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Forschungsinstitut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und E rgonomie FGAN Informationstechnik und Führungssysteme KIE ComprehensionIn dieser Sitzung behandeln wir Aspekte des Sprachverstehens bzw. dessen Modellierung. Im Zentrum steht dabei die inhaltliche Analyse von Äußerungen bzw. Texten und das „Construction – Integration“-Modell von Walter Kintsch. Kintsch (1988). The use of knowledge in discourse processing: A construction-integration model. Psychological Review, 95, 163-182. Kintsch (1998). Comprehension: A Paradigm for Cognition. Cambridge University Press.

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„Comprehension“

In dieser Sitzung behandeln wir Aspekte des Sprachverstehens

bzw. dessen Modellierung. Im Zentrum steht dabei die inhaltliche

Analyse von Äußerungen bzw. Texten und das „Construction –

Integration“-Modell von Walter Kintsch.

Kintsch (1988). The use of knowledge in discourse processing: A construction-integration model. Psychological Review, 95, 163-182.

Kintsch (1998). Comprehension: A Paradigm for Cognition. Cambridge University Press.

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„Comprehension“

Skizze des Modells:

Text

Analyse-komponente

propotionaleRepäsentation Netz / Teilnetz

Interpretation

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„Comprehension“

Propositionale Repräsentationen gelten als unumgängliche „Zwischenrepräsentationsform“, über die konzeptuelle Repräsentationen(„Mentale Modelle“; Bilder; ...) mit sprachspezifischen Repräsentationen(„funktionale Struktur“) gekoppelt werden. Man findet propositionaleRepräsentationen nicht nur in Sprachverstehensmodellen, sondernauch in Sprachproduktionsmodellen.

Levelt (1989, S. 73): „If [...] the intention is to speak, then the code musteventually propositional in nature. The preverbal message is a semanticrepresentation that refers to some state of affairs. That state of affairs canbe in any mode of thought, but the message must be in propositional form.“

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„Comprehension“

Beispiel 1 (Kintsch, 1998, S. 59)

Text: „John left early. That shocked everyone.“

Propositionen:

P1: LEAVE[JOHN]

P2: EARLY[P1]

P3: SHOCK[P2, EVERYONE]

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„Comprehension“

Beispiel 2 (Garrod et al., 1994; Kintsch, 1998, S. 149)

Text: „Flying to America. Jane wasn´t enjoying the flight at all. The dry air in the plane made her really thirsty. Just as she was about to call her, she noticed the stewardess coming down the aisle with the drink trolley.

Right away she (ordered/poured) a large glass of Coke.“

Garrod, Freudenthal & Boyle (1994). The role of different types of anaphor in on-line resolution of sentences in discourse. Journal of Memory and Language, 33, 38-68.

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„Comprehension“

Text: „[...]. Right away she (ordered/poured) a large glass of Coke.“

Wir werden uns im Folgenden auf das Wesentliche beschränken und im o.a. Fall die kritische satzwertige Textstelle behandeln als

order(J, coke) order(S, coke)pour(J, coke) pour(S, coke)

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„Comprehension“

Die Propositionen ergeben sich als Resultat der syntaktischen Analyse der

satzwertigen Teiltexte bzw. Teiläußerungen. Bespielsweise erzeugt die

LFG (Bresnan, 2001) aus Konstituentenstrukturen (c-structures) zunächst

funktionale Strukturen (f-structures) und letztlich Argumentstrukturen

(a-structures). Letztere lassen sich als Propositionen nutzen.

Bresnan (2001). Lexical Functional Syntax. Blackwell.

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„Comprehension“

Als erster (eigentlicher) Verarbeitungsschritt erfolgt nun die „Konstruktion“.

Text

Analyse-komponente

propotionaleRepäsentation Netz / Teilnetz

Konstruktion

Integration

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„Comprehension“

Konstruktion 1:

Auf Grund der bereits erfolgten Verarbeitung verfügt man über ein

Netz aktivierter Knoten, das u.a. die verarbeiteten Propositionen spiegelt.

not-enjoy[J,Flight]

Flight J

see(J,$)

Planemake-thirst[air,J]

call[J,S] come[S,aisle

,drk]

S

in-Plane

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„Comprehension“

Konstruktion 2:

Die möglichen neuen Propositionen werden eingebunden. Da sie

konkurrieren, hemmen sie sich gegenseitig.

not-enjoy[J,Flight]

Flight J

see(J,$)

Planemake-thirst[air,J]

call[J,S] come[S,aisle

,drk]

S

in-Plane

J

order[S,coke]

order[J,coke]

order

coke

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„Comprehension“

Konstruktion 3:

Auf Grund von „Weltwissen“ wird das Netz um weitere Knoten und

Verbindungen ergänzt.

not-enjoy[J,Flight]

Flight J

see(J,$)

Planemake-thirst[air,J]

call[J,S] come[S,aisle

,drk]

S

in-Plane

J

order[S,coke]

order[J,coke]

order

coke

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„Comprehension“

Konstruktion 3:

Nach den Regeln des „spreading activation“ tauschen die Knoten einige

Zyklen lang Aktivierung aus.

not-enjoy[J,Flight]

Flight J

see(J,$)

Planemake-thirst[air,J]

call[J,S] come[S,aisle

,drk]

S

in-Plane

J

order[S,coke]

order[J,coke]

order

coke

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Als zweiter (eigentlicher) Verarbeitungsschritt erfolgt nun die „Integration“.

Text

Analyse-komponente

propotionaleRepäsentation Netz / Teilnetz

Konstruktion

Integration

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„Comprehension“

Integration 1:

Bei der Integration werden zu schwach aktivierte Knoten und deren

Verbindungen aus dem Netz entfernt.

not-enjoy[J,Flight]

Flight J

see(J,$)

Planemake-thirst[air,J]

call[J,S] come[S,aisle

,drk]

S

in-Plane

J

order[S,coke]

order[J,coke]

order

coke

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„Comprehension“

Integration 2:

Das verbleibende Netz gilt als Interpretation des (bis dahin vorliegenden)

Gesamttextes. Es dient als Ausgangsnetz für die Interpretation des nächsten

Satzes.not-enjoy[J,Flight]

Flight J

see(J,$)

Planemake-thirst[air,J]

call[J,S] come[S,aisle

,drk]

S

in-Plane

J

order[J,coke]

order

coke

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„Comprehension“

Im Beispiel diente das Verfahren zur Auflösung einer anaphorischen

Referenz. Die Auflösung im Fall „... she poured [...] coke.“ dauert länger

(es werden mehr Zyklen für das „activation spreading“ benötigt),

a) weil es eine syntaktische Präferenz für die Bindung des Pronomens

an „Jane“ gibt und

b) weil die Anbindung von „pour“ an „S“ indirekter ist.

Ist die Anapher eindeutig („the Stewardess“), so würde

das Problem in der syntaktischen Komponente gelöst werden.

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„Comprehension“

Mit dem skizzierten Verfahren kann man auch Wortambiguitäten auflösen.

Beispiel 3 (Till et al., 1988; Kintsch, 1998, S. 133):

„The gardener pulled the hose around to the holes in the yard.

Perhaps the water would solve his problem with the mole.“

moleMaulwurf

Leberfleck

Till, Mross & Kintsch (1988). Time course of priming for associates and inference words in discourse context. Memory and Cognition, 16, 283-298.

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„Comprehension“

Experiment:

Die Versuchsperson liest den Text und bearbeitet anschließend eine

lexikalische Entscheidungsaufgabe. Dabei kann das Wort, das zur

Entscheidung ansteht, wie folgt zum kritischen Wort relatiert sein:

a) Assoziiert zur angemessenen Wortinterpretation

b) Assoziiert zur unangemessenen Wortinterpretation

c) Thematische Inferenz

d) Unrelatiertes Kontrollwort

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„Comprehension“

Beispiel 4 (Till et al., 1988; Kintsch, 1998, S. 131):

„The townpeople were amazed to find that all the buildings had collapsed

except the mint.“

SOA 350 500 1000 2000

0

20

40candy - earthquake

candy - money

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„Comprehension“

Für eine gewisse Zeit (~350ms) ist die unangemessene Interpretation („candy“) des kritischen Wortes („mint“) präsent (und kann „primen“). Danach ist sie unterdrückt.

Nach einiger Zeit (~500ms) sind zusätzliche (mit dem Text hochgradig kohärente) Begriffe („earthquake“) ebenfalls präsent (und können „primen“).

Die Ergebnisse entsprechen den Modellvorhersagen.

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„Comprehension“

Entsprechende Experimente mit schizophrenen Patienten zeigen, dass beidiesen die unangemessenen Bedeutungen erst sehr viel später, ungefährnach 1000ms, unterdrückt sind.

Maier & Spitzer (1999). Network models and formal thought disorder: Associativeprocesses in schizophrenic patients. In: Klabunde & von Stutterheim (Eds.), Representations and Processes in Language Production. DUV.

Mit dem CI-Modell würde man ein solches Verhalten durch eine Störungdes Integrationsteilprozesses erklären und auf unzureichende inhibitorischeMechanismen rückschließen.