Festschrift Höllerer - pressestelle.tu-berlin.de · 11. Höllerer-Vorlesung der Gesellschaft von...

12
11. HöLLERER-VORLESUNG der Gesellschaft von Freunden der TU Berlin e.V. 4. Juli 2018 Utopien des Widerstands: Alfred Döblin, Stanislaw Lem und Thomas Pynchon mit Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der TU Berlin an Norbert Miller © Renate von Mangoldt Norbert Miller Professor em. für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften an der TU Berlin Walter Höllerer

Transcript of Festschrift Höllerer - pressestelle.tu-berlin.de · 11. Höllerer-Vorlesung der Gesellschaft von...

Page 1: Festschrift Höllerer - pressestelle.tu-berlin.de · 11. Höllerer-Vorlesung der Gesellschaft von Freunden der TU Berlin e.V. 4. Juli 2018 Utopien des Widerstands: Alfred Döblin,

11. Höllerer-Vorlesung der Gesellschaft von Freunden der TU Berlin e.V.

4. Juli 2018

Utopien des Widerstands:Alfred Döblin, Stanislaw Lem und Thomas Pynchon

mit Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der TU Berlin an Norbert Miller

©

Rena

te v

on M

ango

ldt

norbert MillerProfessor em. für Allgemeine und Vergleichende Literatur wissenschaften an der TU Berlin

Walter Höllerer

Page 2: Festschrift Höllerer - pressestelle.tu-berlin.de · 11. Höllerer-Vorlesung der Gesellschaft von Freunden der TU Berlin e.V. 4. Juli 2018 Utopien des Widerstands: Alfred Döblin,

2

eröffnung

Prof. Dr.-Ing. Jürgen StarnickStellvertretender Vorsitzender des Vorstands der Gesellschaft von Freunden der TU Berlin e.V.

Begrüssung

Prof. Dr. Christian ThomsenPräsident der TU Berlin

grussadresse

Prof. Dr. Hans-Christian von Herrmann Dekan der Fakultät I Geistes- und Bildungswissenschaften

laudatio

Prof. Dr. Ernst OsterkampPräsident der Akademie für Sprache und Dichtung

VerleiHung

der Ehrenmitgliedschaft der TU Berlin an Prof. Dr. Norbert Millerdurch Prof. Dr. Christian Thomsen

danksagung und Vortrag

„Utopien des Widerstands: Alfred Döblin, Stanislaw Lem und Thomas Pynchon“Prof. Dr. em. Norbert Miller Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften

11.H ö l l e r e r -Vorlesung an der TU Berlin

4. Juli 2018,18 Uhr

„Zukunftsweisend“ kommt die diesjährige Höllerer-Vorlesung daher, zu der die Gesellschaft von Freunden der TU Berlin e. V. Anfang Juli 2018 einlädt, in diesem Jahr gehalten von dem renommier-ten ehemaligen TU-Literaturpro-fessor Norbert Miller: Utopia, der Traum vom idealen Staatswesen des Thomas Morus aus dem Jahr 1517, das „Nirgendwo“ des Ide-alstaates, übertrug sich als Begriff schon bald auf philosophische Zukunftsmodelle, auf Zukunftsvi-sionen aller Art. Das technik- und fortschrittsbegeisterte 19. und 20. Jahrhundert wendete diesen Begriff dann auf den Zukunftsro-man an, den utopischen Roman, eine Erzählgattung, die sich erst zögerlich entwickelte und dann weltweit expandierte. Bis heute ist

der utopische Roman eine der am meisten verbreiteten Gattungen. „Sie dient der nie endenden Neu-gier auf ferne Lebenswelten“, sagt Norbert Miller. Am Institut Walter Höllerers, der danach strebte, eine kreative Verbindung zwischen den Geistes- und den Technikwissen-schaften herzustellen, wurden die visionären Entwürfe und Modelle in Literatur, Kunst und Architektur lebhaft diskutiert. Norbert Miller, der ehemalige Assistent Walter Höllerers, spürt diesen in seinem Vortrag nach. Zum Beispiel wird er über Alfred Döblin, Stanislaw Lem und Thomas Pynchon reden, die, so Miller, auf höchst unterschied-liche Weise den kritischen Dialog über Utopia und die Vorwegnahme der Zukunft durch die Literatur weiterführten. n

der Vortrag

utopien des Widerstands: alfred döblin, stanislaw lem und thomas Pynchon

©

TU B

erlin

Norbert Miller

Page 3: Festschrift Höllerer - pressestelle.tu-berlin.de · 11. Höllerer-Vorlesung der Gesellschaft von Freunden der TU Berlin e.V. 4. Juli 2018 Utopien des Widerstands: Alfred Döblin,

3

Sehr geehrte Damen und Herren!Die Geisteswissenschaften haben an der Technischen Universität Berlin eine ganz be-sondere Bedeutung. Mit der Neueröffnung im Jahr 1946 erfolgte eine Neubestimmung des Bildungsauftrags. Der britische Stadtkom-mandant forderte, die Universität müsse sich um eine echte Erziehung und nicht nur um die Vermittlung von rein technischem Wissen kümmern. Der Fokus sollte auf der univer-salen Bildung liegen. Die Geisteswissenschaf-ten bildeten fortan einen integralen Bestand-teil des Curriculums jedes Studierenden. 1959 kam Walter Höllerer an die TU Ber-lin. Er gründete das Institut für Sprache im technischen Zeitalter und eine gleichnamige

Zeitschrift dazu. Er prägte die Fakultät I, die Geistes- und Bildungswissenschaften, wie nur wenige andere es taten. Die Verbindung von Geistes- und Ingenieurwissenschaften war sein großes Verdienst und dieser wirkt bis heute nach. Nach wie vor versteht sich die Fa-kultät als eine Brückenbauerin zwischen den Wissenskulturen der Geisteswissenschaften und Technik- und Naturwissenschaften. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, das span-nungsvolle Verhältnis zwischen den Fächer-disziplinen zur erforschen, zukunftsbezogen zu vernetzen und handlungsbezogen zu ver-mitteln. Sie tut es bis heute und gibt damit unserer Universität ihr besonderes Profil. Die diesjährige Höllerer-Vorlesung dreht sich um Utopien und um Ideale in Literatur und Gesellschaft. Auch als Präsident einer Uni-versität folgt man Idealen. Besonders schön ist es dann, wenn aus Idealen Wirklichkeiten werden und wir sie in der Realität erleben können. Ein solches Beispiel ist das Orien-tierungsstudium MINTgrün, das es seit mittler-weile knapp sechs Jahren gibt. Ein Jahr lang haben Studierende die Chance, möglichst viele Fächer auszuprobieren, um genau he-rausfinden zu können, was dahintersteckt und was ihnen am besten liegt. Mit rund 600 Studierenden, die sich zum Wintersemester 2017/18 eingeschrieben haben, ist es heute gelebte Realität, die das Hineinschnuppern in die Geistes-, Natur-, Technik- und Pla-nungswissenschaften für unsere Studienan-fängerinnen und -anfängern ermöglicht – ganz im Sinne von Walter Höllerer! n

Ihr Prof. Dr. Christian ThomsenPräsident der Technischen Universität Berlin

geistes- und BildungsWissenscHaften an der tu Berlin

Brückenbauerin zwischen den Wissenskulturen für ein besonderes Profil

©

TU B

erlin

/PR/

Jace

k Ru

ta

TU-Präsident Christian Thomsen

Page 4: Festschrift Höllerer - pressestelle.tu-berlin.de · 11. Höllerer-Vorlesung der Gesellschaft von Freunden der TU Berlin e.V. 4. Juli 2018 Utopien des Widerstands: Alfred Döblin,

4

interVieW

das Potenzial ist da!

Herr Professor Miller, Sie gehören zu den Men-

schen, die Walter Höllerer besonders gut kann-

ten. Wer oder was war Walter Höllerer für Sie?

Ich kannte Walter Höllerer bereits aus mei-ner Studienzeit in Frankfurt. Als ich 1960 nach Berlin kam, wurde ich bald Assistent bei ihm. Er war eine der zentralen Figuren der Berliner Kultur, und so konnte auch ich diese Anfänge miterleben. Durch ihn, der mit Lesungen und anderen großen Veranstaltun-gen den Literaturstandort Berlin quasi erst begründete, stand auch die TU Berlin im Zen-trum dieser Entwicklung. Die Humboldt-Uni-versität war abgeschottet in der DDR. Daraus resultierte der Aufbau der Freien Universität sowie der Ausbau der Technischen Universität zur Volluniversität. Diese Konstruktion – FU und TU Berlin gewissermaßen als „befreun-dete Rivalen“ – funktionierte sehr gut, auch für Kulturveranstaltungen. Für Walter Hölle-rer war allerdings der Standort an einer tech-nischen Universität wichtig. Und diese ganz ungewöhnliche Verbindung – TU Berlin und Literatur – machte nicht nur unser Institut zu einer Art Leuchtturm, sondern manifestierte sich schon 1961 sowohl in einer Zeitschrif-tengründung – die „Sprache im technischen

Zeitalter“, die heute noch existiert – als auch im gleichen Jahr in der Gründung des „Li-terarischen Colloquiums Berlin“. Wir waren ein ganzer Kreis von Literaten, haben zusam-mengearbeitet und waren eng befreundet. Auch zu den Kollegen im Osten Deutsch-lands blieben die Verbindungen eng.

Sie selbst haben als Hochschullehrer auch in

legendären Exkursionen jungen Leuten die

Lust an Literatur und Kunst nahegebracht …

Walter Höllerer war tatsächlich mehr der Theoretiker, Literat und Essayist. Doch der Kollege Werner Dahlheim, der Alt-Histori-ker, und ich mit meinem durch den kunsthis-torischen Hintergrund besonderen Interesse an Kunst und Altertum, sind viele Jahre re-gelmäßig mit unseren Studierenden zu Ex-kursionen quer durch Europa aufgebrochen. Wir haben dabei viel über Kunst, Kultur und – durch die jungen Leute – über die Zukunft gelernt und in unseren Werken verarbeitet.

Was wünschen Sie Ihrer Alma Mater,

der TU Berlin, für die Zukunft?

Ich rechne es der TU Berlin hoch an, dass sie auch nach dem Mauerfall ihre spezifischen Nischen in Kunst und Literatur erhalten hat. Es ist schön, dass sie auch heute immer wie-der strahlende Persönlichkeiten findet wie die Kunsthistorikerin und Leibniz-Preisträ-gerin Bénédicte Savoy, die mit ihren Ideen und Projekten international wirkt, aber auch in die Stadt Berlin hinein. Grandios, umtrie-big und beweglich sorgt sie so im Verbund mit anderen Kolleginnen und Kollegen für die internationale Sichtbarkeit der „geistes-wissenschaftlichen“ TU Berlin. Ich verfolge diese Entwicklung mit Freude, und wünsche meiner alten Alma Mater alles Gute für die Zukunft – möglichst mit mehr als einem Fei-genblatt in den Geisteswissenschaften. Das Potenzial ist da! n

©

TU B

erlin

/PR/

Ulri

ch D

ahl

Page 5: Festschrift Höllerer - pressestelle.tu-berlin.de · 11. Höllerer-Vorlesung der Gesellschaft von Freunden der TU Berlin e.V. 4. Juli 2018 Utopien des Widerstands: Alfred Döblin,

5

Von Beginn seiner Berliner Zeit an hat Norbert Miller eng mit Walter Höllerer zu-sammengearbeitet. Vieles, was heute Hölle-rer zugeschrieben wird – zum Beispiel die Schaffung und Herausgabe eines neuen Ty-pus einer Literaturzeitschrift „Sprache im technischen Zeitalter“ –, ist ohne Norbert Millers Mitwirkung nicht denkbar. Er war, wie auch beim Jahrbuch „Literatur im Tech-nischen Zeitalter“ und bei der Gründung des „Literarischen Colloquiums Berlin“, von An-fang an Mitherausgeber und Mitorganisator. Doch ging der Literat, Romancier und Hoch-schullehrer von vornher-ein seinen eigenen wissen-schaftlichen Weg, der zwei charakteristische Züge aufwies: seine Affinität zu Italien und seinen Mut zur Grenzüberschreitung. Als „Vergleichender Lite-raturwissenschaftler“ ist er im angelsächsi-schen Sprachraum genauso zu Hause wie im deutschen und im lateinstämmigen. Er lenkt den Blick – das zeigen seine Werke – über

eHrenMitgliedscHaft für norBert Miller

leuchtturm der technischen universität Berlin

von Prof. Dr.-Ing. Jürgen Starnick, Stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der Gesellschaft von Freunden e. V.

Druckschriften und Manuskripte hinaus, auch auf Gemälde, Statuen, Bauten, Land-schaften und musikalische Kunstwerke und sprengt damit die Grenzen seines Faches, gibt ihm eine neue Bedeutung.Nutznießer dieser Vielfarbigkeit waren vor allem die Studierenden. Begeisterung weckte hier, neben seiner Expertise und den regel-mäßigen Exkursionen nach Italien, zu denen er sie entführte, sein Talent der lebendigen Rede. Wer je miterlebte, wie Norbert Miller eine improvisierte Stegreifrede druckreif for-mulierte, muss dieses Talent bewundern.

Anders als viele Kollegen über-nahm Norbert Miller aber auch Verantwortung im Alltagsge-schäft, zum Beispiel als Ge-

schäftsführender Direktor seines Instituts für Deutsche Philologie, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft. Er war über viele Jahre Vorsitzender des Fachbe-

„Wer je miterlebte, wie Norbert

Miller eine Stegreifrede druckreif

formulierte, muss dieses Talent

bewundern.“

©

TU B

erlin

/PR/

Ale

xnde

r Ren

tsch

Page 6: Festschrift Höllerer - pressestelle.tu-berlin.de · 11. Höllerer-Vorlesung der Gesellschaft von Freunden der TU Berlin e.V. 4. Juli 2018 Utopien des Widerstands: Alfred Döblin,

6

reichsrats, Prodekan und Mitglied des Aka-demischen Senats. Ich war oft Zeuge, wie er brillant argumentierend für die pragmatische Lösung eines Konflikts warb und für einen Interessenausgleich zwischen den Gruppie-rungen eintrat. Als langjähriges Mitglied der Gesellschaft von Freunden der TU Berlin hilft Norbert Miller bis heute mit, Wissenschaftler und Studierende der Universität zu unterstüt-zen. Ohne ihn wäre es zum Beispiel kaum gelungen, die jährliche Höllerer-Vorlesung seit 2007 als Veranstaltung mit erheblicher positiver Außenwirkung für die Universität zu etablieren und immer wieder bekannte, attraktive Vortragende dafür zu gewinnen. Seinen glänzenden wissenschaftlichen Ruf, die Mitgliedschaften in hochangesehenen Einrichtungen wie der Akademie der Küns-

te Berlin und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, konnte der vielfach Ausgezeichnete so auch zugunsten seiner Universität nutzen. Alles in allem: die Universität ist ihm zu großem Dank ver-pflichtet. Norbert Miller kann man mit Fug und Recht als einen Leuchtturm der Techni-schen Universität Berlin bezeichnen. n

Walter Höllerer und Norbert Miller kannten sich bereits aus ihrer Frankfurter Zeit. In Berlin machten sie gemeinsam die TU Berlin zu einem Hotspot für Literatur

©

Rena

te v

on M

ango

ldt

Page 7: Festschrift Höllerer - pressestelle.tu-berlin.de · 11. Höllerer-Vorlesung der Gesellschaft von Freunden der TU Berlin e.V. 4. Juli 2018 Utopien des Widerstands: Alfred Döblin,

7

Die wissenschaftliche Redlichkeit gebietet es, einzugestehen, dass niemand auch nur annähernd über eine so breite wissenschaft-liche Kompetenz und künstlerische Kenner-schaft verfügt wie Norbert Miller. Und er besitzt sie nicht nur in der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft, die Norbert Miller 1973 bis 2005 als Profes-sor an der TU Berlin vertreten hat, sondern zugleich in Kunstwissenschaft, Architektur-geschichte und in der Musikwissenschaft. Mit der erstaunlichen Universalität seiner historischen Kenntnisse, dem klaren Blick für künstlerische Details, übergreifende ar-tistische Strukturen und historische Zusam-menhänge machte er die Geschichte der Li-teratur, Kunst und Musik Europas seit dem 18. Jahrhundert immer wieder überraschend neu lesbar. Das ließ Norbert Miller zu einer einzigartigen Gestalt in der neueren Litera-turwissenschaft werden. Tief ist sein Werk in der Editionsphilologie verankert, Ursprung und Grundlage seiner nahezu unbegreifli-chen wissenschaftlichen Produktivität. Die große Jean Paul-Ausgabe, die der kaum mehr als Zwanzigjährige gemeinsam mit Walter Höllerer besorgt hat, bildet bis heute das Referenzwerk der Jean Paul-Forschung. Auf diese Ausgabe folgten viele weitere Edi-

aus der laudatio

sinnliches und intellektuelles Vergnügen

Mit eminentem Reichtum an Kenntnissen und mit Liebe zum Detail hat Norbert Miller Studierenden und Gelehrten den Blick für kulturhistorische Welten geöffnet Von Ernst Osterkamp

tionen im historischen Spannungsfeld zwi-schen den nachgelassenen Schriften Wilhelm Heinses, dem schriftstellerischen Nachlass Friedrich Nietzsches und dem Gesamtwerk von Marieluise Kaschnitz. Große englische und französische Autoren hat Norbert Miller der deutschen Leserschaft in vorzüglichen Ausgaben zugänglich gemacht. Ich nenne hier nur beispielhaft Henry Fielding, Daniel Defoe, Marivaux und Nerval. Herausragen-de Bedeutung kommt aber vor allem seinem Beitrag als Mitherausgeber der Münchner Ausgabe der Werke Goethes zu, des großen Antipoden von Jean Paul. Seine Edition von Goethes „Italienischer Reise“, gemeinsam mit Andreas Beyer verantwortet, hat die

©

Foto

stud

io-c

harlo

tten

burg

der autor

Prof. Dr. Ernst Osterkamp ist Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung

Page 8: Festschrift Höllerer - pressestelle.tu-berlin.de · 11. Höllerer-Vorlesung der Gesellschaft von Freunden der TU Berlin e.V. 4. Juli 2018 Utopien des Widerstands: Alfred Döblin,

8

Forschung zu dessen ltalienerlebnis auf ein völlig neues Niveau gehoben. Was Miller bei der Identifikation der von Goethe erwähn-ten Gemälde, Bauten und Opern und deren kunst-, architektur- und musikgeschichtlicher Einordnung leistete, kann nicht hoch genug gewürdigt werden. Die Detailkenntnisse in seinen Editionen entfalten seine Monogra-fien zu monumentalen Kompositionen. Die Souveränität, mit der er das Material be-herrscht und die Darstellung organisiert, zeigt sich exemplarisch in Norbert Millers 2002 erschienenem großen Werk „Der Wanderer.

Goethe in Italien“. Es führt die Ergebnisse der einschlägigen Forschungen zusammen, ja überschreitet diese entscheidend: Das Werk bettet Goethes Italienreise erstmals in die europäische Literatur-, Kunst- und Kultur-geschichtliche ein und profiliert sie vor dem Horizont der Tradition der Grand Tour. Dieser materialreichen Neubewertung von Goethes Verhältnis zur bildenden Kunst trat 2009 eine vergleichbar intensive und ertrag-reiche Neubewertung seines Verhältnisses zur Musik zur Seite: „Die ungeheure Gewalt der Musik. Goethe und seine Komponis-

Prof. Dr. em. Norbert Miller hat nicht nur die Literaturszene in Berlin und weit darüber hinaus besonders geprägt, sondern auch die Geisteswissenschaften an der TU Berlin. 1961 kam Norbert Miller nach Berlin, wurde Assistent bei Walter Höllerer, bei dem er schon

in Frankfurt die Literatur studiert hatte, neben Kunst- und Musikwissen-schaft. So war er beteiligt an der Herausgabe der Zeitschrift „Sprache im technischen Zeit-alter“, die zum

ersten Mal eine enge Verbindung zwischen Technik- und Geistes-wissenschaften schuf, sowie an der Gründung des „Literarischen Colloquiums Berlin“ 1963. 1970 wurde Miller Privatdozent mit Lehrbefugnis für das Fachgebiet Deutsche Philologie an der TU Berlin, war anschließend Wissen-

schaftlicher Rat und Professor für „Sprache im technischen Zeitalter“ sowie ab 1973 bis zu seiner Emeritierung im September 2006 ordentlicher Professor für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft am gleichna-migen Institut der TU Berlin. Über sein umfangreiches editorisches und künstlerisches Werk sprechen die Laudatoren in dieser Festschrift ausführlich. Ebenso über sein Engagement als Hochschullehrer und Wissenschaftsorganisator. Aus seinen vielfältigen Ehrungen stechen besonders hervor der Sigmund-Freud-Preis (1993), die Goethe-Medaille der Goethe-Gesellschaft Weimar (2009), der Deutsche Sprachpreis (2010) sowie das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepub-lik Deutschland (2010).Anlässlich der Höllerer-Vorlesung 2018 ernennt ihn die Technische Universität Berlin aufgrund seiner besonderen Verdienste um die Universität zu ihrem Ehrenmit-glied.

norBert Miller

Wichtige stationen und ehrungen

Von Anfang an trägt Norbert Miller jährlich wesentlich zum Gelingen der Höllerer-Vorlesung bei. Hier mit Joachim Sartorius 2012

©

TU B

erlin

/PR/

Ulri

ch D

ahl

Page 9: Festschrift Höllerer - pressestelle.tu-berlin.de · 11. Höllerer-Vorlesung der Gesellschaft von Freunden der TU Berlin e.V. 4. Juli 2018 Utopien des Widerstands: Alfred Döblin,

9

ten“. In seiner Prägnanz und Präzision zeugt es von genauester Vertrautheit des Autors mit der komple-xen musikgeschichtlichen Entwicklung im 18. und 19. Jahrhundert. Der Kosmos der musikgeschichtlichen Kenntnisse Millers wurde in dem zweibändigen Werk „Europäische Romantik in der Musik“ (1999/2007) ganz sichtbar, das mehr als 2000 engbedruckte Seiten umfasst. Der erste Band zeichnet die Entwicklung von Oper und sinfonischem Stil zwischen 1770 und 1820 nach, während der zweite Band die Entwicklung des romantischen Stils von E.T.A. Hoffmann bis zum jun-gen Richard Wagner entfaltet. Miller hatte das Werk noch gemeinsam mit dem großen Musikwissenschaft-ler Carl Dahlhaus an der TU Berlin konzipiert. Nach Dahlhaus’ Tod schrieb er es zuende, einer Freundes-pflicht gehorchend. Vor dieser herausragenden musi-khistorischen Leistung, einer detailreichen, breiten Gesamtdarstellung der europäischen Musikentwick-lung, darf man Ehrfurcht haben. Noch viele Monografien zur Kunst-, Literatur- und Musikgeschichte schlummern übrigens in Norbert Mil-lers zahllosen großen Aufsätzen. Seine Bücher weisen eine unerhörte Meisterschaft der wissenschaftlichen Prosa auf, eine eminente begriffliche Differenziertheit sowie eine Sinnlichkeit der Darstellung, die dem äs-thetischen Thema immer angemessen ist. Sein großes Buch „Archäologie des Traums“ (1978) nennt er be-scheiden „Versuch über Giovanni Battista Piranesi“. Doch es ist ein bedeutendes Sprachkunstwerk. Bei al-ler Gelehrsamkeit zur venezianischen und römischen Kunstgeschichte des 18. Jahrhunderts, spielerisch zur Geltung gebracht, ist er immer bemüht, Piranesis kom-plexe Bildwelten adäquat sprachlich zu fassen; eine Wendung wie „ummauerte Unendlichkeit“, die Miller für Piranesis „Carceri“ gefunden hat, wird kein Leser des Buches je vergessen. Mit der englischen Präromantik und Romantik macht Miller seine Leser über zwei ihrer apartesten Figuren bekannt: „Strawberry Hill. Horace Walpole und die Ästhetik der schönen Unregelmäßigkeit“ (1986) sowie „Fonthill Abbey. Die dunkle Welt des William Beckford“. Nichts stammt aus zweiter Hand, alle Beobachtungen zur bildenden Kunst, zur Architektur und Gartenkunst

norBert Miller –aus der Bibliographie

Fonthill Abbey, 2012

Paradox und Wunder-

schachtel, 2012

Der Wanderer2002

Strawberry Hill1986

Marblemania2018

Page 10: Festschrift Höllerer - pressestelle.tu-berlin.de · 11. Höllerer-Vorlesung der Gesellschaft von Freunden der TU Berlin e.V. 4. Juli 2018 Utopien des Widerstands: Alfred Döblin,

10

beruhen auf Autopsie. Das macht diese Bü-cher zu einem sinnlichen und intellektuellen Vergnügen. Zu dieser Autopsie trugen nicht zuletzt auch die legendären Exkursionen in die europäischen Kulturlandschaften bei, die Miller gemeinsam mit Werner Dahlheim durchgeführt hat und die für TU-Studierende aus zahlreichen Semestern zum zentralen Bil-dungserlebnis geworden sind. Seit vielen Jahren arbeitet Norbert Mil-ler an einer großen Monografie über die „Künstlichen Paradiese“ des 19. Jahrhun-derts. Es wird, als Summe seiner Forschun-gen, ein Schlüsselwerk zur Kunst- und Kul-turgeschichte der Epoche bilden. Man darf staunen, dass er dazwischen noch die Zeit gefunden hat, ein Buch zu schreiben über die Sammelleidenschaft englischer Reisen-

der des 18. Jahrhunderts, mit der sie sich antike Skulpturen aneigneten: „Marblema-nia“(2018). Der leidenschaftliche akademische Lehrer Norbert Miller hat Generationen von TU-Studierenden geprägt, zahlreiche Doktoran-den und Habilitanden betreut und vielen in-ternationalen Gelehrten den Blick geöffnet für literatur-, kunst- und kulturhistorische Zusammenhänge, die sich ihnen sonst nicht erschlossen hätten. Gegen große Vorzüge eines andern, sagt Goethe in den „Wahlver-wandtschaften“, gebe es kein Rettungsmittel als die Liebe. In diesem Sinne kann ich der Technischen Universität Berlin nur zu ihrer Absicht gratulieren, Norbert Miller die Eh-renmitgliedschaft zu verleihen. Wem, wenn nicht diesem herausragenden Gelehrten. n

Walter Höllerer wurde am 19. Dezember 1922 in Sulzbach in der Oberpfalz geboren und studier-te nach dem Krieg Germanistik, Philosophie, Geschichte und Ver-gleichende Literaturwissenschaft. 1952 debütierte Höllerer als Lyriker mit dem Gedichtband „Der andere Gast“. Ab 1954 nahm Höllerer an den Treffen der Gruppe 47 teil, zumeist als Kritiker, aber auch mit eigenen Texten. Er war Assistent an der Universität Frankfurt, wurde 1959 Professor für Neuere Deut-sche Literatur an der TU Berlin. Er blieb an der TU Berlin bis zu seiner Emeritierung 1988. Walter Höllerer organisierte hier die Veranstaltungsreihe „Lite-ratur im technischen Zeitalter“, lud namhafte Autoren an die Universität, die vor angehenden Ingenieur*innen aus ihren Werken lasen. 1961 erschien die Zeit-

schrift „Sprache im technischen Zeitalter“, die als Ergänzung der Zeitschrift „Akzente“ geplant war und einen Schwerpunkt auf die Funktion von Literatur und Spra-che im Medienzeitalter setzte. In dieser Zeit rief er auch das „Ins-titut für Sprache im technischen Zeitalter“ an der TU Berlin ins Le-ben. 1963 wurde das Literarische Colloquium Berlin gegründet.Unter seinen zahlreichen Aus-zeichnungen finden sich zum Beispiel der Fontane-Preis der Stadt Berlin (1966), der Johann-Heinrich-Merk-Preis (1975) und der Horst-Bienek-Preis für Lyrik (1993). Er war Mitglied des PEN-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Aka-demie für Sprache und Dichtung, Darmstadt, und der Akademie der Künste, Berlin. Walter Höllerer

starb am 20. Mai 2003 in Berlin. n

Walter Höllerer

dichter, essayist und literatur-organisator

©

Rena

te v

on M

ango

ldt

Page 11: Festschrift Höllerer - pressestelle.tu-berlin.de · 11. Höllerer-Vorlesung der Gesellschaft von Freunden der TU Berlin e.V. 4. Juli 2018 Utopien des Widerstands: Alfred Döblin,

11

Höllerer-Vorlesungen

2007–2017

sagen, Vögel und dämonen

tradition an der tu Berlin

Mit der jährlichen Höllerer-Vorlesung erinnert die Ge-sellschaft von Freunden der TU Berlin an den TU-Ger-manistik-Professor Walter Höllerer, dessen Anliegen es war, eine kreative Verbindung zwischen den Geistes- und den Technikwissenschaften herzustellen. Norbert Miller, der dieses Jahr sein Publikum mit auf die Reise zu den Utopien des Widerstands nimmt, ist der elfte, der in dieser Tradition an der TU Berlin auf die Bühne tritt. Bereits zehn weitere herausragende Dichter*innen, Denker*innen und Wissenschaftler*innen waren hier zu Gast.Informative Rückblicke, Texte, Fotogalerien und Audiomitschnitte: www.tu-berlin.de/?118149

2017 Direktor des Deutschen Literatur-archivs Marbach Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Raulff: Die Sprache der Vögel im technischen Zeitalter

2015Alt-Historiker an der TU Berlin Prof. em. Dr. Werner Dahlheim: Der Weltenwanderer. Die lange Reise des Odysseus durch die europäische Geschichte

2013Primatenforscherin Prof. Dr. Julia Fischer: Zum Ursprung der menschlichen Sprache – was uns die Primatenforschung verrät

2011Neurowissenschaftler und Hirn-forscher Prof. Dr. Wolf Singer: Konflikte zwischen Intuition und neurobiologischer Evidenz

2008Kunsthistoriker und Philosoph Prof. Dr. Gottfried Boehm: Die Unvermeidlichkeit des Originals

2016Intendantin der internationalen Beethovenfeste, Bonn, Prof. Dr. Nike Wagner: „… scheint mir das Ende von Beethoven zu bedeuten.“ Bemerkungen zum Musikbetrieb

2014Romanautor Daniel Kehlmann: Danny Torrance fürchtet sich. Über einige imaginäre Wesen

2012Leiter der Berliner Festspiele Dr. Joachim Sartorius: Poesie im Sinkflug – lyrisches Sprechen im audiovisuellen Zeitalter

2010Romanautor Friedrich Christian Delius: Die Frau, für die ich den Computer erfand – zu Ehren K onrad Zuses

2007Lyriker und Germanist Prof. Dr. Peter von Matt: Glück im Kosmos. Glück in der Literatur

©

TU B

erlin

/PR/

A. R

ents

ch

©

Cor

nelis

Gol

lhar

dt

©

TU B

erlin

/PR/

Jace

k Ru

ta

©O

liver

Mos

t

©

TU B

erlin

/PR/

Jace

k Ru

ta

©TU

Ber

lin/P

R/Ja

cek

Ruta

©

priv

at

©pr

ivat

©

Car

l Han

ser V

erla

g/Po

hner

t

©TU

Ber

lin/P

R/U

lrich

Dah

l

Page 12: Festschrift Höllerer - pressestelle.tu-berlin.de · 11. Höllerer-Vorlesung der Gesellschaft von Freunden der TU Berlin e.V. 4. Juli 2018 Utopien des Widerstands: Alfred Döblin,

Bedeutende Persönlichkeiten wie der Außen-minister der Weimarer Republik Walther Rathenau, der Chemiker Franz Oppenheim, der Politiker und Industrielle Hugo Stinnes sowie Ernst Borsig gehören neben den Professoren Erwin Hilger, Friedrich Romberg, Georg Schlesin-ger und Walter Reichel zu den ersten Mitgliedern der „Gesellschaft von Freunden“ der Techni-schen Hochschule, der Vorgängereinrichtung der TU Berlin. Ins Leben gerufen wurde die Gesell-schaft am 9. November 1921.

Die „Gesellschaft von Freunden“ unterstützt und fördert:

studierende:• Dr.-Ing. Ernst Trapp-Preis für herausragende

Master arbeiten• PHILOTHERM-Preis für überdurchschnittliche

Prüfungsleistungen in Thermodynamik• Deutschlandstipendium (ein Drittel aller För-

derer dieses Stipendiums sind Mitglieder der „Gesellschaft von Freunden“)

• Förderprogramm für Forschungs- und Entwicklungs projekte

Professorinnen und Professoren:• Preis für vorbildliche Lehre • Empfang für neu berufene Professorinnen und

Professoren

WissenscHaftlicHe

MitarBeiterinnen und MitarBeiter: • Preis für vorbildliche Lehre• Unterstützung der Forschungs- und Entwick-

lungsarbeiten

sonstige MitarBeiterinnen

und MitarBeiter:• Preis „Wir sind TU Berlin“

Die „Gesellschaft von Freunden“ führt zahlreiche Veranstaltungen durch:

Die „Höllerer-Vorlesung“ verbindet die Geistes- und Technikwissenschaften.

Der „Think Tank der Innovationen“ ist eine gemeinsame Veranstaltungsreihe mit der Industrie- und Handelskammer Berlin mit dem Ziel, aktuelle Forschungsergebnisse und Projekte vorzustellen.

Auch mit dem „Technologieforum“ werden aktuelle Forschungsprojekte aus der TU Berlin vorgestellt und mit Wirtschafts-vertretern diskutiert.

„Politik trifft Wissenschaft – Wissen-schaft trifft Politik“ möchte den Dialog zwischen Wissenschaft und Politik inten sivieren.

www.freunde.tu-berlin.deMitglied werden unter: www.tu-berlin.de/?118147

TGesellschaft vonFreunden derTechnischenUniversität Berlin

gesellschaft von freunden der tu Berlin e.V.

IMPRESSUMHERaUSgEbER: Der Präsident, Stabsstelle für Presse, Öffentlichkeitsarbeit und Alumni, Straße des 17. Juni 135, 10623 Berlin, www.tu-berlin.deREdakTIon/TExTE: Stefanie Terp (verantw.), Patricia Pätzold-Algner (CvD) gESTalTUng/SaTz: omnisatz GmbH dRUck: TU-Druckerei ERScHEInUngSdaTUM: Juli 2018

©

auge

nblic

klic

h/A

ndre

as K

oeni

g