FERMENTUNTERSUCHUNGEN AN DER SAUERSTOFFGESCHÄDIGTEN BEATMETEN KANINCHENLUNGE

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FERMENTUNTERSUCHUNGEN AN DER SAUERSTOFFGESCHADIGTEN BEATMETEN KANINCHENLUNGE DIETER BOHMER Um den Einfluss kurzdauernder Uberdruckbeatmung rnit Sauerstoff auf die Lunge kennenzulernen, haben wir Kaninchen intubiert und beatmet. Die Narkose wurde durch intravenose Gabe von Thiobarbiturat erzeugt. In der ersten Gruppe wurden 4 etwa 1 Jahr alte Tiere durch Genickschlag und 3 Tiere durch Thiobarbitaliiberdosierung i.v. getotet. Nach Offnen des Thorax waren die Lungen leicht retrahiert, in der Pleura kein Erguss. Die Schwimmprobe war positiv. Histologisch bestanden diffus verteilte Atelektasen, jedoch waren auch genugend normal weite und leicht erweiterte Alveolen und Alveolar- abgange zu finden. Die Gefasse waren unterschiedlich stark mit Blut gefiillt, teils leer. Eine Odemfliissigkeit war in den Alveolen nicht nachweisbar. Diese Befunde decken sich mit den zahlreichen Beschreibungen der normalen Kanin- chenlunge. Auch wenn die narkotisierten Tiere intubiert wurden, 20 min Luft atmeten und dann mit Barbiturat i.v. getotet wurden, trat keine wesentliche Anderung des histologischen Befundes an der Lunge auf. Eine Verletzung des Rachens und der Tracheawand veranderte diesen normalen Befund nicht. Wir fanden dann lediglich zusatzlich Erythrocyten in den Alveolen. In ein- zelnen Praparaten der Serienschnitte sahen wir ein massig ausgepragtes Odem. In einer zweiten Gruppe wurden Kaninchen wiederum rnit Thiobarbital narkotisiert und dann intubiert. Die Tiere atmeten spontan 20 min reinen Sauerstoff und wurden anschliessend rnit einer Uberdosis Barbital getotet. Gegenuber den Vorbefunden fanden sich bei einem Tier haemorrhagisch ver- farbte Lungenabschnitte. In Fornialin tauchten die Lungen leicht ein. Histo- logisch fielen strotzend mit Blut gefiillte Gefasse sowie ein massiges Oedem auf. In einer weiteren Gruppe wurde bei 7 Kaninchen die Spontanatmung durch eine positive intermittierende uberdruck-( = PIP)-Beatmung fur 25 min er- setzt. Der Einatemdruck betrug 30 cm H,O. Dann wurden die Tiere rnit einer Aus der Orthopadischen Univenitatsklinik Friedrichsheim, FrankfurtlMain-Niederrad, Deutschland.

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F E R M E N T U N T E R S U C H U N G E N AN D E R S A U E R S T O F F G E S C H A D I G T E N

B E A T M E T E N K A N I N C H E N L U N G E

DIETER BOHMER

Um den Einfluss kurzdauernder Uberdruckbeatmung rnit Sauerstoff auf die Lunge kennenzulernen, haben wir Kaninchen intubiert und beatmet. Die Narkose wurde durch intravenose Gabe von Thiobarbiturat erzeugt. In der ersten Gruppe wurden 4 etwa 1 Jahr alte Tiere durch Genickschlag und 3 Tiere durch Thiobarbitaliiberdosierung i.v. getotet. Nach Offnen des Thorax waren die Lungen leicht retrahiert, in der Pleura kein Erguss. Die Schwimmprobe war positiv. Histologisch bestanden diffus verteilte Atelektasen, jedoch waren auch genugend normal weite und leicht erweiterte Alveolen und Alveolar- abgange zu finden. Die Gefasse waren unterschiedlich stark mit Blut gefiillt, teils leer. Eine Odemfliissigkeit war in den Alveolen nicht nachweisbar. Diese Befunde decken sich mit den zahlreichen Beschreibungen der normalen Kanin- chenlunge. Auch wenn die narkotisierten Tiere intubiert wurden, 20 min Luft atmeten und dann mit Barbiturat i.v. getotet wurden, trat keine wesentliche Anderung des histologischen Befundes an der Lunge auf. Eine Verletzung des Rachens und der Tracheawand veranderte diesen normalen Befund nicht. Wir fanden dann lediglich zusatzlich Erythrocyten in den Alveolen. In ein- zelnen Praparaten der Serienschnitte sahen wir ein massig ausgepragtes Odem.

In einer zweiten Gruppe wurden Kaninchen wiederum rnit Thiobarbital narkotisiert und dann intubiert. Die Tiere atmeten spontan 20 min reinen Sauerstoff und wurden anschliessend rnit einer Uberdosis Barbital getotet. Gegenuber den Vorbefunden fanden sich bei einem Tier haemorrhagisch ver- farbte Lungenabschnitte. In Fornialin tauchten die Lungen leicht ein. Histo- logisch fielen strotzend mit Blut gefiillte Gefasse sowie ein massiges Oedem auf.

In einer weiteren Gruppe wurde bei 7 Kaninchen die Spontanatmung durch eine positive intermittierende uberdruck-( = PIP)-Beatmung fur 25 min er- setzt. Der Einatemdruck betrug 30 cm H,O. Dann wurden die Tiere rnit einer

Aus der Orthopadischen Univenitatsklinik Friedrichsheim, FrankfurtlMain-Niederrad, Deutschland.

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Oberdosis Barbital getotet und noch 5 min durch den liegenden Trachealtubus weiterbeatmet. Nach Eroffnen des Thorax war die Lunge zuriickgesunken. Es fanden sich 2-3 cm3 klare Fliissigkeit im Pleuraspalt. Die Lungen waren atelektatisch und teils streifenformig teils keilformig dunkel verfarbt. Teilweise fanden sich punktformige Blutungen im Gewebe. Wurde die Beatmung rnit dem Tode des Kaninchens eingestellt, waren im Wesentlichen die gleichen makroskopischen Veranderungen zu erkennen. Histologisch zeigten die linken Lungen von 3 Tieren eine fast vollkommene dunkelrote leberartige Struktur, wahrend die rechten Lungen herdformige Verdichtungen aufwiesen. In grossen Partien zeigte das Lungengewebe rnit Oedemen gefiillte Alveolen im Wechsel mit erweiterten Alveolen und Alveolargangen. Ein erhebliches Lungenoedem zeigte sich in Einzelfallen bereits bei der Resektion der Lunge.

Es quo11 bei leichtem Druck auf das Gewebe aus dem Stammbronchus. Daneben fanden sich aber auch grossere Bezirke mit herdformig angeordneten Atelektasen. Hier waren fast alle Gefasse strotzend mit Blut gefiillt. Die stark gefiillten Kapillaren verbreiterten die Alveolarwande und engten die Lichtung der Alveole teilweise oder vollstandig ein. Es entstehen so die angiektatischen Kompressionsatelektaen nach SCHOENMARKERS. In den Alveolen und im In- terstitium fand sich Blut.

Befunde an der Tierlunge, insbesondere der Nager rnit ihren Eigentiimlich- keiten, diirfen nicht ohne weiteres auf den Menschen ubertragen werden. So sind die Alveolarwande verhaltnismassig dicker als beim Menschen, was zum Teil durch Lymphozyten und polymorphkernige Zellen bedingt ist. Auch Atelektasen sind bei Nagern haufiger spontan zu finden. Mit einer Infektion der Lunge ist in unserer Gegend bei 3 yo der Kaninchen zu rechnen. Anzeichen fur Lungeninfekte bestanden bei intensiver makroskopischer Betrachtung der Lunge jedoch bei unseren Tieren nicht. Im Vergleich zu den Kontrolltieren fanden wir bei den Tieren, die intubiert und 25 min rnit Sauerstoff in uber- dnick beatmet.wurden, folgende Veranderungen an den Lungen :

1. Stark rnit Blut gefullte Gefasse, 2. Oedem in Alveolen und Interstitium, 3. ausgedehnte Atelektasen.

Ahnliche Ergebnisse, jedoch mit starker ausgepragten Symptomen, fand LOHR. Er intubierte Hunde und beatmete 2-3 Stunden mit reinem Sauerstoff, dann totete er die Tiere und fand ausgedehnte Atelektasen, Blutungen und Emphysem einzelner Lungenabschnitte. In den Alveolen zeigten sich hyaline Membranen. Elektronenmikroskopisch wurde eine vacuolige Degeneration von Mitochondrien der Alveolarzelle nachgewiesen.

Es liegt die Vermutung nahe, dass negen der mechanischen Wirkung des Druckes auf Gefasse und Alveolarzellwand der Sauerstoff auch biochemisch wirksam wird. Wurden die Kaninchen mit Luft im uberdruck beatmet, waren

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die Lungenveranderungen histologisch deutlich weniger stark als nach reiner Sauerstoff beatmung.

Wir halten eine Beeinflussung der Fermente im Lungengewebe durch eine uberdruckbeatmung rnit Sauerstoff fur moglich. Um hierfur Hinweise zu er- halten, bestimmten wir Fermentaktivitaten im Lungenhomogenat. 8 Kanin- chen wurden in derselben Weise wie zur histologischen Untersuchung narko- tisiert, intubiert und rnit 0, im Uberdruck beatmet. Als Leervenuche wurden 5 Kaninchen rnit Barbiturat getotet. Die Lunge wurde sofort entnommen, in phys. NaCl gespult und rnit einem Messerhomogenisator in einer phys. NaCl- Losung (im Gewichtsverhaltnis zur Lunge 1 : 10) zerkleinert. Die Flussigkeit wurde zentrifugiert und der Oberstand zur Bestimmung der Fermentaktivi- taten ,venvendet. Fur einige Untersuchungen wurde das Homogenat noch einmal 1 : 10 mit Kochsalz verdunnt.

Neben ATP = Adenosin-5’-triphosphat und ADP/AMP = Adenosin-5’- diphosphat/Adenosin-5’-monophosphat wurden folgende Enzymaktivitaten be- stimmt :

CPK = Creatinin-Phosphokinase, Aldolase,

G-6-PDH = Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase, alkalische und saure Phosphatase,

GOT = Glutamat-Oxalacetat-Transaminase, GPT = Glutamat-Pyruvat-Transaminase, LDH = Lactat-Dehydrogenase, LAP = Leucin-Aminopeptidase, P-Glucoronidase, freie SH-Gruppen.

Die gemessenen Aktivitaten der nicht beatmeten Kaninchenlunge ent- sprechen recht gut den von E. und F. W. SCHMIDT mitgeteilten Werten fur die menschliche Lunge.

In einer Tabelle wurden die gefundenen Werte der nicht beatmeten und der rnit Sauerstoff im uberdruck beatmeten Lungen einander gegenuber ge- stellt.

Aus der Tabelle geht hervor, dass bei Lungen, die 25 min mit Sauerstoff beatmet wurden, ein deutlicher Abfall im Gehalt an ernergiereichem Phosphat, dem ATP, eingetreten ist, das ja als der wichtigste Energieubertrager der Zelle anzusehen ist. Es entsteht bei der Glycolyse und der oxydativen Phosphorylie- rung. ADP/AMP waren nicht nachweisbar. Die Creatinin-Phosphokinase zeigte ebenfalls in der von uns gewahlten Arbeitsweise keine Aktivitat. Der Aldolase- gehalt in der Lunge betragt etwa 1/27 des Aldolasegehalts im Skelettmuskel. Aldolase ist ein glycolytisches Ferment, dessen Aktivitat ist ein glycolytisches Ferment, dessen Aktivitat ebenfalls nach 0,-uberdruckbeatmung niedriger ist. Die Umwandlung von Glucose-6-phosphat zu 6-Phosphogluconsaure wird

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DifTerenz in yo

8 Tiere 0,-Oberdruck-

Bea tmung 5 Tiere

nicht beatmet

ATP .................... ADP/AMP . . . . . . . . . . . . . . . CPK .................... Aldolase . . . . . . . . . . . . . . . . . G-6-PDH . . . . . . . . . . . . . . .

alk. ...................

GOT .................... GPT .................... LDH .................... LAP. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B-Glucuronidase. . . . . . . . . . .

Phosphatase sauer. . . . . . . . .

0 29 mU 212,3 mU 25,7 KAE 28,9 GE 284 mU 58 mU 2762 rnU 48,2 mU 6 8 Y

4,4 mg% 0 0 22,5 mU 149,6 mU 29,8 KAE 32,O GE 339 mU 56 mU

38,5 mU ; 2935,3 mU

4,1 Y

f 45 - -

t 23 +- 30 + 16 + 1 1 + 19 t 3,5 + 6 t 20 t 32

mU = Millieinheiten in ml Gewebehomogenat (10 ml 0,15 M NaCl auf 1 g Feucht- gewicht). KAE = Ring-Armstrong-Einheiten. GE = Gutman-Einheiten. y = y Phenolphthalein/Stunde/O, 1 rnl Gewebshomogenat.

von der Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase katalysiert (G-6-PDH) . Auch ihre Aktivitat ist beiden beatmeten Lungen niedriger. Weder die alkalische noch die saure Phosphatase zeigten deutliche Unterschiede. Fur Transaminasen gilt das Gleiche. Gemessen wurden die Glutamat-Oxalacetat-Transaminase und die Glutamat-Pyruvat-Transaminase. Auch die Lactat-Dehydrogenase zeigte keine Aktivitatsanderung. Die Leucin-Aminopeptidase, die Peptide von ihrem Aminoende her hydrolysiert, war wiederum bei den beatmeten Tieren deutlich niedriger. Ihre physiologische Aufgabe ist noch nicht restlos geklart, ebenso wie die der P-Gluquronidase, die gleich der LAP bei den beatmeten Lungen nied- riger war. Freie SH-Gruppen konnten wir bei orientierenden Untersuchungen nicht feststellen. Sie werden wohl bei der Aufbereitung der Lunge oxydiert.

4 Kaninchen haben wir statt mit Sauerstoff rnit Luft im uberdruck unter den gleichen Bedingungen beatmet. Die Enzymaktivitaten entsprechen im Wesentlichen den der nicht beatmeten Lunge. Fur ATP lag der Wert rnit 10,8 mg yo sogar daruber. Weitere Versuche rnit Luft-Sauerstoff-Gemischen sind vorgesehen.

Enzymuntersuchungen homogenisierter Gewebe, besonders der Lunge, ge- ben immer ein stark verzerrtes Bild der Verhaltnisse in der lebenden Zelle. Im Messerhomogenisator werden die Zellen des Gewebes einschliesslich der Mitochondrien zerstort. uber die Inaktivierung post mortem ist fur die auf- gefuhrten Enzyme in der Lunge nichts Sicheres bekannt. Der Gefassbinde- gewebeanteil der Organe wird durchschnittlich rnit 25 yo angenommen. Nach E. und F. W. SCHMIDT betragt der Blutgehalt der Lunge 20,6y0 des Gewichts.

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Es ware also moglich, die Enzymaktivitat der Lungenparenchymzelle nahe- rungsweise anzugeben. Eine befriedigende Bezugsgrosse ist jedoch bei der von uns gewahlten Methode der Gewebsaufbereitung nicht aufzustellen.

Im Rahmen dieser Arbeit sollte nur ein Vergleich der Enzymaktivitaten von Lungen, die nicht beatmet wurden, und von Lungen, die 25 min mit reinem Sauerstoff im uberdruck beatmet wurden, durchgefuhrt werden. Wir bedienten uns dazu einfacher Untersuchungsmethoden und sind uns bewusst, keine absoluten Werte gefunden zu haben. Bei den sauerstoffbeatmeten Tieren scheint eine Aktivitatsminderung der phosphorylierenden Fermente vorzuliegen.

Es ist demnach eine Energieminderung in der Zelle anzunehmen. Dies kann der Beginn der Alveolarzellschadigung sein. Sauerstoff im uberdruck scheint in der Lage zu sein, uber eine Hemmung der energieubertragenden Enzyme bereih nach 25 min an der Kaninchenlunge Schaden hervorzurufen.