinnung auf Palestrina, wie dessen Neubelebung und die Bach-Renaissance stehen vorwiegend Pate bei den A-cappella- Kompositionen. Aber vor allem der Schützsche Vokalstil spiegelt die zeitgenössische theologisch-musika-lische Diskussion in Draesekes Kirchenmusik nur einschränkend wider. Daher »erkannte (Draeseke) nicht die Befreiung in jener liturgischen Bewegung, die durch Spitta/Smend und Arnold Mendelssohn für den kirchenmusikalischen Impuls das Werk von Heinrich Schütz und seinen Zeitgenossen aufnahm«.113 Im Gegensatz dazu unterliegen das Requiem in h-Moll, op. 22 und die Messe in fis-Moll, op. 60 den musikalischen Einflüssen Beethovens, Liszts und Wagners. Doch »Draeseke, dessen neudeutsches Wagnererlebnis ihn mehr von theoretischer Fun-damentierung wegdrängte, sah die Wagnersche Harmonik als sich auflösende. Diese Sicht, in linearer Stimmführung realisiert, veränderte das Satzbild«.114 Der Komponist kommentiert: »Von dieser Zeit an datiert der Umschwung in meinem künstlerischen Denken und Wollen, und wenn ich irgendjemandem persönlich zu danken habe für die Rückleitung auf den richtigen Weg und zu gesunder künst-lerischer Betätigung, so war dies niemand anders als Richard Wagner«.115

5.1.4 Melodieführung: Lineare Bewegungen

Die folgenden Abhandlungen sollen die linearen Bewegungen der oben genann-ten Formen näher beleuchten, indem die stufenweisen Melodienführungen und die Linie der chromatischen Anbindung aufgezeigt werden. Zu berücksichtigen sind dabei ebenfalls die Intervalle und deren Beziehungsgeflecht. Die Bewegung in den vokalen Stimmen, vor allem im Sopran, erfolgt vielfach stufenweise. Dieses musi-kalische Zeichnen hat Draeseke als Prinzip erhoben. Auch in seinem übrigen Vokalwerk kann man von einem diatonischen Prinzip sprechen. In der aufstei-genden Linie wird eine große Entwicklung gestaltet, die in der absteigenden Darstellung ihre allmähliche Aufhebung erfährt, da es nach einem großen Intervallsprung oder einer kleinen chromatischen Linie zur Entspannung kommt. In

112 Friedbert Streller: Fugen, Kanons und strenger Satz. Die A-cappella-Werke Felix Draesekes. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 289. 113 Ebd., S. 289. 114 Ebd., S. 289. 115 Felix Draeseke: LE, S. 87.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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den beiden ersten Werken verwendet der Komponist chromatische Elemente selten, aber wenn, dann auf unterschiedliche Art und Weise, zum einen in einer reinen Chromatik, zum anderen in einer versteckten chromatischen Linienführung, die mit der behandelten Tonart korrespondiert. Sie stellt eine Mischform dar, die Hauptfunktionen der Tonart oder der Tonarten unterstützt. Im folgenden Beispiel (NB h 55) (Chortenor und -bass) bildet sich mit den tiefen Orchesterbässen von >es< nach >b< eine klare Chromatik aus, die ihren mollaren Charakter beibehält: NB h 55: Dies irae116

Eine versteckte Chromatik findet sich in folgendem Beispiel: NB fis 20: Credo117

In der Großen Messe a-Moll, op. 85 und im Requiem e-Moll, WoO 35 treten auch vereinzelt chromatische Stellen auf, die aber im harmonischen Kontext ihre Grundlage haben: dieser weist auf die Satztechnik Palestrinas hin. Beide Werke sind mit Melodienverläufen als >unerschöpflich strömender Melodie<118 beschrie-ben, mit genauen musikalischen Gesetzen. Bei Palestrina >beschränkt sich das

116 NB h 55: Dies irae, T. 110-113, Chortenor/Chorbass. 117 NB fis 20: Credo/Sopran, T. 388-394. 118 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 434.

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melodische Material auf kleine, große Sekunde und Terz, reine Quarte und Quinte, kleine Sexte (nur in aufwärtsgehender Richtung) und Oktave. Übermäßige und verminderte Intervalle werden ebensowenig wie chromatische Halbtöne verwendet<.119 NB e 14: Dies irae120

Draeseke erweitert den Palestrina-Stil, indem er die genannten Gesetzmäßig-keiten anwendet. Aber seine Handschrift lässt mit dem fallenden Dreiklang zusätzliche interpretatorische Formulierungen und Färbungen zu, die bei neuen Gedanken verwandte oder entfernt musikalische Bereiche einbringen (NB e 14). Auch im NB e 28 wird ein neuer melodischer Tonraum angestrebt. Im Dies irae beginnt das folgende Beispiel mit einer Frage, die von Unsicherheit durchsetzt ist. Daher setzt Draeseke gegentaktig an, eine halbe und zwei ganze Pausen folgen. Die Antwort liegt im Inhalt der Aussage >Rex tremendae majestatis<. Sie ist in einer Anabasis komponiert und endet in einem fallenden Sextensprung.

119 Knud Jeppesen: Art. Palestrina. MGG, Bd. 10. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London. New York. München 1989, Sp. 700. 120 NB e 14: Dies irae/Alt: Tuba mirum spargens, T. 39-48. Kap. 5, S. 128.

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NB e 28: Dies irae121

NB e 29: Domine122

Im NB e 29 wird inhaltlich die Angst der Menschen durch kurze Notenwerte und besonders durch einen Oktavsprung in die Höhe dargestellt. Pausen werden ebenfalls nach der ersten Bitte eingebracht, die die zweite, nicht in die Finsternis zu 121 NB e 28: Dies irae/Sopran, T. 119-125. 122 NB e 29: Domine/Sopran, T. 35-44.

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fallen, noch verstärkt. Langsamere Notenwerte der Katabasis unterstreichen die verhaltene Stimmung. Felix Draeseke schreibt neben melodiösen Erweiterungen im Auf- und Abstieg chromatische, kleine Zwischentöne im oben beschriebenen Sinn. Daher erreicht er eine tonale, hohe Spannung, die im anschließenden diatonischen und auch modulatorischen Ablauf aufgefangen wird. Der Komponist macht sich hier besonders den harmonischen Methodenwechsel zu Eigen. Dabei kommt das linear-melodische Prinzip auf unterschiedlichste Art und Weise zum Tragen: Zunächst steht es im Gegensatz zum musikalischen Gesetz der Gegenbewegung,123 des Weiteren als Bindeglied zum Orchester.124 5.1.5 Einzelne Intervalle Ein weiteres Prinzip der Steigerung besteht in aufwärts gerichteten Oktavsprüngen. Durch einen kurzen Abstieg wird die neue Entwicklung vorbereitet: durch die direkte Oktave nach oben, den Oktavsprung nach unten, die skalisch entwickelte Oktave nach oben und durch den Sprung nach einem kurzen Abstieg. Außer dem Oktavsprung kommt dem Quintintervall eine zentrale Bedeutung zu. Draeseke schreibt den direkten Oktavsprung nach unten mit einer entsprechend melodischen Entwicklung nach oben, oder er geht den umgekehrten Weg: der abwärts gerich-tete Oktavabstand ist tatsächlich musikalischer Neubeginn: der Oktavsprung nach oben steht mitten in der Melodienführung. Er unterbricht den Ablauf und hat hier eine melodisch ritardierende Wirkung. Eine Oktave ist nach unten notiert, imitiert von einer Quinte. Danach erfolgt ein Oktavsprung nach oben, verlangsamt und wiederholt. Draeseke notiert die Oktave dort, wo sie einen musikalischen Effekt hervorruft und damit einen musikalischen Ausdruck in den Singstimmen -besonders im Sopran- unterstreicht.125 Die Melodienführung Draesekes wird in erster Linie von der

123 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 6. 124 »Wahrscheinlich gelingt den Hunderten von Beispielen sogar der Beweis, dass Draeseke einer unserer größten Melodiker gewesen«. In: Ebd., S. 7. 125 In diesen Zusammenhang gehört ebenfalls die Motivik, die eng mit der musikalischen Linienführung verknüpft ist: Motivik, Klangfarbe und Satztechnik sind drei Prinzipien, die mit allen Intervallen und deren musikalischen Besonderheiten in Kapitel 5.1, 5.4 und 5.5 in weitere lineare und vertikale Verbindungen gebracht werden. Folgende Beispiele zeigen Oktavlagen im oben dargestellten Rahmen: op. 22, h-Moll-Requiem: Kyrie: 1. Sopran, T. 88: Dona, Domine!; Dies irae: T. 146: remanebit.; T. 189: pietatis!; T. 223/224: passus: Tantus; T. 270/271: supplicanti; T. 452/453: Deus, huic; Agnus Dei: Sopran, T. 88: eis, et. op. 60, fis-Moll-Messe: Kyrie: Sopran, T. 120/121: eleison!; Gloria: T. 175/176: Christe, Jesu Christe.; Credo: T. 25-29: omnipotentem.; T. 73-76: (ante) omnia saecula.; T. 249-252: Vivos judicare, vivos.; Benedictus: Sopransolo, T. 183-186: In nomine Domini. op. 85, a-Moll-Messe: Kyrie: Sopran, T. 34: eleison; Kyrie: Sopran, T. 59/60: Christe, Christe; Kyrie: Sopran, T. 67: eleison; Credo: Sopran, T. 10-13: patrem;

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Diatonik geleitet. Doch der Oktavsprung im Sopran ist bei Draeseke ein Merkmal, das die Melodie in ihrer substantiellen Entwicklung hervorhebt. Sie trifft für den aufsteigenden wie auch fallenden Oktavsprung zu. In den Beispielen aus op. 22 wirkt der aufsteigende Oktavsprung auf der einen Seite wie eine Bekräftigung (Requiem, Kyrie, T. 88 -eine inständige Bitte-), auf der anderen Seite der fallende Oktavsprung wie eine Feststellung (Dies irae, T. 146- nichts wird ungerächt bleiben-). Im Takt 189 wird eine Aussage gemacht, die feststeht: (pietatis- Quelle der Gnade-). In den Takten 223/224 gibt es einen aufsteigenden Oktavsprung: crucem passus: Tantus labor- an das Kreuz geschlagen: (solcher Preis-). Auch in Takt 270/271: supplicanti (-des Flehenden schone du, o Gott!-) wird die Ausweglosigkeit im fallenden Oktavsprung aus-gedrückt. In Takt 452/453: Deus, huic (-O Gott, diesen schone!-). Bei dieser Bitte wird wieder der aufsteigende Oktavsprung eingesetzt. Eine weitere Verstärkung ist im Agnus Dei zu finden, T. 88: eis, et lux (-ihnen, und das Licht-). In der fis-Moll-Messe op. 60 wirkt der aufsteigende Oktavsprung auf der einen Seite ebenfalls wie eine Bekräftigung: Kyrie, T. 120/121(-eine tiefe Bitte-) auf der anderen Seite der fallende Sprung wie eine Feststellung (Gloria, T. 175/176 (-Christus, Jesus Christus-). Im Credo werden zwei fallende und ein aufsteigender Oktavsprung miteinander verbunden: T. 25-29: omnipotentem (-den allmächtigen Vater-). Es ist ein zentraler Punkt in der Messe erreicht. Dieser wird mit der doppelten Funktion der Oktave unterstrichen. In den Takten 73-77 werden fallen-der und aufsteigender Oktavsprung durch den 1. Sopran gegenübergestellt. Sie sind wie eine musikalische Spiegelung: ante omnia saecula-(vor allen Zeiten-). In den Takten 248-252 -vivos judicare, vivos (-die Lebenden zu richten, die Leben-den-) wird wieder eine Aussage getroffen, zunächst mit fallender, dann mit aufsteigender Oktave. Im Benedictus zeigt das Sopransolo in den Takten 183-186, in wessen Namen gesungen und gebetet wird: In nomine Domini. Das letzte Wort wird in diesem Schluss besonders durch die fallende Oktave hervorgehoben: Sie trägt das allgemeine Bekenntnis: Domini (-Im Namen des Herrn-). op. 85: Ähnlich wie in op. 22 und op. 60 in den vorangegangenen Beispielen verhält sich der Oktavsprung in der a-cappella-Messe. Im Kyrie findet eine Unterstreichung der Bitte statt: Kyrie, Sopran, T. 34: eleison. Eine weitere Oktavsprung-Anrufung ist in den Takten 59/60 zu finden: Christe-Christe. Besonders erkennt man im Credo die Umspielung der Oktave durch die kleine None. Das Wort >patrem< wird betont (Gott Vater). Eine weitere auffällige Stelle ist im Credo zu nennen: Sopran, T. 316: venturi (ein ewiges Leben).

Credo: Sopran, T. 99: descendit de coelis, et incarnatus; Credo: Sopran, T. 119: Crucifixus; Credo: Sopran, T. 275, T. 305, T. 316: venturi; Sanctus: Sopran, T. 11: Sabaoth; Benedictus: Sopran, T. 27: Domini. WoO 35, e-Moll-Requiem: Requiem: Sopran, T. 132: eleison; T. 138/139: Kyrie: Kyrie; Dies irae: Sopran, T. 348: homo; T. 353: parce; Domine Hesu Christe: Sopran, T. 8/9: Gloriae; T. 29/30: de ore; T. 36: absorbeat; T. 196: ejus; Bendictus: Sopran, T. 50: benedictus; Agnus Dei: Sopran, T. 108: es, cum.

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Die aufsteigende Oktave wird mit dem Ton b‘‘ hervorgehoben und verdeutlicht eine außergewöhnliche Lage. Auch im >Sanctus<, Sopran, T. 11: Sabaoth! T. 16: -Pleni sunt coeli- gibt es exponierte Stellen, ebenso im Benedictus, Sopran, T. 27: Domini. Hier wird die Sprache durch den Oktavsprung musikalisch interpretiert. Das Requiem WoO 35 e-Moll zeigt einen aufsteigenden Oktavsprung auf der einen Seite und somit ein Hervorheben des bittenden Gedankens (Requiem, T. 132: eleison (-Herr, erbarme dich-), auf der anderen Seite ist er wie ein Bild: Dies irae, T. 348: judicandus homo (-der zu richtende Mensch-) mit einem fallenden Oktavsprung. Mit einem Oktavsprung in der Folge taucht wieder ein fallendes Intervall auf, T. 353: parce (-diesen also schone-). Auch im Domine Jesu Christe ist das genannte Intervall in allen Stimmen vertreten: Domine-Christe– gloriae fidelium functorum de poenis-. An der Stelle -de ore- (Takte 27-29) wird mit Hilfe der fallenden und aufsteigenden Oktave im Sopran die Verzweiflung der Menschen dargestellt. Diese Haltung ist erst in den Takten 32 und 36 beendet: >de ore< und >absorbeat< (-erlöse sie aus dem Rachen des Löwen- nicht verschlinge sie die Hölle-). Eine weitere Bestätigung durch den aufsteigenden Oktavsprung erkennt man beim >eius< (Takt 196: und seinem Geschlecht/Volk). Im Benedictus -Takt 50: benedictus (-gesegnet sei-) wird durch den aufsteigenden Oktavsprung die nächste Linie im Sopran vorbereitet. Im Agnus Dei unterstreicht die Bestätigung >quia pius es< (weil du heilig bist) das >cum sanctis< (mit den Heiligen). Das Quintintervall zeigt naheliegende lineare Merkmale wie die Oktave mit dem Prinzip der verschiedenen Steigerungsmöglichkeiten. Diese bilden auf der einen Seite Motive mit imitatorischen Mitteln aus, auf der anderen Seite sind sie funktional eingesetzt und leiten die Kadenz ein. Sie sind treibende Elemente für die musikalische Weiterentwicklung.

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NB h 58: Kyrie126

• fis-Moll-Messe: Kyrie, Sopran, T. 114-116: eleison • a-Moll-Messe: Kyrie, Sopran, T. 71- 78 : eleison, Kyrie eleison • e-Moll-Requiem: Kyrie, Sopran, T. 139-141: Kyrie eleison Bei Draeseke gibt es wenig verminderte oder übermäßige Quintabstufungen. Der Tritonus dagegen hält als übermäßiges Intervall mehrere Linien in sich bereit.127 Einmal führt er zur Quinte und treibt den Melodienfluss deutlich vorwärts, oder er tendiert zur Quarte und zeigt seine Funktion im Leitton der erreichten Tonart. Auf kleinstem Raum findet sich auch hier wieder das duale Prinzip:

• h-Moll-Requiem: Dies irae, Tenor, T. 6: irae; T.12, Alt: irae; T. 14, Bass: irae; T. 19, Sopran: irae

• fis-Moll-Messe : Gloria, Sopran, T. 80: Deus rex • a-Moll-Messe : Agnus Dei, Sopran, T. 71: nobis • e-Moll-Requiem: Requiem, Sopran, T. 67: omnis

Oktave und Quinte sind als besonders interpretatorische Stilmittel eingesetzt.

126 NB h 58: Kyrie/ Sopran, T. 152-163. 127 Tritonus: Trennung von übermäßiger Quarte und verminderter Quinte: Problematik der Enharmonik. Beides ist im musikalischen Kontext zu berücksichtigen.

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• h-Moll-Requiem: Dies irae, Alt, T. 6: irae • a-Moll-Messe : Agnus Dei, Sopran, T. 71: nobis

Auch die melodische Gestaltung der großen wie kleinen Sexte zeigt ihre musika-lischen Besonderheiten, indem sie ihre monumentale Kraft in eine bestimmte Richtung lenkt. Der Sextensprung ist der Ausgangspunkt einer Linienführung. Ihre Auflösung erfolgt entweder mitten im Wort oder überbrückt zwei Abschnitte.

• h-Moll-Requiem: Dies irae, Tenor, T. 149/150: miser tunc NB fis 28: Credo128

• a-Moll-Messe : Agnus Dei, Sopran, Bass, Tenor, Sopran, Alt, Bass,

Takte 73, 76, 81(Tenor), 81 (Sopran), 83, 84: pacem • e-Moll-Requiem: Introitus, Sopran, T. 26: et lux

Draeseke bringt große wie kleine Septimensprünge in wenigen Beispielen ein, dafür an herausragenden Stellen:

• h-Moll-Requiem: Kyrie, Sopran, Takte 131, 146, 160: eleison • a-Moll-Messe : Sanctus, Sopran, Takte 35, 50, 58, 63: Osanna

Sowohl das erste als auch das zweite Beispiel zeigt einen Aufstieg, der auf einem Septimensprung nach oben in einem fugalen Kontext basiert. Die Wiederholung der Septime steigert die musikalische Spannung. Nicht zuletzt haben alle genannten Beispiele interpretatorische Wirkungen in Bezug auf ihre Textunterlegungen.129 Dabei spielt die Musikpsychologie eine wesentliche Rolle. »Die Struktur des Ausdrucksthemas oder –motivs ist also das Resultat einer Widerspiegelung der Gestaltsqualität der Ausdrucksbewegung im musikalischen Stoff«.130

128 NB fis 28: Credo/Alt/Tenor: crucifixus, T. 148-152. 129 Das Wort-Ton-Verhältnis wird in der Analyse näher behandelt, mit welchen weiteren Mitteln Draeseke den Text der Messen und der Requiem-Vertonungen deutet (5.2.2, S. 187). 130 Zofia Lissa: Semantische Elemente der Musik. In: Karbusicky, Vladimir (Hrsg.): Sinn und Bedeutung in der Musik. Darmstadt 1990, S. 118.

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5.1.6 Motivik: Themenbehandlung Das Motiv bedeutet nicht nur eine kleinste Einheit von zwei Tönen, sondern deren Erweiterung in höhere und tiefere Lagen, sondern auch variierende Veränder-ungen. So kannn sich eine große Linie entwickeln. Draeseke arbeitet mit Sekund-Motiven aus kleinen und großen Bögen. Demgegenüber stehen Motive mit erwei-terter Terzenbehandlung. Terz und Sekunde gestalten Steigerungsmomente.

h-Moll-Requiem: Dies irae, Tenor, T.5/6: dies irae fis-Moll-Messe : Credo, Solosopran, T. 81-88: Deum de Deo e-Moll-Requiem: Dies irae, Bass I, T. 1-7: Dies irae, dies irae, dies illa

Draeseke bevorzugt teilweise >kurze Wege< mit der Erweiterung einer Sekunde, die einen neuen musikalischen Gedanken beinhaltet. Die entstandene Aufwärts-richtung hat eine verdeckte oder offene Abwärtslinie zur Folge:

h-Moll-Requiem: Kyrie, Sopran, T. 114-118: Kyrie eleison fis-Moll-Messe : Kyrie, Bass,T. 79-85: Kyrie, Kyrie eleison a-Moll-Messe : Gloria, Sopran, T. 142-150: miserere nobis NB e 23: Sanctus131

131 NB e 23: Sanctus/Sopran, T. 1-9. S. 112. Vgl. e 27, Kap. 5, S. 118.

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Kleine und große Terzen im Melodiebogen bilden ebenfalls ein wichtiges Motiv in unterschiedlichen Richtungen. Das Prinzip der Steigerung ist von Draeseke scheinbar nicht direkt beabsichtigt, er hält den Weg zur Spannung zwar aufrecht, der sich im Grundmotiv, bzw. Grundthema entwickelt. Aber in einem Sekundbogen- und Terzschritt zeigt er in eine musikalisch entgegengesetzte Richtung. NB h 61: Kyrie132

a-Moll-Messe : Gloria, Sopran, T. 193-199: Quoniam tu solus sanctus e-Moll-Requiem: Introitus, Sopran,T. 40-41 : Te decet hymnus in Sion • fis-Moll-Messe : Gloria, Sopran, T.107-109 : qui tollis peccata mundi

Ebenfalls ist eine Umkehrung des Motivs denkbar:

fis-Moll-Messe : Credo, Sopran/Alt + Tenor/Bass, T. 157-161: Etiam pro nobis

Tenor und Bass zeigen gegenläufige Sekundschritte und sind aus dem gleichen Tonmaterial von Sopran und Alt gebildet.133 Eine weitere Differenzierung in der Behandlung der Sekund- und Terz-Motivik kann stattfinden, indem der Komponist verschiedene Kombinationen, Schreibweisen, darlegt. Wenn die Terz eine Leittonfunktion aufweist, liegt dort ein Steigerungsprinzip vor und bekräftigt die Motivik, die auf ein kurzes Thema hinweist. »Auffällige Kompositionsmerkmale der Großen Messe sind nicht unbedingt Themengestaltung und -regie, sondern vornehmlich das Reagieren auf die Textsituation, speziell das Hervorheben einzel-ner, manchmal nur kleiner Passagen oder gar einzelner Worte«.134 Wichtig ist das 132 NB h 61: Kyrie/Sopran, T. 61-62. Kap. 5, S. 104. 133 Die Bass-Rolle ist sehr wichtig. Es kann auch der umgekehrte Weg vom Komponisten genommen worden sein: aus dem Bass-Material hat Draeseke den Sopran und die weiteren Stimmen entwickelt. – fis-Moll-Messe: Credo, Sopran+Alt, Tenor + Bass, T. 157-161. 134 Reinhold Dusella: Felix Draesekes Große Messe in fis-Moll op. 60 für Soli, Chor und Orchester. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke- Gesellschaft). Hrsg. von Helmut Loos. Schriften, Bd. 5. Bonn 1994, S. 196. Wenn auch der Verfasser die Bezeichnung >Themengestaltung< für die fis-Moll-Messe einschränkt, so ist nicht auszuschließen, dass im gesamten Kontext einzelne Klein- Themen besonders hervortreten können. Draesekes Biograph Erich Roeder äußert sich zu den Themen in der fis-Moll-Messe: »Oft wird mit ganz wenigen

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Motiv, das die Steigerung als solche in der auf- und absteigenden Bewegung in sich birgt: ein fallendes Sekund-Motiv erscheint, aber es weist durch Sequenzen in die entgegengesetzte Richtung.

• h-Moll-Requiem: Kyrie, Sopran, T. 99-105: luceat eis lux perpetua NB fis 58: Credo135

• fis-Moll-Messe : Credo, Solosopran, T. 59-64: Jesum Christum filium • a-Moll-Messe : Credo, Sopran, T. 239-244: Et unam sanctam catholicam

ecclesiam • e-Moll-Requiem: Dies irae, Sopran, T. 214-219: Ingemisco tanquam reus

Im Sanctus des h-Moll-Requiems schreibt der Komponist Sequenzen, die wie eine Motivarbeit wirken. Das skizzierte Motiv tritt mehrere Male auf, entweder wird es wörtlich wiederholt, oder es erscheint mit Erweiterung als musikalische Besonder-heit. Wenn hohe Töne im Sopran aneinandergereiht werden, so sieht man ein Motiv, das sich in der Basslinie kontrapunktisch spiegelt. Es ist für den Kompo-nisten bezeichnend, solche Hilfsmittel an markanten Stellen der Messe und des Requiems einzusetzen. Messe- und auch Requiemsteile, die in sich eine enge inhaltliche Beziehung zeigen, werden von Draeseke mit ähnlich musikalisch strukturierten Motiven ausgestattet:

h-Moll-Requiem: Sanctus, Bass, T. 32-37: pleni sunt coeli et terra fis-Moll-Messe : Agnus Dei, Sopran, T. 57-64: miserere nobis

Takten das Tiefste offenbart, oft genügt die Form gerade eben, die Größe der Gedanken aufzunehmen. Im gesteigerten Gefüge der Gegensätze stehen Einzelglieder von außerordentlicher Gedrungenheit nebeneinander«. In: Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 246. 135 NB fis 58: Credo, Solosopran, T. 59-64.

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NB a 29: Sanctus/Benedictus136

a-Moll-Messe : Sanctus/Benedictus, Tenor, T. 1-7: Benedictus qui venit in nomine Domini137

e-Moll-Requiem: Dies irae, Sopran, T. 149-154: Recordare Jesu pie

In einem weiteren Beispiel besteht zwischen dem ersten und zweiten Motiv ein Zusammenhang. Die Behandlung des Quart-Motivs spielt hier eine tragende Rolle. Die nach unten gerichtete Quarte steht mit der aufsteigenden Linie und Terzab-schluss in einer musikalischen Führungslinie. Beide Richtungen stellt Draeseke zur Disposition. Bei der Themenbehandlung korrespondieren zwei Ebenen mitein-ander. Der Protagonist versteht den größeren musikalischen Ablauf als Thema, von einer musikalischen äußeren Zäsur abgegrenzt. Es sind zunächst nur diese Gegebenheiten, die in sich ebenfalls eine eigene musikalische Welt darstellen.

• fis-Moll-Messe: Kyrie, Bass, T. 19-24: Kyrie eleison Bei Draeseke gibt es kein Motiv, das allein für die Weiterentwicklung verantwortlich ist. Motive, die sich zum Thema formen, zeigen zwar in sich musikalische Abhängigkeiten, aber sie werden durch eine vielfältige Weiterführung ergänzt. Dabei ist nicht nur das Thema in seiner ganzen Breite tragend, sondern auch seine Kleinst-Motive, die den Satz vorantreiben und zu einem Ganzen zusammensetzend gestalten. Daher stellt diese thematische Splittung weniger ein großes Thema dar, sondern ein Motiv steht als erster Impuls im Vordergrund. Das Thema tritt reduziert

136 NB a 29: Sanctus/Benedictus/Tenor, T. 1-7. 137 »Sein satztechnisches und kontrapunktisches Können ist derart ausgereift, dass ihm spielend die Gestaltung seiner Visionen gelingt, die kongeniale, jeden Teil als Ganzes und doch im kleinsten erfassende a-cappella-Vertonung des gewaltigen lateinischen Textes«. In: Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 435.

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als ein >relatives Thema< auf und deutet auf die kleinste entstandene Einheit hin, die mit ihrer inneren Kraft den musikalischen Bogen entwickelt. So können viele kleinere melodische Abläufe sich in einem großen Fluss befinden und trotzdem eine mehr oder weniger musikalisch tragende Rolle spielen.

• h-Moll-Requiem: Kyrie, Soli, T. 61-69 : Te decet hymnus Deus Sion et tibi reddetur votum in Jerusalem • fis-Moll-Messe : Gloria, Chöre, T. 52-71 : Gratias agimus tibi, propter

magnam gloriam tuam

• a-Moll-Messe : Credo, Sopran, T. 231-237: Qui locutus est per prophetas NB e 31: Domine Jesu Christe138

Im Gegensatz zu den obigen Beispielen zeigen die ersten Takte des Glorias und Credos eine Form, die durch die Textverteilung bedingt ist. In allen vier Werken ist die Aufteilung ähnlich aufgebaut. Weitere kurzgefasste Themen, wie die Themen des Kyrie in der a-Moll Messe und im e-Moll Requiem, stehen für sich. Sie sind in einen größeren musikalischen Rahmen eingebettet.

• a-Moll-Messe : Kyrie, Tenor, T. 1-4: Kyrie eleison • e-Moll-Requiem: Introitus, Bass I, T. 2-5: Requiem aeternam dona eis

138 NB e 31: Domine Jesu Christe/Sopran, T. 128-137.

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Es gibt ebenfalls Themen, die im obigen Sinn nicht immer gleich zu erkennen sind. Sie sind umfangreicher gestaltet -melodisch ausgeweitet- mit Vorder- und Nach- satz. Sie werden durch eine musikalisch erweiterte Folge von Sequenzen in einer klassischen Weise mit progressivem Synthese-Charakter behandelt.139

• h-Moll-Requiem: Agnus Dei, Sopran, T. 23-30: qui tollis peccata mundi • fis-Moll-Messe : Credo, Bass, T. 424-428: Et vitam venturi saeculi140 • a-Moll-Messe : Kyrie, Soprane, T. 23-25: Christe eleison • e-Moll-Requiem: Introitus, Tenor, T. 31-39: Te decet hymnus

Was für Felix Draeseke immer wieder wichtig ist, ist das Prinzip des Gegensätz-lichen, und große wie kleine Sprünge haben sekundmäßige Intervalle zur Folge. Ganze Passagen von diatonischen Abläufen werden in den verschiedensten Rich- tungen frei formuliert. Die Themenverarbeitung geschieht unmittelbar nach der Formulierung des Grundgedankens (z. B. Auftakt u.a.), in dessen musikalischer Ausweitung mit weitreichenden Mitteln. Der Bewegungsimpuls bringt die Verarbei-tung des Themas in Schwung. Es besteht nicht nur aus den oben beschriebenen aktiven Tönen, sondern auch aus Passagen mit passivem Charakter. Diese Töne bekommen erst zu einem späteren Zeitpunkt ihre angemessene Rolle. Daraus entsteht entsprechend wieder eine musikalische Aktion.141 Die anderen Parameter wirken zusätzlich aufeinander und unterstreichen die thematische Vielfalt. Die Fugenanlagen Draesekes sind in den meisten Fällen zweiteilig, entweder besteht ein Motiv mit einer Folge von Sequenzen, oder ein Auf- und Abgesang. Sprünge und Linearität wechseln sich in der Melodik ab. Es kann auch der Abgesang nach unten einen Aufgesang nach sich ziehen. Draeseke zeigt ebenfalls Fugen, die beide Partien im Auf- und Abgesang in derselben Richtung vorweisen, zum einen beginnend durch ein Sprungintervall nach oben, zum anderen durch eine nach oben gerichtete Melodik in Sekundschritten. Vergleiche der Fugen haben in ihrer Bewegungsrichtung, ihrem Melodieverlauf, folgendes Motiv- und Themen-konzept ergeben: • Skalen in verschiedene Richtungen • Sprünge • Umkehrungen • Sequenzen, Imitationen • Modulationen • Harmonik • Berücksichtigung des Textes • Dynamik + Rhythmik • Homophonie + Polyphonie142 139 Diese Themen erinnern in ihrer satztechnischen Ausführung an ein klassisches Sonatenthema. 140 fis-Moll-Messe: Credo/Bass, T. 424-428; >Amen< als Nachsatz, T. 468-478. 141 Hier werden sehr unterschiedlich musikalische Bewegungen in den einzelnen Messen vorgestellt. 142 Die Reihenfolge der genannten Punkte ist beliebig austauschbar; alle Parameter hängen unmittelbar miteinander zusammen und zeigen musikalische Abhängigkeitsverhältnisse.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

167

5.1.7 Zusammenfassung In der Melodik der vier Messen Draesekes zeigen folgende Kriterien durch differenzierte Stilmittel ihre Wirkung: Entstehung

1865-1880

1890-1891 1908-1909 1909-1910

Kriterien Melodik

Requiem h-Moll

Messe fis-Moll

Messe a-Moll

Requiem e-Moll

Differenz. Stilmittel

Ausgewählte Beispiele

Kleine Linien und Bögen

kleinste Bausteine

kleinste Bausteine

kleinste Bausteine

kleinste Bausteine

Anspanng. Entspanng. Melodik: variiert

NB h12:Dies Irae T. 5-8 S. 112 NB e2: Requiem: Requiem aeternam T. 3-5 S. 114

Große Linien und Bögen

Aufstiege Abstiege große Bögen

Melodiener-weiterung

Melodiener-weiterung

Relativ kurzer Abgesang kleine und große Bögen

Methoden- wechsel: Prinzip des Intensitäts- wechsels

NB fis 6: Gloria Laudamus T. 41-48 S. 123 NB e21: Domine: Hostias et preces T. 128-137 S. 126

Innere Abhängig-keit großer und kleiner Linien

große und kleine Linienfüh-rungen Prinzip der Steigerung

große und kleine Linienfüh-rungen Prinzip der Steigerung

große und kleine Linienfüh-rungen Prinzip der Steigerung

große und kleine Linienfüh-rungen Prinzip der Steigerung

Abwechslg. in der Kolo- rierung Farbigkeit: 4 Solo-stimmen, Chor und Orchester in h-Moll Chor, Soli und Orchester

NB h 53: Kyrie Kyrie eleison T. 166-172 S. 146 NB fis21: Gloria: Gratias agimus T. 56-71 S. 148

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 168

in fis-Moll gemisch- ter Chor

NB fis24: Credo: sedet ad dexteram T. 224-229 S. 150 NB a 16: Agnus Dei T. 43-47 S. 132 NB e 14: Dies irae: Tuba T. 39-48 S. 128, S. 154

Lineare Bewegungen

Drei- und Vierton- motive

Themen-verarbei-tung: Vier- und Fünf-teiligkeiten

Themen-verarbei-tung: Vier- und Fünf-teiligkeiten

Entwick-lungspro-zesse kleiner und großer Linien

musikal. Ansprüche gleichstark verteilt, da- mit verbun-den großer Tonumfang

NB fis20: Credo: et unam sanctam T. 388-394 S. 153 NB e29: Domine T. 35-44 S. 155

Einzelne Intervalle

Oktave Quinte

Oktave Quinte

Oktave Quinte

Oktave Quinte

Melodien-idee und Bewegung Richtungs- abläufe

op. 85: Kyrie: Kyrie eleison T. 71-78 S. 159 WoO 35 e-Moll: Re-quiem: eleison T. 139-141 S. 159 NB h58: Kyrie eleison T.152-163 S. 159

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

169

NB fis28: Credo: Crucifixus T. 148-152 S. 160

Themenbe-handlung

Motiv Thema Sequenz Imitation

Motiv Varia-tionen Sequenz

Motiv Themener-weiterung

Kadenzen: geschlos-sene und offene Formen

Homopho- nie und Polyphonie als Form- verläufe

NB e23: Sanctus T. 1-9 S. 126, S. 161 NB e31: Domine: Hostias T. 128-137 S. 165 NB h 61: Kyrie T. 61-69 S. 104, S. 162 NB fis 58: Credo T. 59-64 S. 163

5.2 Musikalische und sprachliche Rhythmik »Das Rhythmische ist nicht abtrennbar aus dem Gesamtmusikalischen, als ob dieses zusammengesetzt wäre aus sogenannten Faktoren oder Elementen. Diese sind vielmehr nachträglich durch Reflexion aus einem Ganzen herausgelöst worden. Melodie, Harmonie und Rhythmus, die traditionell als solche Elemente gelten, sind Sonderwirkungen oder -erscheinungsformen des Musikalischen, in dem sie ungetrennt versammelt sind und zusammenwirken«.143

143 Walter Dürr/ Walter Gerstenberg: Art. Rhythmus, Metrum, Takt. In: MGG, Bd. 11. Kassel. Basel. London. Paris. New York. München 1989, Sp. 383.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 170

Rhythmus und Sprache können nicht voneinander getrennt werden. Die Sprache gibt hier den ersten Anstoß für verschiedene rhythmische Formen. Es gelten im Messe- und Requiemstext die gleichen sprachlichen wie rhythmischen Regeln. Draeseke zeigt in seinen Messen neben seiner sprachlich-musikalischen Rhythmik auch divergierende sprachliche Ansätze. In seinen beiden späten A-cappella-Werken, der a-Moll-Messe und dem e-Moll-Requiem, wird die musikalische Sprach-behandlung noch weiter auf den Text bezogen. Die beiden frühen Werke haben -bedingt durch die Satzkonzeption- ihren teilweise sinfonischen Charakter in den Sprachduktus geführt. Von daher ergeben sich unterschiedliche musikalisch-sprachliche Besonderheiten. Die Sprache hat dann ihren eigenen Rhythmus und der musikalische Ablauf ebenfalls. Draeseke lehnt sich auf der einen Seite an die Klassiker an, indem er ihre Gesetzmäßigkeiten respektiert und über weite Strecken einsetzt. Auf der anderen Seite verbindet er musikalisch-rhythmische Linien-führungen, die er mit einer elementaren und bemerkenswert einfachen Rhythmik ausstattet. Die Solo- und Chorstimmen sind vorwiegend in Vierteln und Halben notiert. Kleinere Notenwerte werden von den größeren regelmäßig abgelöst. Der Komponist verfolgt die Sprache genau144 und leitet nicht nur Punktierungen ab, sondern auch deren rhythmische Erweiterungen und Synkopen. Er setzt sie neben das Mittel der Deklamation. »Jeder musikalische Bewegungsverlauf ist zugleich geformt, gestalthaft ist in ihm ein Sinngehalt in eigentümlich immaterieller Sphäre objektiviert. In den Klängen versinnlicht sich der Bewegungsimpuls ähnlich, wie sich die Außenfläche des Rhythmus in den Zeitdauer- und Betonungsverhältnissen darstellt«.145 5.2.1 Musikalische Rhythmik In Draesekes vier Messen gibt es bestimmte rhythmische Erweiterungen, die für seine Schreibweise bezeichnend sind. Er nutzt die erste und oft auch die zweite Zählzeit eines Taktes für eine Verlängerung durch halbe Noten. Danach schreibt er entweder Viertel oder aber vereinzelt Punktierungen der nachfolgenden Viertel. Die daraus entstandene Achtelbewegung zeigt auf eine unbetonte Zeit. Anders ist es bei Achteln, die selbst punktiert werden. Sie erscheinen auf der ersten und dritten Zählzeit in einem Vierertakt und auf der ersten und auch zweiten Zählzeit in einem Dreiertakt. Beispiele mit diesen letztgenannten Merkmalen finden sich punktuell in den vier Messen:

• h-Moll-Requiem: Kyrie, T. 103-109 : luceat eis • h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 167-170: Rex tremendae majestatis

144 In den meisten Fällen zeigen Sprachrhythmus und musikalischer Rhythmus eine Einheit. Es gibt daneben divergierende Besonderheiten (5.2.2), (5.6.1). 145 Walter Dürr/Walter Gerstenberg: Art. Rhythmus, Metrum, Takt. In: MGG, Bd. 11. Kassel. Basel. London. Paris. New York. München 1989, Sp. 385.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

171

• h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 261-265: Ingemisco tanquam reus • h-Moll-Requiem: Dies irae / Lacrimosa, T. 409-416: Lacrimosa dies

illa, qua resurget ex favilla • fis-Moll-Messe : Gloria, T. 20-22 : bonae voluntatis • fis-Moll-Messe : Gloria, T. 94-98 : Jesu Christe, Domine Deus

agnus Dei • fis-Moll-Messe : Gloria, T. 144-147 : qui sedes ad dexteram patris • fis-Moll-Messe : Sanctus / Benedictus, T. 149-151: qui venit in nomine

Domini

• a-Moll-Messe : Gloria, T. 1-4 : gloria in excelsis • a-Moll-Messe : Gloria, T. 51-53 : Glorificamus te • a-Moll-Messe : Gloria, T. 204-211 : tu solus altissimus Jesu Christe • a-Moll-Messe : Credo, T. 273-285 : Et vitam venturi saeculi

• e-Moll-Requiem: Introitus, T. 74-79 : Requiem aeternam dona eis • e-Moll-Requiem: Dies irae, T. 46-53 : Tuba mirum spargens sonum • e-Moll-Requiem: Domine Jesu Christe, T. 9-19, 1. Bass: Libera animas omnium • e-Moll-Requiem: Domine Jesu Christe, T. 33-38: ne absorbeat eas tartarus

Es hat sich gezeigt, dass die Punktierungen eine herausragende Stellung innerhalb des musikalischen Kontextes ausfüllen. Sie besitzen eine so große Schwerpunkt-kraft, dass das musikalische Geschehen in seiner Linienführung erweiternd angestrebt wird. Draeseke macht in den Gloria-, sowie Credosätzen des h-Moll-Requiems und der fis-Moll-Messe davon mehrfach Gebrauch. In den beiden A-cappella-Werken sind starke Rhythmisierungen eher selten. »In der Fülle der innermusikalischen Beziehungen äußert sich eine eigentümlich flutende Bewe-gungsdynamik, in welcher der romantische Grund dieser Kunst erkennbar wird. Die regulären Taktqualitäten sind oft genug nur der umrisshafte Rahmen einer Musik, die ihr rhythmisches Leben nach eigenem Gesetz entfaltet und interpretiert«.146 Einzelne Melodienentwicklungen zeigen gegen Ende ihrer Zeile rythmische Erwei-terungen, die einen Satz oder auch nur ein Wort durch einen mehr oder weniger ausgebreiteten Rhythmus betonen. Besonders fällt dieses Phänomen in den A- 146 MGG, Bd. 11, Sp. 414.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 172

cappella-Werken auf. Am Schluss des Introitus (e-Moll-Requiem) fasst der Komponist noch einmal Kyrie eleison zusammen, indem er die dynamischen Zeichen vom ff bis zum p zur vorherigen Dynamik deutlich absetzen lässt. Bei die- ser Erweiterung helfen zusätzlich die abwärts gerichteten Oktavsprünge im Sopran und im 2. Bass. Der Rhythmus bleibt im gewohnten Bild.147 Das >Amen< des Dies irae wird in Es-Dur, B-Dur, g-Moll-Bereich musiziert. Draeseke geht von einem g-Moll-Quartsextakkord über in einen D-Dur-Schlussakkord. Mit diesem Schluss er- öffnet er die Möglichkeit der überraschenden, tonartlichen Erweiterung.148 Zum Ende des Domine Jesu Christe beschreibt er etwas zurückhaltend/ein wenig breiter. Mit dieser dynamischen und tempomäßigen Angabe erreicht der Komponist eine zwölftaktige Zusammenfassung, die der Fugenaussage in ihrer Breite angemessen ist.149 Am Schluss des Sanctus kann nicht von einer direkten Erweiterung gesprochen werden, sondern von einer kurzen, klaren Schlusskadenz, die im drittletzten Takt tempomäßig abgesetzt drängend erklingen soll und von daher nur mit Einschränkung erweiternd wirkt.150 Im Agnus Dei beginnt die rhythmische Erweiterung schon früh. Der Komponist mischt zwei Sprachzeilen und hebt einzelne Stimmen hervor. Die rhythmische Erweiterung findet fugenmäßig bei >cum sanctis tuis in aeternum< und in der letzten Zeile >quia pius es< statt. Draeseke fasst dabei zum Schluss die fünf Stimmen kontrastreich zusammen und formt eine Kadenz in E-Dur.151 Im Gloria der a-Moll-Messe erweitert Draeseke das Thema mit übergebundenen Vierteln und Achteln, sowie Punktierungen. Dabei werden unterschiedliche Zeiten in den einzelnen Stimmen im ¾-Takt betont: die eins und die zwei. Erst in den letzten drei Takten wird die erweiterte Punktierung aufgegeben und der Satz direkt beendet.152 Eine völlig entgegengesetzte musikalische Erweiterung findet zum Ende des Sanctus statt. Dort wird eine Verlängerung durch Notenwerte gefordert. Draeseke setzt 22 Takte an, um die lebhafte Osanna-Fuge in breiten Akkorden ausklingen zu lassen.153 Im Agnus Dei wird die Drei-Themen-Fuge fast bis zum Schluss durchgeführt. Die vier Stimmen treffen sich nacheinander in der letzten Zeile mit der Bitte >dona nobis pacem<, wobei das Wort >pacem< mehrmals wiederholt wird. Eine beruhigende Zusammenführung deklariert Draeseke mit den Worten >mehr und mehr zurückhaltend<. Er differenziert in der Dynamik und wenig später auch im Tempo. Die rhythmisch breitere Auslegung soll das Wort >pacem< im p und pp hervorheben.154 147 Felix Draeseke: Requiem e-Moll WoO 35: Introitus, T. 136-141. 148 Felix Draeseke: Ebd.: Dies irae, T. 367-373. 149 Felix Draeseke: Ebd.: Domine Jesu Christe, T. 196-207. 150 Felix Draeseke: Ebd.: Sanctus, T. 96-101. 151 Felix Draeseke: Ebd.: Agnus Dei, T. 92-117. 152 Felix Draeseke: Messe in a-Moll op. 85: Gloria, T. 239-258. 153 Felix Draeseke: Ebd.: Sanctus, T. 77-98. 154 Felix Draeseke: Ebd.: Agnus Dei, T. 117-130.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Ähnliche Strukturen, meist eine Verlängerung der Notenwerte, sind in der fis-Moll-Messe und im h-Moll-Requiem ebenfalls enthalten:

• fis-Moll-Messe: Kyrie, T. 121-127: Kyrie eleison • fis-Moll-Messe: Gloria, T. 276-291: Amen! Gloria in excelsis Deo • fis-Moll-Messe: Credo, T. 468-478: Amen • fis-Moll-Messe: Benedictus, T. 179-187: Benedictus, qui venit in nomine

Domini • h-Moll-Requiem: Kyrie, T. 166-173: Kyrie eleison • h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 483-493: Amen • h-Moll-Requiem: Domine Jesu Christe, T. 261-287: quam olim Abrahae

promisisti • h-Moll-Requiem: Agnus Dei, T. 139-148: cum sanctis tuis in aeternum,

quia pius es Innerhalb einzelner Linienführungen sind rhythmische Erweiterungen vorhanden, die die Linie unterstützen und sich entwickeln lassen.155 »Das große Gebiet der Klangsymbolik umfasst (…)die unzähligen rhythmischen Symbole«.156 Die rhythmische Spannung steht mit der melodischen und anderen Parametern in Beziehung. Sie gilt ebenso für die Synkope, die Draeseke in seinen Kompo-sitionen anwendet. Er setzt sie bei vorwiegend polyphonen Strukturen in Form von Vorhalten oder direkt als verschobenen Taktschwerpunkt ein: h-Moll-Requiem: Domine Jesu Christe, T. 41-53 ff.: libera eas de ore leonis; fis-Moll-Messe: Credo, T. 9-15: Credo in unum Deum; a-Moll-Messe: Agnus Dei, T. 1-11: Agnus Dei; e-Moll-Requiem: Agnus Dei, T. 83-86: Et lux perpetua luceat eis. Im letzten Beispiel ist die Synkope als spannungsgeladenes Mittel eingesetzt, um dem fünfstimmigen Satz Note gegen Note einen besonderen musikalischen Schwerpunkt zuzuordnen. »Im 19. Jahrhundert kam der Einsatz der Synkope und anderer Mittel dem wachsenden Streben nach rhythmischer Differenzierung und Irritation ent-gegen«.157

155 In diesen Beispielen hat Draeseke mehr Wert auf die Schlüsse einzelner Sätze gelegt. 156 Arnold Schering: Symbol in der Musik. In: Karbusicky, Vladimir: Sinn und Bedeutung in der Musik. Darmstadt 1990, S. 42. 157 Clemens Kühn: Art. Synkope. In: Das große Lexikon der Musik. Hrsg. Honegger/Massenkeil. Basel. Wien. Freiburg 1982, S. 66f.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 174

5.2.2 SprachlicheRhythmik/ Wort-Ton-Verhältnis/ Deklamationsverfahren In Draesekes vier Messen finden sich unterschiedliche Vorgehensweisen in der Ausführung der Deklamation: • in der musikalischen Diktion der regelmäßigen, metrischen Betonungsstruktur • in der musikalischen Diktion der Melodik, Rhythmik, Harmonik mit eigenen

aussagekräftigen Schwerpunkten • im einzelnen Wort mit seinen Akzenten • im ganzen Satz mit seinen musikalischen Intentionen

im Inhalt der Aussage, die die Rolle der Vermittlung bereithält »Unter musikalischer Deklamation im engeren Sinn versteht man einen Teil der Prosodie, des Verhältnisses zwischen Ton und Wort. Richtige oder falsche Beto- nung der Wörter mit Hilfe der Elemente der Musik, des Rhythmus und der Dias-temie, des Höhenunterschiedes«.158 Beide Bereiche, Wort und Ton, müssen auf solch eine Weise zusammengeführt werden, sodass aus beiden ein gutes, musikalisches Miteinander geschaffen werden kann. Draeseke bearbeitet den vorliegenden Text, der auf der einen eine eigene musikalische Welt darstellt, auf der anderen Seite spielt der Vokalstil und/ oder Kompositionsstil seiner Zeit eine nicht unerhebliche Rolle. Der Komponist setzt daher alle Mittel, die ihm bei der musikalischen Arbeit zur Verfügung stehen, ein. Er muss sich die Ausgewogenheit als oberstes Ziel setzen, nämlich die ursächlichen Textgegebenheiten und die Strömungen seiner Zeit miteinander zu verbinden. Beide Bereiche sind von ihrem Ursprung her zwar Gegensätze, die aber immer wieder ein Anpassen erfahren müssen. Einmal steht die Melodik im Vordergrund, zum anderen der Text oder umgekehrt, je nachdem, wie sich der musikalische Fluss entwickelt. Die Form, Satztechnik und Stilistik ergeben den Wechsel in der Musik, Melos und Intonation zeigen einen bildhaften Inhalt. Die »Intonationen entstehen im stetigen klanglichen Zusammenhang mit poetischen Bildern und Ideen, mit konkreten Empfindungen (visueller oder kinästhetisch-motorischer Art) oder mit dem Ausdruck von Affekten und verschiedenen emotio-nalen Verhaltensweisen, d.h. in wechselseitiger Verknüpfung«.159 Draeseke entwickelt seine Thematik aus freien Motiven heraus. Von daher scheint das Verhältnis von Wort und Ton ein günstigeres als ein Beispiel aus der Klassik zu

158 Hans Engel: Art. Deklamation. In: MGG, Bd. 3. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London. München 1989, S. 103. 159 Boris Vladimirovic Assafjew: Intonation-Symbolik-Semantik. In: Karbusicky, Vladimir (Hrsg.): Sinn und Bedeutung in der Musik. Darmstadt 1990, S. 48.

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sein. Wurde in jener Zeit auf Wiederholungsformen und Symmetrie in Dichtung und Musik größten Wert gelegt, so hat sich die Romantik den Prosatexten vermehrt geöffnet. Die Umsetzung in Musik ist dann nur bedingt durch Formen der Melodieanlage eingegrenzt. Die Deklamation kann variabel gestaltet werden. Sie ist ein Mittel, um die Melodienentwicklung in ihren diastemischen Möglichkeiten weiter auszubauen und darauf zu achten, dass die Melodie mit dem Text eine gemeinsam sprachlich-musikalische Basis bildet. Der Komponist gestaltet die liturgische Textvorlage nach ihren Bedeutungsgehalten. In seinem h-Moll-Requiem und in seiner fis-Moll-Messe geht er in der Deklamation meist syllabisch vor. Dabei kommen ihm die kurzen Worte wie >Kyrie< und >Gloria< in der Verarbeitung entgegen. Allerdings gibt es auch dort musikalische Erweiterungen, die er mit kleineren Melismen ausstattet. Größere finden sich dagegen in den Fugen und satztechnisch verwandten kontrapunktischen Formen. In beiden Werken mischt der Komponist seinen deklamatorischen Stil, indem er die Verteilung der Silben und den erweiterten Melodienfluss so koordiniert, dass beide Strategien ihren musikalischen Platz finden und vertreten. »Die Vertonung des Offertoriums (im h-Moll-Requiem) zeigt, dass es Draeseke nicht einfach um das kunstfertige Darstellen verschiedener Techniken geht, sondern vielmehr um die Vermittlung zwischen älteren Traditionen und den entwickelten Möglichkeiten der Neudeut-schen Schule«.160 Hat Draeseke in diesen Werken seinen sinfonischen Mischstil gezeigt, so wendet er in den A-cappella-Werken eine andere musikalische Strategie an. Er ist verstärkt ein Verfechter der altklassischen Gesetze und wendet sein musikalisches Können dem Cäcilianismus zu. Palestrina hat für ihn kompositorische Vorbildfunktion. Die Erweiterung des melodischen Prinzips und der Silbenanordnung sind meist mit einer ausgewogenen Verteilung versehen: hinzu kommt noch die Akzentuierung. Sie stellt die Betonung einzelner Worte oder einzelner Sinngebungen dar, auch mit Unterstützung übriger Parameter und speziell dynamischer Vorschriften. Besonders wird in den beiden A-cappella-Werken der relativ kurze melodische Aufstieg von einem ausgebauten und erweiterten Abstieg beantwortet oder ergänzt. Das hängt teilweise mit den Worten und mit der musikalischen Ergänzung als Stilmittel zusammen. Der Komponist stellt musikalische Erweiterungen, vor allem im polyphonen Bereich, dar. Auch die fis-Moll-Messe und das h-Moll-Requiem unterliegen dem polyphonen wie homophonen Duktus. So bilden auf der anderen Seite auch in der fis-Moll-Messe und im h-Moll-Requiem die vier-, fünf- und mehrstimmigen, homophonen Passagen mit Hilfe der Syllabik eine inhaltlich-macht-volle Aussagekraft, die vom Text in erster Linie gesteuert werden:

• a-Moll-Messe: Gloria, T. 18-27: Et in terra pax • a-Moll-Messe: Gloria, T. 80-92: Rex coelestis, pater omnipotens

160 Peter Andraschke: Felix Draesekes Requiem op. 22. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke. Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 164.

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• a-Moll-Messe: Credo, T. 1-13: Credo in unum Deum • a-Moll-Messe: Sanctus, T. 1-13: Sanctus Dominus Deus, Sabaoth

• e-Moll-Requiem: Dies irae, T. 132- 147: Salva me fons pietatis • e-Moll-Requiem: Dies irae, T. 294-302: Confutatis maledictis, flammis

acribus addictis • e-Moll-Requiem: Domine Jesu Christe, T. 128-137: Hostias preces tibi

Domine, laudis offerimus • e-Moll-Requiem: Benedictus, T. 1-12: Benedictus, qui venit in nomine

Domini • fis-Moll-Messe: Kyrie, T. 5-18: Kyrie eleison • fis-Moll-Messe: Gloria, T. 2-12: Gloria in excelsis Deo • fis-Moll-Messe: Gloria, T. 144-152: Qui sedes ad dexteram patris • fis-Moll-Messe: Credo, T. 128-136: Et incarnatus est de spiritu sancto

ex Maria virgine

• h-Moll-Requiem: Kyrie, T. 90-100: Et lux perpetua luceat eis • h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 39-47: quantus tremor est futurus • h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 328-339: Inter oves locum praesta et ab

hoedis me sequestra • h-Moll-Requiem: Agnus Dei, T. 2-13: Agnus Dei, qui tollis peccata mundi

Neben diesen chormäßig homophon angelegten Deklamationen finden sich auch unisone und rezitativische Stellen.161 Durch rhythmische Erweiterungen gewinnt der melodische Verlauf zusätzlich, indem er im gemeinsamen Wechsel unterschied-lichste Wirkungen erzielt. Hier wird die Deklamation von der erweiterten Form her beeinflusst. Draeseke benutzt dazu ebenfalls Melismen, die er verstärkt bei Wort- und Satzbetonungen einsetzt. Einzelne Worte, die für den Komponisten wichtig erscheinen, haben eigene Betonungsgesetze. So können drei verschiedene Gründe für einen Schwerpunkt im Wort enthalten sein: • in der ursächlichen Betonung durch den Akzent • in der Höhe des Randtones • in der melismatischen Erweiterung der einzelnen Silbe In allen vier Werken gibt es Stellen, die in etlichen Fällen den Akzent mit der Betonung der ersten Silbe auf der Zählzeit 1, 2 oder sogar 3 in einem ¾- und die

161 Verschiedene Deklamationen werden auf S. 174, S. 270 in unterschiedlichen Beispielen beschrieben.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Zählzeit 4 in einem 4/4-Takt besonders herausheben. Es entstehen dabei richtige und auch falsche Betonungen:

• h-Moll-Requiem: Kyrie, T. 33-40: Et lux, et lux perpetua luceat eis • h-Moll-Requiem: Kyrie, T. 69-73: Requiem aeternam dona eis • h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 39-47: quantus tremor est futurus • h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 107-113: Mors stupebit et natura cum

resurget creatura judicanti responsura

• fis-Moll-Messe: Gloria, T. 2-12: Gloria in excelsis Deo • fis-Moll-Messe: Gloria, T. 41-46: Laudamus te, benedicimus te • fis-Moll-Messe: Gloria, T. 256-262: Cum sancto spiritu in gloria Dei patris • fis-Moll-Messe: Credo, T. 9-15: Credo in unum Deum

• a-Moll-Messe: Kyrie, T. 1-7, Tenor: Kyrie eleison • a-Moll-Messe: Gloria, T. 41-50: Laudamus te, benedicamus te,

adoramus te • a-Moll-Messe: Gloria, T. 80-92: Rex coelestis • a-Moll-Messe: Sanctus, T. 15-25: Pleni sunt coeli et terra

• e-Moll-Requiem: Introitus, T. 61-65: Exaudi orationem meam • e-Moll-Requiem: Dies irae, T. 113-117: quem patronum rogaturus,

cum vix justus • e-Moll-Requiem: Dies irae, T. 252-258: Preces meae non sunt dignae • e-Moll-Requiem: Domine Jesu Christe, T. 1-9, Tenor: Domine Jesu

In den genannten Beispielen kommt es häufig zu entgegengesetzten Betonungen: Der melodische Schwerpunkt stimmt nicht mit dem des Textes überein. Randtöne, die eigentlich hervortreten sollen, werden mit einer unbetonten Sprachsilbe verse-hen. Ursprüngliche Schwerpunkte im Dreier-, bzw. Vierertakt werden vom Kompo-nisten in diesen Fällen nicht berücksichtigt.162 Es gilt einzuwenden, dass nicht immer der metrische Einfluss über dem des Melodischen steht, von daher wird eine gewisse Arhythmik der Sprachbehandlung durch die Melodik wieder aufgefangen und umgekehrt. Sprache und Musik, Wort und Ton, stellen in dem musikalischen Augenblick zwei Welten dar, die, jede für sich, eine geistige Selbstständigkeit einbringt. Wort- und Satz-Profil oder Kontur eines Klanggefüges bezeichnet das ganze musikalische Stück, im Gegensatz zum melodischen Duktus. »Die Kontur -sie mag sich in einer einfachen melodischen Linie oder in einer Reihe beliebiger Soloaktionen abzeichnen- ist immer die stärkste der formprägenden Kompo-nenten. Soviel Kontur eine Komposition aufzuweisen hat, soviel Profil besitzt sie auch. Typische Formen der Materialstruktur, wie diejenigen können aber bei der Profilierung eines Formganzen insofern konstitutiv sein, als die das tragende

162 Die Frage stellt sich: Hat Draeseke diese sprachlich großzügige Behandlung ganz bewusst eingesetzt?

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 178

Fundament bilden, von dem sich die charakteristischen Merkmale der Kontur mehr oder weniger deutlich abheben«.163

Sprache ist eine Form der Mitteilung, die sich aus Klängen und phonetischen Elementen zusammensetzt. Eine Bedeutung liegt im Text, die Musik zeigt dagegen ein Gefüge, eine Schichtung von Klängen, die in erster Linie nur sich selbst genügen. In ihrer Vielschichtigkeit treffen sich Sinn und Klang im Klangmaximum und in dessen Auslegung für das Ganze. Die Sprache ist hier nicht zweckfrei eingesetzt, sondern im Gegensatz zu ihr erhebt der musikalische Vorgang mit der Sprache den Anspruch von Kontemplation seelischer Kräfte des Rezipienten. Die Anordnung der Sprache und die Bewegungsrichtung gehen dabei eine Symbiose ein, indem sie musikalisch agieren und somit eine höher interpretierende Wirkung erreichen.164 Die Schwerpunkte in einem Satz lassen sich wie folgt beschreiben:

• durch Repetieren einzelner Worte • durch melodische Höhenunterschiede • durch eine erweiterte Melodik • durch Wiederholung bestimmter Sätze

Draeseke versucht in den vorliegenden Werken die genannten musikalisch-sprach-lichen Prinzipien einzusetzen, die den Text erläutern. In den meisten Fällen gelingt auch diese musikalische Symbiose. So werden in den folgenden Beispielen besondere Wörter am Ende eines Satzes betont. Hier fallen Melodik und Metrik in einem, zwei oder mehreren Worten zusammen:

• h-Moll-Requiem: Kyrie, T. 96-100: Lux perpetua luceat eis • h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 29-33: teste David cum Sybilla • h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 153-156: Quem patronum rogaturus • h-Moll-Requiem: Domine Jesu Christe, T. 222-224: Quam olim Abrahae

promisisti • fis-Moll-Messe: Gloria, T. 84-90: Deus pater omnipotens • fis-Moll-Messe: Gloria, T. 159-165: Quoniam tu solus sanctus • fis-Moll-Messe: Credo, T. 106-113: per quem omnia facta sunt • fis-Moll-Messe: Credo, T. 205-208: Et resurrexit, resurrexit • a-Moll-Messe: Credo, T. 170-177: judicare vivos et mortuos • a-Moll-Messe: Credo, T. 199-202: non erit finis

163 R. Murray Schafer: Das neue Buch vom Singen und Sagen. Hrsg. von Franz Blasl. Wien 1972, S. 46. 164 Peter W. Schatt: Klang und Farbe. In: Musik und Bildung. April-Juni 2004, S. 41.

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• a-Moll-Messe: Benedictus, T. 1-7: Benedictus, qui venit in nomine Domini • a-Moll-Messe: Agnus Dei, T. 9-18: Agnus Dei, qui tollis peccata mundi • e-Moll-Requiem: Introitus, T. 33-38: Te, te decet hymnus Deus in Sion • e-Moll-Requiem: Dies irae, T. 66-68: Mors stupebit et natura • e-Moll-Requiem: Dies irae, T. 123-125: Rex tremendae majestatis • e-Moll-Requiem: Domine Jesu Christe, T. 132-135: Hostias et preces tibi

Eine hohe Randtonbestimmung liegt im folgenden Beispiel vor. Der Komponist lässt die Worte >nos homines<, sowie >nostram salutem< mit erweiterter Melodik exponieren: >qui propter nos homines et propter nostram salutem<. Den Abgesang mit >descendit de coelis< fasst er dagegen kurz.165 Bei gleichem Text schreibt Draeseke in der fis-Moll-Messe eine Art psalmodierenden Gesang, den er vom Solochor vortragen lässt. Die absteigende Linie mit >descendit de coelis< wird mit Hilfe von zwei sprachlichen Wiederholungen gestaltet.166 Dadurch gewinnt er eine weitere Steigerung. Im Credo der a-Moll-Messe geht der Komponist gleich in den Text >in unum Dominum Jesum Christum filium<. Draeseke hebt das >unum< heraus, indem er den Sopran und Bass im Quartsprung agieren lässt. Hier stimmen Metrik und Melodikschwerpunkt aber nicht ganz überein.167 An gleicher Stelle in der fis-Moll-Messe wird der Charakter noch weiter vertieft. Draeseke betont die Wörter >et< und >in< durch lange Notenwerte und durch eine Synkope. Die Worte >unum Dominum< treten besonders hervor. Nach einer Pause wird >Jesum Christum filium< von den Solostimmen im Abgesang und in dessen erweiterter Wiederho-lung verstärkt.168 Weiter wird im Domine Jesu Christe des h-Moll-Requiems die Betonung der Anru-fung auf das Ende der Phrase gelegt. In der Fortsetzung erscheinen die Worte >rex gloriae<, letztere in dreimaliger erweiterter Wiederholung. Ungewöhnlich ist die Betonung der letzten Silbe von >gloriae<. Draeseke hat alle vier Stimmen auf die gleiche Weise so komponiert.169 Die Solopassage >Fac eas, Domine, de morte transire ad vitam< im Domine Jesu Christe des h-Moll-Requiems zeigt zum einen die Sprachmelodie und den Sprachrhythmus sehr deutlich, zum anderen eine melodische Aufwärtsbewegung, die aber mit der Metrik der Sprache nur am Schluss mit >ad vitam< zusammenkommt.170 Die erweiterte Steigerungsanlage des e-Moll-Requiems mit >ne absorbeat eas tartarus< lebt von der sprachlichen Silbengegenbewegung, um >tartarus< musika-

165 Felix Draeseke: Große Messe in a-Moll op. 85: Credo, T. 77-95. 166 Felix Draeseke: Große Messe in fis-Moll op 60: Credo, T. 119-127. Der Komponist setzt an bestimmten sprachlichen Steigerungspunkten eine erweiterte Wiederholung ein. 167 Felix Draeseke: Große Messe in a-Moll op. 85: Credo, T. 43-50. 168 Felix Draeseke: Große Messe in fis-Moll op. 60: Credo, T. 52-64. 169 Felix Draeseke: h-Moll-Requiem op. 22: Domine Jesu Christe, T. 2-9. 170 Felix Draeseke: h-Moll-Requiem op. 22: Domine Jesu Christe, T. 199-211.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 180

lisch zu beschreiben.171 Der Te-decet-hymnus hat zunächst in seinem Aufgesang eine sprachliche Silbenverteilung, die mit der Musik übereinstimmt. Der Abgesang ist in seiner Betonung gegenläufig, das heißt, dass der 2/2- Takt mit Schwerpunkt-verschiebungen arbeitet und erst gegen Ende des Satzes die ursprüngliche Beto- nung erreicht wird: >Te decet hymnus Deus in Sion et tibi reddetur votum in Jerusalem<.172 Die Wiederholung hat Draeseke in allen Werken durchgeführt. Sie hat die Auf-gabe, einzelne Worte zu verstärken oder ganze Sätze zu wiederholen. Bei vielen Stellen des Messe- und des Requiemtextes werden Wiederholungen aufgrund des Textes gefordert. Bestimmte inhaltliche Rollen werden durch sie auf der einen Seite vertreten, sowohl die Menschwerdung, das Leiden Jesu, die Auferstehung und das Jüngste Gericht (Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Benedictus, Agnus Dei), als auch für das Requiem durch das Gedenken, das Gebet (Introitus, Kyrie, Graduale, Tractus, Sequenz, Offertorium, Sanctus, Communio, Agnus Dei). Hinzu gelangen Wiederholungen, die die Steigerungslinien ergänzen oder intensivieren, damit eine Form (zum Beispiel eine Drei-oder Mehrteiligkeit) erreicht wird.

• fis-Moll-Messe: Credo, T. 290-300: >cujus regni non erit finis<, in diesem

Beispiel wird das Wort >non< drei Mal auf einer unbetonten musikalischen Zeit eingesetzt und fällt aus dem üblich verarbeiteten Messe-Text. Draeseke geht ähnlich wie Beethoven an die sprachliche Grenze und erreicht somit eine große Aufmerksamkeit, indem er das dreimalige >non< auch noch vom vollständigen Nebensatz isoliert. Die Wiederholung des Wortes zeigt hier eine symbolhafte Rolle und weist auf die Dreieinigkeit.173

• a-Moll-Messe: Credo, T. 197-202: >cujus regni non erit finis<, Draeseke

wiederholt den zweiten Teil des Nebensatzes mit allen Stimmen im Unisono und betont beim dritten Mal das Wort >non< mit einer Synkope.

• e-Moll-Requiem: Dies irae, T. 132-147: >Salva me fons pietatis<, der

Komponist nimmt den Satz auseinander und repetiert einzelne Worte. Hier hat die erweiterte Wiederholung aber nur bedingt eine musikalische Berechtigung, denn sie verzögert den Schluss.

• h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 260-275: >Ingemisco tanquam reus, culpa

rubet vultus meus, supplicanti parce, Deus>, in dem vierstimmigen Satz wird

171 Felix Draeseke. e-Moll-Requiem WoO 35: Domine Jesu Christe, T. 33-38. 172 Felix Draeseke: Introitus, T. 40-50. 173 Vgl. Kap. 5, S. 208, vgl. Kap. 5, S. 291.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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das Wort >parce< im Sopran und Tenor wiederholt, das aus satztechnischen Gründen geschieht, um die Phrase formal abzuschließen.

Viele verschiedene Deklamations-Möglichkeiten setzt der Komponist ein, um den Text musikalisch zu beschreiben und dadurch erläutern zu können. »Damit erscheint das musikalische Kunstwerk unter dem Bilde eines belebten Organismus, der unter ständiger Einwirkung eines immanenten dynamischen, rhythmischen, melodischen und harmonischen Kräftespiels steht. Spannung und Lösung sind daher Grundvorstellungen unseres Musikempfindens; sie werden teils bewusst, teils unbewusst erlebt, nicht anders als das menschliche Willens- und Stimmungsleben, das einem gleichen Wechsel und Ausgleich von Spannungen unterworfen ist«.174 5.2.3 Messen und Requiem-Vertonungen/Musikalische Auslegung Die musikalische Auslegung oder Interpretation hält zwei Beobachtungsfelder für die Messe und für das Requiem bereit, das der Symbolik und der Hermeneutik. Sie geben eine direkte und eine indirekte Interpretation des Textes wider. Hier sollen punktuell musikalische Besonderheiten vorgestellt werden. »Unmöglich kann es daher Sache der Hermeneutik sein, Musik in Begriffe oder Worte umzusetzen, doch kann sie, Analogien und Bilder als sprachliche Hilfsmittel heranziehend, endlich dahin gelangen, jene der Musik eigentümlichen Konflikte als unmittelbaren Aus-druck bestimmter emotionaler Willensregungen oder Affekte zu verstehen«.175 Im Kyrie spiegelt sich in der fis-Moll- und a-Moll-Messe grundsätzlich der dreiteilige Aufbau, nur die Art der Kompositionen ist verschieden. Es stehen sich eine Orchester- und eine A-cappella-Messe gegenüber. Die fis-Moll-Messe beginnt mit den Anrufen im vierstimmigen homophonen Satz, wechselt dann über polyphone Strukturen wieder zum vierstimmigen Satz. Erwähnenswert ist am Schluss die Fuge des Kyrie. Die a-Moll-Messe zeigt demgegenüber direkt eine Doppelfuge, die in ihrer Konstruktion ganz im Kontrapunkt durchgeführt wird. Im Gloria der fis-Moll-Messe gestaltet Draeseke die Gloria - Rufe nach deklama-torischen Prinzipien im vierstimmigen Satz. Das Gloria der a-Moll-Messe wird terrassenmäßig -vom Sopran beginnend- mit einem Thema aufgebaut, das in der Abschlussfuge >Cum sancto spiritu< wieder aufgegriffen wird. Einen außergewöhn-lichen Charakter zeigt das ausdrucksstarke >Qui tollis pecacta mundi<. Hier tritt der Text in den Vordergrund. Eine abwärtsgerichtete Linie zeigt die Bürde und Last, die das Agnus für die Menschen erleidet. Musikalisch findet eine erweiterte Linien-führung statt. Die verschiedenen Steigerungslinien im Gloria der fis-Moll-Messe kommen auch dort zum Tragen, zum Beispiel die vom Solo- oder Kleinem Chor 174 Walter Gerstenberg: Art. Hermeneutik. In: MGG, Bd. 6. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London. München 1989, Sp. 236. 175 Ebd., Sp. 236.

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gestaltete lyrische >Domine-fili<-Stelle. In Terzengängen wird vom Frauen- zum Männerchor gewechselt. Die >Cum-sancto-spiritu<-Fuge rundet den gewaltigen Stimmenzuwachs bis zur Achtstimmigkeit ab. In der >Cum-sancto-spiritu< - Fuge der a-Moll-Messe sind alle Worte musikalisch gleichberechtigt, während in der fis- Moll-Messe das Wort >gloria< durch mehrere melodische Erweiterungen besonders herausragt. Im Credo der fis-Moll-Messe wird die Glaubensformel drei Mal zu Beginn vier-stimmig musiziert. Sie hält den alten, liturgischen Ritus aufrecht, auch noch bei weiteren psalmodierenden Teilen des Credos, zum Beispiel bei >patrem omnipo-tentem<. Auch in der a-Moll-Messe wird dieser liturgische Ritus wie in der fis-Moll-Messe durchgeführt. Draeseke konzentriert sich in der a-Moll-Messe auf das Wort >terrae<, in der fis-Moll-Messe auf die Wörter >coeli et terrae<. Beide werden durch Höhe und Tiefe gegenübergestellt. Mit homophonen Klängen wird das >Deum de Deo, lumen de lumine, Deum verum, de Deo vero< als feste Aussage in beiden Werken ausgeführt, wobei diese Stelle in der a-Moll-Messe eine zusätzliche Erweiterung erfährt. >Et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria Virgine et homo factus est< zeigt die Inkarnation und Menschwerdung. Vorwiegend werden hier in der fis-Moll- und in der a-Moll-Messe hohe Töne ange-setzt. Die inhaltliche Situation wird in der fis-Moll-Messe ausführlicher gewürdigt als in der a-Moll-Messe. Der umgekehrte Weg wird in der a-Moll-Messe bei >qui locutus est per prophetas< erreicht. Arbeitet der Komponist dort mit musikalischer Erweiterung, so ist in der fis-Moll-Messe diese Stelle im einfachen vierstimmigen Satz gehalten. Die Betonung liegt aber auch auf >prophetas<. >Et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam< wird in der a-Moll-Messe mit einem kurzen Fugato musiziert, während die gleiche Stelle in der fis-Moll-Messe mit einem großen, erweiterten Fugato durchgeführt wird. Das Prinzip der modifi-zierten Wiederholung setzt Draeseke hier ein, indem er ausführliche Melismen auf der Anfangszeile vorstellt. Das Orchester steigert zusätzlich die Linie, es begleitet einmal den Chor wörtlich, zum anderen umspielt es melismatisch den Diskant. Die Musik hat besonders in der fis-Moll-Messe den größeren Anteil an der musika-lischen Stimmungslage. Die Taufformel wird in der fis-Moll-Messe zunächst mit Chor, dann mit den Solisten im vierstimmigen Satz melodisch gestaltet. Das Orchester begleitet auch hier und zeigt parallel mit dem Chor erweiterte Wiederholungen. Besonders wird die Linie >in remissionem peccatorum, peccatorum, in remissionem peccatorum< hervorge-hoben. Doch Draeseke hat mit dieser Wiederholung und gleichzeitigen Steigerung

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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den vollständigen Melodiebogen hergestellt. Die Taufformel in der a-Moll-Messe wird vom Bass allein eingeleitet. Ein sechsstimmiger Chor gestaltet >in remissio-nem<. Das >peccatorum< wird vom Vorwort durch eine Pause getrennt und im pp-Klang zurückgenommen, denn inhaltlich steht die Sündenvergebung im Mittelpunkt. >Et expecto resurrectionem mortuorum< stellt das Wort >resurrectionem< in das Blickfeld. Das ist schon vorher im Credo der a-Moll-und fis-Messe zu finden und bezieht sich auf die Zeile >et resurrexit tertia die<. Eine zweite Betonung zeigt das Wort >mortuorum< auf der ersten Silbe. Den stimmungsvollen pp-Abgesang musiziert der dunkle, vierstimmige Bass-Chor. In der fis-Moll-Messe gestaltet der Komponist ein Allegro-Fugato mit der Zeile >et expecto resurrectionem mortuorum<. Die vierstimmige Form wird bis zum Ende der Zeile ausgeführt. Das Orchester setzt zusätzliche kontrapunktische Elemente ein, um die Auferstehung der Toten symbolhaft zu vertreten. In beiden Messen erscheint am Ende des Credos eine lebhafte Fuge: >Et vitam venturi saeculi<. Die Sanctus-Anlage der fis-Moll-Messe wirkt verbreiternd angelegt. Die Anrufe sind durch Pausen getrennt, im Gegensatz zu den Anrufen in der a-Moll-Messe. Dort folgen die Anrufe dichter aufeinander. Die >pleni-sunt-coeli<-Stelle ist in der fis-Moll-Messe ausführlicher komponiert als in der a-Moll-Messe. Beide haben kontra-punktische wie harmonische Sätze vorzuweisen. Die Betonungen liegen jeweils bei >coeli et terra gloria tua<. Es schließt sich eine lebhafte Osanna-Fuge an, die in der fis-Moll-Messe einen breiteren Raum einnimmt als in der a-Moll-Messe. Der Benedictus-Satz der a-Moll-Messe ist in seinem Charakter weich und zurückhaltend. Der Tenor führt den vierstimmigen Satz an. Der Komponist verwen-det Imitationen und Umkehrungen für die F-Dur-Tonart. Die Stimmen sind in ihrer Diktion gleichberechtigt. >Sanft bewegt, sehr mild< schreibt Draeseke vor. Er hat das Benedictus der fis-Moll-Messe mit einem Solosopran und Kleinem Chor als Besetzung vorgesehen. Der Solosopran trägt eine einfache und eingängige Melodie vor. Der Kleine Chor kommentiert mit der Wiederholung des ganzen Satzes: >Benedictus, qui venit in nomine Domini<. Im weiteren Verlauf korrespon-dieren Solostimmen aus dem Kleinen Chor mit dem Solosopran. In der Schlusskadenz erklingt ein sieben- bis achtstimmiger pp-Satz. Der Agnus-Dei-Satz der fis-Moll-Messe beginnt mit einem Orchestervorspiel. Dieses mündet in den ersten >Agnus<-Ruf. Typisch für Draeseke ist die verminderte Quinte, die auch später wieder eingesetzt wird. Ein vorwiegend vier- bis fünfstimmiger Satz wechselt zwischen Tutti und Solo. Der miserere-Teil wird wieder von den Solostimmen, die Rolle des Agnus von den Tuttistimmen übernommen. Das gleiche Wechselprinzip, sowie harmonische und kontrapunk-tische Züge werden mit >Dona nobis pacem< bis zum Schluss durchgehalten. Der Agnus-Satz der a-Moll-Messe beginnt direkt mit dem Chorsatz und der Führung

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durch den Tenor. Auch hier wird eine Dreiteiligkeit ausgeführt. Die anschließende >Dona-nobis-pacem<-Fuge stellt drei Themen vor. Das Agnus-Thema erscheint noch einmal unisono und unterbricht den Fugenverlauf. Der Komponist greift auf das Thema mit Sextensprung vom Fugenbeginn zurück und verarbeitet es in einem großen Schluss. Wie in den beiden Messen bestimmte sprachliche und musikalische Besonder-heiten dargelegt sind, so sind ebenfalls erwähnenswerte Auffälligkeiten in den Requiemsvertonungen Draesekes zu benennen. Bedingt durch die sprachliche Anlage sind die beiden Requiem-Vertonungen zu Beginn dreiteilig konzipiert. Der Introitus des h-Moll-Requiems ist mit Variationen durchsetzt. Der Bass trägt symbolhaft das Thema vor, im späteren Verlauf formuliert der Chortenor ein Fugenthema: >Exaudo orationem meam<. Gleichzeitig erklingt das Thema, das aus dem Anfangsthema des Basses entstanden ist: >Requiem aeternam dona eis<. Draeseke schreibt hier einen hohen Kontrapunkt, der von seinem Charakter her mit einer großen Leichtigkeit dargestellt wird. Eine folgende ausführliche Doppelfuge zeichnet Draeseke mit dem >Kyrie<- eleison- und >Christe<-eleison-Thema. Der Introitus des e-Moll-Requiems stützt sich zu Anfang auf einen bordunartigen 2. Bass. Der Komponist arbeitet mit Imitationen im kontrapunktischen Stil. Der wird bei >Et lux perpetua luceat eis< mit einem kurzen, harmonischen Satz unterbrochen, um symbolhaft dem >lux< eine musikalische Basis zu geben. Draeseke wechselt in den einzelnen Abschnitten mit den jeweiligen Stimmführungen ab, und er verwendet dabei erweiterte Melismen. Der Introitus endet mit einem musikalisch harmonischen Block als Zusammenfassung. Im Dies irae des h-Moll-Requiems entwickelt sich ein vierfacher Kanon mit hervor-tretendem Hörnerklang. Dieser symbolisiert die Kraft, das Weltgericht der Men-schen zu lenken. Die Hörner werden im Laufe des Satzes von Trompeten und Posaunen abgelöst. Auch ein Paukenwirbel übernimmt diese symbolische Rolle, die Menschen an ihre Verhaltensweisen zu erinnern. Der Komponist lässt den großen Chor und Soli zusammen oder getrennt musizieren, so dass ein harmo-nisches wie kontrapunktisch-musikalisches Miteinander entsteht. Die Musik orien-tiert sich in diesem Satz besonders an der Sprache. Das Dies irae des e-Moll-Requiems wird zunächst vom 1. Bass angeführt. Dieser Satz ist von hoher Kontra-punktik gekennzeichnet. Draeseke arbeitet mit dynamischen Kriterien und einer damit verbundenen Dramatik im szenischen Ablauf. Auch hier bekommt der zu behandelnde Text seine entsprechende Aufmerksamkeit. Den Abschluss bildet die erneute Bitte: >Dona eis requiem, Amen<. Im Domine Jesu Christe des h-Moll-Requiems geht es um das Gebet für die Seelen der Toten. Draeseke arbeitet in den Melodienduktus einen Choral ein: Jesus, meine

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Zuversicht. Wie einen roten Faden setzt er ihn vom übrigen Stimmeneindruck in langen Notenwerten ab. Draeseke verzichtet hier auf die direkte Choral-Sprache. Der Choral stammt aus der protestantischen Kirchenmusik. Somit steht ein deutscher Choral dem lateinischen Offertoriumstext gegenüber, jener wird letztlich in den lateinischen Text durch die Musik integriert. Das Domine Jesu Christe des e-Moll-Requiems zeigt dagegen einen ganz anderen musikalischen Charakter. Durch die rhythmisierte Ansprache wird über das >Libera animas omnium fidelium defunctorum de poenis inferni et de profundo lacu< die Kontrapunktik weiter fortgeführt. Draeseke inszeniert das >Libera eas de ore leonis< mit vorübergehenden harmonischen Überraschungsklängen. Die Fünf-stimmigkeit wird für kurze Zeit mit der Fuge >Quam olim Abrahae promisisti et semini eius< unterbrochen. Im h-Moll-Requiem wird dann das >promisisti< auf die Choralzeile >und mein Heiland ist im Leben< im ff übertragen. Sanctus und Benedictus werden in beiden Requien als musikalische Gegen-charaktere zum Offertorium gesehen. Die Anrufungen sind zunächst von großer Zurückhaltung geprägt, danach gibt es eine dynamische Steigerung bis zu einem f und ff (Sanctus: >Pleni sunt coeli< und >Gloria tua<, e-Moll-Requiem: T.19-23; T. 30-34; h-Moll-Requiem: T. 31-43). Den musikalischen Gegensatz bildet die jeweils anschließende lebhafte Fuge. Dort finden thematisch musikalische Erweiterungen, auch mit Hilfe von Sequenzen, statt. Eine eher bedrücktende Stimmung erkennt man im Agnus Dei des h-Moll-Requiems. Draeseke zeichnet die Bitten mit Septimeneinsätzen, die der Intention >Dona eis requiem< Nachdruck verleihen sollen. Der Komponist wechselt mit den musizierenden Gruppen zwischen Chor und Solo ab. Den Schluss bildet eine Fuge >cum sanctis tuis in aeternam<. Danach erfolgt ein Anhang mit >quia pius es< und eine inhaltlich-zuversichtliche Aussage mit einem beruhigenden, ausgleichenden Charakter. Das Agnus Dei des e-Moll-Requiems wird im fünfstimmigen Satz musiziert und vari-iert einzelne Chorstimmeneinsätze. >Dona eis requiem sempiternam< wird durch eine Generalpause unterbrochen. Die Stimmung dieses Satzes beschreibt der Biograph Draesekes: »Das Agnus Dei beginnt mit erwartungsvoller Anrede, geht zu tief ernster Erinnerung an die Sündenlast über und schließt mit sanfter Bitte um Gewährung der ewigen Ruhe. Auch hier wird der Vordersatz in stets gesteigerter Abwandlung dreimal gegeben und bis zu einem erschütternden Schrei hinaufge-trieben. Die folgende, in herzlichem Flehen ausgesprochene Bitte hält abwartend auf einem gedehnten >sempiternam<. Nach einer Generalpause folgt die Wieder-holung des dramatischen >Et lux perpetua< aus dem ersten Hauptsatz. Dann kehrt versöhnende Ruhe ein bei einem Quintettsatz von Verklärtheit >Cum sanctis tuis<.

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Die weihevolle milde Schlusstimmung schwillt auf den Worten >Quia pius es< noch einmal an und verhallt dann leise und gehaucht in vollen E-Dur-Harmonien«.176 Im Gegensatz zum h-Moll-Requiem wird im e-Moll-Requiem der Schluss >Quia pius es< kurz gefasst. 5.2.4 Zusammenfassung In den Messen- und Requientexten zeigen folgende Kriterien durch differenzierte Stilmittel ähnlich musikalische Wirkungen: Kriterien Rhythmik

Messe fis-Moll

Messe a-Moll

Reqiem h-Moll

Requiem e-Moll

Differenz. Stilmittel

Ausgewählte Beispiele

Musikal. Rhythmik

sinfon. Sprach- duktus rhythm. Erweiterg. (großer Rahmen) Synkope

direkter sprachl. Bezug rhythm. Erweiterg. (kleiner Rahmen) mit Ein- schränkg. Synkope

sinfon. Sprach-duktus rhythm. Erweite- rung (großer Rahmen) Synkope

direkter sprachl. Bezug rhythm. Erweite- rung (kleiner Rahmen) mit Ein- schrän- kung Synkope

sprachl.- musikal. Rhythmik divergie-rende sprachl. Ansätze rhythm. Erweiterg. Viertel: Punktierg. betonte und unbetonte Zeit im Dreier- und Vierertakt Synkope Verlänge- rung

h-Moll: Dies irae: Lacrimosa dies illa T. 409-416 S.171 h-Moll: Dies irae: Ingemisco tanquam reus T. 261-265 S. 171 fis-Moll: Gloria: Jesu Christe, Domine Deus T. 94-98 S. 171 fis-Moll: Gloria: qui sedes ad dexteram T. 144-147 S. 171 a-Moll: Gloria: glorificamus te

176 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 445.

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Punktierg. mit Schwer- kraft

Punktie- rung mit Schwer- kraft

durch Noten-werte Punktierg. mit Schwer- kraft Melodien- entwicklg. durch Rhythmik

T. 51-53 S. 171 a-Moll: Credo: Et vitam venturi T. 273-285 S. 171 e-Moll: Introitus: T. 33-38 S. 171

Sprachl. Rhythmik Wort-Ton- Verhältnis Deklama- tionsver- fahren

Verhältnis Ton und Wort Komposi- tionsstil Vokalstil Deklama-tion Melodien- entwicklg. in diastem. erweiterten Möglich- keiten

Verhältnis Ton und Wort Komposi- tionsstil Vokalstil Deklama- tion Melodien- entwicklg. in diastem. erweiterten Möglich- keiten

Verhält-nis Ton und Wort Komposi- tionsstil Vokalstil Dekla-mation Melo-dien- entwick-lung in diastem. erweiter-ten Möglich- keiten

Verhältnis Ton und Wort Komposi- tionsstil Vokalstil Deklama- tion Melodien- entwicklg. in diastem. erweiterten Möglich- Keiten

regelmä-ßige, me- trische Be- tonungs- struktur Melodik, Rhythmik, Harmonik: eigene Be- tonungs- struktur Wort mit Akzenten Satz mit Akzenten Inhalt der Aussage: Rolle Ver- mittlung Ausgewo-genheit: Text und Zeitströ-mung liturg. Text- vorlage

a-Moll: Gloria T. 18-27 S. 175 e-Moll: Dies irae: T. 132-147 S. 176 fis-Moll: Kyrie: Kyrie eleison T. 5-18 S. 176 fis-Moll: Credo: Et incarnatus est T. 128-136 S. 176 a-Moll: Gloria: Rex coelestis T. 80-92 S. 175 e-Moll: Dies irae: Quem patronem rogaturus T. 113-117 S. 176

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 188

sinfon. Mischstil entgegen- gesetzte Betonun-gen

Verarbeitg. altklass. Gesetze entgegen- gesetzte Betonun-gen

sinfon. Mischstil entge-genge-setzte Beto-nungen

Verarbeitg. altklass. Gesetze entgegen- gesetzte Betonun-gen

Bedin-gungs- gehalte musikal. Erweiterg. durch Melismen melod. Prinzip u. Silbenver- teilg. Akzent-setzung Betonung Wort/e u. Sätze: Sinngebg. Syllabik: inhaltl. machtvolle Aussage Schwer-punkt Wort: Akzentbe-tonung Höhe Randton melismat. Erweiterg. einz. Silbe Wiederho- lung

e-Moll: Domine: Domine Jesu Christe T. 1-12 S.176 h-Moll: Kyrie: Et lux, et lux perpetua luceat eis T. 90-100 S. 176 h-Moll: Dies irae: quantus tremor T. 39-47 S. 176 fis-Moll: Gloria: Gloria in excelsis T. 2-12 S. 176 a-Moll: Sanctus: Pleni sunt coeli et terra T. 1-13 S. 175 e-Moll: Domine: T. 128-137 S. 176 e-Moll: Dies irae: T. 294-302 S. 176

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

189

einzelner Worte, Sätze Betonung letzter Silbe Wiederh. durch Auffüllen von Steige- rung

Messen und Requiem- Vertonun- gen musikal. Auslegung Symbolik Herme-neutik

Orchester- messe Steige-rungslinien melismat. Umspielg. Kontra-punkt

A-cappella Chor Steige- rungslinien Kontra-punkt

Orche-ster-Requiem Steige- rungsli-nien Melisma-tische Umspie-lung Imitatio-nen Choral-verar-beitung Kontra-punkt

A-cappella Chor Steige- rungslinien Kontra-punkt Überra- schungs- klänge

direkte und indirekte Interpreta- tion Willensre- gung Affekte musikal. Erweiterg. und Redu- zierung erweiterte Melismen Gegen- charaktere Satz Note gegen Note hoher Kontra-punkt

In allen vier Werken Draesekes werden Stellen zur musika-lischen Aus-legung besonders berücksichtigt

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 190

5.3 Chorsatz In den beiden späten Messen verbindet Draeseke einen ihm eigenen Palestrina-Stil mit romantischen Elementen. Er erreicht damit auf der einen eine musikalische Transparenz, auf der anderen Seite ein hochromantisches Klanggefüge, dargestellt durch kompakte Klänge und teilweise melodiös extreme Stimmlagen ähnlich wie bei Richard Wagner. Diesen Einfluss erlebt Draeseke durch den Komponisten selbst während des Schweizer Aufenthalts. Außerdem steht Draeseke der Neu-deutschen Schule nahe, obwohl die Palestrina-Renaissance bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Deutschland schon Fuß gefasst hat. In seiner Jugend hat Draeseke den A-cappella-Stil zwar gehört, aber selten eingesetzt. Erst gegen Ende seines Lebens wendet sich der Komponist in der Zeit seiner Lehrtätigkeit als Professor für Musiktheorie in Dresden bewusst dem Cäcilianismus zu. Das 19. Jahrhundert ist das Jahrhundert der musikalischen Spaltungen. Diese ver-sucht Draeseke zunächst in der Neudeutschen Schule und gegen Ende seines Lebens mit dem Palestrina-Stil zu tauschen und/ oder zu verbinden. Die Kompo-sitionsweisen des 16. bis 18. Jahrhunderts korrespondieren mit denen des 19. Jahrhunderts und geben musikalische Richtungsentwicklungen für das 20. Jahr-hundert an. »Die Palestrina-Renaissance berührte ihn [Draeseke] vorerst also nur wenig, die 1825 mit dem Erscheinen von Anton Friedrich Justus Thibauts Schrift >Ueber Reinheit der Tonkunst< ihren ästhetisch fundierten Ausgangspunkt für Maßstäbe eines strengen Satzes fand«177

Im Requiem h-Moll op. 22 lassen sich einerseits hochromantische Melodienwen-dungen, andererseits kirchenmusikalische Einflüsse nicht nur aus der Zeit des 17. Jahrhunderts ausmachen. Die kirchenmusikalischen Elemente treten zwar nicht direkt in den Vordergrund, sie sind aber existent und bilden einen ganz eigenen und besonders musikalischen Ausdruck in Draesekes polyphoner Verarbeitung. »Die insgesamt freie Polyphonie hat sicher ihren Grund auch darin, dass in sie ab Takt 12 der protestantische Kirchenchoral >Jesus, meine Zuversicht< mit tragendem Posaunenklang integriert ist«.178 »Dieses Bestreben, einen Zusammenschluss von derart gegensätzlichen stilistischen und ästhetischen Bedingungen zu erreichen, war ein schwieriges Vorhaben«.179 Ähnlich musikalische Bedingungen finden sich auch in der fis-Moll Messe, op. 60. »In tiefer Berührung mit dem Geist der mittelalterlichen Kirchenmusik wird alles Konzertmäßige gemieden. Den Klängen

177 Friedbert Streller: Fugen, Kanons und strenger Satz. Die a-cappella-Werke Felix Draesekes. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke. Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 282. 178 Ebd., S. 160. 179 Ebd., S. 157. Peter Andraschke spricht von einer >überkonfessionellen Bedeutung< für Draeseke.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

191

dieser Messe wohnt etwas wahrhaft Liturgisch-Kirchenmusikalisches inne«.180 Zwar lassen sich Einflüsse Palestrinas auch hier nicht gleich erkennen, haben aber ihren Stellenwert im Repetieren, in Umspielungen und Verzögerungen von Auflösun-gen.181 In der Zusammensicht besitzen beide Richtungen ihre Aussagekraft in der Me-lodikfindung. Ebenso wie im h-Moll-Requiem komponiert Draeseke die a-Moll-Messe mit einer melodiösen Doppelfuge. Die Themen sind schlicht konzipiert, gesanglich angelegt und in ihrer Entwicklung polyphon gestaltet.

• a-Moll-Messe : Kyrie-Thema: Kyrie, Tenor,T. 1-4: Kyrie eleison • e-Moll-Requiem: Introitus, T. 72-77 II. Bass182: Requiem aeternam • e-Moll-Requiem: Introitus,T. 2-5 I. Bass: Requiem aeternam dona eis

Domine Der Chorsatz umfasst den Rahmen von der Einstimmigkeit bis zur Sechsstimmig- keit. Auch die harmonisch und polyphon angelegten Doppelchöre, sowie die Solo-chöre, gehören unter diese Einteilung. 5.3.1 Einstimmigkeit Die Einstimmigkeit oder das Unisono tritt in verschiedenen Merkmalen auf: einmal über mehrere Takte in allen Stimmen einstimmig bis zu einem vorbereiteten Schluss, dann auch in der Verdoppelung der Oktave, oder in einer kleinen mehr-stimmigen Art und Weise mit einer Überleitung zu einer großen Mehrstimmigkeit. Text und Interpretationen stehen hier als musikalische Begründung.183 Die Einstimmigkeit kann einmal eine Klangverstärkung, zum anderen eine Klangab-nahme bewirken. Mehrere weitere Kriterien sind dafür zuständig: die Melodien-entwicklung und deren Dynamik, sowie die zielstrebige und rückwirkende Ver-hältnismäßigkeit auf die zu erwartende Mehrstimmigkeit. Obwohl Felix Draeseke die Einstimmigkeit nur selten einsetzt, bedeutet sie für ihn eine Art Zäsur als Beginn oder Schluss. Sie stellt einen Punkt des musikalischen Interpretierens dar:

• fis-Moll Messe: Credo, T. 224-226 : judicare184

180 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 247. 181 Der Einfluss Palestrinas wird an verschiedenen Beispielen verdeutlicht. 182 Roeder berichtet, dass die Doppelfuge kaum ihresgleichen in der a-cappella Literatur habe. In: Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S.443. 183 Doch auch hier wird zunächst der Text ausgeblendet, um bestimmte musikalische Merkmale zuerst anzusprechen. 184 Vgl. fis-Moll-Messe: Credo, Chorsatz, T. 244-251, unterbrochen vom Wort vivos.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 192

Wie für jeden Chorsatz, so auch für das Unisono, bildet die entsprechende formale Funktion die musikalische Basis. Indem diese die Linie unterstützt, wirken Motivik und Thema im Unisono anders als im vierstimmigen homophonen Satzbau oder in einer polyphonen Kompositionsanlage. Das Unisono ist klar gegliedert und richtet seine Konzentration auf die eine musikalische Aussage. Im homophonen Satzbau wird ebenfalls eine Betonung auf diesen Punkt gelegt, doch wird hier die Verteilung der Intensität -im Satz Note gegen Note- auf alle Stimmen übertragen, von daher gibt es eine Betonung in einer musikalischen Block-Struktur:185 • h-Moll Requiem: Kyrie, T. 33-38: Et lux, et lux perpetua luceat eis

186 Wie beschrieben, zeigt Draeseke mehrere Formen von Unisoni: einmal mit einer weit angelegten Melodienführung, zum anderen mit einem an Gregorianik erinnern-den Motiv, in einer Art des Psalmodierens. Es ist in seiner Melodienführung reduziert und stellt zwischen zwei Aussagen des Requiems und der Messe Verbindungen her: • h-Moll Requiem: Dies irae, T. 155-157: Judex ergo cum sedebit • h-Moll Requiem: Dies irae: Recordare, T. 328-336: Inter oves locum praesta

et ab hoedis me • fis-Moll Messe: Agnus Dei, T. 75-76; 79-81: Agnus Dei Das reine Unisono im Chorsatz gilt als ein weiteres Mittel zur musikalischen Stei-gerung: • fis-Moll Messe: Agnus Dei, T.149-185: Ein Wechsel von Solo und Tutti gibt dem

Unisono eine differenzierte Färbung im vierstimmigen Satz. Sie wird dem Uni-sono >Dona nobis pacem< gegenübergestellt.

Unisone Stellen sind musikalische Einschübe, die einmal den gegebenen Text bekräftigen und/oder verharren lassen, gleichzeitig aber weisen sie einen fortfüh-renden Charakter auf.187

185 Demgegenüber verlagert die polyphone Satzanlage die musikalische Konzentration auf andere Stimmen, jede dieser Stimmen beansprucht eine vorübergehende eigene musikalische Diktion. Sobald eine weitere Stimme auftaucht, nimmt sich die beginnende in ihrer Intensität zurück, um der anderen den musikalischen Raum zu überlassen. 186 Hier zeigt sich ein Einfluss von gregorianischen Abläufen durch das Zitieren des >fis< und >f< im Sopran und durch die gleiche Sprachbewegung in den übrigen Stimmen. 187 Mehrstimmige musikalische Unisoni-Einschübe sind bei Felix Draeseke an bestimmten Stellen zu finden, praktisch zur Untermauerung der gerade geforderten interpretatorischen Aussage.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Bedingt durch die kurzen Anrufe bieten sich musikalische Kommentierungen an. In den beiden Messen ragen besonders nachfolgende mehrstimmige Einschübe mit einem einstimmigen Anspruch heraus: • fis-Moll-Messe: Kyrie, T. 5-9, 14-18, 50-56: Kyrie eleison, 59-64: Christe

eleison Aus dem Unisono des Orchesters in der fis-Moll-Messe mit dem Grundton h wird eine Chorantwort in der Vierstimmigkeit. Sie ist eine Konsequenz aus dem aufstrebenden unisonen Orchester-Charakter und fasst die musikalische Linie in der Anrufung >Kyrie< zusammen. Für einen Augenblick ist diese unterbrochen, doch der Aufstieg im Orchester wiederholt sich.188 In der a-Moll-Messe zeigen sich gleich bedeutende Phänomene.

• a-Moll-Messe : Credo, T. 1-9: Credo; 32-36: et invisibilium; 37-43:

Credo 197-202: non erit finis; 204-218: Credo in spiritum sanctum Dominum189 In den beiden Requien lassen sich ähnliche Strukturen nachweisen:

• h-Moll-Requiem: Kyrie, T. 89-111: Et lux perpetua luceat eis; 166- 173: Kyrie eleison • e-Moll-Requiem: Introitus, T. 26-29: Et lux perpetua luceat eis; 136-141: Kyrie eleison Die Mehrstimmigkeit wird in den genannten Beispielen über die Ein- bis Fünf-stimmigkeit im Chorsatz aufgebaut. In diesen Prozess kann der unisone Duktus münden und mit seiner Kraft den Chorsatz erweitern. 5.3.2 Mehrstimmigkeit Die Vierstimmigkeit tritt einmal als homophoner Satz -Note gegen Note-, weiter in rhythmisch und melodisch abgewandelter Form, auf. Die melodische Linie ist führend, sie hat Steigerungen in sich, da die Gegenbewegung mit der Konstruktion des Satzes auf der einen Seite in einem natürlichen Abhängigkeitsverhältnis steht, auf der anderen erteilt der Komponist dem Bass eine schwerpunktmäßige Führung. Beide Seiten spiegeln sich in der Komposition wider. Auch die Form lebt von den Gegensätzen. So schreibt Draeseke nicht durchgängig vierstimmig, sondern

188 Es kann von einer musikpsychologischen Grundhaltung gesprochen werden. 189 Hier wird die eine musikalische Aussage im Satz Note gegen Note dargelegt, aber erst in der Mitte und gegen Ende des Introitus verdeutlicht.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 194

gliedert seine Schreibweise bis zur Sechsstimmigkeit in der Chorführung. Daher bildet sich eine stringente Chordynamik. Das Prinzip des Wechsels der äußeren Formen steht neben dem der Eigendynamik. Diese wird auch zu einem Teil in der Stimmführung des Basses als Prinzip des Sekundschrittes erkennbar. Die Funktio- nen der Männerstimme zeigen sich in der Umkehrung und nur selten im Melo-dienverlauf in der Tonikalage. Erst die Kadenz lässt in den meisten Fällen die Toni- kalage zu, oder sie springt über die Quinte in die tonale Ausgangslage zurück.

• h-Moll-Requiem: Kyrie, Bass, T. 34-47 : Et lux perpetua luceat eis • fis-Moll-Messe : Gloria, Bass, T. 109-126 : qui tollis peccata mundi • a-Moll-Messe : Credo, Bass, T. 20-26 : factorem coeli et terrae • e-Moll-Requiem: Introitus, Bass, T. 22-26 : Requiem aeternam dona eis

Im Allgemeinen wird das gegenseitige Bedingungsverhältnis im vierstimmigen Satz von der Melodiestimme und vor allem vom tonalen Fundament, dem Bass, geleitet. Die anderen Stimmen gehören zu dem musikalischen Konstrukt, das ohne die Melodie nicht existieren kann. Sie darf aus dem Ganzen nicht entfernt werden.190

Sopran und Bass werden gegenläufig konzipiert, der Gesamtsatz erreicht nicht nur eine eigene Besonderheit, sondern erfährt durch die aufstrebende Melodie-gestaltung und die innerdynamischen Prozesse zusätzlich eine musikalische Erweiterung:

• h-Moll-Requiem: Dies irae, Chor, T. 80-86 : Tuba mirum spargens sonum NB fis 60191

190 Draeseke schreibt musikalisch ganzheitlich und setzt sich von der Klassik ab – wie auch andere Komponisten seiner Zeit. Es scheint von ihr, der Melodie, eine kinetische Energie, eine lebendige Kraft, auszugehen, so wie E. Kurth und Müller-Blattau erklären. In: MGG, Bd. 9. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London. München 1989, Sp. 23. Zum anderen »entstehen feste melodische Funktionen erst durch Anknüpfung der Tonbeziehungen an einen Grundton«. In: Carl Dahlhaus: MGG, Bd. 9. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London. München 1989, Sp. 26. 191 fis-Moll-Messe op. 60: Gloria, Kl. Chor, T. 52-56: Gratias agimus tibi.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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• a-Moll-Messe : Gloria, Chor, T. 27-41 :hominibus bonae voluntatis • e-Moll-Requiem: Dies irae, Chor, T. 123-131: Rex tremendae majestatis,

qui salvandos salvas gratis Eine Entwicklung, die den umgekehrten Weg geht, von der besonderen Chor-entwicklung zur reduzierten Zwei-, bzw. Einstimmigkeit, gibt es bei Draeseke selten. Er bedient sich dann anderer Mittel, wenn er kontrastreiche musikalische Mittel einsetzen möchte. Er bevorzugt eine völlig andere Stilart, mit tonalem Unterschied, mit Rhythmisierungen als Gegensatz zu dem gerade Geschehenen: durch ver-kürzte Übergänge, um einen charakterlich weiteren Chorsatz zu entwickeln, durch die Dynamik, indem er die Ausdruckskraft gegensätzlich gestaltet. Hier löst der Komponist Stimmen aus dem Gesamtkomplex und lässt die einzelne Stimme eine zielstrebige Eigenleistung deklarieren. In diesen Beispielen ist diese Selbstständig-keit als weiteres musikalisches Motiv und Mittel zu werten:

• h-Moll-Requiem: Dies irae, Soli, T. 179-190 : Salva me fons pietatis • fis-Moll-Messe : Gloria, Soli, T. 20-39 : bonae voluntatis

»Damit gehört diese Messe [fis-Moll], wie seinerzeit das volkstümlichere Requiem [h-Moll], zu einem neuen Zeitalter der Gesangspolyphonie, das in Draeseke seine Höhe und leider auch den Abschluss hatte«.192 Die musikalische Idee wird durch das Mittel der Reduktion weiter betrieben und eröffnet neue Denkansätze zu einer Kraft des Kontrastes. Das Arbeitsfeld im vierstimmigen Satz wird wesentlich breiter, als bisher angenommen, gestaltet: So wird im h-Moll-Requiem eine Grundidee zum

192 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 247.

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gesamten Werk. Wichtig für Draeseke ist das Prinzip des Gegensätzlichen, in der Erfindung der Variationen der Grundidee, und daraus entstehen neue Motive. »Hier ist etwas Entscheidendes geschehen, hier hat der weit zurückgespannte Bogen die entsprechende Schnellkraft nach vorne erhalten, dies wahrhaft deutsche Requiem bedeutet infolge der Neuerwerbung der Besitztümer großer Vergangenheit einen Fortschritt im Sinne eines neuen Zeitalters der Polyphonie«.193 Auch wenn die Polyphonie bei Draeseke nach vorne strebt, so ist die Homophonie doch Grundgerüst, um weitere Stilmittel wie Sext-, Sept- und Nonakkorde einzu-binden. Auch sie bilden einen punktuellen, musikalischen Gegenpart und können einen Wechselgesang, in einer Art Alternatim-Praxis, entstehen lassen. Sie deuten eine Zäsur mitten im sprachlichen Geschehen an, oder sie bezeichnen einen musikalischen Endpunkt und bereiten eine Kadenz vor:

• h-Moll-Requiem: Kyrie, Chor, T. 46 - 49 : perpetua • fis-Moll-Messe : Credo, Chor, T. 297 : Non194

NB a 30195

193 Ebd., S. 71. 194 Sprachliche Außergewöhnlichkeiten werden auf S. 169f., S. 267f. behandelt. 195 a-Moll-Messe: Gloria, Chor, T. 90-92.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

197

Draeseke wendet im h-Moll-Requiem und in der fis-Moll-Messe unterschiedliche Formen von Doppelchörigkeit an: entweder entsteht diese aus Solostimmen und Kleinem Chor, oder es musizieren gleichzeitig gleichstarke Gruppen miteinander oder auch versetzt. Meist treten die Chorstimmen gemischt auf, nur selten sind es Frauen- oder Männerstimmen allein. Dabei wird ein Motiv -auch mehrere- weitergegeben, und es bilden sich musikalische Kommentierungen. Homophone und polyphone Formen stehen nebeneinander oder sie gehen eine musikalische Symbiose, Mischform, ein:

• h-Moll-Requiem: Kyrie, Soli, T. 69-73: Exaudi +Chor: Requiem • h-Moll-Requiem: Dies irae, Soli + kleiner Chor, T.480-490: Requiem+Amen • fis-Moll-Messe : Credo, Bass II, T. 425-478: Et vitam venturi saeculi • fis-Moll-Messe : Gloria, Chöre, T. 182-291 : Cum sancto spiritu in gloria Dei

patris196 Die Doppelchörigkeit bedeutet eine Verstärkung der Aussage, sie ist dann musika-lische Interpretation in Höchstform. Der Komponist lehnt sich durchaus an den Zeitgeist an, der bei ihm in erster Linie vom sinfonischen wie Gesangsstil geprägt ist.

5.3.3 Polyphoner Satz »Der polyphone Satz wird bei Felix Draeseke aus zwei großen Stilrichtungen gespeist: einmal aus der Tradition der Klassik, zum anderen aus der Verbindung zur Neudeutschen Schule. Dieses Bestreben, einen Zusammenschluss von derart gegensätzlichen stilistischen und ästhetischen Bedingungen zu erreichen, war ein schwieriges Vorhaben«.197 Felix Draeseke verwendet in seinen vier Messen kontrapunktische Züge, die frei gestaltet sind. Sie sind teilweise mit kleineren Imitationen versehen, wobei die freie kontrapunktische Arbeit hier führend ist. Unterstrichen wird diese Arbeit mit dem Prinzip der Gegenbewegung. Die entstandenen melodischen Züge entwickeln eine große auftstrebende Kraft. Sie kann nur existent sein, wenn die horizontale mit der

196 Diese Beispiele erinnern an die Doppelchörigkeit Monteverdis. Die Stringenz wird in beiden Werken mit Beginn der Fuge klar ausgeführt. 197 Peter Andraschke: Felix Draesekes op. 22. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg +1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 157.

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vertikalen Kraft einhergeht. Draeseke beherbergt in seinem polyphonen Denken beide beschriebenen Richtungen. Manche Sätze zeigen verwandte Schreibweisen; zum einen hängt das mit der Textkonstruktion zusammen, auf der anderen Seite mit dem verwendeten musikalischen Material. »Dabei soll insbesondere auf melo- dische Findung und eine sorgsame melodische Gestaltung geachtet werden, eine Forderung, die besonders auch für den polyphonen Satz wichtig ist«.198 Das h-Moll-Requiem wird durch eine Chaconne im Orchesterbass eingeleitet. Über dem Bass entwickelt sich ein polyphoner Satz mit Variationen / Kanonformen. Chor- und Orchestersatz erweitern im Domine ihre stilistischen und polyphonen Möglichkeiten, indem ein cantus firmus mit verlängerten Notenwerten im Orchester-satz eingeflochten wird. Zwei kompositorische Sichtweisen treffen aufeinander: zum einen der romantische, sinfonische Schreibstil, zum anderen gleichzeitig das wört-liche Zitat eines Chorals aus dem kirchenmusikalischen Raum. Diese gegen-sätzlichen Strategien sind hier deutlich zum Kompositionsprinzip erhoben worden.199

• In der fis-Moll-Messe wird über den Bass-Aufstieg das Kyrie-Thema in Sekundschritten vorbereitet, es folgt ein dreifacher Kanon.

Andere polyphon gestaltete Fugen fallen durch ihre breit angelegten musikalischen Aussagen ins Gewicht:

• fis-Moll-Messe: Credo, Solichor, Tenor, T. 329-352: qui cum patre Credo, Solichor, T. 359-395: et unam sanctam catholicam230

• Die a-Moll-Messe beginnt direkt mit einer Doppelfuge, einer hohen

polyphonen Schreibweise.

• Im e-Moll-Requiem bildet ein ostinater Bass das Fundament mit Imitationen und Umkehrungen200

In weiteren musikalischen Beispielen spiegeln sich sehr freie, polyphone Struk-turen wider: 198 Ebd., S. 156. 199 »Die insgesamt freie Polyphonie hat sicher ihren Grund auch darin, dass in sie ab Takt 12 der protestantische Kirchenchoral >Jesus, meine Zuversicht< mit tragendem Posaunen- klang integriert ist«. Peter Andraschke: Felix Draesekes Requiem op. 22. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke- Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 160. 200 Es kann von einer verkürzten Hinführung zum Thema gesprochen werden.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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• h-Moll-Requiem: Dies irae, Bass, Sopran, Alt, T. 360-376: confutatis maledictis

• fis-Moll-Messe : Credo, Chor, T. 224-226: sedet ad texteram • a-Moll-Messe : Credo, Chor, T. 118-123: Crucifixus etiam pro nobis • e-Moll-Requiem: Dies irae, Chor, T. 337-345: Lacrimosa dies illa

Bass, Sopran und Alt imitieren in der fis-Moll-Messe Ganztonschritte. Der Bass steht zum Sopran im Abstand von zweieinhalb Oktaven. Die Violinen begleiten den Sopran und der tiefe Instrumentalbass den Chorbass in Oktaven. Der später hinzu- tretende Alt hebt die hohen Streicher parallel hervor.201 Die unisone Aussage bekräftigt die allgemeine unumstößliche Feststellung. Der Komponist beschreibt diese Stelle: Chor- und Orchesterstimmen laufen drei Takte lang im Einklang und in Oktaven.202 Danach wird der polyphone Satz weiter entwickelt. Die Oktavbeschreibung im a-Moll Beispiel ist eng mit dem Credo-Thema >fbcg< verbunden. Draeseke notiert >c f und ges<, aber >d für b<. Durch die rhythmische Pointierung der Oktave wird ein zusätzliches Stilmittel freigesetzt. Einen völlig anderen Charakter vermittelt das e-Moll-Lacrimosa. Es nimmt den Teil von >mihi quoque spem dedisti< mit seiner Melodie auf, modifiziert das Thema und lässt es in einem zusammenfassenden, ruhigen >Dona eis requiem< enden. Auch hier werden Melodienentwicklungen mit gegensätzlichen konsequenten Führungen eingesetzt. Sie zeigen Konstruktionen zum Monumentalen. In der Melodie liegt dann ein unausweichlicher Impetus, eine große Kraft. Im homophonen wie poly-phonen Bereich ist diese Art des freien Komponierens zu finden. Draeseke verar- beitet und verbindet innerhalb eines Satzes Melodiestrukturen, die die Übergänge zügig gestalten. Ein weiteres Stilmittel ist die Imitation. Sie wird auf einer anderen Stufe wiederholt. Die Imitation verfeinert den Satz, indem sie das Thema in der Umkehrung, dem Krebs und/oder Spiegel erscheinen lassen kann. Dabei sind verwandte oder auch entfernte Tonarten hilfreich:

• h-Moll-Requiem: Dies irae,Tenor, Alt, Bass, Sopran, T. 5-19: Dies irae, dies illa solvet saeclum in favilla • fis-Moll-Messe : Gloria, Sopran, Tenor, Bass, Thema,T. 107-126: qui tollis

peccata mundi • a-Moll-Messe : Gloria, Sopran, Alt, Bass, Tenor, T. 193-201: Quoniam tu

solus sanctus dominus 201 h-Moll-Requiem: Dies irae, Bass, Sopran, Alt, T. 360-376. Auch für einen polyphon angelegten Satz sind Oktavparallelen auffällig. Sie lösen hier interpretatorische Aufgaben. 202 h-Moll-Requiem: Der Dreiklang ist bei Draeseke Symbol für die Dreieinigkeit/Vollkommenheit. Vgl. Helmut Loos: Franz Liszts Graner Festmesse. In: KmJb 67 (1983), S. 55.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 200

• e-Moll-Requiem: Requiem, Tenor, Alt, Sopran, Bass I, T. 22 - 44: Te decet

hymnus Deus in Sion Das Dies-Thema wird als Kanon-Verarbeitung dargestellt: Tenor, Alt, Bass, Sopran. In einem Nebensatz schreibt der Komponist das >qui tollis pecata mundi<. Das Thema wird von den übrigen Stimmen aufgenommen und imitiert. Eine Imitation findet im Fugato >Quoniam tu solus sanctus dominus< statt: Sopran, Alt, Tenor. Alt, Sopran und Bass I imitieren das vorgelegte Thema des Tenors. Es entsteht ein enges Kanongefüge. Bei Felix Draeseke ist nicht nur die Imitation oder der Kanon als formales, kontrapunktisches Stilmittel vorhanden, sondern er kann es auch ver- ändern. Somit erhält er ein weiteres Steigerungsmoment und kann nahezu frei improvisatorisch tätig sein: Folgende Kriterien bewirken in den vier Werken ähnliche Prinzipien/ Stilmittel:

Motivik in Sekundschritten, dazu ein Kontrapunkt in den Männerstimmen Oberstimmen über einem Orgelpunkt Quartsprung im Bass und fallende Sekunde des Soprans: Gegenüberstellung: kontrapunktische Stimme vor allem zum Sopran, Tenor, Bass breite Themenentwicklung Doppelchörigkeit (h-Moll-Requiem + fis-Moll-Messe) Imitation, Kanon

5. 3.4 A-cappella-Satz Die vorher genannten Kriterien sind ebenfalls im A-cappella-Satz enthalten. Poly-phoner Satz und A-cappella-Satz widersprechen sich in der äußeren Form. Der A-cappella-Satz wird von einem Chor, ohne orchestrale Begleitung, ausgeführt. In seinem Ursprung erinnert der Satz an den stile antico, der im kirchlichen Raum entwickelt wurde. Der musikalische Satz ist nicht nur mit der äußeren Form und sprachlichen Aufteilung verbunden, sondern auch mit der Satztechnik und dem Kontrapunkt. Dieser spiegelt sich in der Vokalpolyphonie wider. Federführend war auf diesem Gebiet A. Palestrina. »In dieser romantischen Neuentdeckung und Um-formung spitzt sich der überkommene a-cappella-Begriff in einer bisher unerhörten Weise auf den Vokalklang zu, wobei die Anknüpfung an die römische Tradition der Sixtinischen Kapelle und an Palestrina sehr entscheidend wird«.203 203 Hermann Zenck: A-capella-Begriff. In: MGG, Bd. 1. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London. München 1989, Sp. 74.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

201

Die Vokalpolyphonie stellt durch die Harmonie- und Kontrapunktlehre in der a-Moll-Messe, sowie im e-Moll-Requiem eine besondere musikalische Symbiose vor. Die a-Moll-Messe fasst Felix Draeseke als Gegenstück zur fis-Moll-Messe auf.204 NB a 31205

204 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 435. 205 Felix Draeseke: a-Moll-Messe: Kyrie/Tenor, T. 1-4: Kyrie eleison, Bass, T. 4-7: Kyrie eleison.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 202

• a-Moll-Messe: Gloria, Bass, T. 121 : qui tollis peccata mundi • a-Moll-Messe: Gloria, Sopran, T. 193: Quoniam tu solus sanctus • a-Moll-Messe: Sanctus, Chor, T. 1-33: Sanctus Dominus Deus Sabaoth

Pleni sunt coeli et terra gloria tua Das zweite Thema der a-Moll-Messe (NB a 31) folgt dem ersten nach drei Takten. Der Tenor wird vom Sopran imitiert, der Bass vom Alt. Diese Doppelfuge wird melodisch durchgeführt, bis zu der Stelle, wo der Komponist zwei Mal unisono >Christe< im Alt und Tenor notiert. Die mittleren Stimmen musizieren beide Themen zusammen.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

203

Der tanzartige Fugato-Beginn der a-Moll-Messe steht im Gegensatz zum ruhigen >gratias<-Thema. Ähnlich wie in der fis-Moll-Messe wirkt das weitere Fugato >Quoniam tu solus sanctus<. Eine große Fuge lässt Draeseke folgen: >cum sancto spiritu<.206 Das Thema erscheint in abgewandelter Form. Durch die vorhandenen, rasch aufeinander folgenden Gegensätze wird das Prinzip der musikalischen Steigerung offensichtlich. Auch im Sanctus der a-Moll-Messe arbeitet der Komponist mit Symbolcharakter. Auf der einen Seite werden Rezitationstöne im vierstimmigen Satz Note gegen Note musiziert: >Sanctus Dominus Deus<, auf der anderen wird die sängerische Bewältigung von vier Oktaven gefordert: >Pleni sunt coeli et terra gloria tua<. »Nach dem Beispiel der leichter zugänglichen a-cappella-Messe kann er [Draeseke] auch ohne Orchester die Züge seiner Kirchenmusik beibehalten«.207 Das e-Moll-Requiem arbeitet ebenso mit Gegensätzen, Spannung und Lösung. Letztere haben ein ausgewogenes Verhältnis zueinander. Die Improvisation, das Al fresco, steht den klassisch musikalischen Gesetzen gegenüber, oder der Komponist verbindet die Improvisation mit der Harmonielehre und dem Kontra-punkt in einer freien Weise:

• e-Moll-Requiem: Introitus, Bass I, T. 2-5 : Requiem aeternam dona eis Domine 206 a-Moll-Messe op. 85: Gloria/Tenor, T. 215-219. 207 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 442. Roeder berichtet über das e-Moll-Requiem.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 204

NB e 36208

• e-Moll-Requiem: Domine Jesu Christe, Bass II + Tenor, T. 1-10: Domine Jesu Christe

• e-Moll-Requiem: Agnus Dei, Chor, T. 77-81: sempiternam Die Entwicklung des Themas im Dies irae (e-Moll-Requiem) (Bass I) erfolgt über einem Orgelpunkt/Bordun im II. Bass. Es entsteht ein kanonartiges Gefüge. Diese Phase wird durch das >et lux perpetua luceat eis< im Satz Note gegen Note begrenzt. Das Thema mit seinem schnellen Domine-Motiv (e-Moll-Requiem) wird ebenfalls im Bass begonnen und weiter durchgeführt, bis zur Stelle >Tuba mirum spargens sonum<. Ein direkter Vergleich mit Mozarts Requiem zeigt ähnliche Strukturen.209 Bass II und Tenor wechseln sich mit dem Anruf >Domine Jesu Christe< ab. Sopran und Alt werfen >rex gloriae< ein. Die folgenden inhaltlichen Höllenstrafen werden durch Dissonanzen und Modulationen dargestellt. Die musikalische Symbolik erhält einen hohen Stellenwert. Der dreimalige Vordersatz Agnus Dei wird durch das Wort >sempiternam< und die folgende Generalpause unterbrochen. Das >Et lux perpetua< wird wiederholt. Gegensätzliche Formen im e-Moll-Requiem –durch Kontrapunktik und Harmonie-lehre entstanden- kommen hier zum Einsatz. 5.3.5 Zusammenfassung Im Chorsatz der vier Messen Draesekes zeigen folgende Kriterien ähnliche Wirkung durch differenzierte Stilmittel: 208 NB e 36: Dies irae/Bass I, T. 1-7: Dies irae, dies illa. 209 Mozart: Requiem, KV 626, Kassel 1965, 25. Auflage 2005. Dies irae/Tuba mirum, Bass, T. 1-4. Hier hat Süßmayr vermutlich mitgearbeitet.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

205

Kriterien Chorsatz

Requiem h-Moll

Messe fis-Moll

Messe a-Moll

Requiem e-Moll

Differen-zierte Stilmittel

Ausge- wählte Beispiele

Einstim-migkeit

unisone Themen

unisone Themen

unisone homophone Themen als Schluss oder Überleitung

fis-Moll: Credo: judicare T. 224-226 S. 191 h-Moll: Requiem: Kyrie, T. 33-38: Et lux S. 192 fis-Moll: Agnus: T. 75-76, 79-81: Agnus S. 192

Mehrstim- migkeit

4 - 6 Stimmen Umfang ausge-schöpft Improvisa-torische Elemente Doppel-chörigkeit

4 - 6 Stimmen Umfang ausge-schöpft improvisa- torische Elemente Doppel-chörigkeit

4 - 5 Stimmen selten 6 St. Umfang ausge-schöpft

5 Stimmen selten 6 St. Umfang ausge-schöpft

Wechsel von Soli und Chor: h und fis großer Umfang Satztechnik Mischung von Harmo-nie- und Kontra-punktlehre

h-Moll: Kyrie, T. 34-47, S. 192: Et lux NB fis 60: Gloria, T. 52-56: Gratias S. 194 a-Moll: Gloria: T. 27-41: hominibus S. 194 e-Moll: Dies irae: T. 123-131: Rex tremendae S. 194

Polyphoner Satz

Orgelpunkt polyphone

polyphone Themenge-

Tripelfuge polyphone

polyphone Themenge-

strenger und freier

h-Moll: Dies irae: T. 179-

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 206

Themenge- staltung Einfluss Kirchenmu- sik

staltung Kirchenmu- sik

Themenge- staltung Einfluss Kirchenmu- sik

staltung Kirchentöne

Kontrapunkt mit Improvisa-tionsele-menten

190: S. 195 fis-Moll: Gloria: T. 20-39: Qui tollis peccata mundi S. 195 e-Moll: Requiem: T. 22-44 S. 195

A-capella-Satz

Kontra-punktik melodiös angelegt klare Gliederung

Kontrapunk-tik melodiös angelegt klare Gliederung

Textinter-pretation

NB a 31: Kyrie: T. 1-7 Kyrie eleison S. 201 NB e 36: Dies irae: T. 1-7 S. 203

Die Tradition der Wiener Klassik und der Übergang zur Frühromantik gehen mit hochromantischen Klängen eine melodisch-musikalische Symbiose ein. Die Kom-positionen bilden einen Zusammenklang aus Spätbarock, Wiener Klassik, Frühro-mantik, der Hochromantik und aus mittelalterlichen Elementen. Zugleich ist Draeseke mit der Neudeutschen Schule verbunden und verarbeitet Gregorianik zu neuen melodiösen Eindrücken. Die Harmonik hat ihre Grenzen erreicht, daraufhin stellt Draeseke den Kontrapunkt in den Vordergrund, um dem musikalischen Liberalismus entgegenzutreten.210

210 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 6.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

207

Der Verfasser zeigt mit den obigen Kriterien eine Entwicklung von gereifter Melodik und Gesangspolyphonie. »Als ehemaliger Liszt-Jünger und Schultermann von Cornelius geht er aber noch weiter zurück: Zur altklassischen katholischen Kir-chenmusik, wie zur Gregorianik. Hier lernt er den klingenden Gesangskontrapunkt schreiben, dort wird er befruchtet im melodischen Empfinden«.211 5.4 Orchestersatz Felix Draeseke zeichnet in seinem h-Moll-Requiem und in seiner fis-moll-Messe ein Spektrum von Klangdifferenzierungen, vom vierstimmigen Orchestersatz bis hin zu sinfonisch polyphon- musikalischen Impressionen mit eigenen Gesetzmäßigkeiten. Auf der einen Seite kann der orchestrale Klangeindruck geändert werden, auf der anderen finden musikalisch-gewachsene Linien statt, die wiederum durch Dynamik, Rhythmik und andere musikalische Prozessordnungen als Steigerungsprinzip ge-prägt sind. Diese Ordnung beinhaltet eine einfache Melodienbegleitung bis hin zur orchestralen Vielfalt: Acht- und Sechzehnstimmigkeit, vom ppp – fff in allen varian-ten dynamischen Abstufungen. Der Grund liegt in der Gesamtkonzeption, in der harmonischen Anlage und deren Modulationsmöglichkeiten, aber ebenso im Auf-zeigen verschiedener Instrumentierungen, sowie polyphoner Modi.212 5.4.1 Begleitfunktionen Die Begleitfunktionen im Orchestersatz unterstützen die Chorsätze. Draeseke fasst sie vorwiegend als Funktion auf, indem sie sich in ihrer Konstruktion im homo-phonen Chorsatz - Note gegen Note - widerspiegeln. Des Weiteren schreibt er stellenweise verselbstständigte Orchesterstimmen, die wegen ihrer harmonischen Grundstruktur eine doppelte horizontale Melodienentwicklung darlegen können. Die Funktionen sind in dem Melodienzug grundlegend enthalten. Sie wirken in den oberen Stimmen mit ihren Obertonbereichen und deren Färbungen dabei beson-ders melodiös. Die übrigen Stimmen haben zusätzlich, – wenn auch in einem abge- schwächten Rahmen, - eine linienartige Entwicklung im mehrstimmigen Orchester-satz vorzuweisen. Daher hat der Komponist nicht nur das Prinzip der Melodienbil- dung, sondern ebenso das der Gegenbewegung in seinen Begleitfunktionen in instrumental-kantablem Stil umgesetzt.

• h-Moll-Requiem: Kyrie, T. 33-60 • h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 1-35

211 Ebd., S. 70. 212 Draesekes Instrumentierung sieht im h-Moll-Requiem wie folgt aus: Besetzung: 4 Solo- stimmen, 4 stg. gemischter Chor (auch Stimmteilungen), Orchester: 2 Fl., 1 Ob, 1 Eh, 2 Fg, 4 Cor, 3 Tr, 4 Trb, Pk, Str. Instrumentierung der fis-Moll-Messe: Solistenquartett, 4-8stg. gemischter Chor (bis Doppelchor), Orchester.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 208

• h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 106-120 • h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 200-256 • fis-Moll-Messe : Kyrie, T. 1-45 • fis-Moll-Messe : Gloria, T. 1-16 • fis-Moll-Messe : Gloria, T. 253-283 • fis-Moll-Messe : Credo, T. 9-28

Die Gegenbewegung in den Begleitfunktionen zeigt sich auch in kontrapunktischen Stellen, die Draeseke bewusst von den vorherigen absetzt und zum nachfolgenden musikalischen Geschehen etwas Neues initiiert. Er verknüpft damit ein Steige-rungsprinzip, das die entsprechende Aussage – auch im Orchester – hervorhebt. Zwar ist nur von Begleitfunktionen die Rede, doch diagnostisch betrachtet wird hier die Orchestermusik mit zum Interpreten:

• h-Moll-Requiem: Dies irae / Recordare, T. 198-275 • h-Moll-Requiem: Dies irae / Confutatis, T. 360-376 • h-Moll-Requiem: Dies irae / Lacrimosa, T. 407-440 • h-Moll-Requiem: Domine Jesu Christe, T. 1-9 • fis-Moll-Messe : Credo, T. 129-146 • fis-Moll-Messe : Credo, T. 205-215 • fis-Moll-Messe : Credo, T. 303-317 • fis-Moll-Messe : Sanctus, T. 1-16

»Auch Töne verbinden sich nur leicht miteinander, wenn sie eine Grundbeziehung zueinander haben. Ebenso verbinden sich die Farbtöne nur durch ihre Grund-beziehung miteinander. Aber das Entscheidenste ist, dass ein zweifellos der Hand- lung entspringender seelischer Vorgang nicht nur durch Gesten und Bewegung und Musik ausgedrückt ist, sondern auch durch Farben und Licht«.213 Farben und Licht 214 liegen in den Steigerungsmomenten der Instrumentierung und den damit zusammenhängenden übrigen Parametern. 5.4.2 Dramatische Verstärkung 213 Elmar Budde: Synästhesie. Musik-Klang-Farbe. In: Musik und Bildung. 21. Jg. Heft 2, S. 70. 214 Diese beiden Begriffe kommen aus der Kunsttheorie und haben sich in der Musikästhetik etabliert: »Dennoch ist die polare Spannung von Farbe und Kontur auch ein kompositions- ästhetisches Phänomen, so dass der Streit um die Frage, welcher Kategorie das Primat einzuräumen sei, auch in der Musikästhetik – wenn auch latent– auszumachen ist«. Andreas Eichhorn: Farbe und Kontur. In: Musica Sept./Okt. 1990, S. 284.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

209

Die dramatische Verstärkung setzt Draeseke mit verschiedenen musikalischen Mitteln ein: Er erreicht eine Klangfülle und/oder Klangdichte einmal durch Verdop-pelung und Schichtung von Stimmen, zum anderen durch einen Wechsel in der Struktur. Es wird ein neuer musikalischer Höhepunkt mit Hilfe eines Steigerungs-prinzips angestrebt. Der Komponist erzielt eine Entwicklung im Klangvolumen, ebenso ist der entgegengesetzte Weg möglich. Aus einem Quintklang entwickelt sich eine Steigerungslinie. Dieser Quintklang kann am Beginn oder Ende einer kleinen oder großen Linie stehen und wieder einen neuen musikalischen Gedanken frei werden lassen. Das Abnehmen eines Klanges ist bei Draeseke vorwiegend bei kurzen, nach unten gerichteten Linien zu finden. Eine abnehmende Lautstärke kann mit abnehmendem Tempo, aber auch mit zunehmender Tonhöhe einhergehen. Der Komponist wendet mehrere Richtungen an. Zur Klangdichte läuft die Dynamik parallel. Das Orchester ist ein musikalisches Spiegelbild der sprachlichen Intention, sodass zum Beispiel bei hintereinander eintretenden verschiedenen Instrumentalstimmen eine allmäh-lich große Klangdichte aufgebaut wird, und wieder findet dazu parallel eine Zunah-me von Dynamik statt:

• h-Moll-Requiem: Kyrie, T. 61-87 • h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 72-102 • h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 110-146 • h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 200-256 • fis-Moll-Messe : Kyrie, T. 88-127 • fis-Moll-Messe : Gloria, T. 182-290 • fis-Moll-Messe : Agnus Dei, T. 1-87 • fis-Moll-Messe : Agnus Dei, T. 149-188

Auch zeigt jedes Instrument, jede Instrumentalgruppe seine eigene Klangdichte und seine Kontur. »Die Kontur- sie mag sich in einer einfachen melodischen Linie oder in einer Reihe beliebiger Soloaktionen abzeichnen- ist immer die stärkste der formprägenden Komponenten. Soviel Kontur eine Komposition aufzuweisen hat, soviel Profil besitzt sie auch. Typische Formen der Materialstruktur...können aber bei der Profilierung eines Formganzen insofern konstitutiv sein, als sie das tragende Fundament bilden, von dem sich die charakteristischen Merkmale der Kontur mehr oder weniger deutlich abheben«.215

215 R. Murray Schafer: Das neue Buch vom Singen und Sagen. Hrsg. von Franz Blasl. Wien 1972, S. 46.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 210

Sinn und Klang in seiner Vielschichtigkeit treffen sich im Klangmaximum und in dessen Bedeutung für das Ganze. Sie weisen auf einen musikalischen Zu-sammenhalt und auf ein musikalisches Gleichgewicht hin, indem der Komponist differenzierte musikalische Stilmittel zum Methodenwechsel auf breiter Ebene ausführt und die sprachliche Kompetenz miteinbezieht. Eine zusätzlich diffe-renzierte Klangdichte wird daher erreicht, wenn nicht nur im h-Moll-Requiem und in der fis-Moll-Messe die menschlichen Stimmen, die Solisten und der Chor, in ihren eigenen Klangdichten das musikalische Bild noch weiter abrunden.216 Doch Otto Jahn und Eduard Hanslick vertreten die Ansicht, »dass der Inhalt eines Werkes wesentlich in der Entfaltung eines oder mehrerer musikalischer Gedanken liege. Dagegen hat die instrumentale Klangfarbe einen sekundären Stellenwert. Die Klangfarbe gehört für Jahn nicht substantiell zum spezifisch musikalischen Denken, sondern dient dazu, den Kontur, das heißt den motivisch-thematischen Verlauf, verdeutlichend und charakterisierend zu schärfen, oder, um mit Kant zu sprechen, zu beleben«.217 5.4.3 Ein- und Überleitungsfunktionen Draesekes Einleitungsfunktionen zeichnen sich dadurch aus, dass er recht schnell mit der Entwicklung des Werkes beginnt. Er stellt auf kurzem Wege das Thema vor oder bereitet die Hinführung dazu. Im h-Moll-Requiem ist gleich das Thema präsent: es wird leise von den Streichern vorgetragen. Zwischen Solo- und Chorein-satz schreibt er wiederholt das Thema im Orchester. Dieses gilt als Übergang zum >et lux perpetua luceat eis<. Der nachfolgende >te decet-Hymnus< wird nur durch eine Pause und durch einen Tempowechsel von >Andante grave< zu >L’istesso tempo< getrennt. Beim weiteren Hinführen zur Kyrie-Fuge erklingt zunächst ein Fis- Dur-Akkord und danach ein einzelner Ton im pp: Kontra-Fis. Der Durakkord klingt auch noch in der anschließenden Fermate nach.218 Das pp wird von der Fuge in h-Moll zu Beginn übernommen. Auch hier gibt es nur einen kurzen Schritt. Der h-Moll-Quintklang am Ende dieses Satzes schreibt eben-

216 Ob im orchesterbegleiteten oder A-cappella-Satz finden die aufgezeigten Kriterien der Klangfülle/Klangdichte, sowie der Klangabnahme ihre gemeinsame musikalische Sprache in Messe und Requiem. 217 Andreas Eichhorn: Farbe und Kontur. In: Musica. Sept./Okt. 1990, S. 285. 218 h-Moll-Requiem: Kyrie, T. 26-33.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

211

falls ein pp und zusätzlich diminuendo vor. Draeseke kehrt zur Ausgangstonart zurück, allerdings ohne die Terz. Diese verwandelt er im nächsten Satz in die Gegenparallele nach d-Moll. Er beginnt plötzlich mit einem Presto agitato. Nachdem im Dies irae die Solostimmen und der Chor >salva me fons pietatis< zusammen musiziert haben, wird der Satz im Orchester mit gebrochenen Tönen aus B-Akkorden beendet. Draeseke benötigt für diese Stelle sieben Takte, bis er zu einem dreifachen ppp gelangt. Das Tempo nimmt er zurück, die Taktart ändert sich vom 4/4- zum ¾-Takt. Der übermäßige Quintsextakkord >b d f gis< übernimmt die Überleitungsfunktion und wandelt sich nach F-Dur in ein Andantino con moto: >Recordare, Jesu pie<. Das Orchester lässt Achtelbewegungen erklingen, die in ihrer modifizierten Konzeption an den Choral >Jesus, meine Zuversicht< erinnern.219 Das vom Chor vorgetragene >Confutatis maledictis, flammis acribus addictis< mündet mit seiner düsteren Stimmung direkt in das solistisch gestaltete >Voca me<. Es gibt hier einen Takt- und Tonartenwechsel vom ¾- zum 4/4-Takt, von b-Moll zu F-Dur. Das >Amen< des Dies irae hat Draeseke in einem strahlenden D-Dur geschrieben, um die Zuversicht der Menschen näher zu beschreiben. Der letzte Klang erfolgt in gleichen d-Oktaven. Der Schreiber vermeidet eine genaue Tonartenangabe, um einen Schwebestand zu erreichen. Nur ein folgender Takt im Domine Jesu Christe muss für den Übergang ausreichen, den Draeseke mit f-Oktavgängen in den tiefen Streichern musizieren lässt. Auch jetzt wird die Erinnerung an den Beginn des Kyrie geknüpft, indem er die entgegengesetzte Richtung der Streicher wählt.220

Im Verlauf lässt Draeseke den Chor und das Orchester förmlich aufschreien: >ne absorbeat eas<, indem beide Teile sich in einem gewaltigen, aufsteigenden Satz befinden. Danach folgt eine Chorpause, das Orchester spielt seinen stürmischen Part weiter. Die nächste Zeile beginnt mit >tartarus< im pp. Das Orchester übernimmt ebenso das pp und wieder die absteigenden Bässe. Das Ende des Domine Jesu Christe wird von einem H-Dur-Akkord über drei Takte getragen. Ein Takt Pause im 4/4-Takt und ein Taktwechsel zum ¾-Takt genügen, um über absteigende Bässe in den Dominantbereich nach C-Dur zu gelangen: >Hostias et preces<.221 Das >Fac eas, Domine, de morte transire ad vitam< wird von Draeseke mit einem Fis-Dur-Akkord beendet, gleichzeitig spielt die Pauke den Ton Fis über viele Takte als Orgelpunkt. Ebenfalls folgt jetzt ein Taktwechsel vom ¾-Takt zum 4/4-Takt. Fis-Dur wird von h-Moll abgelöst. Der Abschlussstollen im Chor und Orche- ster (Jesus, meine Zuversicht) wird in H-Dur vom ff über pp zum ppp beendet. Für Draeseke ist es bezeichnend, dass er den letzten Klang wieder als Verdoppelung der Oktave im Bassbereich schreibt und ohne die Terz.

219 Felix Draeseke: h-Moll-Requiem op. 22: Dies irae, T. 198-202. 220 h-Moll-Requiem, Domine Jesu Christe, T. 1-2. 221 h-Moll-Requiem: Domine Jesu Christe, T. 138-150.

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Der nächste Übergang beginnt gleich mit E-Dur und einem >Allegro moderato<. Der pp-Raum ist auch für das Sanctus vorgesehen. Der Übergang von >Osanna in excelsis< zum Benedictus wird durch zwölf Orchestertakte gestaltet. Das solistische Benedictus erreicht G-Dur. Eine Wiederholung des Osanna findet über einen Paukenwirbel in H statt und endet in E-Dur. Die Verbindung zum Agnus Dei geht von dieser Tonart nach h-Moll zu einem Andantino grave, obwohl das Orchester einen fast tänzerischen Charakter im Gegensatz zur Tempobezeichnung zeigt. Das Motiv wird durch Triolen der hohen Streicher ausgeführt.222 >Et lux perpetua luceat eis< wird in einem Halbschluss in Fis-Dur beendet, das heißt, dass der letzte Ton wieder nur ein Ton - Fis -ist. Danach folgt eine Fermate. Vom 4/4-Takt zum 3/2-Takt bereitet Draeseke eine Fuge >Cum sanctis tuis in aeternum< vor. Die Violinen begleiten das Sopranthema in hohen Oktaven. D-Dur und h-Moll sind als Tonarten vorherrschend. Der Schreiber geht sehr zügig von einem Satz zum anderen und verbindet die Sätze mit verwandtschaftlichen Tonarten. Mitten in einem Satz kann es aber geschehen, dass außergewöhnliche modulatorische Wendungen einge-setzt werden.223 Die Einleitungsfunktion der fis-Moll-Messe beschreibt aus der Tiefe kommende Oktavengänge, die vom p zum f sich nach oben entwickeln. Draeseke bleibt bei diesem Aufstieg in einem äolisch-gehaltenen fis-Moll. Der Gesamtchor und das Orchester formulieren gegen Ende dieses Satzes (energico) eine wiederholende Bitte. Sie wird mit Cis-Dur beendet. Der weitere Takt zeigt eine Generalpause. Der 4/4-Takt wechselt in einen 3/2-Takt, die anschließende Fuge erscheint in fis-Moll. Der Übergang zum Gloria gestaltet Draeseke von fis-Moll im pp zu einem D-Dur im f und aufsteigenden D-Dur-Klängen. Das verlangte Allegro maestoso im Gloria der fis-Moll-Messe sorgt für die musikalische Ausführung. Im weiteren Verlauf des Glorias fällt eine gewaltige Orchesterstelle auf, die in den hohen Streichern zunächst eine oktavierte Aufwärts-bewegung zeigt, dann aber mit allen Stimmen nach unten verläuft. Diese Bewe-gung zielt auf ein Tremolo im ff in ges-Moll.224 Zum Schluss dieses Satzes schreibt Draeseke wieder Oktaven in aufstrebender Richtung. Sie münden plötzlich in ein gesangliches G-Dur-Thema: >Domine fili unigenite<. Die Doppelchörigkeit mit >Jesu Christe< endet in G-Dur, und der Komponist nutzt fünf Takte, um den Domi- nantbereich D-Dur zu erreichen: Eine Fuge >Cum sancto spiritu in gloria Dei patris< folgt. Nach einem dreifachen >Amen< setzt Draeseke mit ff im Orchester fort. Die

222 h-Moll-Requiem: Agnus Dei, T. 1ff. 223 Draesekes Tonartenverhältnisse werden in Beispielen erklärt und auf S. 255f. zusammengefasst. 224 fis-Moll-Messe: Gloria, T. 71-74: Choreinsatz: Domine Deus.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Bässe gehen in Oktaven nach unten, während Violinen das Fis wie in einem Orgelpunkt in D-Dur-Akkorden musizieren. Nach vier Takten gelangt der Doppel-chor mit seiner Bekräftigung >Gloria in excelsis Deo> dazu.225 Eine schnelle Oktaveinleitung von Seiten des tiefen Streicherbasses wird in einem Allegro maestoso im Credo dargestellt. Draeseke setzt sich nicht nur zu dem Vorherigen durch einen Tempowechsel ab, sondern auch durch die unterschied-liche Dynamik. Er endet vorher in einem f und beginnt das Credo im p, das er aber schon vor Eintritt des Chores bis zum f steigert. Für diese Einleitung benötigt Draeseke neun Takte, die gebrochene Akkorde vorweisen, sie treten in verschie-denen Orchesterstimmen später versetzt auf: In den Violinen, den Bässen und den mittleren Orchesterstimmen. Nach der Zeile >ante omnia saecula< in Fis-Dur wird der nächste Abschnitt mit einem ritardando und Tempowechsel vom 4/4- zum ¾- Takt mit >Deum de Deo< vorbereitet. >Per quem omnia facta sunt< lässt in der Wiederholung im h-Moll-Requiem eine Überleitungsfunktion folgen, die in den hohen Streichern die modifizierte letzte Zeile des Chorals >Jesus, meine Zuversicht< erklingen lässt.226 Hinzu kommt wieder ein Taktwechsel, vom 4/4- zum 3/2-Takt. Eine kurze Überleitung schafft Draeseke zum >Et resurrexit tertia die secundum scripturas<. Von einem unisonen A-Klang im pp, einer Pause und anschließenden Wiederholung des Tones A mit F als Basis, verfremdet er diesen Klang mit einem As: sf p und fp und Zweiunddreißigstelnoten, sowie ein zusätzliches Crescendo runden die musikalische Spannung ab. Die Zweiunddreißigstelbewegung findet immer wieder ihren Standort, auch nach >et mortuos<. Der Komponist zeichnet die düstere Stimmung mit g-Moll in fünf Takten nach. Takt- und Tonartwechsel sind hier ebenso wichtig: Vom 4/4- zum ¾-Takt, von g-Moll nach D-Dur.227 Im späteren Verlauf erinnert das Orchester nach dem dreimaligen >Non< an das Credo-Thema. Neun Takte nimmt sich Draeseke, um das modifizierte Thema erneut vorzustellen. Er bereitet damit >Et in spiritum sanctum dominum< in H-Dur vor.228 Mit nur zwei Takten wird das Sanctus durch Paukenwirbel auf dem Ton Fis eingeleitet. H-Dur und h-Moll stehen sich unmittelbar gegenüber. Ein Allegro risoluto auf der einen und ein Andante maestoso auf der anderen Seite zeigt jeweils ihre eigene musikalische Wirkung.

225 fis-Moll-Messe: Gloria, T. 283-287. 226 h-Moll-Reqiem: Offertorium: Domine, T. 122-125, T. 128-131. 227 fis-Moll-Messe: Credo, T. 253-258. 228 fis-Moll-Messe: Credo, T. 300-308.

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Auch der Übergang von >et terra gloria tua< zur Osanna-Fuge wird von einem Taktwechsel vom 4/4- zum ¾-Takt und einem Zusammentreffen der Orchester-stimmen im Ton Cis getragen. Aus dem poco a poco ritenuto wird ein Allegro con brio in Fis-Dur.229 Zum Ende dieser Fuge setzen hohe Klänge des dreimaligen Sanctus ein. Draeseke schafft neben den hohen Tönen ein weiteres Stilmittel im Orchester. Es hat die Aufgabe, sich von p bis pp und ppp zu bewegen und zwar innerhalb des p-Klanges ein Diminuendo, ein Crescendo und wieder ein Diminuendo zu entfalten.230 Der letzte Akkord des Benedictus ist ein A-Dur-Akkord, der in der Vorschrift im pp und diminuendo vorgetragen werden muss. Der Benedictus-Satz endet in einem Largo, das Agnus Dei beginnt in einem Andante. Draeseke schreibt in sechzehn Takten eine Vorbereitung zu einem Motiv in fis-Moll, das in der Begleitung durch Achtelbewegung verarbeitet wird.231

In der Fortführung des Agnus Dei der fis-Moll-Messe erfolgt mitten in der flehenden

Bitte >miserere< eine Art Taktwechsel, von einem 4/4- zu einem ebenfalls 4/4-Takt, mit sechs verschobenen Vierteln, die gegenrhythmisch angelegt sind.232 Die aufsteigenden p-Oktavschritte in den tiefen Streichern sind für den Komponisten ein Stilmittel, das die Situation des intensiven Bittens im Orchester unterstreicht. Die Anfangstakte des Agnus Dei spiegeln sich in den sechs abschließenden Takten wider, die danach das >Dona nobis pacem< einleiten.233 Die Einleitungs- oder Überleitungsfunktionen werden ebenfalls in der fis-Moll-Messe von Draeseke nur sehr kurz gehalten. Aber sie haben eine Funktion, nämlich eine Verbindung vom Vorherigen zum Folgenden zu schaffen. Der Kom-ponist wendet verschiedene musikalische Stilmittel an, um diese Verbindungen zu erreichen: Taktwechsel, Tonartenwechsel, Dynamikwechsel, Wechsel von Satz-technik, spezielle vorbereitende Motive, alte Motive, Umkehrung von Motiven, besondere Klangfarben des Orchesters und andere Parameter. Draeseke arbeitet mit kleinen Formmerkmalen, die dem richtungsgebundenen und seinem Zeitstil unterliegen. Diese sind »keine Akzidentien, die auf eine Form gesetzt sind, sondern selbst formtragend und formbildend«.234 5.4.4 Wechselfunktion zwischen Soloformen/Chor- und Orchestersatz 229 fis-Moll-Messe: Sanctus, T. 32-35. 230 fis-Moll-Messe: Sanctus, T. 165-184. Beethoven zeigt in seiner Missa solemnis ähnliche Intentionen wie Draeseke. 231 fis-Moll-Messe: Agnus Dei, T. 1-16. 232 fis-Moll-Messe: Agnus Dei, T. T. 64-68. 233 fis-Moll-Messe: Agnus Dei, T. 81-87. 234 Elmar Budde: Synästhesie. Musik-Klang-Farbe. In: Musik und Bildung, 21. Jg. Heft 2 . 1989, S. 73.

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In Draesekes vier Messen ragen besonders die Stellen hervor, die sich im Chorsatz wie im Orchestersatz widerspiegeln. Sie bezeichnen eine Aussage entweder mit gleichen, einfachen satztechnischen Mitteln, oder sie sind in ihrer Anlage mit Solisten, Chor und Orchester so kontrastreich ausgestattet, dass sie eine musika- lisch ganzheitliche Interpretation erfordern. Selten kann das Orchester ohne die Solisten oder den Chor auskommen. Das gleiche gilt auch für die Choranlagen. Ohne Orchester würde dem Gesamtbild etwas fehlen. Denn die Konstellation der Komposition mit ihrer Textgrundlage steht im Mittelpunkt des musikalischen Inter-esses. Der Komponist erreicht durch die Dichte der unterschiedlichen Klang-ebenen eine differenzierte Farbqualität, die sich in Fülle, Reduktion, Dynamik und Farbe als Kategorien ausdrückt. Diese Mittel verdeutlichen den dargebotenen Text, indem sie die breite Palette von Klangfarben von Soli und Chor, sowie Orchester nicht nur an exponierten sprachlichen Stellen einsetzen. Obwohl auch dieser äußere formal-musikalische Zusammenhang hergestellt wird, zielt Draeseke auf ein Bild der fließenden Konturen. Die Entfaltung der Form, des Themas hat eine zentrale musikalische Rolle zu erfüllen. Den äußeren Formen wie Solo, Chor und Orchesterbegleitung sind daher bestimmte Aufgaben zugewiesen. Im h-Moll-Requiem und in der fis-Moll-Messe sind auffallende Punkte festzuhalten, die das musikalische Rollenspiel darstellen. Sie tun dies auf verschiedene Art und Weise:

• es stehen sich gleichwertige, aber differenziert musikalische Sätze unmittelbar gegenüber

• es sind unterschiedliche Stärken von Chor-, Soloformen und Orchestersatz festzuhalten

• es gibt parallele Wechselfunktionen, die sich auch in der Kolorierung der beiden Klangkörper darstellen

• vom Orchester kann eine Linie oder ein Motiv nacheinander übernommen werden (ebenso umgekehrt), eine motivisch-musikalische Kommentierung der Aussage scheint die Folge zu sein

Beispiele aus dem h-Moll-Requiem und der fis-Moll-Messe zeigen einmal die enge Verknüpfung von Chor-, Solo- und Orchesterstimmen, zum anderen die gegen-sätzlich ausgeführten Aufgaben einzelner Gruppierungen und Rollen:

• h-Moll-Requiem: Kyrie, T. 33-60: Et lux perpetua luceat eis • h-Moll-Requiem: Kyrie, T. 89-111: Et lux perpetua luceat eis • h-Moll-Requiem: Kyrie, T. 166-173: Kyrie eleison • h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 36-79: Quantus tremor est futurus

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Im ersten Beispiel des h-Moll-Requiems umspielt das Orchester den vierstimmigen Chorsatz, wobei die Bassführung besonders herausgehoben wird. Sie geht wörtlich mit dem Chorbass überein. Die übrigen drei Stimmen Sopran, Alt und Tenor sind in ihren Silbenverteilungen nahezu gleich. Das Orchester hat die Aufgabe, ein musikalisches Gegengewicht zum vierstimmigen Satz darzustellen. Die Orchester-bewegung suggeriert eine Polyphonie, die tatsächlich eine versteckte ist. Draeseke zeigt hier mit der Sechzehntelbewegung noch zusätzlich eine außergewöhnliche Färbung durch die Violinen. Im zweiten Beispiel des h-Moll-Requiems wird die Bewegung des Orchesters noch intensiver, denn die Bassführung zeichnet sich nicht nur durch harmonische Stufen aus, sondern bevorzugt Alterationen, chromatische Elemente und Oktavsprünge. Im dritten Beispiel des h-Moll-Requiems stehen Orchester und Chor in Überein-stimmung. Bei diesem Abgesang fasst der Komponist die inständige >Kyrie<-Bitte mit allen Musikern zusammen. Das Orchester identifiziert sich mit dem Chor, sodass der musikalische Eindruck, obwohl ein vierstimmiger Satz vorliegt, einen Unisonocharakter hinterlässt. Unterstützend wirken auch die dynamischen Verhält-nisse, die ebenfalls gleich sind. Im vierten Beispiel des h-Moll-Requiems tritt besonders die Dynamik hervor. Der Satz ist vierstimmig konzipiert. Draeseke arbeitet mit Wechseltönen und Altera-tionen. Vier Mal ertönen die Hörner auf dem Ton A. Der Mensch spürt seine Angst vor dem Kommenden und soll an seine demütige Haltung erinnert oder heran-geführt werden. Die Orchesterinstrumente haben mit ihrem fordernden Ton eine herausragende Rolle zu gestalten.

• fis-Moll-Messe: Gloria, T. 1-13: Gloria in excelsis Deo • fis-Moll-Messe: Gloria, T. 91-106: Domine fili unigenite Jesu Christe,

Domine Deus agnus Dei • fis-Moll-Messe: Credo, T. 9-28: Credo in unum Deum, patrem omni-

potentem • fis-Moll-Messe: Sanctus / Benedictus, T. 125-187: Benedictus qui venit in

nomine Domini Im ersten Beispiel der fis-Moll-Messe schreibt der Komponist einen Orchestersatz, der in seinen hohen Stimmen gebrochene D-Dur-Akkorde formuliert und die Bässe wieder in riesigen Oktavgängen musiziert. Darüber baut Draeseke die Rufe des Chores ein, die auch eine Art unisonen Charakters nachweisen. Der volle Chor im f

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steht dem Orchester im f gegenüber. Nur wenige f-Nuancierungen sieht Draeseke bei beiden großen Färbungen vor. Im zweiten Beispiel der fis-Moll-Messe singen zunächst zwei Solosoprane, die von zwei Soloaltstimmen des Kleinen Chores ergänzt werden. Im weiteren Verlauf wird die Solofärbung auch auf die Männerstimmen übertragen. Es findet eine musika-lische Korrespondenz zwischen Sopran und Alt, sowie Tenor und Bass statt. Dieser Orchestersatz ist harmonisch aufgebaut und geht mit den Solostimmen parallel. Auffallend sind im Chor und Orchester die aufstrebenden Sextenklänge. Die Teilung der Solostimmen zeigt eine Besonderheit, die bei Draeseke nicht oft vorkommt. Die Besetzung des Orchesterparts sieht an dieser Stelle Flöten und Oboen, Violen und Violoncelli vor. Sobald die Männerstimmen auftreten, wird der Bass durch die Kontrabässe verstärkt. Die übrigen Orchesterstimmen übernehmen weiter eine wörtliche Begleitung. Im dritten Beispiel der fis-Moll-Messe wird die Grundstruktur des vierstimmigen Satzes erhalten, doch mit zunehmender Erweiterung verfasst Draeseke in der Begleitung kontrapunktische Züge in der 1. Violine und der Viola, die auch mit Oktavgängen gefüllt sind. Später entstehen in der 1. und 2. Violine Aufwärts-bewegungen, die in Achteln einen Kontrapunkt bilden. Flöte, Oboe, Fagott, Horn in F und Trompete in A unterstützen die Credo-Formel, während die Streicher ihre kontrapunktische Rolle ausführen. Die Pauke zeigt mit ihren zusätzlichen Trillern eine verstärkende Wirkung. Das vierte Beispiel der fis-Moll-Messe stellt ein Sopransolo vor, das zunächst von den Streichern im p begleitet wird. Die lebhafte Bewegung in den hohen Violinen wird nach drei Takten an die hohen Bläser abgegeben. Die Bläsergruppe hat zu Beginn eine führende Rolle auszufüllen. In der Folge wird diese von Bläsern und Streichern zusammen in einer p-Dynamik wahrgenommen. Die Solopartie wird vom Kleinen Chor und dem Tutti-Chor begleitet. Chor- und Orchesterstimmen nehmen zwar an Intensität zu, sind aber an den pp-Raum gebunden. Draeseke hat den Satz so konzipiert, dass das Sopransolo in seiner ihm eigenen Art eine große musika-lische Ausstrahlung abgibt und sich vom musikalischen Kontext abhebt, indem er vom Sopran nicht nur eine teilweise hohe Höhe durchsetzt, sondern eine gezielte Gegenspannung zu den übrigen Musikern verlangt. Durch das Zusammengehen von Chor- und Orchesterstimmen erreicht der Kompo-nist eine besondere Dichte. Der Weg ist die Verbindung der melodischen Bögen und zu ihren Variationen. Dabei kann ein völlig neuer Gedanke entstehen. Alle genannten Strategien können sowohl im Chor als auch im Orchester stattfinden.

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»Die retrospektiv-historisierend ausgerichtete Romantik strebte nicht nach der Aus-bildung eines neuen, nach ihrer Ansicht von Verfallserscheinungen gereinigten Zeitstils, sondern sah das Ideal eines spezifischen Kirchenstils in der altklassischen Polyphonie, die sie wieder zu beleben und zu erneuern suchte«.235 Die Wechselfunktion zwischen Solo-, Chor- und Orchestersatz beschränkt sich bei Draeseke mehr auf den Solo- und Chorteil. Der Orchestersatz ist in erster Linie Begleitung, aber auch Hinführer zu neuen musikalischen Gedanken. Draesekes sängerische Denkweise ist in allen seinen Messen zu spüren, auch in den polyphon gestalteten Fugati und Fugen. Bei den letzteren Formen arbeitet er mit allen ihm zur Verfügung stehenden musikalischen Mitteln. Und durch diese wird auch das Orchester in allen Bereichen und Färbungen stark gefordert. 5.4.5 Orchester- und Chorteilungen »Im 19. Jahrhundert wird der Orchesterapparat zunehmend vergrößert: von Mozart bis zu R. Strauß wird die Besetzungsstärke durch Vervielfachung der bestehenden Holzblas- und Blechinstrumente sowie durch Einführung neuer Instrumente mehr als verdoppelt. Damit geht häufiger eine Teilung der Streichinstrumente Hand in Hand«.236 Draesekes Klangfarbauffassung von Orchester- und Chorklangfarben unterscheiden zwischen denen der Neudeutschen Schule und den späteren musi-kalischen Hinwendungen zu mehr archaischen Merkmalen, aber im Zusammen-klang mit hochromantischen Elementen. Sinfonische Strukturen und Klangfarben sind in den Werken Requiem h-Moll und der Messe fis-Moll vertreten, ebenso einfache und klare musikalische Aussagen mit ihren entsprechenden Klangfarben. »Die Erweiterung des Klangapparates erfolgt nicht bloß, um Massenwirkungen zu erzielen, sondern auch um homogene Klangfarben zu realisieren«.237 Einzelne musikalische Elemente bilden in der Musik die Parameter, physikalische Messda-ten. In der Erweiterung des Parameterbegriffs fallen darunter in der Musik Ton-höhe, Dauer, Artikulation und Klangfarbe, wobei letztere eine Sonderstellung ein-nimmt, da sie nicht nur musikpsychologisch allein eingesetzt wird, sondern auch in ihrem kompositorischen Umfeld ihre musikalische Entwicklung zu dem Vorherigen

235 Friedrich Blume: Restauration, Cäcilianismus und Neuer Zeitstil. In: Musikalische Gattungen in Einzeldarstellungen. Edition MGG, Bd. 2: Die Messe. Kassel. München 1985, S. 93. 236 Constantin Floros: Art. Orchester. In: Das große Lexikon der Musik. Bd. 6. Hrsg. von Honegger/Massenkeil. Freiburg. Basel. Wien 1981, S. 131. 237 Ebd., S. 131.

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und Zukünftigen in Beziehung bringt. Die Klangfarbe strahlt förmlich in verschie-dene Richtungen. Ton und Farbe bedingen sich gegenseitig. Die Wirkung von Farben äußert sich in Bewegungen und in Klängen. Sie sind zwei Kategorien, die nicht getrennt werden, sondern die in einer inneren musikalischen Abhängigkeit stehen. Ähnlich wie in der Kunsttheorie »hat sich die dramaturgische Behandlung von Licht und Farbe den gleichen Gesetzmäßigkeiten zu fügen, denen auch eine Komposition gehorcht«.238 Zu den musikpsychologischen Gesichtspunkten gelangen emphatische Phasen, die für das 19. Jahrhundert von Wichtigkeit sind. »Dass Kirchenmusik, die den Prunk nicht verschmäht, ideen- und institutionsgeschichtlich begründbar ist, genügt allerdings nicht, sie entstehen zu lassen, wenn nicht zugleich die kompositions-geschichtlichen Voraussetzungen erfüllt sind, die es erlauben, in Werken des hohen Stils den Erwartungen gerecht zu werden, die von der Ästhetik der Epoche an eine Musik mit Kunstanspruch geknüpft werden«.239

• h-Moll-Requiem: Kyrie, T. 33-60: Et lux perpetua luceat eis • h-Moll-Requiem: Kyrie, T. 69-73: Requiem aeternam dona eis • h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 80-102: Tuba mirum spargens sonum • h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 198-212: Recordare, Jesu pie, quod sum • h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 407-440: Lacrimosa dies illa, qua resurget ex favilla, judicandus homo reus • h-Moll-Requiem: Domine Jesu Christe, T. 1-55: Domine Jesu Christe, rex gloriae, libera animas omnium fidelium defunctorum de poenis inferni et de profundo lacu, libera eas de ore leonis • h-Moll-Requiem: Sanctus, T. 1-30: Sanctus Dominus Deus, Sabaoth • h-Moll-Requiem: Agnus Dei, T. 1-20: Agnus Dei, qui tollis peccata mundi

Im ersten Beispiel des h-Moll-Requiems beschreibt der Komponist mit Hilfe des Chores eine zurückhaltende musikalische Atmosphäre. Demgegenüber spielen die Bratschen eine Sechzehntelbewegung, die noch von einem Achtelgedanken der Violinen zusätzlich verziert wird. Diese verschiedenen Farbkombinationen bringen eine Szene zustande, die beim Hörer haften bleibt. Im zweiten Beispiel des h-Moll-Requiems verbindet Draeseke den Chortenor mit der Bitte >Exaudi orationem meam<. Sie wird vom Solochor vorgetragen. Der Tenor wird durch die Posaune begleitet, sodass eine bestimmte Wirkung von der

238 Elmar Budde: Synästhesie. Musik-Klang-Farbe. In: Musik und Bildung, 21. Jg. Heft 2. 1989, S. 70. 239 Ebd., S. 153.

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gemeinsamen Aussage erreicht wird. Die Solofärbung und die Chortenorfärbung bilden mit dem Anfangsthema des Kyrie ein kontrapunktisches Gefüge. Die Instru- mentierung durch die Posaune sorgt ebenso für eine weitere kontrastreiche Färbung. Im dritten Beispiel des h-Moll-Requiems ist der Chor damit beschäftigt, die unerbittliche Lage zu begreifen. Draeseke befindet sich im b-Moll-Bereich, gleich der herrschenden, unsicheren Stimmung. Diese wird durch das Orchester mit seinem gebrochenen b-Moll-Akkord und den absteigenden Oktaven beschrieben. Die Trompeten verdeutlichen den Status des Menschen, der vor den Thron tritt. Im vierten Beispiel des h-Moll-Requiems stellt der Schreiber das >Dies<-Thema wieder in abgewandelter Form vor. Die Begleitung erfolgt ebenfalls durch das Thema, aber in der Umkehrung und mit durchlaufenden Sekunden verbunden. Der Chor singt in einem Andantino-con-moto-Tempo, das Orchester hat Achtel-bewegungen vorgesehen. Im fünften Beispiel des h-Moll-Requiems hält Draeseke die älteste Komposition dieses Requiems bereit, das die Thematik für alle übrigen Sätze vorlegt. In den Sechzehntelbewegungen der Violinen ist das Grundthema in den beiden ersten Takten enthalten. Chor und Solochor wechseln sich ab, indem sie teilweise echo-artig musizieren. Draeseke legt vor allem großen Wert auf die unterschiedlichen Chorgruppen. Er erreicht neben der Orchesterbegleitung eine transparente Sicht- und Hörweise. Die Zeit, die neben der musikalischen Farbpalette vorhanden ist, scheint für ihn auch eine bestimmbare Größe zu haben. »Das Bewegte der Komposition, das aus minimalen Zeitimpulsen besteht, wird nicht als Zeit wahrge-nommen, sondern als Gegenständliches, umgekehrt gibt sich das, was das Gegenständliche (d.h. Komposition) umgibt, also die Stille, als Zeit zu erken-nen«.240 Im sechsten Beispiel des h-Moll-Requiems nimmt das Orchester die aufsteigenden Dreiklänge vom Chor vorweg. Die Zeile >Libera animas< belebt Draeseke mit Imitationen und der Einbindung des Chorals >Jesus, meine Zuversicht<. Kunstvoll setzt er hier kontrapunktische Züge zum Choral in Halben. Posaunen und Hörner unterstreichen die Dringlichkeit der musikalischen Aussage. Die Einleitungszeile des Orchesters wird bei >Libera eas de ore leonis< wieder verwendet. Draeseke lässt ein geistiges Bild erscheinen, indem er ein Fugato formuliert, das durch das Orchester den Chor in die Höhe mit den Worten >ne absorbeat eas< treibt. Es folgt eine Chorpause, während das Orchester wieder an den Beginn erinnert. Dann erst sieht der Komponist das Wort >tartarus< vor. Hier arbeitet Draeseke mit drama-tischen Mitteln der vorläufigen Aussparung, denn er isoliert das letzte Wort und 240 Elmar Budde: Synästhesie. Musik-Klang-Farbe. In: Musik und Bildung. 21. Jg. Heft 2. 1989, S. 73.

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enthält es somit dem ursprünglichen Satz nur verzögert vor. Es scheint nahezu-liegen, dass Draeseke einen Effekt mit >tartarus< erreichen wollte. »Draeseke komponiert geradezu gegen den syntaktischen Zusammenhang, wenn er das >ne absorbeat eas< durch einen einen Instrumentaltakt von >tartarus< trennt«.241 Im siebten Beispiel des h-Moll-Requiems eröffnen drei Trompeten im pp das Sanctus. Die Dynamik entwickelt sich weiter vom p zum pp. Das Orchester begleitet mit, aber wieder mit Oktavverdoppelung der Bässe. Chor und Orchester musizieren Sequenzen, die sich auch im >pleni sunt coeli terra, gloria tua< besonders aus- drücken. Orchester wie Chor streben nach oben, um diese Feststellung musikalisch zu untermauern, indem Tonhöhen und Dynamik herausgestellt werden. Im achten Beispiel des h-Moll-Requiems wird durch die Triolenbewegung der Violinen eine Stimmung erzeugt, die das leidende Agnus darstellt. Bei der Zeile >qui tollis peccata mundi< setzt der Komponist entsprechende Vorhaltssexten ein. Der Chor wird durch die Solisten abgelöst, indem dieser die Bitte >dona eis requiem< in einem dreimaligen Septimenkanon vorträgt. Draeseke stellt auch hier wieder differente Orchesterfarben neben unterschiedliche Chorformen. Aus der Farbfläche wird unter anderem ein konkreter Rhythmus herausgehört. Er »verkör-pert das Element des Konturs, dessen Rhythmus und Diastemik aus dem Kopf des Hauptthemas gewonnen sind«.242 Draeseke arbeitet in seiner fis-Moll-Messe ebenfalls mit vielen musikalischen Mitteln. Nicht nur auf der Oberfläche von Tönen, Klängen und Farbanalogien berühren sich Musik und Text, sondern im Inneren des Gefüges. »Erst dann kommen die Künste aufeinander zu, wenn sie sich den ihnen eigenen Impulsen und Tendenzen konsequent und vorbehaltslos überlassen«.243

• fis-Moll-Messe: Kyrie, T. 64-86: Christe eleison, Kyrie eleison • fis-Moll-Messe: Gloria, T. 74-90: Domine Deus rex coelestis, pater

omnipotens • fis-Moll-Messe: Credo, T. 205-230: Et resurrexit tertia die, secundum

scipturas, et ascendit in coelum, sedet ad dexteram patris

• fis-Moll-Messe: Credo, T. 258-302: cuijus regni non erit finis • fis-Moll-Messe: Credo, T. 411-424: Et expecto resurrectionem

241 Peter Andraschke: Felix Draesekes Requiem op. 22. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke- Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 163. 242 Andreas Eichhorn: Farbe und Kontur. In: Musica. 44. Jg. 1990. Heft 5, S. 287. 243 Th. W. Adorno: Über einige Relationen zwischen Musik und Malerei. Berlin 1967, S. 5.

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mortuorum • fis-Moll-Messe: Sanctus, T. 33-59: Osanna in excelsis • fis-Moll-Messe: Agnus Dei, T. 40-64: miserere nobis • fis-Moll-Messe: Agnus Dei, T. 118-129: dona pacem

Im ersten Beispiel der fis-Moll-Messe antwortet der Solochor dem Kleinen Chor mit >Christe eleison<. Er macht das auf eine sehr zurückhaltende Art, das heißt, dass das p beibehalten wird, der Satz wird vom Bass aus aufgebaut, vorher vom Frauen- Chor, und die dunklen Männerstimmen führen. In der weiteren Entwicklung wird der Chor durch die 1. Violine kontrapunktiert. Dadurch wird der Form Imitation eine klare Linienführung eingeräumt. Das in diesem Abschnitt geforderte >Kyrie eleison< wird durch den Tutti-Chor gefestigt. Es ertönt im f und >energico<, um dann plötzlich im p auszuklingen. Das Orchester figuriert den Chor, es zeigt teilweise kontrapunktische Züge, die das Ganze beleben. Der genannte letzte Einsatz wird auch wieder von starken Oktavverdoppelungen im Orchester musiziert. Im zweiten Beispiel der fis-Moll-Messe sind es vier Trompeten, die den Satz einleiten und teilweise begleiten. Das gesamte Orchester zeigt abwärts gerichtete Oktavgänge, die in einem Tremolo im ff den Tutti-Chor begleitend beginnen lassen. Diese Begleitung erfüllt ihre erste Aufgabe, die zweite ist die der kontrastreichen Färbung durch die Instrumentierung. Während die Blasinstrumente den Chor wörtlich begleiten, treten die 1. und 2. Violinen durch eine besondere Phrasierung ihrer Sechzehntelpassagen hervor. Bei dem folgenden >pater, pater omnipotens< erscheint im Orchester dieses Mal der Beginn modifizierter >Gloriarufe<, und zusätzlich arbeitet der Komponist mit einer typischen romantischen B-Tonart: das letzte herausragende Wort erklingt in As-Dur. Draesekes Absicht scheint zu sein, dass er die Allmacht Gottes vom üblichen Text sich abheben lässt und Interpre-tationen einräumt. »Klang und Bild sind ein synästhetisches Ganzes, das sich, gleichsam im Kontinuum einer stillstehenden Zeit, bewegt, ohne selbst Zeit zu artikulieren«.244 Im dritten Beispiel der fis-Moll-Messe beschreiben die hellen Holzbläser die Aufer-stehungsszene >et resurrexit<. Die Orchesterbässe treten in wuchtigen Oktaven auf, indem sie von Draeseke auch kontrapunktisch eingesetzt werden. Die drei Männerstimmen beginnen, der Tenor stellt das Thema vor. Orchester wie Chor zeichnen ebenfalls von unten nach oben entwickelnd eine dramatische Szene mit >ascendit in coelum<. Diesen verschiedenen Färbungen steht der folgende Uniso-

244 Elmar Budde: Synästhesie. Musik-Klang-Farbe. In: Musik und Bildung. 21. Jg. Heft 2. 1989, S. 74.

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nobereich >sedet ad dexteram patris< gegenüber. Ab dem vierten Takt teilen sich die Chor- und Orchesterstimmen wieder. Draeseke vermittelt mit dieser Stelle seine theaterbezogene Haltung, praktisch eine >sinfonische Dichtung mit Text<. »Die Musik öffnet sich aufgrund ihrer Eigenart zum Bildhaften hin, ohne Bildhaftes illustrierend widerzuspiegeln, sie löst nicht synästhetische Empfindungen im Hörer aus, sondern begreift sich selbst, um es als These zu formulieren, als synästhe-tisches Ganzes«.245 Im vierten Beispiel der fis-Moll-Messe wird auf einem Orgelpunkt mit dem Ton A im tiefen Bass des Orchesters ein Fugato >cujus regni non erit finis< musiziert. Der Tenor stellt das Thema vor, gefolgt von Alt, Sopran und Bass. Das Orchester wie auch der Chor verarbeiten ein Allegro con brio. Zum Teil wird der Chor wörtlich begleitet, zum anderen schreibt Draeseke ein Fugato mit entsprechenden Gegen-stimmen im Orchester. Oktavgänge in den tiefen Bässen werden auch hier wieder verwendet, an manchen Stellen mit etlichen Durchgangsnoten. Es wird betont, dass die Herrschaft Gottes kein Ende nehmen wird. Draeseke unterscheidet sich an der Stelle von anderen Komponisten, mit Ausnahme von Beethoven. Wie dieser isoliert der Schreiber das Wort >non< drei Mal. Im ursprünglichen Text heißt es nur ein Mal >non<. Hinzu kommt noch, dass Draeseke die Betonung auf die Zählzeit zwei in einem ¾-Takt legt. Er setzt hier ganz bewusst Synkopen ein, damit der Hörer gezielt auf diese Stelle aufmerksam gemacht wird. Im fünften Beispiel der fis-Moll-Messe wird eine musikalische Erwartungshaltung bei dem Text >Et expecto resurrectionem mortuorum< in Erinnerung an den An-fang des Kyrie und an >ascendit< formuliert. Das Orchester und der Tutti-Chor gestalten einen riesigen Aufstieg, den der Text in der Auferstehung verlangt. Der Beginn wird im Orchester durch Fagotte, Violoncelli und Kontrabässe gestaltet. Im weiteren Verlauf gehen die Bläsergruppe und die Streicher parallel. Sie bewegen sich dabei in der Dynamik von f zu mf und bei >mortuorum< zu sf. Die Vermischung der Chorstimmen mit denen des Orchesters vermittelt der Vokalinstrumentation eine breite Basis, im umgekehrten Fall ist es nicht nur eine Addition, sondern eine tondichterische Kraft, die Draeseke freisetzt. »Die Instrumentation hat die Aufgabe, den Klang in seiner Farbigkeit zur Geltung zu bringen und zu modifizieren«.246 Im sechsten Beispiel der fis-Moll-Messe wird die Osanna-Fuge von Violinen in einem >Allegro con brio< eingeleitet. Das Thema stellt der Sopran vor. Es wird von den Flöten und den Oboen begleitet. Der Comes tritt modifiziert im Alt auf. Sopran

245 Ebd., S. 71. 246 Peter W. Schatt: Klang und Farbe. In: Musik und Bildung. April-Juni 2004, S. 41.

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und Tenor, sowie Alt und Bass übernehmen weitere Funktionen. Draeseke knüpft mit seiner Fugenkomposition auch an klassische Muster an. »Denn während im Kanon die Fessel, die durch die Wiederholung der ersten Stimme uns angehängt wird, sich nicht allein stets fühlbar macht, sondern bei zunehmender Zahl der Stim- men es immer weniger möglich erscheinen lässt, einen ungezwungenen, und einigermaßen musikalischen Kontrapunkt zur neueintretenden Stimme zu erfinden, ist in der Fuge dem Komponisten so viel freier Spielraum gegeben, kann seine Phantasie, ja seine Inspiration sich dermaßen geltend machen, dass diese Kompo- sitionsform fast als Belohnung angesehen werden könnte, für die, welche in ge-wissenhafter Tätigkeit sich bis zu diesem Punkte durchgearbeitet haben«.247 Im siebten Beispiel der fis-Moll-Messe wird das >miserere nobis< vom Soloquartett entwickelt. Die Bläsergruppe begleitet die Solisten wörtlich, während die Violinen ein eigenes Thema über den Solistensatz setzen. Draeseke baut hier einen Kanon auf, der zu Beginn nur im p gehalten ist. Selbst beim Einsatz des Tutti-Chores schreibt der Komponist ein p vor. Der nachfolgende Soloeinsatz fordert ein pp. Er tritt ebenfalls hervor, da er auf der Zählzeit zwei in einem 4/4-Takt erscheint. Hier hat der Schreiber wieder sehr bewusst den Gegenschlag musikalisch ausgenutzt, um die Ernsthaftigkeit dieser Aussage zu unterstreichen. Die Verstärkung der Passage wird durch den Tutti-Chor im pp geleistet. Draeseke setzt die Chorgruppen gegenüber. Das pp im Tutti-Chor ist ein anderes als das der Solistengruppe. Die orchestralen Färbungen treten etwas in den Hintergrund, weil der Text die dominante Stellung einnimmt. Im achten Beispiel der fis-Moll-Messe hat Draeseke in allen Solo- und Chorstimmen das Wort >nobis< teilweise ausgelassen. Er schreibt in den Vorzeilen sowohl den vollständigen als auch den fragmentierten Satz. Eine gewisse Freiheit nutzt der Komponist, damit sein sprachliches Konzept hier auffällt und er eine musikalische Wirkung ermöglichen kann. Diese Solopartie klingt im p und die Tutti-Stelle ebenfalls. Beide Teile werden mit espressivo gekennzeichnet. »Bei der individua-lisierten Sprache waltet solch innige Verbindung zwischen Ton und Wort, dass kein Gedanke in uns ohne seine Hieroglyphe erzeugt, die Musik bleibt allgemeine Sprache der Natur, in wunderbaren, geheimnisvollen Anklängen spricht sie zu uns, vergeblich ringen wir danach, diese in Zeichen festzubannen, und jenes künstliche Anreihen der Hieroglyphe erhält uns nur die Andeutung dessen, was wir erlauscht«.248 Die Orchestrierung des Anfangs wird von 2 Flöten-, 2 Fagottstimmen und einer selbstständigen Violinstimme geleistet. Sobald der Tutti-Chor auftritt, übernehmen die 1. Violine und das Violoncello die Tenorstimme des Chores. 2 Oboen ergänzen den übrigen Bläserchor.

247 Felix Draeseke: Der gebundene Styl. Lehrbuch für Kontrapunkt und Fuge. Hannover. London 1902, S. 30. 248 E. T. A. Hoffmann: Kreisleriana. Gesammelte Werke. Bd. 1. Zürich 1946, S. 419.

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In Draesekes A-cappella-Werken a-Moll und e-Moll ist auch Klangdichte, bzw.-fülle konstant enthalten. Der einzelne Ton weist zwar eine ihm eigene Klangdichte auf, aber in der Kombination mit anderen Tönen wird die Kraft der Fülle gesteigert. Es gibt eine bleibende Klangdichte über einen längeren Zeitraum und eine, die sich in einem bestimmten musikalischen Augenblick dem Ohr öffnet. Zwischen beiden Bereichen findet eine zunehmende oder abnehmende Klangdichte statt. Die Besonderheit liegt darin, dass die A-cappella-Werke ein Kolorit vorweisen, das ursprünglich von der Sprache her wirkt. Die Musik dazu ist nicht additiv, sondern sie teilt sich durch die Sprache unmittelbar mit. »Die einzige Zeitfolge in einem solchen Tonstücke äußert sich fast nur in den zartesten Veränderungen einer Grundfarbe, welche die mannigfaltigsten Übergänge im Festhalten ihrer weitesten Verwandt-schaft uns vorführt, ohne dass wir eine Zeichnung von Linien in diesem Wechsel wahrnehmen können. Da nun diese Farbe selbst nicht im Raume erscheint, so erhalten wir hier ein fast ebenso zeit- und raumloses Bild, eine durchaus geistige Offenbarung«.249

• a-Moll-Messe: Kyrie, T. 1-78: Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison • a-Moll-Messe: Gloria, T. 41-72: Laudamus te, benedicamus te, adoramus

te, glorificamus te, gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam

• a-Moll-Messe: Gloria, T. 193-213: Quoniam tu solus sanctus dominus, tu solus altissimus, Jesu Christe

• a-Moll-Messe: Credo, T. 54-77: ante omnia saecula, Deum de Deo, lumen de lumine, Deum verum de Deo vero, genitum non factum, con substantialem patri per quem omnia facta sunt

• a-Moll-Messe: Credo, T. 245-267: Confiteor unam baptisma in remissionem mortuorum

• a-Moll-Messe: Sanctus, T. 33-98: Osanna in excelsis • a-Moll-Messe: Benedictus, T. 1-52: Benedictus qui venit in nomine Domini • a-Moll-Messe: Agnus Dei, T. 64-95: Dona nobis pacem

Im ersten Beispiel der a-Moll-Messe stellt der Tenor das Thema für die Doppelfuge vor. Draeseke entwickelt es nach oben, sodass die Bitte >Kyrie eleison< mit den höheren Tondichten in Berührung kommt. Wird der Beginn von Tenor und Bass eingeleitet, so schreibt der Komponist beim >Christe<-Einsatz zwei Soprane vor. Nach und nach gelangen die übrigen Stimmen hinzu. Hohes sängerisches Können verlangt Draeseke im gesamten Fugenablauf, daher auch in den einzelnen

249 Richard Wagner: Dichtungen und Schriften. Hrsg. von Dieter Borchmeyer. Bd. 9. Frankfurt/Main 1983, S. 58.

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Stimmführungen. Die Qualität der Tondichte und der damit zusammenhängenden Färbung nimmt in allen Stimmen zu oder ab. Die dynamischen Vorschriften sind gleichermaßen verteilt. Aber nicht nur die alte Fugenform hält Draeseke bereit, son- dern seine individuelle Kompositionsschreibweise in spätromantischer Harmonik. Im zweiten Beispiel der a-Moll-Messe beginnen Sopran und Alt mit einem neuen, kleinen harmonisch gestalteten Abschnitt, gefolgt von Tenor und Bass. Draeseke hat ihn als Gegenpart zum Beginn des Glorias komponiert. Von f über p und pp lässt er den Text interpretieren: f für ein >Laudamus te, benedicamus te, adoramus te, glorificamus te<. Der Dank >gratias agimus tibi< wird in einem p abgesetzt. Die letzte dynamische Steigerung erfolgt vom p zum pp. Der Mensch wagt kaum >propter magnam gloriam tuam< auszusprechen und zeigt auf diese Weise seine demütige Haltung an. Im dritten Beispiel der a-Moll-Messe wird ein Fugato in G-Dur vorgestellt, das von Sopran, Alt, Bass und Tenor musiziert wird. Es soll frisch und lebhaft vorgetragen werden und in einem f. Aus dem Text spricht eine große Zuversicht, die sich auch in den letzten Takten dieser Passage bis zum ff und fff steigert. Draeseke malt mit der Dynamik: >tu solus altissimus, Jesu Christe<. In diesem Abschnitt steckt eine hohe Dramatik. Die potenzierte Kraft wird bei >Jesu Christe< mit fff verlangt, wobei der Bass das zweite >Jesu Christe< in einem p ausklingen lässt. Im vierten Beispiel der a-Moll-Messe sieht Draeseke ein Fugato vor, das vom hohen Bass eingeleitet wird. Er unterstreicht die Zeile >ante omnia saecula<, indem er eine neue rhythmische Bewegung in Form von Triolen in einen Vierertakt und zusätzlichen Synkopen einbringt. Die Stelle wirkt durch ihre Verzögerungen und weist damit direkt auf den Text hin. Das Thema Menschwerdung verbindet der Komponist nicht nur mit singbarem Melodienreichtum, sondern auch mit einer kurzen C-Dur-Färbung. Die dynamischen Abstufungen gehen vom p über f, später bis zum ff. Im fünften Beispiel der a-Moll-Messe zeigt der Komponist >confiteor unum baptisma< als alleinstehende Zeile. Entschieden und in einem f soll sie durch den hohen Bass gesungen werden. Der Chor führt den Grund mit >in remissionem peccatorum< an. Sopran und Bass werden zunächst zweistimmig besetzt. Alle Menschen unterstehen diesen Aussagen der Vergebung der Sünden. In diesem Augenblick wählt Draeseke eine neue Tonart Des-Dur mit einem p bis zu einem pp und betont dadurch auch die Vergebung. Die nächste Aussage >et expecto resurrectionem mortuorum< wird wieder vom hohen Bass im f begonnen. Beim Wort >resurrectionem< schreibt er einen fünfstimmigen Satz vor, der im Sopran und in den beiden Bässen Oktavsprünge nachweist. Einen pp- Abschluss setzt Draeseke in der Wortwiederholung >mortuorum< dagegen.

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Eine weitere Besonderheit ist ein vierstimmiger Satz mit vier Basslinien, die sich auf dieses eine Wort beziehen und drei Takte lang dauern. Im sechsten Beispiel der a-Moll-Messe schreibt Draeseke im Sanctus wie in der fis-Moll-Messe eine Osanna-Fuge. Das Thema beginnt mit einem Sextensprung und anschließenden Sekundgängen nach unten. Diese wenden sich eine Septime hoch, um einen Sextenfall zu vollziehen und in Wechselnoten nach oben zu steuern. Alle Einsätze werden im mf oder f gestaltet. Draeseke bezeichnet den erneuten Einsatz mit hervorgehoben. Zwei Wiederholungen des Themas werden durch den Tenor im ff gesungen. Neben der wörtlichen Wiedergabe durch den Sopran, sind die Tenoreinsätze die einzigen, die vor dem großen Schluss das Thema in die Erinnerung rufen. Die Fuge endet in einer ausgeweiteten, aber klaren Kadenz mit vermindertem Tempo und verschiedenen dynamischen Vorschriften. Die Spannung baut sich auf durch fünf gleichberechtigte Stimmen mit eigener Färbung in einem intensiven und kontrapunktischen Satz. Die Sprache ist hier nicht zweckfrei eingesetzt, sondern im Gegensatz zur Natursprache erhebt der musika-lische Vorgang den Anspruch von Kontemplation seelischer Kräfte des Rezipienten. Die Anordnung der Sprache und die Bewegungsrichtung gehen dabei eine Symbiose ein, indem sie musikalisch agieren und somit eine weitere interpre-tierende Wirkung erreichen. Im siebten Beispiel der a-Moll-Messe hat der Tenor im Benedictus die thematische Vorgabe. Sind im Sanctus die aufsteigenden Sexten federführend, so sind sie im Benedictus fallend. Die Fortsetzung des Themas mit >qui venit in nomine Domini< wird im Tenor und Sopran fünf Takte lang enggeführt. Der Satz ist sehr zurück-haltend konzipiert von p über mf bis zum pp. Das Thema des Tenors imitiert der Sopran. Der Satz ist insgesamt einfach harmonisch aufgebaut. Vorwiegend gebraucht der Komponist F-Dur. Nach Draesekes Anweisungen soll der Satz sanft bewegt, sehr mild musiziert werden. Die Färbung dieses Satzes liegt in der zurückhaltenden Gesamtstimmung. Im achten Beispiel der a-Moll-Messe erscheint im Agnus Dei das >Dona nobis pacem< als Tripelfuge. Sie besteht aus mehreren Kleinthemen, die alle miteinander zusammenhängen.250 Das Hauptthema- (NB a 24) wieder mit einer aufsteigenden Sexte- verwendet Draeseke in seinen geistlichen Gesängen, op. 75.251 Das Wort

250 »Bei Doppel- oder Tripelfugen gewinnen die hervortretenden Nebengedanken die Bedeutung eines Themas«. E. Platen: Art. Fuge. In: Das große Lexikon der Musik. Bd. 3. Hrsg. von Honegger/Massenkeil. Freiburg. Basel. Wien 1976, S. 190. 251 Felix Draeseke: Das Hauptthema verwendet Draeseke in op. 75 (Geistliche Gesänge): Drei geistliche Gesänge für mittlere Stimme. 2. Lied: Dem Herrn sei Lob. Vgl. Kap. 4, S. 90.

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>pacem< ist mit dem Hauptmotiv charakterisiert. Die Dynamik reicht in diesem Abschnitt von pp zu p, mf und f. Der p-Raum steht an erster Stelle, der 3/2-Takt und die divergierenden Silbenbetonungen geben ihren besonderen musikalischen Schwerpunkt ab. Daher sind hier die Färbungen stark von der sprachlichen Seite beeinflusst.

• e-Moll-Requiem: Dies irae, T. 1-37: Dies irae, dies illa, solvet saeclum in

favilla, teste David cum Sibylla! Quantus tremor est futurus, quando judex est venturus, cuncta stricte discussurus

• e-Moll-Requiem: Dies irae, T. 149-190: Recordare Jesu pie, quod cum causa tuae viae, ne me perdas illa die, quaerens me sedisti lassus, redemisti crucem passus, tantus labor non sit cassus

• e-Moll-Requiem: Domine Jesu Christe, T. 1-38: Domine Jesu Christe, rex gloriae! Libera animas omnium fidelium defunctorum de poenis inferni et de profundo lacu. Libera eas de ore leonis! Ne absorbeat eas tartarus

• e-Moll-Requiem: Domine Jesu Christe, T. 168-207: Quam olim Abrahae promisisti et semini eius

• e-Moll-Requiem: Sanctus, T. 1-41: Sanctus Dominus Deus Sabaoth! Pleni sunt coeli et terra gloria tua

• e-Moll-Requiem: Benedictus, T. 1-58: Benedictus, qui venit in nomine Domini

• e-Moll-Requiem: Agnus Dei, T. 1-31: Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, dona eis requiem, Agnus Dei

• e-Moll-Requiem: Agnus Dei, T. 92-117: Cum sanctis tuis in aeternum, quia pius es Im ersten Beispiel des e-Moll-Requiems wird im Dies irae eine Szene des Jüngsten Gerichts mit aufsteigenden, großen Linien gezeichnet. Draeseke verwendet alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel der Dramatik, diese nachvollziehen zu lassen. Der 1. Bass und der Sopran künden den Richter an, die übrigen Stimmen ergän-zen die Situation. Die Angst der Menschen wird hier thematisiert und fast bildlich dargestellt. Der Komponist schreibt als Tempo sehr bewegt und aufgeregt vor. Seine dynamischen Zeichen liegen im f und ff. Bei >cuncta stricte discussurus< wird das letzte Wort als staccato von den drei hohen Stimmen gefordert. Es soll das Stammeln der Menschen und ihre Ohnmacht hervorheben, die drei unteren Männerstimmen wiederholen >discussurus< mit einer beruhigenderen Legato-Be-wegung.

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Im zweiten Beispiel des e-Moll-Requiems verzichtet Draeseke auf den 2. Bass, den er in den übrigen Sätzen regelmäßig einsetzt. Der Beginn des Recordare wirkt daher in seiner Struktur und Farbe leicht und vom Bass aus gesehen nicht dominant. Viele Bitten durchsetzen den vierstimmigen Satz, der sich die Stimmen-verteilung neu einrichtet. Der Sopran teilt sich. Bei der Zeile >tantus labor non sit cassus< vervollständigt sich der fünfstimmige Chor wieder und bekräftigt inhaltlich mit einem crescendo und f. Im dritten Beispiel des e-Moll-Requiems haben der 2. Bass und der Tenor eine deklamatorische Rolle beim Übergang von >Domine Jesu Christe< zu erfüllen. Die Oktaven, die zu überwinden sind, folgen echoartig aufeinander. Auch Sopran, Alt und später der 1. Bass beteiligen sich an den Sprungintervallen. Die >Libera- animas<-Zeile entwickelt sich vom 1. Bass aus nach oben in einem mf und endet im pp. Die vorhandene Dramatik steigert sich bei >Libera eas de ore leonis< zu einer außergewöhnlichen Modulation. Der Komponist schreibt f und ff vor. Wieder ist der Satz von Oktaven durchsetzt. Die Bitte, den Menschen vor den Höllenqualen zu retten, wird vom Tenor entschlossen eingeleitet. Nach und nach folgen die anderen Stimmen. Draeseke fasst sie zu einem -in diesem musikalischen Kontext- überraschenden C-Dur zusammen. Im vierten Beispiel des e-Moll-Requiems arbeitet der Komponist mit dem Thema der vorangegangenen Fuge. Hier erscheint ebenfalls diese Form wieder, aber in einer neuen Verarbeitung. Draeseke führt das Thema direkt eng weiter und gebraucht das Mittel der Umkehrung und Imitation neben seinen wirksamen Tonar-tenverbindungen. Durch diese Steigerung erfährt die Fuge eine hohe kontrapunkti- sche Satztechnik. »Will der Komponist den Forderungen in Bezug auf Abwechs-lung und Steigerung genügen, so bieten sich ihm durch Umkehrung des Themas Vergrößerung desselben oder Verkleinerung, wenn letztere möglich, insbesondere durch Engführung sehr ausgiebige Mittel«.252 Im fünften Beispiel des e-Moll-Requiems schreibt Draeseke einen fünfstimmigen Sanctus-Chor Note gegen Note. Das dreimalige Sanctus verläuft im p, die Anrede dann in einem f. Sobald die Stelle >pleni sunt coeli< erscheint, wird der Sopran zweistimmig: bildlich öffnet sich der Himmel, vom f bis zum ff. Der Nachsatz >et terra gloria tua< ist in seiner ersten Fassung in der Dynamik zurückhaltend p. Das ändert sich bei der Wiederholung des >pleni sunt coeli et terra gloria tua<. In diesem Nachsatz sind Wechselnoten und Sprünge vorwiegend in den drei hohen Stimmen verarbeitet worden. Die dynamischen Zeichen reichen hier von p bis zu f.

252 Felix Draeseke: Der gebundene Styl. Lehrbuch für Kontrapunkt und Fuge. Bd. 2. Hannover. London 1902, S. 32.

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Auch diese äußeren musikalischen Mittel lassen Eindrücke und Farben entstehen, die dem Text einen tieferen Sinn vermitteln. Im sechsten Beispiel des e-Moll-Requiems stellt der Komponist sein Benedictus vor. Es ist allgemein ein fünfstimmiger, harmonischer Satz, der nur an Wieder-holungsstellen oder Übergängen drei-, bzw. vierstimmig musiziert wird. Draeseke hält sich hauptsächlich an den dynamischen p-Raum. Bei der letzten Wiederholung des Benedictus, >qui venit in nomine Domini<, setzt er ein mf und f ein. Den Schluss bildet ein p- >Domini<. Dieses Wort wiederholt Draeseke noch einmal im pp. Die übrigen Stimmen repetieren ebenfalls, aber unterschiedliche Texte nahezu gleichzeitig: im Alt >benedictus, benedictus<; im Tenor >in nomine Domini<; im 1. Bass >Domini, Domini, qui venit in nomine Domini<; im 2. Bass >qui venit in nomine Domini, in nomine Domini<. Der Komponist arbeitet mit dem Thema melo- diös und setzt es in viele Umkehrungen. Der Satz zeigt insgesamt einen weichen Charakter. Im siebten Beispiel des e-Moll-Requiems wird das Lamm Gottes musikalisch beschrieben, das die Sünden der Welt trägt. Draeseke komponiert einen mäßig bewegten fünfstimmigen Satz mit Durchgangsnoten. Das >qui tollis peccata mundi< lässt er in einem f vortragen, die Wiederholung des Nebensatzes im p. Die folgende Bitte >Dona eis requiem< gestaltet Draeseke ebenfalls im p, in der Stimmführungen im Alt und Bass besonders hervortreten. Eine Steigerung vom mf zum f erfährt die dritte Anrufung mit dem >Agnus Dei<. Hinzu kommt der Tonartenwechsel von a-Moll nach c-Moll. Im achten Beispiel des e-Moll-Requiems tritt mit der Aussage >cum sanctis tuis in aeternum< eine Ruhe in den Satz ein, die Draeseke mit E-Dur ausfüllt und wieder den fünfstimmigen Satz liedmäßig erfasst. Der Komponist schreibt ein sehr weich und innig, langsamer vor. Diese Partie ist im p gehalten und mit abwechselnden, hervortretenden Stimmen gekennzeichnet. Die Zeile >quia pius es< wird durch ein p, dann f und wieder in den einzelnen Stimmen musiziert. Beim Wort >pius< verwendet Draeseke ein sich entwickelndes f. Am Ende wird dieser wichtige Nebensatz >quia pius es< zu einem pp, das in den hohen Stimmen und ebenso in den beiden Bassstimmen nicht nur eine rezitierende Melodik, sondern auch eine vertikale Syllabik vorweisen kann. »Der Ton macht sich bemerkbar durch die Klangfarbe, deren eine Dimension die Klanghöhe ist. Die Klangfarbe ist also das große Gebiet, ein Bezirk davon die Klanghöhe. Die Klanghöhe ist nichts anderes als Klangfarbe, gemessen in einer Richtung«.253 Die Affinität von Orchester- und Chorklangfarben drückt sich in verschiedenen Schattierungen von Farbe und Kontur aus. Sie lassen eine Reflexion der besonderen musikalischen Aussage zu. Der Komponist setzt bewusst diese differenten Mittel von Farbe, Kontur und 253 Arnold Schönberg: Harmonielehre. Wien 1921, S. 506.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Klangfülle ein, damit diese Sinnträger zusätzlich zum Text eine seelische Überein-stimmung erreichen und sie zu einem musikalischen Erleben werden lassen. 5.4.6 Zusammenfassung Im Orchestersatz des h-Moll-Requiems und in der fis-Moll-Messe zeigen folgende Kriterien ähnliche Wirkung durch differenzierte Stilmittel: Kriterien Orchester-satz

Requiem h-Moll

Messe fis-Moll

Differenzierte Stilmittel

Ausgewählte Beispiele

Begleit-funktionen

nicht nur colla parte, sondern bewusstes Absetzen von vorherigen Gedanken: neues Thema

nicht nur colla parte, sondern bewusstes Absetzen von vorherigen Gedanken: neues Thema

Unterstützung durch Orchester- Funktionen: homophoner Satz Melodienzüge: untermalt oder verstärkt Obertonbereiche können hervortreten übrige Orchester- stimmen können zugunsten der Führungsmelo-die zurücktreten Gegenbewe- gungen zeigen instrumental-kantablen Stil

h-Moll: Kyrie: T. 33-60 S. 207 fis-Moll: Credo: T. 9-28 S. 207 h-Moll: Dies irae: Recordare: T. 1-35 S. 207 fis-Moll: Sanctus: T. 1-16 S. 207

Dramatische Verstärkung

Abnehmen Zunehmen eines Klanges

Abnehmen Zunehmen eines Klanges

Klangfülle Klangdichte durch Verdoppe- lung und Schich-

h-Moll: Kyrie: T. 61-87 S. 208 h-Moll: Dies

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von Tempo zunehmende Tonhöhe und Dynamik jedes Instrument: eigene Klang- dichte und Kontur Melodienent- faltung

von Tempo zunehmende Tonhöhe und Dynamik jedes Instrument: eigene Klang-dichte und Kontur Melodienent- faltung

tung von Stimmen durch Wechsel der Struktur: Steigerungs- prinzip Klangvolumen vergrößert oder verkleinert Quintklang: daraus Linienent- wicklung

irae: T. 200-256 S. 208 fis-Moll: Agnus: T. 149-188 S. 208

Ein- und Überleitungs-funktionen

kurze Einleitg. und Überleitung Tempowechsel Taktwechsel Quintklang Achtelbewe-gung Tonarten-wechsel Symbolik: tartarus absteigende Bässe Paukenwirbel Orgelpunkt

kurze Einleitg. und Überleitung Tempowech-sel Taktwechsel Oktavgänge Doppelchörig-keit Paukenwirbel gebrochene Akkorde Einsatz von wenigen Pausen

Wechsel Satztechnik, Takt, Tonart, Dynamik spezielle vorberei- tende Motive alte Motive Umkehrung von Motiven

h-Moll: Kyrie: T. 26-33 Thema: Orchester: Et lux perpetua luceat eis S. 209 Fußn. h-Moll: Domine: T. 138-150 S. 210 Fußn. fis-Moll: Gloria: n. 3X Amen: Orchester Orgelpunkt bis zu Gloria in excelsis Deo T. 283-287 S. 212 Fußn.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Wechselfunk-tion zwischen Solo- formen, Chor- und Orchestersatz

Dichte der unterschiedl. Klanggr. differenzierte Farbqualität fließende Konturen Entfaltung der Form durch Soli, Chor und Orchester: Rollen parallele Funktionen: Kolorierung der beiden Klangkörper Motiv/Linie wird von Orchester über- nommen oder umgekehrt Alterationen, chromatische Elemente Bläser und Streicher

Dichte der unter- schiedl. Klanggr. differenzierte Farbqualität fließende Konturen Entfaltung der Form durch Soli, Chor und Orchester: Rollen parallele Funktio- nen: Kolorierung der beiden Klangkörper Motiv/Linie wird von Orchester über- nommen oder umgekehrt Alterationen, chromatische Elemente Bläser und Streicher

Widerspiegelung vom Chorsatz im Orchestersatz Homophonie und Polyphonie diff. Farbqualität Verknüpfung v. Chor, Soli und Orchester: musikal. Rollen gezielte Gegenspannung Komponist: sängerische Denkweise

h-Moll: Kyrie: Et lux perpetua T. 89-111 S. 214 h-Moll: Dies irae: Quantus tremor est futurus T. 36-79 S. 214 fis-Moll: Gloria: Domine fili unigenite T. 91-106 S. 215 fis-Moll: Credo: Credo in unum Deum T. 9-28 S. 215

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 234

Orchester- und Chorteilungen

Soli, Kleiner Chor und Tutti-Chor Oktavgänge Bass Sechzehntel-bewegung Violinen Choralein-bindung: Posaunen und Hörner Triolenbewe-gung der Violinen

Orch. Apparat vergrößert Holz-und Blech- bläser verdoppelt Farbkombination Bratschen u.Vl. Posaunen und Trompeten u.a. Tonhöhen herausgestellt emphat. Phasen: diff. Farben

h-Moll: Dies irae: Lacrimosa T. 407-440 S. 218 h-Moll: Domine: Domine Jesu Christe T. 1-55 S. 218 fis-Moll: Sanctus: Osanna in excelsis T. 33-59 S. 221 fis-Moll: Agnus Dei: miserere nobis T. 40-64 S. 221

A-cappella-Satz

a-Moll-Messe

e-Moll-Requiem

Differenzierte Stilmittel

Ausgewählte Beispiele

Chorteilungen

Doppelfuge hohe Tondichte hohe Anforde- rungen an das sängerische Können

Doppelfuge hohe Tondichte hohe Anforde- rungen an das sängerische Können

bleibende Klang- dichte zunehmendes und abnehmendes Kolorit, das durch

a-Moll: Gloria: Laudamus te T. 41-72 S. 224 a-Moll: Benedictus: Benedictus qui venit T. 1-52

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Fugenform und individuelle Kompositions-weise mit spätromant. Harmonik und Polyphonie hohe Dramatik Melodienreich-tum rhythmische Neubewegung

Fugenform und individuelle Kom- positionsweise mit spätromant. Harmonik und Polyphonie hohe Dramatik Melodien-reichtum rhythmische Neubewegung

die Sprache wirkt Qualität der Ton- dichte: Färbung nimmt zu oder ab dynamische Vor- schriften und Steigerung Wortwieder-holung Komponist malt mit der Dynamik, der Rhythmik und den übrigen Parametern gleichberechtigte Stimmen mit eig. Färbung Anordnung der Sprache und Bewegungsrich- tung: musikalische Symbiose

S. 224 e-Moll: Sanctus: Sanctus Dominus T. 1-41 S. 227 e-Moll: Agnus Dei: Cum sanctis tuis T. 92-117 S. 227

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 236

5.5 Satzstrukturen »In der Philosophie stellt Struktur den regelrechten Gesamtzusammenhang von Auffassungsanlagen und Ausdrucksmöglichkeiten, bezogen auf einen Mittelpunkt, (ein Ich, ein Gruppensubjekt, einen historisch durchgehaltenen Erlebnis- und Wirk-zusammenhang) dar«.254 In der Musik ist die Struktur das äußere und innere Gefüge, die Form, die Homophonie oder Polyphonie, die Instrumentierung, die Verbindung von Sprache und Musik, die Linienführung, die Tonarten, die Rhythmik, Dynamik, die unterschiedlichen Musiziergruppen, das Solo, Formen, die den verti- kalen und horizontalen Satzbau in der Summe ausmachen. Die Strukturen kann man auch als Architektur des Satzes bezeichnen. [Daher] »ist in der Musik Struktur Plan und Anordnung der musikalischen Elemente der Melodie, Harmonie, des Rhythmus, Feinstruktur der Tonfiguren aus kleinster Einheit: mit zwei Tönen, die sich zu Motiven, Halbphrasen und Phrasen verbinden«.255 Wie in der Musik, so ist Struktur ebenso in der Sprachwissenschaft »ein Gefüge aufeinander bezogener Elemente, die in nichtumkehrbarer Ordnung zu einer höheren Einheit, einer Gestalt zusammentreten«.256 Auch Teilbereiche der Sprachwissenschaft werden in der musikalischen Satzstruktur berücksichtigt, damit ein klares Ganzes entstehen kann. 5.5.1 Übereinstimmung von Chor- und Orchestersatz Der vierstimmige Chorsatz und seine Harmonik finden sich teilweise im Orchester-satz wieder. Draeseke schreibt im h-Moll-Requiem und in der fis-Moll-Messe Chorsätze, die an die Chorausführungen der Venezianer anknüpfen: vier- bis achtstimmige Kompositionen, die die musikalische Kommunikation deutlich zeigen. Die Orchesterfassung stellt sich nahezu wörtlich im Geschehen dar. Aus dieser Einfachheit resultiert trotzdem eine Differenzierung von verschiedenen Färbungen, da die verwendeten archaischen Muster nicht nur eine äußere Oberflächenstruktur nachweisen können, sondern »der Begriff archaisch ist viel komplexer und setzt stilistisch Altertümliches, Urtümliches voraus«.257 258

• h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 1-81: Dies irae, dies illa solvet saeclum in favilla, teste David cum Sybilla, quantus tremor est futurus, 254 Art. Struktur: In: Brockhaus Enzyklopädie. Bd. 18. Wiesbaden 1983, S. 247. 255 Ebd., S. 247. 256 Ebd., S. 247. 257 Peter Wagner: Einführung in die gregorianischen Melodien. Bd. 3. Formenlehre. Leipzig 1921, S. 187. 258 »Archaismus heißt auch der Versuch, an überlebten Vorstellungen, Formen und Einrichtungen festzuhalten oder sie wiederzubeleben«. In: Brockhaus Enzyklopädie. Bd. 1. Wiesbaden 1966, S. 683.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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quando judex est venturus, cuncta stricte discussurus • h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 167-175: Rex tremendae majestatis

• h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 379-406: Voca me cum benedictis! Oro

supplex et acclinis, cor contritum quasi cinis, gere curam mei finis

• h-Moll-Requiem: Domine Jesu Christe, T, 62-76: Sed signifer sanctus Michael repraesentet eas in lucem sanctam

• h-Moll-Requiem: Domine Jesu Christe, T. 150-190: Hostias et preces tibi • h-Moll-Requiem: Sanctus, T. 1-30: Sanctus Dominus Deus Sabaoth • h-Moll-Requiem: Agnus Dei, T. 13-21: Dona eis requiem • h-Moll-Requiem: Agnus Dei, T. 56-74: Dona eis requiem sempiternam

Im ersten Beispiel des h-Moll-Requiems wird der vierstimmige Satz im Chor allmählich aufgebaut, die Stimmen setzen nacheinander mit dem gleichen Motiv ein. Das Orchester dagegen ist sofort vierstimmig und geht mit den einsetzenden Chorstimmen parallel. Es wird durch Hornrufe zu Beginn und im weiteren Verlauf von einer durchdringenden Dynamik getragen. Das Ganze erfolgt in einem Presto und wird durch die speziellen p- - Hornrufe unterbrochen, die der Komponist nach der nächsten Zeile wieder einsetzt. Das >quantus tremor< zeigt ein pp in g-Moll und signalisiert die große Ängstlichkeit der Menschen. Die Frage nach dem Richter drückt Draeseke in b-Moll aus, das sich nach F-Dur wendet. Wieder ertönen die Hornrufe, die ein f bei >cuncta stricte discussurus< fordern und das Thema zurückrufen. Der Chor zeigt sich an dieser Stelle siebenstimmig, das Orchester fünfstimmig. In den Hauptlinien stimmen Chor und Orchester überein. Erneut erklingen die Hornrufe. Sie werden jetzt vom Orchester kontrapunktisch -von der Tiefe bis in die Höhe reichend- ausgeführt. Tenor und Bass übernehmen diese rezitierenden Hornrufe auf dem Tenor-A und setzen damit ein Gegenzeichen zum aufstrebenden Orchestersatz. Die Pauke mit ihren dumpfen Tönen unterstützt die ängstliche Stimmung. Im zweiten Beispiel des h-Moll-Requiems stellt Draeseke dem vier- bis fünf-stimmigen Chor fast durchgängig ein fünfstimmiges Orchester an die Seite. Sänger und Orchester musizieren streckenweise parallel, dieses Mal im ff. Die Trompeten- und Posaunenrufe kündigen in es-Moll, hoch dramatisch und in einem ff, den mächtigen König an, der alle erzittern lässt. Der Chor wird wörtlich von der Bläser-gruppe und den Violen begleitet, während die Violinen, das Violoncello und der Kontrabass mit Sechzehntelfiguren den Chor umspielen. Im dritten Beispiel des h-Moll-Requiems singt das Soloquartett >Voca me cum benedictis< in einem einfachen vierstimmigen p-Satz. Das Orchester begleitet generell vierstimmig pp, mit einigen fünfstimmigen Ausnahmen, die sich durch Vor-

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 238

halte darstellen. Alt und Bass wiederholen den gebrochenen Dreiklang der Posau-nen. In der Folge bittet der Chor um ein gutes Ende, indem die Chorpartie vierstimmig -Note gegen Note- gesetzt ist. Draeseke hat hier die Silbenverteilung nach deklamatorischen Gesichtspunkten verteilt, so dass ein Sprechgesang anfänglich sich von einem pp zu einem f und dann wieder zu pp entwickelt. Die Orchesterbegleitung wird von allen Instrumenten in einem p und pp übernommen, wobei Bläser- und Streichergruppe sich vorwiegend dem absteigenden Dreiklang widmen. Danach unterstützt die Streichergruppe den Chor. Sie setzt ihre Betonungen antizyklisch ein, um mit den Mitteln der Gegenrhythmik die letzte Bitte des Chores nochmals zu betonen. Im vierten Beispiel des h-Moll-Requiems entsteht aus dem Anfang des >sed signifer Michael< zunächst ein vierstimmiger Chorsatz, der kurz darauf ein Fugato entwickelt, das in der Orchesterbegleitung die Basspartie verdoppelt, d.h. Bass-oktavparallelen, einbringt. Draeseke figuriert mit der Melodie und setzt diese Basspartie dagegen. Mit dem Chorbass schreibt also der Komponist drei Bässe am Anfang des Fugatos vor. Im fünften Beispiel des h-Moll-Requiems zeigt Draeseke einen vierstimmigen Mittelsatz in C-Dur, der einen weichen Charakter hat. Seine musikalische Lyrik drückt sich im Melodienverlauf (Andantino) aus. Der Komponist lässt das Prinzip des Gegensatzes erkennen, indem er dem Chor die Sologruppe gegenüberstellt. Auch bei der Stelle >laudis offerimus< hat sich Draeseke in die Lage der Menschen versetzt, die ein Opfer anbieten wollen. Er beschreibt diesen Punkt wieder mit C-Dur. Den nächsten Gedanken >tu suscipe pro animabus illis< beginnt Draeseke mit einem c-Moll, deren Nebensatz >quarum hodie memoriam facimus< ebenfalls in C-Dur endet. Das Orchester begleitet im Allgemeinen den Chor und die Solostimmen im vierstimmigen Satz. Dieser ist neben den Haupttonarten von einem farbigen Tonarten- und Klangfarbenwechsel gekennzeichnet. Der Einstieg wird von der Bläsergruppe geleistet; bei >laudis offerimus< kommen die Streicher zum Tragen. Die Solostimmen werden von der Streichergruppe figuriert begleitet, sodass die Melodiestimme des Soprans von der Viola nur verdeckt vertreten wird. Der Solo- chor singt an der Stelle p, während dem Orchester ein pp und auch ein p vorgeschrieben ist. Am Ende der Zeile schreibt Draeseke bei den 1. Violinen >divisi< vor, ebenfalls bei den 2. Violinen, so dass diese Passage im Orchester und bei den Solisten kurzfristig sieben- bis elfstimmig erklingt. Im sechsten Beispiel des h-Moll-Requiems bereitet der Komponist einen weichen E-Dur-Akkord vor, um das Sanctus einzuleiten. Drei Mal erscheint der E-Dur-Klang, der sich unvorbereitet kurzzeitig in einen e-Moll Sextakkord wandelt. Beim dritten

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Sanctus steigert Draeseke den Einsatz nicht nur durch Oktavparallelen in den Bässen des Orchesters, sondern er hält in der nächsten Zeile ebenfalls an einer Stimmenverdoppelung und die folgenden Takte (18 – 30) durch Oktavparallelen in den Bässen des Orchesters fest. Dadurch entsteht eine gewaltige musikalische Aussage, die der Komponist durch differenzierte dynamische Forderungen zusätz-lich kennzeichnet. Vom p und pp entwickelt er eine Kraft bis zum ff, die durch melo- dischen Tonumfang und dessen Obertonbereich noch weiter gesteigert wird. Die Behandlung des Textes wirkt wie eine Deklamation. Eine syllabische Vorge-hensweise zeichnet diese Partie aus. Im siebten Beispiel des h-Moll-Requiems wird die Bitte >dona eis requiem<vom vorherigen vierstimmigen Chor und figurierten Orchester deutlich abgesetzt. Hier schreibt Draeseke einen Septimenkanon, der von den Solostimmen Alt, Tenor und Bass mit der Flöte und den geteilten Violoncelli >colla parte< musiziert wird. Allen drei Stimmen wie den Instrumenten wird ein pp abverlangt. Im achten Beispiel des h-Moll-Requiems lässt der Komponist den Solochor fortfah-ren. Den ersten Septimeneinsatz singt der Alt, dann Tenor und zum Schluss der Sopran. Zwei Flöten und das Englischhorn begleiten den Satz. Am Ende dieser Zeile kommen zwei Fagotte hinzu. Alle Instrumente und die Solostimmen musizie- ren im pp. Diese Bitte tritt in anderer Zusammensetzung im weiteren Verlauf erneut auf, wieder in der Dreistimmigkeit. Es scheint nahezuliegen, dass Draeseke mit dieser Schreibweise eine entsprechende Symbolik der Dreieinigkeit -Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist- verbindet. Es wird ein bewegter Klang mit den vorgesehenen Färbungen entwickelt. Die Komposition zeigt daher eine Wechselwirkung zwischen Form, Dynamik und Rhythmik. Der dynamische und rhythmische Verlauf bringt nicht nur Kontraste hervor, sondern beeinflusst auch den übrigen Melodikverlauf. Eine innere Glie-derung zeigt sich durch Frage und Antwort oder Vorder- und Nachsatz. Über allem steht der Klang. Dieser »ist nicht das Ergebnis einer instrumentalen Ausfaltung von Melodien, sondern Melodien erscheinen als Figuration des Klanges«.259

• fis-Moll-Messe: Kyrie, T. 50-56: Kyrie eleison • fis-Moll-Messe: Gloria, T. 225-231: Gloria in excelsis Deo • fis-Moll-Messe: Gloria, T. 241-253: in gloria Dei, gloria in excelsis Deo • fis-Moll-Messe: Gloria, T. 276-291: Amen! Gloria in excelsis Deo • fis-Moll-Messe: Credo, T. 58-64: Jesum Christum filium • fis-Moll-Messe: Credo, T. 128-136: Et incarnatus est de spiritu

sancto ex Maria virgine • fis-Moll-Messe: Credo, T. 224-229: sedet ad dexteram patris

259 Peter W. Schatt: Klang und Farbe. In: Musik und Bildung. April-Juni 2004, S. 41.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 240

• fis-Moll-Messe: Credo, T. 321-326: qui ex patre filioque procedit Im ersten Beispiel der fis-Moll-Messe wird der vierstimmige Satz jedes Mal bei den Anrufen auch in den Orchesterinstrumenten beibehalten. Der Kleine Chor formuliert >Kyrie eleison< Note gegen Note. Zwei Flöten, zwei Fagotte, Hörner und Violoncelli begleiten den Chor wörtlich. Zum Ende der Zeile löst die Streichergruppe die Bläser ab. Draeseke fordert vom Kleinen Chor ein pp, während den Instrumenten ein p >dolce< vorgeschrieben ist. Im zweiten Beispiel der fis-Moll-Messe geht es wieder um f- Rufe, die der Komponist vom gesamten Orchester unterstützen lässt. Diese Anrufung ist in einem Rondo verwoben. Die Besonderheit liegt in den vier Trompeten, die den ur-sprünglich vierstimmigen Satz in seinen Grundsubstanzen -I IV V I- vertreten und ebenso linienartig ausfüllen. Im dritten Beispiel der fis-Moll-Messe entwickelt Draeseke den vierstimmigen Satz zu einem achtstimmigen Doppelchor. Diese Doppelchörigkeit spiegelt sich in der gesamten Schlussfuge wider. Der vierstimmige Satz wird durch die Orchesterfarben und die Verdoppelung der Chorstimmen harmonisch getragen, auch wenn wieder in den tiefen Bassstimmen im Orchester Durchgangsnoten in Oktaven gespielt werden. Eine weitere Steigerung ist im ff zu finden. Im vierten Beispiel der fis-Moll-Messe fasst der Komponist in einfachen Harmonien ein >Amen< in der Doppelchörigkeit zusammen. Sie wird durch die anschließende Zeile >gloria in excelsis Deo< bekräftigt. Die dynamischen Zeichen gehen von f bis ff. Die große Schlusskadenz erklingt über neun Takte lang in D-Dur. Im fünften Beispiel der fis-Moll-Messe findet durch die Solostimmen eine inhaltliche Heraushebung der Worte >Jesum Christum filium< statt. Die Stimmen und das Orchester musizieren in einem vierstimmigen Satz. Flöten, zwei Fagotte und Hörner, sowie zu Beginn Violen und Violoncelli begleiten den Satz im pp. Im sechsten Beispiel der fis-Moll-Messe schreibt Draeseke wieder einen vierstimmi-gen Satz, der sich bei >ex Maria virgine< nach a-Moll wendet. Das modifizierte Initium in der Bassführung erinnert mit seinem Dreiklang an einen fünften Psalmton. Die Zeile >et incarnatus est de spiritu sancto< weist regelmäßig in der Pauke zu Beginn und in den 1. und 2. Violinen in der Fortsetzung einen mehr-taktigen Triller auf. Bläser und Streicher begleiten den Chor. Vor allem entwickeln die Streicher bei >ex Maria virgine< eine lebhafte Dreiklangsfigur, die die Funktio- nen des vierstimmigen Satzes versteckt umspielen und dennoch mittragen.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Im siebten Beispiel der fis-Moll-Messe wird die Festigkeit Gottes dargestellt, indem ein breites Unisono durch den Chor und das Orchester in Oktaven musiziert wird. Nach zwei Takten wird daraus ein vierstimmiger Satz, der vom gesamten Orchester wörtlich übernommen wird. Der erste Teil dieser Zeile >sedet ad dexteram< wird im f, der zweite >patris< im p -als musikalisch-devote Haltung- vermittelt. Im achten Beispiel der fis-Moll-Messe wird ebenfalls der vierstimmige Satz darge-stellt, auf der einen Seite mit wörtlicher Intention, auf der anderen mit Umspie-lungen durch die Violinen. Draeseke erreicht damit eine nebenbei erlangte Beto-nung des erzählenden Textes: >qui ex patre filioque procedit<. Er setzt diesen Nebensatz ins f und bereitet somit auf das folgende Solo im p vor. Im h-Moll-Requiem und in der fis-Moll-Messe haben sich weitere Beobachtungen zum vierstimmigen Satz in der Übereinstimmung im musikalischen Satzgefüge ergeben. Doch auch unterschiedliche kompositorische Ansätze sind vorhanden. Das hängt in erster Linie mit der Textkonstruktion und –auseinandersetzung zusammen. Der Stil ist aber keine Summe von Merkmalen, sondern er spiegelt die Gesamtheit des Werkes wider, die auf das einzelne Phänomen in der Musik baut. Es ist die Einheit in der Vielheit, die über verschiedene Stufen erreicht werden kann. 5.5.2 Unterschiedliche Satzstrukturen Die Satzstrukturen im h-Moll-Requiem und in der fis-Moll-Messe sind nicht in allen Teilen der musikalischen Architektur gleichwertig stark. Sie unterscheiden sich in der Harmonik, der Melodienführung, der Rhythmik, der Dynamik oder in der Rollen-verteilung des Textes. Hinzu kommen noch Interpretationsfragen, sowie unter-schiedliche Instrumentationen. Das alles wirkt zusammen und kann nur eine Antwort bereithalten, wenn die gegebenen musikalischen Parameter hinterfragt und abgehandelt werden. Hier werden nun musikalische Auffälligkeiten, die in einem bestimmten Kontext stehen, gezeigt, die Draeseke bewusst eingesetzt hat, damit von ihnen eine gezielte Wirkung ausgehen kann. Auch diese Art des Komponierens gehört zu seinem persönlichen Schreibstil:

• h-Moll-Requiem: Kyrie, T. 1-26: Requiem aeternam dona eis, Domine • h-Moll-Requiem: Kyrie, T. 33-60: Et lux perpetua luceat eis • h-Moll-Requiem: Kyrie, T. 61-66: Te decet hymnus Deus in Sion. Et tibi

reddetur in Jerusalem • h-Moll-Requiem: Kyrie, T. 69-80: Requiem aeternam dona eis,

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Domine • h-Moll-Requiem: Kyrie, T. 112-135: Kyrie eleison, Christe eleison • h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 360-378: Confutatis maledictis flammis

acribus addictis • h-Moll-Requiem: Domine Jesu Christe, T. 199-221:Fac eas Domine, de

morte transire ad vitam • h-Moll-Requiem: Domine Jesu Christe, T. 258-286: quam olim Abrahae

promisisti et semini eius Im ersten Beispiel des h-Moll-Requiems setzt Draeseke über einen ostinaten Bass selbstständige Solostimmen, die -jede für sich- eine eigene Führungsrolle beanspruchen. Der Komponist geht sogar noch einen Schritt weiter, indem er den Solobass mit der Basspartie der Streicher verbindet. Die tiefen Streicher sind für die 1. Geigen musikalisches Vorbild. Es wird in einem direkten Quintkanon von den hohen Streichern verarbeitet. Im zweiten Beispiel des h-Moll-Requiems stellt der Schreiber zwei verschiedene musikalische Bereiche vor: einmal den zurückhaltenden Chor, auf der anderen Seite die Sechzehntelfiguren der Bratschen. In den Violinen lässt er Achtelbewe-gungen erklingen. Ein paar Takte später werden in den Streichern die Rollen vertauscht. Alle Stimmen musizieren ein pp, damit die musikalische Bitte, das ewige Licht weiterzutragen, auch erhört wird. Der Chor wirkt gegenüber dem Orchester statisch, das Orchester gegenüber dem Chor sphärisch. Im dritten Beispiel des h-Moll-Requiems beginnt der Solosopran mit dem Hymnus. Der Tenor gestaltet eine freie Fortsetzung. Sein Beitrag ist psalmodierend angelegt und für die umspielende Begleitung ein Kontrapunkt im Orchester. Er wird vorwie-gend durch die Streicher vertreten. Im vierten Beispiel des h-Moll-Requiems wird mit dem Einsatz des >Exaudi orationem< durch Alt und Sopran gleichzeitig der Choreinsatz des >Requiem aeternam dona eis, Domine< durch den Chortenor ausgeführt. Sein Thema ist das wenig modifizierte Passacaglia-Thema, das Draeseke in den poco-a-poco- stringendo-Satz einbringt und durch die Posaunen unterstützen lässt. Im fünften Beispiel des h-Moll-Requiems schreibt Draeseke eine Doppelfuge. Das erste Thema liegt im >Kyrie eleison< des Alts, das durch Violen und Bratschen leb- haft begleitet wird. Nach Durchführungen im Alt, Bass und Tenor wird das zweite Thema im Sopran vorgestellt: >Christe eleison<. Beide Themen verarbeitet der

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Komponist zu Engführungen, die gleichzeitig oder nacheinander geschehen. Draeseke arbeitet hier mit einem musikalischen Rollentausch. Im sechsten Beispiel des h-Moll-Requiems wird ein Bild der Hölle gezeichnet. Der Komponist benutzt auch hier einen mehrtaktigen Paukentriller, um die düstere Stimmung wiederzugeben. Eine Abwärtsbewegung in Ganztonschritten signalisiert die verzweifelte Lage der Menschen. Oktav- und Quintparallelen zwischen Sopran und Bass, sowie zwischen Alt und Bass setzt Draeseke hier ein. Zum zweiten Mal erklingt der tiefe Paukentriller. Im siebten Beispiel des h-Moll-Requiems trägt das Soloquartett eine Bitte vor, den Übergang vom Tod ins Leben bewältigen zu können, indem es in seinem Motiv immer mehr in die Höhe geht. Draeseke schreibt crescendi und decrescendi vor. Die beiden Worte >ad vitam< werden auch noch wiederholt, >de morte ad vitam<. Die Bläser begleiten die Solostimmen, während die Violen Dreiergruppier-ungen von Achteln in den Satz einbringen. Zum Ende der Aussage gelangen die übrigen Streicher hinzu, besonders an der Stelle >vitam< mit einem f. Die Kadenz beschließt mit einem ppp bis pp und einem Triller durch die Pauke. Im achten Beispiel des h-Moll-Requiems tritt ein Orgelpunkt auf Fis auf, der den cantus firmus >Jesus, meine Zuversicht< im ersten Stollen zitiert. Der zweite Stollen/Abgesang erscheint in einem Unisono des Chores und des Orchesters. Die ausklingende Kadenz wird durch Zweiunddreißigstel im Streichorchester und wieder durch den Triller der Pauke unterstrichen.

• fis-Moll-Messe: Gloria, T. 51-64: gratias agimus tibi • fis-Moll-Messe: Gloria, T. 91-106: Domine fili unigenite Jesu Christe,

Domine Deus, agnus Dei • fis-Moll-Messe: Gloria, T. 253-276: Cum sancto spiritu in gloria Dei patris,

gloria in excelsis • fis-Moll-Messe: Credo, T. 81-118: Deum de Deo, lumen de lumine, Deum

verum de Deo vero, genitum non factum, consubstantialem patri, per quem omnia facta sunt

• fis-Moll-Messe: Credo, T. 119-127: qui propter nos homines et propter nostram salutem descendit de coelis

• fis-Moll-Messe: Credo, T. 171-200: passus sub Pontio Pilato et sepultus est • fis-Moll-Messe: Credo, T. 258-296: cujus regni non erit finis • fis-Moll-Messe: Agnus Dei, T. 17-39: Agnus Dei, qui tollis peccata mundi

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Im ersten Beispiel der fis-Moll-Messe beginnt ein doppelchöriger Zwischensatz des Kleinen Chores, der von den Männerstimmen eingeleitet wird. Die Frauenstimmen beantworten das Kopfthema als imitatorische Ergänzung. Das Streichorchester zeigt in den Violinen die wörtliche Begleitung, während die Flöten den Männerchor in Achtelbewegungen umspielen. Beim Einsatz der Frauenstimmen wird der umge- kehrte Weg eingeschlagen: die Violinen spielen die kontrapunktischen Achtel, und die Oboe musiziert das Kopfthema des Soprans. Ungewöhnlich ist für den Kompo-nisten, dass er die Chorstimmen so strikt nach Männern und Frauen aufteilt. Er lässt noch einmal >gratias agimus tibi< von drei Solostimmen folgen, sie zeigen das modifizierte Kopfthema im Alt und ein p insgesamt. Im zweiten Beispiel der fis-Moll-Messe erklingen zwei Solosoprane in Terzen-gängen. Der Kleine Chor musiziert in Gegenbewegung mit zwei Altstimmen und beantwortet diese auch in Terzengängen. Im klaren, harmonischen C-Dur-Akkord erfolgt die Anrufung des >Agnus Dei<. Das ändert sich in den folgenden Takten. Der Solochor -vom Bass ausgehend- musiziert die Wiederholungszeile auf eng-stem Raum und kurzfristig in c-Moll. Bass und Tenor übernehmen die Terzen des >Domine fili unigenite<. Der Solochor beendet diese Zeile in C-Dur. Flöten, Oboen und Fagotte begleiten den gesamten Satz, während die Violen und Violoncelli kontrapunktische Achtelbewegungen konstant ausführen. Im dritten Beispiel der fis-Moll-Messe werden das Kopfthema und Imitationen von Oktaven verarbeitet. Im Sopran wird im 1. und 2. Chor das Thema herausgestellt, das im 2. Chor alleine in der Umkehrung eng geführt wird. Durch die >Gloria<-Rufe kommt die Achtstimmigkeit besonders wirkungsvoll zum Ausdruck, indem diese immer höher steigen. Der Satz ist mit un poco piu vivo bezeichnet. Draeseke zeigt in der Hinführung zum >cum-sancto-spiritu<-Satz in den Flöten und Oboen die gleichen Terzen, die in der Haupttonart D-Dur benötigt werden. Dagegen stellt er die Streicher, die zum statischen Terzengefüge gegenläufig konzipiert sind. Im folgenden Verlauf erinnern Achtelbewegungen der Violinen und Violen an >gratias agimus< des Glorias. Bis zum Ende musizieren Bläser und Streicher entweder gemeinsam parallel oder kontrapunktisch durchsetzt. Im vierten Beispiel der fis-Moll-Messe wechseln sich im vierstimmigen Satz Soli, Kleiner Chor und Tutti in einer rezitierenden Art der Beschreibung des >Deum de Deo, lumen de lumine< ab. Sie ist in ihrer Struktur zunächst schlicht und zurück-haltend in einem p aufgebaut, dann wird die letzte Zeile >per quem omnia facta sunt< in einem f hervorgehoben. Der Chorbass unterstreicht alleine noch einmal die

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Worte >facta sunt<. Sopran, Alt und Tenor ergänzen >per quem<, und >omnia facta sunt< erscheinen in allen vier Stimmen. Obwohl das Orchester den vierstimmigen Satz generell mit Solo und Chor parallel musiziert, erscheint es trotzdem als selbstständiger, gleichwertiger Partner. Dieser drückt sich vor allem in Achtelbewegungen der Violen, sowie der 2. und 1. Violinen aus. Die Zusammenfassung der letzten Zeile erfolgt in doppelter Bläserbesetzung und mit aus-schmückenden Durchgangsnoten von Achteln der Streicher. Eine verzögerte Basschromatik und eine Teil-Verarbeitung der letzten Zeile des Chorals >Jesus, meine Zuversicht<: >Was die lange Todesnacht mir auch für Gedanken macht<? erhöht den musikalischen Spannungsfaktor besonders im Orchesterpart. Im fünften Beispiel der fis-Moll-Messe zeichnet Draeseke entsprechend der Aussage eine von oben nach unten gehende Chromatik im Sopran des Solochores. Der vierstimmige Satz steht Note gegen Note. Der Orchestersatz zeigt demgegen-über eine eigenwillige Bewegung. Die 1. und später auch die 2. Violinen spielen in Achtelfiguren und beleben den Bläsersatz. Der hat die Aufgabe, die Sologruppe in ihren Hauptfunktionen und in der Melodieführung im p bis zum pp zu unterstützen. Die hohen Holzbläser sind hier maßgeblich beteiligt. Den nächsten Abschnitt gestaltet der Solochor in einem pp. Das Wort >sancto< wird mit einem sfp hervorgehoben. Auffallend sind hier ein kurzer Triller der Pauke und der 1. und 2. Violinen. Die Zeile >ex Maria virgine< wird durch Achtel der Violinen parallel um-spielt. Im sechsten Beispiel der fis-Moll-Messe wird das Wort >passus< in geballten Dissonanzen dargestellt. Der Tutti-Chor singt in einer B-Tonart und ein >espressivo< im p. Das Leiden wird in den dissonanten Stellen und im >espressi-vo< musikalisch sichtbar. Draeseke wechselt in der Wiederholungszeile in Kreuztonarten, die auch eine latente Symbolik vermuten lassen. In der Zeile >sub Pontio Pilato< wird eine Abwärtsrichtung der Melodieführung eingeschlagen. Sie zielt auf >sepultus est< und wird von den unteren drei Stimmen ausgeführt. Der Komponist drückt hier die düstere Stimmung aus. Alle Stimmen, auch die des Orchesters, treffen sich im Ton A (Alt-A, Tenor-A, Bass-A). Auch die vielen Dissonanzen des Orchesters bereiten das entsprechende musikalische Bild vor. Außerdem betonen Triolenbewegungen in den 1. Violinen durch ihre Phrasierung den Leidensdruck. Der Orchestersatz bildet zum Chorsatz einen Kontrast, indem er zwar den Chorsatz satztechnisch berücksichtigt, doch von seinen übrigen Stilmitteln des Trioleneinsatzes, der Oktavverdoppelung, des Tonartenwechsels und der damit verbundenen >sinfonischen Dichtung mit Text< Möglichkeiten der musikalischen Darstellung bietet.

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Im siebten Beispiel der fis-Moll-Messe beginnt der Tenor mit einem Thema in einer Fuge. Es folgen Alt, Sopran und Bass. Das Thema wird bis zur kleinen Septime mit fallender Terz musiziert. Jede der Stimmen ist mit einem f versehen. Die Engfüh-rung wird immer dichter. Bläser und Streicher begleiten den Chor oder setzen wechselseitig ein. Draeseke arbeitet komprimiert, nicht zuletzt tragen vor allem die Verdoppelungen der tiefen Streicher, die Achtelbewegungen in den Violen, Violon-celli, Kontrabässen und später in den 2. Violinen, sowie besonders in den hohen Tönen der Bläsergruppe dazu bei. Im achten Beispiel der fis-Moll-Messe wird das Agnus-Thema in fis-Moll vorgestellt. Der Komponist nutzt aus der harmonischen Molltonleiter den eineinhalben Tonschritt d - eis für sein Vorhaben aus. Es zeigt das >Agnus<-Motiv, das bei >qui tollis peccata mundi< besonders deutlich erklingt, und die geteilten Soprane verstärken diesen Eindruck. Der vierstimmige Chor endet in diesem Teil in Cis-Dur. Flöte und Viola stellen das Thema im Orchester vor, das später auch von den anderen Instrumenten modifiziert übernommen wird. Zuerst begleiten Oboen und Fagotte das Thema. Die Violinen spielen Achtelbewegungen und beleben den Chorsatz. Die 2. Violine, Viola und Violoncello unterstützen Alt, Tenor und Bass, während der Sopran von der Oboe begleitet wird. Die Achtelbewegungen werden von der Flöte teilweise imitiert. Die verminderte Quinte ist hier tragendes musika-lisches Intervall. 5.5.3 Verhältnismäßigkeit der Intervalle: Chor- und Orchesterklang Chor- und Orchesterklang zeichnen sich durch ihre Klangunterschiede und Anord-nungen von Intervallen aus. Wenn Draeseke den Klang wechselt, hat er immer wieder eine neue Intention, die er direkt ausführt. Damit setzt er sich vom Vorherigen ab und zieht ein anderes musikalisches Register, um überraschende Momente kurzfristig darzustellen. Die Beeinflussung durch den Text spielt in der Wahl der Mittel ebenfalls eine Rolle. Denn mitten im Text entsteht ein sprachliches, musikalisches Phänomen, das der Komponist für seine Ausdrucksweise nutzt. Eigenarten des Chor- und des Orchesterklanges werden miteinander auf vielfältige Weise gemischt. Selten schreibt der Komponist nur einen absolut vierstimmigen Satz, er gewinnt in der Mehrzahl Sätze, die zwar vierstimmig konzipiert sind, aber von hoher musikalischer Brisanz zeugen: so kann mit einer scheinbaren Polyphonie teilweise dem Orchester eine führende Rolle zugestanden werden, oder es

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unterstreicht auf seine Weise die entsprechenden textlichen Stellen durch verkleinerte oder verdoppelte Notenwerte, über Oktavierungen in den tiefen Streicherbässen oder Teilungen von Stimmen. Draeseke entwickelt auf der anderen Seite in seinen Fugen eine ausgewogene Polyphonie, so dass diese von Farbigkeit in den Klängen der Chorstimmen und des Orchesters besonders hervorleuchtet. Er erreicht sie über allgemeine und spezielle Grundlagen der Har-monielehre, der Erweiterung des Kontrapunkts und über Modulationen. Erst dann kann das Verständnis über bewusst eingesetzte Intervallsprünge geleistet werden. Im h-Moll-Requiem und in der fis-Moll-Messe sind nicht nur die Grundstrukturen einer Fuge im formalen Sinn vorhanden, sondern die Melodienentwicklungen zeigen Spannungselemente, die in der thematischen Fortführung ihre musikalische Bestätigung finden. Verschiedene Fugati-Formen setzt Draeseke in den Texten ein. Am Ende der beiden Werke schreibt Draeseke je eine große Fuge mit authen-tischer, zusammenfassender Kadenz:

• h-Moll-Requiem: Kyrie, T. 65-90: Exaudi orationem meam. Ad te omnis caro veniet. Requiem aeternam dona eis, Domine

• h-Moll-Requiem: Kyrie, T. 112-166: Kyrie eleison, Christe eleison • h-Moll-Requiem: Domine Jesu Christe, T. 62-91: Sed signifer sanctus

Michael repraesentet eas in lucem sanctam • h-Moll-Requiem: Sanctus, T. 43-104: Osanna in excelsis

Im ersten Beispiel des h-Moll-Requiems entwickelt sich aus den Solostimmen mit >Exaudi orationem meam< ein Chorfugato, das mit dem Einsatz der Chortenor-stimme >Requiem aeternam< seinen Höhepunkt findet. Das Thema >Requiem aeternam< wird zu >Exaudi orationem meam< kontrapunktisch gesetzt. Septim-, Quart-, Oktavsprünge, sowie fallende und verminderte Quinten oder übermäßige Quarten und Engführungen (ab Takt 79-90) sind vom Komponisten besonders herausgestellt. Im zweiten Beispiel des h-Moll-Requiems gestaltet Draeseke eine Doppelfuge. Das erste Thema wird vom Alt angestimmt und von der Flöte und dem Fagott zunächst alleine begleitet. Das zweite Thema ist das vom Sopran vorgestellte >Christe eleison<. Dieses wird von geteilten Flöten und Violinen divisi parallel musiziert. Beide Themen werden durch- und enggeführt mit ihren entsprechenden kleinen wie großen Sprüngen. Die Begleitung erfolgt gleichberechtigt durch den Bläserchor und die Streichergruppe, wobei vorwiegend die hohen Violinstimmen und die Violen für Figurationen mit Hilfe von Durchgangsnoten sorgen.

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Im dritten Beispiel des h-Moll-Requiems wird zuerst ein vierstimmiger Satz musi-ziert, dann aber stellt der Sopran ein Thema vor, das sich im weiteren Verlauf mit dem Stollen des Liedes >Jesus, meine Zuversicht< in einer Fuge vereinigt. Hörner, Trompeten und Posaunen tragen die unisone Choralbegleitung. Das übrige Orchester unterstützt die Fuge in all seinen musikalischen Parametern. Im vierten Beispiel des h-Moll-Requiems stellt der Chortenor das Thema der Osanna-Fuge vor. Alt, Sopran und Bass folgen. Zunächst begleiten die 1. und 2. Violinen, sowie die Violen und Violoncelli in Achtelbewegungen. Beim Einsatz des Soprans begleitet auch der Bläserchor. Hier hat Draeseke dafür gesorgt, dass eine gleichmäßige Verteilung der gesamten Orchesterklangfarben gewährleistet ist. Bei diesem Thema -beim Chor und Orchester- fallen besonders Quarten, Sexten, fallende Quinten und Septimen auf. Der Grund liegt in der harmonischen, sowie polyphonen Satzkonzeption, für Draeseke auffällig geltende Stilmittel.

• fis-Moll-Messe: Kyrie, T. 88-127: Kyrie eleison • fis-Moll-Messe: Gloria, T. 182-275: Cum sancto spiritu in gloria Dei patris,

gloria in excelsis • fis-Moll-Messe: Credo, T. 358-394: Et unam sanctam catholicam et

apostolicam ecclesiam • fis-Moll-Messe: Sanctus, T. 33-105: Osanna in excelsis

Im ersten Beispiel der fis-Moll-Messe ist bemerkenswert, dass Draeseke den Chorbass teilt, so dass ein fünfstimmiger kontrapunktischer Chorsatz entsteht. Dem Sopraneinsatz folgen Alt, Tenor, sowie 1. und 2. Bass. Die erste Durchführung ist noch in fis-Moll gehalten, während die zweite einen Durraum ansteuert. Sie verarbeitet auch das Kopfthema. Die dritte Durchführung befindet sich bei >eleison<, und das Kopfthema bildet schließlich das Finale. Die Oboe begleitet den Sopran und den Alt, während die 1. Violinen kontrapunktische Figurationen aus-führen. Zwei Takte weiter kommen Viola (T. 90), Violoncello (T. 93) und die Flöte (T. 95) nacheinander hinzu. Die Legatofiguren in den Achtelbewegungen der Violinen werden beibehalten. Hierbei fällt die verminderte Quarte besonders auf. Im zweiten Beispiel der fis-Moll-Messe wird der 1. Chor von Hörnern, Violen und Violoncelli, sowie Kontrabässen parallel begleitet. Sobald der 2. Chor einsetzt, nehmen alle Sänger das gesamte Orchester in Anspruch. Draeseke lässt den 1. Chor >cum sancto spiritu in gloria Dei patris< mit >Gloria-in-excelsis<-Rufen ergän-

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zen. Dadurch erlangt er eine Doppelchörigkeit mit großem musikalischem Gewicht. Im Bläserensemble treten Verdoppelungen auf. Im dritten Beispiel der fis-Moll-Messe stellt der Komponist ein Fugato vor, das im Chortenor die ruhige und feste Aussage >Et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam< ihren musikalischen Anfang hat. Das Thema wird vom Alt, Sopran und Bass vorgetragen. Seine entwickelten Melismen streifen mehrere Haupt- und Nebentonarten. Im Takt 394 endet Draeseke in einem Trugschluss von B-Dur, nachdem er kurz vorher A-Dur angestrebt hat. In dieser Thematik gibt es kaum ungewöhnliche Sprünge zu verzeichnen, wohl aber ist der Tonartenwechsel bemerkenswert. Im vierten Beispiel der fis-Moll-Messe schreibt der Komponist eine charakterlich leichte Fuge. Das Thema wird vom Sopran eingeführt und zeichnet sich durch aufsteigenden und fallenden Sexten- und Quintsprung, sowie durch dichtes musi-kalisches Fis-Dur-Geschehen aus. Pausen werden zur Auflockerung eingebracht. Draeseke wiederholt das Wort >Osanna< mehrmals hintereinander. Der Tutti-Chor übernimmt diese Aufgabe in einem Allegro con brio mit wechselnden f-Abstufungen. Die Themenvorstellung liegt in der Begleitung durch die hohen Flöten. Den nächsten Einsatz leisten die Oboen, gefolgt von Fagotten, sowie Violoncelli und Kontrabässen. Die 1. und 2. Violinen bilden eine nahezu kontinu-ierliche Achtelbewegung, die kontrapunktisch angelegt ist. Dadurch entsteht eine musikalische Leichtigkeit, die die >Osanna<-Rufe in ihrer bittenden Rolle noch weiter vertieft. Die Gleichberechtigung der Stimmen liegt in der Fugenform. Auch in der a-Moll-Messe und im e-Moll-Requiem sind sowohl Fugati als auch große Fugen verzeichnet. Sie sind stilistisch anders konzipiert als die Fugen im h-Moll-Requiem und in der fis-Moll-Messe. Den inneren Zusammenhang bilden hier einmal der A-cappella-Satz und die entsprechend angewandten musikalischen Mittel, über die Draeseke verfügt. Er setzt also nicht nur seine Art der Fugenführung den traditionellen Kompositionsweisen gegenüber, sondern er mischt seinen Stil mit dem der alten Meister und beruft sich dabei auf musikalisch-archaische Gesetz-mäßigkeiten.

• a-Moll-Messe: Kyrie, T. 1-78: Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison • a-Moll-Messe: Gloria,T. 215-258: Cum sancto spiritu in gloria Dei patris, Amen • a-Moll-Messe: Credo, T. 218-237: Qui ex patre filioque procedit, qui cum

patri et filio simul adoratur et conglorificatur, qui locutus est, per prophetas

• a-Moll-Messe: Sanctus, T. 33-98: Osanna in excelsis

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Im ersten Beispiel der a-Moll-Messe findet eine Doppelfuge statt. Sie wird in den Themen vom Tenor mit Kyrie und vom 1. Sopran mit Christe vorgestellt. Draeseke verknüpft beide Themen in dicht aufeinander folgenden Engführungen. Ungewöhnlich ist der Oktavsprung bei >eleison< im Sopran nicht, doch der dazuge- hörige Tenor und der 1. Bass gehen in Oktavparallelen, die der Komponist auch noch durch Betonungszeichen hervorhebt. Aus dem vierstimmigen Fugensatz wird zum Schluss ein fünfstimmiger Satz, der in jeder Stimme Oktavsprünge vorweist. Im Bass gibt es sogar einen Septimensprung, um das letzte >Kyrie eleison< beson- ders hervorzuheben. Draeseke arbeitet in diesem Satz mit allen dynamischen Zeichen und verlangt ein hohes Können der Sänger. Im zweiten Beispiel der a-Moll-Messe schreibt Draeseke eine Fuge mit modifi-ziertem Kopfthema. Der Tenor stellt das Thema vor. Es folgen Alt, Sopran und Bass. Er baut immer wieder das Thema von der Tiefe zur Höhe auf. Zum Schluss werden die Engführungen wieder sehr dicht konzipiert. Die Thematik wird durch viele Wechsel- und Durchgangsnoten versteckt belebt. Das >Amen< hebt der Komponist ebenfalls besonders hervor, indem er das musikalische Fundament, den Bass, wieder teilt. Im dritten Beispiel der a-Moll-Messe hat Draeseke ein zartes p- Fugato ge-schrieben, das dieses Mal von der Höhe her zur Tiefe entwickelt wird. Sein Thema ist melodiös bis zum >glorificatur< p gestaltet. >Qui locutus est< und >per prophe-tas< werden in einem f vorgetragen. Hier lässt der Komponist eine Steigerung mit einem kräftigen G-Dur erklingen. Im vierten Beispiel der a-Moll-Messe schreibt der Komponist ein Thema, das durch einen Sextensprung und einen Septimensprung nach oben, sowie einen Sexten-sprung nach unten, der gleich wieder in die entgegengesetzte Richtung aufsteigt, gekennzeichnet ist. Er gestaltet damit eine spannungsgeladene, vorhaltsreiche Engführungspraxis, die in ihren Klängen herb, sowie lieblich charakterisiert werden kann. Die dynamischen Zeichen reichen von mf bis f und zu ff. Ebenso sind p- Stellen vorhanden. Sie fassen den Schluss im harmonischen fünf- und sechs-stimmigen Chor >Osanna in excelsis< zum f und bis zum p zusammen.

• e-Moll-Requiem: Introitus, T. 88-141: Kyrie eleison, Christe eleison, Kyrie eleison

• e-Moll-Requiem: Domine Jesu Christe, T. 72-104: Quam olim Abrahae promosisti et semini eius

• e-Moll-Requiem: Domine Jesu Christe, T. 104-128: Quam olim Abrahae promisisti et semini eius

• e-Moll-Requiem: Sanctus, T. 41-101: Osanna in excelsis

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Im ersten Beispiel des e-Moll-Requiems verfasst Draeseke eine Doppelfuge. Ihr erstes Thema Kyrie eleison trägt der Tenor vor. Das zweite erscheint im Sopran mit Christe eleison. Der Komponist verbindet die Themen zu einem enggeführten musikalischen Gefüge, das die Themen und deren modifizierte Umkehrungen plastisch zum Ausdruck bringt. Aus der anfänglichen Einstimmigkeit wird ein fünf-stimmiger Fugensatz. In der Abschlusszeile mit Kyrie eleison werden alle dyna-mischen Möglichkeiten vom p zum pp und ff und umgekehrt sowie ein harmoni-scher Satz gefordert. Im zweiten Beispiel des e-Moll-Requiems formuliert der Komponist ein Tenor-thema, das in einer fünfstimmigen Chor-Fuge zur Geltung kommt. Die Einsätze folgen zügig und teilweise abgeändert, aber erkennbar. Auch hier fällt ein großer Sextensprung auf. Draeseke schreibt über den Satz >belebt und frisch<. So stellt sich auch der musikalische Charakter dar. Im dritten Beispiel des e-Moll-Requiems finden die weiteren Engführungen der obigen Fuge statt. Der Sopran geht mit dem Tenor in eine musikalische Richtung, während der Alt mit dem 1. Bass musikalisch korrespondiert. Das Prinzip der Gegenbewegung hat der Komponist hier völlig ausgereizt und dabei auch verwandtschaftliche und entlegene Nebentonarten gestreift. Wie in den vorherigen Fugen werden dynamisch unterschiedliche Register ebenso eingesetzt. Im vierten Beispiel des e-Moll-Requiems hat Draeseke eine tanzartige Osanna-Fuge entwickelt. Sie zeichnet einen bewegten Charakter, der sich in G-Dur und im ¾-Takt auch äußerlich zeigt. Der Stil des Themas wird von Terz, Sexte, fallender Quinte und Sekundgängen und mit schnellen Silbenabfolgen gestellt. Draeseke hat hier wiederholt besonders hohe Ansprüche an die Sänger gelegt. Auch bei dieser Fuge ist der Schluss harmonisch ausgesetzt. Er wird in einem ff musiziert. Der Komponist unterstreicht die letzte Zeile, indem er zur Satzfüllung den Sopran teilt. 5.5.4 Lösung von Dissonanzen Dissonanzen werden in einem Klang durch folgende Merkmale hervorgebracht, wenn eine Sekunde, Septime oder None enthalten ist. Sie können auch bei einem Vorhalt, einer Wechselnote oder Durchgangsnote entstehen. »Die Definition von

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Konsonanz und Dissonanz erfolgt nach mathematischen, physikalischen, physiolo-gischen und psychologischen Gesichtspunkten«.260 Zunächst bevorzugt der Komponist dissonante Intervalle, die für sich stehen und die er auf seine Weise entweder schnell oder verzögert auflöst. Nicht nur in der Entwicklung seiner Chor-Fugati und -Fugen kommen daher zufällige und gewollte Dissonanzen mit beiden Lösungswegen zustande, sondern auch in den übrigen Sätzen. So zeigt Draeseke, dass er der einen wie der anderen Seite musikalisch gerecht wird, indem er Nonen, Septimen und Sekunden einsetzt, die die melodi- sche Linienführung beeinflussen und in ihrer Struktur zusätzlich auf die augen-blickliche Aussage unterstützend wirken.261 Im Fugato Kyrie eleison des h-Moll-Requiems schreibt Draeseke mehrere disso-nante Stellen, die sich entweder aus einer Terz in die Sekunde verwandeln und sich sofort auflösen, oder aber eine Sekunde wird übergebunden, somit in der entsprechenden Stimme betont, kurz aufgelöst und gleich in einem Septklang als Durchgangsnote fortgeführt.262 Das Kyrie des h-Moll-Requiems zeigt einen übermäßigen Septakkord, der durch die gezielte Bassführung vorbereitet wird: gis-h-d-fis. Für einen Augenblick hält das >lux perpetua< inne. Diese Dissonanz ist im musikalischen Kontext eingebunden und transportiert nach kurzer Unterbrechung die hohen Streicherlinien in ihren Sechzehntelbewegungen weiter. Das Fundament bildet hierzu die kontinuierlich abwärtsgerichtete Basslinie.263 Im Dies irae des h-Moll-Requiems wird erneut der Aufschrei der Menschen dargestellt. Draeseke zeigt in dem Doppelchor >nil inultum remanebit<, wie verzweifelt die Menschen sind: >e-ges-b-es<. Erst zwei Takte später findet er die Lösung: >f-b-des<.264 »Die kleinste Veränderung einer Spannungskomponente kann auch wieder den Gesamtzustand völlig ändern. Dessen Eigenart besteht also nicht nur darin, dass man zum Beispiel einen Ton aufwärtsstrebig, den andern mit Schweredruck, einen weiteren als ruhend usw. empfindet, sondern darin, dass sich aus jedem dieser Einzelzustände auch etwas über das Ganze breitet, in verän-

260 Constantin Floros: Art. Konsonanz und Dissonanz. In: Das große Lexikon der Musik. Bd. 4. Hrsg. von Honegger/Massenkeil. Freiburg. Basel. Wien 1981, S. 404. 261 Hier werden weiter solche Dissonanzen vorgestellt, die in den vorliegenden Werken besonders herausragen. Eine isolierte Betrachtungsweise kann nicht erfolgen, denn Draeseke hat sich mit ihnen schon im Kontext seiner Musik auseinandergesetzt. Es wird gezeigt, wie die Draesekeschen Lösungsmöglichkeiten der verwendeten Dissonanzformen zu klären sind und was sie für den augenblicklichen musikalischen Eindruck bedeuten. 262 Felix Draeseke. Requiem h-Moll op. 22: Kyrie, T. 115-116, 118. 263 Felix Draeseke: Requiem h-Moll op. 22: Kyrie, T. 49. 264 Felix Draeseke: Requiem h-Moll op. 22: Dies irae, T. 141.

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derter Wirkung dieses durchdringt, das heißt nicht mehr als melodische Strebung, sondern als Idiom des Akkordcharakters«.265 Im Dies irae des h-Moll-Requiems zitiert der Chor litaneiähnlich ein a mit >quaerens me, sedisti lassus, redemisti crucem passus<. Beim Wort >crucem< ertönen >b-g-a< und danach direkt >gis-a-f-g<. Draeseke umkreist den Ton a mit b und gis. Wieder zwei Takte später kommt die Auflösung zum Tragen: >d-f-a<.266 Im Domine Jesu Christe des h-Moll-Requiems setzt der Komponist den ersten Stollen des >cantus firmus< ein. Auf dessen Höhepunkt erfolgt eine scharfe Disso- nanz : cis und d klingen zusammen, wo kurz zuvor ein dis im Bass verzeichnet ist. Die Posaunen spielen hier den Choral >Jesus, meine Zuversicht< und verweisen somit auf eine beharrlich instrumental-ostinate Linie, die den entscheidenden disso-nanten Ton d liefert: >a-cis-d-g<.267 Im Agnus Dei des h-Moll-Requiems schreibt Draeseke bei >qui tollis< mehrere Vorhalte, damit die Rolle des Lammes gebührend gewürdigt wird. Er verwendet dabei im Chor >g-c-d-e< und im Orchester >g-b-c-d-e<. Beides wird gemischt, auch bei der zweiten Stelle. Die Auflösung erfolgt im vierten Takt mit >a-d-f-a<.268 Innerhalb von Steigerungslinien haben dissonante Klänge eine bestimmte Aufgabe zu vollbringen, nämlich die konsonanten Klänge zu stützen und die heraus-ragenden sprachlichen Stellen zu unterstreichen. Daher wechseln sich Anspannung und Lösung in den Linien ab. Das Gloria der fis-Moll-Messe endet in >glorificamus te< mit einem Septakkord: >f-a-cis-e<. Es folgen >f-a-c-es< und >f-g-a-es<. Diese Klänge leiten über nach B-Dur mit >gratias agimus tibi<.269 Weiter arbeitet Draeseke in der doppelchörigen >Cum-sancto-spiritu<-Fuge mit einem übermäßigen dissonanten Septakkord: >g-a-cis-fis<. Er betont das Wort >sancto< auf der ersten Silbe. Eine weitere Betonung durch einen anderen Septakkord erreicht der Komponist bei dem Wort >gloria< mit >b-es-f-as<. Diese Akkorde haben beide linienmäßig eine musikalische Vorge-schichte. Sie wirken einmal auf die vergangene Melodienführung und zum zweiten auf die zukünftigen Satzstrategien und Auflösungen.270

265 Ernst Kurth: Musikpsychologie. Berlin 1931, S. 188. 266 Felix Draeseke: Requiem h-Moll op. 22: Dies irae, T. 221. 267 Felix Draeseke: Requiem h-Moll op. 22: Domine Jesu Christe, T. 14. 268 Felix Draeseke: Requiem h-Moll op. 22: Agnus Dei, T. 26 - 28. 269 Felix Draeseke: Messe in fis-Moll op. 60: Gloria, T. 51. 270 Felix Draeseke: Messe in fis-Moll op. 60: Gloria, T. 203, 229.

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Im Credo der fis-Moll-Messe setzt der Tenor gegenüber dem Alt mit dem Wort >crucifixus< dissonierend mit einer verminderten Quart ein: >h-es<. Wie wichtig für den Komponisten der Septakkord als musikalisches, weitergebendes Mittel ist, wird im Anschluss erneut praktiziert: >h-d-f-as<.271 Eine sehr scharfe Dissonanz schreibt Draeseke bei dem Wort >passus<: as + erniedrigtes b und an den folgenden Stellen in einer Kreuztonart. Das Thema Leiden wird hier nicht aufgelöst, sondern noch verstärkt fortgeführt.272 Im Agnus Dei der fis-Moll-Messe bereitet der Komponist ein Unisono des Tutti-Chores vor, indem er im Chor und Orchester den Ton >es< durch die 1. Violinen umspielen lässt. Die kleine None >es< wird im anschließenden d-Moll-Anruf dem Agnus vorenthalten, um einen weiteren musikalischen Effekt zu erlangen.273 Die Modulationen spielen in diesem Zusammenhang auch eine große Rolle. Draeseke wechselt teilweise schnell sein harmonisches Grundgerüst, um andere Färbungen einbringen zu können. Übermäßige und verminderte Akkorde, sowie Alterationen und enharmonische Verwechslungen sind zusätzliche Hilfsmittel, Dissonanzen mit all ihren Erscheinungen und chromatische Elemente miteinander zu verbinden. Die Dissonanz zeigt eine besondere Spannung und >wartet< auf eine Lösung. Klangliche und dynamische Verhältnisse scheinen sich gegenüber-zustehen. Herausragend sind dabei die Septakkorde mit ihren Umkehrungen, ob mit großer oder kleiner Septime. Der Dominantseptakkord hat eine andere musikalische Stellung inne. Er steht in erster Linie der Kadenz nahe und ist in seiner dissonanten Reibung auf die Schlussphase vorbereitet. Mit seinen Umkehrungen -Sekund-, Terzquart-, Quintsextakkord-Akkord zeigt er aber weitere musikalische Möglichkeiten, zum Beispiel nach einem übermäßigen Dominant-septakkord einen Trugschluss anzuschließen.274 Die übrigen Umkehrungen sind in allen vier Werken zu finden, besonders der Sekundakkord, sowie der Quintsext-akkord. Draeseke setzt ebenso den Quartsextakkord ein, wenn er einen neuen Gedanken beginnt oder beschließt. Im Gloria der a-Moll-Messe schreibt der Komponist bei dem Wort >omnipotens< einen Sextakkord E-Dur vor, gleichzeitig setzt er ein Bass-Fis als Vorhalt ein. Der Schreiber beruft sich dabei auf die Dominantfunktion des Fis und erreicht einen Sekundakkord. Er hebt diese Stelle damit besonders hervor.275 Im Gloria der a-Moll- 271 Felix Draeseke: Messe in fis-Moll op. 60: Credo, T. 148, 149, 150. 272 Felix Draeseke: Messe in fis-Moll op. 60: Credo, T. 171-190. 273 Felix Draeseke: Messe in fis-Moll op. 60: Agnus Dei, T. 75-81. 274 Felix Draeseke: Messe in fis-Moll op. 60: Agnus Dei, T. 177-178. 275 Felix Draeseke: Messe in a-Moll op. 85: Gloria, T. 90.

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Messe wird als Steigerungsform ein weiteres Mittel- der Nonvorhalt- beim vierten Eintritt des Basses- eingesetzt. F und ges drücken die augenblickliche Schwere des >miserere< aus.276 Im Benedictus der a-Moll-Messe wird das Tenorthema vom Sopran übernommen, die übrigen Stimmen musizieren eine dichte Engführung mit dem zweiten Thema von >qui venit in nomine Domini<. Der Bass-Einsatz beginnt mit einem Sekundakkord, der sich in einen Sextakkord auflöst.277 Im Agnus Dei der a-Moll-Messe erklingen mehrere dissonante Klänge nebenein-ander. Schwere Betonungen liegen auf dem >Agnus< und >peccata<. Der Einsatz bringt einen Septakkord im Sopran, der keine direkte Auflösung erfährt. Weiter stellt Draeseke die Sünden der Welt mit einem verminderten Sekundakkord dar: Es- erniedrigtes des - as. Hier erfolgt eine verzögerte Auflösung.278 Im Dies irae des e-Moll-Requiems formuliert der Komponist einen Septakkord: >d-f-a-c< bei dem Wort >in< [favilla]. Bedingt durch die vielen Durchgangsnoten und die Gegenbewegungen sieht Draeseke diesen Septakkord hier als Teil einer Vorbe-reitung für eine Kadenz über den Dominantseptakkord nach d-Moll.279 Im Dies irae des e-Moll-Requiems hat der Verfasser bei >confutatis maledictis< dasselbe Zeitmaß wie vorher im 6/4-Takt vorgeschrieben, besonders auf der dritten und vierten Silbe von >confutatis<. Zunächst wird ein ges-Moll-Akkord angegeben, um ihn dann mit der None von einem F-Dur-Klang vorzuenthalten.280 Im Domine Jesu Christe komponiert Draeseke an der Stelle >de ore leonis< ->b-des-fes-as<- einen Septakkord. Man erwartet eine Auflösung von as nach ges, doch er bindet den ersten Septakkord über und leitet ihn verzögert nach >ces-es-ges<, um im nächsten Augenblick sein harmonisches Konzept wieder zu ändern.281 »Schließlich soll vor allen Dingen darauf geachtet werden, dass der Kontrapunkt sich als ein ganzes kund gebe und eine Linie aufweise mit erkennbaren Höhe-punkten. Auch sind natürlich alle Septimen-Intervalle vorzubereiten und regelrecht aufzulösen«.282

276 Felix Draeseke: Messe in a-Moll op. 85: Gloria, T. 147. 277 Felix Draeseke: Messe in a-Moll op. 85: Benedictus, T. 41-52. 278 Felix Draeseke: Messe in a-Moll op. 85: Agnus Dei, T. 43, 49. 279 Felix Draeseke: Requiem e-Moll WoO 35: Dies irae, T. 11-12. 280 Felix Draeseke: Ebd.: Dies irae, T. 295/296. 281 Felix Draeseke: Ebd.: Domine Jesu Christe, T. 27/28. 282 Felix Draeseke: Der gebundene Styl. Lehrbuch für Kontrapunkt und Fuge. London 1902, S. 14.

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Im Domine Jesu Christe lässt der Komponist seiner Erfindungskraft weiteren Lauf; denn in der Fuge >quam olim Abrahae< gebraucht er vielfach dissonante Über-gänge in Form von Wechselnoten und Durchgangsnoten, die in fast jedem Takt zumindest verdeckt melodisch existent sind.283 Draeseke schreibt über die Vorhaltsnote folgende Gesichtspunkte vor: »Als Haupt-regeln wären somit hinzustellen, dass 1. die Durchgangsnoten vorzugsweise und zwar von einer zur andern harmonischen Note führend, sonst nur in Ausnahme- fällen andere Töne berührend, in Anspruch genommen werden sollen; 2. die Wechselnoten nur selten, und niemals sequenzartig den Ton umspielend, zu ver- wenden sind, als Vorausnahmen einer neuen Harmonie hie und da aber gute Dienste leisten können, 3. über die Taktlinie hinüber Sprünge vermieden, dagegen 4. die Vorhaltsnoten sprungweise genommen werden, 5. für die erste und die dritte Note des Taktes harmonische Töne gewählt werden sollen, wobei übrigens Vorhalte solcher harmonischen Noten nicht auszuschließen wären, und in Fällen, wo der flüssige Lauf des Kontrapunktes gehindert würde, auch hinsichtlich der dritten Taktnote von der betreffenden Vorschrift abgesehen werden könnte«.284 5.5.5 Umfang der Tonbereiche: Chorstimmen Der Komponist geht mit dem Stimmenumfang der Chorstimmen bis an die Grenze der sängerischen Möglichkeiten.285 5.5.6 Homophone/polyphone Formen und Tonartenverhältnisse Die verschiedenen musikalischen Formen im h-Moll-Requiem vermitteln nicht nur kontrapunktische Fähigkeiten, sondern auch eine spezielle Harmonik, die altes Gedankengut mit neuen Richtungen vermischt. Formen und Tonartenverhältnisse hängen eng miteinander zusammen. So beginnt Draeseke mit einer Chaconne in d-Moll. Er führt Violinen im Quintkanon zu einem ostinaten Bass und einem kurzen Cis-Dur. Der Abschnitt >et lux perpetua< ist homophon gestaltet und beginnt in fis-Moll. Die weiteren Stationen sind h-Moll und Fis-Dur.286 Der >Te-decet<-hymnus weist ein G-Dur auf mit einer polyphonen Begleitung. Er wird im Chortenor mit einem Fugenthema verbunden, das das >Requiem aeternam

283 Felix Draeseke: Requiem e-Moll WoO 35: Domine Jesu Christe, T. 168-196. 284 Felix Draeseke: Der gebundene Styl. Bd. 1. London 1902, S. 14. 285 Siehe Tabelle S. 266. 286 Felix Draeseke: Requiem h-Moll: Kyrie, T. 1-60.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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dona eis Domine< wieder aufnimmt. Daraus entwickelt sich eine Chorfuge mit zwei Durchführungen und endet mit einem Trugschluss in g-Moll. Der gesamte Schluss dieser Passage wird in Fis-Dur gehalten, und die Pauken musizieren den Ton Fis.287 Das abschließende Kyrie, das den ersten Teil beendet, ist in h-Moll geschrieben und zeigt eine Doppelfuge mit zwei Themen. Sie enden in einem Nachsatz mit einem h-fis-Quintklang.288 Der zweite Abschnitt im h-Moll-Requiem beginnt mit dem Dies irae in d-Moll. Das Thema ist aus dem früheren Lacrimosa von 1865 entstanden. Ein vierfacher Kanon vervollständigt das Dies-Thema. Das >Tuba mirum< ist in B-Dur notiert und stellt die Posaunen und Holzbläser heraus. Das >Recordare Jesu pie< hält d-Moll bereit. Die Themen des Chores und der Begleitung sind aus dem Beginn des Dies irae komponiert.289 Der anschließende Text ist rondoartig in einem Kanon und mit klei- nen Zwischenteilen gefasst, die vom Chor unisono vorgetragen werden. Die Solostimmen bilden eine Art Zäsur, und sie gestalten Es-Dur. Die nachfolgenden Teile treten mit Klangfarbenunterschieden in den Stimmen und Orchester beson-ders hervor. Das >Voca me< wird in B-Dur gesungen und gespielt. Alt und Bass gestalten das Posaunenmotiv im Dreiklang. Im Lacrimosa ist d-Moll vorherr-schend.290 Der dritte Teil des h-Moll-Requiems wird im Domine Jesu Christe mit dem cantus firmus >Jesus, meine Zuversicht< musiziert. Es wird wieder h-Moll angestrebt. Imitationen finden durch den Einsatz des Chorals statt. Die Stelle >sed signifer sanctus Michael< ertönt in D-Dur. Sie leitet zu einer Chorfuge >Quam olim Abrahae promisisti< über. Der Choral endet in den Blechbläsern. Nach einer Generalpause beginnt das Hostias, es steht in C-Dur, moduliert nach Fis-Dur, um wieder nach C-Dur zu gelangen. Die Zeile >Quam olim Abrahae promisisti< wird mit dem Choral unterlegt. Die Tonarten fis-Moll und d- Moll enden in H-Dur.291 Der vierte Teil des Sanctus beginnt in E-Dur und wird zur Dominante H-Dur geführt. Bei >Dominus Deus Sabaoth< steht ein Septimakkord auf dem Ton H. Das charakteristische Merkmal des >Pleni-sunt-coeli<-Teils ist die aufstrebend gleitende Achtelbewegung in D-Dur. Die nächsten Engführungen der Osanna-Fuge greifen E-Dur wieder auf. Das Soloquartett singt das mit Achteln umspielte >Benedictus< in G-Dur.292 287 Felix Draeseke: Ebd.: Kyrie, T. 61-111. 288 Felix Draeseke: Ebd.: Kyrie, T. 112-173. 289 Felix Draeseke: Ebd.: Dies irae, T. 1-274. 290 Felix Draeseke: Ebd.: Dies irae, T. 275-493. 291 Felix Draeseke: Ebd.: Domine Jesu Christe, T. 1-287. 292 Felix Draeseke: Ebd.: Sanctus, T. 1-181.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 258

Der fünfte Teil umfasst das Agnus Dei. Es wird in h-Moll musiziert. Auffallend sind hier die Triolenbewegungen, die besonders in den Violinen Chromatik und Vorhalte zeigen. Die Satzbezeichnung lautet Andantino grave im 4/4-Takt. Die verschiede-nen Bitten werden von schnell wechselnden Gruppen musiziert. Die Schlussfuge >Cum sanctis tuis< erfolgt wieder in h-Moll. Drei Durchführungen werden variations-mäßig bis zu einer Fermate mit Quintsextakkord verarbeitet. Danach schreibt Draeseke noch eine Modulation nach H-Dur: >Quia pius es<. Den endgültigen Schluss bildet eine leere Quinte: h-fis.293 Die fis-Moll-Messe beginnt im Kyrie mit einem äolischen fis-Moll. Es entwickelt sich daraus ein dreifacher Kanon im Chor. Das >Christe eleison< wird vom Kleinen Chor musiziert. Vom E-Dominantseptakkord bis zu A-Dur, über Imitationen und Fugati- satz werden weitere Bitten musikalisch formuliert. Die anschließende Fuge >Kyrie eleison< findet zunächst in fis-Moll statt, dann aber ist der Durraum führend, der Schluss zeigt wieder fis-Moll.294 Das Gloria der fis-Moll-Messe ist in Form eines Rondos und in D-Dur notiert. G-Dur-Akkorde, Fis-Dur und h-Moll beleben die auffällige Entwicklung. Bei >laudamus te< wird die Quinte A-Dur erreicht. Eine Stelle mit besonderem Effekt erklingt bei >adoramus< mit G-Dur und Es-Dur. In der Folge wird B-Dur bei >gratias agimus< eingesetzt.295 >Domine Deus< als herausragende Stelle zeigt der Komponist mit Ges-Dur an, das Wort >omnipotens< mit As-Dur. Draeseke stellt harmonische und kontrapunktische Formen nebeneinander und verbindet sie nicht nur mit satztechnischem Wechsel, sondern auch mit Tonartenvariationen, indem er das harmonische Moll statt Dur verarbeitet.296 Der Komponist geht mit mehrfacher >miserere< -Engführung und Chromatik eigene stilistische Wege. Die weitere Entwicklung des Gloria wird über B-Dur und D-Dur geleistet, ebenso E-Dur, G-Dur und zur Dominante D-Dur. Es folgt eine doppelchörige Fuge >Cum sancto spiritu< mit mehreren Engführungen. Der Komponist bearbeitet dabei Zwischenspiele, indem er >gloria in excelsis< mit einer entsprechenden Bassführung musikalisch einschiebt.297 Der Credo-Teil beginnt mit H-Dur. Die Stelle >omnipotentem< weist ein dis-Moll auf, das danach A-Dur und F-Dur -factorem coeli et terrae- mit eigenem Charakter- folgen lässt. Kreuztonarten der hohen Frauenstimmen mit >visibilium< stehen dem >invisibilium< der tiefen Männerstimmen gegenüber. Wechselgesänge und 293 Felix Draeseke: Ebd.: Agnus Dei, T. 1-148. 294 Felix Draeseke: Große Messe fis-Moll op. 60: Kyrie, T. 1-127. 295 Felix Draeseke: Ebd.: Gloria, T. 1-71. 296 Felix Draeseke: Ebd.: Gloria, T. 98-106. 297 Felix Draeseke: Ebd.: Gloria, T. 192ff.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Chromatik der Holzbläser lassen unerwartet ein a-Moll erklingen, um >et homo factus est< mit B-Dur auszuführen. Das Leiden Jesu wird mit c-Moll und Dissonanzen dargestellt. Die weitere Schreibung des Glaubensbekenntnisses setzt der Komponist mit As-Dur, C-Dur, g-Moll und einem Fugato >unam sanctam catho- licam< in D-Dur fort. Den Schluss des Credos gestaltet er mit einer Fuge in H-Dur.298 Das Sanctus ist in fis-Moll verfasst. Draeseke entfaltet es über B-Dur, Es-Dur, und D-Dur. Die Osanna-Fuge erklingt in Fis-Dur. Das Benedictus strahlt vorwiegend in einem A-Dur. Beim Agnus Dei ist wieder die Haupttonart fis-Moll erreicht. Die harmonische Molltonleiter mit ihrem eineinhalb-Tonschritt spielt hier eine große Rolle. Das Quartett musiziert einen Kanon. Die Bitten darin werden in D-Dur, Fis-Dur, dis-Moll formuliert. Das Wort >pacem< lässt einen Fis-Dur-Akkord zu.299 Die A-capella-Messe a-Moll op. 85 wird vom Kyrie in einer Doppelfuge eröffnet. Das >Kyrie<-Thema a-Moll steht dem >Christe<-Thema in F-Dur gegenüber. Draeseke arbeitet auch hier mit Engführungen, die sich über subdominantische Stufen nach H-Dur bewegen. Beide Stimmen werden zusammengeführt. Der Satz endet in A-Dur.300 Beim Gloria verwendet der Komponist D-Dur und zeichnet einen tänzerischen Charakter im ¾-Takt. Ein Fugato entwickelt sich, das Draeseke bei >laudamus te< in C-Dur ausdrückt. Das Thema wird weiter fugenartig fortgeführt und zeigt ein A-Dur. Das Agnus Dei wird beschrieben, der Komponist zeichnet diese Ansprache mit ges-Moll und mit einem nach unten in die Tiefe drückenden Charakter. Die nächste Bitte, das >miserere< anzunehmen, beschreibt er mit einem Fugato. Am Ende erscheint das Thema, das Draeseke kanonartig abschließt. >Quoniam tu solus< wird wie ein Fugato komponiert und in G-Dur gesetzt. Die >cum-sancto-spiritu<-Fuge erhält das modifizierte Thema und musiziert in der Ausgangstonart D-Dur.301 Im Credo der a-Moll-Messe arbeitet Draeseke mit homophonen und polyphonen musikalischen Bereichen. Die Credo-Formel ist drei Mal homophon angelegt. Das >visibilium<, das Sichtbare, wird polyphon in einer Imitation dargestellt, während das Unsichtbare, das >invisibilium<, tiefe Akkorde durch Chromatik vorträgt. Die Kontrapunktik zeigt sich in den Fugati über Des-Dur und im >qui ex patre filioque procedit<. Draeseke wechselt in den einzelnen sprachlichen Unterteilungen seine

298 Felix Draeseke: Ebd.: Credo, T. 1-478. 299 Felix Draeseke: Ebd.: Sanctus, T. 1-187. Agnus Dei, T. 1-188. 300 Felix Draeseke: Große Messe in a-Moll op. 85: Kyrie, T. 1-78. 301 Felix Draeseke: Ebd.: Gloria, T. 1-258.

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Tempi und Ausdrucksweisen erheblich. Er beendet das Credo mit einer b-Moll-Fuge. Moll und Dur stehen sich hier besonders gleichwertig gegenüber.302 Das Sanctus schreibt er in A-Dur. Auffallend sind die impressionistisch wirkenden Klänge bei >Et lux<. Die >pleni-sunt-coeli<-Stelle zeichnet die Weite des Himmels über vier Oktaven und kann direkt nachempfunden werden. Die anschließende Osanna-Fuge hat Draeseke in D-Dur gefasst. Das Benedictus ist in F-Dur mit zwei führenden Themen geschrieben, die am Schluss enggeführt werden.303 Im Agnus Dei der a-Moll-Messe ist a-Moll als Ausgangstonart wieder gefordert. Das Thema ist dem des Kyrie ähnlich. Die Form wird bei der Bitte um den Frieden >dona nobis pacem< zu einer Tripelfuge erweitert. Der Komponist setzt am Ende eine barocke Schreibweise ein, indem er aus dem a-Moll-Bereich einen A-Dur-Klang entstehen lässt.304 Das Requiem e-Moll WoO 35 beginnt mit einem h-Bordun im 2. Bass. Es ist fünfstimmig angelegt und musiziert einen Kanon mit dem Thema der ersten Bitte. Es entwickelt sich ein Schrei nach dem ewigen Licht. Im >te-decet<-hymnus beruhigt der Komponist die Szene mit F-Dur. Es folgt eine Doppelfuge, die sich aus dem >Kyrie<- und >Christe<-Thema zusammensetzt. Beide Themen werden enggeführt und vereinigen sich zum Schluss.305 Das umfangreiche Dies irae des e-Moll-Requiems hat Draeseke in d- Moll geschrieben. Hier werden alle sprachlichen Unterteilungen in ihren dramatischen Rollen unterschiedlich komponiert, zum Beispiel die des Jüngsten Gerichts. Im >tuba mirum< wird ein fallender Dreiklang in B-Dur eingesetzt und eine folgende ausgereifte Kontrapunktik angewendet. Diese Tonart sorgt teilweise für beruhi-gende musikalische Phasen, >salva me und fons pietatis< zeugen davon. Im >Recordare< hat Draeseke F-Dur vorgeschrieben, bis zu der Stelle >confutatis maledictis< (T. 294). Dort wird die Stimmung gedrückt wiedergegeben. Eine ver-trauliche Szene entwickelt sich im Anschluss bei >voca me cum benedictis< im Es-Dur-Quartsextakkord und B-Dur-Raum. Das Lacrimosa verwendet diese Melodie und löst sie in einem D-Dur->Amen< auf.306 Im Domine Jesu Christe schreibt Draeseke a-Moll vor. Anschließend formuliert er eine Modulation. Der musikalische Höhepunkt ist in der Abschlussfuge >quam olim 302 Felix Draeseke: Ebd.: Credo, T. 1-324. 303 Felix Draeseke: Ebd.: Sanctus, T. 1-98. 304 Felix Draeseke: Ebd.: Agnus Dei, T. 1-130. 305 Felix Draeseke: Requiem in e-Moll WoO 35: Introitus, T. 1- 141. 306 Felix Draeseke: Ebd.: Dies irae, T. 1-373.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Abrahae promisisti et semini eius< zu finden. Ihr Thema wird in der Umkehrung erneut zum Klingen gebracht. Der Komponist verwendet hier A-Dur.307 Das Sanctus des e-Moll-Requiems wechselt ebenfalls mehrmals die Tonarten. Es beginnt mit G-Dur, streift C-Dur und E-Dur. Die tänzerische Fuge Osanna erklingt wieder in der Ausgangstonart, während das Benedictus mit C-Dur beginnt und in F-Dur endet.308 Im Agnus Dei sind a-Moll (ab T. 27), c-Moll (ab T. 28) und ges-Moll (ab T. 57) ver-treten. Die einzelnen Bitten werden farblich voneinander abgesetzt. >Et lux perpe-tua< wird erneut nach einer Generalpause übernommen und weist somit auf das Graduale. Bei >cum sanctis tuis< erreicht der Komponist E-Dur. Diese Tonart wird bis zum Schluss beibehalten.309 In allen vier Werken richtet sich Draeseke nach der sprachlichen Dramaturgie, die er für die Messe und das Requiem musikalisch in der Sprache vorfindet und danach einsetzt. Er verbindet die gewonnenen Einsichten in der Musik so miteinander, dass sie für den Rezipienten verstehbar gemacht werden. Mit Hilfe verschiedener Formen und Tonartenwechsel >malt< der Komponist einzelne Szenen, so dass diese durch aktives Hören der Werke einen bleibenden musika- lischen Eindruck hinterlassen. Vier Beispiele von Modulationen sollen das modulatorisch-künstlerische Bild des Komponisten vervollständigen. Auch hier berücksichtigt Draeseke den vorliegenden Text.310

• Requiem in h-Moll: Domine Jesu Christe, T. 20-36: de poenis inferni / de profundo lacu

• Messe in fis-Moll: Gloria, T. 230-255: cum sancto spiritu in gloria Dei patris/ in gloria Dei gloria in excelsis Deo

• Messe in a-Moll: Gloria, T. 1-258: Gloria in excelsis! Et in terra pax, hominibus bonae voluntatis. Laudamus te, benedicamus te! Glorificamus te! Gratias agimus tibi! Propter magnam gloriam tuam! Domine Deus, rex coelestis, pater omnipotens! Domine fili unigenite, Jesu Christe. Agnus Dei filius patris, qui tollis peccata mundi, miserere nobis! Suscipe deprecationem nostram. Qui sedes ad dexteram patris. Quoniam tu solus sanctus, tu solus dominus, tu

307 Felix Draeseke: Ebd.: Domine Jesu Christe, T. 1-207. 308 Felix Draeseke: Ebd.: Sanctus, T. 1-101, Benedictus, T. 1-58. 309 Felix Draeseke: Ebd.: Agnus Dei, T. 1- 117. 310 Tonartenverhältnisse und Modulationsformen finden sich auf S. 255.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 262

solus altissimus Jesu Christe! Cum sancto spiritu in gloria Dei patris! Amen

• Requiem in e-Moll: Domine Jesu Christe, T. 26-38: Libera eas de ore

leonis, ne absorbeat eas tartarus Das erste Modulationsbeispiel ist im Domine Jesu Christe des h-Moll-Requiems zu finden. Bei den Worten >de poenis< erreicht der Komponist e-Moll mit vielen Vorhalten. Der Weg geht weiter über Fis-Dur, h-Moll, A-Dur, G-Dur- Sextakkord, G-Dur, Cis-Dur und fis-Moll. Diese Modulation ist noch in einem gesteckten verwandtschaftlichen Tonartenrahmen zu sehen.

Das zweite Modulationsbeispiel in der fis-Moll-Messe zeigt schon eine größere geistige Freiheit. Draeseke beginnt mit seiner Modulation bei >cum sancto spiritu< in Es-Dur. Er biegt sie nach D-Dur, um die entsprechenden >Gloria<-Rufe in D-Dur zusätzlich unterbringen zu können. Über einen Vorhaltklang auf A bringt er F-Dur ins Geschehen. Ein übermäßiger Sekundakkord sorgt für eine Höchstspannung: es-fis-a-c. Dieser löst sich im übernächsten Klang d-g-b- Quartsextakkord vorüber-gehend auf; g-Moll, D-Dur und A-Dur bereiten eine große Kadenz nach D-Dur vor. Das dritte Modulationsbeispiel in der a-Moll-Messe zeigt in der ersten Zeile D-Dur als Haupttonart. Über C-Dur, G-Dur, D-Dur, h-Moll erreicht die Zeile >et in terra pax hominibus bonae voluntatis< Fis-Dur. Die dominantische Richtung von Fis-Dur bereitet eine Kadenz nach H-Dur vor. G-Dur, C-Dur und weitere Zwischenstufen stellen eine Modulation nach D-Dur für >Laudamus te, benedicimus te, adoramus te, glorificamus te< vor. Für >gratias agimus tibi< hat sich der Schreiber D-Dur und zusätzlich eine Modulation nach E-Dur vorgenommen. Er bleibt in dieser Tonart bei den Worten >propter magnam gloriam tuam<. Die folgenden Anrufungen Gottes drückt er mit F-Dur, A-Dur und einer Modulation nach H-Dur aus. >Domine fili unigenite Jesu Christe< schreibt er in H-Dur und in einer Modulation nach A-Dur. Domine Deus, Agnus Dei erklingen in A-Dur. Bei >Filius patris< erfolgt eine Modulation nach B-Dur. Die Zeilen >qui tollis peccata mundi, miserere nobis und suscipe deprecationem nostram< werden vom Komponisten in ihrer düsteren Aussage mit ges-Moll verdeutlicht. >Qui sedes ad dexteram patris, miserere nobis< beschreibt Draeseke mit B-Dur, g-Moll und D-Dur. >Quoniam tu solus sanctus, tu solus Dominus, tu solus altissimus, Jesu Christe< werden mit und einer nahen Modulation nach D-Dur gezeichnet. Die letztgenannte Tonart wird bei >cum sancto spiritu in gloria Dei patris, Amen< beibehalten. Das vierte Modulationsbeispiel zeigt im Domine Jesu Christe des e-Moll-Requiems, wie die Subdominante a-Moll bis zu >de ore leonis< eingesetzt wird. Der Komponist stellt die Höllenstrafen in einer Modulation von b-Moll, as-Moll nach F-Dur und C-Dur dar. Hinzu kommen noch verminderte Septakkorde mit Umkehrungen und

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Oktavsprüngen in den beiden Bässen, sowie im Sopran. Eine lösende Situation bringt Draeseke bei >sed signifer sanctus Michael<. Hier schreibt er D-Dur vor. Das Modulationsgeschehen findet in mehreren musikalischen Stationen statt. Zwischen-dominanten folgen einer harmonischen und melodischen Erweiterung. Sie wird durch die entstehenden Spannungen gehalten und in nicht verwandte musikalische Regionen transportiert. Eine neue Tonart entsteht und bringt einen völlig anderen musikalischen Charakter hervor. 5.5.7 Zusammenfassung In den Satzstrukturen des h-Moll-Requiems und der fis-Moll-Messe, sowie der a-Moll-Messe und des e-Moll-Requiems zeigen folgende Kriterien ähnliche Strukturen und Wirkung durch musikalisch differen-zierte Stilmittel: Kriterien Satzstruk-turen

Requiem h-Moll

Messe fis-Moll

Messe a-Moll

Requiem e-Moll

Differen-zierte Stilmittel

Ausge- wählte Beispiele

Überein- stimmung von Chor- und Orchester-satz

4-8-stg. Komposi- tionen zusätzliche Färbungen des Orche-sters Figuration d. Melodie Tonarten- Wechsel erweiterte Mehrst. durch divisi

4-8-stg. Komposi- tionen zusätzliche Färbungen durch Orchester Figuration d. Melodie Tonarten- wechsel

Venezian. Stil Doppel- chörigkeit Rondo 4-stg. Satz Kirchen- tonarten Solo- Chor Prinzip des Gegensat-zes Tonarten-wechsel Oktavpa- rallelen

h-Moll: Dies irae: Dies irae, dies illa T. 1-81 S. 235 h-Moll: Dies irae: Rex tremendae T. 167-175 S. 235 fis-Moll: Gloria: Gloria in excelsis T 225-231 S. 238

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 264

fis-Moll: Credo: Et incarnatus est T. 128-136 S. 238

Unter-schiedli-che Satz- strukturen

ostinater Bass selbstst. Soli Chor- Orch. Gegen-über- stellung Doppel- fuge

Imitationen Frauen- Männer-stimmen zumTeil ab-wechselnd Umkehrungen Kontrapunktik Doppelfuge Rezitation Basschro- matik: Symbolik

Rollenver- teilg. des Textes Interpreta-tionsfragen facettenrei- ches Instru-mentarium Quintkanon Psalmodie Doppelfuge Verdoppe- lung einz. Instrumente

h-Moll: Domine: T. 199-221 S. 241 h-Moll: Domine: T. 258-286 S. 241 fis-Moll: Gloria: in gloria Dei T. 253-276 S. 242 fis-Moll: Credo: Et incarnatus est T. 119-127 S. 242

h-Moll:

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Verhältnis- mäßigkeit der Inter- valle: Chor- und Orchester- klang

Fugati Septim- Quart- Oktav- sprünge fallende Quinte überm. Quinte Doppelfuge und Figura-tion c.f. Orch. Tonarten- wechsel

Fugati- Formen Septim- Quart- Oktav- sprünge fallende Quinte überm. Quinte Fuge

Doppelfuge a-cappella archaische Muster Oktavsprung Parallelen Septimspr. modifiziertes Thema und Engführun- gen

Doppelfuge a-cappella archaische Muster Themen in Umkehrung großer Sextenspr.

Klangunter- schiede der Intervalle Beeinflussung d. den Text 4 stg. Satz Polyphonie Fugen: ausgewo- gene Poly- phonie Harmonie- lehre Erweit. des Kontrapkt. Modulation

Kyrie: T. 65-90 S. 246 fis-Moll: Credo: T. 88-127 S. 247 fis-Moll: Sanctus: T. 33-105 S. 247 a-Moll: Gloria: Cum sancto spiritu T. 215-258 S. 248 a-Moll: Sanctus: Osanna in excelsis T. 33-98 S. 248 e-Moll: Introitus: Kyrie: Kyrie eleison T. 88-141 S. 249 e-Moll: Domine: Quam

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 266

olim Abrahae T.104-128 S. 249

Lösung von Dissonan- zen

Fugati und Fugen zufällige u. gewollte Dissonan-zen Vorhalte Sept-akkorde None und Sekunde

Fugati und Fugen zufällige u. gewollte Dissonan- zen Vorhalte Sept- Akkorde None und Sekundeffekt

Septakkorde Vorhalte vermind. Sekund- Akkord: peccata u. verzögerte Auflösg.

Sept- Akkorde None Fuge: Diss. als Durch- gangsnoten Vorhalte

Konsonanz u. Disson. diss. Auf- Lösg.: a) schnelle, b) verzögerte Nonen Septimen Sekunden beeinfl. Li- nienführg. kleine Sekunde Modulation

h-Moll: Domine: T. 14 S. 252 Fußnote h-Moll: Agnus Dei: qui tollis peccata T. 26-28 S. 252 Fußnote fis-Moll: Agnus Dei: T.177-178 S. 253 Fußnote fis-Moll: Agnus Dei: T.75-81 S. 253 Fußnote a-Moll: Gloria: omnipo-tens: T. 90 S. 253 Fußnote a-Moll:

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Agnus: T. 43, 49 S. 254 Fußnote e-Moll: Dies irae: confutatis maledictis T. 295/296 S. 254 Fußnote e-Moll: Domine: de ore leonis T. 27/28 S. 254 Fußnote

Umfang der Tonberei-che: Chorstim-men

Sopran: A‘‘ E‘ Alt: D‘ A Tenor: A F Bass: Es F

Sopr.: Ais‘‘ Cis‘ Alt: D‘ A Tenor: A F Bass: Es F

Sopr.: A‘‘ C‘ Alt: D‘ A Tenor: A F Bass: Es F

Sopr.: B‘‘ D‘ Alt: D‘ A Tenor: A F 1.Bass:Es Ces 2.Des+ F

Zweigestri-chene Okt. Eingestri- chene Okt. Kleine Okt. Große Okt.

Chaconne fis-h-Fis Hymnus G

Kyrie: äolisch fis Fugati fis Fuge

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 268

Homopho-ne/ polyphone Formen und Tonarten- verhält-nisse

Fuge-Fis-h h-fis Doppelfu-ge d-Moll: Lacrimosa Es-b-d- c.f. h-D Chorfuge: C-Fis-fis-d-H E-H-D Fuge: E-G Chromatik Variation

Gloria: D-G-Fis –h A-G-Es B-d Ges-As miserere- Engführg. Doppelchor Fuge Credo: H-A-F-D-B-c u. Dissonanz As-C-g-D-H Sanctus: fis B-Es-D Fuge:Fis- A Agnus:fis-D-Fis-dis-Fis

Doppelfuge a-F-H-A Gloria:D Fugato:C-A Agnus:ges Fuge:D Credo:Des- B Sanctus: A- D Benedictus: F Agnus: a

h-Bordun Hymnus: F Doppelfuge Dies: d-B- Recordare: F Lacrimosa: D Domine: a-b-as-F-C vermind. Sept-akkorde u. Umkeh- rung sed signi-fer: D-A Sanctus:G-C-E Osanna: e Agnus: a-A-E

Formen undTonar-tenverhält-nisse hängen zu- sammen Quintkanon Rondo Imitation Engführg. Fugato Fuge Tonarten- wechsel Tripelfuge harmon. Molltonlei- ter Modulation

Harmo-nielehre Kontra-punkt Klein- und Großfor-men Imitation Fugato Fuge Abhän-gigkeits-verhältnis der Tonarten unterein-ander

5.6 Dynamik und Tempo

»Als Ausdrucksmittel ist die Dynamik musikalisch-peripherer Natur, wenigstens im Sinne der abendländischen Musikauffassung, die zu den zentralen Werten die

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Tonhöhe und den Toncharakter rechnet«.311 In der Musik bedeutet Dynamik die Unterscheidung in der stufenweisen und/oder verändernden Tonstärke. »Generell wird seit der Wiener Klassik bis in unsere Gegenwart die Entwicklung der Musik nicht nur in Melodik, Harmonik und Rhythmik erfassbar, sondern stets auch- und in enger Verbindung mit diesen Elementen- in der Dynamik«.312 Es können durch andere Parameter zusätzliche Formen erreicht werden:

• Umformung eines polyphonen Satzes in Homophonie und umgekehrt

• Polyphonie und scheinbare Polyphonie • Erweiterung-Taktwechsel-Wesensänderung • Änderung der Stimmkomplexe • Betonung des Wortes und ganzer musikalischer Gedanken • textlich herausragende Stellen • Entwicklungsreihe • kleine Motive werden Baustein zum Thema • Satzanfänge zeigen eigenthematische Polyphonieansätze • kontrastreiche Elemente • Außenglied – Mittelteil – Außenglied • formale Kongruenz - Grundsatz zur Einheit • kurzgliedrige Wechselchörigkeit: Art Canzonettenstil Charakteristische italienische Satzbezeichnungen zeigen sich bei Draesekes h-Moll-Requiem op. 22 und der fis-Moll-Messe op. 60: • h-Moll-Requiem: Kyrie Andante grave - Te decet L’istesso tempo p dolce - Fuge: Kyrie Un poco piu tranquillo Dies irae Presto agitato - Tuba mirum piu largo ritenuto - Recordare Andantino con moto - Voca me L’istesso tempo - Lacrimosa Larghetto - Huic ergo parce Deus Tempo tranquillo Domine Jesu Christe Allegro moderato - Sed signifer sanctus Un poco animato - Hostias Andantino - Fuge: Quam olim Tempo primo, ma un poco animato 311 Hans-Heinz Dräger: Art. Dynamik. In: MGG, Bd. 3. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London. München 1989, Sp. 1024. 312 Honegger/Massenkeil (Hrsg.): Das große Lexikon der Musik. Bd. 2. Freiburg. Basel. Wien 1979, S. 392.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 270

Sanctus Allegro moderato - Benedictus Andantino Agnus Dei Andantino grave - Fuge: cum sanctis Molto tranquillo • fis-Moll-Messe: Kyrie Andantino con moto - Kyrie-Fuge Un poco piu animato -Gloria Allegro maestoso - Domine Deus a tempo, ma con brio - Domine fili a tempo, ma tranquillo - Fuge: cum sancto Allegro con brio Credo Allegro maestoso - et resurrexit piu vivo - cujus regni Allegro con brio - et unam sanctam Allegro risoluto, non troppo - et expecto Allegro risoluto Sanctus Andante maestoso - Osanna Allegro con brio - Benedictus Andantino tranquillo Agnus Dei Andante Charakteristische deutsche Satzbezeichnungen zeigen sich bei Draesekes a-Moll-Messe op. 85 und e-Moll-Requiem WoO 35:

• a-Moll-Messe: Kyrie Sehr mäßig - Christe eleison Etwas aber kaum merklich lebhafter Gloria Feurig - Laudamus Etwas belebter - Domine Deus Etwas belebter, entschieden - Qui tollis Etwas langsamer - Quoniam tu solus Frisch und lebhaft - Fuge: cum sancto Ziemlich belebt Credo Mäßig bewegt - Et resurrexit Frisch und belebt Sanctus Mäßig, weihevoll - Fuge: Osanna Belebt, frisch - Benedictus Sanft bewegt, sehr mild Agnus Dei Mäßig bewegt

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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• e-Moll-Requiem: Introitus Langsam und getragen - Et lux Fest und bestimmt Dies irae Sehr bewegt und aufgeregt - Tuba mirum Majestätisch - Rex tremendae Energisch aber nicht schneller - Recordare Sanft bewegt, nicht zu langsam - Lacrimosa Majestätisch, nur wenig langsamer Domine Jesu Christe Etwas bewegt - Sed signifer Etwas belebter, feurig - Fuge: quam olim Belebt und frisch - Hostias Merklich langsamer - Hostias Sehr mäßig, zart und innig Sanctus Feierlich - Osanna Etwas drängend - Benedictus Langsam und getragen Agnus Dei Mäßig bewegt - Cum sanctis Sehr weich und innig, langsamer Der Komponist hat mit seinen italienischen wie deutschen Satzbezeichnungen einen Hinweis gegeben, der in vielen Sätzen auf das Tempo, vor allem aber auch auf dynamische Eigenschaften zielt. »Es gehört zum Wesen der musikalischen Dynamik, dass alle Bezeichnungen jedoch nur relative dynamische Unterschiede angeben können, allein die Angabe der Lautstärke in Phon wäre eine absolute Festlegung. Dynamische Grade sind auch für bestimmte Arten des musikalischen Akzents maßgeblich«.313 5.6.1 Interpretationsmittel der Sprache Interpretation bedeutet allgemein Auslegung. Im weitesten Sinn werden die einzel-nen Sätze nicht nur auf Stimmung und Wirkung durch Dynamik und Tempo untersucht, sondern auch das Ausstrahlen auf vorhergehende und nachfolgende Handlungen. Die Sprache gilt als ein Hilfsmittel für die Musik. Der melodische Duk-tus wird demnach durch die Sprache mit ihren dynamischen Abstufungen, Akzen-ten und durch das Tempo getragen. »Die musikalischen Erscheinungsformen der Dynamik sind zu trennen in Stufen, Akzente und Entfaltungen. Stufen sind die für einen größeren oder kleineren Bereich einer Komposition geltenden Grundwerte, auf die Akzente und Evolutionen zu beziehen sind«.314 Der dynamische Verlauf

313 Honegger/Massenkeil (Hrsg.): Das große Lexikon der Musik. Bd. 2. Freiburg. Basel. Wien 1979, S. 392. 314 Hans-Heinz Dräger: Art. Dynamik. In: MGG, Bd. 3. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel.

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bringt nicht nur Kontraste hervor, sondern beeinflusst auch die übrige Melodik-zeichnung. Eine innere Gliederung zeigt sich durch Frage und Antwort oder Vorder- und Nachsatz.315 Dynamik und Tempo unterstützen diese Auslegung des Textes in einem hohen Maße. Folgende Beispiele stehen in dieser Tradition:

• h-Moll-Requiem: Sanctus, T. 18-30 : Sanctus Dominus Deus Sabaoth • h-Moll-Requiem: Sanctus, T. 36-43 : gloria tua • e-Moll-Requiem: Agnus Dei, T. 28-35: Agnus Dei • e-Moll-Requiem: Introitus, T. 26-33 : Et lux perpetua luceat eis

Im ersten Beispiel des h-Moll-Requiems wird die melodische Linie von einem pp bis zu einem ff stetig und aufsteigenden Sekundschritten entwickelt. Die Rolle des >Dominus< leuchtet auf einem hohen Sopran-A und einem Quintsextakkord. Es ist eine herausragende Stelle, die der Verehrung einen großen, musikalischen Platz einräumt und somit interpretierend wirkt. Im zweiten Beispiel des h-Moll-Requiems wird die Macht Gottes durch die >Gloria<-Rufe weiter durch das dynamische Zeichen ff vertieft. Im ersten Beispiel des e-Moll-Requiems wird die verzweifelte Lage des Menschen durch die dreimalige Anrufung des >Agnus< geschildert. Vom mf bis zum f und p zeichnet Draeseke die innere Welt der Menschen nach. Die Stimmung in c-Moll spricht in Musik und Text für sich. Im zweiten Beispiel des e-Moll-Requiems wird besonders das Wort >lux< hervor-gehoben, im weiteren Verlauf der Zeile betont Draeseke auch das Wort >luceat<. Der fünfstimmige, einfache Satz unterstreicht die deklamatorische Bitte mit der Bezeichnung fest und bestimmt. Zu Beginn setzt der Komponist ein f und ff ein, die Wiederholung >luceat eis< als dynamischen Kontrast im p und pp. Das einzelne Wort und seine Bedeutung stehen hier im musikalischen Mittelpunkt. »Die Neigung zu gesteigerter Differenzierung von Stärkegraden und somit der Fixierung der Vortrags-Dynamik trat erst im 19. Jahrhundert auf«.316 Tempo und

London. München 1989, Sp. 1025. 315 »Die dynamischen Grade in kürzeren oder längeren Abschnitten oder von Einzeltönen und ihre Abstufungen werden im Notentext meist durch italienische Worte bzw. durch die entsprechenden Abkürzungen und graphischen Zeichen wiedergegeben«. In: Honegger/ Massenkeil (Hrsg.): Das große Lexikon der Musik. Bd. 2. Freiburg. Basel. Wien 1979, S. 392. Draeseke wendet italienische und deutsche tempomäßige + dynamische Zeichen an. 316 Art. Dynamik. In: Brockhaus Enzyklopädie. Bd. 5. Wiesbaden 1968, S. 194.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Dynamik sind zusätzliche Stilmittel und richten sich nach der entsprechenden musikalischen Form in der Textvorlage. Ebenso zeigt der Komponist in den beiden Messen variable Möglichkeiten, die musikalische Interpretation auch mit Hilfe von Dynamik und Tempo zu verdeutlichen:

• fis-Moll-Messe: Credo, T. 81-92 : Deum de Deo, lumen de lumine • fis-Moll-Messe: Credo, T. 128-136 : Et incarnatus est de spiritu sancto

ex Maria virgine • a-Moll-Messe: Gloria, T. 100-112 : Jesu Christe, Domine Deus • a-Moll-Messe: Credo, T. 138-144 : Et resurrexit tertia die

Im ersten Beispiel der fis-Moll-Messe setzt Draeseke ein >Andante con moto< ein. Der Solochor musiziert den Anfangsteil, der Kleine Chor führt ab dem Wort >Deum<, und der Tuttichor beschreibt das >lumen<. Vom p über einem >cres-cendo< entwickelt sich die Passage zum f und nimmt am Ende mit dem Klang ab. Vom Beginn an wird das Wort >Deum< betont. Vorläufer dafür ist eine punktierte Viertel. Der Komponist hat hier besonders auf den Sprachduktus geachtet. Bei dem Wort >lumen< hat Draeseke sich einer arhythmischen Betonung angenommen, in- dem er einmal die zweite Silbe (in einem Dreiertakt) von >lumen< betont und im Sekundschritt sich auf dieser Zeit nach oben bewegt, zum anderen die erste Silbe punktiert. Solochor, Kleiner Chor und Tutti geben hier eine große Steigerungslinie vor. Im zweiten Beispiel der fis-Moll-Messe wird das Geheimnis im >Un-poco-piu- lento<-Tempo allmählich gelichtet. Es beginnt im pp, geht über p und betont das Wort >sancto<. Zum Schluss wird das Wort >virgine< hervorgehoben. Das alles geschieht in einem einfachen vierstimmigen Satz, der von hohen, trillernden Gei-genstimmen begleitet wird. Mit gebrochenen Akkorden fügen die 1. Violinen eine polyphon anmutende Begleitung hinzu. Im ersten Beispiel der a-Moll-Messe wird die Person >Jesu Christe< hervorge-hoben. Draeseke schreibt eine Anabasis und betont dadurch besonders das Wort >Christe<. Er wiederholt auch beide Worte, wieder mit der nach oben gerichteten Tendenz. Diese Rolle gestaltet er mit einem pp, um das folgende dreimalige >Domine Deus< im ff erklingen zu lassen und einen deutlichen dynamischen Kon- trast zu setzen. Die Personifizierung wird vor allem durch die Dynamik und die Wiederholung noch gesteigert.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 274

Im zweiten Beispiel der a-Moll-Messe stimmt der Männerchor das >Et resurrexit< an. Die Frauenstimmen ahmen die Männerstimmen in einem Quartensprung nach. Dagegen bewegt sich der Chor im >tertia die< schrittweise nach unten. Draeseke beginnt mit einem ff, das im Abgesang noch im f musiziert wird. Die Aufteilung der beiden Chorgruppen und die Bezeichnung Frisch und belebt symbolisiert die Auferstehung Jesu. 5.6.2 Gliederungsmomente im musikalisch-methodischen Ablauf Der vorliegende Messetext und der Requiemstext zeigen in ihrer Prosa musika-lisch-sprachliche innere Teile, die zusammengehören und solche, die einen anderen Gedanken aussprechen und ohne Übergang anschließen. Der Komponist richtet sich zwar nach der großen fünfteiligen >ordo missae<, er geht teilweise in seiner Interpretation von Musik einen Schritt weiter. Das bedeutet, dass er auf der einen Seite streng am Text entlang arbeitet, auf der anderen in vielen Fällen den Rahmen der musikalischen Behandlung überschreitet. Bogen- und Motivsymbolik stehen sich formal gegenüber, indem die erste einen Impuls bereitstellt und die zweite ein Motiv herausbildet, das in seiner Ursprungsform oder modifiziert erscheint. Dabei kann es sich zeigen, dass ähnlich angelegte Motive bei gleichen Wortbedeutungen verwendet werden. Die musikalische Interpretation wird in diesen Fällen direkt ausgeführt. Beispiele für eine Interpretation finden sich in allen vier Werken Draesekes:

• fis-Moll-Messe : Gloria, T. 107-126 : Qui tollis peccata mundi • fis-Moll-Messe : Credo, T. 122-127 : descendit de coelis • a-Moll-Messe : Credo, T. 218-221 : Qui ex Patre Filioque procedit • a-Moll-Messe : Gloria, T. 41-55 : Laudamus te, benedicamus te,

adoramus te, glorificamus te • h-Moll-Requiem : Kyrie, T. 65-69 : Exaudi orationem meam,

ad te omnis caro veniet • h-Moll-Requiem : Dies irae, T. 315-324: Preces meae non sunt dignae,

sed tu bonus fac benigne • e-Moll-Requiem : Dies irae, T. 252-263: Preces meae non sunt dignae,

sed tu bonus fac benigne • e-Moll-Requiem : Domine Jesu Christe, T. 9-19: Libera animas omnium

Im ersten Beispiel der fis-Moll-Messe zeigt der Komponist einen dreimaligen Entwicklungsbogen, der sich durch eine melismatische Erweiterung des Wortes >peccata< steigert und das Wort >mundi< synkopenhaft einsetzen lässt. Der

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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folgende Nebensatz wird ebenfalls durch Wortwiederholung und einen aufstei-genden Sextensprung im Sopran erweitert. Draeseke erlangt damit eine sich allmählich fortführende Interpretation. Im zweiten Beispiel der fis-Moll-Messe wird unmittelbar eine Auslegung erreicht. Das Wort >descendit< wird wörtlich genommen und bewegt sich in einer Katabasis. Im ersten Beispiel der a-Moll-Messe wird das Ende der Fugato-Zeile mit >procedit< betont. Das Wort ragt heraus, indem Draeseke im Sopran eine Ligatur einsetzt. Satztechnische Gesichtspunkte werden hier den Ausschlag gegeben haben. Das Wort >filioque< wird zwar vor dem Wort >procedit< betont, verliert aber durch die Betonung am Ende der Zeile an Gewicht. Der Komponist erreicht eine schwebende Interpretation. Im zweiten Beispiel der a-Moll-Messe wird das personifizierte >te< vier Mal musiziert. Es schildert eine vertrauliche Situation, die das Wort >te< jedes Mal aufs Neue herauslösen lässt. Draeseke zeigt eine aufstrebende Melodienentwicklung, an deren Ende >te< betont erklingt. Im ersten Beispiel des h-Moll-Requiems wird der Bitte >Exaudi orationem meam< Nachdruck verliehen, indem der Solobass und -tenor >ad te omnis caro veniet< als Zusage musiziert. Die Wörter >omnis<, >caro< und >veniet< werden in einem Fugato-Thema vorgestellt. Besonders wird das Wort >omnis< betont. Die Zeile zeigt einen hohen Auslegungscharakter. Im zweiten Beispiel des h-Moll-Requiems findet eine direkte Interpretation statt. Der Komponist betont die richtigen Worte: >meae< und >dignae< im ersten Teil. Der sündige Mensch steht dem Guten und Gnädigen im zweiten Teil gegenüber. Daher werden >bonus< und >benigne< in der Erläuterung betont. Im ersten Beispiel des e-Moll-Requiems ist eine ähnlich musikalische Konzeption vorhanden wie im zweiten Beispiel des h-Moll-Requiems. Die Wörter >meae< und >dignae< werden von allen Stimmen betont. Beim zweiten Teil stellen Alt, 1. und 2. Bass das Wort >bonus< heraus. Draeseke verwendet die gleichen sprachlichen Schwerpunkte für die Musik, so dass sofort der musikalische Zusammenhang ver-standen wird. Im zweiten Beispiel des e-Moll-Requiems erscheint die Zeile >Libera animas omnium fidelium defunctorum de poenis< in einem polyphonen Satz. Dabei wird zu-

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nächst im 1. Bass das Thema dargeboten. Die Ausführung der Betonungen ist in allen Stimmen ähnlich. Das Wort >omnium< ist sehr wichtig für die inhaltliche Aussage, denn die Seelen aller sollen von den Strafen befreit werden. Draeseke setzt die einzelnen Stimmen von unten nach oben nacheinander ein. Er beginnt mit f im Bass. Die anderen Stimmen musizieren im mf. Der Schluss dieser Zeile soll im pp gestaltet werden. Dieser terrassenartige Stimmeneinsatz symbolisiert und unterstreicht die Wiederholung der anfänglichen Bitte. »Von besonderer Bedeutung ist die Dynamik (...) beim Empfinden für das Körper-hafte eines Tones, sein Volumen, seine Dichte und sein Gewicht. Ist das Empfin-den für das Tonvolumen zunächst an die Frequenz gebunden, so bestimmt es sich weiter in Abhängigkeit von der Dynamik: ein lauter Ton wirkt größer als ein leiser. Über Dichte und Gewicht entscheidet das Verfahren, durch das der Lautstär-kenzuwachs erreicht wird«.317 5.6.3 Zusammenfassung In den Messen- und Requientexten zeigen folgende musikalische Kriterien ähnliche Wirkungen durch differenzierte Stilmittel:

Kriterien Dynamik Tempo

Messe fis-Moll

Messe a-Moll

Requiem h-Moll

Requiem e-Moll

Differen- zierte Stilmittel

Ausge-wählte Beispiele

Dynamik und Tempo

Umformg.: polyphoner Satz in Homopho- nie und umgekehrt Polyphonie u. schein- bare Poly- phonie

freie Erfin- dung textlich herausra- gende Stellen kleine

Umformg.: polyphoner Satz in Homopho- nie und umgekehrt Polyphonie u. schein- bare Poly- phonie

freie Erfin- dung textlich her-ausra-gende Stellen kleine

Tonhöhe Toncharak-ter Volumen Dichte Gewicht eines Tones Entwick- lungsreihe kontrast-

317 Hans-Heinz Dräger: Art. Dynamik. In: MGG, Bd. 3. Hrsg. Von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London. München 1989, Sp. 1024.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Änderg. d. Stimm-komplexe Satzanfang Polypho-nieansatz Satz formale Kongruenz

Motive: Bausteine- Thema formale Kongruenz

Änderg. d. Stimm-komplexe Satzanfang Polypho-nieansatz formale Kongruenz

Motive Bau-steine- Thema formale Kongru-enz

reiche Ele- mente Außenglied Mittelteil Außenglied formale Kongruenz

Interpre-tations-mittel der Sprache

Tempo italien. Satzbe-zeichnung melodi-scher Duktus in Verbin-dung mit dynam. Abstufun-gen Charakteri- stik durch Tempo Wortinter- Pretation

Tempo deutsche Satzbe- zeichnung melodi-scher Duktus in Verbin-dung mit dynam. Abstufun- gen Charakteri- stik durch Tempo Wortinter- pretation

Tempo italien. Satzbe- zeichnung melodi-scher Duktus in Verbin-dung mit dynam. Abstufun- gen Charakteri- stik durch Tempo Wortinter- pretation

Tempo Deutsche Satzbe- zeichnung melodi-scher Duktus in Verbin-dung mit dynam. Abstufun- gen Charak-teristik durch Tempo Wortin-terpre-

italien. und deutsche Bezeichng. Hermeneu- tik- Ausle- gung Sprache im melodisch entwickel- ten Duktus dynam. Ab- stufungen Akzente Entfaltung Beeinflus-sung der Melodik- zeichnung durch Dy-namik und Tempo Interpreta-tion: Rolle

h-Moll: Sanctus: Sanctus Dominus T. 18-30 S. 270 h-Moll: Sanctus: gloria tua T. 36-43 S. 271 e-Moll: Agnus Dei: Agnus Dei T. 28-35 S. 271 e-Moll: Introitus: Et lux perpetua T. 26-33 S. 271 fis-Moll: Credo: Deum de Deo T. 81-92 S. 272 fis-Moll: Credo: Et incarnatus est T. 128-136

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tation Dominus

Macht Gottes innere Welt der Menschen Wort im Mittelpunkt

S. 272 a-Moll: Gloria: Jesu Christe, Domine Deus T. 100-112 S. 272 a-Moll: Credo: Et resurrexit tertia die T. 138-144 S. 272

Gliede- rungsmo-mente im musikal.- method. Ablauf Messe und Requiem

Satzinter- pretation Neben- sätze ge- winnen an Bedeutg. spezielle Wortinter- pretation verschied. Interpreta-tionen

Satzinter- pretation Neben- sätze ge- winnen an Bedeutg. spezielle Wortinter- pretation verschied. Interpreta- tionen

Satzinter- pretation Neben- sätze ge- winnen an Bedeutg. spezielle Wortinter- pretation verschied. Interpreta- tionen

Satzinter- pretation Neben- sätze ge- winnen an Bedeutg. spezielle Wortin-terpre-tation verschied. Interpre-tationen

betonte und unbetonte Silben Steigerung Personifi-zierung Jesu Auferstehg. Jesu verschied. Interpreta-tionen

h-Moll: Kyrie: Exaudi orationem meam T. 65-69 S. 273 fis-Moll: Gloria: Qui tollis peccata mundi T. 107-126 S. 273 fis-Moll: Credo: descendit de coelis T. 122-127 S. 273

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a-Moll: Credo: Qui ex patre filioque procedit T. 218-221 S. 273 a-Moll: Gloria: Laudamus te T. 41-55 S. 273 e-Moll: Dies irae: Preces meae non sunt dignae T. 252-263 S. 273 e-Moll: Domine: Libera animas omnium T. 9-19 S. 273

Das Tonmaterial steht in einer geistigen Verwandtschaft, denn es ist nicht nur von der reinen Musik vorhanden, sondern auch von der Textkonstruktion belegt. Daher kann sich gemeinsames oder ähnlich motivisches Material ergeben. Auch die Klangdichte wird bei Draeseke durch abgestufte Stimmeneinsätze vorbereitet. Seine Vokalpolyphonie wird durch diese Technik bereichert. Hinzu kommt, dass das Verhältnis Harmonik und Melodik ausgeglichen wirkt. Die vertikale Satzstruktur erweitert sich, ebenso die horizontale Melodienentwicklung, möglichst in einer melodiösen Gegenbewegung. 5.7 Soloformen Soloformen überlassen den solistischen Stimmen im h-Moll-Requiem und in der fis-Moll-Messe einen entsprechenden Raum. Die orchestrale Begleitung unterstützt die Solostimmen in den Hauptfunktionen, wobei die Entwicklung der einzelnen Solo-stimme sich von der Grundfunktion entfernt und mit ariosem Charakter in den Kadenzen wieder zusammenkommen kann. Andererseits können mehrere Solo-stimmen gleichzeitig auftreten, indem sie im Satz Note gegen Note erzählende Momente festhalten. Diese ziehen nach Abschluss des Gedankens eine gegen-

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sätzliche musikalische Form nach sich und zeigen einen Wechsel von musikali-schen Gruppierungen und Färbungen. 5.7.1 Rezitativische Formen Der ursprünglich mittelalterliche stile recitativo beruht auf dem venezianischen Sprechgesang. Daraus haben sich gegensätzliche Formtypen entwickelt. Draeseke verwendet musikalische Mischformen, vorwiegend einen stile recitativo obligato oder accompagnato. Chor und Orchester können einzeln oder auch zusammen begleiten, je nach Lage der musikalischen Schwerpunkte und Textaussagen.318

• h-Moll-Requiem: Dies irae, Tenor, T. 107-113: Mors stupebit et natura cum resurget creatura, judicanti responsora Der Solotenor gibt einen Aufstieg vor, die anderen Solostimmen ahmen in einem lebhaften Sprechgesang nach. Der Chor tritt zum Solochor hinzu, indem er eine bordunartige nach oben gerichtete Chromatik einbringt, die in Halben verläuft. Der Solochor hat an dieser Stelle eine eigenständige Rolle übernommen. Der Chor begleitet ihn in die Höhe, doch ebenfalls von einem eigenen musikalischen Aus-druck gekennzeichnet.

• h-Moll-Requiem: Dies irae, Tenor, T. 148-155: Quid sum miser tunc dicturus? Quem patronum rogaturus Diese Solo –und Chorabwechslung wird von Draeseke als bewusstes Stilmittel in der Folge weiter eingesetzt. Die Frage >Quid sum miser tunc dicturus<? wird durch 318 »Ein sogenanntes Rezitativ für Instrumente ist strenggenommen ein terminologischer Widerspruch, da der Zweck des Rezitativs in der Reproduktion der Sprachbetonungen liegt. Es wurde möglich nur deswegen, weil die Wendungen des gesungenen Rezitativs vertraut genug waren, um eine instrumentale Darstellung assoziativ verständlich zu machen«. Jack Allan Westrup: Art. Rezitativ. In: MGG, Bd. 11. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London. Paris. New York. München 1989, Sp. 363.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

281

den Chor beantwortet. Die Solostimmen sind mit einer Chorklammer bis zur Stelle >nil inultum< versehen worden. Der Chor verstärkt die niedergeschlagene Stimmung.

• h-Moll-Requiem: Dies irae, Sopran, T. 275-284: Qui Mariam absolvisti Einen völlig anderen rezitativischen Charakter zeigt der Solochor bei >Qui Mariam absolvisti<. Bis auf den anfänglich solistischen Sopran musizieren alle Solostimmen einen vierstimmigen Satz im p, im Satz Note gegen Note. Das wird auch beibe-halten, bis der Chor >mihi quoque spem dedisti< mehrere Male wiederholt und be-kräftigt.

• h-Moll-Requiem: Dies irae, Alt, T. 379-387: Voca me cum benedictis Der Bass imitiert das Altthema im Dreiklangsverfahren, während Sopran und Tenor die ruhenden Pole in ganzen Noten und wenigen Bewegungen darstellen. Auch hier betont der folgende Chor die entsprechende Aussage. Die Solostimmen stellen daher eine in einem bestimmten Rahmen gehaltene musikalische Selbstständigkeit vor. In der fis-Moll-Messe ragen ebenfalls einzelne solistisch-rezitativische Beispiele hervor:

• fis-Moll-Messe: Gloria, Sopran + Alt, T. 91-98: Domine fili unigenite Jesu Christe, Domine Deus, agnus Dei Sopran und Alt der Solostimmen musizieren in Terzengängen, diese werden durch die Frauenstimmen des kleinen Chors ebenfalls mit Terzen ergänzt. Das Orchester begleitet zunächst eine kurze Passage, dann aber erinnert es teilweise an das Anfangsthema des Kyrie mit aufsteigenden Terzen bis hin zur Quintlage. Rezita-tivische und polyphone Strukturen werden hier miteinander vermischt.

• fis-Moll-Messe: Credo, Solostimmen, T. 59-64: Jesum Christum filium, Jesum Christum filium Die Solostimmen rezitieren und bilden einen musikalischen Übergang zum folgen-den wichtigen Tutti-Einsatz: Et ex patre natum.

• fis-Moll-Messe: Credo, Solostimmen, T. 81-84: Deum de Deo, Deum de Deo

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 282

Wieder bilden die Solostimmen ein musikalisches Sprachrohr durch ein weiteres Steigerungsprinzip für den kleinen Chor und später für die Tutti-Stimmen: >lumen de lumine<.

• fis-Moll-Messe: Credo, Solostimmen, T. 97-104: genitum non factum, consubstantialem patri Die Solostimmen beenden von der Höhe bis zur Tiefe ihre Aussage, indem sie den Gedanken im vierstimmigen Satz im p zusammenfassen. Danach erfolgt im Tutti des großen Chores eine musikalische Wende im ff. 5.7.2 Ariose Formen In beiden Werken findet man eine Art verselbstständigtes Rezitativ. Auffallend sind sprachliche Ähnlichkeiten mit allgemeinen Aussagen.

• h-Moll-Requiem: Sanctus, Tenor, T. 125-141: Benedictus qui venit in nomine Domini Das Benedictus des Sanctus ragt aus dem h-Moll-Requiem heraus, indem es aus einem vierstimmigen Satz ein solistisches Fugato entwickelt, angeführt vom Tenor, gefolgt von Bass, Alt und Sopran. Der charakterlich entgegengesetzte vierstimmige Satz stellt wieder eine musikalische Klammer dar. »Das...Benedictus ist der belieb- teste Teil des Requiems und das schönste Benedictus seit der Missa solemnis, ein vierstimmiger Gesang von fast mozartischer Innigkeit und Anmut«.319

• h-Moll-Requiem: Dies irae, Tenor, T. 136-148: Quid sum miser tunc dicturus? Quem patronum rogaturus? Es entsteht eine rein imitatorische Zweistimmigkeit zwischen Tenor / Sopran auf der einen Seite, auf der anderen zwischen Tenor / Bass und Sopran / Alt. Arios wirkt zunächst das Motiv, das imitiert wird. Hinzu kommt die aufsteigende Rich-tung, die die dahintersteckende Fragestellung verdeutlicht. Diese musikalische Aufsplittung geht durch den ganzen Solochor.

• h-Moll-Requiem: Kyrie, Alt, T. 6-26: Requiem aeternam dona eis, Domine 319 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 82.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Das ariose Thema, das vom Alt vorgestellt wird, lässt Draeseke in mehreren Variationen erscheinen. Innerhalb des Solochors wechselt es seinen farblichen Standpunkt, sodass alle Stimmen in den Führungsteil einbezogen werden. Idee und Form gehen eine musikalische Symbiose ein.

• h-Moll-Requiem: Kyrie, Sopran, T. 65-73: Exaudi orationem meam. Ad te omnis caro veniet Der Solochor trägt ein fugenartiges Thema im Sopran, Bass, Tenor, Alt vor und lässt den Chor das >requiem aeternam dona eis< als zusätzliche Bitte aussprechen.

• fis-Moll-Messe: Credo, Tenor, T. 329-352: qui cum patre et filio simul adoratur et conglorificatur Die Solostimmen Tenor, Alt, Sopran und Bass musizieren ein Fugato. Ihre Stimmführungen weisen Quart-, Quint- und Sextensprünge nach. Deren ariose Wirkung verdanken sie einmal der eigenen Melodieführung, zum anderen der musi- kalischen Harmonie- und Kontrapunktlehre. Linearität und vertikale Struktur gehen auch hier ein Zusammenspiel ein.

• fis-Moll-Messe: Credo, Solochor, T. 396-411: confiteor unum baptisma in remissionem peccatorum Die solistischen Stimmen beginnen zunächst im vierstimmigen Satz Note gegen Note. In der Folge wird der Satz so konstruiert, dass er harmonische wie polyphone Elemente vorweist. Die Stimmen machen sich wechselweise selbstständig, kommen aber in der Kadenz durch ihre gemeinsame Aussage wieder zusammen.

• fis-Moll-Messe: Sanctus / Benedictus, Sopran, T. 125-187: Benedictus qui venit in nomine Domini Das Sopransolo korrespondiert mit dem Kleinen Chor, der die vorgesungene Zeile im vierstimmigen Satz in abgeänderter Form musiziert. Das Sopransolo wird wiederholt, und der Chor antwortet eine Terz höher. Die weiteren Benedicti werden immer wieder durch den Kleinen Chor oder auch durch den Tutti-Chor belebt, wobei das Sopransolo die Führung übernimmt. Es hält am Schluss an seiner Aussage auf einem Ton fest; das letzte Wort >Domini< wird mit dem Oktavsprung A‘‘-A‘ dargestellt.

• fis-Moll-Messe: Agnus Dei, Alt, T. 40-49: miserere nobis

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 284

Die Bitten des Solochors werden vom Komponisten sukzessive in den einzelnen Stimmeneinsätzen vorgebracht. Dadurch entstehen sequenzartige Kanonstruk-turen. Sie werden mit harmonischen und scheinbar polyphonen Formen in der orchestralen Begleitung eingesetzt.320 In beiden Werken Draesekes sind mehr rezitative als ariose Teile zu finden. Doch die Gegenüberstellung von Soli und Chor ist ein regelmäßiges Stilmittel. Der dazugehörige Orchestersatz passt sich dem jeweiligen Soloausdruck an. Der Komponist verzichtet weitgehend auf musikalische Effekte, er bevorzugt eine gewachsene musikalische Linienführung. Der Solochor wird als spezielles Stilmittel in den Requiem-Text, bzw. Messe-Text eingebettet und beeinflusst durch die Sprache den weiteren musikalischen Verlauf. 5.7.3 Zusammenfassung Soloformen des h-Moll-Requiems und der fis-Moll-Messe zeigen bei folgenden Kriterien ähnliche Wirkung durch differenzierte Stilmittel: Kriterien Soloformen

Requiem h-Moll

Messe fis-Moll

Differenzierte Stilmittel

Ausgewählte Beispiele

Rezitativische Formen

Stile rezitativo/ accompagnato 4-stg. Chor Satz: Note gegen Note/Chor Orchester erscheinen einzeln oder auch zusammen in der Begleitung 3 Stimmen unter- stützen den Dis- kant

Stile rezitativo/ accompag-nato 4-stg. Chor Satz: Note gegen Note Chor Orchester erscheinen einzeln oder auch zusam- men in der Begleitung 3 Stimmen unter-

durch Mischformen: Note gegen Note musikalische Schwerpunkte Textaussagen Imitationen Sequenzen Fugato-und Fugenformen

h-Moll: Dies irae: T. 107-113: Mors stupebit S. 279 h-Moll: Dies irae: T. 148-155: Quid sum miser S. 279 fis-Moll: Gloria: T. 91-98: Domine fili unigenite S. 280 fis-Moll: Credo: T. 97-104: genitum non

320 Rein ariose Rezitative sind nur einschränkend im h-Moll-Requiem und in der fis-Moll-Messe zu entdecken. Es gibt vorwiegend musikalische Mischformen.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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stützen den Diskant

factum S. 280

Ariose Formen

Solostimme gibt Aufstieg vor Imitation durch die übrigen Stimmen mit rhythmischem Gegengewicht Soli- und Chorab- wechslung Chorklammer um Solistimmen Solochor wird in seiner Rolle auf- gesplittet Wechselgesang / Alternatimpraxis

Solostim-men sind selbststän-dig mit eigener musikali-scher Rolle Benedictus Solosopran bringt den Chor zu größeren Bewegun- gen und entlässt ihn aus der Begleit-funktion Wechsel-gesang / Alternatim-praxis

Mischung von rezitativen u. polyphonen Strukturen Solistimmen ragen hervor Inhalt: Allgemeine Aussagen mit musikalischer Klammer durch den Chor Folge von Variationen und farb-lichen Unter-schieden: Fugatoformen der Solosatz gewinnt an Bedeutung

h-Moll: Sanctus: T. 125-141: Benedictus qui venit S. 281 h-Moll: Dies irae: T. 136-148: Quid sum miser S. 281 fis-Moll: Credo: qui cum patre T. 329-352 S. 281

5.8 Kleine und große Formen in den Messen Draesekes Kyrie Die Grundlage des Messetextes hält für das >Kyrie< eine formale Dreiteiligkeit bereit, die sich im Kyrie eleison Christe eleison Kyrie eleison zeigt. Die inhaltliche Komponente behandelt das Thema der Dreifaltigkeit. In der musikalischen Form tritt ein Thema auf, das im 2. Teil neu konzipiert ist und im 3.

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die A- Form widerspiegelt. Das 2. Thema ist mit einem Taktwechsel, verschiedenen Chor-, bzw. Soloformen oder auch Orchestergruppierungen, verbunden. Um sich vom 1. und 3. Teil abzusetzen, wird dieser entweder auf die Bläsergruppe oder auf die Streicher des Orchesters zurückgeführt. Hinzu gelangt ein tonartlicher und taktmäßiger Unterschied. Im satztechnischen Bereich wechseln Homophonie und Polyphonie in Form von fugatoartigen Passagen und Fugen, gemischt mit harmonisch gestalteten Phasen, ab. In op. 60 (fis-Moll-Messe – sinfonische Messe) münden die >Kyrie<-Rufe in eine Fuge. Das Kopfthema wird von einem vierstimmigen Chor verarbeitet: A B A’. In op. 85 (A-cappella-Messe) schreibt Draeseke eine Doppelfuge wie im Requiem h-Moll vor: A- und B- Thema. Die >Kyrie<-Anrufe zeigen in op. 60 ähnlich strukturiert-punktierte Themen wie in op. 22 an. Beide Themen >Kyrie eleison< und >Christe eleison< erscheinen in einer Doppelfuge (ab T. 112). Die sprachlich-rhythmische Syllabik wird durch die Punktierung und Wiederholung dargestellt. Zwei Chöre stehen sich gegenüber (Solo und Chor). Das Orchester hat eine begleitende Funktion mit mollarem Cha-rakter. Während im h-Moll-Requiem ein vierstimmiger Solochor sich mit dem großen vierstimmigen Chor die Musik teilt, hat der Komponist einen vierstimmigen großen kontrapunktisch-angelegten Chor in op. 85 vorgesehen. Das >Christe eleison< wird in op. 22 und op. 60 herausgestellt, während es in op. 85 und WoO 35 einen mehr gesanglichen Stil aufweist. In der harmonischen Struktur werden in allen vier Werken klassische Terzverwandtschaften aufgebaut: Tonika, Tonikaparallele, Tonika, wobei der Schluss -wie in der Barockzeit- im Durchbereich enden kann. Bei ersten Fugen-Durchführungen wird der Tonika-Dominantraum angestrebt, während die dritte Durchführung in der Subdominante mit Paralleltonarten ausgeführt wird.321 Das Grundprinzip der Steigerung und der Lautstärkeunterschiede (Melodik und Dynamik) sind in allen vier Werken ähnlich gleich verteilt vorhanden. Die kleinen und großen Formen wechseln sich je nach Textgrundlage ab. Das Kyrie zeichnet sich aus durch

• Tempo: Andantino con moto (fis-Moll-Messe) / Tempo: Sehr mäßig (a-Moll-Messe)

• Dreiteiligkeit in der Form • Betonung des Kyrie-Anrufes / Syllabik • eine unterschiedlich zeitliche Entwicklung in den vier Werken. Sie zeigen

Draesekes musikalische Strategien

321 Die verschiedenen Tonartenbereiche, Paralleltonarten und Gegenparallelen sind in der tabellarischen Zusammenfassung auf S. 248f. verzeichnet.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

287

• in der Erweiterung und teilweise Überschreitung der Melodik (h-Moll-Requiem und fis-Moll-Messe besonders)

• in der Erweiterung der Polyphonie (a-Moll-Messe und e-Moll-Requiem)

Gloria Der Kern des Messetextes hält für das >Gloria< eine sechsteilige Form bereit, die sich in den Zeilen Gloria in excelsis Deo et in terra pax laudamus te, sowie in den Zeilen Domine Deus qui tollis pecacta mundi quoniam tu solus ausdrückt. In beiden Dreiergruppierungen tritt die mittlere Zeile besonders hervor. Oft wird diese >et in terra pax< in solistischer Form, oder die mittlere Zeile der 2. Dreier-gruppe erscheint mit >qui tollis peccata mundi<, die durch den kleinen oder großen Chor dargestellt wird. Das Gloria wird nach >laudamus te, benedicamus te, adoramus te, glorificamus te< wiederholt und besonders hervorgehoben. Es entsteht eine Art musikalischer Kulminationspunkt. Im Mittelpunkt des Gloria steht inhaltlich der >Dank der Menschen<: Gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam. Dieser >Dank< wird vom >Frieden< und >Schuldtragen< eingebettet. Die entstan-dene Zweiteiligkeit mit >propter magnam gloriam tuam< legt musikalisch-interpreta-torische Möglichkeiten vor. In op. 60 werden diese ausgedrückt durch

• Tempo: Allegro maestoso • sinfonisches Orchester • vierstimmigen Chor • homophone Gloria-Anrufe • polyphone Einwürfe • Chorstimmenteilungen • Begleitung und Verselbstständigung des Orchesters • instrumentale Effekte • Tempiwechsel • Solochor und großen Chor • Fuge

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In op. 85 werden diese ausgedrückt durch

• Tempo: feurig • a-cappella- Chor • vierstimmigen Chor • fugatoartige Einsätze • harmonische Strukturen • polyphone + imitatorische Formen • Tonartenwechsel • Tonmalerei • Fuge

Credo Wie im >Gloria< gibt es auch im >Credo< einen thematischen Mittelpunkt von Glaubenserklärungen. Das Wort >Credo< bildet hierzu den Gesamtrahmen: Et incarnatus est - Menschwerdung crucifixus - Kreuzigung >Deum de Deo< und >Et resurrexit tertia die< liegen in den Credo-Ausführungen. Sie erklären, dass Gott der Mittelpunkt der Menschen ist und dass die Auferste-hung ein Thema für die Menschheit bedeutet. Musikalisch geht es um verschiede-ne Formen wie Motive, Themen, Taktwechsel, auch solistische und Orchester-gruppenformen, um den kleinen und großen Chor, sowie den Wechsel beider Gruppen. fis-Moll-Messe – op. 60: Credo-Rufe – Korrespondenz von Sopran und Bass Et resurrexit – Aufwärtsbewegungen - Anabasis Verbindung von Homophonie und Syllabik Deum de Deo – rhetorisches Mittel der Rezitation, um Größe anzuzeigen lumen - Wechsel der Tonalität – Moll-Dur-Bereich descendit de coelis – Abwärtsbewegung - Katabasis ex Maria – einfache Melodieführung – gleicher Anfangs- und Endton et homo factus est – sinkende Melodieführung - Katabasis crucifixus – Motiv- Abwärtslinie etiam pro nobis - Abwärtslinie et sepultus est - tiefe Lage des Chores und Orchesters

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Generalpause – Symbol für Tod Et resurrexit - Aufwärtsbewegungen – Symbol für Leben - Anabasis Sedet ad dexteram – Unisono (1. Mal) Judicare - Unisono (2. Mal) Et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam - Fuge Et vitam venturi - Fuge H-Dur (ab T. 425-478) 3/4 –Takt, Melodieentwicklung zeigt aufwärts, vor dem >Amen< - Generalpause – sie bedeutet hier die Bekräftigung zum >ewigen Leben<. Die Fuge wird vorwiegend mit dem ersten Thema gestaltet, das zweite tritt mit seiner Änderung mehr in den Hintergrund. Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Credo nachweisen in op. 60:

• Tempo: Allegro maestoso • instrumentales Vorspiel mit >Credo-Ruf< • harmonische Struktur • Credo-Rufe: 3x Chorfolgen • Rezitationen >qui locutus< • Tonmalerei >passus</>et resurrexit</>ascendit< • fugatoartige Struktur • Unisono: >sedet ad dexteram< • Fugato: >cujus regni</>et unam sanctam catholicam< • Fuge: >et vitam venturi< • sinfonisches Orchester • Solochor + großer Chor/Wechsel

a-Moll-Messe op. 85: Credo-Rufe – 4-stg. harmonischer a-cappella-Satz/ Note gegen Note Et resurrexit – Aufwärtsbewegungen - Anabasis Deum de Deo – Imitationsform lumen - Tonartwechsel – Durbereich descendit de coelis – Abwärtsbewegung - Katabasis ex Maria – einfache Melodieführung et homo factus est – sinkende Melodieführung/Durbereich crucifixus – syllabischer Oktavsprung nach oben etiam pro nobis – Abwärtslinie - Katabasis

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et sepultus est – tiefe Lage des Chores Et resurrexit – Aufwärtsbewegungen – Symbol für Leben - Anabasis Sedet ad dexteram – Aufwärtsbewegungen Judicare – Rezitationston Et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam – Fugato Et vitam venturi – Fuge – Schluss: harmonische Struktur Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Credo in op. 85 nachweisen:

• Tempo: mäßig bewegt • A-cappella-Chor • mehrere Credo-Rufe im Unisonocharakter • polyphone Struktur • homophone Struktur im Wechsel • starke dynamische Strukturen • abschnittsweise Tonartenwechsel • Tonmalerei • fugatoartig angelegt • Fuge: >et vitam< • kurze Bestätigung durch 1X >Amen<

Sanctus In op. 60 erscheint das Sanctus im Sekundschritt aufwärts sequenziert. Hinzu ge-langt eine bestimmte Rhythmik bei dem Wort >Sabaoth<. Der vierstimmige Chor musiziert in einer sehr zurückhaltenden Dynamik. Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Sanctus in op. 60 nachweisen: • Tempo: Andante maestoso- Alla breve • vierstimmiger Chor • homophone Strukturen • Rhythmik >Sabaoth< auffällig • fugatoartig >Pleni sunt coeli< • Fuge: Osanna: Allegro con brio • Taktwechsel / Tempowechsel • dynamischer Wechsel • polyphone Strukturen • vorwiegend Begleitung durch das Orchester

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Sanctus in op. 85 nachweisen: • Tempo: mäßig – weihevoll • vierstimmiger Chor • harmonische Struktur • Rezitationen / Rezitationston • fugatoartig: Osanna • Schluss breit angelegt: harmonisch • Dynamikwechsel • Tonartenwechsel Benedictus Im zurückhaltenden Benedictus der fis-Moll-Messe beginnt der Solosopran mit der >Verkündigung<. Der vierstimmige Chor kommentiert. Homophonie und Polyphonie wechseln teilweise ab. Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Benedictus in op. 60 nachweisen:

• Tempo: Andantino • Solosopran + vierstimmiger Begleitchor • melodiös angelegt • zurückhaltende Orchesterbegleitung • dynamische Unterscheidungen • vorwiegend harmonische Struktur

Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Benedictus in op. 85 nachweisen:

• Tempo: sanft bewegt/sehr mild • vierstimmiger a-cappella-Chor • melodiös angelegt • Rezitationen im Chor/Beginn: Alt/Anlehnung an 8. Psalmton • Imitation • Tonartenwechsel • Dynamik: p-mf-pp • Tenor führt/hervorgehoben

Agnus Dei

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Im Agnus Dei ist das Thema abwärts gerichtet, das der vierstimmige Chor vor- stellt. Besonders hervorzuheben ist in der fis-Moll-Messe das >qui tollis peccata mundi< mit der Umspielung des eineinhalb-Ton-Schrittes aus der harmonischen Leiter. Beide Messen weisen ein mittelschnelles Tempo auf. Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Agnus Dei in op. 60 nachweisen:

• Tempo: Andante • Orchestereinleitung durch Violen, Violoncelli, Oboen, Fagott • Achtelbewegungen Streicher • vierstimmiger Chor • harmonisch gesetzt • Rezitationen im Chor • Tonartenwechsel • Wechsel zwischen Chor + Solo: >miserere<: übermäßige Sekunde: • Ausdruck von Schmerz • rhythmisch verschobene Einsätze/Tonmalerei • Quart-Motiv • Polyphonie und Homophonie wechseln ab

Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Agnus Dei in op. 85 nachweisen:

• Tempo: mäßig bewegt • vierstimmiger a-cappella-Chor • fugatoartige Einsätze/ASTB • Fugato mit Agnus-Thema • Anrufung auch im >qui tollis peccata mundi<: gleicher Anfangs- und Endton • dynamischer Wechsel von p – pp –p • Tempo wie im Kyrie • Tripelfuge: >Dona nobis pacem< • Fugato mit Agnus-Einwurf im Unisono • harmonische Struktur • Fuge Dona-Schluss: harmonisch • Polyphonie und Homophonie wechseln ab

5.8.1 Kleine und große Formen in den Requiem-Vertonungen Draesekes

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Requiem aeternam/Kyrie Draeseke beginnt das Requiem aeternam in op. 22 mit einer orchestralen, chaconneartigen Einführung durch die Streicher. Er verlangt ein Andante grave. Variationen des Alt-Themas folgen und werden durch den Solochor ausgeführt. Der te-decet-Hymnus bildet den Kern der Aussage. Requiem aeternam ist als Rahmen angelegt. In op. 22 (h-Moll-Requiem – sinfonisches Requiem) erhält das Thema A- und B-Formen. Im Requiem WoO 35 beginnt der Introitus >langsam und getragen<in einem fünfstimmigen polyphonen a-cappella-Chor. Man findet in WoO 35 e-Moll über einem Orgelpunkt das Kyrie in einer fünfstimmigen Doppelfuge mit aufwärts gerichteten Themen vor. Der Kontrapunkt bestimmt das musikalische Bild. Die Themen werden direkt eingeführt und sind melodiös angelegt. Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Requiem aeternam und Kyrie in op. 22 nachweisen:

• Tempo: Andante grave/langsam und getragen • chaconneartiger Beginn • >te-decet-hymnus/Kern der Aussage • Solo + großer Chor • Fugato-Formen: >et tibi reddetur</>exaudi orationem> • Dreiteiligkeit/A B A’ • sprachlich-rhythmische Punktierung/Tonwiederholung • syllabisch-melodischer Aufbau • begleitende Funktion des Orchesters • Kyrie: Doppelfuge: Kyrie eleison + Christe eleison • mollarer Charakter • Schluss: harmonisch

Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Requiem aeternam und Kyrie / Introitus in WoO 35 (Reqiem e-Moll) nachweisen: • Tempo: langsam und getragen • fünfstimmiger a-cappella Chor • Beginn: 5 Takte Orgelpunkt / Bordun • Kontrapunkt • Imitationen • Introitus: 3 Teile • 2 Themen: Kyrie eleison + Christe eleison

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• Doppelfuge: Zusammenführung • Schluss: harmonisch Dies irae Das >Lacrimosa< bildet für den gesamten Satz den musikalischen Grundstein. Die Sequenz besteht aus Dies irae Recordare Confutatis Lacrimosa. Den Mittelpunkt der Sequenz bildet Mors stupebit Judex ergo cum sedebit. Eingerahmt werden diese Zeilen von Dies irae, dies illa coget omnes ante thronum und Quid sum miser tunc dicturus? Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Dies irae von op. 22 nachweisen: • Tempo: Presto agitato • Fugato • Tenor: Thema • Imitationen • Harmonik • lebhafte Violinenbegleitung • vierstimmiger Chor • rezitierender Chor: >quando judex • >Tuba mirum>: 1.+2. Violinen parallel mit Sopran des Chores • >judicare vivos<: lebhafte Streicherbewegungen: Kontrast zu den lang • gezogenen Worten des Chores • Mittelpunkt der Sequenz: Die Sprache bestimmt den melodischen und • rhythmischen Ablauf • Tonwiederholungen

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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• Taktwechsel + Tonartenwechsel • Beginn des Mittelpunktes: melodische Abwärtsbewegung • Schluss: Salva me fons pietatis: Bitte vom Alt formuliert. • übrige Solostimmen: dreimalige Aussprache der Bitte. • großer Chor: letzte Bitte auf der Zählzeit 2+4, daher • Gegenrhythmik vervollständigt das musikalische Bild • letzte Bitte endet im Durbereich Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Dies irae von WoO 35 e-Moll nachweisen: • Tempo: sehr bewegt und aufgeregt • Tenor: Anabasis • fugatoartig • >quando judex<: 3 Stimmen harmonisch, 2 Stimmen kontrapunktisch • >tuba mirum<: Alt stellt B-Dur-Dreiklang vor als musikalische Größe • >mors stupebit<: Kontrapunkt von der Tiefe bis in die Höhe entwickelt • >salva me fons pietatis<: vierstimmiger, dann fünfstimmiger Satz • Orchesterbegleitung: harmonisch + figuriert • zurückhaltend in der Dynamik: dynamischer Wechsel von p-pp-mf-f-pp • harmonisch gesetzt • >pacem< endet in Fis-Dur auf der Dominante im pp • >Dona nobis pacem<: letzte Bitte endet in A-Dur Recordare In op. 22 ist das >Dies<-Thema im Recordare verarbeitet. Das Thema wird zwi-schen Sopran und Tenor im Kanon dargestellt. Achtelbewegungen der ersten Violinen werden zu den Imitationen entgegengesetzt. Die Homophonie bildet das Fundament. In WoO 35 wird das Recordare-Thema im Durbereich musiziert. Draeseke hat es vierstimmig komponiert. Es wird harmonisch und figurativ gesetzt. Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Recordare von op. 22 nachweisen: • Tempo: Andantino con moto • Imitationsformen: Thema im Kanon zwischen Sopran und Tenor

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 296

• vierstimmiger Chor • Imitation + Umkehrungen • Wechsel der Bläsergruppen • Bläser + Streicher: lebhafte Achtelbewegungen • Mittelpunkt: >supplicanti parce Deus< • Der Kern wird vom Chor gestaltet mit gleich langen Aussagen: >Ingemisco< Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Recordare von WoO 35 nachweisen: • Tempo: sanft bewegt, nicht zu langsam • ¾ -Takt • Vierstimmigkeit wird zur Fünfstimmigkeit • lyrischer Charakter • harmonische Struktur • Dreiteiligkeit • polyphone Struktur Confutatis >Confutatis maledictis< und >Voca me< stehen sich inhaltlich und musikalisch gegenüber. Die Verdammten werden durch die überlange Punktierung der ersten Silbe von >confutatis maledictis<, die Hoffnung Schöpfenden durch p-Passagen und zurückhaltende Melodik charakterisiert. Auch hier sieht man die dreiteilige Form im >Confutatis< des Dies irae. Ein fünfstimmiger Satz mit fallender Melodieführung und in einer gedrückten Stimmung ist für das Confutatis in WoO 35 verantwortlich. Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Confutatis von op. 22 nachweisen: • Tempo: un poco piu lento • Melodik abwärts gerichtet • bedrückender Charakter • BSA-Einsätze • >Voca me<: Solochor • Orchester im pp • Posaunenthema wird im Alt und Bass in Erinnerung gebracht • Descrescendo-Formen zeigen bei >Oro supplex< Demut durch absteigende

Bässe • rezitierender Chor • Streicher: eine wiederholende Gegenrhythmik

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Confutatis von WoO 35 nachweisen: • Tempo: Dasselbe Zeitmaß wie vorher (6/4-Takt) • p-mf-p-pp • fünfstimmiger, harmonischer Satz • >voca me<: B-Dur-Dreiklang • kontrapunktische + harmonische Struktur im Wechsel • verhaltender Charakter Lacrimosa Das Lacrimosa zeigt eine Dreiteiligkeit: 1. Teil: Lacrimosa dies illa qua resurget ex favilla iudicandus homo reus 2. Teil: Lacrimosa dies illa qua resurget ex favilla iudicandus homo reus huic ergo parce Deus pie Jesu Domine 3. Teil: dona eis requiem Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Lacrimosa von op. 22 nachweisen: • Tempo: Larghetto • vierstimmiger Chor • Orchesterbegleitung: Violinen: Sechzehntelfiguren • Homophonie • klagende Begleitung • >huic ergo<: besonders hervorgehoben • Chor und Solochor wechseln sich ab • >Dona eis requiem<: Zusammenfassung des Dies-Themas • Schluss: vom Lacrimosa- und dies-Thema bleibt nur der Ton d in der Tiefe übrig

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 298

• >Amen< wie in einer Coda behandelt Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Lacrimosa von WoO 35 nachweisen:

• Tempo: majestätisch, nur wenig langsamer • fünfstimmiger Kontrapunkt • Amen: Schluss harmonisch gestaltet: E-Dur • Dynamik von p-f-ff-p-mf-f-ff

Offertorium Das Offertorium zeigt ebenfalls eine Dreiteiligkeit. Domine Quam olim Abrahae Hostias Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Offertorium op. 22 nachweisen: • Tempo: Allegro moderato • Beginn – Homophonie • Melodie einfach • Orchester: Beginn Dreiklänge aufwärts und abwärts • vierstimmiger Chor - statisch wirkend • Polyphonie: >libera animas omnium fidelium< • hoher Kontrapunkt • Erhöhung des Kontrapunktes durch c. f. durch Bläsereinsatz: >libera< • Steigerung bei >de ore leonis< - gebrochene Dreiklänge der Streicher • p-Räume: >sed signifer sanctus Michael< • Melodie geht nach unten- Katabasis - zielt auf Dominante • >Quam olim Abrahae<- Fuge mit 3 Durchführungen • Tempo: Allegro • Thema: Themenkopf • >Hostias et preces< - lyrisch • liedartig

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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• Tempo: Andantino • c. f. in langen Notenwerten • Abgesang des Chorals • Erinnerung an c. f. auf die Zeile: >Quam olim Abrahae promisisti< • erneuter Paukenwirbel um das Wort >olim< • das Wort >einst< wird >zurückgerufen< • es ergibt ein >Bild< in einer Tonmalerei Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Offertorium WoO 35 nachweisen: • Tempo: Etwas bewegt • fünfstimmiger harmonischer Satz • Deklamationen • gesplitteter a-Moll-Dreiklang in Bass II + Tenor • in allen fünf Stimmen Quinten- und Oktavsprünge • hoher Kontrapunkt: >libera eas de ore leonis< • Darstellung der zu erwartenden Strafen durch Modulationen • Bildhaftigkeit durch Tonmalerei • >in unam sanctam ecclesiam< - hymnisch deklariert • Einfachheit in der musikalischen Aussage • >Quam olim Abrahae< - Fuge (gewaltig wie im h-Moll-Requiem) • >Hostias et preces< - lyrischer Charakter • E-Dur-Harmonien bilden den Gegensatz • Fuge mit drei Engführungen der Umkehrung des Themas folgt wieder • Dur- und authentischer Schluss • Topos der >Vollkommenheit< Sanctus – Osanna - Benedictus Draeseke beginnt das Sanctus im h-Moll-Requiem mit einem feststehenden musi-kalischen Bild, das die Allmacht Gottes demonstriert. Trompeten unterstützen die dreimalige >sanctus<-Aussage. Im e-Moll-Requiem gestaltet der Komponist die Sanctus-Aussage mit einem fünf-stimmigen statisch wirkenden Chor, die die Ehrerbietung der Situation musikalisch erfasst. Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Sanctus –Osanna- Benedictus des h-Moll-Requiems nachweisen:

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 300

• Tempo: Allegro moderato • vierstimmiger Chor • Orchester begleitet • E-Dur Beginn: Trompetendreiklang • Topos Macht anzeigend • >pleni sunt coeli< Anabasis- Fugato • >Osanna in excelsis< - Fuge. Allegro con moto: E-Dur • drei Engführungen • Tempo: Andantino • Benedictus: vierstimmiger Solochor • Großer Chor >kommentiert< • Zurücknahme der Dynamik • Topos der Ehrerbietung • Holzbläser: einfache Begleitung • klare Atmosphäre • Osanna-Fuge wird wiederholt

Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Sanctus WoO 35 nachweisen: • Tempo: feierlich • fünfstimmiger, harmonischer Satz • >pleni sunt coeli< - Anabasis-Entwicklung- Note gegen Note • Polyphonie-Beginn: >et terra gloria tua< • Osanna-Fuge • tänzerisch angelegt • Schluss: harmonisch • Benedictus: melodisch konzipiert • Tempo: langsam und getragen • Verarbeitung von Thema + Umkehrung • Osanna wird nicht wiederholt • harmonischer Schluss Agnus Dei Besonders im Agnus Dei des h-Moll-Requiems wird die Rolle des >Lamms> mit schwer lastenden Harmonien bei den tiefen Streichern dargestellt. Die Violinen dagegen üben eine polyphon strukturierte Begleitung aus. Der Charakter des Agnus Dei im e-Moll-Requiem ist zu Beginn als schwerfällig zu bezeichnen.

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Agnus Dei op. 22 nachweisen: • Tempo: Andantino grave • vierstimmiger Chor • Solochor: >dona eis requiem< • harmonische Struktur • Chor + tiefe Streicher – Rolle des >Lamms< (Halbe) • Violinen I+II – polyphon strukturierte Begleitung • gegenrhythmisch angelegt • Dur- Mollwechsel • Dynamik von p-mf • Bläsergruppe mit Chor parallel • >dona eis requiem<- Vorhalte zeigen die >Last< • h-Moll – Tonart – Symbol für ungeheure Last • >requiem sempiternam< - Englischhorn • Symbol für >Öffnung der Gräber< Programm- Effekte • Coda: >et lux< - Steigerung von p nach f • >cum sanctis tuis in aeternam< - Fuge • >Erinnerung an die Kyrie-Fuge<- mehrere Engführungen • >quia pius es< - Schluss: leere Quinte – Bild/Symbol für >Gräber< Bestimmte unterschiedliche Formen lassen sich im Agnus Dei WoO 35 nachweisen: • Tempo: mäßig bewegt • fünfstimmiger, harmonischer Satz • Vordersatz erscheint drei Mal • >dona eis requiem< - Anabasis - Anlage - Kontrapunkt • Das Wort >sempiternam< wird durch Deklamation hervorgehoben • Generalpause • >et lux perpetua luceat eis< - Deklamation im ff • Abschluss-Fugato: >cum sanctis tuis< • Tonartenwechsel • lange Notenwerte / Aufbau von unten nach oben / syllabischer Duktus • Schlusskadenz: harmonisch: >quia pius es<: besondere >Verneigung<

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 302

Wichtige formale und theologische Unterschiede im Agnus Dei der Messe und der Requiem-Vertonung lassen sich an dem vorgelegten Text aufzeigen: Der Messe-Text stellt den sündigen Menschen mit seinem persönlichen Anliegen in den Mittel-punkt, während der Requiems-Text die Überwindung des Todes und somit das ewi-ge Leben darstellt. In der Messe lautet der Text: Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, miserere nobis. Dona nobis pacem. In der Requiem-Vertonung lautet der Text: Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, dona eis requiem. Dona eis requiem sempiternam et lux perpetua luceat eis cum sanctis tuis in aeternum, quia pius es. Die Verbindung der behandelten Messen (fis-Moll, op. 60, a- Moll, op. 85) und der Requiem-Vertonungen Draesekes (h-Moll, op. 22, e-Moll, WoO 35) zeigt, dass alle vier Werke unter verschiedenen Gesichtspunkten zusammenzufassen sind. Die Messen wie die Requiem-Vertonungen sind zunächst in ihrem äußeren, sinfoni-schen und A-cappella- Stil zu unterscheiden. Draeseke stellt seine beiden Messen in einen zeitlich nahen Mittelpunkt zwischen die beiden Requiem-Vertonungen. Sie bilden dazu den äußeren Rahmen. Die gemeinsamen Sätze der Requiem-Vertonungen und Messen wie Kyrie, Sanctus, Benedictus und Agnus Dei zeichnen sich durch Kontinuität aus, die sich in Melodik, Satzkonstruktion und Harmonik ausdrückt. In den übrigen Sätzen kann sich Melodik weiter entfalten, besonders im sinfonisch gestalteten Requiem. Tonwiederholungen werden melismatisch ausgebaut / ausgeschmückt. Im h-Moll-Requiem stehen dafür >Recordare< und >Confutatis<-Teile in harmonischen, im e-Moll-Requiem schreibt der Komponist an diesen Stellen mehr kontrapunktische Formen. Auffällig sind die >Kyrie<- und <Sanctus<-Rufe in der Messe wie im Requiem. Sie werden zuerst durch ihre Rhythmik, weiter durch ihre melismatischen Formen ge- staltet. In allen vier Werken sind diese Beispiele - mehr oder weniger - belegbar. Die Anwendung von Syllabik und Ausbau von Melismatik gelten für Draeseke als Hinweise zur Textinterpretation dieser >Rufe<. Draeseke komponiert regelmäßig Fugati und / oder Fugen, ob im Requiem oder in der Messe. Er gestaltet mit dieser Form eine große Kontinuität, die er mit anderen Komponisten seiner Zeit teilt. Für ihn ist Beethoven auch hier Vorbild. In fast allen Messeteilen und Requiem-Vertonungen sind in den Hauptstücken Fugen zu verzeichnen. Diese Form entwickelt Draeseke in der Ausweitung der Melodieführung und besonders durch

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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die dazugehörende unterschiedlich rhythmische Sprachbehandlung und die verschiedenen dynamischen Verhältnisse. Draeseke setzt die Form der Fuge in allen großen Sätzen der Messe und der Requiem-Vertonung ein. Eine Ausnahme bildet das Benedictus der Messe mit seinem zurückhaltenden Text. Die Fugen stehen generell unter dem Primat der bewussten Melodieausführung und zur musikalischen Bereicherung des vorliegend herausragenden Textes, in Verbindung mit dem konsequenten Tonika-Dominant-Verhältnis. In allen vier Werken bedient Draeseke sich einer wachsenden, bewussteren Unterscheidung von Innendynamik. Das h-Moll-Requiem und die fis-Moll-Messe, sowie die a-Moll-Messe und das e-Moll-Requiem sind nach diesen Schemata komponiert, auch wenn sie sich durch die sinfonische und a-cappellamäßige Form unterscheiden. 5.8.2 Kleine und große Formen der fis-Moll-Messe und a-Moll- Messe Draesekes / Kleine und große Formen der h-Moll- und e-Moll- Requiem-Vertonungen Draesekes Kriterium kleine und große Formen

fis-Moll-Messe op. 60

a-Moll-Messe op. 85

Differenzierte Stilmittel

Kyrie Dreifaltigkeit

Fuge: Kyrie A Christe B Kyrie A’+ Orchestergruppen

Doppelfuge: Thema A+B 5-stg. A-cappella-Chor hoher Kontrapunkt

Syllabik Anrufung op. 60: Christe herausgestellt Fuge Dynamik

Gloria Dank der Menschen Jubel

Sologruppe+ kleiner + großer Chor wechseln Harmonik + Begleitung + Selbstständigkeit des Orchesters

4-stg. A-cappella-Chor fugatoartige Einsätze + Wechsel von harmonischen Strukturen

polyphone + imitatorische Formen Tonmalerei Fuge Dynamik

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 304

Credo Menschwerdung Kreuzigung Dramaturgie

Kleiner + großer Chor+ Solo wechseln Einsatz von rhetorischen Mitteln zur Interpretation einzelner Inhalte Fuge: >et vitam venturi<

4-stg. A-cappella-Chor Credo-Rufe im Unisonocharakter polyphone Struktur dynamische Strukturen Tonmalerei Fuge:>et vitam venturi<

rhetorische Mittel: Anabasis Katabasis tiefe Lage des Orchesters Homophonie + Syllabik Melismatik Generalpause – Symbol für Tod Rezitationen Deklamationen Fuge Dynamik

Sanctus freudiger Aufschwung

4-stg. Chor zurückhaltend in der Dynamik homophone Strukturen polyphone Strukturen fugatoartig: >pleni sunt coeli< Fuge: >Osanna<

4-stg. A-cappella-Chor harmonische Struktur Rezitationen Dynamikwechsel fugatoartig: >pleni sunt coeli< Fuge: >Osanna<

Rhythmik auffällig homophone + polyphone Strukturen Fugato Fuge Dynamik

Benedictus Ankündigung milder Segensklang

Solosopran + 4-stg. Begleitchor zurückhaltende Orchesterbegleitung melodiös angelegt dynamische Unterscheidungen vorwiegend harmonische Struktur

4-stg. A-cappella-Chor melodiös angelegt Rezitationen Tonartenwechsel weicher Charakter Tenor hervorgehoben

melodisch ausgebaut Solo + Chor harmonische Struktur zurückhaltend in der Dynamik

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Agnus Dei mystische Versenkung

4-stg. harmonischer Chor Rezitationen Wechsel zwischen Chor + Solo: >miserere<: übermäßige Sekunde rhythmisch verschobene Einsätze – Tonmalerei scheinbar polyphone Orchesterbegleitung

4-stg. A-cappella-Chor Fugato mit Agnus-Thema dynamischer Wechsel harmonische + polyphone Strukturen Fuge: >Dona<

Ausdruck von Schmerz: 1 ½- Schritt Tonmalerei Rezitationen Polyphonie + Homophonie wechseln ab Fugato Fuge Dynamik

Kriterium kleine und große Formen

h-Moll-Requiem op. 22

e-Moll-Requiem WoO 35

Differenzierte Stilmittel

Kyrie/ Requiem/ Introitus

Solo + 4-stg. großer Chor Fugato-Formen begleitende Funktion des Orchesters Doppelfuge: Kyrie eleison + Christe eleison mollarer Schluss

5-stg. A-cappella-Chor Orgelpunkt Kontrapunkt Doppelfuge: Kyrie eleison + Christe eleison Schluss: harmonisch

Fugato Doppelfuge Dynamik mollarer Charakter Imitationen Orgelpunkt Bordun syllabisch- melodischer Aufbau

Dies irae Sequenz

großer Chor Rezitation / Taktwechsel / Gegenrhythmik vervollständigt das musikalische Bild Fugato

5-stg. A-cappella-Chor harmonisch figuriert in der Melodie Kontrapunkt

harmonische Struktur Rezitation Fuge

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel 306

Recordare Confutatis Lacrimosa

Orchesterbegleitung: harmonisch + figuriert Fuge 4-stg. Chor Thema im Kanon Bläser + Streicher im Wechsel Imitation + Umkehrungen Chor + Solochor Schluss: vom Lacrimosa- und dies-Thema bleibt der Ton d

Fuge Fünfstimmigkeit lyrischer Charakter harmonische + polyphone Struktur Melodik Katabasis Posaunenthema Rezitation

Fugato Kontrapunkt Fünfstimmigkeit vierstimmiger Chor harmonische + polyphone Struktur Dynamik

Offertorium Domine Jesu Christe

4-stg. Chor Melodie einfach harmonische + polyphone Struktur >Quam olim Abrahae<- Fuge c. f. In langen Notenwerten Abgesang des Chorals >Jesus, meine Zuversicht<

fünfstimmiger harmonischer Satz Deklamation hoher Kontrapunkt Modulationen Einfachheit in der musikalischen Aussage Fuge mit drei Engführungen

Topos der Deklamation Einfachheit in der musikalischen Aussage Choralbearbei-tung Fuge Dynamik

Sanctus

4-stg. Chor Orchester begleitet Großer Chor Zurücknahme der Dynamik >Osanna<-Fuge

5-stg. harmonischer Chor >pleni sunt coeli< Anabasis >Osanna>-Fuge Verarbeitung von

Trompetendreiklang Topos Macht zeigend Fugato Fuge

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5. Vokalstil der Messen Felix Draesekes / Differenzierte Stilmittel

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Thema + Umkehrung >Osanna< wird nicht wiederholt harmonischer Schluss

tänzerisch angelegt großer Chor kommentiert Dynamik

Benedictus

melodisch konzipiert

melodisch konzipiert

Osanna-Fuge Dynamik Melismatik

Agnus Dei

4-stg. Chor harmonische Struktur Bläsergruppe mit Chor parallel h-Moll Tonart Symbol für ungeheure Last Fuge: >cum sanctis tuis in aeternam< >quia pius es<- Schluss: leere Quinte

5- stg. Chor harmonischer Satz >dona eis requiem< - Anabasis Kontrapunkt Deklamation: >sempiternam< harmonisch: >quia pius es<

Fugato Fuge Generalpause leere Quinte Anabasis Deklamation Dynamik

Felix Draeseke zeigt in seinen großen Formen, den Messen und Requiem-Vertonungen, dass er durch seine musikalische Ausdrucksweise in der Nachfolge Beethovens steht. »Sein h-Moll-Requiem, dessen Dies irae zu den erschütternd-sten Leistungen zählt, und seine fis-Moll-Messe verbinden Ostinati, Kanons, Fugen, Doppelfugen und Choralbearbeitungen mit den neuen Ausdrucksmitteln seelischer Dynamik«.322

322 Hermann Stephani: Art. Draeseke. In. MGG, Bd. 3. Hrsg. von Friedrich Blume. München 1989, Sp. 733.

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6. Beethoven als Vorbild der Neudeutschen Schule

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6. Beethoven als Vorbild der Neudeutschen Schule Franz Liszt und Felix Draeseke sehen Beethoven als Vorbild der Neudeutschen Schule an. Doch »nicht Kirchenmusik, sondern Religion war nach der Mitte des 19. Jahrhunderts zum beherrschenden Paradigma der Deutungen von Beethovens Missa Solemnis geworden«.1 Am 07.02.1857 hat Draeseke eine Aufführung der Missa Solemnis Beethovens in Berlin miterlebt, einen starken Eindruck hat diese Messe hinterlassen. »Draeseke sieht in Beethovens dritter Schaffensperiode und speziell diesem Werk die Ankündigung und Vorwegnahme der Musik der >neudeutschen Schule<, die Missa als >die gewaltigste Demonstration für die Zukunftsmusik<«.2 Beethoven vertritt das deklamatorisch-dramatische Element, sowie sinfonische und A-cappella-Versionen, ebenso erweiterte musikalisch-künstlerische Freiheiten. Er berücksichtigt liturgisch gebundene Abläufe, lässt subjektiv musikalische Ausdrücke zu und leistet objektive, kirchenmusikalische Arbeit. In den Messenkompositionen und Requiem-Vertonungen Draesekes finden sich musikalisch- rhetorische Topoi, Schnittmengen. Diese Tradition sei im 19. Jahrhun-dert übergangen worden, so Warren Kirkendale. Er sieht auf der anderen Seite, dass »die älteren Zeitgenossen Beethovens sich mit >musikalischen Formu-lierungen als Bedeutungsträger< beschäftigten«.3 Bedingt durch die gemeinsame Form kann ein musikalischer Vergleich von rhetorischen Mitteln der Missa Solemnis Beethovens mit den beiden Messen Draesekes unmittelbar stattfinden. Bei den bei-den Requiem-Vertonungen wird ein weiterer Vergleich mit rhetorischen Mitteln nur durch die beiden Requiem-Vertonungen selbst erfolgen. An den kompositorischen Fähigkeiten Draesekes kann nicht vorbeigegangen werden. Auffällig sind in seinen Messen und Requiem-Vertonungen musikalische Stellen, die mit Beethovens Missa Solemnis entweder annähernd ähnlich gestaltet sind oder sich gegensätzlich darstellen.

1 Gerhard Poppe: Bildungsreligion und Konfessionsunterschied. In: Festhochamt, sinfonische Messe oder überkonfessionelles Bekenntnis? Studien zur Rezeptionsgeschichte von Beethovens Missa Solemnis. Beeskow 2007, S. 251. 2 Helmut Loos: Zur Rezeption der Missa Solemnis von Ludwig van Beethoven. In: KmJb 82 (1998), S. 69. 3 Warren Kirkendale: Beethovens Missa Solemnis und die rhetorische Tradition. In: Beethoven- Symposion. Wien 1970. (Veröffentlichung der Kommission für Musikforschung). Hrsg. von Erich Schenk. Heft 12. Wien 1971, S. 121. Erstveröffentlichung als: New Roads to Old Ideas in Beethoven’s >Missa Solemnis<. In: Musical Quarterly 56. 1970.

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6. Beethoven als Vorbild der Neudeutschen Schule

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6.1 Draesekes fis-Moll- Messe und a-Moll-Messe im Vergleich zu Beethovens Missa Solemnis So findet sich im Kyrie (Kyrie: T. 5-9) der fis-Moll-Messe Draesekes direkt ein Topos, eine Vorstellung von Gott, die sich in der Melodieführung als etwas Statisches, Unbewegliches, zeigt. Es gibt keine direkte melodische Bewegung. Die große Macht wird im Kyrie durch die feststehende, litaneiähnliche Terz nach oben ausge- drückt. Das >Kyrie< bei Beethoven (Kyrie: T. 22-30) hält ebenfalls eine Nichtbe-wegung bereit, sie verharrt im Tonikabereich. Im >Christe eleison< (Kyrie: T. 89-105) schreibt Beethoven dagegen ein bewegliches Soloquartett in einer Doppelfuge vor. Dabei wird die Christus-Figur hervorgehoben. In der fis-Moll-Messe Draesekes wirkt Christus durch eine fugenartige Anlage ebenfalls herausragend. Dadurch und zusätzlich durch Crescendi-, bzw. Descrescendi-Formen wird in beiden Messen im Kyrie die >Machtdarstellung< gesteigert und betont. In der a-Moll-Messe Draesekes bietet sich ein völlig anderer Charakter an: Die Kyrie-Anrufung (Kyrie: T. 1-4) erscheint in einer Doppelfuge, sie ist gesanglich ein Gegenstück zur fis-Moll-Messe ohne Topos (Kyrie: T. 1-23).4 Es wird in der Folge bei den Bitten eine Art Topos in Form einer Aufwärtsbewegung erreicht (Kyrie: T. 54-73). Der Satz schließt in A-Dur, in der Tiefe. Draeseke verzögert bewusst den Schluss, um die Szene musikalisch als »Tonbild, Seelengemälde«5 noch intensiver zu beleuchten. Die A-cappella-Form der a-Moll-Messe ist eine andere Kategorie mit abgeschwäch-ten Merkmalen, im Gegensatz zur sinfonisch-geprägten Missa Solemnis Beethovens und Draesekes fis-Moll-Messe. Das >Gloria< Beethovens (Gloria: T. 5-8) weist eine große Bewegung auf und schildert damit die Vielfalt der Menschheit. Die Jubelrufe wirken erhaben, indem sie sich in einer aufsteigenden Melodieführung darstellen. Bei Draesekes fis-Moll-Messe sind die Gloria-Rufe (Gloria: T. 2-5) statisch angelegt, und sie demonstrieren Macht, die sich auch in der Tempobezeichnung >Allegro Maestoso< ausdrückt. >Et in terra pax<(Gloria: T. 43-50) ist bei Beethoven in der Stimmung zurückhalten-der gestaltet, der Bass musiziert zunächst auf einem Ton, bei Draesekes fis-Moll-Messe (Gloria: T. 13-15) gibt es verstärkt Kreuztonarten, aber mit weichem Zwi-schensatz. Musikalische Ähnlichkeiten sind bei beiden Werken vorhanden. In der a-Moll-Messe beginnt das Gloria (Gloria: T. 1-4) in einer Art punktiertem Tanz, gegensätzlich zu Beethoven (Gloria: T. 5-8) und zu Draesekes fis-Moll Gloria (Gloria: T. 2-5). Das letztere orientiert sich näher an Beethovens musikalisch angelegter Ausführung. Im weiteren Verlauf der Missa Solemnis schreibt Beethoven im Gloria bei >lauda-mus – adoramus< (Gloria: T. 68-117) eine Fuge. Hier neigt der Priester den Kopf, 4 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 435. 5 Ebd. S. 435.

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und auch die Melodienführung weist nach unten. Das bedeutet Ehrerbietung. Bei der Zeile >gratias agimus – pater omnipotens< (Gloria: T. 145) werden mehrere Ebenen von Modulationen angesprochen. Sie zeigen die verschiedenen Stufen der Allmacht Gottes. Die gleiche Zeile bei Draeseke hebt ebenfalls die Macht hervor. Bei >pater omnipotens< (Gloria: T. 88) notiert er einen ruhigen Gegensatz in As-Dur. Der Komponist schreibt einen feststehenden Gedanken vor, der die Allmacht überzeu-gend musikalisch in einer B-Tonart zeigt (Gloria: T. 88-90). Auch wenn konträre Kompositionsstrategien bei Beethoven und Draeseke in diesem Punkt zusammen treffen, so ist jede Strategie für sich ein Topos. Beethoven schreibt bei den Worten >qui sedes ad dexteram patris< (Gloria: T. 269-270) einen großen musikalischen Ausbruch in einer Tonmalerei. Draeseke dagegen komponiert in der fis-Moll-Messe einen vierstimmigen deklamatorisch gehaltenden Satz, Gott darstel-lend. Das Wort >patris< wird mit einem hohen Ton herausgehoben (Gloria: T. 144-147), bei Beethoven erfolgt die Betonung mit einem abwärts gerichteten Oktav-sprung (Gloria: T. 271). In der a-Moll-Messe zeigt Draeseke ein Fugato mit aufsteigender Melodie und kanon-artigen Engführungen. Das Wort >patris< (Gloria: T. 120) wird als Höhepunkt beson-ders markiert, und die Verehrung wird durch eine aufsteigende Melodieführung ge-kennzeichnet. Tonartenwechsel von A-Dur nach g-Moll zeigen das Geschehen an. In der >Crucifixus-Szene< des Credo (Credo: T. 151-159) wird bei Beethoven die Last des Kreuzes durch Bewegung nach unten ausgedrückt. An der Stelle >et ascendit in coelum< (Credo: T. 189-197) schreibt der Komponist eine aufsteigende Melodie, das bedeutet Auferstehung und für die Menschheit Zuversicht. Das Motiv bei >sedet ad dexteram patris< (Credo: T. 199-205) besteht aus nur zwei Tönen im vierstimmigen, deklamatorisch gestalteten Chorsatz. Die Allmacht Gottes wird auch hier als unumstößlich, als Topos, dargestellt. >Judicare vivos< (Credo: T. 218) bringt ein musikalisches Signal. Beethoven formu-liert einen Quartenaufbau, der Erinnerung an die Macht bedeutet. Es ist eine beson-dere Demonstration, nämlich das Bild des gerechten Richters aufzuzeigen. An der Stelle >cujus regni non erit finis< (Credo: T. 236) zelebriert Beethoven die Betonung des Endes. Der Chor musiziert unisono, das dreimalige >Non< unterstreicht einen schwebenden Zustand.6 >In unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam< (Credo: T. 275-279) wird vom Komponisten sehr zurückhaltend durch Tenor-Solo und kommentierenden Klein-Chor vorgestellt. Es bedeutet ebenfalls Machtdarstel-lung. Bei der Stelle >et expecto resurrectionem< (Credo: T. 285-290) schreibt Beethoven eine aufsteigende Melodie im Unisono, eine Anabasis und einen achtstimmigen Kontrapunkt. Die Figur Christus wird als ewiges Leben in verschiedenen Höhen herausgestellt. Als Form zeigt sich der Dur-Dreiklang, er ist ein Topos für Vollkom-menheit.

6 Vgl. Kap. 5, S. 180, Kap. 5, S. 222.

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Die Orchesterfärbung ist bei >et vitam venturi< (Credo: T. 304-313), besonders in der Konstruktion der Fuge und im >Amen<, auffällig. Es stellt die Bestätigung mit mehrmaliger Wiederholung dar. »So ist das >Leben der zukünftigen Welt< nicht in der gewohnten Weise als kraftvolles, physisches Weiterleben vorgestellt, sondern als Friede, Entrücktsein von der Hetze und dem Lärm des Diesseits. Der Satz ist vielleicht die längste aller Vokalfugen«.7 In der >Crucifixus-Szene< der fis-Moll-Messe (Credo: T.148-152) wird von Draeseke das Leiden Christi durch Dissonanzen und fallende Sextensprünge gestaltet, auch ein Topos für die Darstellung des Schmerzes. Hinzu kommt noch die c-Moll-Tonart. Die Stelle >et ascendit in coelum< (Credo: T. 215-223) ist wie bei Beethoven in einer Anabasis zu hören. Sie wird dafür eingesetzt, Zuversicht für die Menschheit auszu- strahlen und die Auferstehung darzustellen. >Sedet ad dexteram< (Credo: T. 224-230) wird durch Unisono als unumstößliche Macht ausgedrückt, ebenso >judicare vivos< (Credo: T. 244-254), wobei das Wort >vivos< als Machtzeichen zum Leben in Oktavsprüngen kontrastreich ausgeführt wird. Wie Beethoven komponiert Draeseke bei >cujus regni non erit finis< (Credo: T. 258-299) ein Fugato, das er bis zur kleinen Septime entwickelt. Er beschließt es auch mit einem dreimaligen >Non<. Der Hintergrund dieser gewählten Form geht auf eine weltliche, italienische Kantate zurück.8 Draeseke lässt in der fis-Moll-Messe eine breit angelegte Fuge mit >et in unam sanctam catholicam ecclesiam< durch ein Soloquartett folgen (Credo: T. 358-394). Der Komponist gibt ein Bekenntnis ab, das nicht ungebunden zu sein scheint.9 >Et expecto resurrectionem< weist eine Aufwärtsrichtung nach (Credo: T. 411-415). Christus wird wie bei Beethoven (Credo: T. 42-56) in einer groß angelegten Anabasis dargestellt. Am Ende des Credos stellt Draeseke die Freude über das Leben in Form einer Fuge mit Orgelpunkt dar: >Et vitam venturi< (Credo: T. 424-478). Das Credo Beethovens in der Missa Solemnis ist fugenartig mit festem Thema angelegt. Es zeichnet die Rolle Gottes nach, die Allmacht darzustellen. Geistiger Hintergrund ist das Nicänische Glaubensbekenntnis mit der Ansprache Jesu und des Heiligen Geistes. Die Trinität - Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist - wird hier sehr deutlich herausgestellt. »Diese musikalische Fassung kann mit jenem ikonographi-schen Typus zusammen gesehen werden, der Vater, Sohn und Heiligen Geist als drei gleiche Gestalten vorstellt«.10 Eine Tonmalerei zeigt sich bei >descendit de coelis< (Credo: T. 100-118) in einer Katabasis. Bei der Stelle >et incarnatus est< 11 schreibt Beethoven ein >dorisch< vor. Es unterstreicht mit der Kirchentonart eine

7 Warren Kirkendale: Beethovens Missa Solemnis und die rhetorische Tradition. In: Beethoven- Symposion. Wien 1970. (Veröffentlichung der Kommission für Musikforschung). Hrsg. von Erich Schenk. Heft 12. Wien 1971, S. 139. 8 Ebd., S. 136. Vgl. Beethoven: Credo, T. 236. 9 »Den Klängen dieser Messe [fis-Moll] wohnt etwas wahrhaft Liturgisch-Musikalisches inne«. In: Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 247. 10 Warren Kirkendale: Beethovens Missa Solemnis und die rhetorische Tradition. In: Beethoven- Symposion. Wien 1970. Veröffentlichung der Kommission für Musikforschung. Hrsg. von Erich Schenk. Heft 12. Wien 1971, S. 129. 11 Es bezeichnet das tiefste Geheimnis der christlichen Lehre. In: Ebd., S. 130.

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mystische Stimmung (Credo: T. 120).12 Das Tempo ist konträr angelegt und mit einem >Adagio< bezeichnet. Im weiteren Verlauf wird bei >Et homo factus est< die Tatsache der Menschwerdung durch Solo –Tenor und imitierenden Chor versetzt geschaffen und dadurch hervorgehoben (Credo: T. 138-151). Das Orchester bildet dagegen einen scheinbaren Kontrapunkt durch lebhafte Achtelbewegung. Ähnliche Strukturen weist auch Draeseke in seiner fis-Moll-Messe auf. Er beginnt im Credo mit einem festen Thema, dabei schafft er einen klaren, harmonischen Satz mit Streicherbewegung. Aus dem vierstimmigen Satz kommt das rezitierende Element deutlich hervor (Credo: T. 9-15). Wie bei Beethoven nutzt auch Draeseke die Tonmalerei abwärts: >descendit de coelis< (Credo: T. 122-127). Diese Melodie wird durch Halbtöne und halbe Noten-werte charakterisiert, um nachhaltig durch die kleinen Schritte nach unten zu wirken. Im Gegensatz zu Beethoven formuliert Draeseke >et incarnatus est< in der fis-Moll-Messe (Credo: T. 128-133) mit einer fanfarenartigen Melodie aufwärts. Der musika-lische Charakter ist hier freudig angelegt. Das wird besonders durch die Fanfaren der hohen Bläsergruppe hervorgehoben. Ziel ist, auch hier Macht darzulegen. Eine weitere Steigerung wird bei >et homo factus est< erreicht, indem Draeseke einen großen Ambitus zeigt, der große Freude ausdrücken soll (Credo: T. 137-141). Beethovens Sanctus zeigt einen hymnischen Gesang, der auf eine alte Tradition der Turmmusik zurückgeht.13 Die besondere Ansprache des Dominus Deus, >Deus Sabaoth< (Sanctus: T. 12-33) Beethovens sticht hervor. Unterstützt wird sie durch die Tonart h-Moll und durch die Deklamation des Orchesters. Damit erreicht Beethoven eine Demut, die er zusätzlich >Mit Andacht< überschreibt. Eine strah-lende musikalische Aussage erzielt er in der Fuge >pleni sunt coeli< (Sanctus: T. 34-36). Sie wirkt wie eine Fanfare und hat die Verwandlung der Hostie zum Thema. Diese Verwandlung zelebriert Beethoven wesentlich weiter als Draeseke.14 Jener schreibt ein Praeludium vor, einen »selbständigen Orchestersatz zwischen Sanctus und Benedictus«.15 Später entsteht eine improvisierte oder auch notierte Orgelmusik zur Elevation, und während der Wandlung kniet die Gemeinde. Beethoven untermauert damit die demütige Situation mit sehr hohen Orchester-regionen, die gleichbedeutend mit höchster Verehrung einhergehen. Beim Benedictus (Benedictus: T. 36-39ff.) eröffnet der Chorbass eine Rezitation, sie

12 Beethovens Absicht wird von der Kirchenmusik geleitet und knüpft damit an die Tradition an. In: Warren Kirkendale: Beethovens Missa Solemnis und die rhetorische Tradition. In: Beethoven-Symposion. Wien 1970. (Veröffentlichung der Kommission für Musikforschung). Hrsg. von Erich Schenk. Heft 12. Wien 1971, S. 131. 13 Ebd., S. 141. 14 Draeseke bewegt sich im Rahmen der lutherischen Messe im Gegensatz zu Beethoven: Rochus von Liliencron äußerte sich dazu: »Alles Andere [bis auf den Canon der Messe] ward beibehalten als Abendmahlsgottesdienst und wie in der alten Kirche die Messe oder das Hochamt den Hauptgottesdienst der Sonn- und Festtage bildet, so schuf auch Luther aus ihr für die junge Kirche den sonn- und festtäglichen Hauptgottesdienst, indem er der Predigt und dem Gemeinde- gesange innerhalb ihres Schemas eine Stelle anwies«. In: Deutsche Zeit- und Streit-Fragen. Ueber den Chorgesang in der evangelischen Kirche. Berlin 1880, S. 7. 15 Warren Kirkendale: Beethovens Missa Solemnis und die rhetorische Tradition, In: Beethoven- -Symposion. Wien 1970. (Veröffentlichung der Kommission für Musikforschung). Hrsg. von Erich Schenk. Heft 12. Wien 1971, S. 141.

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wechselt zwischen Alt- und Bass-Solo, danach zum Chor, zur Solovioline und zu den Klarinetten. In Draesekes fis-Moll-Messe zeigt dieser dagegen das Sanctus in einem schnelleren Charakter als Beethoven. Jener hat ein >Adagio<, Draeseke ein >Andante maestoso< vorgeschrieben (Sanctus: T. 3-8). Bei >pleni sunt coeli< (Sanctus: T. 17-20) haben beide Komponisten eine Fuge vorgesehen, mit unterschiedlich strahlender Aussage: Beethoven schreibt D-Dur, Draeseke dagegen A-Dur, G-Dur und B-Dur vor. Im Osanna der fis-Moll-Messe erinnert Draeseke an das >Dies-Thema< in seinem Requiem h-Moll und im Orchester an drei Durchführungen mit drei Mal >Heilig-Reminiszenzen< (Osanna: T. 35-45). Draeseke hat das Benedictus mit Chor und Solostimme komponiert. Sie musiziert einen schwebenden Sopran- Klang und -Rhythmus über einer rezitierenden kirchenmusikalischen Art der Chorkomposition. Im Agnus Dei Beethovens wird eine verhaltene Stimmung mit Hilfe eines Bildes erzeugt, nämlich das der Last und Sünde: h-Moll ist Grundtonart, auch geht die Solo-stimme von der Tiefe in die Höhe und demonstriert somit das vorgesehene Bild des Agnus Dei (Agnus: T. 5-14). Im >Dona nobis pacem< (Dona nobis pacem: T. 90-96) schafft Beethoven ein spe-zielles Friedensbild. Er überschreibt den Satz mit >Bitte um innern und äußern Frieden<. Im folgenden Verlauf bringt Beethoven einen anderen Begriff, den >Krieg<. Das Prinzip des Gegensatzes zeigt er in seinem Plan. Er setzt im Orchester Trompe-ten ein, die die Schlacht symbolisieren sollen (Dona nobis pacem: T. 211-226). Streichertremoli zeichnen die entstehende Angst durch die Pauke, und durch den Marschrhythmus wird diese weiter verstärkt. Das ist ein symbolhaftes Bild, das im >miserere nobis< durch das Sopran-Solo gestützt wird. Eine Fuge folgt, die auch durch die letzte Bitte selbstdarstellend wirkt: >dona pacem< (Dona pacem: T. 122) mit fallendem Sextensprung in den drei oberen Stimmen, wobei Beethoven das Wort >nobis< auslässt. Hier erinnert er an den Choreinsatz mit zwei Sextensprüngen ab-wärts (Dona [nobis] pacem: T. 211-235). Draesekes Agnus in der fis-Moll-Messe beschreibt der Komponist mit einer Ab-wärtsbewegung. (Agnus: T. 17-20 ). Es entsteht ein Bild der Aufmerksamkeit, speziell auf das Agnus Dei gerichtet. Der Agnus-Ruf zeigt eine übermäßige Quarte mit dem Leitton >eis<. Im >Dona nobis pacem< wechseln Soli und Tutti ab. Eine musika-lische Fragestellung bleibt und drückt sich im Trugschluss dis-Moll >Agnus Dei miserere< aus (Dona: T. 113). Die weitere Erhöhung der Bitte um Frieden deklariert der Komponist in Fis-Dur und dis-Moll. Bei dem Wort >pacem< gebraucht Draeseke auch ein musikalisches Bild, ein leichtes Crescendo im mf bis f über p und pp wirkt unterstützend, dazu vervollständigt eine leise trillernde Pauke den fragenden Charak-ter (Dona: T. 174-188). Ein aufsteigender Fis-Dur-Akkord rundet inhaltlich - im Ge-gensatz zu Beethoven - den >inneren Frieden zum Seelenfrieden< ab. Wie in der sinfonisch-gestalteten fis-Moll-Messe, arbeitet Draeseke auch in der A-cappella-Messe in a-Moll mit rhetorischen musikalischen Mitteln. Dabei verwendet er ebenso Topoi wie Beethoven in der Missa Solemnis. Draeseke beginnt mit einem >feurigen Tanz<. Bei der Zeile >et in terra pax< (Gloria: T.17-27) zeichnet er eine zurückhaltende Stimmung, >laudamus et adoramus< zeigen die Stimmen steigend nach C-Dur (Gloria: T. 41-46). Sie bringen ein Bild mit hohem Symbolcharakter, der Anbetung und Ehrerbietung durch die strahlende Tonart bereithält. Im >pater

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omnipotens< (Gloria: T. 87-92) ist eine gewisse Statik auszumachen, danach geht es fugenartig weiter. Der Komponist verbindet Bewegung und Nichtbewegung. Beide Richtungen beinhalten musikalische Bilder, Topoi. Bedingt durch die Inhalt-lichkeit schreibt der Komponist ein Bass-Thema in der Abwärtsbewegung: >qui tollis peccata mundi< (Gloria: T. 121-139). Es hat einen schwerfälligen Charakter. In der fis-Moll-Messe wird die Zeile >qui sedes ad dexteram patris< in einer Fuge mit aufsteigender, kanonartiger Melodieführung durchgeführt (Gloria: T. 177-184). Das Wort >patris< wird ebenfalls hervorgehoben. Tonartenwechsel weisen auf die Tatsache, besonders bei >quoniam tu solus sanctus< (Gloria: T. 193-213), mit einem Modulationsschema hin und durch eine Anabasis im Sopran. »Die das Wort beleuchtende Endharmonie Es-Dur / D-Dur kennt man aus der fis-Moll-Messe« (T. 208-209).16 Im Credo der a-Moll-Messe schreibt Draeseke ein festes Thema vor (Credo: T. 1-7), das Gott im Unisono darstellt. Diese >Unbeweglichkeit< ist positiv zu bewerten, sie zeigt Gott als feststehende Größe: sie ist mit Imitationen und einem vierstimmigen Satz gesetzt und weist auf die nächste, größere Bewegung: >descendit de coelis< (Credo: T. 91-99). Der Komponist zeichnet eine Tonmalerei als Katabasis. Auch in Draesekes fis-Moll-Messe und Beethovens Missa Solemnis ist an dieser Stelle ein Topos der abwärts gerichteten Melodieführung vorhanden. In einem konträren Tempo und mystischer Stimmung wird >et incarnatus est< gesehen (Credo: T. 99-109). Im weiteren Verlauf des Credos wird >et homo factus est< inhaltlich als Geschehen (Credo: T. 108-116) durch den Chor im pp geschaffen. Im >crucifixus< (Credo: T. 117-123) gestaltet Draeseke die Menschwerdung durch eine >raschere und energischere< Bewegung, um die Person Christus anschaulich herauszustellen: hohe Töne und rhythmische Besonderheiten vervollständigen das musikalische Bild. Wie bei Beethoven und Draesekes fis-Moll-Messe, so zeigt sich auch in diesem Credo bei >ascendit in coelum< eine Anabasis (Credo: T. 147-150). Sie symbolisiert mit großem Umfang die Weite des Himmels. Durch das Thema der Auferstehung wird die Zuversicht für die Menschheit in der a-Moll-Messe musikalisch deutlich erklärt. Die Zeile >sedet ad dexteram< beschreibt Draeseke mit ungewöhnlichen Tonarten-folgen: D-Dur und H-Dur (Credo: T. 150-154). Dieser Wechsel zeigt ebenfalls die Allmacht Gottes. Das Bild des Richters >judicare vivos et mortuos< erscheint in einem statisch angelegten B-Dur-Thema (Credo: T. 169-177), ähnlich dem Thema Beethovens (Credo: T. 218-233). In der anschließenden Fuge >non erit finis< (Credo: T. 188-202) Draesekes findet eine Betonung durch rhythmische Verschiebungen in der a-Moll-Messe statt. In der Wiederholung des Anfangs wird eine aufsteigende Entwicklung bei >spiritum< sichtbar. Wieder wird Macht hervorgehoben (Credo: T. 209-210). Der Tenor hat bei der Zeile >in unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam< eine führende Rolle (Credo: T. 237-244), in der fis-Moll-Messe ist es ebenfalls der Chor-Tenor, der mit einem Fugenthema beginnt (Credo: T. 358-364). Der Tenor verkörpert die alte Rolle des Testo wie in der Oper. Im Unterschied dazu hat Beethoven eine andere Form gewählt. Der Tenor übernimmt die gesamte Aus- 16 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 436.

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sage, die übrigen Stimmen befassen sich mit dem Wort >Credo> (Credo: T. 274-279). Die Erwartungshaltung in der Auferstehung der Toten macht sich in den Worten >et expecto resurrectionem> in der a-Moll-Messe durch Oktavsprung und f- Entschie-denheit bemerkbar (Credo: T. 257-259). Den Schluss des Credos der a-Moll-Messe bildet bei >et vitam venturi< (Credo: T. 267-270) eine Fuge, die die Zuversicht zum Leben durch Lebhaftigkeit nachweist. Fugen sind ebenfalls in der fis-Moll-Messe (Credo: T. 424-463), sowie in der Missa Solemnis Beethovens (Credo: T. 304-309) zu finden und orchesterfarbig heraus-ragend komponiert. »Der Chor besonders leistete Dinge, die ich bis dahin für unmöglich gehalten«.17 Die Männerstimmen beantworten bei Beethoven das Thema der Frauenstimmen mit >Amen<. Im Laufe der Fuge wechseln die Gesangsgruppen. >Vor Gottes Thron< beschreibt Draeseke in der a-Moll-Messe einfache Harmonien und erreicht dadurch ein statisch-deklamatorisches Bild. Er komponiert bei >Pleni sunt coeli< einen vier- bis fünfstimmigen Satz mit Imitationen. Dieser wirkt entschie-den. Auch hier komponiert Draeseke mit Hilfe eines außerordentlichen Umfangs die Weite des Himmels. Es ist eine D-Dur-Fuge, lebhaft in ihrem Charakter. (Sanctus: T. 15-25).18 Die Benedictus-Passage zeigt einen vierstimmigen, harmonischen Satz, eine Zweistimmigkeit, Engführung und deren Erweiterung. Die hohe Verehrung liegt in der stilistischen Einfachheit der Komposition (Benedictus: T. 1-6). Das Agnus-Thema der a-Moll-Messe ist mit einer harmonischen Steigerung verar-beitet (Agnus: T. 1-13). Schwer lastende Harmonien beschreiben das Lamm Gottes. In dieser Bildhaftigkeit steht auch die Fuge >Dona nobis pacem< (Agnus Dei: T. 1-5). Sie ist eine Tripelfuge mit einem Liedbeginn gekoppelt.19 Dieser verstärkt die religiö-se Aussage des Textes: Über dem inneren Frieden steht der Seelenfrieden. Das >miserere nobis< hat Draeseke im Agnus der a-Moll-Messe nur kurz angesprochen. Im letzten Teil zeigt er nur den Nebensatz >qui tollis peccata mundi< (Agnus: T. 98-102). Beethoven komponiert dagegen das Agnus durch Solo und Chor aus und erreicht einen zurückhaltenden pp- Ausdruck. Er unterstreicht damit eine musika-lische, abwechslungsreiche Bildhaftigkeit, einen Topos der Verherrlichung. In der fis-Moll-Messe Draesekes wird die Zeile >miserere nobis> mehrmals fugenmäßig verarbeitet. Die a-Moll-Messe weist dagegen im >Dona nobis pacem< eine Besonderheit auf, die der Komponist bewusst einsetzt: Draeseke komponiert >Dona nobis pacem< im ganzen Satz. Sein Ziel ist eine sprachlich-musikalisch erweiterte Ausdrucksform, indem er den letzten Satz zwar vollständig ausschreibt, aber nur das Wort >pacem< noch zwei Mal zum Schluss als Verstärkung folgen lässt (Agnus: T. 125-130). 6.2 Draesekes h-Moll-Requiem op. 22 und e-Moll-Requiem WoO 35 im Topoi-Vergleich

17 Draeseke spricht unter anderem die chorische Sopranleistung auf dem hohen Ton b in der Credo- Fuge >et vitam venturi< an. In: Felix Draeseke: Schriften 1855-1861. (Veröffentlichungen der Inter- nationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 1. Hrsg. von Helmut Loos. Bad Honnef 1987, S. 42. 18 In diese Fuge hat Draeseke einen Teil- c. f. eines Mörike-Liedes aus op. 81 einfließen lassen. 19 Draeseke verarbeitet >Dem Herrn sei Lob< aus op. 75 als Teil- c. f. in der Tripelfuge.

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Auch wenn die beiden Requiem-Vertonungen Draesekes nicht direkt mit Beethoven verglichen werden können, so sind doch bestimmte musikalische Topoi, Besonder-heiten aus der rhetorischen Tradition, in ihnen enthalten. Durch den Vergleich der Messen mit den tradierten Mitteln der Missa Solemnis können Rückschlüsse auf herausragende musikalische Mittel gezogen werden. Ähnlich dem Messenvergleich erscheinen in den beiden Requiem-Vertonungen musikalische Gemeinsamkeiten, obwohl das h-Moll-Requiem sinfonisch und das e-Moll-Requiem in einer A-cappella-Form angelegt ist. Trotz dieser stilistischen Unterschiede treten gemeinsame musi-kalische Topoi hervor. Draeseke beginnt mit litaneiähnlichen, verschiedenen Formen des Requiems. Im h-Moll-Requiem wird die Rolle Christus mit chaconneartigem Bass im Orchester vorge-stellt (Kyrie: T. 1-6). Wegen differenzierter Lautstärkegrade hat der Komponist einen schwebenden Charakter in der Kyrie-Fuge erreicht. Der Triller durch die Pauke ist programmatisch angelegt (Dies irae: T. 18ff.) und hält den Topos bereit, der die Überwindung des Todes zum Thema macht. Das e-Moll-Requiem stellt im Gegensatz zum h-Moll-Requiem ein Thema vor, das über einem Bordun-Bass entwickelt wird (Introitus: T. 1-5). Im weiteren Verlauf arbeitet Draeseke mit dem Topos der Dreieinigkeit (Dreiteiligkeit) wie im h-Moll-Requiem. >Christus< - und das >eleison -Thema< vereinigen sich (Introitus: T. 88 ff.). Durchführung und Engführung bestimmen das musikalische Bild der Doppelfuge (Introitus: T. 101-117). Im h-Moll-Requiem ist die Zeile >et lux perpetua< in einem vierstimmigen Satz no-tiert, auch mit Steigerungsmomenten (Requiem: T. 33-40). Im e-Moll-Requiem dagegen kommt in einer Anabasisführung mehr der Licht-Topos (Introitus: T. 79-87) zum Tragen. Im Dies irae des h-Moll-Requiems wird das Jüngste Gericht vorgestellt: zwei Horn-fanfaren (Dies irae: T. 1-4) rufen zum Richter. Diese Fanfare bildet ebenfalls einen Topos, der eine eigene Dynamik und Dramatik zeigt, denn das alte Lacrimosa in d-Moll bildet auch hier die geistige Grundlage. Darin sind unterschiedlich musikalische Bilder enthalten: die rollende Pauke zeichnet die Unsicherheit der Menschen. Wenn der Richter erwartet wird, stellen die Hornrufe die Macht des Richters dar. Tonmalerei unterstreicht die Angst der Menschen. Aber die Bedeutung des Rufes >Tuba mirum< liegt im Topos des Klanges. Draeseke verwendet den reinen B-Dur-Dreiklang als vollkommene Form (Dies irae: T. 80-86). Der Topos Macht wird durch eine besondere Instrumentierung der Posaunen dargestellt, indem die Verantwor-tung vor dem König dadurch musikalisch gezeichnet wird. Ein Topos von Demuts-haltung wird durch die Zurücknahme des Klangbildes erreicht: die Solostimmen tra-gen ihre Bitte um Errettung vor. Draeseke arbeitet mit diesen Bildern und interpre-tiert bewusst den geistigen Inhalt dieser Zeilenaussagen. Weiter entwickelt der Komponist im Recordare des h-Moll-Requiems die verschie-denen Jesus-Rollen (Recordare: T. 1-5), die in ihrem Leiden begleitet werden. Draeseke stellt mehrere Topoi vor, indem er differenzierte Szenenbilder entwickelt. In der >crucem-Szene< (Dies irae: T. 222-224) verwendet der Komponist Chromatik mit verzögerten Auflösungen, auch einen darstellenden Topos der belastenden Situa-tion. Bei der Rolle des gerechten Richters schreibt Draeseke Kanonstufen als Spannungsmoment vor. Durch diese Episoden wird das Leiden Jesu in Erinnerung

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gebracht. Im Zwischensatz >inter oves< dominiert der Ton A und die ruhige Bass-führung. Das scheint ein Hinweis auf die Erlösung und die Gnadenansprüche zu sein. Eine gegensätzliche Tonmalerei folgt. Es ist die Erinnerung an den Tag des Schreckens. Vorwiegend gehen bei >confutatis maledictis< Bässe in Ganztönen abwärts (Dies irae: T. 373-378). >Voca me< (Dies irae: T. 389-394) löst die ange-spannte Stimmung durch Dreiklänge der Posaunen auf. Diese werden von Alt und Bass wiederholt. Die Bekräftigung der Aussage durch die Wiederholung und der B-Dur-Dreiklang untermauern den Topos der Vollkommenheit. Ebenfalls im Requiem e-Moll schreibt Draeseke zu Beginn des >Dies irae< eine Fanfare als Topos (Dies irae: T. 1-2), verbunden mit einer Anabasis. Die Rolle des gerechten Richters erinnert an Mozart, denn wie bei ihm unterstreicht ein großer Kontrapunkt die Richter-Figur als Topos (Dies irae: T. 190-200), besonders deren Machtanspruch. Die Bitte um Erlösung erfolgt auch hier in einem Topos von De-mutshaltung, der Komponist beschließt diesen Teil harmonisch-feierlich im Choral-charakter. Wie im Requiem h-Moll, so ist im e-Moll-Requiem jeder Hauptteil als Ganzes durch-komponiert. Im Recordare der e-Moll-Requiem-Vertonung benutzt Draeseke Kontraste in der Tonmalerei: in der Zeile >confutatis maledictis< (Dies irae: T. 370-379) ist der Charakter schwer. Er wird in kleinen Sekundschritten ausgedrückt. Dagegen gibt es bei >mihi quoque spem dedisti< (Dies irae: T. 297-316) einen weichen, leichten Charakter, einen Topos der Zuversicht. Zunächst ist die Stimmung der Szene des >Tuba mirum< wie bei >Voca me< (Dies irae: T. 389-397) ähnlich düster. Draeseke schreibt danach B-Dur-Dreiklänge wie im h-Moll-Requiem und stellt den Topos der Vollkommenheit in Form des Dreiklanges wiederholt dar. Im Lacrimosa des h-Moll-Requiems stellt Draeseke das Thema in den Violinfiguren vor. Tonwellen sollen den Klagegesang darstellen (Dies irae: Lacrimosa: T. 417-426). Der Komponist gebraucht ebenfalls musikalische Bilder von Demutsbezeugungen, zum Beispiel in den Bitten um Schonung vor Strafe. Die letzte Bitte im Lacrimosa steht im Kontrast, hervorgerufen durch Chromatik und Quintfälle. (Dies irae: T. 486-493). Die entsprechenden Stellen im e-Moll-Requiem verwenden im Sopran B-Dur-Dreiklänge und eine aufsteigende Melodie. Im h-Moll-Requiem >Dona eis requiem< schließt sich der liturgische Kreis. Das Wort >requiem< tritt verändert auf. Es zielt auf den Introitus. (Dies irae: T. 471f.) Hier hat der Komponist einen Topos geschrieben, indem er das Wort >requiem< nochmals hervorhebt. Die bekräftigte Aussage >Amen< unterstreicht ebenfalls mehrmals das Wort >requiem<. Draeseke zeigt im h-Moll-Requiem eine weitere stilistische Besonderheit im Domine Jesu. Dort verarbeitet er im Orchester einen Choral: >Jesus, meine Zuversicht<. Dieser cantus firmus könnte auf der einen Seite Draesekes religiöse Stellung unterstreichen oder wie Roeder schreibt, Draeseke könne dem Requiem h-Moll einen protestantischen Charakter gegeben haben. Der Komponist verarbeite hier zwei entgegenwirkende Strategien, einmal die alte Ordnung der Messe und auf der anderen Seite einen deutschsprachigen Choral, in Form des musikalischen cantus

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firmus. »Im Kunstspiegel der beiden christlichen Bekenntnisse reichen sich alter und neuer Bund sozusagen die Hand«.20 Im Weiteren hat Draeseke das Wort >tartarus< vom übrigen Satz im h-Moll-Requiem getrennt. Er hebt das Wort >tartarus< (Domine: T. 55-56) somit hervor, um dadurch eine besonders sprachlich versetzte und musikalische Diktion zu erzielen. Der einge-brachte c. f. in den Posaunen deutet auf die Machtdarstellung: Jesus als Figur wirkt allein durch die Melodie. (Domine: T. 76-79 f.). Der Hörer braucht nicht den Text, um die c. f. Zeilen zu verstehen. Der c. f. wirkt wie ein Fanal und wird durch die Komposition geführt. Die letzte Zeile wird vom Chor in geänderter Form über-nommen. Auch im erweiterten Domine-Jesu-Satz des e-Moll-Requiems arbeitet Draeseke ähnlich wie im h-Moll-Requiem. Er setzt verschiedene Topoi ein, die deklamatorisch, tonmalerisch, dramatisch, mit gegensätzlichen stilistischen Mitteln, mit Einfachheit der Melodieführung, eingesetzt werden. Die >Quam-olim-Abrahae-Fuge< (Domine: T. 72f.) schreibt Draeseke in einem gewaltigen Ausdrucksstil. Sie wird wie im h-Moll-Requiem im Durraum und authentischem Schluss beendet. Dies ist wieder ein Topos der Vollkommenheit. Der Charakter in einem a-cappella-Werk ist zwar ein anderer als in einem sinfonisch angelegten Werk, aber die stilistischen Mittel sind jedoch die gleichen, allerdings in einem unterschiedlich musikalischen Kontext. Für das 19. Jahrhundert war es nicht ungewöhnlich, sinfonisch und / oder a-cappella-Versionen zu komponieren. Draeseke hat beides vorgelegt. Im Sanctus des h-Moll-Requiems gebraucht Draeseke Tonmalereien. Trompeten symbolisieren Macht. >Pleni sunt coeli< zeigt den Topos der Macht, die Allmacht Gottes wird durch den hohen Ton A und durch Sequenzen gezeigt (Sanctus: T. 32-39). Die anschließende >Osanna-Fuge< breitet sich mit ihren E-Dur-Engführungen aus und unterstreicht damit die Macht Gottes (Sanctus: T. 43-105) noch weiter. Das Benedictus im h-Moll-Requiem bewirkt eine Zurücknahme durch die Dynamik. (Benedictus: T. 115f.). Hier zeigt sich ein Topos der Ehrerbietung und des Respekts. Dieses Benedictus erinnert an Mozarts Fassung, und Roeder betont, dass das h-Moll-Benedictus der beliebteste Teil des Requiems und das schönste Benedictus seit der Missa Solemnis sei.21 Das >Osanna< wird im h-Moll-Requiem wiederholt. Draeseke hat den formalen Topos eingehalten und damit die ursprüngliche liturgische Ordnung nachvollzogen. Das harmonisch fünfstimmige Sanctus des e-Moll-Requiems zeigt mit einem großen Ambitus und mit Dreiklängen in E-Dur die Weite des Himmels (Sanctus: T. 21 / 22). Exponierte Töne sorgen für die genannten Topoi, so dass sie nochmals hervor-gehoben werden. Die >Osanna-Schlussfuge< ist in ihrem Charakter tanzartig ange-legt. Eine einfache, weiche und eingängige Melodie >Langsam und getragen< im 2/2-Takt kennzeichnet das Benedictus im e-Moll-Requiem. Sie vermittelt einen Topos der Ehrerbietung. Bei Draeseke bildet sich ein bestimmtes Bild von Tonmalereien und umgekehrten Ausführungen. 20 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 81. Vgl. Felix Draeseke: LE, S. 141. 21 Erich Roeder, Bd. 2, S. 82.

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Das Agnus Dei des h-Moll-Requiems wird von Draeseke in der Tonart h-Moll, im >Andantino grave< und in den entsprechend tiefen Streichern vorgestellt. Die h-Moll-Tonart ist symbolträchtig für Schmerz und ungeheure Last. Vorhalte weisen auf diese bei der Zeile >qui tollis peccata mundi< (Agnus: T. 6-13) hin. Der mollare Charakter bleibt auch hier noch bei >dona eis requiem< (Agnus: T. 13-22) erhalten. Dann zeigt Draeseke bei der Öffnung der Gräber >requiem sempiternam< (Agnus: T. 65-74) einen Topos in Form von Des-Dur und damit bestimmte verbundene Effekte und Eindrücke. In der Coda wird >et lux< gesteigert, vor allem im dynamischen Bereich von p zu f, einem Halbschluss auf Fis / D-Dur und wieder h-Moll. In der Fuge >Cum sanctis tuis< wird an die Kyrie-Fuge erinnert. Draeseke gestaltet mehrere Engführungen und Durchführungen. Der Text ist für den Komponisten ein Muss zum Programm. Bei der Zeile >quia pius es< setzt er eine leere Quinte ein. Der Sopran führt eine litanei-ähnliche Rezitation durch. Die Quinte und die Litanei symbolisieren das Bild für Gräber, und sie zielen auf das ewige Leben, bzw. Licht (Agnus: T. 143-148). Der Charakter des e-Moll-Requiems im Agnus stellt sich ganz anders dar. Die Tonart a-Moll beginnt und endet in E-Dur. Einen Topos für die Ewigkeit zeigt das Wort >sempiternam< in Form einer Generalpause (Agnus: T. 77-81), das >cum sanctis tuis<, beginnend in cis-Moll bis E-Dur, wird in einem weichen Charakter vorgestellt. Im Gegensatz zum h-Moll-Requiem gibt es bei der Zeile >quia pius es< nur kurze, dynamische Veränderungen, dann ein pp. Das Agnus Dei wird in E-Dur-Dreiklängen beendet, also in einem Topos für Verehrung und Vollkommenheit. In beiden Requiem-Vertonungen h-Moll op. 22 und e-Moll WoO 35 und in den beiden Messen fis-Moll op. 60 und a-Moll op. 85 Draesekes gibt es musikalische Schnitt-mengen, die mit Beethovens Missa Solemnis musikalische Gemeinsamkeiten -Topoi - aufzeigen. In Beethovens Missa Solemnis zeigt sich in der musikalischen Gestal-tung eine große Organisation. Auch bei Draeseke werden gedankliche Beziehungen von kompositorischen Einfällen getragen, die formbildende Funktionen übernehmen. Es entsteht ein zyklischer Zusammenhang, der durch Wortverbundenheit getragen wird. Draesekes Kompositionen unterstreichen die Textinterpretation durch eine sprachnahe Komposition mit auskomponierten Effekten. In der frühen Schaffenszeit Draesekes gibt es mehr Figurationen in linearer Konzeption, später scheint dagegen das Prinzip der kontrastierenden Abschnitte besonders für die individuelle Textinter-pretation verantwortlich zu sein, zum Beispiel durch konzeptionelle Veränderungen choraler Einflüsse und durch Ausbau bestimmter geschichtlich getragener Regula-rien. Damit findet eine Anbindung an Tradition der Kontrapunktik bei Palestrina statt, an die Formprinzipien der Wiener Klassik knüpfend, bis hin zum Cäcilianismus. Im 19. Jahrhundert werden nicht nur durch die Vertreter der Neudeutschen Schule, Liszt und andere Komponisten, sehr verschiedene sinfonisch gestaltete Messen- und Requiem-Vertonungen mit tradierten und auch modernen Mitteln komponiert. Der geschichtliche Bogen reicht besonders von der Missa brevis bei Mozart und Haydn mit italienischem Einfluss bis zur großen sinfonisch-gestalteten Messe bei Beethoven. Neben ihm und Schubert spielen Bach-Renaissance und Händel-Einfluss eine wesentliche Rolle.22 Paul Bekker vergleicht die beiden Messen Beethovens mit der 5. und 9. Sinfonie und hebt das Zeitalter der Sinfonie hervor. »Wie in diesen 22 Annemarie Clostermann: Das kirchenmusikalische Schaffen Felix Mendelssohn-Bartholdys. Neue Untersuchungen zu Geschichte, Form und Inhalt. Mainz 1989, S. 14.

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beiden tragischen Werken unmittelbares Erleben und reflektierendes Erkennen der Schicksalsmacht einander gegenüberstehen, so ruht die erste der Messen auf der Basis naiv skrupelloser kirchlicher Gläubigkeit, während die zweite das Denkmal einer subjektiv kritischen Religiosität darstellt«.23

6.3 Folgende Topoi-Gemeinsamkeiten erscheinen in der Missa Solemnis Beethovens und in den Messen Draesekes: Topoi-Gemein- samkeiten

Beethoven Missa Solemnis op. 123 (sinfonisch)

Draeseke fis-Moll-Messe op. 60 (sinfonisch)

Draeseke a-Moll-Messe op. 85 (a-cappella)

Ausgewählte gemeinsame+ divergierende musikalische Mittel / Topoi

Machtdarstel-lung ernste Anrufung großer Jubel Demut und Ehrerbietung

Kyrie (T. 89-105) Christus hervorgehoben Fuge Soloquartett Doppelfuge Gloria große Bewegung >Et in terra pax<: (T. 45-50) zurückhaltend auf einem Ton >laudamus te<: Fuge (T. 68-103) Melodie nach unten: Ehrerbietung

Kyrie (T. 5-9) statisch litaneiähnlich Christus hervorgehoben Fuge Gloria Rufe statisch (T. 2-5) Allegro Maestoso >Et in terra pax< (T. 13-15): weicher Zwischensatz >laudamus- adoramus< >pater omnipotens< (T. 88-90) stehender

Kyrie (T. 1-4) Doppelfuge Kontrapunktik Tonmalerei ohne Topos 4-stg. Chor Gloria (T. 1-4) Art Tanz Fugato aufsteigende Melodie kanonartige Engführungen >laudamus te< (T. 41-50) melodiös / Imitation

Nichtbewe-gung statisch litaneiähnlich Kontrapunkt statisch + große Bewegung Tanz Anabasis Melodik einfach verlängerte Notenwerte Fuge

23 Paul Bekker: Beethoven der Tondichter. Leipzig 1912, S. 373.

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Machtdarstel-lung dramatisch klingende Darstellung Dreieinigkeit Tod und Dunkelheit Menschwerdung Zuversicht

>Gratias agimus< (T. 145-173) verschiedene Stufen der Allmacht Gottes Solo + Chor im Wechsel + gleichzeitig >qui sedes ad dexteram patris< (T. 269-270) musikalischer Ausbruch >patris< (T. 271) Credo (T. 5-8 Bass) >et ascendit< (T. 189-197) Anabasis >descendit de coelis< (T. 98-103) Oktavsprünge BTS >qui sedet ad

Gedanke zeigt Allmacht Gottes ruhiger Gegensatz >Gratias agimus< (T. 52-63) Männer- + Frauenchor +Solo+Tutti melodiös >qui sedes ad dexteram patris< (T. 144 -147) >patris< (hoher Ton) deklamatori-scher Satz Credo (T. 9-15 4-stg. Chor) >et ascendit< (T. 215-224) Anabasis >descendit de coelis< (T. 122-127) Katabasis Tonmalerei >qui sedet ad

>Gratias agimus< (T. 54-64) Imitationsformen Anlage: Katabasis 4- stg. Chor >qui sedes ad dexteram patris< (T. 118-120) besonders markiert Credo (T. 1-8) wirkt wie Unisono >et ascendit< (T. 147-150) Anabasis großer Umfang >descendit de coelis< (T. 91-99) abwärts gerichtete Melodieführung >qui sedet ad

Melodik fugenartig Melodik einfach Melodik Imitationsform Katabasis feststehender Gedanke >patris< besonders herausgestellt Anabasis Tonmalerei abwärts gerichteter Oktavsprung Trompeten Deklamation Dur-Tonart Anabasis großer Umfang statisches Thema Deklamation Topos: abwärts gerichtete Melodiefüh-rung Katabasis

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dramatisch klingende Darstellung

dexteram< (T. 199-205) Deklamation mit 2 Tönen Credo >et expecto resurrectionem< (T. 285-290) Anabasis im Unisono+ vierstimmigen Satz Terzklang Topos der Vollkommenheit et vitam venturi< (T. 292-298- 4stg. Chor. T. 304-363) Fuge + Schluss: harmonisch Anabasis >et incarnatus est< (T. 120-137) Solo: TASB +rezitierenden Chor: dorisch >crucifixus<

dexteram< (T. 224-230) Unisono Fuge Credo >et expecto resurrectionem< (T. 411-415) Anabasis >et vitam venturi< (T. 424-463) Fuge + Schluss: harmonisch Anabasis >et incarnatus est< (T. 128-136) fanfarenartige Melodie Topos der Macht >crucifixus<

dexteram<: (T. 150-153) statisches Thema: Allmacht Gottes Credo >et expecto resurrectionem< (T. 257-264) Oktavsprünge / Höhe / Frauenstimmen rezitierender Chor >et vitam venturi< (T. 267 – 320) Fuge + Schluss: harmonisch Sexten- + Oktavsprünge Lebhaftigkeit >et incarnatus est< (T. 99-109) konträre Anlage zur fis-Moll-Messe >crucifixus<

fanfarenartige Melodie Kirchentonart Topos für Vollkommen-heit Dreiklang Katabasis Tonmalerei Sopran / Anabasis im Unisono Terzklang Topos für Vollkommen-heit authentische Kadenz Anabasis Terzklang Oktavsprünge Unisono Sexten- + Oktavsprünge Reminiszen-zen an Hymnus Kirchentonart lebhafter Charakter Fanfare Fuge

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freudiger Aufschwung milder Segen mystische Versenkung

(T. 151-159) Bewegung nach unten Sanctus hymnischer Gesang >Pleni sunt coeli< (T. 34-52) Fuge wie Fanfare Praeludium + selbstständiger Orchestersatz Benedictus Alt- und Basssolo / Sopran- / Tenorsolo (T. 36-78) Chor: Rezitation Agnus Dei Last + Sünde von der Tiefe

(T. 148-156) Leiden durch Dissonanzen fallende Sextensprünge c-Moll Sanctus lebhafter Charakter >Pleni sunt coeli< (T. 17-29) Fuge / Fugato Erinnerung an das >Dies-Thema< h-Moll Benedictus Chor + Solostimme rezitierende Chorkompo-sition (T. 125-128) Agnus Dei Abwärtsbewe-gung

(T. 117-123) rezitierend auf 1 Ton + punktierte Oktavsprünge nach oben Sanctus statisch- rezitierender Chor >Pleni sunt coeli< (T. 15-25) fugatoartig großer Umfang Benedictus vierstimmiger harmonischer Satz Topos der Einfachheit (T. 1-7) Agnus Dei schwer lastende

Katabasis Dissonanzen fallende Sextensprün-ge Rezitation punktierte Oktavsprünge nach oben Dissonanzen Katabasis Punktierung Sextensprün-ge nach unten Hymnus Fuge selbstständi-ger Orchestersatz Fuge Rezitation fugatoartig

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bis zur Höhe Basssolo + rezitierender tiefer Chor + thematische Arbeit Solochor (T. 1-89) >Dona nobis pacem<: (T. 90-429) Krieg + Friede Trompeten Marschrhythmus

Beethoven entgegengesetzt >Dona nobis pacem< (T. 142-188) im Gegensatz zu Beethoven innerer Friede / Seelenfriede

Harmonien Topos für >Lamm Gottes< >Dona nobis pacem< (T. 64-130) harmonischer Schluss zurückhaltende Stimmung Topos im pp

Rezitation Solostimme + Chor vierstimmiger Satz Topos der Einfachheit Thema von der Tiefe bis zur Höhe Katabasis Topos für >Lamm Gottes< Trompeten Marschrhyth-mus Solosopran innerer Friede auf den Einzelnen bezogen Fuge Topos der Einfachheit Katabasis Fuge + harmonische Einwürfe durch den Chor + instrumen- tales Zwischen- spiel

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6.4 Gemeinsame und divergierende Topoi in Draesekes Requiem- Vertonungen Topoi-Gemeinsamkeiten

Draeseke Requiem h-Moll op. 22 (sinfonisch)

Draeseke Requiem e-Moll WoO 35 (a-cappella)

Ausgewählte gemeinsame + divergierende musikalische Mittel Topoi

Machtdarstellung Dreieinigkeit Tod und Dunkelheit Unsicherheit der Menschen Überwindung des Todes

Requiem (T. 1-5) Christus ostinater Bass Fuge: Kyrie Dreiteiligkeit >et lux perpetua< (T. 33-60) vierstimmiger Satz mit Steigerungs-momenten + Rezitation Dies irae Hornrufe Macht des Richters musikalisches Bild (T. 1-4) Fuge TABS

Requiem (T. 1-6) Thema über Bordun-Bass Topos der Dreieinigkeit Dreiteiligkeit Doppelfuge / Introitus (T. 101-117) >et lux perpetua< (T. 26-33) Rezitation + Anabasis Licht-Topos Sextensprung Dies irae Fanfare als Topos: (T. 1-2) Anabasis Topos Macht (T. 190-200) Kontrapunkt + Choralcharakter

ostinater Bass Kyrie: Dreiteiligkeit Bordun-Bass Topos der Dreieinigkeit Introitus vierstimmiger Satz Rezitation Anabasis Licht-Topos Sextensprung fünfstimmiger Satz Hornrufe Macht des Richters Fanfare als Topos Kontrapunkt + Choralcharakter Fuge

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Demut und Ehrerbietung

(T. 5-35) >nil in ultum remanebit< (T. 141-147) Triller Pauke Programm Topos zur Überwindung des Todes Dies irae >Tuba mirum< (T. 80-86) Bitte um Errettung Anabasis >Dona eis requiem< (T. 471- 503)

>nil in ultum remanebit< (T. 102-107) vierstimmiger Chor BTAS2 besondere Betonung Dies irae >Tuba mirum< (T. 39-57) B-Dur-Dreiklänge Topos Vollkommenheit Demutshaltung >Dona eis requiem< (T. 361-373)

Pauke: Triller Topos zur Überwindung des Todes Soli + Chor vierstimmiger Chor Betonung >nil inultum< verlängerte Notenwerte B- Dreiklänge Topos für Vollkommenheit Demutshaltung B-Dur-Dreiklänge fallend fünfstimmiger Kontrapunkt + harmonischer Schluss >requiem< zielt auf Introitus Topos für >requiem< und >Amen< fünfstimmiger Kontrapunkt Sopran: >requiem< Betonung Schluss: harmonische Kadenz Durbereich Dynamik p-ff Violinfiguren Tonwellen Klagegesang Kontrast: Chromatik

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Schmerz und Klage Lacrimosa >Lacrimosa dies illa< (T. 417-426) Violinfiguren Tonwellen Klagegesang Kontrast: letzte Bitte durch Chromatik und Quintfälle

Lacrimosa >Lacrimosa dies illa< (T. 337-344) Fünfstimmigkeit harmonisch Aufstieg Dreiklang Anabasis

lyrischer Charakter

Machtdarstellung

Domine Jesu Choral >Jesus, meine Zuversicht< c. f. als a) alte Ordnung b) >moderner Choral< c. f. wie ein >Fanal< ( ab T. 12)

Domine Jesu (T. 1-72) fünfstimmiger Kontrapunkt + harmonische Kadenz + fugenartiger Einschub >quam olim Abrahae< (T. 72-127)

Choral als Topos der Machtdar-stellung c. f. wie ein >Fanal< Kontrapunkt fugenartiger Einschub

Allmacht Gottes

Sanctus >Pleni sunt coeli< (T. 31-39) fugatoartig 4-stg. >Osanna< / Fuge (T. 43-104)

Sanctus >Pleni sunt coeli< (T. 19-29) 5-bis 6- stimmig harmonisch >Osanna< / Fuge (T. 41-101)

Topos Macht zeigend Anabasis Umfang Tonartenwechsel orchestrale Vorbereitung auf die groß angelegte Fuge >Osanna< hoher Kontrapunkt Fuge- >Osanna<

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a-cappella-Chor Schluss harmonische Kadenz

Ehrerbietung milder Segensklang

Benedictus (T. 115-186) Solochor + großer Chor im Wechsel harmonische und polyphone Strukturen Topos der Ehrerbietung: Zurücknahme der Dynamik Wiederholung von >Osanna<

Benedictus (T. 1-58) einfache Melodie harmonische Strukturen Bild erzeugt Tonmalerei keine Wiederholung von >Osanna<

Zurücknahme der Dynamik einfache Melodie Fünfstimmigkeit melodiös

Licht und Zuversicht Ewigkeit

Agnus Dei >requiem< sempiternam< (T. 65-74) verlängerte Notenwerte Bildhaftigkeit >Et lux perpetua< (T. 75-85) Anabasis Öffnung der Gräber Topos in Verbindung mit bestimmten Effekten

Agnus Dei >requiem sempiternam< (T. 73-81) verlängerte Notenwerte Bildhaftigkeit Generalpause >Et lux perpetua< (T. 83-92) dynamischer Bereich sticht hervor + Tonhöhe

Dynamik hervorgehoben Tonhöhe Topos in Verbindung mit bestimmten Effekten Topos für Ewigkeit

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Gott- und Jesus-Rolle

>quia pius es< (T. 144-148) leere Quinte Symbol für Gräber Hinweis auf das ewige Leben / Licht

>quia pius es< (T. 111-117) kurze, dynamische Veränderung Agnus wird im E-Dur-Dreiklang beendet: Topos für Verehrung und Vollkommenheit

leere Quinte ewiges Leben dynamische Veränderung a-Moll wandelt sich in E-Dur E-Dur-Dreiklang Topos für Verehrung und Vollkommenheit

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7. Vokalstilistische Vergleiche mit ausgewählten Messen

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7. Vokalstilistische Vergleiche unter gattungsgeschichtlichen Gesichtspunkten mit ausgewählten Messen und Requiem- Vertonungen aus Spätbarock, Wiener Klassik und Romantik Basierend auf den obigen musikalischen und gattungsgeschichtlichen Ausfüh-rungen, werden Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen mit Werken aus Spätbarock, Wiener Klassik und Romantik verglichen. Ihr gattungsge-schichtlicher Standort wird dadurch gefestigt, und zur Erklärung werden die unterschiedlichen Zeiten mit einbezogen. »Es ist gewiss, dass die Musikge-schichtsschreibung nicht ohne den Begriff der Romantik auskommen kann. Es ist ebenso gewiss, dass sich mit ihm allein eine fest bestimmbare und abgrenz-bare Epoche der Musikgeschichte nicht bezeichnen lässt. Und es ist vollends gewiss, dass nur in der fundamentalen Einheit des Klassischen und Roman-tischen die fundamentale Einheit jener geschichtlichen Epoche erblickt werden kann, die von etwa der 1760er Jahren an (wenn man ihr Frühstadium einschließt) bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts gedauert hat«.1 7.1 Spätbarock Draesekes Werke zeigen Spuren der Spätbarockzeit. Den Weg zur Klassik kann man in den Ländern Italien, Frankreich und Deutschland im 18. Jahrhun-dert erkennen. Die Vorbereitung liegt in einigen stilistischen Merkmalen: Italien gestaltet die Sonatenform aus. Das Kopfthema erhält eine eigenständige Form. Die Exposition lässt ein kontrastierendes Thema bilden, ein zweites kommt später hinzu, und in der Durchführung werden Motive vielfach abgewandelt oder weiter verarbeitet. Die Reprise ist noch nicht vollständig etabliert. Der graziöse Ton in der instrumentalen Musik wird zuerst in Italien gefunden.2 1 Gerhard Dietel: Die Musik des 19. Jahrhunderts. In: Musikgeschichte in Daten. München. Kassel 1994, S. 334f. 2 Wie in der Operngeschichte so bilden sich auch in der Kirchenmusikgeschichte Italiens um einzelne Städte Komponistenkreise: Neapel, Rom und Bologna sind führend. Obwohl in Neapel die orchestrale Kirchenmusik in Verbindung mit der Oper gepflegt wird, denken die Komponisten durchaus an den stile antico. Alessando Scarlatti versucht mit einer fünfstimmigen Messe in der Weise sich Palestrina anzugleichen. Der stile antico ahmt die 5-stg. Sätze Palestrinas mit zwei Sopranen nach. Vgl. Edwin Hanley: Art. A. Scarlatti. In: MGG, Bd. 11. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London. Paris. New York. München 1989, Sp. 1500. Im 18. Jahrhundert wird die Besetzung des fünfstimmigen Chors mit Solosopranen die Regel. Scarlattis Schüler Durante verwendet in seinen Kompositionen gregorianische Melodien. Wichtig für die Musik ist Pergolesis >Stabat Mater<. Dieses Werk ist das angesehenste seiner Zeit und erinnert in der Melodienfindung an Mozart. Rom steht für die Tradition. Vgl. Helmut Hucke: Art. Pergolesi. In: MGG, Bd. 10. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London. München 1989, Sp. 1048f. Die erste Biographie Palestrinas erscheint in Bologna. Sie ist der theoretische Mittelpunkt der alten Vokalkunst. Frankreich entdeckt den Klavierstil. F. Couperin ist einer der Klavieristen, der das Barock in das Spielerische umwandelt. Im Gegensatz zum Barock entstehen

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In Deutschland bestimmen der Einfluss der Oper, des Sologesangs, der Orche-sterbehandlung und vor allem die Entfernung vom Zentralpunkt der Liturgie das Bild der Kirchenmusik des 18. Jahrhunderts. Die allgemeine Stilwende um die Mitte des 18. Jahrhunderts der Mannheimer Schule und der Wiener Vorklassi-ker setzt sich bald in der Kirchenmusik durch. In den Werken der Mannheimer Schule ist das Prinzip der Sonate stark gestaltet, wenn auch noch nicht vollendet. Aber die Vorarbeit zur Sinfonie ist geleistet. Die Kontrastierung der Formen von Solo und Tutti verliert sich. Alle Stimmen nehmen teil an der Entwicklung. Es ist mehr die Form einer konzertierenden Sinfonie, vor allem bei Stamitz, ferner in den Jugendwerken von Haydn und Mozart. Neben der weltlichen Musik steht die Kirchenmusik. Österreichisches kirchliches Leben bereitet der Musik den entsprechenden Boden: Messen, Hochämter, Vespern usw. werden gefeiert. Der A-cappella-Stil Palestrinas und auch die instrumen-tale Kirchenmusik werden in Wien aufgeführt und gepflegt. Die Messen und Requiem-Vertonungen von Felix Draeseke werfen im 19. bis zum 21. Jahrhundert die Frage auf, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und sie in den Gesamtrahmen >Messe< einzuordnen. Das 19. Jahrhundert ist reich an Messenkompositionen. Auf der einen Seite steht die künstlerisch-entwickel-te Vokalmusik, auf der anderen die religiöse Inhaltlichkeit der liturgischen Texte und deren Auslegung, sowie weiterführende Interpretationen. Die Bedeutung des Ritus und der Text dürfen von der Musik nicht verdrängt werden, sondern sie bilden mit der Musik den Mittelpunkt. Diese Lage unterstreicht am Ende des 19. Jahrhunderts den Streit zwischen restaurativen Kräften und dem Cäcilia-nismus in der katholischen Kirche. Ziel dieser Bewegung ist, liturgische Musik von der weltlichen absolut zu trennen. Dass die Trennung nicht klar definiert werden kann, belegen viele Beispiele. Es geht dem Cäcilianismus um eine liturgische Vertiefung. Er wehrt sich gegen die musikalischen Einflüsse des Weltlichen, des Dramatischen, vor allem aus dem Theater. Im 17. und 18. Jahrhundert sind dies die Erfahrungen, die im 19. Jahrhundert ausgelöscht werden sollten. Die Textbezogenheit des Liturgischen ist oberstes Gebot und damit die Fähigkeit, den liturgischen Ablauf in der vorgegebenen Richtung zu gewährleisten. Ein künstlerischer Gesichtspunkt muss dahinter zurücktreten.3

Die Form der Fuge wird abgelehnt, der gregorianische Choral wird bevorzugt eingesetzt, eventuell wird die Orgel als Begleitinstrument geduldet. Am Anfang des 19. Jahrhunderts bilden sich Restaurationsabsichten in der Münchener Schule unter K. H. Ett aus. Er verarbeitet Vokalmusik in alten polyphonen

Zusammenfassungen in kleinen Gruppen, mit homophoner Begleitung in Akkordbrechungen. Knud Jeppesen: Art. Palestrina. In: MGG, Bd. 10. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London 1989, Sp. 695f. Vgl. Honegger/Massenkeil (Hrsg.): Art. Couperin: In: Das große Lexikon der Musik in 8 Bänden. Freiburg. Basel. Wien 1979. Bd. 2, S. 221f. 3 Walter Senn: Art. Messe. Von 1600 bis zur Gegenwart. In: MGG, Bd. 9. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London. München 1989, Sp. 183f.

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Formen. Den Grundstock dazu nimmt die italienische Musik mit Palestrina ein.4 Dieser gewinnt mit seiner Polyphonie allmählich einen breiten Raum. Allerdings wird Palestrina so oft imitiert, dass das Unmittelbare in der Musik verloren-zugehen scheint.5 Fellerer zieht den Vergleich zwischen dem >stile antico< und dem >Secco-Rezitativ< aus der Oper. Hintergrund ist, den vorliegenden liturgischen Text schnell zu musizieren, aber eine Vertiefung im Sinne von Interpretationsmöglichkeiten findet dann nicht statt. Die Münchener Schule sieht noch auf künstlerische Ausführungen, während Regensburg sich mehr auf die Reduktion konzentriert. Der Cäcilianismus legt 1903 in der Enzyklika von Pius X. die Regeln zur Kirchenmusik fest.6 Der A-cappella-Stil wird streng ausgeführt. Er steht mit seinen Affekten im Gegensatz zur Neapolitanischen Schule. Daraus geht die sog. Nummernmesse oder auch Kantatenmesse mit eigenständigen Chorsätzen, Rezitativen, Arien und Duetten hervor. Diese gelten als opernhafte Musik. Ebenso gerät das Orchester in den Blick: es besteht vorzugsweise aus Bläser- und Streichersolo. Letztere werden beson-ders im textreichen Gloria und Credo angewendet.7 Draeseke hat sich nicht nur mit der unmittelbar vorangegangenen Musikge-schichte auseinandergesetzt, sondern für seine eigene Beurteilungsfähigkeit der Musik viele Kriterien im Laufe seines Lebens erarbeitet, indem er über seine Musikerkollegen berichtete und musikalische Besprechungen anfertigte. Dem jungen steht der ältere Draeseke gegenüber. Hier setzt er sich mit Wagner auseinander. »Die Furcht, trivial zu werden, hatte uns mehr oder minder zur Hypergeistreichigkeit und Unnatur geführt. Aber während sich dies bei den meisten Anderen in weicher, zum Teil kraftloser, freilich deshalb weniger zurückstoßender Weise äußerte, war meine Musik durchaus männlich, kernhaft, stolz, aber auch schroff, ja störrisch, bizarr und bombastisch über-trieben. Von jeher gut zuhause im Satzbau, kaprizierte ich mich, in den Dimensionen der Anlagen und in der langen Ausdehnung der Steigerungen alles Vorhergeleistete weit zu überbieten, ebenso hinsichtlich des Kolorits und der Anhäufung äußerer Mittel«.8 Nicht nur die Auseinandersetzung mit der Neudeutschen Schule, sondern auch die Wiederbelebung der alten Meister und damit die Musikgeschichte beschäftigen Draeseke in hohem Maße. 4 Otto Ursprung: Die katholische Kirchenmusik. Potsdam 1931, S. 265. 5 Ebd., S. 262. 6 Karl Gustav Fellerer: Der stile antico in der katholischen Kirchenmusik des 18. Jahrhunderts. In: Kongressbericht Wien 1927, S. 244. 7 Ebd., S. 244. 8 Felix Draeseke: LE, S. 86.

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7.1.1 Johann Sebastian Bach (1685-1750): Hohe Messe in h-Moll Bachs Hohe Messe in h-Moll ist für Felix Draeseke ein beliebtes Studienobjekt. Es ist das Werk aus dem Barock, das mehrere musikalische Grundsteine gelegt hat. Es zeichnet sich durch unverkennbare Phrasierung, polyphones Stimmengeflecht mit artikulierenden, phrasierenden Chören aus und großen Gesangslinien. Bach schreibt eine vokale und instrumentale Fülle in homo-phoner und vor allem in polyphoner Schreibweise.9 Bei ihm entwickelt sich aus der polyphonen Linienführung ein Klangfluss, der einen Eindruck entstehen lässt, dass er eine Kontemplation beabsichtigt. Partien des Sanctus lassen diesen Ausdruck zu. Tänzerische Triolen im Chor und Orchester werden durch eine folgende Fuge im musikalischen Charakter abgelöst.10 Auch im Draesekeschen Werk gibt es ähnliche Stellen. Zum Beispiel wirkt das lebhafte Gloria wie ein musikalischer Schnittpunkt, der mit völlig anderen Mitteln weiterarbeitet. Ein Methodenwechsel steht hier bei Draeseke auf dem Plan.11 Ein weiteres Stilmittel erhält Johann Sebastian Bach, indem er in seiner h-Moll-Messe eine musikalische Verschmelzung darstellt. Diese findet nicht nur bei der instrumental-vokalen Interaktion von Oboe und Alt-Solo statt, sondern die vokal gespielte Oboe korrespondiert mit dem Alt, der sich wiederum dem Instrument obertonreich nähert: >Qui sedes ad dextram patris<.12 Mit völlig anderen Stilmitteln erklärt und beschreibt Draeseke in seiner fis-Moll-Messe diese Stelle. Tatsächlich musiziert der vierstimmige Chor bei ihm im homophonen Satz und malt mit der Sprache und den Tönen die Statik des Sitzens im Diskant nahezu gleich bleibend aus. Das Orchester begleitet den Chor mit unterbrochenen Sechzehntelfiguren, die Bässe der tiefen Instrumente gehen in Oktaven, indem sie mehrere Tonarten dreiklangsmäßig durchlaufen. Mit diesen Dreiklängen als Topos wird die Vollkommenheit Gottes dargestellt. Der Komponist hat eine scheinbare Polyphonie eingebaut.13 Draeseke hat Bach aber auch in seinen großen Kontrapunktzügen studiert, nicht zuletzt auf Anraten Richard Wagners während der Schweizer Jahre. »Im Werk Johann Sebastian Bachs erlebte die polyphone Schreibweise noch einmal einen Gipfelpunkt, so dass im 19. Jahrhundert neben Palestrina auch Bach als Großmeister der Polyphonie genannt wurde«.14

9 Die Bezeichnung >Hohe Messe< erscheint erst 1845. Diese Messe besteht aus vier selbstständigen Teilen, die für den gottesdienstlichen Gebrauch in Leipzig gesondert musiziert wurden. 10 Johann Sebastian Bach: Messe in h-Moll. BWV 232. Sanctus, Chor, T. 1-47. Ab Takt 48 wird eine Fuge formuliert: Pleni sunt coeli. 11 Felix Draeseke: fis-Moll-Messe, op. 60. Gloria, Chor/Orchester, T. 1-12. Ab T. 13 erklingt der Kleine Chor: Et in terra pax. 12 Johann Sebastian Bach: Messe in h-Moll. BWV 232. Gloria: Qui sedes ad dextram: Altsolo, ab T. 18. Kassel 1971. 13 Felix Draeseke: fis-Moll-Messe, op. 60. Gloria, Chor Orchester, T. 144-152. 14 H. Wohlfahrt. In: Das große Lexikon der Musik in 8 Bänden. Bd. 6. Hrsg. von Honegger/ Massenkeil. Freiburg. Basel. Wien 1976, S. 308f.

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Mehrmals arbeitet Draeseke mit rhythmischen Überlagerungen, sowie mit rhythmischen Motiven. Besonders auffällig ist der Domine-Satz im h-Moll-Requiem mit dem verarbeiteten cantus firmus.15 Die ausführenden Hörner signalisieren eine >tröstende Zuversicht<. Die Ausführungen der Fugen zeugen davon, dass Draeseke sich Johann Sebastian Bach als musikalisches Vorbild genommen hat. Im h-Moll-Requiem ragt das Dies irae in seiner Anlage heraus und weist ebenfalls auf Johann Sebastian Bach hin. »Jetzt komponiert er einen Teil des mittelalterlichen >Dies irae< und beginnt somit seine Laufbahn als Kirchenmusiker mit einem lateinischen Werke, wobei er sich gleichzeitig Bach zum Führer nimmt«.16 Die Sequenz beginnt mit dem Dies irae und spart nicht mit tonmalerischen Auffälligkeiten, die das Entsetzen über das Jüngste Gericht darstellen. Ebenso wird das >Tuba mirum<17 hervorgehoben. Im >Rex tremendae< wird die Hoffnung auf ein besseres Leben angekündigt, das >Recordare< überlässt den Solisten und dem kommentierendem Chor einen breiten musikalischen Raum. Ein folgender Höhepunkt wird bei >Qui Maria< erreicht, das an die Opernwelt Verdis erinnert. »Staunenswert, mit welcher Kühnheit das alles hingeworfen ist. Ebenso, dass der Komponist nirgends ins Theatralisch-Grelle und rein Konzertmäßige abgleitet, sondern sich des liturgisch-kirchlichen Rahmens stets bewusst bleibt«.18 Das Orchester im h-Moll-Requiem gestaltet das Requiem mit, indem es den Wortsinn des Textes unterstreicht und den Gehalt musikalisch-reflektorisch behandelt. Draesekes Klangvorstellungen beeindrucken besonders in der Zusammenführung von Chor, Solisten und Orchester. An einigen Stellen versucht der Komponist mit Hilfe der Instrumentierung den Chorklang zu imitieren. Er schafft dadurch große Kontraste, die zum Beispiel bei >Et in terra pax< belegt werden.19 Johann Sebastian Bach hat an gleicher Stelle eine deutliche kontrastreiche Zäsur eingebracht.20 Eine hohe Dramaturgie ist bei der Stelle >Et resurrexit< nachzuvollziehen. Die Männerstimmen beginnen mit einem großen Aufstieg, die beiden Frauen-stimmen folgen. Der Orchesterpart geht in den oberen Stimmen parallel zu den Chorstimmen, während wieder Basspartien in großzügiger Gegenbewegung und in Oktaven das musikalische Bild bestimmen.21 Bei Johann Sebastian Bach wird dieser Teil zunächst von einem fünfstimmigen Satz Note gegen Note beschrieben. In der Fortführung formuliert der Komponist einen fugenartigen Satz, der mit homophonen Teilen durchsetzt ist.22 Johann Sebastian Bach hat in seinem Credo der h-Moll-Messe altkirchliche gregorianische Intonationen

15 Felix Draeseke: h-Moll-Requiem, op. 22. Domine Jesu Christe, T. 9-23. Die rhythmischen Besonderheiten liegen in dem Satz um den vollständigen cantus firmus. 16 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 1. Berlin 1930, S. 169. 17 Felix Draeseke: Requiem h-Moll, op. 22: Dies irae: Chor, T. 80-102. 18 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 75. 19 Felix Draeseke: Messe fis-Moll, op. 60: Gloria, Kleiner Chor, T. 13-19. 20 Johann Sebastian Bach: Hohe Messe in h-Moll: Gloria, 5-stg. Chor, T. 101-113. 21 Felix Draeseke: Messe fis-Moll, op. 60: Credo, T. 205-215. 22 Johann Sebastian Bach: Hohe Messe in h-Moll. Credo, T. 205-215.

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benutzt. Das Thema ist in einem mixolydischen Tonraum gehalten. Er ent-wickelt daraus eine Fuge.23 Draeseke schreibt ein musikalisches Gegenteil.24 Sein Credo-Thema erscheint mehrmals als statische Figur und ist homophon gestaltet. In der Fortsetzung werden Zwischenteile zwar fugatoartig angelegt, aber wieder von statischen Figuren aufgefangen. Durch diese Art des Wechsels erzielt Draeseke ein spannendes musikalisches Mit- und Gegen-einander. Bach lässt im Credo größere Linienzüge zu, Draeseke arbeitet mit kleineren musikalischen Schritten. 7.2 Wiener Klassik Klassik bedeutet in den Lebensformen der Menschen eine Höchstleistung der Kunst, in der Harmonie, die in der Ausgewogenheit des künstlerischen Schaffens ihr Wesen hat. Wie das Weimar Schillers und Goethes der tragende Ort der klassischen deutschen Dichtung war, so war das Wien der großen Musiker Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert der Mittelpunkt. Die Kompo-nisten dieser Zeit stellen sich bewusst auf einen leichteren Charakter der Musik ein, der gefälliger zu sein scheint. Statt des Barock will man das Rokoko in seinen beiden Spielarten, der französisch-galanten und der deutsch-empfind-samen Art. Ein dritter Stilbegriff taucht im Sturm und Drang auf.25 Ein Verfall der katholischen Kirchenmusik ist in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu beobachten. Mozarts und Haydns Messen werden in dem Zusammenhang genannt.26 Doch gelten für die Messen Draesekes die herausragend sinfonischen Vorbilder von Ludwig van Beethoven, Franz Schubert und Robert Schumann, auch Anton Bruckner und weitere Komponisten.27

23 Johann Sebastian Bach: Hohe Messe in h-Moll. Credo, Tenor, T.1-4. 24 Felix Draeseke: Messe in fis-Moll op. 60: Credo, Chor, T. 9-15. 25 Um 1770 wird in Anlehnung an die deutsche literarische Bewegung des >Sturm und Drang< die Anwendung des literarischen Stilbegriffs auf die Musik teilweise angewendet. 26 Otto Ursprung: Die katholische Kirchenmusik. Potsdam 1931, S. 264. 27 Karl Gustav Fellerer: Bruckner und die Kirchenmusik seiner Zeit. In: Mahling, Christoph-Hellmuth (Hrsg.): Anton Bruckner. Gedenkschrift Walter Wiora. Tutzing 1988, S. 44. Es werden nur einige Messenkomponisten genannt. Im erweiterten sprachlich- musikalischen Umfeld sind noch Luigi Cherubini, Charles F. Gounod und Cäsar Franck hervorzuheben.

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7.2.1 Franz Joseph Haydn (1732-1809): Missa in Tempore Belli Paukenmesse Franz Joseph Haydns >Missa in Tempore Belli< entsteht um 1796 unter dem musikalischen Eindruck Georg Friedrich Händels. Haydn befindet sich bei ihm in London. Wie in jedem Jahr sollte Haydn eine Messe verfassen, die am Namenstag der Fürstin Josepha Maria in Eisenstadt aufgeführt werden sollte. »Die Uraufführung der Paukenmesse scheint am 13. September 1796 in Eisenstadt stattgefunden zu haben«.28 Joseph Haydn lernt wie Draeseke alte Satztechniken und Aufführungsmöglichkeiten kennen. Es wirken auf ihn ver-schiedene Strömungen: der Palestrina-Stil, die Satztechnik der alten Nieder-länder, Fux, der sich eng an Palestrina anlehnt und Johann Sebastian Bach in seinem barocken Stil. Besonders muss auf Haydn und auch auf die anderen Musiker die >Kunst der Fuge< gewirkt haben. Haydn lernt die Hauptform auf kirchenmusikalischem Gebiet -die Messe- kennen. Sie zeigt ihren Ursprung in der neapolitanischen Missa, ist weitgehend homophon im Satzbau. Diese Homophonie weist aber eine hohe melodische Linearität auf. Die Messe ist kurz angelegt, sie besteht aus Chorsatz, Solo, Duett und Arie und erscheint in den frühen Jahren als Missa brevis.29 Ab 1796 wendet sich Haydn dem gesamten Messe-Kanon mit allen fünf Ordinarien zu. Die >Paukenmesse< birgt in ihrem Kyrie einen konzertierenden Sopran und Alt. Beide Stimmen werden vom harmonisch gestalteten Chor eingerahmt.30 Im Gloria musiziert ausschließlich der vierstimmige Chor. Das >Qui tollis peccata mundi< wird in einem Bassrezitativ geformt, der Chor fährt mit dem >Miserere< fort, das harmonisch erklingt. Das Credo zeigt die Form einer Fuge: Der Chor mit verteilten Soli wechselt ab. Das Sanctus stellt ebenfalls einen Wechsel von Soli und Chor dar. Das Benedictus wird erst durch einen kurzen, instrumentalen Satz eingeleitet. Es folgt ein Solochor, der fugatoartig aufgebaut ist. Das letzte >Osanna< übernimmt der Chor. Im abschließenden Teil, im Agnus Dei der Messe, verwendet Haydn die Pauke. Deshalb hat die Messe die Bezeichnung Paukenmesse. Hier musiziert ein solistisches Quartett, der Chor beschließt es mit >Dona nobis pacem<. Die Besetzung des Orchesters bei Haydn sieht zwei Flöten, zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Fagotte, zwei Hörner, zwei Trompeten und ein Paar Pauken vor. Draeseke unterscheidet sich von Haydn, indem er einen wesentlich größeren Orchesterapparat im h-Moll-Requiem und ebenfalls in der fis-Moll-Messe vorsieht: Im h-Moll-Requiem wird folgende Instrumentierung gefordert: Chor, Einzelquartett, großes Orchester (mit 4 Posaunen und Englischhorn). Die 28 H.C.R. Landon: Vorwort zur Missa in Tempore Belli. Buggiano Castello 1961. 29 Die Missa brevis umfasst die Sätze Kyrie, Gloria und Credo. Missa brevis und Missa Solemnis mit den fünf Ordinarienteilen stehen sich gegenüber. 30 Joseph Haydn: Missa in tempore belli. Kyrie, T. 11-93.

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Besetzung der fis-Moll-Messe lautet: Chor, Soli, Orchester (2 Fl, 2 Ob, 2 Fag, 4 Hr., 2 Tr, 3 Pos., Pk, Str.-Orch.). Haydns Messenkompositionen nach 1790 unterscheiden sich von den frühen. Die einzelnen Teile sind im Gegensatz zu früher organisch aneinandergereiht. Das solistische Moment ist gerafft. Außer diesen Solopartien gibt es am Ende des 18. Jahrhunderts solistische Quartette. Der Komponist stellt dem Tutti-Chor ein solistisches Quartett gegenüber.31 Draesekes h-Moll-Kyrie beginnt mit einer Chaconne, der Solobass gestaltet mit der vierten Variation den weiteren musikalischen Boden.32 Auch er ist für die genannten und andere Stileinwirkungen empfänglich. Italienische Züge sind wie bei Haydn unverkennbar. Die Form der Missa Solemnis überträgt er. Alle fünf ordinarischen Stücke und deren liturgischen Texte verleihen dem Orchester entweder begleitende Funktionen oder auch sinfonischen Charakter. 7.2.2 Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791): Messe in c-Moll KV 427 Obwohl die Kirchenmusik nicht den zentralen Bereich von Mozarts Kompo-sitionen ausmacht, bildet er doch einen großen Teil seines Werkes. Die Entstehung im Allgemeinen fällt in verschiedene Lebensabschnitte. Außerdem hängt das Komponieren von Kirchenwerken in seiner Zeit mit Aufträgen oder Dienstanweisungen zusammen. Sein kirchenmusikalisches Schaffen gliedert sich in zwei große Gruppen: In Messen und in kirchenmusikalische Kleinformen wie Propriumsgesänge, Offiziumsgesänge, Litaneien, deutsche und lateinische Kirchengesänge und instrumentale Kirchenmusik. Er hat seine Messen vorwiegend in den Salzburger Jahren (1768-1783) geschrieben, die unter-schiedlich komponiert worden sind. Es machten sich dabei Beeinflussungen der Erzbischöfe Schrattenbach und Colloredos bemerkbar. Die ersten Arbeiten sind daher aus dem Geist der italienischen Oper und vom Barock geprägt, entstanden.33 Diese Messen gehen auf die Missa brevis mit ihren fünf Ordinariums-Sätzen zurück. Mitte des 18. Jahrhunderts vermischt man die Missa brevis mit der Missa solemnis.34 Die Große Messe in c-Moll, KV 427, zeigt zu den Salzburger Messen einen gegensätzlichen Charakter, einen freien Stil. Der Komponist hat das Agnus Dei nicht komponiert. Vom Credo, Sanctus und Benedictus gibt es nur unvollständige Skizzen Mozarts. Das fehlende >Crucifixum< ist aus einer achtstimmigen Doppelfuge entstanden, aus der Oper >L‘ Oca del Cairo<.35

31 Dabei hat Franz Joseph Haydn vermutlich an die venezianische/römische Schule gedacht. 32 Felix Draeseke: Messe fis-Moll op. 60: Kyrie, T. 20-26. 33 Karl Gustav Fellerer: Der stile antico in der katholischen Kirchenmusik des 18. Jahrhunderts. In: Kongressbericht Wien 1927, S. 244. 34 Leopold Kantner: Tradition, Gegenwart und Zukunft in Haydns Messkompositionen. In: Musica sacra. Jg. 102. Heft 2. 1982, S. 68. 35 Berliner Staatsbibliothek. Der Grund, warum Mozart diese Messe nicht abschloss, lag offenbar in einem Versprechen: 1783 gab Mozart die Komposition aufgrund eines Gelübdes wegen seiner Hochzeit mit Constanze Weber auf. Er selbst hatte Teile der Messe in der

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»Die Messe c hat Mozart niemals vollendet, vermutlich weil ihre Dimensionen die Bedürfnisse des Gottesdienstes gesprengt haben würden, vielleicht auch, weil er nach seiner Rückkehr von Salzburg 1783 in Wien für Kirchenmusik keine Verwendung hatte«.36 Der früheste Versuch einer Ergänzung der Messe stammt von Aloys Schmitt, der sie 1901 in Dresden aufführen ließ.37 »Der Einfluss norddeutscher, protestantischer Kunst ist in dieser Messe unverkenn-bar«.38 Der musikalische Hintergrund der c-Moll-Messe ist die Kantatenmesse, die Solostimmen sind konzertant angelegt. Bach und Händel spiegeln sich in Mozarts Credo und Sanctus wider.39 40 Auch im Credo-Satz Draesekes sind ähnliche Note-gegen-Note-Sätze vorhanden.41 Das deklamatorische Prinzip wird ebenso von Draeseke in den Vordergrund gestellt und dieses bei jedem neuen Credo-Einsatz. Im Sanctus Draesekes wird der kirchenmusikalische Aspekt wiederum unterstrichen.42 Die klassische Musik ist mit ihrem Prinzip des Gegensatzes Vorbild für klangliche, harmonische, rhythmische und vor allem motivisch-thematische Arbeit. Ab 1796 wird die sinfonische Messenkomposition von Haydn bis Bruckner geführt.43 Diese musikalischen Sichtweisen wirken sich auf das gesamte 19. Jahrhundert aus, allerdings bei einzelnen Komponisten auch mit gravierend unterschiedlich komponierten Schwerpunkten. Mozart bereitet den Introitus mit fünf Takten im Orchester vor. Dabei arbeitet er mit der Umkehrung des Themas. Er entwickelt es von der Tiefe bis in die Höhe in einem c-Moll-Dreiklang und lässt die Chorstimmen nacheinander einsetzen.44 Draeseke bereitet das Orchester in einer fünftaktigen Chaconne vor. Sofort fällt der vierstimmige Chor mit den Kyrie-Rufen ein.45 Man findet bei Draeseke eine Fülle der genannten Kriterien in seinen Messen wieder. »Doch sollte man bei einer Beurteilung von Draesekes Kompositionsart nicht allein die Tatsache betonen, dass hier kontrapunktische Gestaltungen die Musik maßgebend bestimmen, sondern es beachten, wie Draeseke, der

Salzburger Stiftskirche St. Peter aufgeführt. In: Mozart: Große Messe in c-Moll, KV 427, Leipzig. Berlin. Dresden 1901, Vorwort. 36 Friedrich Blume: Art. Mozart. MGG, Bd. 9. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London. New York 1961. München 1989, Sp. 783. 37 Hermann Abert wendet sich gegen das koloraturenreiche >Et incarnatus est<, in: KV 427. In: Mozart: Große Messe in c-Moll, KV 427, Leipzig. Berlin. Dresden 1901, Vorwort. 38 Aloys Schmitt: Mozart: Große Messe in c-Moll. Dresden 1901. Vorwort. 39 W. A. Mozart, KV 427: Credo, Chor, T. 14-24. 40 Ebd., Sanctus, Chor, T. 1-16. 41 Felix Draeseke: fis-Moll-Messe: Credo, T. 9-29. 42 Ebd., Sanctus: T. 3-16. 43 Leopold Nowack: Die symphonische Kirchenmusik. In: Karl Gustav Fellerer/ Heinrich Lemacher (Hrsg.): Handbuch der Kirchenmusik. Essen 1949, S. 202f. 44 W. A. Mozart: KV 427: Kyrie, T. 1-26. 45 F. Draeseke: fis-Moll-Messe op. 60. Kyrie: T. 1-29.

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Fugenmeister, wie Hans Moser ihn nannte46, sie in den Standard der neudeut-schen Kompositionsart integriert«.47 7.2.3 Wolfgang Amadeus Mozart: Requiem d-Moll (1756-1791) KV 626 Im Jahr 1791, nachdem acht Jahre nach der ersten Messenkomposition vergangen sind, schreibt Mozart sein Requiem. Der Komponist hat es nicht mehr vollenden können. Introitus, Kyrie, die Sequenz >Dies irae< bis >Lacrimosa< im neunten Takt, ferner die Sätze Domine Jesu und Hostias stammen in der Partituranlage mit allen Sing- und den wichtigsten Orchesterstimmen von Mozart. Den Rest der Messe soll Franz Xaver Süßmayr zu Ende komponiert haben. Joseph Eybler ist an der Instrumentation nicht unbeteiligt.48 Die Instrumentation der Totenmesse nimmt auf den Stimmungs-gehalt der Trauer und Klage Rücksicht, indem alle hellen Farben zurück-gedrängt werden. Flöten, Oboen und Klarinetten fehlen ganz. An ihre Stelle treten zwei Bassetthörner. Die Aufführung des Requiems hat bis heute in der Kirche und im Konzertsaal stattgefunden. Teilweise trennt Draeseke in seinem h-Moll-Requiem den Frauen- vom Männerchor und führt die Stimmlagen später wieder zusammen. Dieses Prinzip ist in Mozarts Requiem ebenso vertreten.49 Auch die Instrumentierung spiegelt obiges Verteilen wider: Die Männerstimmen werden in Draesekes h-Moll-Requiem von Blechbläsern, die Frauenstimmen von Holzbläsern an bestimm-ten Stellen unterstützt. Dabei erfüllen sie interpretatorische Rollen und Aufgaben, einmal stellen sie die Hölle, zum anderen den Himmel dar.50 Reminiszenzen aus dem Introitus beschließen das Lacrimosa mit >Dona eis requiem<. Die Sequenz ist beendet. Das Gewicht Mozarts und Beethovens hat für den Komponisten Draeseke eine große Bedeutung. Denn »rückschauend erwirbt er [Draeseke] einmal das Erbe großer Vorgänger zu neuem Besitz. Sein nächster Anknüpfungspunkt ist die Missa solemnis. Anregung zur Anlage [h-Moll-Reqiem] holt er sich beim letzten 46 Hans Joachim Moser: Geschichte der deutschen Musik. Stuttgart. Berlin 1928, S. 209. 47 Peter Andraschke: Felix Draesekes Requiem op. 22. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 165. 48 »Das letzte Werk Mozarts, das Requiem, blieb gleichfalls [wie die c-Moll-Messe] unvollendet. An seiner Vollendung haben verschiedene Hände mitgearbeitet, die Frage aber, was echt, was von anderer Hand hinzugesetzt ist, gehört zu den prekärsten der Forschung. Der Großteil der Komposition stammt jedoch, von Fragen der Instrumentation abgesehen, eindeutig von Mozart selbst«. A. Abert: Mozart. In: Das große Lexikon der Musik. 8 Bände. Hrsg. von Honegger/Massenkeil. Bd. 5. Freiburg. Basel. Wien 1981, S. 378. 49 W. A. Mozart: Requiem d-Moll, KV 626: Dies irae, T. 1-19, vierstimmig komponiert. 50 Felix Draeseke: h-Moll-Requiem: Dies irae, T. 1-34, ist fugatomäßig aufgebaut und dadurch ausführlicher gestaltet als bei Mozart. Die Grundtonart d-Moll stimmt überein.

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Mozart, der schon den Musikstudenten in den echten Teilen seines Requiems größer erschien als in seinen Opern«.51 Der Kreis der musikalischen Beein-flussung Draesekes wird in seiner Zeit noch erweitert. Hans Joachim Moser be-schreibt das Dies irae im h-Moll-Requiem und in der fis-Moll-Messe: »Dass der Dresdener Meister auf dem Gebiet geistlicher Gesangsmusik am glücklichsten gewesen, beweist schon die schöne Linienführung und das packende >Dies irae< seines h-Moll-Requiems op. 22. Die große, Kretzschmar zugeeignete fis-Moll-Messe op. 60, zeigt den Fugenmeister voll entwickelt und hält einen würdigen Mittelweg zwischen Liszts Dramatik und Brahmsscher Gediegenheit ein«.52 Beide Werke Draesekes stellen auch Mozartsche Passagen dar. So steht in der äußeren Anlage die Behandlung des Chors und dessen Hervorhebung bei beiden Komponisten an erster Stelle. Die sprachliche Basis mag ein Grund dafür sein. Auf der anderen Seite ist vor allem bei Mozart der Einfluss Georg Friedrich Händels festzustellen. Mozart wendet alte Kategorien wie akkordisch, gesangliche und imitatorische Arbeit an. Auch Draeseke ist offen gegenüber diesen Kategorien. Georg Friedrich Händel nimmt somit bei Draeseke einen indirekten musikalischen Einfluss. Dieser ist auch in der Fuge zu hören und zu sehen.53 Draeseke bringt wie Mozart auf der Basis der gelernten Formgebung eigene Ideen, indem er wie dieser den Bass mit einem Fugenthema beginnen lässt.54 Zum Schluss erinnert Draeseke noch einmal an den eingebundenen und verarbeiteten Choral >Jesus, meine Zuversicht<. Polyphone und harmonische Blöcke wechseln wie bei Mozart miteinander ab.55 »Die Differenzierung der verschiedenen Arten des Vokalsatzes verhilft Mozart neben der damit gewonnenen scharfen Profilierung der einzelnen Sätze des Werkes zu einer reichen und wechselvollen Binnengliederung, die es ihm insbesondere auch erlaubt, nicht nur dicht am Text entlang zu komponieren, sondern damit zugleich Stützen der musikalischen Form zu entfalten«.56 Diese Aussage kann auch im Allgemeinen und Besonderen auf Felix Draeseke angewendet werden. Der Choral, den Draeseke einsetzt, unterstützt die geistige Interpretation, die Schrecken des Todes zu überwinden. Hier wird von außen her ein weiteres Interpretationsmittel zur Verfügung gestellt.57

51 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 70. 52 Hans Joachim Moser: Geschichte der deutschen Musik. Bd. 2. Stuttgart. Berlin 1924, S. 209. 53 W. A. Mozart: Requiem d-Moll, KV 626. Domine Jesu Christe, Bass, T. 44 f. 54 »Das Requiem [h-Moll] wurde von Anfang an neben die berühmten Totenmesse von Mozart und Cherubini (c-Moll) gestellt«. In: Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 99. 55 Felix Draeseke: h-Moll-Requiem op. 22: Domine Jesu Christe, Bass, T. 222 f. 56 Christoph Wolff: Mozarts Requiem d-Moll. Kassel. Basel. London. New York 1991, S. 95. 57 Was mag den Komponisten veranlasst haben, diesen Weg zu beschreiten und eine doppelte Aussage, oder sogar eine gegensätzliche anzuwenden? Der Ursprungstext der Requiem-Vertonung ist nicht so zuversichtlich in seiner Aussage wie der tröstende Text des Chorals. Zwei verschiedene literarische Quellen werden hier miteinander vermischt.

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Im >Agnus Dei< der e-Moll-Requiem-Vertonung wird besonders zum Schluss durch die 2. Bassstimme die Aussage >cum sanctis tuis< hervorgehoben,58 ähnlich wie in Mozarts Requiem, der an dieser Stelle das Bassetthorn einsetzt.59 Die Mozart-Rezeption zeichnet am Beispiel der Messen durch die Cäcilianer ein differenzierteres Mozart-Bild: »Ausgehend von der Prämisse, Kirchenmusik sei ausschließlich liturgische Musik, also ausgehend vom Primat des Kultischen vor dem Künstlerischen, wird der Mozart der modernen Messe für die Cäcilia-nisten zum Dekadenten. Andererseits steht seine Sakralmusik als Exponent des musikalisch Schönen, wenn auch im Schatten Beethovens«.60 7.2.4 Ludwig van Beethoven (1770-1827): Missa Solemnis op. 123 »Auch E. T. A. Hoffmann, von dem der musikalische Romantikbegriff wesent-lich geprägt wurde, zielte, als er 1810 in seiner Rezension von Beethovens Fünfter Sinfonie die Instrumentalwerke Haydns, Mozarts und Beethovens als rein romantisch rühmte, unverkennbar auf einen Rangbegriff«.61 An Haydns kirchenmusikalische Werke knüpft Beethoven an, denn er ist seit 1792 Schüler von Haydn und Salieri. Allgemein lassen sich bei ihm drei Stilphasen festmachen: im kantatenartigen Wechsel zwischen Chor- und Soloabschnitten, durch motettenartige und ariose Kompositionsweise und in der thematischen Arbeit knüpft Beethoven an die Tradition der letzten großen Messen von Haydn an. Seine Missa solemnis D-Dur entsteht in den Jahren 1814-1822. Während Beethovens erste Messe C-Dur op. 86 sich noch eng an Haydn und Palestrina anschließt, greift die Missa solemnis op. 123 über alle Vorbilder weit hinaus. Vor allem weist der kontrapunktische Teil eine außerordentlich thematische Arbeit auf. »In der Missa solemnis, nach seiner [Beethovens] Aussage seinem besten Werk, führt er eine ganz persönliche Sprache, die bei aller formalen und thematischen Meisterschaft den Bekenntnischarakter des gewaltigen Werkes hervorhebt«.62 Die Messe ist zur Inthronisierung des Erzherzogs Rudolf als Erzbischof von Olmütz vorgesehen. Beethoven lässt bei der Uraufführung Einzelsätze der Missa solemnis im Konzertsaal aufführen: Die Ausführung liegt bei 4 Solo-stimmen, Chor, Orchester und Orgel. Beethoven betrachtet seine Missa solemnis als streng liturgisches Stück, obwohl der Umfang ein Einflechten in die übliche liturgische Handlung Schwierigkeiten bereiten würde. Außerdem »sehen wir heute, dass er nicht nur in ungeahntem Ausmaß traditionelles

58 Felix Draeseke: Requiem e-Moll: Agnus Dei, T. 92-117. 59 W. A. Mozart: Requiem d-Moll: Agnus Dei: Communio: ab T. 65. 60 Antje Müller: Internationaler Mozart-Kongress 1991 in Salzburg. In: Musica 45. Jg. 1991, Heft 3. Hrsg. von Barbara Barthelmes, Hans-Klaus Jungheinrich, Wulf Konold u. a., S. 188. 61 Carl Dahlhaus (Hrsg.): Die Musik des 19. Jahrhunderts. Bd. 6. Wiesbaden 1980, S. 15. 62 Joseph Schmidt-Görg: Art. Beethoven. In: MGG, Bd. 1. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London. München 1989, Sp. 1541.

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Gedankengut übernommen, sondern viel ältere, verschüttete Traditionen wiedererschlossen und musikalische Ideen so konkret und klar gestaltet hat wie das Jahrhundert, in dem er geboren war - freilich mit ungleich freierem persön-licherem Vokabular«.63 Beethovens Messen sind als Fortführung von Haydns Messen zu werten. Wiederum Beethoven, Mozart und auch Haydn greifen auf den Händelschen Musikstil zurück, denn die Wiener Klassik hat sich besonders mit den Werken Händels ausgekannt. Daher ist Händels kompositorischer Stil in den Chorausführungen besonders zu finden.64 Eine Übernahme von Haydns >Missa in tempore belli< ist das Agnus als Vorlage für Beethovens Missa op. 86. Hier ist schon der subjektive Eindruck der Missa solemnis vorgezeichnet. Sinfonische Formen werden von Beethoven in der Missa op. 86 verstärkt geschrieben. Die fünf Ordinariumssätze sind abgerundete Formen. Sie werden nicht durch musikalische Unterteilungen unterbrochen, die Gesangsstimmen sind gleichermaßen mit der Textformu-lierung betont, gestützt auf ein sinfonisch angelegtes Orchester. Die Solo-stimmen interpretieren bestimmte Stellen, die besonders von Dramatik ge-kennzeichnet sind. In dieser Messe verwendet Beethoven das Kyrie-Thema am Ende des Agnus wieder.65 Beethoven erweitert seine Ansichten über die Messe, indem er in der Missa solemnis >in vollkommener Freiheit persönlicher Eigenart< seine Komposition schreibt.66 Das findet auch seinen Niederschlag in der Überschrift >Bitte um innern und äußern Frieden<. Der liturgische Text tritt danach in den Hinter-grund, und eine weitere Betrachtungsweise über den >Krieg< schiebt sich vor.67 In Beethovens Missa solemnis finden Effekte statt, die vom Komponisten gezielt eingesetzt werden. Er spricht davon, dass es seine Absicht gewesen sei, sowohl bei den Sängern und Zuhörern, religiöse Gefühle zu erwecken und eine bleibende Situation zu erreichen. Mit diesen Bemerkungen hebt er das Urteil über die Missa solemnis auf, das besagt, dass die Religiosität vom Werk selbst in den Hintergrund gedrängt würde.68 »So ergreifend aber der Drama-tiker Beethoven alles dies wiedergegeben hat, so merkt man ihm doch an, dass er zu dem Texte selber nicht in so inniger Beziehung steht, als die einer glaubensstarken Zeit angehörigen Meister Bach und Händel«.69 Draeseke übt

63 Warren Kirkendale: Beethovens Missa solemnis und die rhetorische Tradition. In: Beethoven-Symposion. Hrsg. von Erich Schenk. Wien 1970. (Veröffentlichung der Kommision für Musikforschung). Heft 12. Wien 1971, S. 122. 64 Theodor Göllner: Händel und die Wiener Klassiker. In: Deutsch-englische Musikbeziehungen. München 1985, S. 98f. 65 Joseph Schmidt-Görg: Die Messe. In: Karl Gustav Fellerer (Hrsg.): Das Musikwerk. Heft 30, 1967, S. 15. 66 Leopold Nowack: Die symphonische Kirchenmusik. In: Karl Gustav Fellerer und Heinrich Lemacher (Hrsg.): Handbuch der Kirchenmusik. Essen 1949, S. 203. 67 Ebd., S. 203. 68 Joseph Schmidt-Görg: Missa solemnis. Bonn 1948, S. 25. 69 Felix Draeseke: Musikgeschichtliche Vorlesungen. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 7. Hrsg. von Michael Heinemann, Maria Kietz und Helmut Loos. Leipzig 2007, S. 83.

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weiter Kritik an Beethovens >kriegerische[n] Klänge[n], Trompetenfanfaren, aufgeregte[n] Tremolos<, und die musikalischen Beweggründe seiner Zeit werden durch ihn klar formuliert: »Kurz und gut, [dass] der ganze Styl des Agnus nicht allein, sondern der Messe überhaupt aufgegeben wird und wir uns von der Kirche, wenn nicht in das Theater, doch in den Concertsaal versetzt glauben müssen«.70 Wie Draeseke den Kyrie-Ruf in der fis-Moll-Messe durch das aufwärts steigende Orchester vorbereitet, so lässt er ihn in einem vierstimmigen Satz erklingen. Kleiner Chor und großer Chor wechseln miteinander ab, indem sie blockweise das vorgeschriebene Dynamikzeichen beibehalten, entweder im p oder f. Die dynamische Linie kann nur durch >crescendo< oder >decrescendo< oder durch einen fugato- und terrassenmäßigen Aufbau von den Männer-stimmen bis zu den hohen Frauenstimmen oder auch umgekehrt, von der Sopranlinie bis zum Bass, geändert werden. Der große dritte Kyrie-eleison-Ruf wird von Draeseke in einer filigranen Fuge mit unterschiedlichen dynamischen Zeichen dargestellt.71 Dieser wird als klassischer Komponist bezeichnet, als ein »Wortmusiker, der vom letzten Beethoven ausgeht und geistige Mitarbeit verlangt. Dessen Missa blieb nicht ohne Einfluss, wie äußere Züge beweisen«.72 Die kompakten Sätze der Missa Solemnis Beethovens stehen sich mit ihren teilweise großen Klangüberlagerungen auf der einen Seite und den kontemplativen Partien zum Beispiel des Sanctus im Violinsolo gegenüber.73 Auch Draeseke verbindet ebenso konträre kompositorische Seiten. Die Dresdner Nachrichten schrieben 1893: »Die Draesekesche Messe [fis-Moll] reicht an Umfang und Gestaltung direkt an die Messen von Beethoven und Bach heran«.74 Draeseke äußert sich 1857 über Beethovens Missa Solemnis: »So ist auch bei der Missa Solemnis das Wort Formlosigkeit durchaus nicht angebracht, da im Gegentheil sehr schöne Formen durch das neue Verfahren zutage gekommen sind. Die formelle Haltung des Ganzen ist nur aus dem Texte hervorgegangen und nach ihm gebildet worden«.75

In Beethovens Missa Solemnis wird der Kyrie-Satz ebenfalls mit einem Orchestervorspiel, aber wesentlich länger als bei Draesekes fis-Moll-Messe, eingeleitet. Es wechseln drei Chor- und drei Solosätze miteinander ab. In der Regel gibt es vierstimmige Sätze, die aber in sich dynamisch differenziert musiziert werden. Auffallend sind die unterschiedlichen dynamischen Zeichen innerhalb eines Kyrie-Rufes und der Topos zeigt sich ohne Stimmbewegung.76 70 Ebd., S. 85. 71 Felix Draeseke: Messe in fis-Moll op. 60: Kyrie, T. 1-50, besonders ab T. 88 f. 72 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 246f. 73 L. van Beethoven: Missa Solemnis. Kyrie- und Sanctus-Satz. 74 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2, S. 246. 75 Felix Draeseke: Äußerungen über Beethovens Missa Solemnis. In: Felix Draeseke. Schriften 1855-1861, Bd. 1. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke- Gesellschaft). Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1987, S. 45. 76 Beethoven op. 123: Kyrie, besonders ab T. 22f.

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Beethoven verlangt von den Sängern eine hohe empfindsame Einstellung: »Fast immer kündet er eine Missa Solemnis an, ein Werk mit Pauken und Trompeten«. Der Verzicht auf melodische und harmonische Bewegung weist ebenfalls auf einen Topos hin, »sie ist Bewegung, die fast Stillstand ist«.77 Die Aussage >cujus regni non erit finis< wird in Draesekes fis-Moll-Messe durch ein kurzes Fugato vorgestellt. Er wiederholt in ungewöhnlicher Weise das Wort >non< drei Mal wie Beethoven.78 Das Wort wird vom Satz getrennt, und somit unterstreicht es mit Hilfe der symbolischen Zahl die Dreifaltigkeit, deren Herrschaft ohne Ende sein wird. Reinhold Dusella sieht eine Steigerung des Bedeutungsgehalts: »Den Schluss dieses Verses steigert er [Draeseke] dadurch ins Emphatische, dass er das Wort >non< dreimal losgelöst von der Textumgebung aufgreift und in einem reinen fortissimo E-Dur-Quartsextakkord wiederholt, der Vers zudem danach nicht zu Ende geführt wird«. Auch Beethoven wiederholt das Wort >non< dreimal. Er bereitet es durch eine Fuge >cujus regni non erit finis< vor. Sie ist aber, gerade im Vergleich zu Draeseke, ausführlicher behandelt.79

In der a-Moll-Messe verwebt Draeseke zunächst den Tenor mit dem Alt, später treten der Bass und Sopran fugenmäßig hinzu. Der Komponist lässt alle Stimmen den vollständigen Nebensatz >cuius regni non erit finis< aussprechen. Der letzte gemeinsame Satz ertönt unisono, dann zweistimmig im Sopran und Tenor und Alt und Bass. Hier wird eine ähnlich stimmlich musikalische Vorbe-reitung getroffen, um zum dritten Einsatz des Credos unisono zu gelangen. Das Wort >non< ist mitten im musikalischen Geschehen eingebettet. Es wird in der letzten Unisono-Zeile rhythmisch mit Halben und verlängerten Halben als Synkope hervorgehoben.80 Die a-Moll-Messe Draesekes zeigt einen breiten A-cappella-Stil, der durch hohe Dramatik in polyphoner musikalischer Gestalt sich auszeichnet.81 Die Förderung des Subjektiven wird in der Zeit um Beethoven verstärkt auf den musikalischen Weg gebracht, ebenso die rhetorisch-musikalischen Intentionen der Missa Solemnis. Romantik als musikgeschichtliche Epoche gibt es nur bedingt. Die Grenzen sind fließend, es gibt keinen romantischen Stil, wie es definierbare Stile für andere Epochen der Musikgeschichte zeigen. Den Kampf gegen den musikali-schen

77 Warren Kirkendale: Beethovens Missa solemnis und ihre rhetorische Tradition. In: Erich Schenk (Hrsg.): Beethoven-Symposion Wien 1970. (Veröffentlichung für Musikforschung). Heft 12. Wien 1971, S. 124. 78 L. van Beethoven: Missa Solemnis op. 123. Credo: T. 257, 258, 259: 3X >non<. 79 Reinhold Dusella: Felix Draesekes Große Messe in fis-Moll op. 60 für Soli, Chor und Orchester. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 197. 80 Felix Draeseke: Große Messe a-Moll: Credo, T. 178-202. 81 Udo-R. Follert: Vorwort zur Neuausgabe der Großen Messe a-Moll, op. 85 von Felix Draeseke. Leichlingen 1983.

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Liberalismus gewinnt Draeseke, indem er seine Zeit inhaltlich-philosophisch erfasst und den Cäcilianismus mit ihr verbindet. Außerdem wendet er sich gegen die Impietät seiner Zeit. Diese achte in erster Linie auf Äußerlichkeiten von Musikdarstellungen und weniger auf die Förderung und Forderung von zeitgenössischen Leistungen, so Draeseke.82 7.3 Romantik »Einen neuen Stil hat die Romantik nicht geschaffen, sondern den klassischen um- und weitergebildet«.83 Weitere musikalische Einzelheiten ergänzt Draeseke und macht auf sie aufmerksam: »Es muss [..] auch darauf hingewie-sen werden, dass in der Vermehrung der Ausdrucksmittel nicht das alleinige Heil für die Kunst beruht«.84 Hinzu kommt die allgemeine Haltung zur Religion. Schleiermachers Auffassung von Religion ist in der Romantik nicht nur zusätzlich eine Ergänzung zum Leben, sondern Anschauung und Gefühl sind Aspekte der Wirklichkeit.85 »Schubert und Weber bezeichnen den Beginn einer neuen Epoche, deren Wurzeln in literarischen und musikalischen Strömungen des 18. Jahrhunderts zu suchen sind. Die Vorklassik der Mannheimer, eines Friedemann oder Philipp Emanuel Bach, der literarische Sturm und Drang sind die geistes- und kunstgeschichtlichen Vorläufer der Romantik. Das gemeinsame Kennzeichen beider Bewegungen ist die Weitung des Erlebnisraumes, die Suche nach einer neuen persönlichen Aussage. Der Mensch wird Mittelpunkt aller Kunst und Kunstanschauung. In Beethoven verdichtet sich die neue Ästhetik zu einer Ideenkunst des schöpferischen Genies. Aber während auf der einen Seite - ähnlich wie bei Haydn und Mozart - noch die klassische Norm die Grundstruktur seiner Werke bestimmt, weist sein übersteigerter Subjektivismus bereits in neue Bezirke des Kunstschaffens, in die Romantik«.86 Begründet durch die Josephinischen kirchenmusikalischen Maßnahmen, den Gottesdienst so einfach wie möglich zu gestalten, entsteht ein ausgebauter Liedcharakter.87 Die kompositorische Richtung von Schubert bis hin zu Bruckner zeichnet die Messenkompositionen einerseits mit der Intention der Ausweitung des Orchesterapparates - besonders im Bläserbereich - aus, ande-rerseits mit der Aufgabe der Solo-Arie, die bei Haydn ersetzt wird durch das 82 Felix Draeseke: Wachstum der Impietät gegenüber den großen Tonmeistern der Vergangenheit. Aus dem Nachlass Hans von Bülows. Berlin o. J., S. 4. 83 Friedrich Blume: Art. Romantik. In: MGG, Bd. 11. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London. München 1989, Sp. 785f. 84 Felix Draeseke. Wachstum der Impietät gegenüber den großen Tonmeistern der Vergangenheit. Aus dem Nachlass Hans von Bülows. Berlin o. J., S. 4. 85 Hans J. Münk: Die deutsche Romantik in Religion und Theologie. In: Romantik-Handbuch. Hrsg. von Helmut Schanze. Stuttgart 1994, S. 563. 86 Günter Schneider (Hrsg.): Die geschichtliche Entwicklung der abendländischen Musik. In: Handbuch der Musik. Köln 1960, S. 121f. 87 Leopold Kantner: Franz Schuberts Kirchenmusik auf dem Hintergrund stilistischer Zusammenhänge und persönlicher Einstellungen. In: Schubert-Studien 1978, S. 131f.

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vokale Soloquartett, die er in der Maria-Zeller-Messe im >gratias agimus< (Gloria) aber noch geschrieben hat.88 Haydn erreicht mit dieser Veränderung einen bemerkenswerten Gesichtspunkt der instrumentalen Erweiterung, aus-gerichtet auf Holzbläser, Hörner und Trompeten, unterstützt von der Streicher-gruppe und Orgel, aber ohne Posaunen.89 Für ihn gilt, an der Art und Weise der Maria-Zeller-Messe sich zu orientieren, aber eine Modifizierung und Redu-zierung des Missa-Solemnis-Typus zuzulassen.90 Im engeren europäischen Raum wird das Kyrie in der Folge zur erweiterten Einsätzigkeit, in Italien bleibt die Dreiteiligkeit bis ins 19. Jahrhundert erhalten.91 Haydn zeigt in seiner Cäcilienmesse eine Form der Missa Solemnis, das Kyrie erscheint in der Dreiteiligkeit, das Gloria dieser Messe besteht aus vielsätzigen Teilen, die vom Koloratursopran im Credo geleistet werden. Formen wie das Rondo werden von Haydn hier verarbeitet. Kantner betont, dass Haydns Cäcilienmesse die einzige Credo-Messe sei. Die beiden Messen Haydns sind solche, die die Form der Missa solemnis und Missa brevis miteinander vereinen.92 7.3.1 Franz Schubert (1797-1828): Messe in As-Dur, Soli, Chor, Orchester und Orgel D 678 Schuberts Kirchenmusik äußert sich vor allem in seinen Messkompositionen, von denen er sechs lateinische und eine deutsche geschrieben hat. Seine Frühmessen sind noch stark von der alten Tradition beeinflusst, ähnlich wie bei J. Haydn. Die Messen in As- und in Es-Dur gelten als Höhepunkte. Sie haben den Charakter von Festmessen. Die As-Dur-Messe entsteht in der Zeit von 1819-1822, die Messe in Es-Dur 1827 kurz vor seinem Tod. Seine Messen sind als Gegenpol zu Beethovens Messen zu werten. Der Komponist hat den geforderten liturgischen Text lückenhaft bearbeitet. So fehlen etliche Worte, zum Beispiel im Credo der Es-Dur-Messe, oder es werden ungewöhnlich oft Worte wiederholt und herausgestellt. Sie stellen den eigentlichen liturgischen Ablauf und fallen daher auf. Auf eine antireligiöse Haltung Schuberts zu schließen, scheint nicht angebracht, vielmehr spiele offenbar seine sehr schnelle Art des Komponierens eine große Rolle.93 Eine gegensätzliche Bewer-tung Schuberts spricht Birgit Lodes aus: »Die bemerkenswerte Tatsache, dass in allen Messen die Zeile >et unam sanctam catholicam< unterbleibt, kann aber auch dahingehend interpretiert werden, dass für Schubert – wie für viele seiner

88 Walter Senn: Art. Messe. Von 1600 bis zur Gegenwart. In: MGG, Bd. 9. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel.Basel. London. München 1989, Sp. 183f. 89 Alfred Schnerich: Messe und Requiem seit Haydn und Mozart. Wien. Leipzig 1909, S. 16. 90 Leopold Kantner: Tradition, Gegenwart und Zukunft in Haydns Messkompositionen. In: Musica sacra. Jg. 102. 1982, Heft 2, S. 69. 91 Ebd., S. 70. 92 Leopold Kantner: Tradition, Gegenwart und Zukunft in Haydns Messkompositionen. In: Musica sacra. Jg. 102. 1982. Heft 2, S. 69. 93 Karl Gustav Fellerer: Schuberts Messen. In: Musica sacra 98. 1978, S. 147f.

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Zeitgenossen – der Glaube an die Kirche kein zentraler Punkt seiner Religio-sität war«.94 Die Messe in As-Dur ist mit kompositorischen Neuerungen ausgestattet: zum einen schreibt der Komponist die Messe in einer bis dahin ungewöhnlichen Tonart. Hier geschieht eine Hinwendung zu romantischen Tonarten.95 Zum an-deren fällt die Fertigstellung der As-Dur-Messe mit der Unvollendeten zu-sammen. Der Komponist weitet seine Melodien aus. In dieser Zeit entsteht ebenfalls Beethovens Missa Solemnis. Schuberts As-Dur-Messe ist mit der gleichen Bezeichnung versehen. »Höhepunkt im Schaffen sind die beiden letzten Festmessen As-Dur und Es-Dur mit thematischer Vereinheitlichung des Zyklus, mit dramatischen und satztechnischen Kontrasten zwischen den Abschnitten. Übernahme des symphonischen großen Stils in die Messe, Intensivierung der thematischen Arbeit, absolut musikalische Konzeption der Sätze«.96 Die Messe ist in ihrem Charakter zurückhaltender im musikalischen Ausdruck im Vergleich zu Beethovens Missa Solemnis, obwohl sich Soli und Chor im Kyrie bei Schubert auch eng miteinander verweben und Beethoven-che Züge zeigen.97 Doch in Draesekes Kyrie der fis-Moll-Messe ist eine musikalische Annäherung an Schubert gegeben.98 Der Komponist entwickelt über dem vierstimmigen Satz bis hin zur Fuge und zum Fugato eine musikalisch geschlossene Form, die sich bis zum Schluss filigran und auch kompakt durch den kleinen und großen Chor darstellt. Weitere Schubertsche musikalische melodische Entwick-lungen sind in Draesekes a-Moll-Messe op. 85 vorhanden.99 Das Schubert-sche Benedictus zeichnet mehr den homophonen Satz aus, aber es ist ähnlich wie bei Draeseke von einer beispielhaften Innendynamik geleitet.100 Der A-cappella-Chor in der a-Moll-Messe steht zwar dem Chor, den Solo-stimmen, dem Orchester sowie der Orgel in Schuberts As-Dur-Messe in den Klangfarben stilistisch gegenüber, doch ist eine verwandte Kompositionsart und Atmosphäre anzumerken. Weitere Schubertsche musikalische Impressionen zeigen sich im Agnus Dei der a-Moll-Messe. Draesekes Tripelfuge >Dona nobis pacem< symbolisiert die große >Friedensbitte< zunächst mit p-Einsätzen, die vom Wort >pacem< und der nachfolgenden Zeile >Agnus Dei, qui tollis peccata mundi< im f und ff gestaltet wird.101 94 Birgit Lodes: Die Messe im 19. Jahrhundert. In: Messe und Motette. Handbuch der musikalischen Gattungen. Hrsg. von Horst Leuchtmann/Siegfried Mauser. Bd. 9. 1998, S. 273. 95 Vorwort: Schubert-Messe As-Dur D 678. Wiesbaden 1986. 96 Ebd. Vorwort. Schubert- Messe As-Dur D 678. 97 Franz Schubert: Messe As-Dur D 678. Kyrie: Gesamteindruck, besonders ab T. 9f. 98 Felix Draeseke: Messe fis-Moll op. 60: Kyrie: Gesamteindruck, besonders ab T. 5f. 99 Felix Draeseke: Messe a-Moll op. 85. Kyrie: Gesamteindruck. 100 Franz Schubert: Messe As-Dur D 678. Benedictus: Gesamteindruck. Vgl. Felix Draeseke: Messe a-Moll op. 85. Benedictus: Gesamteindruck. 101 Felix Draeseke: Messe a-Moll op. 85. Agnus Dei: Tripelfuge, T. 64-121 + Schlusskadenz.

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Schubert wählt dagegen an der gleichen Stelle einen dreistimmigen homopho-nen Solosatz, der mit dem Tutti-Chor im ff musikalisch vierstimmig korres-pondiert. Am Ende haben Solo- und Tutti-Chor beide eine Vierstimmigkeit er-reicht. Sie wirkt wie eine gegenseitige echoartige Verstärkung der Aussage. Obwohl beide Kompositionen den gleichen Text vorweisen, aber unterschied-lich angelegt sind, haben sie einen gemeinsamen musikalischen Nenner, näm-lich den Worten entsprechende Interpretationen zu geben, die sich hauptsäch-lich in der Melodienbildung, der Grundtonart, den Nebentonarten und wieder in der Grundtonart ausdrücken.102 Draeseke ist in seinem Kompositionsumfang des >Dona nobis pacem< weniger umfangreich als Schubert. Dessen »Messentyp hält zwischen J. Haydn, M. Haydn und Beethoven eine typisch österreichische Mitte und findet in den Messen des Oberösterreichers Bruckner seine Erfüllung«.103

Neben Schuberts - eventuell als ambivalent eingestufter religiöser Haltung - sind besonders seine musikalischen Stilmerkmale, die in seinen Messenkom-positionen hervortreten, von Wichtigkeit: er zeigt einfache melodische Einfälle, die sich an einer dreiteiligen Liedform ABA festmachen lassen.104 Weiter zeichnet Schuberts Messen aus, die musikalische Form als solche vor die liturgische zu setzen. Er stellt dabei einzelne dramatische Worte und Szenen mit Hilfe von Bildern in den musikalischen Mittelpunkt. Diese Tonmalerei wird durch entsprechend differenzierte Dynamik erreicht. Einerseits scheint bei Schubert mehr die Musik, andererseits mehr der Text im Vordergrund zu stehen, in Form von Einfachheit und Originalität. Beides schließt sich nicht aus und kann allgemein in den musikalischen Schwerpunkten wechseln. Schubert baut in seiner As-Dur-Messe Modulationen noch weiter aus als Beethoven.105 Dieser hat ebenfalls in seiner Missa Solemnis Modulationen eingebracht, allerdings geht er dort schneller in den Tonikabereich zurück als Schubert.106 Schuberts Messe von 1828 ist besonders hervorzuheben. Sie verfügt über musikalische Merkmale, die für ihn in ihrer Form bezeichnend sind. Zum einen relativiert der Komponist die liturgische Form für sich. In unterschiedlichen Abstufungen treten musikalische Merkmale auf, die die Mitteilungen über das Thema Tod mit dynamischen Zeichnungen und Färbungen ausführen. Das große Orchester spielt die Rolle des Jüngsten Gerichts mit kraftvollem Einsatz. Auch hier hat die differente Dynamik eine interpretierende Rolle. Im Kyrie zeigt Schubert den Schmerz mit einer Deklamation im homophonen, zurück-

102 Franz Schubert: Messe As-Dur D 678. Agnus Dei: Solochor + Tutti, T. 55-159. 103 Maurice J. E. Brown/Hans Ferdinand Redlich: Art. Franz Schubert. In: MGG, Bd. 12. Kassel. Basel. London. Paris. New York. München 1989, Sp. 143. 104 Sie weisen auf das eigene große Liedschaffen hin. Vgl. Karl Gustav Fellerer: Franz Schuberts Messen. In: Musica sacra 98, 1978, S. 146f. 105 Vgl. Franz Schubert: Messe As-Dur: Gloria: Gesamteindruck. 106 Beethoven und Schubert arbeiten verstärkt mit Modulationen.

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haltenden Stil. Solopartien stellen das >Et incarnatus< dar, indem sie den Höhepunkt als Gegensatz auffassen, einmal in einer weichen, lyrischen Art und Weise, zum anderen in der >crucifixus-Szene< in einer dunklen Stimmung.107 Draeseke beschäftigt sich mit Beethoven in einer vergleichenden Form. »So können wir auch Schuberts berühmteste Messen, unter denen die in As mit ihrem herrlichen Kyrie wol den höchsten Rang einnehmen dürfte und neben der noch die in Es und g zu erwähnen wären, nicht als eigentliche Kirchenmusik bezeichnen und müssen sogar zugeben, dass die Missa Solemnis Beethovens einen weihevollen und angemessenen Styl entfaltet, ganz abgesehen von Mozarts Requiem, das mit zur allerherzlichsten Kirchenmusik zu rechnen ist, die es überhaupt gibt«.108 Die Wiener Klassik hat mit ihren Messenkompositionen einen Meilenstein im 19. Jahrhundert gesetzt. Sie hat mit der Neapolitanischen Schule die Messe weitergeführt und mit Auftragsarbeiten begonnen. Eine mehr oder weniger liturgisch funktionelle Einordnung ist damit verbunden. Die sinfonisch gestalte-ten Messen scheinen schließlich subjektiver Ausdruck religiöser Bekenntnisse zu sein. Der Kontrast zeigt sich in der Restauration mit der Priorität des absolut liturgischen Anspruches. Sie bietet trotzdem daneben Anreiz für sinfonische Messenkompositionen. Dieses musikalische Feld findet Draeseke vor und hat es selbst weiter entwickelt. Er setzt sein Requiem h-Moll op. 22 und seine fis-Moll-Messe op. 60 in die Nachfolge Beethovens und nimmt restaurative Mittel zusätzlich in Anspruch. Restaurative Elemente werden in beiden Werken an textimmanenten Stellen mit einbezogen. 7.3.2 Hector Berlioz (1803-1869): Requiem: Grande messe des morts Das Requiem von Hector Berlioz hat keinen liturgischen Anlass, sondern einen politischen Hintergrund. Berlioz erhält einen Auftrag von seiner Regierung, eine Totenmesse im Andenken an die Revolution von 1830 und für die Beisetzung des Generals Damrémont im Invalidendom zu komponieren.109 Das Werk ist 1837 fertiggestellt. Der Komponist »erweitert den Klangbereich des roman-tischen Orchesters und gibt ihm jene Farbigkeit und Differenziertheit der

107 Bernd Edelmann: Kultus und Kunst. Eine Einführung in Mozarts und Schuberts Messen. In: Europäisches Musikfest Stuttgart 1991: Mozart – Schubert. Fragment des Werkes – Fragment des Lebens?, S. 142. 108 Felix Draeseke: Musikgeschichtliche Vorlesungen. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke- Gesellschaft). Schriften, Bd. 7. Hrsg. von Michael Heinemann, Maria Kietz und Helmut Loos. Leipzig 2007, S. 122f. 109 Carl Dahlhaus: Die Musik des 19. Jahrhunderts. Wiesbaden 1980, S. 153.

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Instrumentation, die für Wagner, Liszt, R. Strauß, G. Mahler wegweisend wird«.110 Der Unterschied zu Draeseke ist zunächst der sehr große Orchesterapparat. Im >Tuba mirum< des h-Moll-Requiems werden die Bassstimmen im Orchester oktaviert. Es ertönen B-Dur-Dreiklänge nach unten. Sie sind kanonisch ange-legt und werden durch zwei Posaunenpaare dargestellt.111 Draeseke erreicht damit hohe dramatische Echowirkungen, indem er die Verzweiflung der Men-schen musikalisch durch den Posaunenruf symbolisiert.112 Im >Tuba mirum< von Berlioz geschieht eine dramatisch-lebhafte Triolen-Passage. Der Chorbass formuliert die Anfangszeilen >Tuba mirum spargens sonum per sepulchra regionum, tuba coget omnes ante thronum< fast ausschließlich im ff. Berlioz setzt weiter ein pp im vierstimmigen Satz dagegen. Er bevorzugt hier die Männerstimmen mit doppeltem Tenor. Sie und auch das Orchester werden sehr beansprucht, »eine klassische Richtung, deren weiche Melodik‚ >die Gren-zen des sentimentalen Ausdrucks oft bedenklich überschritt< (Fellerer), wird von der Neufranzösischen Schule besonders in kleineren künstlerischen Gebrauchsformen gepflegt«.113 Gegensätzlich äußert sich der Biograph Roeder über das Requiem von Hector Berlioz: »Er [Draeseke] kann unbekümmert der weltlichen Gegenwart Bescheid tun und dennoch kirchlicher schreiben als alle andern. Wie fühlbar hebt sich darin sein Requiem von Berlioz‘ bombastischer Totenmesse ab«.114 Draeseke setzt mit seinem h-Moll-Requiem stilistisch ein deutliches Zeichen gegenüber der Berliozschen opernhaften >Grande messe des morts<.115

Den gleichen Text im Requiem e-Moll hat Draeseke schon im Vorfeld mit zwei Gesangsbässen versehen, die bei >cum sanctis tuis< einen ruhigen, gesang-lichen p-Ansatz leisten, der mit den übrigen Stimmen eine geistige Zusammen-

110 Günter Schneider (Hrsg.): Die geschichtliche Entwicklung der abendländischen Musik. In: Handbuch der Musik. Köln 1960, S. 149. 111 Requiem von Berlioz (Grande messe des morts) mit großem Aufwand aufgeführt: gr. Orchester, 4 an verschiedenen Stellen postierte Nebenorchester (Trompeten, Posaunen, Tuben), dazu 16 Pauken, Soli, ein Chor mit 600 Ausführenden. In: Meyers Handbuch über die Musik. Hrsg. von Heinrich Lindlar. 4. Aufl. Mannheim 1971, S. 75. 112 »Die 4. Posaune ist als Verstärkung der 3. gedacht. Laut Vorrede darf sie auf keinen Fall durch die Tuba ersetzt werden«. In: Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 76. 113 Berlioz schreibt im >Tuba mirum< 5 Orchester und 8 Paare von Pauken vor. Die Dynamik ist bei Draeseke gewaltiger konzipiert. Draeseke: h-Moll: Dies irae: Tuba, besonders T. 80- 102. 114 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 71f. 115 Bei Berlioz wird der ursprüngliche Text stellenweise verändert, wiederholt und zusammen- gestrichen. Dies irae: Tuba mirum, T. 1-111. Chorbass ff-pp.

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fassung des Inhalts darstellt. Aber der Charakter in Draesekes e-Moll-Requiem steht auch hier diametral dem Requiem von Berlioz gegenüber.116 Dieser tritt durch seine Eigenart des Komponierens hervor, und die Bedeutung seines Schaffens kündigt sich auf vielfältige Weise an: Durch seine neuen In-strumentationseffekte und durch Tonmalerei, sowie Erweiterung der sinfoni-schen Form übt Berlioz zunächst einen großen Einfluss auf Liszt und Wagner aus. Diese Belebung bezieht sich auf die Verbreitung der leitmotivischen Arbeit und die Herausstellung der unterschiedlichsten Orchesterfarben. Der Kompo-nist schreibt in seiner >Grande messe des morts< mit Mitteln einer dramati-schen Kirchenmusik. Berlioz erreicht eine psychologisch ausgerichtete Klang-farbenauswertung.117 Auch wenn Berlioz als Agnostiker gilt und die Selbstkritik des menschlichen Erkenntnisvermögens in den geistigen Mittelpunkt und damit verbunden eine kritische Einstellung gegen die Theologie gerückt hat, so werden »Berlioz und Wagner mehr und mehr die Vorbilder Draesekes«. 118 7.3.3 Franz Liszt: (1811-1886): Missa Solemnis Neben Beethoven und Schubert besitzt die katholische Kirchenmusik im 19. Jahrhundert noch in Franz Liszt und Anton Bruckner, zwei Komponisten von großer Bedeutung. Der religiös- und sozial denkende Komponist Franz Liszt hofft mit einer Missa Solemnis auf die Gesellschaft bildend wirken zu können. Liszt »war von dem Gedanken fasziniert, im Bereich der katholischen Kirchenmusik reformierend und produzierend im Sinne hohen ethischen und künstlerischen Anspruchs tätig zu werden«.119 »Der Auftrag des Primas von Ungarn, zur Einweihung des Graner Doms eine Missa solemnis zu schreiben, führte Liszt, der das Gebiet der katholischen Kir-chenmusik zuvor nur erst mit kleineren Werken bedacht, dieser Gattung rasch in steigendem Umfang zu«.120 Liszts Missa solemnis entstand 1855. Die erste Aufführung fand am 31.08. 1856 statt.121 Sie spiegelt die musikromantische Zeit in ihren Anfängen wider, indem sie neben gregorianischen Einflüssen entspre-

116 Felix Draeseke: Requiem e-Moll. Agnus Dei, T. 92-110 + Schluss: Quia pius es. 117 Meyers Handbuch über die Musik. Hrsg. von Heinrich Lindlar. 4. Aufl. Mannheim 1971, S. 473. 118 Erich Roeder: Felix Draeseke: Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 242. 119 Helmut Loos: Franz Liszts Graner Festmesse. In: KmJb 67 (1983), S. 45-59, S. 47. 120 Hans Joachim Moser: Geschichte der deutschen Musik. Bd. 2. Stuttgart. Berlin 1924, S. 201. 121 »Die Graner Messe bedeutet im Schaffen Liszts einen sehr wichtigen Moment: Liszt hat seine Berufung zum Reformator der Kirchenmusik, die er schon lange theoretisch anstrebte, erstmalig in die Tat umgesetzt und zwar mit günstigstem Erfolge«. In: Julius Kapp: Liszt. Berlin 1911, S. 174.

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chend herausragende Partien mit Dramatik und damit verbunden Steigerungs-elementen ausdrückt. Diese Messe wird in Deutschland gut angenommen, nicht so in Paris. Liszt ist bei einer Aufführung in St. Eustache dabei, ebenso sein Freund Berlioz, der sich mit der Presse gegen die Messe ausspricht. Er nennt sie eine >Verneinung der Kunst<.122 Während Berlioz seine >Idée fixe< als musikalischen Maßstab ansieht, geht aber Liszt über diesen hinaus, indem er ein Kernthema für die Grundlage seiner Kompositionen erklärt und ausführt. Liszt bevorzugt dabei programmatisch-dichterische Ideen und deren Umset-zung in Musik. Der Streit, der in der Neudeutschen Schule entsteht, befasst sich mit der Frage, ob Musik generell etwas darstellen oder die kompositorische Arbeit als solche im Vordergrund stehen solle. »Viele von Liszts Anhängern schrieben Aufsätze, wie Liszt selbst (über Wagner, Berlioz, Chopin), so Bülow, Cornelius, Draeseke, Pohl, Brendel. Sie hatten durch ihr Schreiben die be-ginnende Zerklüftung des Musiklebens gefördert«.123 »Im Credo hat Liszt übrigens ganz machtvolle Töne angeschlagen, hie und da neigt sich der Styl einer gewissen geschmeidigen Eleganz zu, die nicht ganz kirchlich erscheinen will, aber bei alledem wird der Meister den Textworten gerecht und bleibt sich der Anforderungen, die der kirchliche Styl an die Würde des Ausdruckes erhebt, bewusst, wenn auch sein Streben nach Schönheit grade in diesem Werke sich besonders geltend macht«.124 Liszt schreibt im Credo seiner Graner Messe eine energische ff- Fuge, die mit dem Bass des Chores beginnt. Das Thema ist von der Quarte als Intervall gestützt. Die Zeile >et unam sanctam catholicam et apostolicam< wird mehrmals wiederholt. Zum Schluss kommen die Solostimmen hinzu und bekräftigen die gesamte Aussa-ge, wobei >apostolicam ecclesiam< durch die Achtstimmigkeit gestaltet, noch weiter herausgehoben wird. Der Gesamtchor zitiert mit einer Stimme. Die Betonung liegt auf >apostolicam ecclesiam< in halben Notenwerten.125 Die entsprechende Draesekesche Fassung in der fis-Moll-Messe zeichnet eine breit angelegte Fuge in einem >Allegro risoluto< aus. Auch hier ist die Quarte, neben der Quinte nahezu führend. Bei der Zeile >et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam< arbeitet Draeseke wie Liszt mit dem Prinzip der Wie-derholung, aber in einem weniger dichten Klangkontext. Der Chor ist hier vierstimmig. Die Schlussbetonung >apostolicam ecclesiam< wird bei Draeseke ebenfalls im homophonen Satz herausgehoben. Die letzte Silbe von >eccle-siam< endet in einem Trugschluss,126 während Liszt einen Plagalschluss vorzieht.

122 Julius Kapp: Liszt. Berlin 1911, S. 235. 123 Hans Engel: Art. Liszt. In: MGG, Bd. 8. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London. New York. München 1989, Sp. 969f. 124 Felix Draeseke: Musikgeschichtliche Vorlesungen. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 7. Hrsg. von Michael Heinemann, Maria Kietz und Helmut Loos. Leipzig 2007, S. 277. 125 Franz Liszt: Missa solemnis. Credo: Chorbass, T. 277-310. 126 Felix Draeseke: Große Messe fis-Moll op. 60. Credo: Tenor, T. 358-394.

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Im Benedictus der fis-Moll-Messe Draesekes führt der Solosopran, der Kleine Chor wiederholt den Soprantext >Benedictus qui venit in nomine Domini<. Später erfolgt ein Wechselspiel zwischen einzelnen Solostimmen: Bass und Tenor kommen zeitlich versetzt hinzu. Der Schreiber baut mit dem Kleinen Chor einen dichten, vierstimmigen Satz auf, der sich vom Sopransolo deutlich abhebt. Zum Ende hin entwickelt er einen sechsstimmigen Unterbau, der wie eine Stimme wirkt, und das Sopransolo schiebt sich zwischen den Chor mit der entsprechenden textlichen Wiederholung, aber im korrespondierenden pp-Sinn.127 Das Benedictus von Liszt schreibt zunächst auch Solostimmen vor, die nacheinander einsetzen: Alt, Sopran und Bass. Der vollständige Solochor wird in der Folge wie bei Draeseke im p bis pp–Raum gefordert.128 Der Lisztsche Satz ist von seinem Charakter her zurückhaltender als der von Draeseke. Bei ihm brilliert das Sopransolo als sphärische Klangfarbe über dem Grundchor. Liszt fügt am Ende des Benedictus einen erweiterten Text hinzu: >in excelsis hosanna<, der nicht zum Ursprungstext gehört. »Als die Messe neu war, wurde eifrig gestritten: Ist sie Beethovenschen Geistes oder nicht? Man kann darauf ohne Bedenken bejahend antworten. Nicht bloß die Graner Messe, sondern die ganze Methode der Lisztschen Komposition ist eine Frucht Beethovens der dritten Periode«.129 Liszt zeigt auch hier seine musikalisch-eigenständigen Wege in Verbindung mit archaischen Stilmitteln. »So ist das eigentümliche Schauspiel zu beobachten, wie wenige von den zunächst wild entflammten Parteigängern Liszts dem Fortschrittsideal auf die Dauer treu geblieben sind - bis auf die beiden Eigenbrödler Alexander Ritter und Joseph Huber sind sie eigentlich alle später ins gemäßigte Fahrwasser übergeschwenkt, Raff so gut wie Draeseke, Bülow wie Bronsart, während Taußig und Reubke früh starben und Peter Cornelius von Anfang an seinen eigenen Standpunkt gegen Liszt so gut wie gegen Wagner zu wahren suchte«.130 7.3.4 Giuseppe Verdi (1813-1901): Messa da Requiem Giuseppe Verdis Requiem >Messa da Requiem< von 1874 ist Manzoni gewid-met, mit ihm verbindet Verdi die Literatur. Der allgemeine Eindruck ist der eines opernhaften Requiems. Die Diskrepanz des >wahren Kirchenstils< kommt 127 Felix Draeseke: Benedictus, Sopransolo, T. 125-187. 128 Franz Liszt: Missa solemnis. Benedictus: Altsolo, T. 1-83. 129 Hermann Kretzschmar: Führer durch den Konzertsaal. Bd. 1. 4. Aufl. Kirchliche Werke: Passionen, Messen, Hymnen, Psalmen, Motetten, Kantaten. Leipzig 1916, S. 250. 130 Hans Joachim Moser: Geschichte der deutschen Musik. Bd. 2. Stuttgart. Berlin 1924, S. 204.

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deutlich zum Vorschein. Ebenso andere Komponisten wie Bach, Haydn, Händel stehen in ihrer Zeit der Opernsprache nahe und wenden sie teilweise an. Verdis Requiem ist nicht für die Liturgie geschrieben worden, sondern für den Konzertsaal. Sie ist dramatisch mit monumentalem Charakter angelegt und besitzt dennoch eine liturgische Aussagekraft. Cherubini, Berlioz, der späte Joseph Haydn, Beethoven, sowie Mozart befinden sich mit dieser Art des Kom-ponierens auf unterschiedlichen oder auch ähnlichen Stufen. Obwohl die >Missa pro defunctis< Verdis überwiegend dem opernhaften Genre unterliegt, verwendet dieser auf der anderen Seite psalmodierende und repetierende Ein-würfe und Mittel der Klanglyrik. Hier ist die Dynamik besonders hervorzuheben, denn sie verbindet sich mit der vielfältigen Klanggestaltung des 19. Jahrhun-derts. Verdi hat schon 1869 das >Libera me< komponiert, »damals als Teil einer im Kollektiv verfassten Totenmesse für G. Rossini bestimmt«.131 Bei Draeseke spiegeln sich die genannten Stilmittel entsprechend in der fis-Moll-Messe und im h-Moll-Requiem, allerdings nur ansatzweise mit opernhaften Elementen, wider. Verdi bevorzugt diese große Ausdruckskraft und zeigt damit eine musikalische Geschlossenheit in seinem Requiem. »Die Überlegenheit, welche die Italiener in der Kraft, Schönheit und Bestimmtheit des melodischen Ausdrucks vor anderen Musiknationen voraushaben, ihre große Begabung in der Wirkung mit einfachen Formen, spricht aus diesem Requiem mit neuer Deutlichkeit und ohne dass wir durch trivialen Missbrauch dieser Gaben gestört werden«.132 Draeseke sieht die italienische Musik mit einer gewissen Zurückhaltung an. In der Zeit seiner schriftstellerischen Tätigkeiten gibt er »den großen geistig-geistlichen Einspruch gegen die damalige Geschmacks- und Kunstverwilderung« wieder frei.133 Auch wenn er insgesamt der Musik des Verdi-Requiems kritisch gegenübersteht, so achtet er doch auf die besondere musikalische Leistung. »Welcher Höhenunterschied trennt es [Berlioz‘ Totenmesse] von dem theatralischen Requiem des Musikanten Verdi, das der Kritiker Draeseke in Stil und Gesinnung sofort der Richtung des Meyerbeer-schen Propheten zurechnete«.134 Als federführender Musikkritiker hat Draeseke ein Zeichen dafür gesetzt, dass er gegenüber sich und seinen Zeitgenossen kritisch musikalisch gehandelt hat. Die Folge ist seine Streitschrift >Die Konfusion in der Musik<, die er 1906 veröffentlicht hat. Das Requiem von Verdi fordert einen großen Chor, Solostimmen und ein großes Orchester. Draesekes h-Moll-Requiem dagegen zeichnet zwar einen schmaleren Klangkörper, aber eine nicht minder wirkende musikalische 131 P. Ross: Verdi. In: Das große Lexikon der Musik in 8 Bänden. Hrsg. von Honegger/ Massenkeil. Bd. 8. Freiburg 1982, S. 243. 132 Hermann Kretzschmar: Führer durch den Konzertsaal. Bd. 1. Leipzig 1916, S. 328. 133 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 72. 134 Ebd., S. 72.

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Innendynamik. Es wurde mit dem Requiem von Verdi durch Hermann Kretzschmar verglichen.135 Im Dies irae von Verdi werden einige Zeilen als geschlossene Teile komponiert. Doch sie gehören alle zusammen: >Quid sum miser, Rex tremendae, Recordare, Ingemisco, Confutatis>. Das Dies-irae-Thema erklingt drei Mal: es wiederholt die Sequenz, so auch bei der >Confutatis<. Das nachfolgende Lacrimosa gewinnt dadurch eine besondere musikalische Bedeutung. Der klagende Gedanke bringt die Solostimmen und den Chor wieder zusammen. Verdi hat im Dies irae durch die Sequenz einen musikalischen Kunstgriff ausgeführt.136 »Doch bildete gerade die enge Assoziation des Romantikbegriffs mit den liberal-patriotischen Tendenzen der Epoche einen der Gründe, warum Verdi, als Repräsentant des Risorgimentos, in die Nähe der italienischen Romantik, deren Dichtung durch Manzoni und Leopardi geprägt wurde, gerückt werden konnte«.137 Das Draesekesche Lacrimosa im h-Moll-Requiem ist in seinen Übergängen mit den neuen Aussagen fließender als das von Verdi. Während des Dies irae ist das Thema in vielfältiger Weise vorhanden und leuchtet auch im Lacrimosa hervor. Die dynamischen Verhältnisse sind hier ebenfalls wie bei Verdi in einer überraschenden Weise ähnlich aufgegriffen.138 Im Dies irae des e-Moll-Requiems zeichnet sich wie bei Verdi und im h-Moll-Requiem ein spannender dramatischer Bogen von musikalischen Tatsachen ab, vorwiegend durch Dynamik- und Tonartenwechsel ausgedrückt, die sich im Lacrimosa auch durch die große Melodie in drei Absätzen zeigt und zum Schluss im >Amen< löst.139 Im Confutatis von Verdi gestaltet das Basssolo die menschliche Furcht. Die Instrumente bewegen sich im >staccato< und symbolisieren die Angst. Bei der Stelle >Oro supplex< entstehen Oktavparallelen, die die Unsicherheit der Men-schen noch zusätzlich unterstreichen.140 Im Confutatis des h-Moll-Requiems von Draeseke entstehen ebenfalls Oktavparallelen zwischen dem Sopran und den Violinen, auch zwischen Gesangs- und Orchesterbass.141 Sie sind von der gleichen Verdischen Auffassung getragen. 7.3.5 Anton Bruckner (1824-1896): Messe f-Moll Anton Bruckner hat vier große Messen geschrieben, drei Orchestermessen und eine Messe im A-cappella-Stil. Die Orchestermesse f-Moll (für Soli, Chor und großes Orchester) entsteht 1867/68, sie wird 1876 in Teilen fertig gestellt und

135 Hermann Kretzschmar: Führer durch den Konzertsaal. Bd. 1. Leipzig 1916, S. 332. 136 Giuseppe Verdi: Requiem. Dies irae: Lacrimosa, Mezzosopran, T. 1-78. 137 Carl Dahlhaus (Hrsg.): Die Musik des 19. Jahrhunderts. Bd. 6. Wiesbaden 1980, S. 18. 138 Felix Draeseke: Requiem h-Moll op. 22: Dies irae: Lacrimosa: Chor + Soli, T. 409-493. 139 Felix Draeseke: Requiem e-Moll a-capella. WoO 35: Lacrimosa, T. 337-373. 140 Giuseppe Verdi: Requiem: Dies irae. Confutatis, Bass, T. 1f. 141 Felix Draeseke: Requiem h-Moll op. 22: Dies irae. Confutatis: Chorbass, T. 360 f.

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1890 (mit zwei weiteren Hörnern) in der Instrumentenausführung wiederholt überarbeitet. »So ist denn auch gerade diese Messe als das äußerlich und innerlich weitaus greifendste Kirchenwerk des Meisters, in dem sein Glaubens-bekenntnis sich in Visionen von eherner Kraft, schwärmerischer Inbrunst, aber auch leidvoller Selbsteinkehr ausströmt, neben dem Te Deum am bekann-testen geworden und hat Eingang in die Konzertsäle gefunden«.142 Dem Komponisten gelingt »ein liturgisch-kirchenmusikalischer Ausdruck auf der Grundlage der sinfonischen Entwicklung des 19. Jahrhunderts«.143 Bruckner führt diese Messe am 16. Juni 1872 in Wien in der Augustinerkirche auf. Er bezeichnet sie als die »schwierigste aller Messen«.144 Besonders in den Vokal-stimmen verlangt Bruckner neben homophonen und polyphonen Sätzen streckenweise hohe Höhen von den Sopranen. »Es ist nicht erwiesen, nicht einmal wahrscheinlich, dass er [Bruckner] damals Bachs h-Moll-Messe und Beethovens Missa Solemnis gekannt hat, aber es scheint fast unmöglich zu glauben, dass die f-Moll-Messe ohne diese Kenntnis entstanden sei«.145 Anton Bruckners Messen sind allgemein in ihrem Charakter ganz anders angelegt als die von Schubert. Wird bei Beethoven und vor allem bei Schubert >et homo factus est< musikalisch hervorgehoben und damit der subjektive Zweifel an Gott inhaltlich dargestellt, so sind Bruckners Messen von einem hohen musikalischen Eindruck geprägt. »Die f-Moll-Messe gehört zu den schönsten Zeugnissen liturgischer Kunst, hier erreicht die Kirchenmusik einen ihrer strahlenden Höhepunkte«.146 Im zweiten Teil des Credos geht es um die Menschwerdung, das Leiden und Sterben. Bruckner vertieft sich in diese Gedanken und erreicht sehr differenzierte musikalische Zeichnungen, beginnend durch Achtelbewegungen in den Holzbläsern mit fast durchsichtigem Charakter. Die Zeile >Et incarnatus est de spiritu sancto ex Maria Virgine< wird bei Bruckner vom Tenor-Solo und später vom Solo-Chor im homophonen Satz gestaltet. Dieser Untergrund besteht aus einem dichten, musikalischen Ge-flecht, die Achtel des Orchesters stellen die innere Unruhe des Menschen dar. Die Gesangsstimmen darüber musizieren in ihren gleichmäßigen Vierteln von den einzelnen Begebenheiten. Tenorsolo und Chor wechseln sich ab oder 142 Wilhelm Weismann: Messe f-Moll von Anton Bruckner. Vorwort Klavierauszug o. J. 143 Friedrich Blume: Art. Bruckner. In: MGG, Bd. 2. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London. München 1989, Sp. 349. 144 Kurt Pahlen: Oratorien der Welt. Zürich 1985, S. 86. 145 In diesem Fall hätte Bruckner der Neudeutschen Schule zugestimmt. Sonst ist seine Haltung gegenüber der Neudeutschen Schule eher distanziert: Bruckner steht zwischen zwei Lagern: »..einer in Wien sorglich gehüteten, beharrenden, an der Wiener Klassik, an Schubert und Mendelssohn gebildeten Richtung und der durch Berlioz, Liszt und Wagner verkörperten, in Wien verhassten und gefürchteten Zukunftsmusik«. Friedrich Blume: Art. Bruckner. In: MGG, Bd. 2. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London. München 1989, Sp. 352. 146 Ebd., Sp. 349.

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musizieren zusammen. Beim >crucifixus< wird der Text drei Mal vom Chor Note gegen Note gesungen, dann wiederholt ein Basssolo >crucifixus<. >Etiam pro nobis: sub Pontio Pilato passus< ergänzt der Bass.147 Die gleiche Stelle beginnt in Draesekes fis-Moll-Messe mit einem vierstimmigen homophonen Solo-Satz, wobei das erste Wort >et< vom übrigen Text durch zwei Viertelpausen getrennt wird. Diese sprachliche Isolation verrät zunächst eine angespannte Situation, danach zielt diese in der Folge auf das >cruci-fixus< mit seinen vier Silben, die Draeseke von den Mittelstimmen, dann von den beiden Frauenstimmen in Halben versetzt, darstellen lässt. Beide Stellen werden auf der einen Seite von Solostimmen und Chor deklamatorisch vorge-stellt, auf der anderen Seite ist die Begleitung des Orchesters bei beiden Komponisten hier mit dissonanter Satztechnik, die innere Unruhe zeigend, vorgeführt worden.148 Das Ende des Credos gestaltet Bruckner mit musikalischen Besonderheiten: In einem freien Fugenthema verarbeitet er sein Anfangsthema des Credos. Zwischen einzelnen Fugen-Abschnitten mit gleichem Text setzt er regelmäßig einen homophonen Chor mit dem Credo-Ruf ein. Obwohl der Credo-Text in seiner direkten Abfolge mehrmals unterbrochen wird, gewinnt der Komponist damit eine dramatische Innendynamik, die den Sinn >Et vitam venturi saeculi Amen< intensiver hervorhebt und somit eine musikalische Lebensfreude zum Ausdruck bringt.149 »Der Messetext wird hier vollends zum Gefäß feinster per-sönlicher Aussprache mit sinfonischen Mitteln. Die Messe ist fast eine Vokal-sinfonie zu nennen«.150 Draeseke entwickelt seine >Et-vitam-venturi-Fuge< nicht vom Sopran aus wie Bruckner, sondern vom Bass. Er geht somit auch einen ungewöhnlichen und anderen Kompositionsweg. Denn er steigert seine Fuge von unten nach oben bis zur Achtstimmigkeit, die im Trugschluss endet, das Wort >saeculi< betont er, ebenfalls das >Amen<. Draeseke schreibt einen homophonen Satz in der Folge, als ob nur eine Stimme vorhanden sei. Die Fuge klingt noch nach, und die Bekräftigung durch die Homophonie zeigt ebenfalls ihre Wirkung.151 »Den Klängen dieser Messe [fis-Moll-Messe] wohnt etwas wahrhaft Liturgisch-Kirchenmusikalisches inne. Damit geht Hand in Hand eine treffliche Vokali-sation wie bei den Alten. Welch merkwürdige Rollenvertauschung in der Musik-geschichte: Während zum Beispiel der katholische Kirchenmusiker Bruckner entgegen den Erwartungen in der Wagner-Berliozschen Art vom Orchester aus 147 Anton Bruckner: Messe f-Moll. Credo: Tenorsolo, T. 118-147. 148 Felix Draeseke: Große Messe in fis-Moll op. 60: Credo: Solochor, T. 129-156. 149 Anton Bruckner: Messe f-Moll. Credo: Chor, T. 438-524. 150 Friedrich Blume: Art. Bruckner. In: MGG, Bd. 2. Kassel. Basel. London. München 1989, Sp. 349. 151 Felix Draeseke: Große Messe in fis-Moll op. 60: Credo: Chorbass, T. 424-478.

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einen schwer ansprechenden instrumentalen Kontrapunkt schreibt, meidet Draeseke denselben zugunsten des Gesanglichen, in deutlicher Abkehr von seiner Zeit und zum Teil auch von Beethoven«.152 7.3.6 Peter Cornelius (1824-1874): Messe in d- Moll (CWV 91) Der Führer der Neudeutschen Schule, die sich als musikalische Fortschritts-partei versteht, ist Liszt seit seiner Tätigkeit als Hofkapellmeister in Weimar. Um ihn scharen sich Joachim Raff, Hans von Bülow, Peter Cornelius, Hans von Bronsart, Karl Tausig, Felix Draeseke und andere Komponisten. Peter Cornelius arbeitet lange Jahre als Privatsekretär bei Franz Liszt. Daher sind ein enger kompositorischer Kontakt und musikalischer Einfluss Liszts gegeben. Die d-Moll-Messe von Cornelius für gemischten Chor, Soli, Streicher ad libitum und Orgel ist 1852 entstanden. Mit dieser Messe schloss er seine Berliner Studienjahre ab, die von der Autorität seines Lehrers, des Musiktheoretikers Siegfried Wilhelm Dehn, geprägt waren. »Stilistisch steht diese Messe noch deutlich in der Tradition der spätklassizistischen Orchestermesse«.153 Ur-sprünglich hat Cornelius das Klavier als Begleitung eingesetzt. Es »wurde durch das klanglich wie liturgisch geeignetere Begleitinstrument Orgel ersetzt, wobei der originale Klaviersatz nur geringfügig abgeändert worden ist«.154 Die Führung der Melodie steht bei Cornelius im Vordergrund, so auch im Kyrie. Die Stimmführung ist hier besonders herausragend, denn Sopran und Alt musizieren in einem doppelten, strengen Kontrapunkt mit >Kyrie eleison< und >Christe eleison<.155 Cornelius entfernt sich in den folgenden Jahren mehr und mehr von Liszt und zieht nach Wien. Dort erwartet ihn eine ähnlich musikalische Gesangs-Landschaft. »Der Sinn für wahres Chorwesen, in langer Verfallzeit ernstlich getrübt, musste sich erst an der Berührung mit dem Reichtum der alten Vokalmeister entzünden, ehe das entstehen konnte, was echten Singegeist in zeitgemäßer Formung spiegelte«.156 Die Schwierigkeiten und ebenfalls die großen Vorteile des künstlerischen Musikerdaseins im 19. Jahrhundert müssen vom Betrachter abgewägt werden. »Im Kreise Liszts befreundete er [Cornelius]

152 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 247. 153 Günter Wagner: Vorwort. Peter Cornelius: Messe in d-Moll CWV 91. Mainz 1990. 154 Ebd., Vorwort. 155 Peter Cornelius: Messe in d-Moll CWV 91: Kyrie, T. 35-46. 156 Gerhard Strecke: Peter Cornelius in seinen gemischten A-cappella-Chören. In: ZfM 89. Jg. Augustheft 1922, S. 330.

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sich mit Bronsart, Ritter, Tausig, Bülow, Draeseke, Raff, mit Preller, dem Sängerehepaar Milde, dem Dichter Hoffmann von Fallersleben«.157 In Draesekes Kyrie der fis-Moll-Messe wird die Kyrie-eleison-Stelle mit kontrapunktischen und imitatorischen Formen aufgebaut. Auf kleinstem Raum hat der Komponist sein Können eingesetzt, indem er den Kleinen Chor mit einem vierstimmigen Satz Note gegen Note Kyrie beginnen lässt. In der Folge mit >Christe eleison< wird wieder ein vierstimmiger Satz notiert, doch mit unterschiedlicher Stimmenverteilung. Jetzt erscheinen ein doppelter Sopran, Alt und Tenor. Die Antwort darauf mit >Christe eleison< bringt zuerst der Solobass, gefolgt vom Tenor, Alt und zum Schluss Sopran. Die Textverteilung ist bei Draeseke klarer und farbiger aufgestellt als bei Cornelius, obwohl dieser weniger Singstimmen verwendet.158 Im Credo der Messe d-Moll von Cornelius schreibt der Komponist einen dreistimmigen A-cappella-Satz in c-Moll: >Et incarnatus est de spiritu sancto ex Maria Virgine>: >Et homo factus est<. Das erste Sopransolo ist führend, während das zweite und der Alt imitatorisch tätig sind. Sie bilden alle drei einen farbigen Gegensatz zu den bisherigen Sätzen der Messe, die alle mit Begleitung musiziert werden. Der Satz ist mit >Andante con moto< über-schrieben, und er wird besonders durch den dreistimmigen A-cappella-Stil der Frauenstimmen hervorgehoben.159 In der a-Moll-Messe von Draeseke schreibt der Komponist einen wesentlich engeren musikalischen Rahmen als Cornelius. Der Männerchor beginnt drei-stimmig im p, der Frauenchor kommt mit seinem >ex Maria virgine< im pp hinzu. >Et homo factus est< wird im vierstimmigen Satz im gemeinsamen pp dargestellt. Parallel zur dynamischen Komponente schreibt Draeseke >etwas drängend, zögernd und langsamer< in der Tempobezeichnung vor.160

Die Kompositionsweisen einzelner Musiker in dieser Zeit sind individuell ver-schieden und beeinflussbar; aber eine allgemeine musikalische Richtung ist den Werken gemeinsam, denn die Kunst Wagners und Liszts setzt sich erst nach 1860 endgültig durch, so dass die große Zahl der Komponisten vorwiegend die Wege Mendelssohns und des späten Schumann gehen. Schumann, Mendelssohn und Chopin sind Vertreter der Hochromantik. Draeseke und seine Musik-Zeitgenossen arbeiten in diesem reichhaltigen musikalischen Jahrhundert. Die geknüpften Kontakte sind vielseitig und vielschichtig. Ebenso beweist Cornelius diese verbindenden Fähigkeiten. »Auch 157 Hans Engel: Art. Cornelius. In: MGG, Bd. 2. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London. München 1989, Sp. 1684. 158 Felix Draeseke: Große Messe in fis-Moll op. 60: Kyrie, T. 50-71. 159 Peter Cornelius: Messe in d-Moll CWV 91: Credo, T. 104-144. 160 Felix Draeseke: Große Messe a-Moll op. 85: Credo, T. 99-116.

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Brahms, mit dem er sich später entzweite, Robert und Clara Schumann lernte er kennen, vor allem den hoch bewunderten Berlioz, dem er mehrfach als Übersetzer diente und für den er als Musikschriftsteller wie für Liszt in der Neuen Zeitschrift für Musik eintrat«.161 7.3.7 Johannes Brahms (1833-1897): Ein deutsches Requiem op. 45 Die neuen kirchenmusikalischen Werke stehen zum Teil gleichwertig neben der zeitgenössischen weltlichen Musik. Die Trennung zwischen weltlicher und sakraler Musik, die das 19. Jahrhundert bestimmt, wird von Brahms noch betont. Keiner der herausragenden Komponisten des 19. Jahrhunderts schreibt ausschließlich für die Kirche. Die Werke sind durch die Abkehr vom roman-tischen Klangbild, in die vokale Welt der Renaissance, in die instrumentale Welt des Barocks und der Gregorianik gerichtet. Johannes Brahms nimmt in der Geschichte des Oratoriums einen eigenen Weg. Den Text in seinem Werk >Ein deutsches Requiem< hat er selbst aus Bibelzitaten zusammengestellt.162 Er komponiert die Musik dazu von 1861 bis 1868. Eine erste Aufführung erfolgt 1868 in Bremen, eine weitere 1869 in Leipzig. Dieses Requiem hat inhaltlich Trost und Verheißung zum Thema. Sopransolo, Baritonsolo, Chor und Orchester (Orgel ad libitum) musizieren einen kantatenhaften Ablauf. Johannes Brahms schreibt ein Requiem in deutscher Sprache, ganz im Gegensatz zu den bisherigen lateinischen Requiem-Vertonungen. Er probiert eine für ihn erweiterte Form aus, indem er das Wort >ein< als unbestimmten Artikel musikalisch hinterfragt. Die ausge-wählten eigenen Texte sind sehr weit von der Ursprungsform des lateinisch-römischen Ritus entfernt. In diesem wird der >Frieden der Toten< bei den >Schrecken des Jüngsten Gerichts< erbeten, in jenem hingegen zeichnet der Komponist menschliches Leid und Tod als Bestandteile des Lebens auf. »Reger hat das trefflich ausgedrückt: Was Brahms die Unsterblichkeit sichert, ist nie und nimmermehr die Anlehnung an die alten Meister, sondern nur die Tatsache, dass er neue, ungeahnte seelische Stimmungen auszulösen wusste auf Grund seiner eignen, seelischen Persönlichkeit«.163 Auch wenn ein sprachlicher Vergleich des Requiems sich bei Brahms nicht anbietet, so ist doch die entstandene Musik hervorzuheben und ebenso mit der Requiem-Musik von Draeseke zu vergleichen. Beide Komponisten spiegeln auf 161 Hans Engel: Art. Cornelius. In: MGG, Bd. 2. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London. München 1989, Sp. 1684. 162 »Der Requiem-Anlage besonders nahe steh[t] Johannes Brahms >Deutsches Requiem<, das deutsche Texte des alten und neuen Testaments und apokryphischer Schriften verwendet«. In: Die Messe. Musikalische Gattungen in Einzeldarstellungen. Hrsg. von Friedrich Blume. Ed. MGG, Bd. 2. Kassel. Basel. London. München 1985, S. 105. 163 Hans Joachim Moser: Geschichte der deutschen Musik. Bd. 2. Stuttgart. Berlin 1924, S. 320f.

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ihre Weise ihre gegenseitige Anerkennung und musikalische Tätigkeit wider. »Obwohl Peter Cornelius, anders als Draeseke, in recht engem, ja freund- schaftlichem Kontakt zu Johannes Brahms stand (wenn auch nur für kurze Zeit), so ist doch Cornelius‘ Stellung zu Brahms in der Zeit der Distanz nicht unähnlich zu jener von Draeseke«.164 >Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden< wird im Requiem von Brahms in mehreren Schichten im ersten Satz musikalisch gestaltet. Hier ist es der Introitus, der >ziemlich langsam und mit Ausdruck< vom Chor vorgetragen wird. Mehrmals wird die obige Textzeile durch Pausen oder lange Notenwerte unterbrochen. Das ist sicher ein Stilmittel von Brahms, um die nächste Zeile >Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten< vorzubereiten. Er setzt praktisch zu den Chorstimmen zwei Bratschenstimmen parallel und lässt hohe Streicher weg. In der Folge kommen Oboen und die Harfe hinzu. Brahms >malt< den Text mit der Instrumentierung. Seine B-Tonarten (F-Dur und Des-Dur) arbeiten mit Vorhalten und verzögerten Auflö-sungen. Außerdem werden zuerst Alt und Tenor vom Orchester in direkten Oktaven begleitet, dann folgen Sopran und der Bass, letzterer wird mit verdeckten Oktaven musiziert. Inhaltlich sind die Klage und später der Trost die beiden gedanklichen Eckpunkte. Brahms entwickelt seinen Eingangssatz wie eine Da-capo-Arie in einer Dreiteiligkeit: Der erste Teil wird mit den Worten >getröstet werden< und F-Dur beendet, der zweite Teil >die mit Tränen säen< in Des-Dur, dieser Teil steht dem ersten im Charakter gegenüber. Er nähert sich der Stelle >werden mit Freuden ernten< in einem aufgelockerten Motiv, das aber nur vorübergehend eingesetzt wird. Die Stimmung des Textes schlägt sich auch in der Instru-mentierung nieder. An der Stelle >Sie gehen hin und weinen< schreibt Brahms vor, dass die Bläser die Melodie übernehmen sollen, und der Chor begleitet das >Weinen der Instrumente< mit >getröstet werden<. Der Komponist hat hier mit der Wiederholung des Motivs in den Instrumenten einen musikalischen Rollentausch vorgenommen.165 Das Requiem h-Moll von Draeseke zeigt dagegen ganz andere Intentionen als die von Brahms. Letzterer gebraucht einen deutschen Text, Draesekes basiert auf der alten Sequenz, die zum Ausdruck bringen will, dass die Bitte um die Totenruhe erhört wird. Gerade weil der textliche Unterschied der beiden Werke so deutlich wird, gilt die Musik als gemeinsame Basis. Draeseke beginnt sein Requiem mit einer besonderen Form, der Chaconne. Sein Satz formiert sich von den tiefen Streichern bis zu den Holzbläsern in einem >Andante grave<. 164 Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke und Johannes Brahms. Ein biographischer Annäherungsversuch. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke. Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 147. 165 Johannes Brahms: Ein deutsches Requiem. Nr. 1: Chor: Selig sind, die da Leid tragen, T. 8-158.

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Auch er arbeitet mit den Instrumenten im p eine verhaltene Stimmung heraus. Diese wird durch die Tonart h-Moll noch unterstrichen. Der gesamte erste Satz wird durch den Methodenwechsel der verschiedenen Kompositionsarten sehr farbig gestaltet, indem zusätzlich Fugati, vierstimmiger Satz, Imitationen, Kanonführungen, Quintkanon, Soloeinwürfe, Fuge, Unisono als Klein- und Großformen miteinander musikalisch korrespondieren. Den Schluss des ersten Satzes bildet der große vierstimmige Chor mit einer klaren Zusammenfassung, wieder vom Vorherigen auch im dynamischen Bereich mit pp abgesetzt. Viele musikalische Eindrücke und Formen wendet Draeseke hier an, Brahms bevorzugt eher den vierstimmigen homophonen Satz, allerdings gleitet auch dieser durch verwandtschaftliche Tonarten.166 Im Kyrie des e-Moll-Requiems WoO 35 schreibt Draeseke zwei Themen vor. >Kyrie< und >Christe eleison< werden durch eigene melodische Wortinter-pretationen, die gleichzeitig auch die Funktion von individuellen Themen über-nehmen, besonders hervorgehoben. Er verbindet beide Themen zu einer Doppelfuge. Dieser Introitus des e-Moll-Requiems hat ebenfalls eine völlig andere Konstellation als der erste Satz von Brahms‘ >Selig sind die, die da Leid tragen<. Hier findet ein direkter Einstieg in den Text statt, mit Hilfe eines Borduns im Bass, der die Quinte h in besonderer Weise vorwegnimmt.167 Dort lässt Brahms das Orchester dagegen einen kurzen Teil vormusizieren, dann erst folgt der Chor mit seinen Aussagen. Draeseke ist in seinen Stimmenzu-sammenführungen konsequenter, er entwickelt die genannte Doppelfuge, die eine Vernetzung und Verquickung einzelner Stimmen fordert. Jede der fünf Stimmen führt eines der beiden Themen an und wechselt diese sogar.168 Beiden Komponisten -Brahms und Draeseke- ist gemeinsam, dass sie gesanglich arbeiten und liedmäßige Chorabschnitte formen, die bei Brahms streckenweise fast wie ein A-cappella-Chor klingen. Das Orchester hat dann eine musikalisch untergeordnete Rolle auszufüllen. Auch bedient sich Brahms der deklamatorischen Formen im Orchester und prägt dadurch den zu erwar-tenden Text. Er verbindet dabei wie Draeseke Homophonie und Polyphonie. In der Neudeutschen Schule erreicht die sinfonisch-gestaltete Messenkompo-sition unter Franz Liszt >subjektive< und unter Bruckner >objektive< Ausfüh-rungen.169 »Liszt wurde bei historischer Betrachtung der Kirchenmusik des 19. Jahrhunderts zu Anton Bruckner in Opposition gesetzt. Liszt galt als >subjek-tiver< Kirchenkomponist, Bruckner als >objektiver<.170 166 Felix Draeseke: Requiem h-Moll op. 22: Kyrie, T. 1-173. 167 Felix Draeseke: Requiem e-Moll WoO 35: Introitus, T. 1-26. 168 Ebd., Introitus, T. 118-137. 169 Walter Senn: Art. Messe. Von 1600 bis zur Gegenwart. In: MGG, Bd. 9. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel. Basel. London. München 1989, Sp. 183f. 170 Helmut Loos: Franz Liszts Graner Festmesse. In: KmJb 67 (1983), S. 51f. Vgl. Karl Gustav Fellerer: Die Messe. Ihre musikalische Gestalt vom Mittelalter bis zur Gegenwart.

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Das Zeitalter Beethovens hat zwei Richtungen gekannt und sich mit Messen-kompositionen Mozarts und Haydns auseinandergesetzt. Es sind viele ver-schiedene Formen zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden, solche, die im Konzertsaal, andere, die während des Gottesdienstes als Credo-Messe einge-setzt werden konnten. Hinzu gelangen noch Händel- und Bachreminiszenzen, sowie deren stilistische Einflüsse. Daneben und gleichzeitig sehen sich Liszt und Bruckner restaurativ-denkenden Musikerkollegen gegenübergestellt. Sie aber sind Beethoven verbunden und erweitern die Idee der sinfonisch-gestalteten Messe. Auch leistet Bruckner diese Aufgabe. Er kann »die sympho-nischen Kräfte kulminieren…und stellt die Symphonie mitten hinein in die Kirche«.171 Alfred Schnerich spricht eine andere Wertung über Bruckner aus: dieser halte an der überkommenen Form fest, und seine Erfindungskraft sei »ein Mangel an Ausgestaltung und Gliederung«.172 Motiv- und Themenarbeit reichen bis zur Entstehung der Fuge, und sie zeigen klar das Formprinzip der Wiener Klassik: die geschlossene ABA-Form.173 Franz Liszt ist schon 1834 dafür, seine Kirchenmusik in einer Verbindung von Kirche und Theater zu sehen.174 Aus dem programmatischen Hintergrund schöpfend, hat Liszt seine Tonmalerei in den Messen vertieft: der Graner Festmesse, seiner Missa solemnis und ein Jahrzehnt später in der Krönungsmesse. Die musikalische Problematik dieser Zeit liegt in der Bewältigung der auf Modernität ausgerichteten Industriali-sierung, zum anderen in der musikalischen Gestaltungsmöglichkeit der Wiener Klassik, also rückwärts orientiert, des Weiteren in der Erfindung neuer Stilkriterien. Diese Vielfältigkeit ist in zwei Richtungen der Neudeutschen Schule festzumachen. Beethoven gilt als Vertreter der allgemeinen, absoluten Musik mit Schumann, Bruckner und Brahms. Die programmatische Musik wird von Liszt, Berlioz, Draeseke und anderen vertreten. Die sinfonische Musik Beethovens ist Auslöser und Förderer der Dramatisierung der Musik. Franz Liszt greift diese Idee auf und übersetzt sie verbindend auf die Kirchenmusik.175 Liszts Graner Messe ist mit dramatischen Stilelementen sinfonisch bestimmt: der Chor hat zwei Rollen zu vertreten, er stellt den Geistlichen und die Gemeinde dar. Hier spiegelt sich der Inhalt der Messe deutlich wider: dynamischer Wechsel in den verschiedenen Chören, den Solopassagen und in den differenzierten Bereichen der angewandten Tonarten. Die daraus resultie-

Dortmund 1951, S. 18. 171 Leopold Nowack: Die symphonische Kirchenmusik. In: Karl Gustav Fellerer/Heinrich Lemacher (Hrsg.): Handbuch der Kirchenmusik. Essen 1949, S. 204. 172 Alfred Schnerich: Messe und Requiem seit Haydn und Mozart. Wien. Leipzig 1909, S. 123. 173 Karl Gustav Fellerer: Bruckner und die Kirchenmusik seiner Zeit. In: Christoph-Hellmuth Mahling: Anton Bruckner. Gedenkschrift Walter Wiora. Tutzing 1988, S. 57f. 174 Ebd., S. 53. 175 Winfried Kirsch: Musik zwischen Theater und Kirche: Zur Dramatisierung geistlicher Musik der Neudeutschen Schule. Kongressbericht Eisenstadt 1983. In: Franz-Liszt-Studien 3, S. 92.

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rende Korrespondenz untereinander zeigt, dass Franz Liszt eine andere Schreibweise einsetzt als Bruckner.176 Dieses breite musikalische Feld findet Felix Draeseke vor und setzt sein h-Moll-Requiem op. 22 und die fis-Moll-Messe op. 60 vor allem in die Nachfolge Beethovens. Restaurative Elemente werden in beiden Werken an entsprechen-den Stellen durch chorale, litaneinähnliche Einflüsse mit einbezogen. Die A-cappella-Kompositionen op. 85 und WoO 35 sind der alten Musik gegenüber verpflichtet und weisen einen hohen Kontrapunkt auf. Charakteristisch für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts sind für die sinfonisch-gestaltete Messe musikwissenschaftliche Einflüsse durch Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und andere. Beethoven und Schubert erweitern musikalische Einflüsse nicht nur bei Anton Bruckner und Franz Liszt, sondern auch bei Felix Draeseke, indem diese Komponisten zu verschiedenen Formen von Engführungen gelangen. Die Orchesteraufstellung zielt zum Beispiel auf eine Erweiterung ganzer Orchestergruppen. Luigi Cherubini und die Missa Solemnis sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Kontrapunkt-schulen entstehen in Deutschland. Sie weisen auf den strengen Satz Palestrinas hin. Eine liturgische Wendung erfolgt durch das Wiederbeleben des liturgischen Wortes, durch das Zurückdrängen alles Theatralischen.177 7.3.8 Zusammenfassung

176 Ebd., S. 92. 177 Birgit Lodes: Das 19. Jahrhundert. Die Messe im 19. Jahrhundert. In: Messe und Motette. Hrsg. von Horst Leuchtmann/ Siegfried Mauser. Bd. 9. München 1998, S. 270f.

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Im vokalstilistischen Vergleich mit Komponisten aus Spätbarock, Wiener Klassik und seiner Zeit hat Felix Draeseke musikalische Ähnlichkeiten und Unterscheidungen in seinen Requiem-Vertonungen und Messen geschrieben Spätbarock

Kriterien Werk Bach

Requiem h-Moll Draeseke

Messe fis-Moll Draeseke

Requiem e-Moll Draeseke

Messe a-Moll Draeseke

Ausgewählte Beispiele

J. S. Bach Hohe Messe h-Moll: BWV 232

barocke Phrasierg. Motivverar- beitung Kontempla-tion Homopho-nie Polyphonie instr. Fülle Gregorianik Fuge

rhythm. Überlagerg. Auslegung ‚theolog. Zuversicht‘ Tonmalerei teilweise opernhaft Fuge

Homopho-nie Polyphonie scheinbare Polyphonie als Gegen- satz Tonmalerei Orchester- part + Ok- taven Fuge

BWV 232: Sanctus: Chor T. 1-47 S. 332 Fußnote Draeseke: fis-Moll: Gloria: T. 1-12 : Kleiner Chor: Et in terra pax S. 332 Fußnote BWV 232: Gloria: Qui sedes ad dextram: Altsolo ab T. 18, S. 332 Fußnote Draeseke: fis-Moll: Gloria: Qui sedes ad dexteram T. 144-152 S. 332 Fußnote

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Wiener Klassik Franz Joseph Haydn Missa in Tempore Belli Pauken- messe

konzertie- render So- pran + Alt Wechsel Soli + Chor Fuge Pauke: Agnus Dei

größeres Orchester italien. Ein- fluss Orchester= begleitende Funktion oder sinfon. Gepräge

größeres Orchester italien. Ein- fluss Orchester= begleitende Funktion oder sinfon. Gepräge

Haydn: Missa in tempore belli: Kyrie. Kyrie eleison T. 11-93. Soli und Chor Chor beginnt direkt und begleitet harmonisch S. 335 Fußnote Draeseke: h-Moll: Kyrie: Es beginnt mit einer Chaconne. Der Solo-bass gestaltet mit der 4. Varia-tion weiter den musi-kalischen Boden T. 20-26 S. 336 Fußnote

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W. A. Mozart KV 427

Sanctus: Bach- + Händelein- fluss motivisch themat. Ar- beit

Überlage- rungen rhythm. Motive c.f. Verar- beitung Fuge

Credo: Deklama-tion Sanctus: Kirchen- musik: antiphonal Fuge

Vorbilder im 16./17. Jhdt. Modulation Vorhalte verschobe-ne Auflösg. Polyphonie Fuge

Vorbilder im 16./17. Jhdt. Modulation Vorhalte verschobe- ne Auflösg. Polyphonie Fuge Quint-kadenz

Mozart: Kyrie gilt als Vorlage für Agnus kurze instrumen-tale Einleitung T. 1-26 S. 337 Fußnote Draeseke: fis-Moll: Introitus T. 1-29 S. 337 Fußnote

Wiener Klassik

W. A. Mozart KV 626

helle Far- ben werden verdrängt: Symbol der Trauer

Choral: Interpreta- tion Gesangs- musik

Fugen: Liszt- + Brahms- einfluss

Mozart: KV 626: Domine: Note gegen Note T. 44f. S. 339 Fußnote Draeseke: h-Moll: Domine T. 222f. S. 339 Fußnote Stimmenein- teilung

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7. Vokalstilistische Vergleiche mit ausgewählten Messen

367

unterschied-lich

Ludwig van Beethoven Missa Solemnis op. 123

langes Orchester- vorspiel themat. Ar-beit Dynamik einzelner Worte: neu Fuge aus- führlicher

kurzes Orchester- vorspiel alte, klass. Formen mit neuen gemischt Quint-kadenz

kurzes Orchester- vorspiel Credo: 3X non: Text- erweiterung wie Beeth. Steigerung durch sym- bolische Zahl

Unisono= Zusammen- fassung: cuius regni >non< als Synkope: Erhöhung der Drama- tik

Beethoven: langes Or-chestervor-spiel und direkte Kyrie-Anrufung zwischen Solo und Chor / Note gegen Note T. 22f. S. 342 Fußnote Draeseke: fis-Moll: Kyrie: steigendes Orchester Kleiner und Großer Chor wechseln ab wie bei Beethoven T. 88 f. S. 342 Fußnote

Romantik

Franz Schubert Messe As-Dur D 678

Tradition roman-tische Ton- arten Melodien- entfaltung Klangfar-ben

Annähe-rung an Schubert im Kyrie weniger umfang-reich Fuge Agnus Dei: dona nobis pacem

Annähe- rung an Schubert Innendyna-mik Synkopen psychologi- sierende Dramatik

Schubert: D 678: Kyrie: Gesamtein-druck: zurückhal-tender als Beethoven Die hohen Frauen-stimmen beginnen ab T. 9 f.

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7. Vokalstilistische Vergleiche mit ausgewählten Messen

368

Tripelfuge: dona nobis pacem

S. 346 Fußnote Draeseke: fis-Moll: Kyrie: An- näherung an Schubert 4stg. Chor beginnt ab T. 5 f. S. 346 Fußnote Schubert: D 678: Benedictus: Gesamtein-druck: 4 Takte Orchester: 3stg. und 4stg. Chor wechseln sich ab / unisono Eindruck T. 5-140 S. 346 Fußnote Draeseke: a-Moll: Benedictus: einfacher Satz mit Fugati und Imitationen T. 1-52 S. 346 Fußnote

H. Berlioz Requiem des morts

kein liturg. Anlass Orchester + Chor: sehr groß Leitmotiv

Dies irae: Tuba mirum

musikal. Charakter: diametral zu Berlioz

Berlioz: Requiem des morts: Dies irae: Tuba mirum T. 1-111 Vorspiel: 22 Takte

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7. Vokalstilistische Vergleiche mit ausgewählten Messen

369

Orchester- farben Klangfar-benauswer- tung opernhaft

Dramatik durch zwei Posaunen- Paare im ≻≻ bei Draeseke im ≺≺ bei Berlioz

Chorbass ff-pp S. 349 Fußnote Draeseke: h-Moll: Dies irae: Tuba mirum T. 80-102 Bass-stimmen im Orchester oktaviert S. 349 Fußnote

Franz Liszt Missa solemnis

Tonmalerei Erweiterung der sinfon. Form und Text: Benedictus Gregorianik

Benedictus stärker im Ausdruck als Liszt Wiederho-lung als Prinzip Solichor

Liszt: Missa solemnis: Credo: et unam sanctam catholicam T. 277-310 Betonung auf apostolicam ecclesiam S. 351 Fußnote Draeseke: fis-Moll: Credo: unam sanctam catholicam T. 358-394 Fuge S. 351 Fußnote

Romantik

Kriterien Werk

Requiem h-Moll

Messe fis-Moll

Requiem e-Moll

Messe a-Moll

Ausgewählte Beispiele

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7. Vokalstilistische Vergleiche mit ausgewählten Messen

370

Giuseppe Verdi Messa da Requiem

Einfluss durch Oper + Sinfonie nicht liturg. Klanglyrik gr. Chor + großes Orchester Dies irae: sehr viele Unterteilun- gen: neuer Kunstgriff

kurze opernhafte Elemente wesentlich kleinerer Klangkör-per Dies irae: eine ge- schlosse-nere Form- sequenz als bei Verdi Verdische Auffassung: Confutatis

kurze opernhafte Elemente wesentlich kleinerer Klangkör-per

Verdi: Messa da Requiem: Dies irae: Lacrimosa: T. 1-78 Mezzosopran beginnt Solo- und Doppelchor B-Tonart und Tempo Largo ff-pp unisoner Charakter komprimier-ter im Klang als bei Draeseke S. 354 Fußnote Draeseke: h-Moll: Dies irae: T. 409-493 Fußnote Lacrimosa: Solo und Chor wechseln ab Larghetto von p zu ff S. 354 Fußnote

Anton Bruckner Messe f-Moll

Bach und Beethoven: Einfluss Wagner- Symbolik Soli und

crucifixus= vier- stimmiger Solisatz Begleitung durch das

Bruckner: Messe f-Moll: Credo: Et vitam venturi Fugenab-schnitte werden

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7. Vokalstilistische Vergleiche mit ausgewählten Messen

371

Chor wechseln ab: u.a. crucifixus: Basssolo: Begleitung durch das Orchester: dissonante Satztechnik Fuge: et vitam ven- turi: vom Sopran ausgehend

Orchester: Fuge: Et vitam ven- turi: vom Bass ausgehend

durch homo- phone Chor-rufe unter- brochen eigene Dynamik ent- steht T. 438-524 S. 356 Fußnote Draeseke: fis-Moll: Credo: Chorbass beginnt mit Fuge T. 424-478 S. 356 Fußnote

Peter Cornelius Messe d-Moll CWV 91

Führung der Melodie: Kyrie doppelter Kontrapunkt weniger Sing- stimmen als Draeseke trotzdem nicht klar in der Textver- teilung Kunst von Wagner + Liszt

Kyrie: Kontra-punktische + imitator. Formen: vier- stimmiger Satz Textvertei-lung klarer als bei Cornelius Kunst von Wagner + Liszt

Credo: engerer musikal. Rahmen als bei Cornelius Männerchor + Frauen- chor wechseln sich ab Kunst von Wagner + Liszt

Cornelius: Messe d-Moll CWV 91: Kyrie: Kyrie eleison Stimm-führung Melodie strenger Kontra- punkt T. 35-46 S. 357 Fußnote Draeseke: fis-Moll: Kyrie: 4stg. Satz Textvertei- lung klarer als bei Cornelius

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7. Vokalstilistische Vergleiche mit ausgewählten Messen

372

T. 50-71 S. 358 Fußnote

Johannes Brahms Ein deutsches Requiem op. 45

deutscher Text aus Bibelstellen zusammen-gestellt Klassizis-mus Text wird ‚gemalt‘ B-Tonarten Instrumen-tierung als Rollen- tausch gesang-liche Arbeit A-cappella-Intention Homopho-nie + Poly- phonie

lateinischer Text Chaconne Methoden-wechsel verschiede- ne Formen wechseln ab gesangl. Arbeit teilweise A-cappella-Intention Homopho-nie + Poly- phonie

lateini-scher Text

lateini-scher Text

lateinischer Text weniger eine Toten-messe als Trost für die Hinterblie-benen

Brahms: Ein deutsches Requiem op. 45: Chor I: Selig sind, die da Leid tragen 14 Takte Einleitung Selig sind, die da Leid tragen wird mehrmals wiederholt Brahms entwickelt den Eingangssatz wie eine Da- Capo- Arie T. 8-158 S. 360 Fußnote Draeseke: h-Moll-Requiem: Kyrie, T. 1-173 S. 361 Fußnote Draeseke: e-Moll-Requiem: Introitus, T. 1-26 und T. 118-137 S. 361 Fußnote

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8. Stellung in der Gattungsgeschichte

373

8. Résumée der vokalstilistischen Untersuchung Bedeutung der Messen

Im 19. Jahrhundert nimmt die Entwicklung der Vokalmusik vor allem im geist-lichen Bereich einen eigenständigen Verlauf. So werden verschiedene Mess-kompositionsarten besonders hervorgehoben. Restaurative und sinfonische Werke stehen sich nicht nur im kirchenpolitischen Raum gegenüber, sondern ihre musikalischen Grundsätze leiten sich unter anderem aus dem A-cappella-Stil der Palestrina-Zeit und der Wiener Klassik ab. Der Komponist muss sich mit dem zu behandelnden Text auseinandersetzen und dafür Sorge tragen, den Text so zu gestalten, dass die Musik eine vorwiegend zurückhaltende Rolle gegenüber dem Text und nicht eine dominierende einnimmt. Der Schreiber befindet sich dadurch in einem Zwiespalt, denn er hat die Aufgabe, den liturgischen Charakter und Ritus der Messe zu erhalten. In Korrespondenz des Wort-Ton-Verhältnisses werden musikalische Formen wie Fuge, Kanon und Choralbearbeitung aufeinander bezogen. Der musika-lische Entwicklungsprozess ist auf einer kompositorisch gewachsenen Linie nicht anzutreffen, sondern es zeigen sich viele musikalisch-phänomenolo-gische Besonderheiten, vor allem im vokalstilistischen Bereich. »Die Vergan-genheit, als die der Historiker die musikalische Hinterlassenschaft aus der Zeit zwischen Wiener Klassik und Neuer Musik begreift, kann erst durch die Vermittlung der Gegenwärtigkeit, in der sie sich repräsentiert, überhaupt entdeckt werden«.1 Verschiedene musikalische Zentren stehen sich in Deutschland (München, Regensburg) und Österreich (Wien) im 19. Jahrhundert gegenüber. Strenge, restaurative Kompositionsmöglichkeiten werden durch Kaspar Ett vertreten, der sich für das A-cappella-Ideal Palestrinas einsetzt. So ist die Funktion, den Text als liturgisches Element auszuführen, im 19. Jahrhundert oberstes Prinzip geworden. Hinzu kommt noch, dass »der vorläufige Abschluss im Werden der Musiksprache, der durch die Tat Palestrinas erreicht wurde, mit dem Abschluss des liturgischen Werdens zusammenfällt«.2 Durch die katholische Kirche wird eine bestimmte Richtung angestrebt, alle weltlichen Einflüsse im Cäcilianismus zu untersagen. Aus dieser zurückliegenden Bewegung folgt, dass »die Restauration sich in hohem Maße dem Fortgang der Symphonie, Harmonik, Chromatik, Modulation, Intensität des Ausdrucks und anderer Seiten der Musik verschloss«.3

1 Joseph Schmidt-Görg: Die Messe. In: Das Musikwerk. Heft 30, 1967, S. 6. 2 Carl Dahlhaus: Die Musik des 19. Jahrhunderts. Wiesbaden 1980, S. 2. 3 Thrasybulos Georgiades: Musik und Sprache. Das Werden der abendländischen Musik. Dargestellt an der Vertonung der Messe. Verständliche Wissenschaft. 50. Bd. Berlin. Göttingen. Heidelberg 1974, S. 10. 4 Walter Wiora: Restauration und Historismus. In: Geschichte der katholischen Kirchenmusik. Hrsg. von Karl Gustav Fellerer. Unter Mitarbeit zahlreicher Forscher des In- und Auslandes. Bd. 2. Vom Tridentinum bis zur Gegenwart. Kassel. Basel. Tours. London 1976, S. 219.

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8. Stellung in der Gattungsgeschichte

374

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird 1903 in der Enzyklika >Motu proprio< durch Papst Pius X. diese Auslegung abgeschlossen und beurkundet. Otto Ursprung bezeichnet den Cäcilianismus in seiner Geisteshaltung: [Es] »entspricht der an Palestrina ausgerichtete Cäcilianismus völlig jener Zeit, welche in der weltlichen Musik eben nur die eine Sonatenform der Wiener Klassiker als unverrückbare Norm jeglicher Instrumentalmusik aufgestellt hatte und in der Ästhetik von Hanslicks formalistischen Anschauungen über >Musik als tönend bewegte Form< befangen war«.4 Unter das Urteil des Cäcilianismus fallen besonders die Messen von Franz Liszt und Anton Bruckner. Sie schreiben keine ausschließlich restaurativen musikalischen Elemente der Reduktion. Sie erweitern die eigene geistige Kraft nicht nur durch neue Harmonien und Tonartenfolgen, sondern auch durch die Erweiterung der Farbigkeit des Orchesterapparates und besonders gestaltete Themen. Aber beide Komponisten stehen dennoch auch den Reformbewe-gungen ihrer Zeit offen gegenüber. »Wie für alle Reformer der katholischen Kirchenmusik des 19. Jahrhunderts waren auch für Liszt der gregorianische Choral und die A-cappella-Polyphonie des 16. Jahrhunderts die kirchen-musikalischen Ideale schlechthin. Jedoch erblickte er das Heil der katholischen Kirchenmusik nicht im bloßen historisierenden Nachahmen alter Stile. Vielmehr brachte er Gregorianik und Palestrina-Stil mit seiner eigenen musikalischen Sprache zusammen. Dabei ist bezeichnend, dass er diese so heterogenen Stilelemente nicht immer miteinander verschmilzt, sondern oft hart gegenein-ander stellt«.5 Anton Bruckner lehnt sich in der Kompositionsart teilweise an Bach und Beethoven an, dessen melodisch-sinfonischer Stil sich auch in der f-Moll-Messe zeigt. Anton Bruckners Messen werden als >monumental< bezeichnet, »in denen sich Bachische Polyphonie mit neudeutschen Klangfarben (..) vermählen«.6 Im Gegensatz zu Liszt und Bruckner steht zum Beispiel Rheinberger der Restauration recht nahe. »Den Typ der cäcilianischen Orgelmesse pflegen Rheinberger, Greith, Stehle. Für Orchesterinstrumen-tierung gilt das Prinzip der Reduktion der Stimmen, der Vermeidung von >Masseneffekten< und instrumentaler Häufung«.7

5 Elmar Seidel: Die instrumentalbegleitete Kirchenmusik. In: Karl Gustav Fellerer (Hrsg.): Geschichte der katholischen Kirchenmusik. Bd. 2. Kassel. Basel. Tours. London 1976, S. 243. 6 Otto Ursprung: Restauration und Palestrina-Renaissance in der katholischen Kirchenmusik der letzten zwei Jahrhunderte. Vergangenheitsfragen und Gegenwartsaufgaben. Augsburg 1924, S. 38. 7 Johannes Schwermer: Der Cäcilianismus. In: Geschichte der katholischen Kirchenmusik. Hrsg. von Gustav Fellerer. Bd. 2. Kassel. Basel. Tours. London 1976, S. 230.

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8. Stellung in der Gattungsgeschichte

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Franz Liszt, Anton Bruckner und Hector Berlioz werden von Fellerer besonders aus dem Kreis der großen und weitsichtigen Komponisten hervorgehoben: »In den Ausdrucksmitteln der großen Kunst der Zeit aber hat A. Bruckner wieder zur kirchlichen Messe liturgischen Ausdrucks zurückgefunden. F. Liszt, den Klangreichtum und die Ausdrucksfülle der Messen von Berlioz und Lesueur weiterführend hat in seiner Graner Festmesse diesem Ziel zugestrebt, aber in seiner Missa choralis äußerlich zur Strenge cäcilianischer A-cappella-Kunst gefunden«.8 Neben den großen Messen im 19. Jahrhundert entstehen Gebrauchsmessen für den Gottesdienst: Rheinberger ist einer der führenden Komponisten. »Durch Rheinberger wurde trotz der Weichheit seines Stils die Messenkomposition neuer Vertiefung zugeführt«.9 Die Auswirkung und Bedeutung der Messen Felix Draesekes für das 20. und 21. Jahrhundert können nur aus ihrer musikalischen Geschichte heraus beur-teilt werden. Die Stellung, die Draeseke durch seine zwei Messen und die beiden Requiem-Vertonungen erhalten hat, ist weniger in den zahlenmäßig geringen Aufführungen zu finden, sondern in der Anerkennung des Komponi-sten von Musik-Fachleuten. Dabei werden die geltenden musikalischen Stilmittel verstärkt gesehen: auf der einen Seite Ausbau des sinfonischen Charakters, der Melodienführungen, der Erweiterung der Stimmenvolumina und der Tonartenrückungen, die sich in musikdramatischen Zeichnungen aus-drücken.10 Außerdem findet nicht nur eine Anbindung an die Wiener Klassik und eine Rückbesinnung in der a-Moll-Messe und im e-Moll-Requiem auf den Palestrina-Stil statt, sondern eine Verknüpfung des alten, strengen Palestrina-Satzes mit zeitgenössisch abschließender Kadenz und Abwechslungen von Tonarten-Modalitäten. Sie werden in den sprachlichen Kontext durch eine große, melodisch-kontrapunktische Linienführung einbezogen.

8 Karl Gustav Fellerer: Die Messe. Ihre musikalische Gestalt vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Dortmund 1951, S. 18. 9 Ebd., S. 22. 10 »Richard Wagner starb am 13. Februar 1883. Der Allgemeine Musik-Verein lud die Großen der damaligen Kunst zu einer Wagner-Gedächtnis-Feier in dessen Vaterstadt Leipzig ein. Die Veranstalter ehrten den großen Musikdramatiker mit einem Werk seines Freundes, Vorkämpfers, mit dem Requiem h-Moll Felix Draesekes, das am 3. Mai 1883 in der Thomas-Kirche, der Wirkungsstätte von Johann Sebastian Bach, eine erste vollendete Wiedergabe erfuhr. Es wurde enthusiatisch aufgenommen, und das Urteil war klar: "[Es]gehört dieses Requiem unstreitig auf den obersten Platz unserer modernen Kirchenliteratur" (Franz Liszt)«. In: Udo-R. Follert (Hrsg.): Felix Draeseke. Requiem h-Moll für vier Solostimmen, Chor und Orchester op. 22. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Bd. 2. Reprografischer Nachdruck der Erstausgabe, Coburg 1988, S. VIII.

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8. Stellung in der Gattungsgeschichte

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»In Intention und Arbeit durchweg interessant, hat dieses Werk [Requiem h-Moll, op. 22] in einigen Sätzen auch in Bezug auf Erfindung und Wirkung die Bedeutung einer Originalleistung höheren Ranges«.11 Draeseke schafft im Rahmen seiner kirchenmusikalischen Kompositionen auch hier - auf dem Ge-biet der Messe und der Requiem-Vertonungen - breite musikalische Ebenen, auf denen er seine Ideen ermöglicht und verwirklichen kann. Er sieht gegen-über der Messe und dem Requiem theologische und musikalische Ver-pflichtungen, die er für seine Zeit konsequent auszuführen sucht. »Der große aufbauende Geist fasst hier mit sicherer Hand zusammen und schafft Verbin-dung von Vergangenheit und Gegenwart ein Stück Zeitlosigkeit. Sein nächster Anknüpfungspunkt ist die Missa solemnis (Mozart). Als ehemaliger Liszt-Jünger und Schultermann von Cornelius geht es aber noch weiter zurück: zur altklassi-schen katholischen Kirchenmusik, wie zur Gregorianik«.12 Im h-Moll-Requiem hat der Komponist einen Choral im Offertorium13 verarbeitet. Gregorianische Anteile finden sich in altklassischen Beispielen vor allem in psalmodierenden, repetierenden musikalischen Stellen wieder, in der Großen Messe a-Moll, op. 85 von 1909, sowie im Requiem e-Moll, WoO 35 von 1909/1910. Draeseke gewinnt den Kampf gegen den musikalischen Liberalismus, indem er seine Zeit inhaltlich-philosophisch erfasst und den Cäcilianismus mit ihr verbin-det. Außerdem wendet er sich gegen die Impietät seiner Zeit. Diese achtet in erster Linie auf Äußerlichkeiten von Musikdarstellungen und weniger auf die Förderung und Forderung von zeitgenössischen Leistungen. »Die Erklärung für solche Prinzipienlosigkeit liegt in der Anbetung des äußeren Erfolges, die das Gesamtempfinden unserer Tage zu beherrschen scheint und aus der natürlich die oben erwähnte Confusion sich ergeben muss«.14 Ab ca. 1875 stellt Draeseke seine kirchenmusikalischen Kompositionen in einen bewussteren geistigen Vergangenheits- und Gegenwartsbezug. »Insbesondere muss eine warme Begeisterung für die großen Leistungen der Vergangenheit geweckt werden und diese wird sich nur erzielen lassen, wenn die Meister, denen wir diese Leistungen verdanken, in lebensfrischer Schilderung vor uns erscheinen und ihre Werke eine von aufrichtiger Verehrung diktierte Würdigung erfahren«.15 Seine frühere Haltung gegenüber der Religion spiegelt auch bei ihm den Zeitgeist wider. Für die Kirchenmusik der Klassik ist der Zeitstil mit den starken weltlichen Einflüssen wie Oper und

11 Hermann Kretzschmar: Führer durch den Konzertsaal. Bd. 1. 4. Aufl. Leipzig 1916, S. 332. 12 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 70. 13 Vgl. Kap. 5, S. 175, Kap. 5, S. 190 14 Felix Draeseke: Wachstum der Impietät gegenüber den großen Tonmeistern der Vergangenheit. Aus dem Nachlass Hans von Bülows. Berlin o. J., S. 4. 15 Ebd., S. 4.

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Sinfonie bestimmend. Die Kirchenmusik kann sich diesen Einflüssen im 19. Jahrhundert nicht verschließen. Sie öffnet sich ihnen, und dadurch erhält sie auch teilweise konzertanten Charakter. Das hat zur Folge, dass in der Kirchenmusik kirchliche und geistliche Musik nebeneinander bestehen: Kirchliche, die rein liturgisch und organisch in die Messe eingebaut ist, und geistliche Musik, die im Sinne einer Konzert-aufführung für die Kirche und den Konzertsaal komponiert wurde. Das Problem der Auffassung geistlicher Musik im Konzertsaal liegt auch auf der kirchlichen wie soziologischen Seite der Zeit der Klassik. Der Cäcilianismus wehrt sich gegen Kirchenmusik mit opernhaften Elementen und spricht von >Unkirch-lichkeit<. Hier ist es die Klassik, die weltlichen Einflüssen wie Oper und Sinfonie Raum gibt. Diese von der Klassik geprägte Kirchenmusik wirkt befreiend, wenn nicht Pietismus und katholische Kreise diese gehemmt hätten. Politische und vor allem musikalische Einflüsse hat es bei Draeseke einige gegeben: Palestrina, Händel, Bach, Haydn, Mozart, Beethoven, Liszt, Wagner, Cornelius, Schubert und andere. »Draeseke war im innersten Wesen zu sehr mit den Kunstanschauungen der vergangenen klassischen Musikepoche verwachsen, als dass er auf deren Tradition hätte verzichten können«.16 Die schriftstellerischen wie auch musikalischen Aufgaben Draesekes befinden sich auf geschichtlichem Boden. »Die Entwicklung der übrigen Vokalmusik, insbesondere der geistlichen, ist nicht zu verstehen ohne das Gedankengut des Historismus. Als Geschichtsverständnis bezeichnet, das jede geschichtliche Epoche allein aus ihren eigenen Bedingungen heraus verstehen will«.17 Diese Draesekeschen musikalischen Besonderheiten zeigen sich in vielen Modula-tionen, Vorhalten in bestimmten verschobenen Auflösungen, Quint-Kadenzen. Sie können unter anderem einen musikalischen Schwebestand signalisieren. Der Komponist verfügt über eine hohe Stringenz, die sich vorwiegend in den beiden A-cappella-Werken besonders ausdrückt. Aber in allen vier Werken hat Draeseke ein gezieltes Augenmerk auf die Behandlung von Text in der Melodienentwicklung gelegt. Der musikalische Anspruch ist in diesen Werken hoch anzusetzen. Bei Draeseke ist eine gewonnene und gelernte melodische Linearität im Requiem h-Moll op. 22 und in der fis-Moll-Messe op. 60, sowie in den beiden späteren Werken der Großen Messe a-Moll op. 85 und im Requiem e-Moll Wo O 35 von 1909/10 vorzufinden. Wenn der Komponist dort (op. 22) einen cantus firmus verarbeitet18, so formt er seine Fugenthemen nach der ihm gegebenen modulatorischen Struktur. Philipp Spitta war gegen den Aufführungsort Kirche für Draesekes Requiem h-Moll und andere Requiem-Vertonungen seiner Zeit eingestellt. »Andere, wie Bernhard Scholz, Friedrich Kiel, Felix Dräseke,

16 Erich Roeder: Felix Draeseke als Programmusiker. Diss. St. Ingbert 1927, S. 42. 17 Ebd., S. 558. 18 Vgl. Kap. 5, S. 175, Kap. 5, S. 190.

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können an eine Aufführung ihrer Requiems beim Todtenamte wohl kaum gedacht haben«.19 Der Standpunkt der freien Kunst gehöre nicht in die Kirche, sondern »jetzt soll nur betont werden, dass eine scharfe Sonderung der religiösen Musik von der kirchlichen die erste Vorbedingung ist zur Wieder-belebung protestantischer Kirchenmusik«.20 Nicht nur Draeseke zeigt bestimmte musikalische Einheiten, Topoi, ebenso ältere Musiker, sowie Zeitgenossen. Es ist wichtig, diese Merkmale auch an den Messen des Komponisten Draeseke festgemacht zu haben: Eine Einheit ist aus der Menge von gleichartigen musikalischen Größen ausgewählt und bezieht sich auf eine bestimmte Bezugsgröße für quantitative und qualitative Beschreibungen der Musik. Die gültigen Zeichen sind die Parameter. Dabei werden bestimmte musikalische Theoreme angewendet: annähernd gleich in der Aussage, nicht gleich und ähnlich: Wiederholung, Imitation, weiteres Thema, Taktzahlüberschreitung, Längenerweiterung, Längenkürzung, Rhyth-mik. Kleine und große Formen wie motivische Arbeit, Motiv, Variation, Sequenz, Kanon, Fugato, Fuge, Doppelfuge und Improvisation bilden sich weiter aus. Der Komponist verfügt über die Verbindung von musikalischen Formen mit ihren Spannungselementen bis hin zu spielerischen Improvisationen. Sein Biograph beschreibt Draeseke als weitsichtigen Komponisten, schränkt musikalische Kompositionsmöglichkeiten an kurzen Texten aber ein. »So findet man neben der großen Improvisation, dem Draesekeschen >Al fresco<, die Verwirklichung klassischer Baupläne, die auch jene spröderen Stellen künstlerisch wertvoll macht, an denen der Text wenig hergab«.21 Die musikalischen Mittel signalisieren Parallelität und Kongruenz,22 sowie Differenz im Bogen und in den Linien. Hinzu gelangen die gemeinsamen und differen-zierten Topoi, Merkmale, die das gesamte sprachliche Bild der Messen Draesekes wie der Requiem-Vertonungen beleben und hervorheben. Die A-cappella-Messe a-Moll, op.85 kann zum einen mit der Chorführung der Niederländer und dem altitalienischen Chorklang verglichen werden, zum anderen gibt es musikalische Hinweise/Topoi auf Ludwig van Beethoven in Bezug auf die Sprachbehandlung, deren Abwandlung und vor allem auf Merkmale der Melodienführung. Diese Wirkung ist nur mit der Sprache im Einklang zu sehen, auch wenn Draeseke an einigen Stellen sprachliche Kürzungen bewusst oder unbewusst vornimmt, wird dies in der Literatur nicht belegt. Die Zeichen haben dennoch in der Dichte des sprachlichen Gesche- 19 Philipp Spitta: Zur Musik. Sechzehn Aufsätze. Berlin 1892, S. 438. 20 Ebd., S. 35. 21 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 442. 22 Draesekes musikalischer Stil verfolgt eine >Art Kongruenz<, die nicht im mathematischen Sinn verstanden werden darf. Er bedient sich der klassischen Schreibweisen, aber in einem modernen Rahmen und weist mit anderen Komponisten seiner Zeit in Richtung der Schönberg-Schule. Vgl. Helmut Loos: Die Wagner- und Liszt-Aufsätze. In: Felix Draeseke: Schriften 1855-1861. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke- Gesellschaft). Schriften, Bd. 1. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1987, S. XXIII.

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hens ihre Bedeutung, in ihrer Feldstärke, im Fließen der großen wie kleinen Melodien bzw. Motive mit ihren Entwicklungsmöglichkeiten. Auch musikalische Gegenläufe und Widerstände erlauben gezielte Kulminationspunkte: mit diesen musikalischen Mitteln wird eine direkte sprachlich-musikalische Interpretation erreicht. Das melodische Potential wird durch die sprachliche Spannung strukturiert und bekommt dadurch eine Wirkungsleistung. Der Text leuchtet auf und vermittelt eine Stärke, die beim Rezipienten ein aufmerksames Vertiefen in die Musik auslöst. »Seine Kräfte [Draesekes] maßen sich an der Größe Beethovens und ganz besonders Bachs. Mit diesen beiden Meistern zeigt er wirkliche Geistes-verwandtschaft. Aus diesem Kraftbewusstsein heraus wurde er zum Polypho-niker, den zu bewundern man ebenso wenig müde wird wie die überwältigen-den gotischen Bauten«.23 In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts gilt Palestrina vorwiegend für die Katholiken, für die Protestanten Bach als Autorität. »Die Unterschiede konfessioneller Prägung von Kirchenmusik und geistlicher Musik zeigen sich auch in den kirchenmusikalischen Restaurationsbewegungen«.24 Draesekes Spektrum der stilistischen Mittel ist breit angelegt. »Der Realist bringt die modernen Ausdrucksmittel zum Volleinsatz und scheut vor harmo-nischen und deklamatorischen Kühnheiten nicht zurück«.25 Das Tonmaterial steht in einer geistigen Verwandtschaft, denn es ist nicht nur von der reinen Musik vorhanden, sondern auch von der Textkonstruktion belegt. Daher kann sich gemeinsames oder ähnlich motivisches Material ergeben. Ebenso wird die Klangdichte bei Draeseke durch abgestufte Stimmeneinsätze vorbereitet. Seine Vokalpolyphonie wird durch diese Technik bereichert. Hinzu kommt, dass das Verhältnis Harmonik und Melodik ausgeglichen wirkt. Die vertikale Satzstruktur erweitert sich, desgleichen die horizontale Melodienentwicklung, die sich meist in einer melodiösen Gegenbewegung darstellt. Das Motiv wird geändert, sodass ein neues entsteht. Draeseke zeigt einen musikalischen Reichtum, indem er viele Variationsmöglichkeiten innerhalb der Komposition anbietet: Motiv- Imitation- Durchimitation- Variation I- Variation II, oder er gelangt zum Anfangsmotiv zurück. Darin liegt ein weiteres, quasi kontrapunktisches, musikalisches Gegenargument. Eine aufsteigende und ebenso eine absteigende Linienführung mit thematischen Engführungen und sich entwickelnder Kadenz bereitet einen Höhepunkt vor. Dieser leitet dann den Schlussteil meist mit der Homophonie ein, um einen aussagekräftigen Fokus in der angestrebten Kadenz zu erreichen. Musikalische Vergleiche haben erge-ben, dass Ähnlichkeiten bei gleichem Text geschrieben worden sind. Oktav- 23 Georg Seywald: Felix Draeseke. Zum 10. Todestag am 26. Februar, NZfM 90, Nr. 4, 2. Februarheft 1923, S. 72f. 24 Helmut Loos: Christus-Oratorien im 19. Jahrhundert. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von

Helmut Loos. Bonn 1994, S. 254. 25 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 442.

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schreibungen mit anderem Hintergrund - mit frei gestalteten Linienführungen -, zeigen auch Motivmöglichkeiten, deren Bewegungen nach oben länger und nach unten in ihrer Melodieführung kürzer angelegt sind. Seit der Romantik darf das Neue in der Musik nicht durch die Technik oder allein durch die Poetik dargestellt werden, sondern die Poetik wird durch die Ästhetik ersetzt: nämlich Gott und die Natur, Komponist, Künstler mit seinen Intentionen, Intuitionen, Geschichte und Leben, in Verbindung mit dem Wollen des Einzelnen, oder auch durch die eigene Sprache, die wiederum bei Entstehen von etwas Neuem sich alter sprachlicher Bilder bedient.26 Eine weitere Stufe von Poetik des Neuen wird sichtbar, mit Hilfe technischer Mittel näher zu kommen. Doch dies sind die ersten Schritte, die jeder Interpre-tations- und Inhaltsfrage vorausgehen. Durch die Interpretation des Textes mit musikalischen Mitteln, einer Kommunikation und Darstellung von religiösen Inhalten, erreicht der Komponist eine höhere geistige Qualitätsstufe, die sich auch an der zeitgenössischen Philosophie orientiert. »Die Philosophie begreift den inneren Zusammenhang von Religion und Geschichte durch alle Stufen, von der Poesie bis zur Offenbarung und zum Glauben, im selbstbewussten Denken«.27 Diese Transposition erfährt nun ein völlig neues Bild. Es entsteht etwas Neues in einem anderen als dem ursprünglichen Rahmen. Nach Fertigstellung einer Komposition ist nicht nur etwas Neues beim Komponisten entstanden, sondern auch die musikalische Kulturlandschaft und das zeitgenössische Musikver-ständnis haben sich im Bewusstsein verändert. Draeseke verwendet teilweise klangliche Reduktionen (Quinten, Oktaven) und bedient sich dadurch heraus-ragender Stilmittel mit übermäßigen Septimenklängen, Nonvorhalten und nicht aufzulösenden Dissonanzen. Dies fügt sich harmonisch in seine traditionellen Schreibweisen ein. Dabei spielt auch Draesekes religiöse Haltung eine nicht unwesentliche Rolle. Doch zu Beginn des 19. Jahrhunderts sind die beiden großen Konfessionen zusammengerückt. Das hat seinen besonderen Grund in den gemeinsamen Anstrengungen gegen Aufklärung und Säkularisation. Der Innovation in der Musik wird nur wenig Raum gelassen, denn diese wird durch eine Tradition aufgehalten, die sich eine musikalische Rückbesinnung zum Ziel gesetzt hat. Das Neue kann nur durch die augenblickliche Idee einer unbewussten Kreati-vität und Intuition entstehen. Sie gilt dann als Überwindung der musikalischen 26 Vorbild ist Immanuel Kant: Das Neue wird mit dem Realen gleichgesetzt, das Neue ist das Primäre, das sich hinter den folgenden Traditionen verbirgt und erst durch spätere Erkenntnis gesehen wird. »Die Antwort auf das natürliche Streben des menschlichen Erkenntnisvermögens nach Abschließendem und Unbedingtem fand Kant in den Ideen. Er zeigte auf, dass diese nicht Verstandes-, sondern Vernunftbegriffe seien und nur Regulative, nicht konstitutive Bedeutung für das Denken hätten«. Art. Immanuel Kant: In:

Brockhaus Enzyklopädie. Bd. 9. Wiesbaden 1970, S. 716. 27 Art. Georg Wilhelm Friedrich Hegel. In: Brockhaus Enzyklopädie. Wiesbaden, München 1969. Bd. 8, S. 287.

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Traditionen, Regeln und Konventionen. Draeseke verbindet beides, allerdings wird er als Messenkomponist von etlichen Zeitgenossen kaum wahrgenommen. »Es wird der Anschein erweckt, als hätte sich Draeseke umsonst für das Idol seiner Kunst geopfert, als wären seine Werke für die Nachwelt verloren, als wäre der Versuch einer Neubelebung des öffentlichen Interesses an ihnen nutzlose Kraftvergeudung«.28 Es gibt etliche Stimmen, die Felix Draeseke zu beurteilen suchten. Die ihn umgebende Geistesgeschichte konnte und kann auf ihn als Komponist nicht verzichten. In der Beurteilung über F. Draeseke schreibt Georg Seywald zum 10. Todestag am 26. Februar 1923: »Er kam von den Klassikern, schritt durch die Neudeutschen, sammelte dort neue künstlerische Eindrücke, verband sie mit seiner starken Individualität und brachte die im dämonischen Feuer des eigenen Geistes geläuterten Ideen unter selbständiger Weiterbildung und künstlerischer Ausbeutung der klassischen Form zum Ausdruck«.29 Im beginnenden 20. Jahrhundert wird Felix Draeseke eher vorsichtig beurteilt. »Eine der markantesten Persönlichkeiten der neueren Musikgeschichte ist unzweifelhaft der große Dresdener Meister Felix Draeseke. Zu seinen Leb-zeiten war er eine viel bewunderte, viel befehdete und wenig geliebte Erscheinung. Heute ist es still um ihn geworden, unheimlich still, zum Schaden seines Schaffens und zum innigsten Bedauern der Freunde urgesunder, deutscher Kunst. Draesekes Werke erklingen fast nirgends mehr in deutschen Landen«.30 Das Ende des 20. Jahrhunderts und die Schlussjahre der letzten Jahrzehnte haben bewiesen, dass es lohnenswert ist, Draesekes Messen und Requiem-Vertonungen einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen. In seiner Zeit sind die eigenen, musikalischen Möglichkeiten einer Aufführung zwar begrenzt, doch einige Zeitgenossen achten Draeseke, speziell als Komponisten. Dennoch hat Draeseke sich schwer getan, seine Werke regelmäßig aufführen zu lassen. Aber gegen Ende des vorigen Jahrhunderts finden etliche Aufführungen seiner Messen statt.31 »Dass Musik dazu bestimmt sein kann, verstanden zu werden, ist ein Gedanke, dessen Ursprung um 1800 einige Jahrzehnte zurückliegen mochte, der jedoch erst im Zusammenhang mit der Beethoven-Rezeption musikgeschichtliche Bedeutung und Tragweite erhielt, eine Bedeutung, die dann im 19. und 20. Jahrhundert ständig gewachsen ist«.32 Musik ist ihrem Wesen nach Herstellung von Hörbarem, von vertiefter Kommunikation, denn die Komposition soll dazu geschaffen und somit aufgeführt werden. »Die Vergangenheit, als die der Historiker die musikalische Hinterlassenschaft aus der Zeit zwischen Wiener Klassik und Neuer Musik begreift, kann erst durch die

28 Georg Seywald: Felix Draeseke, Zum 10. Todestag am 26. Februar. In: NZfM 90, Nr. 4, 1923, S. 73. 29 Ebd., S. 74. 30 Ebd., S. 73. 31 siehe Anhang 9. 2. 32 Carl Dahlhaus: Die Musik des 19. Jahrhunderts, Wiesbaden 1980, S. 9.

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Vermittlung der Gegenwärtigkeit, in der sie sich repräsentiert, überhaupt ent-deckt werden«.33 Felix Draeseke hat in seinen Messen und Requiem-Vertonungen auf der einen Seite vertraute und tradierte musikalische Elemente festgeschrieben, die der Hörer direkt versteht. Andererseits zeigt der Komponist Originalität, Innovation und eigene Subjektivität vor dem Hintergrund einer aufgehobenen Tradition. »Das Ausmaß zur Vergangenheit, das für eine Epoche charakteristisch ist, hängt einerseits von dem Ausmaß ab, in dem Traditionen zu den Selbstver-ständlichkeiten gehören, über die man kaum zu reden braucht, andererseits von den Rezeptionsformen, in denen sich eine spätere Zeit die Hinterlassen-schaft einer früheren zu eigen macht«.34 In beiden Strategien spiegeln sich gelernte Muster wider. Die Verbindungen zwischen diesen kompositorischen Möglichkeiten sind fließend: Analyse und Reflexion korrespondieren miteinander, indem sie zur Sichtbarkeit und Hörbarkeit der Musik Draesekes mit tradierten und besonders herausragenden Topoi und Stilmitteln beitragen. »Die Metierkrise verschärfte sich noch dadurch, dass der Begriff des klassischen Musters, des exemplum classicum, an dem ein Komponist sich orientieren konnte und sollte, in einem Zeitalter, dessen Ästhetik von der Originalitätsidee ausging, seine Funktion wechseln musste«.35 Draesekes Schaffen wird mit einer Fülle kompositorischer Möglichkeiten in Verbindung gebracht. Hans- Joachim Moser macht den Lisztschen Einfluss an Draesekes Ghaselen-Klavierstücken fest, die Variationsunterschiede zu Liszt werden angesprochen, sowie der Kontrapunkt bei Liszt und Draeseke. Weiter wird der Komponist mit dem frühen Schumann (op. 21) verglichen. Der Ver-gleich mit Joh. Seb. Bach und dessen dreistimmigen Inventionen rücken in das musikkritische Bild. Ein harmonisches Charakterstück - typisch für die Zeit - fehlt nicht, oder ein weiterer formaler Kunstgriff mit entsprechender Wirkung: Rückbeziehung der Finaleinleitung auf den Kopfsatz. Wieder bei einer anderen Musikgattung - nämlich dem sinfonischen Vorspiel - wird Draeseke mit Hugo Wolf verglichen.36 Die für diese Zeit typischen Ausdrucksformen, die ein organisches Wachsen durch die Verbundenheit mit der Natur zum Ausdruck bringen wollen, finden sich teilweise auch bei Draeseke: in der Kunst des Handwerks, der Malerei, der Druckkunst, der Bildhauerei, der Architekur, der Dichtung, der Musik, des Theaters und der Tanzkunst. »Die Reduktion der Romantik auf einen Wesens-begriff ist also, wenn sachliche Verengung ebenso vermieden werden soll wie methodologische Gewaltsamkeit, nur partiell möglich. Dass Phänomene wie der Exotismus, der Historismus und der Folklorismus, die sämtlich für die Musik des

33 Ebd., S. 2. 34 Ebd., S. 21. 35 Ebd., S. 22. 36 Hans Joachim Moser: Geschichte der deutschen Musik. Bd. 2. Stuttgart. Berlin 1924, S. 207f.

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19. Jahrhunderts wie für die Literatur und die Malerei des Zeitalters charakteristisch sind, eng miteinander zusammenhängen, ist allerdings unver-kennbar«.37 Die unterscheidenden Kriterien der zwei Messen und der beiden Requiem-Vertonungen bringen innerhalb der Werke ähnliche und entgegen-gesetzte form-, sowie stilkritische Merkmale und Strukturen hervor. Einige allgemeine Beobachtungen sind in allen vier Werken zu finden: Bei den Kadenzen beschreitet Draeseke vielfach eine Auffälligkeit in der Deklarierung der Dynamik. Die klassische Kadenz endet meist im p und bleibt bestehen, Draeseke fordert oft nicht nur ein p, sondern darüber hinaus ein pp und sogar ein ppp und mit einem zusätzlichen Diminuendo. Hier scheint nicht nur eine Verbindung zur behandelten Tonart, sondern eine musikalische Interpretation zum Ende des Textes vorzuliegen, eine Psychologie nach innen, ähnlich wie bei Beethovens Missa Solemnis. Es zeigen sich bei Draeseke mehr Moll- als Durtonarten. Die Moll-Teile enden fast alle im ursprünglichen Rahmen, mit der kleinen Terz, doch Ausnahmen hat Draeseke ebenfalls geschrieben, sodass er manche Kadenzen im Durbereich schließen lässt. Es ist zu vermuten, dass er in diesen Fällen eine spätbarocke Komponierweise bevorzugt. Auffällig sind subdominantische Schlussfolgerun-gen, die eine Vorliebe bei Hugo Riemann sind. »Durch Riemann gelangte die musikalische Analyse der Kunstwerke zu neuer Bedeutung. Statt einer auf Persönlichkeiten und subjektive Empfindung aufgebauten Deutung der Musik-geschichte suchte er eine solche nach Formen und Stilprinzipien, ähnlich wie die gleichzeitige Kunstwissenschaft«.38 Die Subdominante tritt als normaler Dur- oder Molldreiklang auf oder wird als >sixte ajoutée< erweiternd eingesetzt. Ihr Bestreben sind Leittonvorbereitungen mit Hilfe von Vorhalten und Erhöhun-gen, die Dominante wird als vorübergehende Stufe gewählt. Es kann auch die Doppel-Subdominante an Stelle der Dominante eingesetzt werden. Eine Vielzahl von subdominantischen Schlüssen hat folgende Form: Moll-Subdominante- Dur-Tonika. Draeseke komponiert ebenfalls Schlüsse, die wegen ihrer Harmonik entstanden sind: op. 22 endet im Requiem auf der Dominante der vorgeschriebenen Tonart. Auch schreibt er Kadenzen, die den Quartsextakkord hervorheben: op. 60 endet in der Tonika über einem Neapo-litaner-Sextakkord. Dominant-Terzquartakkorde mit entsprechender Leitton-funktion sind in op. 85 und in dem Requiem e-Moll, WoO 35 zu finden. Gegenüber den klassischen Gestaltungen der Kadenzen sind bei Anfängen Tonartenverschleierungen anzusprechen. Entweder fehlt es an einer tonartli-chen Festschreibung, oder sie ist zwar realiter vorhanden, doch nur verdeckt wahrnehmbar. Es kann der Fall eintreten, dass eine andere Tonart eine größere Ausdrucksfähigkeit in sich birgt als die vorgeschriebene Haupttonart, je nach musikalischer Textauslegung.

37 Ebd., S. 21. 38 Christian Hellmuth Wolff: Art. Hugo Riemann. MGG, Bd. 11. Hrsg. von Friedrich Blume.

Kassel. Basel. London. Paris. New York. München 1989, Sp. 483.

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In der Harmonie sind besonders die transponierenden Motive und Sequenzen auffällig, die um einen oder mehrere Töne entsprechend versetzt geschrieben werden. Als wichtige Intervalle kommen hier - fast gleichmäßig ausgebreitet - Quinte, Quarte, große, kleine Terz und die kleine Sekunde in Frage. Die große Sekunde hat mit ihren Rückungen in den Sequenzierungen einen Kulmi-nationspunkt, einen Schnitt- und Angelpunkt, erreicht. Hier sind oft klangliche tonartliche Erweiterungen und Modulationen geschaffen, die durch kleine Töne/Intervalle musikalisch aufgefangen werden, indem sie versetzt deklariert werden: eine enharmonische Verwechslung findet statt, und eine logische Sequenzierung kann folgen. In diesen Bereich zielen Kreisungen um eine große Terz und ebenfalls um Einschübe harmonischer Art. Ein weiteres musikalisches Phänomen rückt in den Vordergrund: die Polypho-nie, die Linearität und Klanglichkeit verschmelzen lässt, indem die Harmonik aus der Führung der Linie hervorgeht: entweder durch chromatische Stufen mit zufällig gewählten Klängen aus der Dur-Moll-Tonalität, oder durch eine liniengerechte harmonische Struktur, kombiniert mit orgelpunktartigen Zeich-nungen.39 Dies betrifft vor allem Alterationen, Vorhalte und Durchgänge: beim Zusammentreffen von Ursprungstonart und Alterationsstufe, dem Vorhalt, findet ein Konkurrieren zwischen der Harmonie und der Linie statt. Das hat Konsequenzen für die Formulierung des Schlusses, der unter Umständen erst über mehrere Leittonstrebungen sein Finale - seine finis- erreicht. Die Form des Sextakkordes wirkt an etlichen Messe- und Requiem-Stellen auffallend. So kann in den Linien ein Sextakkord-Klang, der wie ein Neapoli-taner trugschlussartig auftritt, entstehen. Dieser bildet dann keine >finis<, sondern hat Durchgangsfunktion. Ein weiteres probates Stilmittel ist für den Komponisten der Gebrauch des übermäßigen Dreiklangs. Dieser ist eine Modulationsmöglichkeit, die Draeseke bei den Neudeutschen kennen gelernt hat. »Tritt bei Bach die Selbstherrlichkeit der Dreiklänge, durch die die ältere, hauptsächlich auf den Kirchentonarten sich aufbauende Musik sich aus-zeichnet, schon das temperierte System, mit den modernen Haupttonarten (Dur und Moll) gegenüber, so bei Richard Wagner dieser von den frühern Meistern im wesentlichen festgehaltenen Haupttonart die uneingeschränkte Modulation, die dem modernen Komponisten die freie Verfügung über den Reichtum sämtlicher Tonarten ermöglicht«.40 Modulatorische Fähigkeiten und Fertigkeiten beweist der Komponist in allen vier Messen. Er verfügt ebenso über dissonante Klänge, die für sich stehen können, in einer Art Zäsur, einmal als Punkt zum Innehalten, zum zweiten zur Fortentwicklung. Im musikalischen Kontext zeigen Dissonanzen Doppelfunk-tionen an. Ebenso kommen aus der spätbarocken Zeit kirchentonartliche Schreibweisen zum Tragen. »Insbesondere werden die Ausweichungen in 39 Im h-Moll Requiem bilden die Klavierfugen Draesekes (op. 15) Vorarbeiten für einen aus- gereiften Kontrapunkt. Vgl. Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 69. 40 Felix Draeseke: Kontrapunkt und Fuge. Bd. I. Hannover 1902, S. 5.

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fremde Tonarten durch die charakteristischen Eigenschaften der Kirchen-tonarten beeinflusst und zu Zeiten dieselben nach Zielen treiben, an die wir in unserm modernen Systeme gar nicht gedacht hätten«.41 Zum 10. Todestag von Felix Draeseke wird ein Komponist beschrieben, dessen Messen auf der einen Seite »fast nirgends mehr in deutschen Landen erklingen« und »als wären seine Werke für die Nachwelt verloren«. Andererseits wird der Musik Draesekes eine große Zukunft eingeräumt: »Draesekes Musik ist urgesund und kerndeutsch, rein expressionistisch, wie jede echte Kunst, indem der künstlerische Stoff Mittel zum Zweck eines persönlichen Ausdrucks und dieser wiederum Mittel zum Zweck eines allgemei-nen, ewigen Ausdruckes wird. Dem Urquell der deutschen Musik, dem melodischen Typus des deutschen Volksliedes, steht Draeseke innerlich nahe und verdankt ihm seine freundlichsten Eingebungen«.42 Der Komponist berichtet 1901: »Ich selbst war um diese Zeit beschäftigt, die Kapitel Bach und Händel meiner Musikgeschichte détaillierter auszuarbeiten und hatte bereits ein später Petri gewidmetes Quintett in Angriff genommen, das übrigens schon Anfang Februar beendet wurde«.43 Mit anderen Kulturströmungen seiner Zeit hat sich der Komponist ebenso auseinandergesetzt.

Der Stellenwert der Draesekeschen Messen und Requiem-Vertonungen- und nicht nur für die Kirchenmusik- wird zu Lebzeiten nur von wenigen musika-lischen Fachleuten bemerkt und anerkannt. »Seine musikgeschichtliche Bedeu-tung beruht aber nicht allein darin, dass es dem über den christlichen Bekenntnissen stehenden Tonmeister gelingt, die beiden großen kirchenmusi-kalischen Strömungen der zweiten Jahrhunderthälfte schöpferisch auszudeu-ten, d.h. im Sinne des Cäcilianismus zu arbeiten und der Bachbewegung«.44 Draeseke steht in seiner stilistischen Melodienformung als musikalisches Bindeglied zwischen Robert Schumann und Hugo Wolf. Weltliche wie geistliche Melodienbildung wird von den gleichen Kriterien, Parametern, getragen. Speziell die erarbeitete Melodikführung der Messen und Requiem-Vertonungen stellt geschlossene und offene musikalische Ausdrucksformen dar. Sie bestehen entweder aus kleinsten Teilen mit Pausen oder aus größeren melodischen Linien, die sich - je nach sprachlicher Lage - diatonisch aufbauen und eine Kadenz einleiten können. Draeseke nimmt neben Deklamationen weite sängerische Passagen mit großen Bögen in der Haupttonart, auch melodische Abweichungen, Modulationen und andere musikalische Mittel wie Unisono, Quintklänge, Homophonie und Polyphonie mit außergewöhnlichen Klängen, die in einem entsprechend ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen, in Anspruch.

41 Ebd., S. 56f. 42 Georg Seywald: Felix Draeseke. Zum 10. Todestag am 26. Februar. ZfM, Jg. 90, Nr. 4, 1923, S. 72. 43 LE, S. 321. 44 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 71.

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Der Komponist weist in den beiden A-cappella-Werken a-Moll und e-Moll in die Richtung der zweiten Wiener Schule.45 Otto Jahn und Eduard Hanslick vertreten die Ansicht, dass der Inhalt eines Werkes wesentlich in der Entfaltung eines oder mehrerer musikalischer Gedanken liege. Die vokale Klangfarbe halte den ersten Platz, die instrumentale, wenn überhaupt, habe nur einen sekundären Stellenwert.46 Bei Draeseke dagegen ist der instrumentale Anteil in seinen beiden ersten Messen sehr wichtig, um den sinfonischen Charakter des h-Moll-Requiems und der fis-Moll-Messe darzustellen. »Seine harmonischen Farben mischt er [Draeseke] auf der reichen Akkordpalette seiner Zeit. Selbst vor der schärfsten Dissonanz hält er nicht zurück. Sein Requiem [h-Moll-Requiem] ist somit ein für damalige Begriffe hochmodernes, im eigentlichsten und besten Sinne neudeutsches Werk«.47 Auf der anderen Seite zeigt Draeseke in seinen A-cappella-Werken ausgefeilte kontrapunktische Schwer-punkte, die eine sängerische Hochleistung verlangen und das menschliche Instrumentarium als besondere Färbung hervorheben. Draeseke arbeitet ebenso mit rhetorischen Mitteln, die er durch die Missa-Solemnis-Formen Haydns, Mozarts und vor allem Beethovens kennen gelernt hat. In der Zeit von 1933 bis 1945 haben sich die politischen Verhältnisse Deutschlands auch in der Kunst und Musik verändert gezeigt. Erich Roeder vgl. Mscr. Dresd. App. 1195, B I, 1a – (7. Juli 1931) und Hermann Stephani sind den politischen Richtungen ausgesetzt, indem sie sprachlich eng reagie- ren.48 Die politische Haltung mit ihren Auswirkungen spiegelt sich in der folgenden Mitteilung der Draeseke-Gesellschaft vor dem Zweiten Weltkrieg

45 Helmut Loos: Die Wagner- und Liszt-Aufsätze. In: Felix Draeseke. Schriften 1855-1861. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 1. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1987, S. XXIII. 46 Andreas Eichhorn: Farbe und Kontur. In: Musica. Sept./Okt. 1990, S. 285. 47 Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters. Bd. 2. Berlin 1937, S. 71. 48 Hermann Stephani: An die Mitglieder und Freunde der Felix-Draeseke-Gesellschaft. Marburg, Neujahr 1934. Mscr. 1195. B I, (ohne..). »Das zu Ende gegangene Jahr hat für Deutschland die entscheidende Wende zu endlichem inneren und damit auch äußeren Wiederaufstieg gebracht. Der Heros als Verkörperer absoluter sittlicher Werte ist dem deutschen Menschen aufs Neue bewusst geworden. Der Führergedanke, der ihm im staatlichen Dasein voranleuchtet, er soll ihm neu erstehen auch aus den Werken der Kunst. Wir treten ein in das letzte Jahr, das uns von der Schwelle der Jahrhundertfeier unseres großen Meisters Felix Draeseke trennt. Sein reines Wollen, sein aufrechter Charakter, sein unbedingter Idealismus, die vollendete Meisterlichkeit seines Könnens, sein im 19. Jahr- hundert an Vielseitigkeit nicht überbotener, zur Jahrhundertwende an Spannweite nicht erreichter schöpferischer Genius soll auch an seinem Teile Wegbereiter werden ins Dritte Reich. Draesekes von höchster persönlicher Verantwortung hinauf zu Über- persönlichem und Überzeitlichem weisender >Christus<, das geistliche Gegenstück zu Wagners >Ring des Nibelungen<, ist nun nach mehr als 20-jähriger Pause zum ersten Male in gesamter Wiedereinstudierung begriffen- Bruno Kittel wird das Vorspiel und den ersten Teil am 9. Januar vorführen, und der Deutschlandsender wird die Aufführung in alle Welt verbreiten. Unter diesem glückverheißenden Stern begrüßt die Felix-Draeseke- Gesellschaft alle ihre Mitglieder und Freunde aufs herzlichste und überreicht ihnen das Textbuch zum >Christus< mit einführenden Worten von Bruno Kittel, Erich Roeder und Arno Rentsch. Heil Hitler! Hermann Stephani.«

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wider, die musikalische Beurteilung des Komponisten wird dabei nicht geschmälert. Im 20. Jahrhundert und an der Schwelle zum 21. Jahrhundert gilt der berechtigte Anspruch, den ein Zeitgenosse ausspricht: »Felix Draeseke kann das stolze Bewusstsein haben, nur für die Kunst und daher nicht vergeblich gelebt zu haben. Sein Name wird in der Musikgeschichte immer hellen Glanz und reinen Klang behalten«.49 Die Aufführungen im 20. Jahrhundert und deren Kritiken sind Zeugnisse für den Komponisten Felix Draeseke. »Und wer sich die Mühe, in Draesekes Art einzudringen, nicht gereuen lässt, der wird erkennen, dass ein Großer und Eigener, eine warm- und vollblütige Dichternatur und ein tiefsinniger Philosoph aus den Werken spricht und die überwiegende Mehrzahl von ihnen dem Sturm der Zeit widerstehen wird, indem ihr Wert trotz aller neuen Strömungen bestehen bleibt und sie in einer ruhigeren und objektiveren Zukunft, als es die Gegenwart ist, zweifellos wieder einen Ehrenplatz einnehmen werden.«50 Dem Komponisten wurde von der Berliner Universität 1912 die Ehrendoktorwürde überreicht, der Diplom-Text lautet in der Übersetzung: »Felix Draeseke, der verehrungswürdige Meister, nimmt nach dem unsterb-lichen Johannes Brahms in deutschen Landen unstreitig den ersten Platz auf dem Gebiete der Musik ein. Im Besitz eines genialen Reichtums der Erfindung, die Herzen der Hörer ebenso durch den Ernst seines Schaffens erhebend, hat er die deutsche Musik in so hervorragender Weise gefördert, dass er nach den gewaltigen Leistungen der alten Meister sich und unserm Vaterlande einen neuen Ruhmeszweig erwarb - ein wahrer Hohepriester der Kunst, er, der auch selbst als Dichter seiner Werke hervorgetreten ist und mit der praktischen Kunstübung theoretische Meisterschaft vereinigt hat«.51 Draeseke hat sich mit der Kompositionsweise Beethovens vertraut und Bereiche seiner Topoi-Gestaltungen ähnlich oder auch konträr eingesetzt. Ihm ist es aus seiner eigenen Musikgeschichte bewusst, dass er sich in der Nachfolge Beethovens befindet, denn »er sieht in Beethovens dritter Schaffensperiode und speziell diesem Werk die Ankündigung und Vorweg-nahme der Musik der >Neudeutschen Schule<, die Missa als >die gewaltigste Demonstration für die >Zukunftsmusik<«.52 Beethovens Missa Solemnis und Schuberts As-Dur-Messe sind in der gleichen Zeit entstanden (1819-1822). Ihre stilistischen Vorbilder sind die Messen von J. Haydn und W. A. Mozart. »In diesen Messen ging es Beethoven und Schubert nicht nur darum, den liturgisch 49 Kurt Mey: Felix Draeseke. Ein Gedenkblatt zu seinem 70. Geburtstag 1905. In: Die Musik I, S. 116. Vgl. Erich Roeder: Felix Draeseke. Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters, Bd. 2. Berlin 1937, S. 468. 50 Georg Seywald: Felix Draeseke. Zum 10. Todestag am 26. Februar, in: ZfM, 90. Jg. Nr. 4, 1923, S. 73. 51 Felix Draeseke. Das Christus- Mysterium. Freiberg in Sachsen 1912, S. 23. 52 Helmut Loos: Zur Rezeption der Missa Solemnis von Ludwig van Beethoven. In: KmJb 82 (1998), S. 69. Vgl. Felix Draeseke: Schriften 1855-1861. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 1. Hrsg. von Helmut Loos. Bad Honnef 1987, S. 44.

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geschriebenen Messtext auf besondere, auf feierliche Weise zum Erklingen zu bringen, sondern auch darum, ihn in der Musik auszudeuten«.53 Diese individuelle Suche nach Religiosität bewirkt vor allem, in den großen Requiem-Vertonungen und Messen neue Stil- und Ausdrucksmöglichkeiten auszupro-bieren. Die Messenkompositionen haben sich im gesamten 19. Jahrhundert in verschiedenen Typen dargestellt, vor allem in den sinfonischen und in den Requiem-Vertonungen für den Konzertsaal. Besonders ist zu vermerken, dass die sinfonische Messe, wie die Instru-mentierung in der Sinfonie, den Holzbläserchor verdoppelt hat. Auch wird der übrige Klangkörper im Orchester- und Vokalsatz zum einen dichter gesetzt, zum anderen sehr abwechslungsreich durch Solostimmen und Chöre aufge-lockert und damit gegenübergestellt. Die Solostimmen sind dabei die tragenden Pfeiler, die Chöre haben nicht nur kommentierende, flankierend musikalische Rollen zu vertreten. Die Inhaltlichkeit bezieht sich darauf, »um Gedanken und Gefühle des einzelnen auszudrücken«.54 Dabei spielt die veränderte Einstellung zu Religion und Gottesdienst, mehr auf den Menschen direkt bezogen, im 19. Jahrhundert eine wesentliche Rolle. Diese wird unter-schiedlich ausgelegt. In Bezug auf die Missa Solemnis Beethovens, hält Draeseke über ihn fest, dass trotz der reichhaltigen Anwendung der musika-lischen Mittel »der Dramatiker Beethoven alles dies wiedergegeben hat, so merkt man ihm doch an, dass er zu dem Texte selber nicht in so inniger Beziehung steht, als die einer glaubensstarken Zeit angehörigen Meister Bach und Händel«.55 Die sinfonisch gestaltete Messe wird als Zyklus betrachtet, indem über den vorliegenden Satz und über das Gesamtwerk thematisch-motivische Verar-beitungen hervorgehoben werden. Beispiele dafür sind u. a. bei Franz Bruckner in der f-Moll-Messe und bei Franz Liszt in seiner >Graner Messe< zu finden. Beethoven betont am Ende des Agnus in der Missa Solemnis seine thematische Arbeit, wenn auch in stark modifizierter Form. Die einzelnen Sätze sind erweitert gestaltet, sie zeigen z. B. im Gloria die ABA’ – Form bei >Quoniam tu solus sanctus< und ebenfalls im Credo bei >Et resurrexit<. Anschließend folgt eine Fuge, die in allen größeren Messen ein fester musi-kalischer Bestandteil ist. Beim Gloria und Credo werden verschiedene musikalische Mittel eingesetzt: Instrumentalmotive, die mit Motiven in den Vokalstimmen kombiniert werden. >Credo-Rufe< werden unterschiedlich ge-staltet, z. B. in Beethovens Missa Solemnis, in der Schubert-Messe As-Dur, in Liszts >Graner Messe< und in anderen Messen. In allen drei genannten

53 Birgit Lodes: Die Messe im 19. Jahrhundert. In: Messe und Motette. Handbuch der musikalischen Gattungen. Hrsg. Horst Leuchtmann/Siegfried Mauser. Bd. 9. München 1998, S. 270. Lodes spricht von Bekenntniswerken mit Widerspiegelung einer subjektiven Glaubenshaltung. 54 Ebd., S. 272. 55 Felix Draeseke: Musikgeschichtliche Vorlesungen. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 7. Hrsg. von Michael Heinemann, Maria Kietz und Helmut Loos. Leipzig 2007, S. 83.

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Messen werden >Credo-Rufe< erneut eingesetzt und zeigen somit eine sich wiederholende Form. Auch im Gloria treten Repetitionen auf: in Beethovens Missa Solemnis und in Draesekes fis-Moll-Messe. Eingestreute >Gloria-Rufe< vervollständigen und verstärken die musikalische Aussage der Ehrerbietung. Während Beethoven die Rufe >Gloria< im Satz vorwiegend fugenmäßig gestaltet, hat Draeseke die >Gloria-Rufe< einund-zwanzig Mal im harmonischen Satz und die übrigen Zeilen des Gloria in einer ausgebauten Fuge erscheinen lassen. Die historische Textseite wird von manchen Komponisten außer Acht gelassen, besonders von Franz Schubert. Er lässt die Zeile >et unam sanctam catholicam< fallen. Der Glaube an die Kirche spielt offenbar für ihn keine führende Rolle.56 Auch Draeseke hat in der fis-Moll-Messe manche Stellen aus dem Ursprungstext gestrichen: Auslassun-gen findet man bei >filius patris< und >tu solus Dominus<. Entweder hat Draeseke diese Sprach-Stelle unbewusst auf diese Weise komponiert oder auf seinen musikalischen Anspruch bewusst verzichtet.57 Die musikalische Haltung spiegelt sich besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einer differenziert religiösen Betrachtungsweise wider. »So wird mit allgemeinen Begriffen wie Religion und religiöser Musik ein weiterer Zirkel bezeichnet, innerhalb dessen sich die Ausleger sowohl älterer Musik als auch neuerer Werke, die zur kirchlich verfassten Gestalt des Christentums in mehr oder weniger lockerer Beziehung standen, bewegen konnten«.58 Die religiöse Haltung Draesekes ist großen Unsicherheiten unterworfen: im Elternhaus, im Kreis um Wagner in den fünfziger Jahren und schließlich in den achtziger Jahren die verstärkte Hinwendung und Entwicklung zu seinen geistlichen Werken. »Den Text der Messe dürfte Draeseke (…) nicht nur als ordnend formende Vorgabe angesehen haben, sondern ihm auch [zusätzlich] eine poetische Kraft zubilligen«.59 Er hat ihn selbst übersetzt. Die Messen und Requiem-Vertonungen Draesekes stehen in der Traditionslinie von Palestrina, Händel, Bach, Haydn, Mozart und Beethoven. Sie reichen weiter über Liszt, Schubert, Bruckner, Berlioz und bis zu seinen Messen. Daher wird Draesekes Kompositionsart einmal durch Anwendung traditioneller Mittel begründet, und zusätzlich werden eigene stilistische Mittel in den Messen-, sowie Requiem-Vertonungen verarbeitet. »Alle Tätigkeiten von Menschen, die eine zyklische Anschauungsform der Zeit haben, sind bestimmt von Tradition.

56 Birgit Lodes: Die Messe im 19. Jahrhundert. In: Messe und Motette. Handbuch der musikalischen Gattungen. Hrsg. von Horst Leuchtmann/Siegfried Mauser. Bd. 9. München 1998, S. 273. 57 Diese Frage ist nicht eindeutig geklärt. 58 Gerhard Poppe: Festhochamt, sinfonische Messe oder überkonfessionelles Bekenntnis? Studien zur Rezeptionsgeschichte von Beethovens Missa solemnis. Beeskow 2007, S. 253. 59 Reinhold Dusella: Felix Draesekes Große Messe in fis-Moll op. 60 für Soli, Chor und Orchester. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994, S. 193.

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Tradition ist dabei eine Kategorie der Gegenwart«.60 Draesekes Messenkompo-sitionen umfassen einen Zeitraum von zirka vierzig Jahren. Viele musikalische und politische Einflüsse haben sich in dieser Zeit eingestellt. In Kapitel 2 bis 4 und besonders in Kapitel 5 bis 6 wurden diese beschrieben und mit dem Werk Draesekes verknüpft. Hervorzuheben sind die Messen aus dem Spätbarock mit Joh. Seb. Bach, der Wiener Klassik mit J. Haydn, W. A. Mozart und besonders die Missa Solemnis von Ludwig van Beethoven. Letzterer hat mit seinen rhetorischen Mitteln einen großen Einfluss auf Draeseke ausgeübt, wie in Kapitel 5 dargelegt wurde. Auch hat die italienische Messenkomposition ihre musikalischen Spuren bei Draeseke hinterlassen, besonders in der Stimmenteilung, ob im Chor oder Orchester. J. Haydn ist hier der Vertreter und Übermittler von italienischen Einflüssen in der Messen-tradition.61 In Österreich und Deutschland sind es besonders Wien und Regensburg, die vor allem in der cäcilianisch-strengen Messenkomposition hervortreten. Restaurative Kräfte haben sich die Aufgabe gestellt, den liturgischen Charakter einer Messe zu erhalten, indem sie gegen Verzierungen, gegen den Ausbau des Melodischen, die Erweiterung der Harmonik, gegen kontrapunktische Formen wie die Fuge und gegen die Gestaltung der Dramatik wie im Theater sich wehren. Auch sind sie gegen die sinfonisch gestaltete Messe überhaupt eingestellt, die die genannten Punkte zu einem großen Teil in sich verarbeitet hat. Draeseke hat beide Formen in seinen zwei Messen und zwei Requiem-Vertonungen ausgeführt. Sinfonisch komponierte Messen werden von Franz Liszt, Hector Berlioz und Felix Draeseke u. a. geschrieben. Gemeinsame Basis ist die große Form der Messe und des Sinfonischen. Draeseke teilt mit ihnen nicht unbedingt die Größe des romantischen Orchesters oder des großen Chores wie bei Berlioz, sondern er bevorzugt die kleinere Version des Orchesters und sieht teilweise kirchenmusikalische Repetitionen, dramatische Einfälle und Gesanglichkeit vor. Mit Beethoven hat Draeseke streckenweise das romantische Orchester dann doch vor Augen, wenn er eine zu gestaltende Stelle dynamisch einrichtet und auf einer Sprachsilbe zum Beispiel von den Gesangsstimmen ein p-mf und wieder p fordert und das Orchester parallel agiert. In der fis-Moll-Messe op. 60 und der a-Moll-Messe op. 85, sowie in den beiden Requiemvertonungen h-Moll-Requiem op. 22 und e-Moll-Requiem WoO 35, gibt es viele belegbare Beispiele für unterschiedliche Stilmerkmale. Man findet in den Kyrie-Sätzen Fugati-Formen, die besonders auf J. Haydn und andere Komponisten seiner Zeit hinweisen. Der Fugato-Teil im Kyrie der fis-Moll-Messe zeichnet sich durch Klein-Motive im Sinfonischen aus, ebenfalls der Teil aus der a-Moll-Messe entsprechend im A-cappella-Stil. In beiden Requien weisen die 60 Helga de la Motte-Haber: Das Spätwerk. Eine kulturanthropologische Kategorie. In: Musica. Hrsg. von Sigrid Abel-Struth, Carl Dahlhaus, Ludwig Finscher u. a., 39. Jg. 1985. Heft 6, S. 534. 61 Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang besonders Cherubini.

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Kyrie-Sätze mit ihrem lebhaften Charakter auf Fugati hin. Von den vier Kyrie-Ausführungen sind zwei komplette Fugen mit Dux, Comes und Quinteinsatz gestaltet. Mozart stellt auch in seinem Werk KV 427 eine ausführliche Fugenform vor. Draeseke verwendet besonders im Kyrie des h-Moll-Requiems die ABA-Form, die auf Mozart zurückgeht. Draeseke steht in der Tradition der Anwendung von terzverwandten Tonarten Haydns und Mozarts. Einzelne Sätze sind auf diese Weise miteinander verbunden. Im Gloria der fis-Moll-Messe zeigt Draeseke eine andere Form der Chorbe-handlung als Beethoven in seiner Missa Solemnis und in Liszts Graner Festmesse. Während Draeseke sich mit einem einheitlich wirkenden Chor befasst, zeigt Beethoven eher eine Chorteilung auf vielfältige Weise, bzw. Liszt gar keine. Draeseke setzt sich ihnen gegenüber in der fis-Moll-Gloria-Fuge ab. Diese bestätigt am Schluss seinen abgerundeten Fugen-Stil. Bei Beethoven findet man in der Missa-Solemnis-Gloria-Fuge immer wieder Zeilen, die er aus dem vorhergehenden Text nimmt und zusätzlich einsetzt. In der Graner Festmesse komponiert Liszt dagegen keine Gloria-Fuge. Im Domine Deus schreibt Draeseke Dur- und Molltonalitäten nebeneinander. Man findet sie in den Messesätzen ebenfalls bei Bach und Mozart vor. In weiteren Messeteilen werden Molltonarten verstärkt von Draeseke angewendet, zum Beispiel bei >Qui tollis peccata mundi< mit einer düster gehaltenen Interpretation. Die Darstellung der großen Last wird durch die musikalische Tradition auf Joh. Seb. Bach und Mozart zurückgeführt und hier zusätzlich durch die eigene programmatisch gestaltete Seite der Musik des 19. Jahrhunderts umgesetzt. Die Wiederholung des Glorias mit dem Wort >quoniam< ist bei Draeseke nicht vorgesehen. Bei Haydn- und Mozart- Messen ist es üblich, die Reprise des Glorias auszuführen, auch den entsprechenden Tutti-Einsatz im f. Doch Draeseke verbindet mehr den Inhalt zu Domine Deus und hält sich in seiner Interpretation im Klang zurück. Er gewinnt damit seine zentrale Stelle über >qui tollis peccata mundi< und >et in terra pax< zu >gratias<. Das Prinzip des Gegensätzlichen veranlasst Draeseke so oft wie möglich auch im Gloria einzusetzen. Hinzu gelangen noch verschiedene Topoi, Merkmale, die einzelne Worte aus dem Kontext, besonders zum Beispiel das Wort >omnipotens< in einer großen Höhe, melodisch herauszuheben. Beethoven ist für die Neu-deutsche Schule und somit für Draeseke auch hier musikalisches Vorbild. Draesekes Credo aus der fis-Moll-Messe steht in seiner Kompositionsart mit den übrigen Messenkomponisten aus dem 19. Jahrhundert auf einer Stufe. Sie alle sind sich mit dem Ruf des Credos einig, der aus der Gregorianik stammt. Sie wenden diese spezielle Form des Credos in sinfonischer Form an: der Terz- oder Quintschritt wird sinfonisch umspielt. Besondere Vertreter sind hier Bruckner und Berlioz. Franz Liszt erinnert in seinem Credo-Teil an die Teilungsvielfalt in diesem Text. Wie Draeseke wirft auch er das Wort >Credo< regelmäßig zusätzlich ein.

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Neben den immer wiederkehrenden Glaubensbekenntnissen im vierstimmigen Chorsatz mit Echowirkung, zeigt Draeseke viele Formen wie Fugati,62 Fugen,63 Synkopeneinsätze, Vorhalte, Chromatik, Alterierung, dissonante Stellen mit markanten Inhalten,64 Tempiwechsel, Modulationen, Trugschlüsse ebenfalls an außergewöhnlichen Punkten,65 deklamatorische und Unisonophasen auf der einen Seite und auf der anderen weite, musikalische Linienführungen, sowie differenzierte Formen der Dynamik. Das Prinzip des Methodenwechsels beinhaltet auch das der Wiederholung auf einer verwandtschaftlichen oder entfernten, gegenparallelen, Stufe. Diese Prinzipien lösen sich oft überraschend und spontan ab. Für Draeseke ist es wichtig, seine gedachten Farben so anzuordnen, dass sie dem vorliegenden Text musikalisch angemessen erscheinen. Bei Beethoven ist im Credo eine ähnliche Struktur wie bei Draeseke zu finden. Einen zusammenfassenden Beleg dafür sieht man unter anderen Komponisten seiner Zeit in den ausgebauten Credo-Schluss-fugen bei Beethoven und Bruckner. Mit Beethoven teilt Draeseke viele rhetorische Mittel in allen vier Werken, aber an einigen Stellen zeigt er andere Stilmittel, besonders in den Messen fis-Moll und a-Moll. Übereinstimmung herrscht wieder bei den Sanctus-Sätzen, die in ihren dynamischen Verhältnissen mit ihren p-Anfängen Beethovens gleich sind. Sie weisen auch auf J. Haydn hin. Eine weitere Tradition ist im Sanctus-Ruf ausgedrückt, der zum einen syllabisch, zum anderen melismatisch komponiert worden ist. Beide Motive sind in der fis-Moll-Messe und a-Moll-Messe Draesekes vorzufinden. Ihre Wurzeln liegen im altkirchlichen Ritus, und bei Mozart im syllabischen, bei Beethoven mehr im melismatischen Bereich. Die Fugatoformen bei >Pleni sunt coeli< stellen in der gesamten Messe-Tradition ihre große musikalische Bedeutung dar, bei Draeseke durch ihre aufsteigende, ausgeschmückte Dreiklangs-Melodie in der fis-Moll-Messe. Im A-cappella-Satz a-Moll wird diese Stelle fünfstimmig vom Chor gestaltet und ebenso wie in der fis-Moll-Messe dramatisch aufbereitet. Auffällig sind die folgenden Osanna-Fugen. Die fis-Moll- und a-Moll-Messe werden in einem ähnlichen Muster von Draeseke komponiert. Er verwendet in der Fuge oder dem Fugato ein Anabasis-Thema. Im Osanna Mozarts hat dieser einen Doppelchor geschrieben, der mit homophonen Einwürfen gestaltet worden ist. Sie verweisen auf die Messenkomposition des 18. Jahrhunderts in Wien. Beethoven, Bruckner, sowie Liszt zeigen ebenfalls homophone Ein-würfe, Draeseke dagegen verzichtet auf sie und findet seinen eigenen mehr melodisch-musikalischen Weg. Das Benedictus von Draeseke hat in beiden Messen einen lyrischen Charakter. Auch in der Schubertschen Messe kommt der lyrische Charakter zum Einsatz. Draeseke hat sich mit der As-Dur-Messe Schuberts auseinandergesetzt. Doch 62 Felix Draeseke: Große Messe fis-Moll op. 60: Credo, T. 29-40. 63 Ebd., Credo, T. 258-296, T. 424-466. 64 Ebd., Credo, T. 171-190. 65 Ebd., Credo, T. 463: >saeculi<.

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in der fis-Moll-Messe zeigt der Solosopran Mozartsche Tendenzen, bedingt durch die Stimmführung des Solosoprans mit dem darunter liegenden Chor. Das Agnus Dei in der fis-Moll-Messe und a-moll-Messe belegt zwei verschie-dene Gestaltungsformen. In der fis-Moll-Version geht die Inhaltlichkeit gleich in den Text und verweist auf eine ähnliche Art der Komposition wie bei Cherubini.66 Die a-Moll-Version zeigt wieder auf Mozart und auf Beethoven. >Quia pius es< wird in beiden Messen Draesekes herausgehoben. Er verwendet p-Abstufungen und lange Notenwerte. Die Agnus Dei- Vertonungen sind unterschiedlich in ihrer Aussagekraft angeordnet. So wird die Harmoni-sierung im Moll- (h-Moll op. 22) und zum Schluss im Durbereich (fis-Moll op. 60) angesiedelt. Ursprünglich wurde dieser Bereich in der Molltonalität gehalten. Draeseke setzt auch hier neue Akzente. Einen musikalischen Neubeginn schreibt der Komponist ebenfalls in der letzten Fuge fis-Moll mit >Dona nobis pacem<. Neben der melodischen Textaus-führung stehen besonders die unterschiedlich dynamischen Verhältnisse im Fokus der Betrachtung. Sie vermitteln eine zuversichtliche und damit tröstende Stimmung. In beiden Messen Draesekes -fis-Moll und a-Moll- schließt sich der liturgische Kreis. Er schlägt in beiden Werken vom letzten Satz einen großen Bogen bis zum Beginn des Kyrie-Satzes durch seine nachhaltigen musikali-schen Agnus-Impressionen. Wie bei den Messen Draesekes, so gelten auch bei den Requiem-Verto-nungen gleiche oder ähnliche gattungsgeschichtliche, satztechnische wie rheto-rische Mittel. Die Propriumstexte der Requiem-Vertonungen h-Moll op. 22 und e-Moll WoO 35 zeigen in ihrem Introitus eine dreiteilige Form. Diese ist vom Text abgeleitet. Andere Zwei-, Vier- und Fünfteiligkeiten erscheinen auch aufgrund der eigenen Kompositionsweise Draesekes, je nach Art und Weise der Schwerpunktaussage. Dies trifft nicht nur auf Mozarts Requiem KV 626, sowie konträr dazu auf das Brahmssche Deutsche Requiem op. 45 zu, sondern ebenso auf andere Requiem-Vertonungen seiner Zeit. Die Totenmessen haben bestimmte Intentionen des Inhalts, nämlich den Tod zum Leben hin zu überwinden. Draeseke zeigt gleich zu Beginn, auf verschie-dene Weise, den Akteur in die Musik mit einzubeziehen. In op. 22, sowie in WoO 35 wird durch ihn zum einen eine sinfonische, zum anderen eine A-cappella-Form des Requiems vorgestellt. Beide Werke unterscheiden sich zwar in vielen dargelegten Parametern, doch sie vermitteln damit ihre ganz eigene künstlerische Aussage, subjektiv-künstlerisch in der Ausweitung der Melodik im h-Moll-Requiem zum einen, in der Gestaltung der Melodik im e-Moll-Requiem und einfacher im melodisch-kontrapunktischen Ausdruck zum anderen.

66 Luigi Cherubini: Requiem c-Moll. Klavierauszug. Hrsg. von Wolfgang Hochstein. Stuttgart 1993.

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Im Dies irae wird inhaltlich das Jüngste Gericht angekündigt. Der Komponist >malt< in den einzelnen Bildern musikalische Szenen. Er setzt seine Interpretationen zum Text ein, indem er bestimmte Parameter und rhetorische Mittel verwendet. Das Orchester ist im h-Moll-Requiem entscheidend im Dies irae tätig, entweder zurückhaltend im p oder fordernd im f in der Dynamik. Soloquartett, Kleiner und Großer Chor bilden ebenso eine musikalisch-gestalterische Einheit. Im Confutatis des h-Moll-Requiems wiederholt der Chorbass einige Takte des Soprans, unterstützt wird er durch einen Pauken-wirbel, um die Angst der Menschen darzustellen. Im e-Moll-Requiem ist allein der fünfstimmige Chor für die Gestaltung der Dies-irae-Szenen verantwortlich. Er vermittelt besonders im Confutatis einen schwereren Charakter, der an kleinen Sekundschritten festgemacht ist. Im Lacrimosa, dem ältesten Teil des h-Moll-Requiems, drückt sich der >Klage-Tag< im Larghetto- und Grave-Tempo aus. Es ist ein zurückhaltender Satz, vorwiegend in der p-Dynamik. Im e-Moll-Requiem findet man eher eine Melodie vor, die bei drei Einsätzen selbstbewusst steigt. Draeseke hat dort einen völlig anderen musikalischen Weg beschritten. Im >dona eis requiem< schließt sich der liturgische Kreis, denn das Wort >requiem< wird wiederholt verändert dargestellt. Es bezieht sich in seinem geänderten Charakter auf den Introitus. Draeseke hat hier einen musikalischen Kunstgriff angewendet. Einen weiteren zieht der Komponist unter anderem bei >Ingemisco tanquam reus< im h-Moll-Requiem in Betracht. Hier wird das >Ingemisco< mit Hilfe der Instrumentierung unterstrichen, was Draeseke offenbar bei Mozarts Requiem KV 626 entdeckt hat. Die gleiche Stelle im e-Moll-Requiem wird auf eine andere Art stilistisch gelöst. Der Komponist lässt diesen Mittelpunkt der Szene vom Sopran ausgehend sich nach unten entwickeln, indem die Stimmen nacheinander einsetzen und einen ausführlichen Kontrapunkt fünfstimmig bilden. Alle Stimmen sind ebenfalls dynamisch gleichberechtigt. Ebenso werden Stellen annähernd ähnlich komponiert, zum Beispiel im Domine: >Domine Jesu Christe<, >libera eas de ore leonis< oder >sed signifer sanctus Michael< und andere. In beiden Requiem-Vertonungen kann man bestimmte wiederkehrende Merkmale ausfindig machen. Mozart und Beethoven haben ihre Spuren besonders im h-Moll-Requiem hinterlassen. Im e-Moll-Requiem ist es mehr Mozart. In beiden Kompositionen fällt besonders die Fuge mit >Quam olim Abrahae promisisti et semini ejus< auf. Sie ist ein Zeichen dafür, dass Draeseke die Kraft besitzt, seine Zeitgenossen mit dieser ausgewogenen Form zu überraschen. Sie steht mit denen der Messen in einer Art Korrespondenz. Auch dort hat Draeseke besonders die großen Fugen in der Nachfolge Beethovens komponiert. Die homophone Ausdrucksweise lehnt sich an Mozart, sowie Liszt an. Die Neudeutsche Schule unter Liszt hat Draeseke mit ihren sinfonisch-gestalteten Messen und Requiem-Vertonungen stilistisch beeinflusst. Die Erweiterung der Harmonik in Form von Terzverwandtschaften, Wiederholungen des Credos, Deklamation eines Wortes oder Satzes, Anabasis

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und Katabasis sind nur einige Begriffe, die in der musikalischen Tradition67 gewachsen sind und ihre Anwendung bei Draeseke finden. Allerdings ragt Draeseke mit seinen großen Fugen heraus, er steht im Gegensatz zu Liszt, der keine großen Fugen-Formen in seinen Messen zu verzeichnen hat. Bruckner zeigt in seiner f-Moll-Messe zunächst Fugati-Formen im Gloria und Credo. Die große Chorfuge wird bei Bruckner und Brahms in der Folge ausführlich behandelt. Draeseke komponiert in seinen großen Fugen die Themen und deren Verarbeitung. Hier steht er ganz im Gegensatz zu Berlioz.68 Trotz verschiedener Kompositionsstrategien, zeigt Draeseke bestimmte stilistische Merkmale, die er in der früheren Phase sinfonisch und dann a-cappellamäßig kontrapunktisch ausfüllt. In beiden Kompositionsbereichen arbeitet er mit feststehenden Kriterien durch wiederkehrende rhetorische Mittel in den Messen. Draesekes kompositorische Eigenart besteht darin, dass er bestimmte Formen wie die großen Fugen für seine Messen auswählt, die von gravierenden Musikrichtungen des 19. Jahrhunderts gekennzeichnet sind: das sinfonische Requiem h-Moll op. 22 steht der sinfonisch-geprägten Messe fis-Moll op. 60 zwar inhaltlich gegenüber, aber stilistisch auf gleicher Stufe. Die A-cappella-Werke Messe a-Moll op. 85 und Requiem e-Moll WoO 35 zeigen Draeseke in seinen Kompositionen von einer einfachen bis melodiös ausgearbeiteten kontrapunktischen Seite: Der Komponist verschreibt sich dem Cäcilianismus und versucht, >wahre Kirchenmusik< zu komponieren. Psychologische Momente des Textes bieten sich für rhetorische Interpre-tationen an. Draesekes Ausbau der großen Fuge ist ein Zeichen für musika-lische Kontinuität und ein unverzichtbares Phänomen. Die großen Chorfugen sind dafür Zeugnis, zum Beispiel: >Quam olim Abrahae promisisti< und alle Schluss-Fugen Draesekes. Damit hat er eine musikalische Formalie geschaffen, ob in der sinfonisch gestalteten Messe oder im Requiem. Auch die A-cappella-Chorfugen sind von großer Tragfähigkeit, ebenso die Fugati-Formen, die von homophonen Kurzsätzen unterbrochen werden. Sie beweisen die Fugenform im Kleinen und tragen wie die großen Formen zur Entwicklung einer anzustrebenden Einheit bei. Das gilt für die a-Moll-Messe op. 85 und für das Requiem e-Moll WoO 35. Hier zeigen strenge A-cappella-Ausführungen ihren vor allem kontrapunktischen Wert. Künstlerische Gestaltungen werden in einem abgerundeten Kontext mit einer musikalischen Form versorgt, so dass Draeseke in den beiden Requiem-Vertonungen außer den Fugen auch homophone Teile eingebaut hat. Sie haben vielfach die Aufgabe, den psycho-logischen Erzählteil zu übernehmen. Die Regelmäßigkeit - bedingt durch den Text- erlaubt eine wiederkehrende und kommentierend musikalische Form zu erkennen.

67 Karl Gustav Fellerer: Zu Tradition, Fortschritt und Bild der Wiener Klassiker in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Festschrift Georg von Dadelsen. Hrsg. von Thomas Kohlhase/Volker Scherliess. Stuttgart 1978, S. 147. 68 Joseph Müller-Blattau: Die Fuge II. In: Das Musikwerk. Hrsg. von Karl Gustav Fellerer. Heft 2. Köln 1968, S. 6.

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Der Komponist hat in seinem Jahrhundert, dem 19. Jahrhundert, Folgendes in der Musikästhetik vorgefunden und auf seine Weise mit verarbeitet: Kants Musikästhetik mit einer Affektenlehre des 18. Jahrhunderts: die Substanz der Musik als Kultur wurde von ihm an der Modulaton dargestellt. »Bildet demnach die Affektdarstellung das Moment von >Kultur< in der Musik, so besteht deren im engeren Sinne ästhetischer Charakter -das Musikalisch Schöne- in einer Proportionierung akustischer Empfindungen«.69 Schellings Dialektik von Zeit und Selbstbewusstsein als Gegenpart äußert sich im Rhythmus. Dieser gilt bei ihm als Analogon zum Selbstbewusstsein. Hegel greift diesen Gedanken auf und erweitert ihn: »Erst wenn sich in dem sinnlichen Element der Töne und ihrer mannigfaltigen Figuration Geistiges in angemessener Weise ausdrückt, erhebt sich auch die Musik zur wahren Kunst«.70 Die Empfindung des Ich basiere dabei auf der Subjektivität. Schopenhauer unterstreiche die Objektivität des Willens: Die Platonischen Ideen würden durch die Darstellung einzelner Dinge angeregt. Diese Anregung sei der Zweck aller anderen Künste, die Musik sei nicht Abbild der Ideen, sondern Abbild des Willens selbst.71 Wie kommt ein protestantischer Komponist dazu, Messen und Requiem-Vertonungen zu schreiben? Diese Frage bewegt das 19. Jahrhundert nicht oder nur selten. Die Komponisten schreiben im Allgemeinen ihre Werke, ohne auf die Zugehörigkeit der Konfession zu achten. Draeseke hat in seinem Requiem h-Moll im Domine-Satz zusätzlich einen Choral eingebaut: >Jesus, meine Zuversicht<. Es ist ein typisch evangelischer Choral.72 Was hat ein evange-lischer Choral im Text einer Requiem-Vertonung zu suchen? Zwei geistige Richtungen fallen hier zusammen: die ursprüngliche Messen-Fassung und der evangelische Choral. Der modifizierte Choral in langen Notenwerten wird vom Komponisten mit stark klingenden Posaunen in den Domine-Satz eingebracht. Einen Choral zum Grundtext Messe zu setzen, hat Draeseke als evangelischer Komponist nicht nur kompositionsmäßig herausgefordert. Er hebt an vielen Stellen seiner Messen bestimmte markante musikalische Punkte hervor und betont Worte und Sätze. Darin kann sich auch seine religiöse Haltung widerspiegeln, zum Beispiel im >Quia pius es<, im Kyrie, im >Et lux perpetua<, >Miserere<, sowie in anderen Beispielen des Requiems und der Messe. Durch die Hervorhebung vieler Schwerpunkte von Tonartenwechsel und Chromatik, sowie übermäßigen Akkorden scheint sich bei Draeseke eine überzeugend religiöse Haltung zu zeigen und zu festigen. Dabei beruft er sich auf Palestrina, Mozart und besonders auf Beethoven. Er praktiziert eine rhetorisch-ausge-stattete Musik mit großen Linienführungen, die er mit Hilfe seiner modernen musikalischen Vorstellungen für die Zukunft ausfüllt. Dabei stehen sich

69 Carl Dahlhaus: Ästhetik als Systemphilosophie. In: Musik zur Sprache gebracht. Musikästhetische Texte aus drei Jahrhunderten. Ausgewählt und kommentiert von Carl Dahlhaus und Michael Zimmermann. Kassel. Basel. London 1984, S. 137. 70 Ebd., S. 159f. 71 Ebd., S. 167. 72 Vgl. S. 164, S. 192, S. 376.

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Sinfonie- und A-cappella-Begriff gegenüber, eingebettet in Melodienent-wicklung auf der gedanklichen Ebene. Psychologische Momente im Text werden mit Tonartenwechsel oder auch Chromatik versehen: Anabasis und Katabasis zeichnen vorwiegend die bildhaften Textstellen nach. 8.1 Thesen und Belegpunkte zu Draesekes sinfonisch-, sowie a- cappella-gestalteten Messen und Requiem-Vertonungen Es zeigten sich bei Felix Draeseke in seinen Messen und Requiem-Kompositionen zwei Thesen: A. Draeseke ist ein stilistischer Vermittler, und er steht der Verfremdung von Harmonie offen gegenüber. B. An besonders eschatolgischen Textstellen der Messen und des Requiem- Vertonungen werden verschiedene text- und musikimmanente Interpreta- tionen sicht- und hörbar. 1. Johann Sebastian Bach ist für Felix Draeseke ein großes kompositorisches Vorbild, was sich in der h-Moll-Messe im Melodienfluss und besonders im Kontrapunkt der ausgebauten Fugen zeigt. 2. Draeseke hört die Missa Solemnis von Ludwig van Beethoven und äußert sich über sie schriftlich. Eine Nachhaltigkeit von Kurzformen, welche der Inter-pretation dienen, sowie der Fugenausbau wecken sein hohes Interesse. Allerdings übt der Komponist an Beethoven Kritik in Bezug auf dessen >subjektiv ausgetragene Religiosität<. Eine völlig andere Religiosität verbindet Schubert mit seiner Messe. Beethoven und Schubert geben ihrer Musik einen bleibenden und unterschiedlichen Wert durch hohe Dramatik und gesanglich-lyrische Formen. 3. In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zeichnen sich in der sinfonisch-gestal-teten Messe Einflüsse weiterer stilistischer Art ab. Sie gehen von Joseph Haydn und auch Mozart aus. Die Wiener Klassiker haben mit ihren sinfoni-schen Formen und Instrumentierungen ihren musikalischen Einfluss geltend gemacht. Der Ausbau des Orchesters steht bei den Komponisten auf dem musikalischen Programm. Felix Draeseke verwendet das romantische Orchester, doch nicht in einer übermäßigen Größe wie bei Giuseppe Verdi oder Hector Berlioz, doch Oper und Sinfonie haben hier ihre musikalischen Spuren deutlich hinterlassen. 4. Anton Bruckner, Franz Liszt und Felix Draeseke und andere Komponisten seiner Zeit sind in der Tradition der Wiener Klassiker zu sehen. Sie verwerten ihre klassischen Kenntnisse, indem sie unterschiedliche Merkmale in ihren Werken ausführen. Diese reichen von gewaltigen ff-Orchesterpassagen bei Bruckner, bis zum p-geleiteten Männerchor bei Liszt, und Draeseke zeigt in

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seinem Benedictus des h-Moll-Requiems eine lyrisch-angelegte Solo-Sopran-stimme über einem Chor. 5. Italienische Einflüsse werden durch Joseph Haydn übertragbar gemacht. Cherubinis Missa Solemnis (c-Moll) ist eine bedeutende traditionelle Quelle im 19. Jahrhundert. 6. In Deutschland sind weitere musikalische Einflüsse zu benennen: der Einfluss des sich entwickelnden Kontrapunktes an verschiedenen Orten (München, Regensburg). Damit hängen vorwiegend restaurative Gedanken-gänge zusammen, bestimmte Musikrichtungen, zum Beispiel als Gegengewicht zur Neudeutschen Schule: der Cäcilianismus. Dieser besagt, dass >wahre Kirchenmusik< sich von allen weltlichen Stilmitteln frei zu halten und dass die Wiederentdeckung der Liturgie Vorrang habe. Daher haben Oper und Sinfonie im Cäcilianismus keinen Raum. 7. Franz Liszt, Anton Bruckner und auch Felix Draeseke haben in ihren Messen sinfonisch gestaltete Passagen mit teils einfachen Melodieteilen verbunden, so dass in dem Messetext auch eine simultane Kirchenmusik angemessen zum Ausdruck kommt. Liszt und Bruckner sind in ihren Messen nicht so aufgestellt wie Felix Draeseke. Dieser vertont den Messetext wie den Requiem-Text 1909/1910 in reiner A-cappella-Form. Das betrifft die Messe in a-Moll op. 85 und das Requiem e-Moll WoO 35. Draeseke hat sich gegen Ende seines Lebens vom sinfonisch-gestalteten Werk abgewandt, dafür den Kontrapunkt weiter ausgebaut, die Kadenzen in der Homophonie belassen. 8. Beethoven bildet besonders für op. 60 und op. 22 das musikalische Vorbild. Die fis-Moll-Messe steht hier im Vordergrund. Der Komponist beruft sich auf frühe musikalische Traditionen, die er wieder aufleben lässt. Im Credo-Teil der Missa Solemnis Beethovens treten im Text verschiedene bildliche Stellen hervor, die durch die Musik in ihrem Ausdruck noch verstärkt wirken. So hat auch Felix Draeseke diese bestimmten Stellen des Credos nach Beethoven vertont, allerdings streckenweise im Unterschied zu ihm. In der >Crucifixus-Szene< der fis-Moll-Messe (Credo: T. 148-152) wird von Draeseke das Leiden Christi durch Dissonanzen und fallende Sextensprünge gestaltet, ein Topos für die Darstellung des Schmerzes. Hinzu kommt noch die c-Moll-Tonart. Beet-hoven zeigt an entsprechender Stelle einen Solochor mit aufsteigender Melodie. Die >Crucifixus-Szene< beginnt bei ihm mit einem B-Dur-Dreiklang, der in einem übermäßigen Sekundakkord (es-fis-a) endet. An der Stelle >et ascendit in coelum< (Credo: T. 215-223) ist wie bei Beet-hoven eine Anabasis zu hören. Sie wird dafür eingesetzt, Zuversicht für die Menschheit auszustrahlen und die Auferstehung darzustellen. 9. Die Messen und Requiem-Vertonungen von Felix Draeseke spiegeln die verschiedensten musikalischen Richtungen in den genannten Kompositionen wider: Bach als Melodienentwickler und Kontrapunktiker, Haydn und Mozart als Vermittler der Form der Missa Solemnis und der italienischen Tradition.

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Beethoven lässt alte kirchenmusikalische Merkmale und den Ausbau der Fuge in seiner Missa Solemnis wieder aufleuchten. Die Form der Sinfonie und die der Oper beeinflussen die Musik, auch die Behandlung des erweiterten Orchesters, zum Beispiel die der Verdoppelung der Bläser, sowie die Verselbst-ständigung des Orchesters in allen Gruppierungen. Gegen Ende des Jahrhunderts gewinnt die Musik Palestrinas und damit der Cäcilianismus bei Draeseke mehr und mehr an musikalischem Boden. 10. In allen vier Werken Draesekes finden sich die genannten Strategien wieder, einerseits traditionelle, andererseits fortschrittliche. Die Tradition und der Fortschritt sind in op. 22 und op. 60 enthalten, wobei der Fortschritt im musikalischen Bereich einen wesentlichen Teil der Kompositionen einnimmt. In den Werken op. 85 und WoO 35 sind aufgrund der völlig anderen musikalischen Form Tradition und Fortschritt ebenfalls präsent. Die geschichtliche Tradition steht hier mehr im Vordergrund. Sie drückt sich aus durch einen ausgefeilten Kontrapunkt, den Draeseke mit Stilmitteln seiner Ausdrucksweise modern füllt. Im Vergleich zu den sinfonisch-gestalteten Messen erfordern seine A-cappella-Messen eine ebenso hohe und anspruchs-volle Gesangskunst. 11. Felix Draeseke hat in seinen zwei Messen und in den Requiem-Vertonungen im Kyrie-Satz Haydnsche und damit italienische Einflüsse durch eine entsprechende Fugatoform mit Tonartenänderung geltend gemacht. Diese Eröffnung der Missa Solemnis sieht man auch bei Mozart bis zu Liszt. Cherubini bleibt dagegen zunächst in der Haupttonart c-Moll stehen, und erst in einem weiteren Teil wird die Tonart geändert. Auch im Gloria-Satz von Draesekes fis-Moll-Messe wird die Missa Solemnis fortgeführt. Draeseke geht hier wieder den Weg Haydns, indem dieser den Text nahezu geschlossen behandelt und nicht wie Beethoven auseinander nimmt. Ganz deutlich wird dieses Phänomen beim Betrachten der Fuge Beethovens am Ende des Glorias. Beethoven zeigt eine Fuge, die durch sprachliche Einwürfe oft unterbrochen wird. Draeseke komponiert ebenfalls eine Fuge, aber in einer geschlosseneren Form, während Liszt in der Graner Messe überhaupt keine Fuge am Ende des Glorias vorsieht. Die Gloria-Rufe der fis-Moll-Messe Draesekes sind ebenfalls ein Zeichen für die Missa Solemnis, die wieder auf Haydn und Beethoven zurückgehen. Andere Beispiele zeigen ebenfalls auf diese Tradition: Das >qui tollis peccata mundi< wird mit abwärtsgerichteter Melodienführung vorgestellt. Beethoven, Bruckner, Liszt, Draeseke und andere Komponisten spiegeln das 19. Jahrhundert auch hier durch musikpsycho-logische Ausdrucksformen wider. In nahezu jedem Satz der sinfonisch-gestalteten Messen sind musikalische Spuren der Missa Solemnis auszuma-chen, in den Requiem-Vertonungen sind solche in abgeschwächter Form zu finden. 12. In den Credo-Sätzen Draesekes werden Credo-Wiederholungen angewen-det. Diese sind auch ein Zeichen der Missa Solemnis, zum Beispiel bei Bruckner. Liszt setzt die Reprise in der Graner Messe ein, aber ohne eine Fuge

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zu formulieren. Draeseke komponiert an dieser Stelle eine Fuge >Et vitam venturi< und stimmt dabei mit Beethoven überein. Draesekes Piano-Sanctus-Ausführungen stehen ebenfalls in der Solemnis-Tradition von Haydn und Beethoven. Auffällig ist die Form der Syllabik, die bei Mozart und Beethoven erscheint. Das >Pleni sunt coeli et terra gloria tua< wird allgemein gültig in Fugato-Technik komponiert. Die >Osanna-Fuge< in Draesekes fis-Moll-Messe op. 60 stellt im Gegensatz zu Cherubinis homophonen >Osanna<-Satz ein ausgereiftes Fugato vor. Es hebt die vorhergehende musikalische Sprachkom-ponente auf, und sie setzt bewusst einen Gegensatz. Das wird auch bei Mozart beobachtet. Die Benedictus-Vertonung zeigt bei Draeseke in op. 60 und op. 22 eine lyrische Komponente. Ein Solosopran singt eine melodiös angelegte Partie über einem statisch-begleitenden Chor, der das Geschehen kommentiert. Hier entstehen theaterartige Eindrücke. Die liedartige Entwicklung des Soprans erinnert an Schubert und auch an Beethoven. 13. Das Agnus Dei in op. 60 ist ähnlich der homophonen Fassung von Cherubini angelegt. Nur kleine Teile werden von Draeseke fugatoartig eingesetzt. Denn durch die Herausstellung des musikalischen >miserere< erreicht der Komponist eine Rück-, bzw. Hinführung zum Kyrie. Auch von der Musik her schließt sich der liturgische Kreis. 14. Die A-cappella-Kompositionen von Felix Draeseke zeigen ähnliche Merkmale wie die sinfonisch-gestalteten Werke. Nur die äußeren Formen sind unterschiedlich. Draesekes subjektive Kompositionsart macht sich auch in der a-Moll-Messe op. 85 und im Requiem e-Moll WoO 35 bemerkbar. Das Requiem e-Moll WoO 35 ist durchgängig fünfstimmig konzipiert und zeigt zu Beginn des Introitus einen Orgelpunkt mit aufsteigendem, imitatorischem Thema. Schon jetzt setzt Draeseke eine hohe kontrapunktische Form an. >Et lux perpetua eis< wird dagegen durch einen homophonen, deklamatorischen Chor im f gestaltet. Der >Te-decet-Hymnus< folgt in einem Fugato-Satz. Eine große Kyrie-Doppel-fuge beschließt den Introitus. 15. Das anschließende Dies irae entwickelt Draeseke in einem Fugato bis zum >Tuba mirum< zu einer weiteren Fuge. Er fordert eine große Lautstärke, im Gegensatz zu Mozart an gleicher Stelle. Auch im h-Moll-Requiem op. 22 wird von Draeseke eine entsprechende Lautstärke im forte unterstrichen. Im e-Moll-Requiem wird der Recordare-Satz ähnlich einfach ausgeführt wie bei Cherubini. Im Satz der h-Moll-Requiemvertonung fällt die instrumentale Begleitung an dieser Stelle auf. Diese weist auf Mozart hin (KV 626). Mit ihrem schweren Charakter verbindet die >Confutatis-Linie< sich mit den >Rex-tremendae-Rufen<. Draeseke stellt das anschließende >Lacrimosa< charakterlich dagegen. Das melodische Element als Kontrapunkt ist eines der Stilmittel, das Draeseke neben der Fugatotechnik in der ausgebauten Fuge Anwendung findet. Beethoven hat auch hier eine Vorbildfunktion. 16. Im Domine Jesu Christe des e-Moll-Requiems ragen besonders >Libera eas de ore leonis< und >Sed signifer sanctus Michael< hervor. Über gewagte

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Modulationen bis hin zum ausgleichenden, ruhigen Charakter reichen die musikalischen Merkmale. Draeseke setzt ebenfalls rhythmische Elemente ein. Diese Gestaltung erinnert an den Anfang des Satzes. Es folgt eine große Fuge >Quam olim Abrahae promisisti<. 17. Zu erwähnen ist der Domine-Satz des h-Moll-Requiems op. 22. Dort verarbeitet der Komponist in einem kontrapunktisch-angelegten Satz zusätzlich zum lateinischen Text in langen Notenwerten einen Choral: >Jesus, meine Zuversicht<. Draeseke setzt dafür Posaunen in doppelter Ausführung ein. Auf die Zeile >Quam olim Abrahae promisisti< bringt der Komponist den Abgesang der letzten Choralzeile: >Was die lange Todesnacht mir auch für Gedanken macht<? Die ursprünglich lateinisch-zuversichtliche Grundstimmung dieser Zeile wird durch den Zusatz mit einem Kontrastprogramm belegt. Genau wie Draeseke komponiert Mozart im Domine-Satz bei >Quam olim Abrahae promisisti< eine Fuge. Mozart und Beethoven haben an den großen Fugen Draesekes ihren musikalischen Anteil. Franz Liszt gibt der Zeile >Quam olim Abrahae promisisti< einen homophonen Rahmen. 18. Wie in den Messe-Sätzen Draesekes, so werden auch in den Requiem-Vertonungen das Sanctus, Benedictus und Agnus Dei spezielle musikalische Charaktere beibehalten: das Sanctus mit seiner tänzerischen Fuge, das Benedictus mit seiner melodischen Vielfalt und das Agnus Dei mit seinem schweren Moll-Charakter. Die Kontrapunktik wechselt kurzfristig besonders im Agnus mit eingebauter Homophonie. Die letzte Zeile im h-Moll-Requiem >Quia pius es< zeichnet Draeseke mit einem Topos von demütiger Haltung aus, die sich durch eine pp- E-Dur-Terz ausdrückt. 19. Draeseke hat sich in seinen Fugen nach Beethovens musikalischem Ausdruck gerichtet. Das Requiem op. 22 und die Messe fis-Moll op. 60 stehen eindeutig unter seinem Einfluss, ebenso Haydns und Mozarts. 20. Das Zeitzeichen der Subjektivität ist in op. 22 und op. 60 an vielen Stellen zu sehen und zu hören. Es drückt sich aus in übermäßigen Septklängen, großen Modulationen, in eigenwilligen Silbenbetonungen, im Umsetzen von Dramatik, im schnellen Methodenwechsel, etc. Draeseke achtet bei allem Subjektiven auf die zu bedienenden Formen des Messetextes. Er erreicht direkte und indirekte Interpretationen. Sie zielen auf die Wiener Klassiker. Draeseke bleibt auf diesem musikalischen Boden, seine persönliche Komposi-tionsart zeigt sich hier besonders: In seinen Kompositionen kommen außerdem nicht nur auffällige Klangkombinationen und leere Quintklänge zum Tragen, sondern auch verzögert aufgelöste und nicht aufgelöste Dissonanzen weisen auf neue Wege impressionistischer Art hin. 21. Draeseke ist mit seinen sinfonisch-gestalteten Formen einerseits und mit seinen A-cappella-Messen andererseits ein besonderes Bindeglied zwischen den Zeiten von Palestrina, Bach, Händel, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert,

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Liszt, Bruckner, Brahms, Verdi, Berlioz und anderen Messe-Komponisten geworden. 22. Bei Liszt und den Neudeutschen hat Draeseke neue Strategien kennen gelernt. Mit Liszt verbinden ihn unter anderem außergewöhnliche Klangkombi-nationen in Form von Sept- und Nonenklängen und eine hohe Dramatik (Punkt 20). 23. Erst in den letzten Lebensjahren wendet sich Draeseke von Liszt ab und dem Cäcilianismus zu. Es entstehen die beiden Werke Messe a-Moll op. 85 und Requiem e-Moll WoO 35. Draeseke vollzieht einen Bruch der musikalischen Formen und stellt den Ausbau des Kontrapunkts in den Mittelpunkt. Vorbild dafür ist Palestrina. Draeseke erweitert die Kontrapunktik mit tonartlich ausführlichen Nebenbereichen, ohne die Haupttonart zu vernach-lässigen. Er stellt in der a-Moll-Messe und im e-Moll-Requiem den liturgischen Charakter mehr in den Vordergrund. 24. Anton Bruckner steht den Neudeutschen teilweise nahe. In seiner f-Moll-Messe ragen besonders seine Fugen hervor, ein Erbe Beethovens. Die Fugen im Gloria und Credo sind wie bei Beethoven von Unterbrechungen gekennzeichnet. Ebenso zeigt Bruckner erweiterte Fugenformen als Aus-drucksmittel. 25. Draesekes vier Messen besitzen viel Eigenkraft, die den musikalischen wie theologischen Boden nicht außer Acht lässt. Er ist protestantischer Komponist, der sein theologisches Verständnis besonders im h-Moll-Requiem op. 22 (Offertorium) einsetzt und von daher sich von den genannten Komponisten seiner Zeit in diesem Punkt deutlich unterscheidet. Der Komponist Felix Draeseke hat in seinen Messenkompositionen und Requiem-Vertonungen musikphilologische und -psychologische Ansätze ver-wendet. Vorwiegend hat er gezeigt, dass er sich in der Missa-Solemnis-Tradition Haydns und besonders Beethovens in einer umfassend musikalisch-bildlichen Ausdrucksweise >beheimatet< fühlt. Draeseke verweist in seinen Kompositionen und literarischen Ausführungen darauf, was Musik im Allge-meinen bewirken sollte, nämlich die Darstellung einer Stimmung -in der Bewahrung alter Traditionen- unter Zuhilfenahme neuer musikalischer Mittel. »Atmosphären sind ebenso wie die Musik vielschichtige, von einer gewissen Unbestimmtheit geprägte Wahrnehmungskomplexe«.73

73 Heiner Gembris: Musik und Parfum: Musikpsychologie. Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie. Hrsg. von Klaus-Ernst Behne, Günter Kleinen und Helga de la Motte-Haber. Bd. 18. Göttingen 2006, S. 64.

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Anhang 9.1 Sozialpolitischer und kultureller Hintergrund der Messen

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9.1 Sozialpolitischer und kultureller Hintergrund der Messen

Kriterien

Requiem h-Moll, op. 22

Messe fis-Moll, op. 60

Messe a-Moll, op. 85

Requiem e-Moll, WoO 35

Entstehungs- Zeit

1865-1880

1890/91 1908/09 1909/10

Gesellschaftl. Hintergrund im 19. Jh. Einstellung des Bürgers Innenpolitik

Revolution von 1848 hinterließ in vielen deutschen Landen verschiedene politische Spuren. Verunsicherung des Bürgers war die Folge. Dt.-frz. Krieg 1866/1871 Reichs- gründung

Verfassung Preußen Sozialgesetze Abschaffung der Kinderarbeit

Erstarken der Kaisertreuen unter Bismarck und Hindenburg

Kritik an der Industrialisierg. Kritik: material. Denken Politische Kritik

Industrielle Revolution veränderte die Menschen. Das Aufleben der Wirtschaft und des Handels sorgten für kapitalistisches Denken. Effektivität und Rentabilität waren die großen Stichworte.

Der Nutzen stand an der ersten Stelle; die Kunst zunächst weit hinter der neuen Wirt- schaftsidee.

Der Staat übte seit Jahrzehnten eine sich entwickelnde Pressezensur aus. Politische Kritik war verpönt.

Streit mit der katholischen Kirche Musik:

a) 1866:Sieg d.evgl.preuß. Königs über Kaiser v. Österr.

b) Besetzg. Roms d. iital. Truppen= Ende des 1000jährigen

c)

Bildung vom

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Anhang 9.1 Sozialpolitischer und kultureller Hintergrund der Messen

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Betonung des Nationalen

d) Kirchenstaates - Liberalismus

e) Vatikan. Konzile gegen „Irrtümer“ der Zeit= Lehrsatz von der Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubens-u. Sittenlehren –

f) g) h)

Zentrum= kath.

Wähler – ein jahrelanger Kampf belastete die dt. Innenpolitik.

Lberalen nannten ihn „Kulrurkampf"

Veränderte Auffassungen von Musik

Romantik der Musik fing nicht mit romant. Musik an, sondern mit dem Zeitgeist, der sich in bestimmten Formen + Höreinstellungen von Musik zeigte. Motive waren ausdrucksstark + gut zu behalten. Erstes Musikfest des Allgemeinen Deutschen Musikvereins 1860

Romant. Sicht von Kindheit, auch in der Musik

Das Kindhafte wurde besonders in den oberen Schichten hervorgehoben, im Gegensatz zu der Kinderarbeit in den unteren Schichten, die sich erst allmählich auflöste.

Die Lebensmaxime lautete: Ein Kind muss man sein, um alles zu begreifen.

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Anhang 9.1 Sozialpolitischer und kultureller Hintergrund der Messen

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Die reine Musik kam von den alten Meistern Die Vergangenheit wurde belebt

Die allgemeine musikalische Sichtweise bezog sich auch auf Palestrina, Schütz, Joh.Seb. Bach5, Beethoven.

Historische + zeitgenössische Musik hielten sich im 19. Jh. im Gleichgewicht: zum einen sollte die Gegenwart in zwei Strömungen überwunden werden, indem nach vorne geschaut, zum zweiten, indem der Blick auf die Historie (Mittelalter) gerichtet wurde und von der eigenen Wirklichkeit ablenkte.

Die Neudeutsche Schule brachte nicht nur Neues hervor, sondern auch Misch-klänge, die Altes mit Neuem verbanden.

Bürgertum + Vereine Bildungsbür-gertum Höfische Gesellschaft

Das Volkslied6 ragte heraus, daneben das Kunstlied. Salonmusik wurde einem breiteren Publikum angeboten. Eine Wieder-belebung alter Choräle fand

Operette + Oper öffneten sich langsam für alle Gesellschafts-schichten.

Die Kirchenmusik stand neben der weltlichen Musik gleichrangig da. Die A-cappella-Musik und Instrumental-musik spannten die musikalischen Bögen mit

5 »Dass in der Praxis der Bach-Rezeption der Akzent auf die Instrumentalmusik fiel, ist der sinnfällige Ausdruck einer unscheinbaren, aber tiefgreifenden ästhetischen Umdeutung, deren musikgeschichtliche Tragweite kaum überschätzt werden kann: einer Umdeutung, durch die Bachs Werke sich nicht allein in autonome, absolute Musik verwandelten, sondern geradezu zum Muster und Paradigma der ‚reinen Instrumentalmusik‘, in der die Romantik das Wesen der Musik schlechthin zu erkennen glaubte, erhoben wurden«. In: Carl Dahlhaus: Die Musik des 19. Jahrhunderts. Neues Handbuch der Musikwissenschaft. Bd. 6. Wiesbaden 1980, S. 25. 6 »Der Komposition wie der eingreifenden Redaktion von Volksliedern lag die Idee einer Teilhabe an der Tradition zugrunde, als deren Dokument man das Volkslied, den dichterisch- Musikalischen Ausdruck des produktiven Volksgeistes, begriff«. In: Ebd., S. 90.

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Anhang 9.1 Sozialpolitischer und kultureller Hintergrund der Messen

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statt.

Messen, Requien, Konzertmessen, ebenso mit Oratorien und Musikdramen.

- - - - - Innenansicht:

- Poesie + Religion

- Prosa - Natur als

Gegenwelt

- Die Psychologie griff ein: Empfindungen

- wurden musikalisch

- beschrieben

Die Kunst selbst war Religion. Romantische Musik war Weltsicht. Politische und kirchenpolitische Auseinander-setzungen machten auch das Feld für musikalische Gegensätze im 19. Jh. bereit. Sie zogen sich durch die gesamte Epoche.

Das poetische Leben gestaltete sich im Nichtgreifbaren: Die poetische Musik wurde als schön + romantisch bezeichnet.7

Die prosaische Musik lieferte die äußeren Gegebenheiten, um Geld zu verdienen. Das prosaische Leben wurde nicht geschätzt, es entsprach der Lebens-wirklichkeit.

7 »Die Instrumentalmusik will nicht mehr eine einfache Zusammenstellung von Tönen sein, sondern eine poetische Sprache, die vielleicht mehr als die Poesie selbst geeignet ist, alles das auszudrücken, was...sich in den unzugänglichen Tiefen unstillbarer Sehnsucht, unend- licher Ahnungen bewegt«. Hans Engel: MGG, Bd. 8. Hrsg. von Friedrich Blume. München 1989, Sp. 981.

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Anhang 9.1 Sozialpolitischer und kultureller Hintergrund der Messen

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Anhang 9.2 Aufführungen/ Veröffentlichungen

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9.2 Aufführungen und Veröffentlichungen der Messen und Requiem-Vertonungen Draesekes vom 19. bis 21. Jahrhundert

Aufführungen

1. Requiem h-Moll, op. 22

- 26.10.1881 Dresden/Adolf Blassmann

Dreyssigsche Singakademie

- 03.05. 1883 Gedächtnis für Wagner

Thomas-Kirche Leipzig

Aufführung aus dem Manuskript,

Leitg.: Karl Riedel, Riedel’scher Verein,

Gewandhausorchester

- 18.11.1886 Andenken an Liszt

Thomas-Kirche Leipzig

20.11. 1932 Luth. Pfarrkirche Marburg

- in den 50iger Jahren Aufführung in

Wuppertal, Leitg.: Martin Stephani –

Veröffentlichungen

1. -h-Moll-Requiem : Kistner Leipzig

Erstausgabe 1887

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Anhang 9.2 Aufführungen/ Veröffentlichungen

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14.11.1958 Stadthalle Wuppertal, Leitg.:Martin

Stephani, Chor der Konzertgesell-schaft

Wuppertal

- 07.10.1982 Altenberger Dom, Leichlinger

Kantorei, Leitg.: Udo-R. Follert

- 24.11. 1985 Luther-Kirche Dresden, Leitg.:

Karl Frotscher

- 07.11.1987 Gethsemane-Kirche Berlin,

Domchor, Leitg.: Herbert Hildebrandt

- 08.11. 1987 Kilianskirche Heilbronn,

Leitg.: Hermann Rau

-12./13.11. 1987 Gewandhauschor Leipzig,

Leitg.: Christoph Gottfried Biller

1982 Tonaufnahmen: Leichlinger

Kantorei, Collegium Instrumentale Köln,

Solisten: Jeanette Zarou, Ulla Tocha,

Karl Markus, Phillip Langshaw

(Polyphonia 63007, Schwann)

Das Benedictus wurde neu konzipiert

für 4stg. Chor + Orgel (hrsg. von

Udo-R. Follert), Bärenreiter Verlag

Kassel 1991 (Chormusik des 19.

Jahrhunderts) BA 6911

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Anhang 9.2 Aufführungen/ Veröffentlichungen

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- Juni 1992 Gewandhauschor

Leitg.: Christoph Gottfried Biller

- 12.10.2003 Stadtkantorei Hildburghausen

Einstudierung: Ute Fischer/Torsten Sterzik

Chorus musicus / Christuskirche

Hildburghausen, Thüringer Symphoniker

Saalfeld/ Rudolstadt

Leitg.: Torsten Sterzik, Hildburghausen

-17.11.2007 Der Chor der Frauenkirche

Dresden, Soli, Philharmonisches Orchester

des Staatstheaters Cottbus. Leitg.:

Frauenkirchenkantor Matthias Grünert

- 20.11. 2013 Dresdner Bachchor, Elbland

Philharmonie Sachsen. Leitg.: LKMD

Markus Leidenberger

23.11. 2013 Hannover: Sinfonisches

Orchester, Kantorei Johannis. Leitg.: Lothar

Mohn

1989: Tonaufnahmen

Tonstudio S6, 14 W.+M. Gareis

6800 Mannheim 1

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Anhang 9.2 Aufführungen/ Veröffentlichungen

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2. Große Messe fis-Moll, op. 60

- 18.11. 1892 Thomaskirche Leipzig,

Riedel’scher Verein, Leitg.: Hermann

Kretzschmar

Aufführung nach dem Manuskript

- 08.04. 1893 Brauns Hotel Dresden,

Dreyssigsche Singakademie, Kapelle des 2.

Sächsischen Grenadier-Regiments, Nr. 101.

Leitg.: Theodor Müller-Reuter

- 06.05. 1989 Gedächtniskirche Speyer,

im Rahmen des 31. Internationalen Heinrich-

Schütz-Festes in der Pfalz,

Evgl. Jugendkantorei, Kölner Philharmoniker,

Leitg.: Udo-R. Follert

- eine weitere Aufführung war in Berlin mit

Herbert Hildebrand und der Berliner

Domkantorei geplant. Die politische Wende

kam dazwischen.

Erstedition 1910 F. E. Leuckart,

München

1.- Verlag von F.E.C. Leuckart,

Große Messe a-Moll, op. 85,

C 1910 , Leipzig, Nr. 6476

-Chorstimmen der einzelnen Teile

-Partitur

-Erstdruck Münchener Staats-

bibliothek in drei modernen

Schlüsseln + Tenorschlüssel,

-2. Ausgabe-(Kunzelmann)Tenor-

schlüssel wurde von Udo-R.Follert

umgewandelt. - 2. - 30.03. 1982:F.E.C. Leuckart München

von Reinhard Grieshaber:

»Sämtliche Archivexemplare der

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Anhang 9.2 Aufführungen/ Veröffentlichungen

411

3. Große Messe a-Moll, op. 85

- UA: 09.10. 1910. Lukas-Kirche Dresden,

Chemnitzer Chor, Leitg.: Georg Stolz

- vorher Teilaufführungen: 03.04. 1909 Kyrie,

Bachverein, Andreas-Kirche Eisleben, Leitg.:

Hermann Stephani

- Palmsonntag 1909: Agnus Dei im Merse-

burger Dom, Leitg.: Karl Klanert. Dieser regte

an, dass die Stimmen in modernen Schlüsseln

gedruckt werden sollten.

- 17.10. 1909 Messe ohne Credo, Lukas-

Kirche Chemnitz, Leitg.: Georg Stolz

-16. 9. 1982 Messe a-Moll, op. 85

vollständige Aufführung im Altenberger Dom,

Madrigalchor Leichlingen,

Leitg.: Udo-R. Follert

- 13.03. 1983 Evgl. Kirche Waldbröl, Große

Werke Draesekes sind in

Leipzig durch Kriegseinwirkung

vernichtet worden«. In: Brief an

Leichlinger Kantorei: Udo-R. Follert,

Uferstr. 4, Leichlingen.

- 3. Andere A-cappella-Werke sind

bei Junne/ Leipzig erschienen.

-4. Edition Kunzelmann: a-Moll

Messe, op. 85:

- 23.02. 1983 - Bereitschaft,

Messe zu veröffentlichen

- 08.03.1983 - Kopie

- Messe a-Moll, dt. + engl.

- Übersetzung Vorwort

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Anhang 9.2 Aufführungen/ Veröffentlichungen

412

Messe a-Moll, op. 85, Leichlinger Kantorei,

Leitg.: Udo-R. Follert

- 29.05. 1983 Pfarrkirche Liebfrauen Bitburg

gesamte Messe, op. 85 + Brahms+Liszt

- 02.06. 1983 Alte Kirche Speyer

gesamte Messe a-Moll, op. 85

+ Orgelwerke von Brahms+Kiel

-25.09. 1983 Große Messe a-Moll, op. 85,

Credo, Agnus Dei, Johannes Kirche Düsseldorf

Madrigalchor Leichlingen, Leitg.:

Udo-R. Follert

- 02.10.1983 Evgl. Erlöserkirche

Rheinhausen

- Madrigalchor Leichlingen, Leitg.: Udo-R.

Follert: vollständige Aufführung im

Gottesdienst: Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus

in liturgischer Funktion

- 22.09. 1983 Korrektur von

Kunzelmann

- 25.11. 1983 Ausgabe ist korrigiert

Titel + Vorwort im Druck

- 15.02. 1984 a-Moll ist erschienen

Tonaufnahmen: CD

a-Moll-Messe op. 85

+ R. Schumann: 4 doppelchörige

Gesänge op.141: Niederländischer

Kammerchor, Leitg.: Uwe

Gronostay. Globe (GLO 5147). 1995

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Anhang 9.2 Aufführungen/ Veröffentlichungen

413

- 20.11. 1983 Evgl. Kirche Leichlingen

Kyrie, Agnus Dei, Osanna, Benedictus

op. 85 + Brahms +Kiel

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Anhang 9.2 Aufführungen/ Veröffentlichungen

414

Aufführungen

4. Requiem für 5 Gesangsstimmen,

a cappella WoO 35, e-Moll

- UA: 30.10.1913, Lukas-Kirche Chemnitz

Leitg.: Georg Stolz

- 25.02. 1933, Kreuzkirche Dresden

Leitg.: Rudolf Mauersberger

- weitere Aufführungen: Madrigalchor

Leichlingen

Leitg.: Udo-R. Follert: Sankt Baptiste

Leichlingen

- 27.02. 1983: Introitus, Kyrie, Introitus,

Agnus Dei: im Rahmen der Draeseke-

Gedenktage, anlässlich des 70. Todestages

Veröffentlichungen

Follert hat aus dem Manuskript eine

handschriftliche Dirigierpartitur herge-

stellt.

Die Veröffentlichung im Erstdruck ist

1996 im Strube-Verlag, München,

erschienen.

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Anhang 9.2 Aufführungen/ Veröffentlichungen

415

Aufführungen

- 20.10.2007 + 21.10.2007 Ludwigshafen –

Friedenskirche

- 09.11.2007 Sulzbach-Rosenberg

Christuskirche

Leitg.: Udo-R. Follert

- 11. 11. 2007 Frauenkirche Dresden

Ausführende: Kammerchor der

Evangelischen Singakademie

Leitg.: Udo-R. Follert

- 06.04.2013 Josephskirche Eppelheim

Teile aus dem Requiem Leitg.: Alexander

Burda: Kammerchor der Ökumenischen

Singwoche

Veröffentlichungen

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Anhang 9.3 Bibliotheks-Sigeln

416

9.3 Verzeichnis der Bibliotheks-Sigeln AAst Aachen Stadtbibliothek/Musikbücherei As Augsburg, Stadtbibliothek B Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Bch Berlin, Musikbücherei Charlottenburg Bds Berlin / Deutsche Staatsbibliothek BIst Bielefeld, Stadtbibliothek BMst Bremen, Stadtbibliothek BNst Bonn, Stadtbücherei BNu Universitätsbibliothek Bonn BOu Universitätsbibliothek Bochum Cl Coburg, Landesbibliothek Cst Coburg, Stadtarchiv Dl Dresden, Sächsische Landesbibliothek DM Stadt- und Landesbibliothek Dortmund DOu Universitätsbibliothek Dortmund DT Lippische Landesbibliothek Detmold DUs Stadtbibliothek Duisburg DÜl Düsseldorf, Landes- und Stadtbibliothek DÜmb Düsseldorf, Stadtbücherei / Musikbücherei Ebert Sammlung Heinz Ebert, Neustadt F Frankfurt, Stadt- und Universitätsbibliothek HAst Hagen, Stadtbücherei (Musikbibliothek) HAu Halle, Universitätsbibliothek Sachsen-Anhalt HEu Heidelberg, Universitätsbibliothek Hmb Musikbücherei der Hamburger öffentlichen Bücherhallen K Diözesanbibliothek Köln KA Karlsruhe, Badische Landesbibliothek KAu Karlsruhe, Universitätsbibliothek KNh Köln, Staatliche Hochschule für Musik Ku Universitäts- und Stadtbibliothek Köln KBs Koblenz, Stadtbibliothek Ledb Leipzig, Deutsche Bücherei LEm Musikbibliothek der Stadt Leipzig Hauptbibliothek Leipzig / Magazin / Theologie-Magazin Barcode-Nr.: M 04656447 / M 04656771 Mbh München, Städtische Musikbibliothek Mbs München, Bayerische Staatsbibliothek Mgmi Marburg, Hessisches Musikarchiv Mmb München, Städtische Musikbibliothek MGu Marburg, Universitätsbibliothek der Philipps-Universität MHR Mülheim, Stadtbibliothek MÜu Universitätsbibliothek Münster MZs Mainz, Stadtbibliothek PB Akademische Bibliothek Paderborn

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Anhang 9.3 Bibliotheks-Sigeln

417

SbM Stadtbibliothek Mönchengladbach SbWE Stadtbibliothek Wuppertal-Elberfeld Sl Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek SPlb Speyer, Pfälzische Landesbibliothek SbT Stadtbibliothek Trier Wu Universitätsbibliothek Wuppertal WIl Wiesbaden, Hessische Landesbibliothek WRh Weimar, Bibliothek der Franz-Liszt-Hochschule

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418 Anhang 9.4 Abkürzungen

9.4 Verzeichnis der Abkürzungen Abk. Abkürzung ADB Allgemeine Deutsche Biographie, Nachdruck der 1. Aufl. v. 1880, Berlin 1969 AfMf Archiv für Musikforschung AfMw Archiv für Musikwissenschaft AMZ Allgemeine Musikzeitung, Berlin 1874 ff. Anm. Anmerkung Apg 2, 42 Apostelgeschichte 2, Vers 42 Art. Artikel Aufl. Auflage Bd. Band Bde. Bände BI Blatt c.f. cantus firmus d.h. das heißt Diss. Dissertation ebd. ebenda Ebd. Ebenda EG Evangelisches Gesangbuch EKG Evangelisches Kirchengesangbuch Ev. Evangelisch f. für ff. folgend (e) Halbbd. Halbband Hg./Hrsg. Herausgeber hrsg. herausgegeben Hs. Handschrift IDG Internationale Draeseke-Gesellschaft Jg. Jahrgang Jh. Jahrhundert Kap. Kapitel Kath. Katholisch KmJb Kirchenmusikalisches Jahrbuch Kol 1, 12-20 Kolosser 1, Verse 12-20 1. Kor 11,20 1. Korinther 11, Vers 20 lat. lateinisch LE 249 f. Lebenserinnerungen Felix Draesekes, S. 249 folgende LThK Lexikon für Theologie und Kirche, Hrsg. von M. Buchberger, Freiburg 1962, Bd. 7. M Die Musik, Berlin 1901 ff. Mf Die Musikforschung

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Anhang 9.4 Abkürzungen

419

MGG Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Hrsg. von Fr. Blume, Kassel 1949 - 68, Supplement 1969 ff. Mscr. Manuskript Mss. Manuskripte n. nach NB Notenbeispiel Nr. Nummer o. J. ohne Jahr op. opus Pa. Pennsylvania Phil 2, 6-11 Philiper 2, Verse 6-11 Ps Psalm RGG Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Hrsg. von Kurt Galling. 3. Auflage, Tutzing 1960. S. Seite sog. sogenannte Sp. Spalte T. Takt/Takte vgl. vergleiche voc. voces WoO Werk ohne Opuszahl ZfM Zeitschrift für Musikwissenschaft Zs. Zeitschrift .

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Anhang 9.5.1 Notenbeispiele aus dem h-Moll-Requiem op. 22 423

Anhang 9.5.1 Notenbeispiele aus dem h-Moll-Requiem op. 22 NB h 1 Kyrie/Vc., T. 1-6, Kap. 4, S. 56, Kap. 5, S. 107

NB h 3 Requiem/Violine I, Vc., Kontrabass, T. 26-34, Kap. 5, S. 108

NB h 5 Domine/ Sopran, T. 11-23: Libera animas omnium, Kap. 5, S. 144 NB h 6 Kyrie/Alt, T. 6-11: Requiem aeternam dona eis, Domine, Kap. 4, S. 57 NB h 7 Requiem/ Sopran, T. 33-60: Et lux perpetua luceat eis, Kap. 5, S. 109 NB h 8 Dies irae/ Tenor, T. 107-108: Mors stupebit, Kap. 5, S. 111 NB h 9 Kyrie/ Sopran, T. 69-73: Exaudi orationem meam, Kap. 5, S. 133 NB h 11 Kyrie/ Alt, T. 112-114: Kyrie eleison, Kap. 5, S. 144 NB h 12 Dies irae/ Tenor, T. 5-8: Dies irae, dies illa, Kap. 5, S. 112 NB h 13 Dies irae/ Sopran, T. 39-47: quantus tremor est futurus, Kap. 5, S. 134 NB h 15 Dies irae/ Sopran, T. 80-86: Tuba mirum spargens sonum, Kap. 5, S. 120 NB h 17 Dies irae/ Tenor, T. 107-113: Mors stupebit et natura, Kap. 5, S. 120 NB h 18 Dies irae/ Sopran, T. 110-113: cum resurget creatura, Kap. 5, S. 124 NB h 19 Dies irae/ Sopran, T. 126-128: unde mundus judicetur, Kap. 5, S. 120 NB h 20 Dies irae/ Sopran, T. 138-146: nil inultum remanebit, Kap. 5, S. 116 NB h 21 Dies irae/ Sopran, T. 149-156: quid sum miser tunc dicturus? Kap. 5, S. 129 NB h 22 Dies irae/ Sopran, T. 157-158: cum vix justus, Kap. 5, S. 112 NB h 24 Dies irae/ Sopran, T. 182-189: Salva me, fons pietatis, Kap. 5, S. 114

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Anhang 9.5.1 Notenbeispiele aus dem h-Moll-Requiem op. 22 424

NB h 25 Dies irae/ Sopran, T. 198-202: Recordare, Jesu pie, Kap. 4, S. 59, Kap. 5, S. 125 NB h 28 Dies irae/ Sopran, T. 308-315: mihi quoque spem dedisti, Kap. 5, S. 112 NB h 29 Dies irae/ Sopran, T. 315-324: Preces meae non sunt dignae, Kap. 5, S. 130 NB h 31 Dies irae/ Alt/ Solochor, T. 379-384: Voca me cum benedictis, Kap. 4, S. 60 NB h 33 Domine/ Sopran, T. 150-167: Hostias et preces tibi Domine, Kap. 5, S. 143 NB h 35 EKG 330, EG 526: Jesus, meine Zuversicht: Otto v. Schwerin, Melodie: Berlin 1653, Kap. 4, S. 61 NB h 37 zit. n. Draeseke, modifizierter Choral, Offertorium: Domine, T. 12-15, 17-21, 41-45, 76-79, 81-85, 101-104, 107-111, 122-125, 128-131, Kap. 4, S. 63 NB h 38 Domine/ Bass, T. 222-227: Quam olim Abrahae promisisti, Kap. 4 , S. 63, Kap. 5, S. 122 NB h 41 Agnus Dei/ Alt/Tenor/Bass, T. 13-22: Dona eis requiem, Kap. 4, S. 66 NB h 42 Agnus Dei/ Sopran, T. 105-111: Cum sanctis tuis in aeternum, Kap. 4, S. 66, Kap. 5, S. 121 NB h 43 Kyrie/ Sopran, T. 11-26: Requiem aeternam dona eis, Domine, Kap. 5, S. 100 NB h 45 Die irae/ Sopran, T. 167-170: Rex tremendae majestatis, Kap. 5, S. 124 NB h 46 Kyrie/ Sopran, T. 47-60: et lux perpetua luceat eis, Kap. 5, S. 121 NB h 49 Kyrie/ Sopran, T. 130-132: Christe eleison, Kap. 5, S. 145 NB h 53 Kyrie, T. 166-172: Kyrie eleison, Kap. 5, S. 146 NB h 54 Agnus Dei, T. 143-148: quia pius es, Kap. 5, S. 147 NB h 55 Dies irae/ Tenor/ Bass, T. 110-113: cum resurget creatura, Kap. 5, S. 153 NB h 57 Sanctus/ Tenor, T. 43-47: Osanna in excelsis, Kap. 4, S. 65

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Anhang 9.5.1 Notenbeispiele aus dem h-Moll-Requiem op. 22 425

NB h 58 Kyrie/ Sopran, T. 152-163: eleison, Christe eleison, Kap. 5, S. 159 NB h 61 Kyrie/ Sopran, T. 61-62: Te decet hymnus Deus in Sion, Kap. 5, S. 104, Kap. 5, S. 162

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Anhang 9.5.2 Notenbeispiele aus der fis-Moll-Messe op. 60

426

Anhang 9.5.2 Notenbeispiele aus der fis-Moll-Messe op. 60 NB fis 1 Gloria/Soli, T. 91-98: Domine fili unigenite Jesu Christe, Agnus Dei, Kap. 4, S. 7, Kap. 5, S. 103 NB fis 2 Kyrie/Sopran, 50-56: Kyrie eleison, Kap. 4, S. 70, Kap. 5, S. 113 NB fis 3 Kyrie/Sopran, T. 5-9: Kyrie eleison, Kap. 4, S. 69, Kap. 5, S. 113 NB fis 4 Kyrie/Sopran, T. 108-111: Kyrie eleison, Kap. 4, S. 71 NB fis 5 Gloria/Sopran, T. 173-178: Jesu Christe, Kap. 5, S. 115 NB fis 6 Gloria/Soprane, T. 41-48: Laudamus te, benedicamus te, adoramus te, Kap. 5, S. 123 NB fis 7 Gloria/Sopran, T. 66-71: propter magnam gloriam tuam, Kap. 5, S. 127 NB fis 8 Gloria/Sopran, T. 74-85: Domine Deus, rex coelestis, Kap. 5, S. 129 NB fis 9a Gloria/Sopran, T. 111-116: qui tollis peccata mundi, Kap. 5,

S. 127

NB fis 10 Gloria/Sopran, T. 107-109: Qui tollis peccata mundi, Kap. 4, S. 73 NB fis 11 Gloria/Sopran, T. 126-134: miserere nobis, Kap. 5, S. 131 NB fis 12 Credo/Sopran, T. 106-113: per quem omnia facta sunt, Kap. 5, S. 132 NB fis 13 Credo/Sopran, T. 19-29: Credo in unum Deum patrem omnipotentem, Kap. 4, S. 77, Kap. 5, S. 117 NB fis 17 Sanctus/Sopran, T. 35-41: Osanna in excelsis, Kap. 4, S. 83, Kap. 5, S. 101 NB fis 18 Gloria/Bass, T. 182-187: Cum sancto spiritu in gloria Dei patris, Kap. 4, S. 75 NB fis 19 Credo/Sopran, T. 220-223: Gloria in excelsis Deo, Kap. 5,

S. 117, Kap. 5, S. 137

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Anhang 9.5.2 Notenbeispiele aus der fis-Moll-Messe op. 60

427

NB fis 20 Credo/Sopran, T. 388-394: et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam, Kap. 5, S. 153 NB fis 21 Gloria/Sopran, T. 56-71: Gratias agimus tibi, propter magnam gloriam tuam, Kap. 5, S. 148 NB fis 22 Sanctus/Sopran, T. 3-20: Sanctus Dominus Deus Sabaoth! Pleni sunt coeli et terra gloria tua, Kap. 5, S. 123 NB fis 23 Credo/Chor, T. 232-237: et iterum venturus est, Kap. 5, S. 149 NB fis 24 Credo/Sopran, T. 224-229: sedet ad dexteram patris, Kap. 5, S. 150 NB fis 25 Kyrie/Orchester, T. 1-5, Kap. 5, S. 151 NB fis 26 Gloria/Bass, T. 182-187: Cum sancto spiritu in gloria Dei patris, Kap. 5, S. 137 NB fis 28 Credo/Alt/Tenor, T. 148-152: crucifixus, Kap. 5, S. 160 NB fis 58 Credo/Solosopran, T. 59-64: Jesum Christum filium, Kap. 5, S. 163 NB fis 60 Gloria/Kleiner Chor, T. 52-56: Gratias agimus tibi, Kap. 5, S. 194

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Anhang 9.5.3 Notenbeispiele aus der a-Moll-Messe op. 85

428

Anhang 9.5.3 Notenbeispiele aus der a-Moll-Messe op. 85 NB a 1 Gloria/Sopran, T. 18-27: Et in terra pax, Kap. 5, S. 102 NB a 2 Credo/Alt, T. 134-138: et sepultus est, Kap. 5, S. 103 NB a 3 Credo/Soprane, T. 101-109: Et incarnatus est de spiritu

Sancto ex Maria virgine, Kap. 5, S. 105, Kap. 5, S. 118, Kap. 5, S. 138

NB a 4 Gloria/Sopran, T. 41-53: Laudamus te, benedicamus te, adoramus te, glorificamus te, Kap. 5, S. 106 NB a 5 Gloria/Sopran, T. 81-86: rex coelestis, Kap. 5, S. 114 NB a 6 Gloria/Sopran, T. 204-211: tu solus altissimus Jesu Christe, Kap. 5, S. 119 NB a 7 Gloria/Sopran, T. 221-229: Cum sancto spiritu in gloria Dei patris, Kap. 5, S. 133 NB a 9 Credo/Sopran, T. 85-99: Qui propter nos homines et propter nostram salutem descendit de coelis, Kap. 5, S. 138 NB a 10 Credo/Sopran, T. 119-133: Crucifixus etiam pro nobis passus sub Pontio Pilato, Kap. 5, S. 139 NB a 11 Credo/Soprane, T. 139-154: Et resurrexit tertia die secundum scripturas. Et ascendit in coelum, sedet ad dexteram patris, Kap. 5, S. 140 NB a 14 Credo/Sopran, T. 159-175: Et iterum venturus est cum gloria, judicare vivos et mortuos, Kap. 5, S. 141 NB a 16 Agnus Dei/ Sopran, T. 43-47: Agnus Dei, Kap. 5, S. 132 NB a 17 Agnus Dei/Sopran, T. 109-114: Dona nobis pacem, Kap. 5,

S. 115 NB a 18 Agnus Dei/Sopran, T. 115-122: pacem, dona nobis pacem, Kap. 5, S. 115 NB a 19 Gloria/Sopran, T. 74-77: Domine Deus, Kap. 5, S. 124 NB a 20 Kyrie/Tenor, T. 1-4: Kyrie eleison, Kap. 4, S. 86 NB a 21 Gloria/Sopran, T. 1-4: Gloria in excelsis, Kap. 4, S. 86 NB a 22 Sanctus/Sopran, T. 33-56: c.f. Wir Schwestern, Kap. 4, S. 89

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Anhang 9.5.3 Notenbeispiele aus der a-Moll-Messe op. 85

429

NB a 23 Sanctus/Sopran, T. 56-69: Osanna in excelsis, Kap. 4, S. 89 NB a 24 Dem Herrn sei Lob und Ehr, Kap. 4, S. 90 NB a 26 Credo/Sopran, T. 38-54: Credo in unum Dominum Jesum Christum filium Dei unigenitum et ex patre natum, Kap. 5,

S. 136

NB a 27 Credo/Sopran, T. 187-197: cujus regni non erit finis, Kap. 5, S. 142 NB a 29 Sanctus/Tenor, T. 1-7: Benedictus, qui venit in nomine Domini, Kap. 5, S. 164 NB a 30 Gloria/Chor, T. 90-92: omnipotens, Kap. 5, S. 196 NB a 31 Kyrie/Tenor/Bass, T. 1-4: Kyrie eleison, Kap. 5, S. 201

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Anhang 9.5.4 Notenbeispiele aus dem e-Moll-Requiem WoO 35 430

Anhang 9.5.4 Notenbeispiele aus dem e-Moll-Requiem WoO 35 NB e 1 Introitus/Bass, T. 2-4: Requiem aeternam dona eis, Kap. 4, S. 91 NB e 2 Requiem/Sopran, T. 3-5: Requiem aeternam dona eis, Kap. 5, S. 114 NB e 4 Dies irae/Bass, T. 1-7: Dies irae, dies illa, Kap. 4, S. 91 NB e 5 Requiem/Sopran, T. 40-41: Te decet hymnus, Kap. 5, S. 116 NB e 6 Introitus/Sopran, T. 61-65: Exaudi orationem meam, Kap. 5, S. 105 NB e 7 Requiem/Sopran, T. 66-71: Ad te omnis caro veniet, Kap. 5, S. 119 NB e 8 Requiem/Sopran, T. 3-11: Requiem aeternam dona eis, Kap. 5, S. 131 NB e 9 Requiem/Sopran, T. 79-87: et lux perpetua luceat eis, Kap. 5,

S. 125 NB e 10 Kyrie/Sopran, T. 138-141: Kyrie eleison, Kap. 5, S. 118 NB e 13 Dies irae/Sopran, T. 17-20: teste David cum sibylla, Kap. 5, S. 102, Kap. 5, S. 125 NB e 14 Dies irae/ Alt, T. 39-48 : Tuba mirum spargens sonum, Kap. 5, S. 128, Kap. 5, S. 154 NB e 16 Dies irae/Sopran, T. 251-259: Preces meae non sunt dignae, Kap. 5, S. 130 NB e 18 Domine/Sopran, T. 3-9: Domine Jesu Christe, rex gloriae,

Kap. 5, S. 122 NB e 19 Domine/Sopran, T. 48-51: Sed signifer sanctus Michael, Kap. 5, S.134 NB e 20 Domine/Tenor, T. 72-75: quam olim Abrahae promisisti, Kap. 4, S. 95 NB e 21 Domine/Sopran, T. 128-137: Hostias et preces tibi Domine laudis offerimus, Kap. 5, S. 126 NB e 22 Sanctus/Sopran, T. 42-46: Osanna in excelsis, Kap. 4, S. 96

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Anhang 9.5.4 Notenbeispiele aus dem e-Moll-Requiem WoO 35 431

NB e 23 Sanctus/Sopran, T. 1-9: Sanctus Dominus Deus Sabaoth, Kap. 5, S. 126, Kap. 5, S. 161 NB e 24 Agnus Dei/Sopran, T. 108-117: cum sanctis tuis quia pius es, Kap. 5, S. 97 NB e 25 Introitus/Sopran, T. 26-33: Et lux perpetua luceat eis, Kap. 5, S. 101, Kap. 5, S. 122 NB e 27 Sanctus/Sopran, T. 10-18, Kap. 5, S. 118 NB e 28 Dies irae/Sopran, T. 119-125: sit securus? Rex tremendae majestatis, Kap. 5, S. 155 NB e 29 Domine/Sopran, T. 35-44: ne absorbeat eas tartarus, ne cadant in obscurum, Kap. 5, S. 155 NB e 31 Domine/Sopran, T. 128-137: Hostias et preces tibi Domine laudis offerimus, Kap. 5, S. 165 NB e 36 Dies irae/Bass, T. 1-7: Dies irae, dies illa, Kap. 5, S. 203

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Anhang 9.5.5 Notenbeispiele Kapitel 4 432

9.5.5 Notenbeispiele Kapitel 4 NB h 1 Kyrie, T. 1-6, Kap. 4, S. 56, Kap. 5, S. 107 NB h 6 Kyrie, Alt, T. 6-11: Requiem aeternam dona eis, Domine, Kap. 4, S. 57 NB h 25 Dies irae, Sopran, Tenor, T. 198-202: Recordare, Jesu pie, Kap. 4, S. 59, Kap. 5, S. 125 NB h 31 Dies irae, Alt/Solochor, T. 379-384: Voca me cum benedictis, Kap. 4, S. 60 NB h 35 EKG 330; EG 526: Jesus, meine Zuversicht, Otto v. Schwerin, Melodie: Berlin 1653, Kap. 4, S. 61 NB h 37 zit. n. Draeseke, modifizierter Choral, Offertorium: Domine, T. 12-15, 17-21, 41-45, 76-79, 81-85, 101-104, 107-111, 122-125, 128-131, Kap. 4, S. 63 NB h 38 Domine/Bass, T. 222-227: Quam olim Abrahae promisisti et semini ejus, Kap. 4, S. 63, Kap. 5, S. 122 NB h 57 Sanctus/ Tenor, T. 43-47: Osanna in excelsis, Kap. 4, S. 65 NB h 41 Agnus Dei/Alt/Tenor/Bass/Solichor, T. 13-22: Dona eis requiem, Kap. 4, S. 66 NB h 42 Agnus Dei/Sopran, T. 105-111: Cum sanctis tuis in aeternum, Kap. 4, S. 66, Kap. 5, S. 121 NB fis 3 Kyrie/Sopran, T. 5-9: Kyrie eleison, Kap. 4, S. 69, Kap. 5, S. 113 NB fis 2 Kyrie/Sopran, T. 50-56: Kyrie eleison, Kap. 4, S. 70, Kap. 5, S. 113 NB fis 4 Kyrie/Sopran, T. 108-111: Kyrie eleison, Kap. 4, S. 71 NB fis 10 Gloria/Sopran, T. 107-109: Qui tollis peccata mundi, Kap. 4, S. 73 NB fis 1 Gloria/Solosoprane, T. 91-98: Domine fili unigenite Jesu Christe, Domine Deus, agnus Dei, Kap. 4, S. 74, Kap. 5, S. 103 NB fis 18 Gloria/Bass, T. 182-187: Cum sancto spiritu in gloria Dei patris, Kap. 4, S. 75 NB fis 13 Credo/Sopran, T. 19-29: Credo i unum Deum patrem omnipotentem, Kap. 4, S. 77, Kap. 5, S. 117

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Anhang 9.5.5 Notenbeispiele Kapitel 4

433

NB fis 17 Sanctus/Sopran, T. 35-41: Osanna in excelsis, Kap. 4, S. 83, Kap. 5, S. 101 NB a 20 Kyrie/Tenor, T. 1-4: Kyrie eleison, Kap. 4, S. 86 NB a 21 Gloria/Sopran, T. 1-4: Gloria in excelsis, Kap. 4, S. 86 NB a 22 Sanctus, T. 33-56, c.f. Wir Schwestern zwei, Kap. 4, S. 89 NB a 23 Sanctus, T. 56-69, Kap. 4, S. 89 NB a 24 Dem Herrn sei Lob und Ehr, Kap. 4, S. 90 NB e 1 Introitus/Bass, T. 2-4: Requiem aeternam dona eis, Kap. 4, S. 91 NB e 4 Dies irae/Bass, T. 1-7: Dies irae, dies illa, Kap. 4, S. 91 NB e 20 Domine/Tenor, T. 72-75: quam olim Abrahae promisisti, Kap. 4, S. 95 NB e 22 Sanctus/Sopran, T. 42-46: Osanna in excelsis, Kap. 4, S. 96 NB e 24 Agnus Dei/Sopran, T. 108-117: cum sanctis tuis quia pius es, Kap. 4, S. 97

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Anhang 9.5.6 Notenbeispiele Kapitel 5 434

9.5.6 Notenbeispiele Kapitel 5 NB h 43 Kyrie/Sopran, T. 11-26: Requiem aeternam dona eis, Domine, Kap. 5, S. 100 NB e 25 Introitus/Sopran, T. 26-33: Et lux perpetua luceat eis, Kap. 5, S. 101, Kap. 5, S. 122 NB fis 6 Gloria: Laudamus te, Kap. 5, S. 123 NB fis17 Sanctus/Sopran, T. 35-41: Osanna in excelsis, Kap. 4, S. 83, Kap. 5, S. 101 NB e 13 Dies irae/Sopran, T. 17-35: teste David cum Sibylla, quantus tremor est futurus, quando judex est venturus, cuncta stricte discussurus, Kap. 5, S. 102, Kap. 5, S. 125 NB a 1 Gloria/Sopran, T. 18-27, Kap. 5, S. 102 NB a 2 Credo/Alt, T. 134-138: et sepultus est, Kap. 5, S. 103 NB fis 1 Gloria/Soli, T. 91-94: Domine fili unigenite Jesu Christe agnus Dei, Kap. 4, S. 74, Kap. 5, S. 103 NB h 61 Kyrie/Sopran, T. 61-69: Te decet hymnus Deus in Sion, Kap. 5, S. 104, Kap. 5, S. 162 NB a 3 Credo/Sopran, T. 101-109: Et incarnatus est de spiritu sancto ex Maria virgine, Kap. 5, S. 118, Kap. 5, S. 138 NB e 6 Introitus/Sopran, T. 61-65: Exaudi orationem meam, Kap. 5, S. 105 NB a 4 Gloria/Sopran, T. 41-53: Laudamus te, benedicimus te, adoramus te, glorificamus te, Kap. 5, S. 106 NB h 1 Requiem/Vc., Kyrie, T. 1-6, Kap. 4, S. 56, Kap. 5, S. 107 NB h 3 Requiem/Violine I, Vc., Kontrabässe, T. 26-34, Kap. 5, S. 108 NB h 7 Requiem/Sopran, T. 33-60: Et lux perpetua luceat eis, Kap. 5, S. 109 NB h 8 Dies irae/Tenor, T. 107-108: Mors stupebit, Kap. 5, S. 111 NB h 22 Dies irae/Sopran, T. 157-158: cum vix justus, Kap. 5, S. 112 NB h 12 Dies irae/Tenor, T. 5-8: Dies irae, dies illa, Kap. 5, S. 112

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Anhang 9.5.6 Notenbeispiele Kapitel 5 435

NB h 28 Dies irae/Sopran, T. 308-315: mihi quoque spem dedisti, Kap. 5, S. 112 NB fis 3 Kyrie/Sopran, T. 5-9: Kyrie eleison, Kap. 4, S. 69, Kap. 5, S. 113 NB fis 2 Kyrie/Sopran, T. 50-56: Kyrie eleison, Kap. 4, S. 70, Kap. 5, S. 113 NB a 5 Gloria/Sopran, T. 81-86: rex coelestis, Kap. 5, S. 114 NB e 2 Requiem/Sopran, T. 3-5: Requiem aeternam dona eis, Kap. 5, S. 114 NB h 24 Dies irae/Sopran, T. 182-189: Salva me, fons pietatis, Kap. 5, S. 114 NB fis 5 Gloria/Sopran, T. 173-178: Jesu Christe, Kap. 5, S. 115 NB a 17 Agnus Dei/Sopran, T. 109-114: Dona nobis pacem, Kap. 5, S. 115 NB a 18 Agnus Dei/Sopran, T. 115-122: pacem, dona nobis pacem, Kap. 5, S. 115 NB e 5 Requiem/Sopran,T. 40-41: Te decet hymnus, Kap. 5, S. 116 NB h 20 Dies irae/Sopran, T. 138-146: nil in unultum remanebit, Kap. 5, S. 116 NB fis 13 Credo/Sopran, T. 19-29: Credo in unum Deum patrem omnipotentem, Kap. 4, S. 77, Kap. 5, S. 117 NB fis 19 Credo/Sopran, T. 220-223: Gloria in excelsis Deo, Kap. 5, S. 117, Kap. 5, S. 137 NB a 3 Gloria/Sopran, T. 18-27: Et incarnatus est de spiritu sancto ex Maria virgine, Kap. 5, S. 118, Kap. 5, S. 138 NB e 10 Kyrie/Sopran, T. 138-141: Kyrie eleison, Kap. 5, S. 118 NB e 27 Sanctus/Sopran, T. 10-18: Sanctus Dominus Deus Sabaoth, Kap. 5, S. 118 NB a 6 Gloria/Sopran, T. 204-211: tu solus altissimus Jesu Christe, Kap. 5, S. 119 NB e 7 Requiem/Sopran, T. 66-71: Ad te omnis caro veniet, Kap. 5, S. 119 NB h 15 Dies irae/Sopran, T. 80-86: Tuba mirum spargens sonum, Kap. 5, S. 120 NB h 17 Dies irae/Tenor, T. 107-113: Mors stupebit et natura cum resurget creatura, judicanti responsura, Kap. 5, S. 120

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Anhang 9.5.6 Notenbeispiele Kapitel 5 436

NB h 19 Dies irae/Sopran, T. 126-128: unde mundus judicetur, Kap. 5, S. 120 NB h 42 Agnus Dei/Sopran, T. 105-111: Cum sanctis tuis in aeternum, Kap. 4, S. 66, Kap. 5, S. 121 NB h 46 Kyrie/Sopran, T. 47-60: et lux perpetua luceat eis, Kap. 5, S. 121 NB h 38 Domine/Bass, T. 222-227: Quam olim Abrahae promisisti et semini ejus, Kap. 4, S. 63, Kap. 5, S. 122 NB e 18 Domine/Sopran, T. 3-9: Domine Jesu Christe rex gloriae, Kap. 5, S. 122 NB e 25 Agnus Dei/Sopran, T. 108-117: Et lux perpetua luceat eis, Kap. 5, S. 101, Kap. 5, S. 122 NB fis 6 Gloria/Soprane, T. 41-48: Laudamus te, benedicamus te, adoramus te, Kap. 5, S. 123 NB fis 22 Sanctus/Sopran, T. 3-32: Sanctus Dominus Deus Sabaoth, pleni sunt coeli et terra gloria tua, Kap. 5, S. 123 NB a 19 Gloria/Sopran, T. 74-77: Domine Deus, Kap. 5, S. 124 NB h 18 Dies irae/Sopran, T. 110-113: cum resurget creatura, judicanti responsura, Kap. 5, S. 124 NB h 45 Dies irae/Sopran, T. 167-170: Rex tremendae majestatis, Kap. 5, S. 124 NB h 25 Dies irae/Sopran, T. 198-202: Recordare, Jesu pie, Kap. 4, S. 59, Kap. 5, S. 125 NB e 9 Requiem/Sopran, T. 79-87: et lux perpetua luceat eis, Kap. 5, S. 125 NB e 13 Dies irae/Sopran, T. 17-20: teste David cum Sibylla, Kap. 5, S. 102, Kap. 5, S. 125 NB e 21 Domine/Sopran, T. 128-137: Hostias et preces tibi Domine laudis offerimus, Kap. 5, S. 126 NB e 23 Sanctus/Sopran, T. 1-9: Sanctus Dominus Deus Sabaoth, Kap. 5, S. 126, Kap. 5, S. 161 NB fis 7 Gloria/Sopran, T. 66-71: propter magnam gloriam tuam, Kap. 5, S. 127 NB fis 9a Gloria/Sopran, T. 111-116: qui tollis peccata mundi, Kap. 5, S. 127 NB e 14 Dies irae/Alt, T. 39-48: Tuba mirum spargens sonum per sepulchra regionum, Kap. 5, S. 128, Kap. 5, S. 154

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Anhang 9.5.6 Notenbeispiele Kapitel 5 437

NB fis 8 Gloria/Sopran, T. 74-85: Domine Deus, rex coelestis, Kap. 5, S. 129 NB h 21 Dies irae/Sopran, T. 149-156: Quid sum miser tunc dicturus? Kap. 5, S. 129 NB h 29 Dies Irae/Sopran, T. 315-324: Preces meae non sunt dignae, Kap. 5, S. 130 NB e 16 Dies irae/Sopran, T. 251-259: Preces meae non sunt dignae, Kap. 5, S. 130 NB fis 11 Gloria/Sopran, T. 126-134: miserere nobis, Kap. 5, S. 131 NB e 8 Requiem/Sopran, T. 3-11 (erweitert): Requiem aeternam dona eis, Domine, Kap. 5, S. 131 NB fis 12 Credo/Sopran, T. 106-113: per quem omnia facta sunt, Kap. 5, S. 132 NB a 16 Agnus Dei/Sopran, T. 43-47: Agnus Dei, Kap. 5, S. 132 NB h 9 Kyrie/Sopran, T. 69-73: Exaudi orationem meam, Kap. 5, S. 133 NB a 7 Gloria/Sopran, T. 221-229: Cum sancto spiritu in gloria Dei patris, Kap. 5, S. 133 NB h 13 Dies irae/Sopran, T. 39-47: quantus tremor est futurus, Kap. 5, S. 134 NB e 19 Domine/Sopran, T. 48-51: Sed signifer sanctus Michael, Kap. 5, S. 134 NB a 26 Credo/Sopran, T. 38-54: Credo in unum Dominum Jesum Christum filium Dei unigenitum et ex patre natum, Kap. 5, S. 136 NB fis 19 Gloria/Sopran, T. 2-12: Gloria in excelsis Deo, Kap. 5, S. 117, Kap. 5, S. 137 NB fis 26 Gloria/Bass, T. 182-187: Cum sancto spiritu in gloria Dei patris, Kap. 5, S. 137 NB a 9 Credo/Sopran, T. 85-99: Qui propter nos homines et propter nostram salutem descendit de coelis, Kap. 5, S. 138 NB a 3 Credo/Soprane, T. 101-109: Et incarnatus est de spiritu sancto ex Maria virgine, Kap. 5, S. 118, Kap. 5, S. 138 NB a 10 Credo/Sopran, T. 119-133: Crucifixus etiam pro nobis passus sub Pontio Pilato, Kap. 5, S. 139

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Anhang 9.5.6 Notenbeispiele Kapitel 5 438

NB a 11 Credo/Soprane, T. 139-154: Et resurrexit tertia die secundum scripturas. Et ascendit in coelum, sedet ad dexteram patris, Kap. 5, S. 140 NB a 14 Credo/Sopran, T. 159-175: Et iterum venturus est cum gloria, judicare vivos et mortuos, Kap. 5, S. 141 NB a 27 Credo/Sopran, T. 187-197: cujus regni non erit finis, Kap. 5, S. 142 NB h 33 Domine/Sopran, T. 150-167: Hostias et preces tibi Domine, laudis offerimus, Kap. 5, S. 143 NB h 5 Domine/Sopran, T. 11-23: Libera animas omnium fidelium, defunctorum de poenis inferni, Kap. 5, S. 144 NB h 11 Kyrie/Alt, T. 112-114: Kyrie eleison, Kap. 5, S. 144 NB h 49 Kyrie/Sopran, T. 130-132: Christe eleison, Kap. 5, S. 145 NB h 53 Kyrie, T. 166-172: Kyrie eleison, Kap. 5, S. 146 NB h 54 Agnus Dei, T. 143-148: quia pius es, Kap. 5, S. 147 NB fis 21 Gloria/Sopran, T. 56-71: Gratias agimus tibi, propter magnam gloriam tuam, Kap. 5, S. 148 NB fis 23 Credo, T. 232-237: et iterum venturus est, Kap. 5, S. 149 NB fis 24 Credo/Sopran, T. 224-229: sedet ad dexteram patris, Kap. 5, S. 150 NB fis 25 Kyrie/Orchester,T. 1-5, Kap. 5, S. 151 NB h 55 Dies irae/Tenor/Bass, T. 110-113: cum resurget creatura, Kap. 5, S. 153 NB fis 20 Credo/Sopran, T. 388-394: et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam, Kap. 5, S. 153 NB e 14 Dies irae/ Alt: Tuba mirum spargens, T. 39-48. Kap. 5, S. 128, Kap. 5, S. 154 NB e 28 Dies irae/Sopran, T. 119-125: sit securus? Rex tremendae majestatis, Kap. 5, S. 155 NB e 29 Domine/Sopran, T. 35-44: ne absorbeat eas tartarus, ne cadant in obscurum, Kap. 5, S. 155 NB h 58 Kyrie/Sopran, T. 152-163: eleison, Christe eleison , Kap. 5, S. 159

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Anhang 9.5.6 Notenbeispiele Kapitel 5 439

NB fis 28 Credo / Alt/Tenor: crucifixus, T. 148-152. Kap. 5, S. 160 NB e 23 Sanctus/Sopran, T. 1-9: Sanctus Dominus Deus Sabaoth, Kap. 5, S. 126, Kap. 5, S. 161 NB h 61 Kyrie<. Te decet hymnus, Kap. 5, S. 104, Kap. 5, S. 162 NB fis 58 Credo/Solosopran, T. 59-64: Jesum Christum filium, Kap. 5, S. 163 NB a 29 Sanctus/Benedictus/Tenor, T. 1-7: Benedictus, qui venit in nomine Domini, Kap. 5, S. 164 NB e 31 Domine/Sopran, T. 128-137: Hostias et preces tibi Domine laudis offerimus, Kap. 5, S. 151 NB fis 60 Gloria/Kleiner Chor, T. 52-56: Gratias agimus tibi, Kap. 5 S. 194 NB a 30 Gloria/Chor, T. 90-92: omnipotens, Kap. 5 S. 196 NB a 31 Kyrie/Tenor/Bass, T. 1-4: Kyrie eleison, Kap. 5 S. 201 NB e 36 Dies irae/Bass, T. 1-7: Dies irae, dies illla, Kap. 5 S. 203

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Anhang 9.5.7 Verzeichnis exemplarischer Vergleichswerke aus Spätbarock, Klassik

und Romantik

440

9.5.7 Verzeichnis exemplarischer Vergleichswerke aus Spätbarock, Klassik und Romantik Spätbarock 1. Johann Sebastian Bach: 1685-1750. Messe in h-Moll. BWV 232. Kassel. Basel. Tours. London 1971. Wiener Klassik 2. Franz Joseph Haydn: 1732-1809. Missa in Tempore Belli. Paukenmesse, Bärenreiter 4652 a, Kassel 1962. 3. Wolfgang Amadeus Mozart: 1756-1791. Große Messe in c-Moll/ Werk 427, Edition Breitkopf Nr. 1867, Leipzig 1901. 4. Wolfgang Amadeus Mozart: 1756-1791. Requiem d-Moll, KV 626. Kassel 1965. 25. Auflage 2005. 5. Luigi Cherubini: 1760-1842. Requiem c-Moll. Klavierauszug. Hrsg. von Wolfgang Hochstein. Stuttgart 1993. 6. Ludwig van Beethoven: 1770-1827. Missa solemnis, op. 123. Leipzig. Köln 1844. Ed. Peters 8393. Romantik 7. Franz Schubert: 1797-1828. Missa in G, D 167, Stuttgart 1994. Erstausgabe nach den Klosterneuburger Stimmen. Hrsg. Bernhard Paul. 8. Hector Berlioz: 1803-1869. Grande messe des morts/Requiem, Bärenreiter 5449a. 9. Franz Liszt: 1811-1886. Missa solemnis/Graner Messe, Edition Kunzel-mann, GM 6, Budapest 1970, Z 6241. 10. Giuseppe Verdi: 1813-1901. Requiem für Soli, Chor und Orchester, Ricordi, Mailand Nr. 44358. 11. Josef Anton Bruckner: 1824-1896. Messe f-Moll für 4 Solostimmen, Chor und Orchester, Edition Peters Nr. 3845, 1936. Nr. 10491, 1964. 12. Peter Cornelius: 1824-1874. Messe in d-Moll für Frauenchor, 2 Soli und Orgel, Streicher ad libitum, ED 7730, Schott Mainz 1990. 13. Johannes Brahms: 1833-1897. Ein deutsches Requiem für Soli, Chor und Orchester, op. 45, Edition Breitkopf Nr. 6071.

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Anhang 9.5.8 Liturgische Texte 441

9.5.8 Verzeichnis der liturgischen Texte 1. Die Messe225 Kyrie Kyrie eleison, Herr, erbarme dich, Christe eleison, Christus, erbarme dich, Kyrie eleison! Herr, erbarme dich! Gloria Gloria in excelsis Deo! Ehre sei Gott in der Höhe! Et in terra pax hominibus Und Friede auf Erden den Menschen, bonae voluntatis. die guten Willens sind. Laudamus te, benedicimus te, Wir loben dich, wir preisen adoramus te, glorificamus te! dich, wir beten dich an, wir verherrlichen dich! Gratias agimus tibi Wir danken dir propter magnam gloriam tuam. wegen deiner großen Herrlichkeit. Domine Deus, rex coelestis, Herr Gott, König des Himmels, Deus pater omnipotens. Gott, allmächtiger Vater. Domine fili, unigenite Jesu Christe, Eingeborener Sohn Jesus Christus, Domine Deus, Agnus Dei, Herr Gott, Lamm Gottes, filius patris. Sohn des Vaters. Qui tollis peccata mundi. Der du trägst die Sünden der Welt. Miserere nobis. Erbarme dich unser. Qui tollis peccata mundi, Der du trägst die Sünden der Welt, suscipe deprecationem nostram. höre unser Flehen. Qui sedes ad dexteram patris, Der du sitzt zur Rechten des Vaters, miserere nobis. erbarme dich unser. Quoniam tu solus sanctus, Denn du allein bist heilig, tu solus Dominus, du allein bist der Herr, tu solus altissimus, Jesu Christe; du allein der Allerhöchste Jesus Christus; cum sancto spiritu mit dem Heiligen Geiste in gloria Dei patris. in der Herrlichkeit des Vaters. Amen. Amen.

225 Kurt Pahlen: Oratorien der Welt. Zürich 1985. Messe als überlieferte Form, S. 342.

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442 Anhang 9.5.8 Liturgische Texte

Credo Credo in unum Deum, patrem Ich glaube an den einen Gott, omnipotentem factorem coeli den allmächtigen Vater, et terrae Schöpfer des Himmels und der Erde visibilium omnium et invisibilium alles Sichtbaren und Unsichtbaren. Et in unum Dominum Jesum Christum Und an den einen Herrn, Jesus Christus, filium Dei unigenitum, den eingeborenen Sohn Gottes et ex patre natum und aus dem Vater geboren ante omnia saecula vor allen Zeiten Deum de Deo, lumen de lumine, Gott von Gott, Licht aus dem Licht, Deum verum de Deo vero! wahrer Gott vom wahren Gott! genitum non factum, consubstantialem gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens patri per quem omnia facta sunt. mit dem Vater, durch den alles geschaffen wurde. Qui propter nos homines et propter Der für uns Menschen und wegen unseres nostram salutem descendit de coelis Heils vom Himmel herabstieg. Et incarnatus est de Spiritu Sancto, Der durch den Heiligen Geist aus ex Maria virgine der Jungfrau Maria Fleisch angenommen hat, et homo factus est. und der Mensch geworden ist. Crucifixus etiam pro nobis Der gekreuzigt wurde sub Pontio Pilato unter Pontius Pilatus, passus et sepultus est. der starb und begraben wurde. Et resurrexit tertia die Und auferstanden ist am dritten Tag, secundum scripturas. wie es in der Schrift folgt. Et ascendit in coelum, Und er ist aufgefahren in den Himmel sedet ad dexteram patris. und sitzt zur Rechten des Vaters. Et iterum venturus est cum gloria Und er wird wiederkommen in Herrlichkeit, judicare vivos et mortuos. zu richten die Lebenden und die Toten. Cujus regni non erit finis. Dessen Herrschaft wird kein Ende nehmen Et in spiritum Sanctum Dominum und an den Heiligen Geist, den Herrn und et vivificantem, qui ex patre Lebensmeister, der vom Vater

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Anhang 9.5.8 Liturgische Texte 443

filioque procedit: und vom Sohn ausgeht. Qui cum patre et filio simul Der mit dem Vater und Sohn zugleich adoratur et conglorificatur angebetet und verehrt wird. Qui locutus est per Prophetas. Der durch die Propheten gesprochen hat. Et in unam sanctam catholicam et Und an eine heilige katholische und apostolicam ecclesiam apostolische Kirche. Confiteor unum baptisma Ich erkenne die Taufe an in remissionem peccatorum zur Vergebung der Sünden. Et exspecto resurrectionem mortuorum Und ich erwarte die Auferstehung der Toten Et vitam venturi saeculi. Amen. und ein ewiges Leben. Amen. Sanctus Sanctus, sanctus, sanctus Dominus Heilig, heilig, heilig ist der Herr, Deus Sabaoth. Gott Zebaoth. Pleni sunt coeli et terra Voll sind Himmel und Erde gloria tua. von Deiner Herrlichkeit. Osanna in excelsis! Hosianna in der Höhe! Benedictus Benedictus qui venit in nomine Domini. Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn. Osanna in excelsis! Hosianna in der Höhe! Agnus Dei Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, Lamm Gottes, das du trägst die Sünden der Welt, miserere nobis. erbarme dich unser. Dona nobis pacem. Gib uns Frieden.

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444 Anhang 9.5.8 Liturgische Texte

2. Das Requiem »Den lateinischen Text hat Draeseke selbst übersetzt, seine Übertragung zeigt die persönliche Ergriffenheit und die innere Bindung an diesen Ritus der katholischen Tradition«.226 Requiem Requiem aeternam dona eis, Domine, et lux perpetua luceat eis. Ruhe, ewige, gib ihnen, o Herr, und Licht, unvergängliches, leuchte ihnen. Te decet hymnus, Deus, in Sion et tibi reddetur votum in Jerusalem. Dich in der Stille lobt man, Gott, zu Zion, und dir erfüllt man Gelübde zu Jerusalem. Exaudi orationem meam, ad te omnis caro veniet. Du erhörest mein Gebet, zu dir alles Fleisch kommt. Requiem aeternam dona eis, Domine, et lux perpetua luceat eis. Ruhe, ewige, gib ihnen, o Herr, und Licht, unvergängliches, leuchte ihnen. Kyrie eleison; Christe eleison; Kyrie eleison. Herr, erbarme dich; Christus, erbarme dich; Herr, erbarme dich. Dies irae Dies irae, dies illa Tag des Zornes, Tag des Schreckens, Solvet saeclum in favilla wandelnd die Welt in Asche, Teste David cum Sibylla; wie es kündet David und Sibylla. Quantus tremor est futurus, Welch ein Beben wird sein, Quando judex est venturus wenn der Richter wird erscheinen, Cuncta stricte discussurus. um alles streng zu richten. Tuba mirum spargens sonum Die Posaune, wunderbaren Klang austönend, per sepulchra regionum aus den Gräbern jeder Zone coget omnes ante Thronum. ruft sie alle vor den Thron. Mors stupebit et natura. Der Tod wird staunen und die Schöpfung, Cum resurget creatura, wenn wieder aufersteht das Geschöpf, Judicanti responsura. vor dem Richter sich zu verantworten. 226 Peter Andraschke: Felix Draesekes Requiem, op. 22, in: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik, Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden, hrsg. v. Helmut Loos, Schriften Bd. 5, Bonn 1994, S. 157.

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Anhang 9.5.8 Liturgische Texte 445

Liber scriptus proferetur, Ein Buch, geschrieben, wird vorgetragen, In quo totum continetur, in dem Alles ist enthalten, Unde mundus judicetur. wonach die Welt gerichtet wird. Judex ergo cum sedebit, Wenn der Richter dann sich setzet, Quidquid latet apparebit, wird alles Verborgene erscheinen, Nil inultum remanebit. nichts wird ungerächt dann bleiben. Quid sum miser tunc dicturus, Was soll ich Armer dann sprechen, Quem patronem rogaturus, zu welchem Mittler soll ich flehen, Cum vix justus est securus? wenn kaum der Gerechte ist sicher? Rex tremendae majestatis, König schrecklicher Hoheit, Qui salvandos salvas gratis, der du erlösen willst, rettend aus Gnade, Salva me, fons pietatis! rette mich, Quell der Barmherzigkeit! Recordare, Jesu pie, Gedenke dess, Jesu, milder, Quod sum causa tuae viae, dass ich bin die Ursache deines Leidensweges, Ne me perdas illa die! nicht mich lass vergehen an jenem Tage! Quaerens me, sedisti lassus, Suchend mich, bist du ermattet, Redemisti crucem passus. erkauftest mich, an das Kreuz geschlagen, Tantus labor non sit cassus! solcher Preis sei nicht vergebens! Juste judex ultionis, Gerechter Richter der Rache, Donum fac remissionis verleihe mir Vergebung Ante diem rationis! an dem Tage des Gerichts! Ingemisco tanquam reus, Ich seufze wie ein Schuldbelad'ner, Culpa rubet vultus meus, die Schuld rötet das Antlitz mir, Supplicanti parce, Deus! des Flehenden schone du, Gott; Qui Mariam absolvisti, der du Maria freigesprochen, Et latronem exaudisti, und den Schächer erhöret hast,

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446 Anhang 9.5.8 Liturgische Texte

Mihi quoque spem dedisti. mir auch hast du Hoffnung gegeben. Preces meae non sunt dignae, Meine Bitten sind nicht würdig, Sed tu bonus fac benigne, aber du, Guter, verleihe barmherzig, Ne perenni cremer igne. dass ich nicht im ewigen Feuer brenne. Inter oves locum praesta Unter den Schafen lass mich stehen, Et ab hoedis me sequestra Und von den Böcken mich trenne, Statuens in parte dextra! mich stellend zu deiner Rechten! Confutatis maledictis, Wenn zerschlagen werden die Verfluchten, Flammis acribus addictis, wenn zur Flammenqual sie verdammt werden. Voca me cum benedictis! Rufe mich mit den Gesegneten! Oro supplex et acclinis, Ich flehe gebeugt und in Demut, Cor contritum quasi cinis, das Herz zermalmt wie Staub, Gere curam mei finis! schütze mich gnädig an meinem Ende! Lacrimosa dies illa, Tränenreicher Tag der Klage, Qua resurget ex favilla, an dem erstehet aus dem Staube Judicandus homo reus; zum Gericht der Mensch, der schuldbeladene; Huic ergo parce, Deus! diesen also schone, o Gott! Pie Jesu, Domine, Milder Jesu, mein Herr, Dona eis requiem. gib ihnen Frieden! Amen! Amen!

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Anhang 9.5.8 Liturgische Texte 447

Domine Domine, Jesu Christe, rex gloriae! Libera animas omnium fidelium defunctorum de poenis. Herr, Jesus Christus, König der Herrlichkeit! Erlöse die Seelen aller treuen Abgeschiedenen von den Qualen der Hölle und von dem tiefen Abgrunde. Libera eas de ore leonis. Ne absorbeat eas Tartarus, ne cadant in obscurum! Erlöse sie aus dem Rachen des Löwen. Nicht verschlinge sie die Hölle, nicht mögen sie sinken in Finsternis! Sed signifer sanctus Michael repraesentet eas in lucem sanctam, quam olim Abrahae promisisti Sondern der bannertragende Michael führe sie in das Licht, das heilige, das einst dem Abraham et semini ejus und seinem Geschlecht du verheißen hast. Hostias et preces tibi, Domine, laudis offerimus. Tu suscipe pro animabus illis, quarum Opfer und Gebet dir, o Herr, lobsingend bringen wir dar. Du nimm sie auf für die Seelen Jener, von denen hodie memoriam facimus. Fac eas, Domine, de morte transire ad vitam, quam olim Abrahae promisisti et semini ejus. wir heute das Gedächtnis begehen; lass sie, Herr, vom Tode eingehen in das Leben, wie du einst dem Abraham verheißen hast und seinem Geschlecht. Sanctus Sanctus, sanctus, sanctus Dominus Deus Sabaoth. Heilig, heilig, heilig, ist der Herr Gott Zebaoth! Pleni sunt coeli et terra gloria tua. Osanna in excelsis! Voll sind die Himmel und die Erde deiner Herrlichkeit. Hosianna in der Höhe! Benedictus, qui venit in nomine Domini! Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn! Osanna in excelsis! Hosianna in der Höhe!

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448 Anhang 9.5.8 Liturgische Texte

Agnus Dei Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, dona eis requiem! Dona eis requiem sempiternam et lux perpetua luceat eis cum sanctis tuis in aeternum, quia pius es. Lamm Gottes, das du trägst die Sünden der Welt, gib ihnen Ruhe! Gib ihnen Ruhe ewiglich und Licht, unvergängliches, leuchte ihnen mit deinen Heiligen in Ewigkeit, weil du barmherzig bist.

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Anhang 9.5.8 Liturgische Texte 449

2. Das Requiem227 Introitus und Kyrie Requiem aeternam dona eis, Domine; Herr, gib ihnen die ewige Ruhe, et lux perpetua luceat eis. und das ewige Licht leuchte ihnen. Te decet hymnus, Deus, in Sion; O Gott, Dir gehört ein Loblied in Sion, et tibi reddetur votum in Jerusalem. Dir erfülle man sein Versprechen in Jerusalem. Exaudi orationem meam, Erhöre mein Gebet; ad te omnis caro veniet. zu Dir kommt alles Fleisch. Kyrie eleison. Herr, erbarme Dich. Christe eleison. Christus, erbarme Dich. Kyrie eleison. Herr, erbarme Dich. Graduale Requiem aeternam dona eis, Domine; Herr, gib ihnen die ewige Ruhe, et lux perpetua luceat eis. und das ewige Licht leuchte ihnen. In memoria aeterna erit justus: In ewigem Gedenken wird der Gerechte sein; ab auditione mala non timebit. vor Unglück braucht er sich nicht zu fürchten. Sequenz Dies irae, dies illa Tag des Zornes, jener Tag solvet saeculum in favilla, wird die Welt in Asche legen, teste David cum Sibylla. wie Sibyll und David darlegen. Quantus tremor est futurus, Welch eine Angst wird sein, quando judex est venturus, wenn der Richter kommen wird, cuncta stricte discussurus. streng zu prüfen alle Klagen. Tuba mirum spargens sonum Laut wird die Posaune klingen, per sepulcra regionum, durch die Gräber der Erde, coget omnes ante thronum. alle hin zum Throne zwingen. Mors stupebit et natura, Tod und Natur werden schaudernd sehen, cum resurget creatura, wie sich die Kreatur erhebt, judicanti responsura. Rechenschaft abzulegen. Liber scriptus proferetur, Und ein Buch wird

227 Kurt Pahlen: Oratorien der Welt. Zürich 1985. Requiem als überlieferte Form, S. 344.

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450 Anhang 9.5.8 Liturgische Texte

aufgeschlagen, in quo totum continetur, in dem alles enthalten ist, unde mundus judicetur. überall wird die Welt gerichtet. Judex ergo cum sedebit, Sitzt der Richter dann zu richten, quidquid latet, apparebit; wird das, was verborgen ist, erscheinen. nihil inultum remanebit. nichts kann der Strafe entweichen. Dies irae, dies illa Tag des Zornes, Tag der Klage solvet saeculum in favilla, wird die Welt in Asche legen, teste David cum Sibylla. wie Sibyll und David darlegen. Quid sum miser tunc dicturus? Was werde ich Armer dann sagen? Quem patronum rogaturus, Welchen Vater werde ich fragen, Cum vix justus sit securus? wenn der gerechte Sinn sicher sein soll? Rex tremendae maiestatis, König schrecklicher Macht, qui salvandos salvas gratis, frei ist das Einsetzen Deiner Gnade: salva me, fons pietatis! rette mich, Du Quelle der Gnade! Recordare, Jesu pie, Gedenke, milder Jesu, quod sum causa tuae viae, dass ich die Ursache Deines Leidens bin. Ne me perdas illa die. Lass mich nicht an jenem Tage vergehen! Quaerens me, sedisti lassus, Suchend mich, bist Du ermattet, redemisti crucem passus: erkauftest mich, an das Kreuz geschlagen. Tantus labor non sit cassus. Solch ein großer Preis sei nicht vergebens. Juste judex ultionis, Gerechter Richter der Rache, donum fac remissionis übe Nachsicht in meiner Sache ante diem rationis! an dem Tag des Gerichts! Ingemisco tanquam reus, Ich seufze wie ein Schuldiger, culpa rubet vultus meus; die Schuld rötet mein Gesicht, supplicanti parce, Deus. des Flehenden schone Du, Gott! Qui Mariam absolvisti, Der Du Maria vergeben hast

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Anhang 9.5.8 Liturgische Texte 451

et latronem exaudisti, und den Schächer erhört hast, mihi quoque spem dedisti. hast Du auch mir die Hoffnung gegeben. Preces meae non sunt dignae: Meine Gebete sind nicht würdig. Sed tu bonus fac benigne, Aber Du, Guter, mache barmherzig, ne perenni cremer igne. dass ich nicht im ewigen Feuer brenne. Inter oves locum praesta, Lass mich unter den Schafen sein, et ab haedis me sequestra, und von den Böcken trenne mich, statuens in parte dextra. stell mich auf die rechte Seite! Confutatis maledictis, Wenn zerschlagen werden die Verfluchten, flammis acribus addictis, wenn zur Flammenqual sie verdammt werden, voca me cum benedictis. rufe mich mit den Gesegneten! Oro supplex et acclinis, Ich flehe gebeugt und in Demut, cor contritum quasi cinis: das Herz zermalmt wie Staub: Gere curam mei finis. Schütze mich gnädig an meinem Ende. Lacrimosa dies illa, Tränenreicher Tag der Klage, qua resurget ex favilla da vom Grab wird erstehen Judicandus homo reus. der zu richtende sündige Mensch. Huic ergo parce, Deus! Diesen schone, o Gott! Pie Jesu , Domine, Milder Jesus, Herrscher Du, dona eis requiem! gib ihnen Frieden! Amen. Amen. Offertorium Domine Jesu Christe, rex gloriae, Herr Jesus Christus, König der Herrlichkeit, libera animas befreie die Seelen omnium fidelium defunctorum aller treuen Verstorbenen de poenis inferni vor den Strafen der Hölle et de profundo lacu: und vor dem tiefen Abgrund: libera eas de ore leonis, Befreie sie vor dem Rachen des Löwen, ne absorbeat eas tartarus, dass sie die Hölle nicht verschlinge, ne cadant in obscurum; dass sie nicht hinabstürzen in die Finsternis, sed signifer sanctus Michael sondern der heilige Michael,

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452 Anhang 9.5.8 Liturgische Texte

der Bannerträger, repraesentet eas in lucem sanctam; führe sie zum heiligen Licht, quam olim Abrahae promisisti, das Du einst Abraham und et semini ejus. seinem Geschlecht verheißen hast. Hostias et preces tibi, Domine, Opfer und Gebete bringen wir laudis offerimus; zum Lobe Dir, o Herr; tu suscipe pro animabus illis, nimm sie an für jene Seelen, quarum hodie memoriam facimus: deren wir heute gedenken. fac eas, Domine, de morte Herr, lass sie vom Tode transire ad vitam. hinübergehen zum Leben. Sanctus und Benedictus Sanctus, sanctus, sanctus, Heilig, heilig, heilig, Dominus Deus Sabaoth. ist der Herr Gott Zebaoth: Pleni sunt coeli et terra Himmel und Erde sind erfüllt gloria tua. von Deiner Herrlichkeit. Osanna in excelsis. Hosianna in der Höhe! Benedictus, Hochgelobt sei, qui venit in nomine Domini. der da kommt im Namen des Herrn. Osanna in excelsis. Hosianna in der Höhe Pie Jesu Domine, Milder Jesu, Herr, dona eis requiem sempiternam. gib ihnen die ewige Ruhe. Agnus Dei Agnus Dei, qui tollis Lamm Gottes, der du trägst peccata mundi, die Sünden der Welt: dona eis requiem. gib ihnen die Ruhe. Agnus Dei, qui tollis Lamm Gottes, der du trägst peccata mundi, die Sünden der Welt: dona eis requiem sempiternam. gib ihnen die ewige Ruhe. Communio Lux aeterna luceat eis, Domine, Das ewige Licht leuchte ihnen, o Herr, cum sanctis tuis in aeternum: mit Deinen Heiligen in Ewigkeit: quia pius es. denn du bist mild. Requiem aeternam dona eis, Domine; Herr, gib ihnen die ewige Ruhe, et lux perpetua luceat eis: und das ewige Licht leuchte

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Anhang 9.5.8 Liturgische Texte 453

ihnen cum sanctis tuis in aeternum: mit Deinen Heiligen in Ewigkeit: quia pius es. denn du bist mild. Libera me228 Libera me, Domine, de morte Befreie mich Herr, vom ewigen aeterna Tod in die illa tremenda, an jenem Schreckenstag, quando coeli movendi sunt et terra; an dem Himmel und Erde wanken, dum veneris judicare wenn Du erscheinen wirst, saeculum per ignem. die Zeit durch Feuer zu richten. Tremens factus sum ego, et timeo, Ich zittere, und ich fürchte mich dum discussio venerit atque ventura ira, vor Deinem Gericht und Zorn, quando coeli movendi sunt terra. wenn Himmel und Erde wanken. Dies irae, dies illa Tag des Zornes, Tag der Klage, calamitis et miseriae, furchtbarer Schreckenstag, dies magna et amara valde. wenn Du richten wirst. Requiem aeternam dona eis, Domine, Herr, gib ihnen die ewige Ruhe, et lux perpetua luceat eis. und das ewige Licht leuchte ihnen.

228 Das Libera me hat Felix Draeseke in seinen beiden Requiem-Vertonungen ( h-Moll und e-Moll) nicht komponiert.

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Anhang 9.5 Notenbeispiele Draesekes 420

9.5 Verzeichnis der Notenbeispiele

1. op. 22: Requiem h-Moll für 4 Solostimmen, Chor und

Orchester

Autograph: [entstanden 1877-1880; ‚Fini (Requiem) 1. Mai 1880 Felix Draeseke‘] Widmung: Uraufführung: 26.10.1881 in Dresden unter Adolf Blaßmann, Dreyssigsche Singakademie Ausgabe(n): Requiem (h-Moll), Partitur, Leipzig, Kistner (VN 6200) [1883], 188 S. DL, LEm Requiem (h-Moll), Leipzig, Kistner VN 6203) [1883]. Aufführungsmaterial des Benedictus B, Bds, DL, F Requiem (h-Moll) für 4 Solostimmen, Chor und großes Orchester, Klavierauszug vom Komponisten, Leipzig, Kistner (VN 6203) [1887], 101 S. [Neudruck München, Strube, 1988] Bds, Bie (Benedictus, 2 S.), DL, Ebert (sowie Einzelausgabe vom Anfang des Sanctus‘, München, Callwey, 2 S.), Hast, Hmb, KA, KBs, Lem, Mgmi (Benedictus)1

Partitur + Klavierauszug

- Requiem h-Moll für vier Solostimmen, Chor und Orchester op. 22, hrsg. von Udo-R. Follert, Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft, Bd. II, Reprografischer Nachdruck der Erstausgabe, mit Vorwort und einer Werkeinführung von Udo-R. Follert, Strube München, Coburg 1988, Edition 1109, Aufführungsmaterial Bärenreiter-Verlag Kassel, Alkor. 1 Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke. Chronik seines Lebens. Schriften, Bd. 3. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1989, S. 192.

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Anhang 9.5 Notenbeispiele Draesekes

421

2. op. 60 Grosse Messe in fis-Moll für Soli, Chor und Orchester Autograph: DL, 149 S., ‚F.D. 3. Dez. 1890‘ [sowie, laut Roeder II, 245: ‚Felix Draeseke in Domini gloriam 21. April 1891‘ ‚Zu Ehren Gottes!‘ [Müller- Reuter: Kyrie: 21.4.91, Gloria: 3.11.90, Credo: 20.3.91, Sanctus u. Benedictus: 17.4.92, Agnus Dei: 3.12.90] Widmung: Hermann Kretzschmar Uraufführung: 18.11.1892 in Leipzig (Thomaskirche) unter Hermann Kretzschmar Ausgabe(n): Große Messe fis-Moll für Chor, Soli und Orchester. Klavierauszug, Leipzig, Junne (VN 4049) [1893], 75 S. [Nachdruck, München, Strube (Edition 1108) 1988] B, Bds, DL, F, Hmb, KA, KNh, Lem, SL.2 Partitur + Klavierauszug - Große Messe in fis-Moll für Soli, Chor und Orchester, op. 60, Neuausgabe Klavierauszug, Strube München 1988, Edition 1108, Aufführungsmaterial Bärenreiter-Verlag Kassel, Alkor. 3. op. 85: Grosse Messe a-Moll für gemischten Chor (a cappella) Autograph: [DL: Sopran-, Alt- u. Tenorstimme in Abschrift von unbekannter Hand] [Kyrie u. Gloria: 12.12., Benedictus: 29.11.1908, Sanctus: 19.1.1909] Widmung: Uraufführung: Kyrie: 3.4.1909 in Eisleben unter Hermann Stephani Agnus Dei Ausgabe(n): Große Messe für gemischten Chor a cappella a-Moll, Leipzig, Leuckart, Partitur (VN 6476) u. Stimmen (VN 6477) [ca. 1910], 34 S. 2 Ebd. S. 209.

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Anhang 9.5 Notenbeispiele Draesekes 422

BLSt, CL, DL, Hmb Große Messe für gemischten Chor a capela a-Moll, hrsg. v. U. R. Follert, Partitur (Adliswil:) Edition Kunzelmann (1984), 32 S. As, Bch, Bds, BMst, DM, DT, Ebert, F, KA, Ledb; KGdb, Mgmi, Mmb, SL. 3 Partitur - Große Messe a-Moll für gemischten Chor a cappella, op. 85, Neuausgabe, hrsg. mit einem Vorwort deutsch/englisch von Udo-R. Follert, Lottstetten/ZH, Partitur Edition Kunzelmann 1984, GM 1114. 4. WoO 35 Requiem für fünf Gesangsstimmen e-Moll [1909] Requiem für fünf Gesangsstimmen a cappella (e-Moll) Autograph: DL, Partitur, 136 S. ‚28. Nov. 1909. F. d.‘ [Domine: 16.11., Benedictus: 21./22. 11., Agnus Dei: 28. 11., Dies irae: 6.12. 1903, ‚6. Januar 1910 F. D. Ende des Werkes‘, Roeder II, 442. ] Uraufführung: 30.10.1913 in Chemnitz unter Georg Stolz.4 Partitur - Requiem für fünf Gesangsstimmen e-Moll a cappella, WoO 35 (1909), hrsg. von Udo-R. Follert, Strube München, Berlin 1997, Edition 1128.

3 Ebd. S. 218. 4 Ebd. S. 230f.

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Anhang 9.5 Notenbeispiele Draesekes

423

Page 475: Felix Draesekes Messen und Requiem · 2016. 7. 10. · Beethovens Missa Solemnis 308 6.2 Draesekes h-Moll-Requiem und e-Moll-Requiem im Topoi-Vergleich 314 6.3 Zusammenfassung 319

Anhang 9.6 Literaturverzeichnis 454

9.6 Literaturverzeichnis Schrifttum a) Primärliteratur b) Sekundärliteratur

a) Draeseke, Felix: Lebenserinnerungen nach Diktat. Gekürztes Manuskript

(1906-17.06.1909) von Hermann Stephani niedergeschrieben (Typoskript).

Coburgica Nr. XI. 30.

b) Adamski-Störmer, Ursula: Requiem aeternam. Tod und Trauer

im 19. Jh. im Spiegel einer musikalischen Gattung. Europäische

Hochschulschriften. Reihe XXXVI. Bd. 66. Frankfurt. Bern. New York.

Paris. Frankfurt 1991.

Adler, Guido: Richard Wagner als Romantiker. In: AMZ XXXII. Jg. Nr. 11.

Berlin-Charlottenburg 17.03.1905.

Adler, Guido: Handbuch der Musikgeschichte. Bd. 2. Berlin 1930.

Adorno, Theodor Wiesengrund: Philosophie der neuen Musik. 6. Aufl.

Frankfurt 1991.

Adorno, Theodor Wiesengrund: Über einige Relationen zwischen Musik und

Malerei. Berlin 1967.

Ameln, Konrad: Art. Das evangelische Kirchenlied Deutschland.

In: Musikalische Gattungen in Einzeldarstellungen. Die Messe.

Bd. 2. Hrsg. von Friedrich Blume. Kassel 1985.

Ameln, Konrad /Mahrenholz, Christhard /Thomas, Wilhelm (Hrsg.):

Handbuch der deutschen evangelischen Kirchenmusik. 2. Aufl.

Göttingen 1974.

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Anhang 9.6 Literaturverzeichnis

455

Andraschke, Peter: Felix Draesekes Requiem op. 22. In: Zum Schaffen

von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in

Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen

Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994.

Axmann, Rainer: Von Superintendenten, Adjunkten und anderen geistlichen

Herren in Rodach. Schriften des Rückertkreises Bad Rodach e.V. Verein für

Heimatgeschichte- Gruppe Frankenbund. Heft 34. 2008.

Baur, Johannes: Kleine Liturgik der Heiligen Messe. Innsbruck 1957.

Batka, Richard/ Nagel, Willibald: Geschichte der Musik des

19. Jahrhunderts. Hrsg. von Carl Grüninger. Stuttgart o. J.

Batka, Richard: Und das ärgert unsre Alten. Der Kunstwart. München. 20. Jg.

1906. 6. Heft, S. 155f.

Bekker, Paul: Die Musik im Lichte Schopenhauerscher Philosophie. In: AMZ

XXXII. Jg. Nr. 40. Berlin-Charlottenburg. 06.10.1905, S. 635f.

Bekker, Paul: Beethoven. Berlin 1912.

Bernsdorff-Engelbrecht, Christiane: Geschichte der evangelischen

Kirchenmusik. 2 Bde. Taschenbücher zur Musikwissenschaft 56/57.

Wilhelmshaven 1980.

Beyer, Carl: Der Musikführer No. 79-80. Felix Dräseke.

Requiem (h-Moll) op. 22. Redigiert von A. Morin. Leipzig o. J.

Bimberg, Guido: Kompositions-Befindlichkeit zwischen Klassizismus und

Romantik am Beispiel der Klarinettensonate von Felix Draeseke. In: Zum

Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik.

(Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften,

Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994.

Blankenburg, Walter: Entstehung, Wesen und Ausprägung der Restauration

im 19. Jahrhundert. Festschrift für Konrad Ameln zum 75. Geburtstag am

06.07.1974. In: Traditionen und Reformen in der Kirchenmusik. Hrsg. von

G. Schuhmacher. Kassel 1974.

Blankenburg, Walter: Artikel Romantik. In: MGG, Bd. 11. Hrsg. von Friedrich

Blume. Kassel. Basel. London. New York. München 1989.

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Anhang 9.6 Literaturverzeichnis 456

Blankenburg, Walter: Einführung in Bachs h-moll-Messe. Kassel 1974.

2. Aufl. 1982.

Blume, Friedrich: Die evangelische Kirchenmusik. In: Handbuch zur

Musikwissenschaft 10. Hrsg. von Ernst Bücken. Potsdam 1931.

Blume, Friedrich: Die Musik von 1830-1914. In: Musica 16. 1962.

Blume, Friedrich: Geschichte der evangelischen Kirchenmusik.

2. Aufl. Hrsg. unter Mitarbeitern von Ludwig Finscher, Georg Feder,

Adam Adrio und Walter Blankenburg. Kassel. Basel. Paris. London.

New York 1965.

Blume, Friedrich: Romantik. Epochen der Musikgeschichte in

Einzeldarstellungen. Kassel 1949-1968. Kassel. Basel. Tours. London.

München 1974.

Blume, Friedrich: Art. Bruckner. Hrsg. von Friedrich Blume. In: MGG, Bd. 2.

Kassel. Basel. London. München 1989.

Boshoff, Egon: Grundlagen des Studiums der Geschichte. 3. Aufl. Köln.

Wien 1983.

Brandt, Ahasver von: Werkzeug des Historikers. Eine Einführung in die

Historischen Hilfswissenschaften. 15. Aufl. Stuttgart. Berlin. Köln. Mainz 1998.

Brendel, Franz: Geschichte der Musik in Italien. Deutschland und Frankreich.

6. Aufl. Leipzig 1878.

Brendel: Gesammelte Aufsätze zur Geschichte und Kritik der neueren Musik.

Hrsg. vom Allgemeinen Deutschen Musikverein. Leipzig 1888.

Budde, Elmar: Synästhesie. Musik-Klang-Farbe. In: Musik und Bildung.

21. Jg. Heft 2 1989.

Bücken, Ernst: Die Musik des 19. Jahrhunderts bis zur Moderne. Potsdam

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Bülow, Hans von: Ausgewählte Schriften: 1850-1892. 2. Aufl. Leipzig 1911.

Burbach, Hermann-Josef: Das Triviale in der katholischen

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In: Studien zur Trivialmusik. Regensburg 1967.

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Anhang 9.6 Literaturverzeichnis

457

Clostermann, Annemarie: Das kirchenmusikalische Schaffen

Felix Mendelssohn-Bartholdys. Neue Untersuchungen zu Geschichte,

Form und Inhalt. Mainz 1989.

Croce, B.: Ästhetik als Wissenschaft vom Ausdruck. Tübingen 1930.

Dahlhaus, Carl: Musica poetica und musikalische Poesie. In: AfMw 23 1966.

Dahlhaus, Carl: Analyse und Werturteil. Mainz 1970.

Dahlhaus, Carl: Zur Problematik der musikalischen Gattungen im

19. Jahrhundert. In: Gattungen der Musik in Einzeldarstellungen.

Gedenkschrift Leo Schrade. Hrsg. von Wulf Arlt, Ernst Lichtenhahn u. a.

Bern. München 1973.

Dahlhaus, Carl: Romantik und Biedermeier. In: AfMw 31 1974.

Dahlhaus, Carl: Grundlagen der Musikgeschichte. Köln 1977.

Dahlhaus, Carl: Die Idee der absoluten Musik. Kassel. München 1978.

Dahlhaus, Carl: Die Musik des 19. Jahrhunderts. Neues Handbuch der

Musikwissenschaft. Hrsg. von Carl Dahlhaus. Bd. 6. Wiesbaden 198O.

Dahlhaus, Carl: Klassische und romantische Musikästhetik. München 1982.

Dahlhaus, Carl: Die Musiktheorie im 18. und 19. Jahrhundert. Grundzüge

einer Systematik. Geschichte der Musiktheorie. Hrsg. von Frieder Zaminer.

Berlin. Bd. 1. Darmstadt 1984.

Dahlhaus, Carl (Hrsg.): Musik zur Sprache gebracht. München. Kassel 1984.

Dahlhaus, Carl: Wagners Konzeption des musikalischen Dramas.

Regensburg. München 1990.

Dann, Otto (Hrsg.): Nationalismus in vorindustrieller Zeit. Studien zur

Geschichte des 19. Jahrhunderts. Abhandlung der Forschungsabteilung

des Historischen Seminars der Universität Köln. Bd. 14. München 1986.

Deaville, James A.: Felix Draeseke und die geistliche Musik der

neudeutschen Schule. Dargestellt am Beispiel von Peter Cornelius.

In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik.

Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der

Internationalen Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von

Helmut Loos. Bonn 1994.

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Anhang 9.6 Literaturverzeichnis 458

Dietel, Gerhard: Die Musik des 19. Jahrhunderts. In: Musikgeschichte in

Daten. München. Kassel 1994.

a) Draeseke, Felix: Gottesdienstliche Kirchenmusik. In: Kirchliche

Monatsschrift. Organ für die Bestrebungen der positiven Union. Bd. 4. Heft 1.

1885, S. 556-567.

a) Draeseke, Felix: Autobiographische Skizze. In: NZfM 7. Jg. Nr. 11.

Köln 1886.

a) Draeseke, Felix: Die Lehre von der Harmonia. 2. Aufl. Leipzig. Petersburg.

Moskau 1887.

a) Draeseke, Felix: Der gebundene Styl. Lehrbuch für Kontrapunkt und Fuge.

2 Bde. Hannover. London 1902.

a) Draeseke, Felix: Wachstum der Impietät gegenüber den großen

Tonmeistern der Vergangenheit. Aus dem Nachlass Hans von Bülows.

Berlin o. J.

a) Draeseke, Felix: Das Christus - Mysterium. Die Uraufführungen in Berlin

und Dresden im Februar und Mai 1912 durch den Bruno Kittelschen

Chor. Freiberg. 1912. Einführung von Udo-R. Follert. Coburg 1991.

b) Dräseke, Johann Heinrich Bernhard: Ausgewählte Predigten. Mit einer

einleitenden Monographie von Gustav Viehweger. Hrsg. von Gustav Leonhardi.

Bd. 9. Leipzig 1890.

Droysen, Johann Gustav: Historik. Vorlesungen über Enzyklopädie und

Methodologie der Geschichte. Hrsg. von Rudolf Hübner. Nachdruck der

7. Auflage. Darmstadt 1974.

Dürr, Walter: Das deutsche Sololied im 19. Jahrhundert. Untersuchungen zu

Sprache und Musik. Hrsg. von Richard Schaal. Wilhelmshaven 1984.

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Anhang 9.6 Literaturverzeichnis

459

Dusella, Reinhold: Felix Draesekes Große Messe in fis-Moll op. 60 für

Soli, Chor und Orchester. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke:

Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991

in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft).

Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994.

Eggebrecht, Hans Heinrich: Musik im Abendland. Prozesse

und Stationen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. München 1991.

Ehmann, Wilhelm: Der Thibaut-Behaghel-Kreis. Ein Beitrag zur Geschichte

der musikalischen Restauration im 19. Jahrhundert. In: AfM 3 1938 und

AfM 4 1939.

Eichhorn, Andreas: Farbe und Kontur. In: Musica. 44. Jg. 1990. Heft 5.

Einstein, Alfred: Die Romantik in der Musik. Stuttgart. Weimar 1992.

Engel, Hans: Art. Liszt. In: MGG, Bd. 8. Kassel. Basel. London. New York.

München 1989.

Engel, Hans: Art. Cornelius. In: MGG, Bd. 2. Hrsg. von Friedrich Blume.

Kassel. Basel. London. München 1989.

Evangelisches Kirchengesangbuch: Ausgabe für die Landeskirchen

Rheinland, Westfalen und Lippe. Sonderausgabe. Gütersloh o. J.

Feder, Georg: Verfall und Restauration. In : Friedrich Blume: Geschichte

der evangelischen Kirchenmusik. 2. Aufl. Hrsg. unter Mitarbeit von

Ludwig Finscher, Georg Feder, Adam Adrio und Walter Blankenburg.

Kassel 1965.

Feder, Georg: Musikphilologie. Eine Einführung in die musikalische

Textkritik, Hermeneutik und Editionstechnik. Darmstadt 1987.

Feldmann, Fritz: Untersuchungen zum Wort-Ton-Verhältnis in den Gloria-

Credo-Sätzen von Dufay bis Josquin. In: Musica Disciplina. Bd. 8. Boston 1954.

Fellerer, Karl Gustav: Zur Beurteilung des Cäcilianismus. In: KmJb Bamberg

1928.

Fellerer, Karl Gustav: Die vokale Kirchenmusik des 17./18. Jahrhunderts und

Die altklassische Polyphonie. In: ZfM 11 1929.

Page 481: Felix Draesekes Messen und Requiem · 2016. 7. 10. · Beethovens Missa Solemnis 308 6.2 Draesekes h-Moll-Requiem und e-Moll-Requiem im Topoi-Vergleich 314 6.3 Zusammenfassung 319

Anhang 9.6 Literaturverzeichnis 460

Fellerer, Karl Gustav: Grundzüge der Geschichte der katholischen

Kirchenmusik. Paderborn 1929.

Fellerer, Karl Gustav: Der Palestrina - Stil und seine Bedeutung in

der vokalen Kirchenmusik des achtzehnten Jahrhunderts. Ein Beitrag

zur Geschichte der Kirchenmusik in Italien und Deutschland. Augsburg 1929.

Fellerer, Karl Gustav: Die Musik im Wandel der Zeiten und Kulturen.

Regensburg und Münster 1948.

Fellerer, Karl Gustav : Handbuch der Kirchenmusik. Essen 1949.

Fellerer, Karl Gustav: Die Messe. Ihre Gestalt vom Mittelalter bis zur

Gegenwart. Dortmund 1951.

Fellerer, Karl Gustav: Einführung in die Musikwissenschaft. 2. Aufl. Hamburg

1956.

Fellerer, Karl Gustav: Zur Choralbewegung im 19. Jahrhundert. Das Wort-

Ton-Verhältnis in der musikalischen Form. In: KmJb 41 1957.

Fellerer, Karl Gustav: Art. Messekompositionen. In: Lexikon

für Theologie und Kirche (LThK). Hrsg. von M. Buchberger.

Bd. 7. Freiburg 1962.

Fellerer, Karl Gustav: Der Gregorianische Choral im Wandel der

Jahrhunderte. In: Kirchenmusikalische Reihe. Heft 3. Regensburg 1976.

Fellerer, Karl Gustav (Hrsg.): Geschichte der katholischen

Kirchenmusik unter Mitarbeit zahlreicher Forscher des In- und

Auslandes. Bd. 2. Vom Tridentinum bis zur Gegenwart. Kassel 1976.

Fellerer, Karl Gustav: Franz Schuberts Messen. In: Musica Sacra 98.

Carrora 1978.

Fellerer, Karl Gustav: Zu Tradition, Fortschritt und Bild der Wiener Klassiker

in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Festschrift Georg von Dadelsen.

Hrsg. von Thomas Kohlhase/ Volker Scherliess. Stuttgart 1978.

Finke-Hecklinger, Doris: Franz Schuberts Messe in As. In: Österreichische

Musikzeitschrift 33. Wien 1978.

Fellerer, Karl Gustav: Art. Caecilianismus. In: MGG, Bd. 2. Hrsg. von Friedrich

Blume. Kassel. Basel. London. München 1989.

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Anhang 9.6 Literaturverzeichnis

461

Fischer, Wilhelm: Die Instrumentalmusik von 1828-1880. In: Handbuch der

Musikgeschichte. Hrsg. von Guido Adler. Bd. 3. München 1975.

Floros, Constantin: Art. Orchester. In: Das große Lexikon der Musik.

Hrsg. von Honegger/Massenkeil. Freiburg. Basel. Wien 1981.

Follert, Udo-R.: Felix Draeseke – eine Bekanntmachung am Beispiel seines

Requiems h-Moll op. 22. Vorabdruck aus: MuKm Nr. 5 52. 1982.

Freimuth, Heinz-Gert: Gotteserfahrung in der Musik. Zürich. Köln 1983.

Gadamer, Hans-Georg: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer

Philosophischen Hermeneutik. 4. Aufl. Tübingen 1975.

Gall, Lothar (Hrsg.): Europa auf dem Weg in die Moderne. 1850 - 1890.

Bd. 14. München. Wien 1984.

Geck, Martin: Von Beethoven bis Mahler. Die Musik des deutschen

Idealismus. Stuttgart. Weimar 1993.

Gembris, Heiner: Musik und Parfum: Musikpsychologie. Jahrbuch

der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie. Hrsg. von Klaus-Ernst

Behne, Günter Kleinen und Helga de la Motte-Haber. Bd. 18. Göttingen 2006.

Georgiades, Thrasybulos: Musik und Sprache. Das Werden der

abendländischen Musik. Dargestellt an der Vertonung der Messe.

Berlin. Göttingen. 2. Aufl. Heidelberg 1974.

Georgiades, Thrasybulos: Art. Messe - musikalisch. In: Die Religion in

Geschichte und Gegenwart (RGG). 3. Aufl. Bd. 4. Hrsg. von Kurt Galling.

Tübingen 1960.

Göllner, Theodor: Die mehrstimmigen liturgischen Lesungen.

Veröffentlichungen zur Musikgeschichte. Bd. 15. Tutzing 1969.

Graff, Paul: Geschichte der Auflösung der alten gottesdienstlichen

Formen in der evangelischen Kirche Deutschlands. Bd. 1. Göttingen

1921.

Graf, Paul: Die Zeit der Aufklärung und des Rationalismus. Bd. 2.

Göttingen 1939.

Gregor-Dellin, Martin: Richard Wagner. Sein Leben, sein Jahrhundert.

München 1983.

Page 483: Felix Draesekes Messen und Requiem · 2016. 7. 10. · Beethovens Missa Solemnis 308 6.2 Draesekes h-Moll-Requiem und e-Moll-Requiem im Topoi-Vergleich 314 6.3 Zusammenfassung 319

Anhang 9.6 Literaturverzeichnis 462

Griesbacher, Peter: Choral und Kirchenlied. Historische Entwicklung

und systematische Bewertung ihrer musikalischen Formen nach

praktischen Gesichtspunkten dargestellt. op. 165. Kirchenmusikalische

Stilistik und Formenlehre. 1. Historischer Teil. Regensburg 1912.

Griesbacher, Peter: Renaissance und Verfall. Historische Entwicklung und

systematische Bewertung ihrer Formfaktoren mit besonderer Rücksicht

auf moderne Komposition und Praxis dargestellt. Op. 167.

Kirchenmusikalische Stilistik und Formenlehre. 1. Historischer Teil.

Regensburg 1913.

Griesbacher, Peter: Reaktion und Reform. Historische Entwicklung

und systematische Bewertung ihrer Formfaktoren mit besonderer

Rücksicht auf moderne Komposition und Praxis dargestellt. op. 192.

Regensburg 1916.

Grove/The New Grove: Dictionary of Music and Musicians. Bd. 5. London

1980.

Gurlitt, Willibald: Art. Messe. In: Riemann, Hugo. Musiklexikon. Hrsg.

Von Willibald Gurlitt / Hans Heinrich Eggebrecht, S. 563-567.

Gutiérrez-Denhoff, Martella: Felix Draeseke und Johannes Brahms.

Ein biographischer Annäherungsversuch. In: Zum Schaffen von Felix

Draeseke: Instrumentalwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in

Coburg und 1991 in Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen

Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994.

a) Gutiérrez-Denhoff, Martella/ Loos, Helmut (Hrsg.): Felix Draeseke.

Schriften 1855-1861. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-

Gesellschaft). Schriften, Bd. 1. Bonn 1987.

b) Gutiérrez-Denhoff, Martella/Loos, Helmut (Hrsg.): Felix Draeseke.

Chronik seines Lebens. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-

Gesellschaft). Schriften, Bd. 3. Bonn 1989.

Haberl, Ferdinand: Das Graduale. In: Musica Sacra 75 1955.

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Anhang 9.6 Literaturverzeichnis

463

Haberl, Ferdinand: Die liturgischen Rezitative der Heiligen Messe. In: Musica

Sacra 80 1960.

Haberl, Ferdinand: Repräsentations- und Gebetsgottesdienst

im 18. Jahrhundert. In: Geschichte der katholischen Kirchenmusik.

Hrsg. von Karl Gustav Fellerer. Bd. 2. Kassel 1976.

Haberl, Franz Xaver: Ueber Liszts Missa Choralis und prinzipielle Fragen.

In: Musica Sacra. 23. Jg. Regensburg 1890.

Halm, August: Von zwei Kulturen der Musik. München 1920.

Hanslick, Eduard: Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision

der Ästhetik der Tonkunst. Sonderausgabe MCMLXV. Darmstadt.

Unveränderter reprografischer Nachdruck der 1. Auflage. Leipzig 1854.

Hartmann, Anselm: Studien zum Messenschaffen von Franz Liszt.

In: Kölner Beiträge zur Musikforschung. Hrsg. von Klaus Wolfgang Niemöller

Bd. 168. Regensburg 1991.

Hauptmann, Moritz: Die Natur der Harmonik und der Metrik. Leipzig 1853.

Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Ästhetik. Nach der zweiten Ausgabe

Heinrich Gustav Hothos (1842). Mit einem Essay von Georg Lukacz.

Bd. 1. 1. Aufl. Berlin. Weimar 1955.

a) Heinemann, Michael/Kietz, Maria/ Loos, Helmut (Hrsg.): Felix Draeseke:

Musikgeschichtliche Vorlesungen. (Veröffentlichungen der Internationalen

Draeseke-Gesellschaft). Schriften, Bd. 7. Leipzig 2007.

b) Heinrichs, Josef: Ein unvergessenes Kleinod liturgischer Musik.

Franz Liszts Missa c-Moll für Männerchor und Orgel. In: Musica Sacra 82.

Carrora 1962.

Heinz, Rudolf: Geschichtsbegriff und Wissenschaftscharakter der

Musikwissenschaft in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Philosophische

Aspekte einer Wissenschaftsentwicklung. Studien zur Musikgeschichte

des 19. Jahrhunderts. Bd. 11. Regensburg 1968.

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Anhang 9.6 Literaturverzeichnis 464

Hennecke, Edgar (Hrsg.): Neutestamentliche Apokryphen. 2. Auflage.

Tübingen 1924.

Hermelink, Siegfried: Eine Kirchenliedweise als Credo-Melodie. Berichte

und kleine Beiträge. In: Die Mf 23. Kassel 1970.

Hochstein, Wolfgang: Die Gestaltung des Gloria in konzertierenden

Messvertonungen neapolitanischer Komponisten. In: Geistliche Musik.

Studien zu ihrer Geschichte und Funktion im 18. und 19. Jahrhundert.

Hamburger Jahrbuch zur Musikwissenschaft. Bd. 8. 1985.

Hoffmann, E. T. A.: Schriften zur Musik. Hrsg. von F. Schnapp. Darmstadt.

München 1963.

Hoffmann, E. T. A.: Kreisleriana Werke. Bd. 1. Zürich 1946.

Hohenemser, Richard: Welche Einflüsse hatte die Wiederbelebung

der älteren Musik im 19. Jahrhundert auf die deutschen Komponisten?

In: Sammlung musikwissenschaftlicher Arbeiten von deutschen Hochschulen.

4. Bd. Leipzig 1900.

Honolka, Kurt: Hugo Wolf. Sein Leben, sein Werk, seine Zeit. Stuttgart 1988.

Hucke, Helmut: Art. Responsorium. In: MGG, Bd. 11. Hrsg. von Friedrich

Blume. Kassel. Basel. London. München 1989.

Hüschen, Heinrich: Bemerkungen zur Satzstruktur der Missa Canonica zu 4/8

Stimmen von Jakobus Gallus (1550-1591). In: Convivium musicorum.

Festschrift Wolfgang Boetticher zum 60. Geburtstag. 19.08.1974. 1974.

Internationale Draeseke-Gesellschaft e. V. Coburg (Hrsg.): Christus.

Ein Mysterium in einem Vorspiele und drei Oratorien für großen Chor,

Solostimmen, Orchester und Orgel von Felix Draeseke. Text nach Worten der

Schrift zusammengestellt von Adolf Schollmeyer und Felix Draeseke.

Vollständiges Textbuch mit Einführung in das Werk (U. Follert) und

Lebensbeschreibung (Quelle): Martella Gutiérrez-Denhoff: Felix Draeseke:

Chronik seines Lebens. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-

Gesellschaft). Schriften, Bd. 3. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1989.

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Anhang 9.6 Literaturverzeichnis

465

Irmen, Hans-Josef: Gabriel Josef Rheinberger als Antipode des

Cäcilianismus. Forschungsunternehmen der Fritz Thyssen Stiftung.

Bd. 22. Regensburg 1970.

Jeppesen, Knud: Kontrapunkt. Lehrbuch der klassischen Vokalpolyphonie.

10. Aufl. Wiesbaden 1985.

John, Hans: Briefe an Frida Draeseke. Ein Beitrag zur Felix-Draeseke-

Rezeptionsgeschichte. In: Zum Schaffen von Felix Draeseke: Instrumen-

talwerke und geistliche Musik. Tagungen 1990 in Coburg und 1991 in

Dresden. (Veröffentlichungen der Internationalen Draeseke-Gesellschaft).

Schriften, Bd. 5. Hrsg. von Helmut Loos. Bonn 1994.

Jung, Hans Rudolf: Franz Liszt in seinen Briefen. Frankfurt 1988.

Jungmann, Josef Andreas: Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung

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Dieses Verzeichnis erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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Anhang 9.6 Literaturverzeichnis 482

Page 504: Felix Draesekes Messen und Requiem · 2016. 7. 10. · Beethovens Missa Solemnis 308 6.2 Draesekes h-Moll-Requiem und e-Moll-Requiem im Topoi-Vergleich 314 6.3 Zusammenfassung 319

Anhang 9.6 Literaturverzeichnis

483