Fluidmechanik || Einleitung und Grundlagen

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1Einleitung und Grundlagen

Dieses Kapitel vermittelt grundlegende Konzepte und Begriffe der Fluidmechanik fürMaschinenbau- und Verfahrensingenieure. Die Anwendung des Systembegriffs, welcheraus der Thermodynamik stammt, wird in der Strömungslehre eingeführt. Am Schluss desKapitels wird die Methodik zur Behandlung von Problemen, die in diesem Buch eingesetztwird, besprochen.

1.1 Womit beschäftigt sich die Fluidmechanik?

Sie beschäftigt sich mit der Einwirkung der Kräfte auf Fluide, damit diese qualitativ undquantitativ erfasst und behandelt werden können. Dazu benötigt man gewisse Eigenschaf-ten der Fluide und spezifische Messmethoden. Fluide sind gasförmige oder flüssige Konti-nua. Im Gegensatz zu festen Körpern können sie ihre Form leicht verändern und Teile vonihnen bewegen sich unter Krafteinwirkung relativ zueinander. Im Vergleich zur Mechanikstarrer Körper ist dies für die meisten Studierenden etwas schwerer verständlich.

Fluidmechanik (fluid mechanics) kann in verschiedene Untergebiete aufgeteilt werden:Die Hydrodynamik (hydrodynamics) befasst sich mit bewegten Fluiden, deren Dichte zu-mindest angenähert als konstant betrachtet werden kann. Die Gasdynamik (gasdynamics)behandelt bewegte Fluide, deren Dichte sich bei den beobachteten Vorgängen verändert.Bei ruhenden Flüssigkeiten spricht man von Hydrostatik (hydrostatics), bei ruhenden Ga-sen von Aerostatik (aerostatics).

Die Strömungslehre ist für Maschinenbau-, Verfahrens-, Bau-, Flugzeug- und Raum-fahrtingenieure vonBedeutung. In diesemBuchwird hauptsächlich auf die Bedürfnisse desMaschinenbau- undVerfahrensingenieurs eingegangen.Der behandelte Stoff soll Grundla-gen zur Berechnung von Strömungsmaschinen,Widerständen in Rohrleitungen, Ein- undAusströmvorgängen und Widerständen angeströmter Körper liefern. Bauingenieure da-gegen beschäftigen sich mehr mit statischen Vorgängen (Hydrostatik) und der Strömung

1P. von Böckh und C. Saumweber, Fluidmechanik, DOI 10.1007/978-3-642-33892-2_1,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

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2 1 Einleitung und Grundlagen

Tab. 1.1 Anwendungsgebiete der Strömungslehre

Verbrennungsmotoren combustion enginesGas- und Dampfturbinen gas and steam turbinesPropeller- und Strahltriebwerke propeller and jet propulsion enginesWindkraftwerke wind powerPumpen und Kompressoren pumps and compressorsHeizungs- und Lüftungsanlagen heating and ventilating systemsStrömungen in Rohrleitungssystemen flow in piping networksMechanische Trennverfahren mechanical separation processesWärmeübertrager heat exchangerFlugzeugtragflügel airplane wingsWiderstände von Fahrzeugen drag coefficients of automotive vehicles

von Flüssigkeiten mit offener Oberfläche (Flüsse). Auf diese Gebiete wird nur sporadischeingegangen.

Für die Berechnungen werden folgende Erhaltungssätze verwendet: Massenerhaltungs-satz, Impulserhaltungssatz, Energieerhaltungssatz und Drallsatz. Diese Sätze geben an, wieund in welchem Umfang verschiedene Energieformen umgewandelt werden und welcheKräfte durch Impulsänderungen entstehen.

In der Praxis werden die Prinzipien der Strömungslehre mit anderen technischen Wis-senschaften (Thermodynamik, Mechanik, Werkstoffkunde etc.) zur Verbesserung der Pro-dukte angewendet. Dabei stehen im Vordergrund:

• Erhöhung des Wirkungsgrades• sparsamer Einsatz der Energieressourcen• Reduktion der Umweltbelastung• Reduktion der totalen Kosten.

In Tab. 1.1 sind Anwendungsgebiete der Strömungslehre für Maschinenbau- und Ver-fahrensingenieure aufgelistet.

1.1.1 Unterscheidung zwischen Fluiden und festen Körpern

Fluide besitzen im Gegensatz zu festen Körpern die Eigenschaft, dass sich ihre Teilchendurch die Einwirkung von Schub- oder Druckkräften leicht verschieben lassen. Flüssigkei-ten haben in einembreiten Bereich die Eigenschaft, dass sich ihreDichte auf eineDruckein-wirkung nur geringfügig undmeistens vernachlässigbar verändert. Damit können Flüssig-keiten in der Regel als inkompressible Fluidebehandelt werden. Eine Flüssigkeit nimmt denihr zugeordneten Raum entsprechend der Oberflächenkräfte und anderer auf sie einwir-kenden Kräfte ein. In einem ruhenden Glas fülltWasser entsprechend seines Volumens das

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1.1 Womit beschäftigt sich die Fluidmechanik? 3

Abb. 1.1 Aggregatzuständeeines reinen Stoffes

Sublimationsdruckkurve

p

T

Dru

ck

Tripelpunkt

fest

Dampfdruckkurve

Temperatur

Schmelzdruckkurve

flüssiggasförmig

kritischer Punkt

Glas anteilmäßig aus. Durch die Schwerkraft wird die Oberfläche eine waagerechte Ebenebilden, wegen der Oberflächenkräfte entsteht am Rand eine leichte Krümmung nach oben.Lässt man das Glas rotieren, entsteht durch die Wirkung der Zentrifugalkraft eine para-belförmige Oberfläche. Bei Schwerelosigkeit verteilt sich die Flüssigkeit im ganzen Raumals Tröpfchen oder haftet an einer Oberfläche. Ein Gas dagegen nimmt immer den gan-zen ihm zur Verfügung stehenden Raum ein. Gase verändern infolge des Druckes und derTemperatur ihre Dichte, sie sind kompressible Fluide.

Gase und Flüssigkeiten können reine Stoffe, nur bestehend aus den gleichen Molekü-len oder Gemische ausmehreren Stoffen sein. Bei reinen Stoffen kann anhand der Dampf-,Schmelz- und Sublimationsdruckkurven zwischen denAggregatzuständen fest, flüssig odergasförmig unterschieden werden. Der Aggregatzustand hängt von der Temperatur unddemDruck des Stoffes ab. Abbildung 1.1 zeigt das Druck-Temperatur-Diagramm eines rei-nen Stoffes.

Die Dampf-, Schmelz- und Sublimationsdruckkurven grenzen die Aggregatzuständeab. Die Schmelzdruckkurve trennt zwischen fest und flüssig, die Dampfdruckkurve zwi-schen flüssig und gasförmig und die Sublimationsdruckkurve zwischen fest und gasförmig.Je nach Temperatur und Druck ist ein Stoff fest, flüssig oder gasförmig. Hat ein Stoff beieinem bestimmten Druck die Temperatur, die auf der Schmelzdruckkurve liegt, kann erfest und flüssig sein (Eis im Wasser). Auf der Dampfdruckkurve kann er flüssig und gas-förmig (kochendes Wasser und Dampf) und auf der Sublimationsdruckkurve fest undgasförmig sein (Trockeneis). Am Tripelpunkt können gleichzeitig alle drei Aggregatzu-stände auftreten. Oberhalb des kritischen Punktes kann zwischen flüssig und gasförmignicht unterschieden werden. Bei Stoffgemischen können sich mit ändernder Tempera-tur und Druck die Zusammensetzung der Stoffe in der flüssigen und gasförmigen Phaseverändern.

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4 1 Einleitung und Grundlagen

1.2 Systemdefinition

Bei jeder technischen Analyse ist die klare Definition des untersuchten Gegenstandes einwichtiger Schritt. In derMechanik ist bei derUntersuchung desGleichgewichts oder bei derBewegung eines starren Körpers stets das Freimachen der (des) Körper(s) notwendig. DerKörper wird von der Umgebung isoliert. Bindungen werden durch Kräfte und Momenteersetzt.

Wie in derThermodynamik wird auch in der Strömungslehre an Stelle des freigemach-tenKörpers das System verwendet [1]. Es besteht aus einemFluid, das durch eine Fläche, dieSystemgrenze, eingeschlossen ist. Diese kann ortsfest oder beweglich, bezüglich des Trans-fers von Masse und Energie geschlossen oder offen sein.

Wir sprechen von einem geschlossenen System, wenn die Systemgrenze für den Transfervon Masse geschlossen ist. In einem geschlossenen System ist die Masse des Systems stetskonstant. Beispiele geschlossener Systeme sind eine Gasflasche oder ein mit Wasser gefüll-tes Glas. In der Strömungslehre kommen geschlossene Systeme nur bei der Hydro- oderAerostatik vor.

Die Systemgrenze eines offenen Systems ist für denTransfer vonMasse offen.Dabei kannim betrachteten System die Masse selbst konstant sein oder sich verändern. In ein Rohrz. B. strömt am Eintritt eine Flüssigkeit konstanter Dichte ein und verlässt es am Austritt.Im betrachteten Abschnitt des Rohres ist dieMasse des Fluids konstant, aber bedingt durchdie Strömung wird Masse in das Rohr hinein und heraus befördert. Beim Entleeren einerGasflasche oder Füllen eines Bassins ändert sich die Masse des betrachteten Systems.

In Abb. 1.2 werden verschiedene Systeme mit ihren Grenzen dargestellt. (a) und (b)zeigen einen Behälter mit konstanter unveränderlicher Flüssigkeitsmasse. Durch Rotationdes Behälters verändert sich der Verlauf der Systemgrenze. (c) und (d) stellen zwei offeneSysteme dar. System (c) ist der Abschnitt eines Rohres, in dem z.B. eine Flüssigkeitmit kon-stanter Dichte strömt. In diesem Fall ist die Masse des Fluids innerhalb der Systemgrenzenkonstant, obwohl die abströmende Masse laufend durch zuströmende ersetzt wird. Sys-

Abb. 1.2 Verschiedene Syste-me, a geschlossenes Systemmitkonstanter Flüssigkeitsmasse,b System a in Rotation versetzt,c offenes System, Rohrleitung,d offenes System, Füllen undLeeren eines Bassins

1

EintrittSystemgrenzeb d

Systemgrenzea c

Eintritt

1 Systemgrenze

Austritt 2

Systemgrenze

Austritt

2

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1.3 Zustandsgrößen 5

tem (d) ist ein offener Behälter, der durch einen Zulauf mit Flüssigkeit gespeist und demFlüssigkeit durch einen Ablauf entnommen wird. Je nach Strömungsbedingungen ist imBehälter die Masse der Flüssigkeit konstant oder veränderlich.

In einem geschlossenen System befindet sich innerhalb der Systemgrenzen stets diesel-be Masse des Fluids. Damit ist das System durch seineMasse ebenfalls definiert. In offenenSystemen ist die Definition der Masse nicht immer möglich und sinnvoll. Der von der Sys-temgrenze eingeschlossene Raum wird Kontrollraum (control volume) genannt.

Durch problemangepasste Festlegung der Systemgrenzen können Analysen einfacherdurchgeführt werden. Dies wird in den nachfolgenden Kapiteln anhand von Beispielendemonstriert.

1.3 Zustandsgrößen

Die Eigenschaften der Fluide werden durch Zustandsgrößen beschrieben. Zustandsgrö-ßen, die massen- bzw. volumenabhängig sind, werden als extensive, jene auf Masseneinheitbezogene als intensive Zustandsgrößen bezeichnet.

1.3.1 Spezifisches Volumen, Druck und Temperatur

Drei Zustandsgrößen sind von besonderer Bedeutung: Das spezifische Volumen, der Druckund die Temperatur, die als thermische Zustandsgrößen bezeichnet werden. In diesemAbschnitt wird auf die Dichte, in Abschn. 1.4 auf den Druck und in Abschn. 1.5 auf dieTemperatur eingegangen.

1.3.1.1 Dichte und spezifisches VolumenBei den hier behandelten Fluiden gilt die Annahme, dass die Stoffe als Kontinua betrachtetwerden dürfen. Damit ist es möglich, von Zustandsgrößen „an einem Punkt“ zu sprechen.Die Dichte (density) an einem Punkt ist definiert durch:

ρ = limΔA→ΔA′

(

ΔmΔV) (1.1)

Dabei ist ΔV′ das kleinste Volumen, für das ein definierter Quotient Δm/ΔV existiert,d. h., ΔV′ enthält eine genügende Anzahl Partikel für ein statistisches Mittel. Somit ist ΔV′

das kleinste Volumen, für das die Substanz noch als Kontinuum betrachtet werden kann.Mathematisch ist die Dichte eine kontinuierliche Funktion des Ortes und der Zeit.

Für eine Phase vereinfacht sich die Definition der Dichte; der durch Gl. 1.1 definierteGrenzübergang ist wegen der Homogenität nicht erforderlich. Eine Phase hat in einemgegebenen Zustand nur eine Dichte. Man kann in diesem Fall direkt schreiben:

ρ =mV

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6 1 Einleitung und Grundlagen

Das spezifische Volumen (specific volume) ist als Kehrwert der Dichte definiert.

v =ρ

(1.2)

Das spezifische Volumen v ist wie die Dichte ρ eine Zustandsgröße mit der Einheitm3/kg.

Dichte und spezifisches Volumen sind Zustandsgrößen der Fluide, die von Temperaturund Druck abhängen. Für ein Fluid existiert eine Funktion:

F(p, T , v) = (1.3)

Die Änderung des spezifischen Volumens infolge Temperatur- oder Druckänderungkann damit angegeben werden als:

dv = (∂v∂T)

p⋅ dT + (

∂v∂p)

T⋅ dp (1.4)

Mit den partiellen Ableitungen werden die auf das spezifische Volumen bezogenen iso-barenWärmedehnungskoeffizienten β0 und isothermen Kompressibilitätskoeffizienten ϰ0 ge-bildet.

β =v⋅ (

∂v∂T)

p(1.5)

κ =v⋅ (

∂v∂p)

T(1.6)

Dabei ist v0 das spezifischeVolumen bei einer Bezugstemperatur T0 und einemBezugs-druck p0. In den meisten Fällen wird der physikalische Normzustand bei der Temperaturvon 0 °C und einemDruck von 1,01325bar als Bezugspunkt gewählt. Es können aber auchandere Bezugspunkte festgelegt werden. Die Wärmedehnungs- und Kompressibilitätsko-effizienten sind wiederum temperatur- und druckabhängig. In vielen Tabellen sind dieseKoeffizienten ohneVorzeichen angegeben. Dann ist zu beachten, dass eine positive Druck-änderung eineAbnahme, die positive Temperaturänderung eine Zunahme des spezifischenVolumens bewirken.

1.3.1.2 Spezifisches Volumen der FlüssigkeitenBei Flüssigkeiten sind der isobare Wärmedehnungskoeffizient und der isotherme Kom-pressibilitätskoeffizient in weiten Bereichen nur geringfügig von der Temperatur und demDruck abhängig. Damit kann das spezifische Volumen als linearer Ansatz aus den Gln. 1.4bis 1.6 bestimmt werden.

v = v ⋅ [ + β ⋅ (T − T) + κ (p − p)] (1.7)

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1.3 Zustandsgrößen 7

Bei kleinen Druckänderungen ist der Einfluss des Druckes bei den meisten Flüssig-keiten vernachlässigbar, berücksichtigen muss man nur die Änderung des spezifischenVolumens mit der Temperatur.

v = v ⋅ [ + β ⋅ (T − T)] (1.8)

Bei genauen Berechnungen sind entsprechende Formeln und Tabellen für die jeweiligeFlüssigkeit zu verwenden (z. B. für Wasser die Wasser-Wasserdampftafel [3]).

1.3.1.3 Spezifisches Volumen der Gase und DämpfeGase und Dämpfe haben ein vom Druck und von der Temperatur stark abhängiges spezi-fisches Volumen. Bei Gasen nehmen ideale Gase eine Sonderstellung ein. Dort wird ange-nommen, dassMoleküle Massenpunkte (Moleküle ohne räumliche Ausdehnung) sind undkeine gegenseitigen Anziehungskräfte ausüben. Für ideale Gase gilt folgende Zustandsglei-chung:

v =R ⋅ Tp

(1.9)

Dabei istR die Gaskonstante des entsprechenden Gases. Viele Gase lassen sich bei nichtallzu großen Drücken mit sehr guter Genauigkeit als ideales Gas behandeln. Bei hohenDrücken und bei Temperaturen, die nahe der Dampfdruckkurve liegen, wird Gl. 1.9 unge-nau. Das Verhalten realer Gase berücksichtigt man durch den Realgasfaktor z, der von derTemperatur und vom Druck abhängig ist.

v =z ⋅ R ⋅ T

p(1.10)

Tabellierte Werte und Diagramme des Realgasfaktors können z. B. aus [1, 2] und [4]entnommen werden.

Die Dichte einiger Fluide sind in den Tabellen A.2, A.5 undA.6 angegeben oder könnenmit dem Programm FMA0101 (siehe Abschn. 1.9) berechnet werden.

Beispiel 1.1: Dichte der LuftBestimmen Sie dieDichte der Luft bei einemDruck von 0,98 bar undder Temperaturvon 20 °C. Die Gaskonstante der Luft beträgt 287,1 J/(kg K).

Lösung

• AnnahmeDie Luft ist ein ideales Gas.

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8 1 Einleitung und Grundlagen

• AnalyseDie Dichte wird mit Gl. 1.10 als Kehrwert des spezifischen Volumens berechnet.

ρ =p

R ⋅ T=

, ⋅ ⋅N ⋅ kg ⋅K, ⋅ J ⋅m

⋅ , ⋅K= ,

kgm

• DiskussionDie Berechnung der Dichte idealer Gase ist sehr einfach. Es ist zu beachten, dassdie richtigen Einheiten verwendet werden, in unserem Fall der Druck also in Pabzw. in N/m2 und die Temperatur als absolute Temperatur in Kelvin.

1.4 Druck

In einem ruhenden Fluid wirkt auf die beliebig orientierte Fläche ΔA die NormalkraftΔFnormal . Der Druck (pressure) ist definiert durch:

p = limΔA→ΔA′

(

ΔFnormal

ΔA)

Dabei hat im Grenzübergang ΔA′ dieselbe Bedeutung wie ΔV′ bei der Definition derDichte. Wenn die Orientierung des Flächenelements ΔA′ im betrachteten Punkt geändertwird, bleibt der Druck derselbe, solange sich das Fluid in Ruhe befindet (hydrostatischerSpannungszustand). Der Druck p kann aber von Ort zu Ort variieren. Beispiel: Abnahmedes Atmosphärendruckes mit der Höhe über Meer.

Bei einem bewegten Fluid wirken auf ein Flächenelement nicht nur der Druck alsNormalspannung (normal stress), sondern im Allgemeinen auch Schubspannungen (she-ar stresses). Die Beträge dieser Spannungen verändern sich mit der Orientierung desFlächenelements.

Die Einheit des Druckes ist N/m2 oder Pascal Pa. In der Technik wird immer noch dieEinheit bar verwendet. Andere noch gebräuchliche Einheiten sind Torr =mmHg (Milli-meter Quecksilbersäule),mmWS (Millimeter Wassersäule) oder physikalische Atmosphäreatm. Die früher übliche Einheit Atmosphäre at sollte nicht mehr verwendet werden. Inden USA werden die Einheiten psi (pound per square inch), psf (pound per square foot),in.Hg (inch mercury column) oder in.WG (inch watergauge) verwendet. In Tab. 1.2 sindUmrechnungsfaktoren für die Druckeinheiten angegeben.

Drücke sind hier stets als Absolutdrücke zu verstehen und als solche auch in Zustands-gleichungen zu verwenden, es sei denn, es wird explizit auf eine andere Festlegung hin-gewiesen. Gewisse Druckmessgeräte zeigen die Differenz zwischen dem absoluten Druck

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1.5 Temperatur 9

Tab. 1.2 Umrechnung der Druckeinheiten

1 bar 105 Pa 750,06 Torr 10.197,2mmWS1 atm 1,01325 ⋅ 105 Pa 760 Torr 10.332,3mmWS1 at 0,980665 ⋅ 105 Pa 735,56 Torr 10.000,0mmWS1mmWS 9,80665 Pa 0,073556 Torr –1 psi 6894,74 Pa 51,7148 Torr 703,068mmWS1psf 47,8802 Pa 0,35913 Torr 48,824mmWSin. Hg 3386,39 Pa 25,4 Torr 345,316mmWSin. WG 249,09 Pa 1,86832 Torr 25,4mmWS

Abb. 1.3 Beziehungenzwischen Absolutdruck, At-mosphärendruck, Überdruckund Unterdruck [1]

absolut

Unterdruck

p

atm absolut

absolut

p

p

p

Überdruckp

atm absolut

Druck unter Atmosphärendruckpabsolut

p = 0

Druck über Atmosphärendruck

Atmosphärendruckp

absolutp

und Atmosphärendruck an. Man unterscheidet:

Überdruck (gage pressure) pÜberdruck = pabsolut − patm absolut

Unterdruck (vacuum pressure) pUnterdruck = patm absolut − pabsolut

Diese Beziehungen sind in Abb. 1.3 dargestellt.

1.5 Temperatur

Bei der Behandlung strömungstechnischer Probleme ist die Temperatur nur für die Be-stimmung der Stoffwerte und Zustände notwendig. Sie ist eine von der Masse des Stoffsunabhängige intensive Zustandsgröße. Die Temperaturen werden hier entweder in GradCelsius °C (degree C) oder in Kelvin K angegeben. Die Temperaturen der empirischenCelsiusskala werden mit dem Symbol ϑ, die Absoluttemperaturen mit dem Symbol T be-zeichnet.

Es istwichtig, die richtigenTemperatureinheiten zu verwenden. Bei idealenGasenmussz. B. zur Bestimmung des spezifischen Volumens nach Gl. 1.9 die absolute Temperatur ein-gesetzt werden.

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10 1 Einleitung und Grundlagen

1.6 Viskosität

Wird ein Körper in einem Fluid oder ein Fluid in einem geschlossenenKanal bewegt, mussfür diese Bewegung eine Kraft aufgebracht werden, die den Reibungswiderstand überwin-det. Geht die Geschwindigkeit gegen null, verschwindet auch die Kraft. Die Reibung wirddurch die Bewegung der Fluidschichten zueinander und durch Reibung an der Oberflächedes Körpers oder an der Kanalwand, also im Inneren des Fluids, verursacht. Wird ein Kör-per in einem ruhenden Fluid bewegt, hat das Fluid direkt an derOberfläche des Körpers diegleiche Geschwindigkeit wie der Körper. Von dort ausgehend nimmt die Geschwindigkeitzunehmendmit der Entfernung auf null ab. Die Fluidschichten in derNähe des Körpers ha-ben unterschiedliche Geschwindigkeiten. Bei der Strömung eines Fluids durch ein Rohr istdie Geschwindigkeit an der Rohrwand gleich null, zur Rohrmitte hin nimmt sie zu. In bei-den Fällen haben verschiedene Schichten des Fluids unterschiedliche Geschwindigkeitenund verschieben sich dadurch. Bei diesem Vorgang entstehen tangentiale Reibungsspan-nungen. Die Größe dieser Reibungsspannungen hängt von der Verschiebungsgeschwin-digkeit und vom verwendeten Fluid ab. Die Stoffeigenschaft, die die Reibungsspannungbeeinflusst, ist dieViskosität. In der technischen Strömungslehre werden zur Beschreibungder Reibungsvorgänge die dynamische Viskosität η und kinematische Viskosität ν verwen-det.

Je nach Fließverhalten teilt man Fluide in Newton’sche und nicht Newton’sche Fluideauf. Bei Newton’schen Fluiden ist die Viskosität des Fluids unabhängig von der Geschwin-digkeit.

Die Messung der Viskosität wird Viskosimetrie, die Beschreibung des FließverhaltensRheologie genannt.

1.6.1 ViskositätNewton’scher Fluide

Newton’sche Fluide zeichnen sich dadurch aus, dass die Viskosität von der Geschwindig-keit unabhängig ist und dass das Fluid bei der kleinsten auf es wirkenden tangentialenKraft zu fließen beginnt. Dieses kann man am Beispiel eines Fluids demonstrieren, dassich zwischen einer ebenen Platte und einem dazu parallel verlaufenden und beweglichenBand befindet (Abb. 1.4). Der Abstand der Platte zum Band ist s, die Fläche des Bandes, diedas Fluid berührt, A. Die Platte ist fest, d. h., sie kann nicht bewegt werden. Übt man aufdas Band eine tangentiale Kraft F aus, wird es sich gegenüber der Platte nach einiger Zeitmit konstanter Geschwindigkeit c bewegen. Zwischen Platte und Band entsteht ein linearesGeschwindigkeitsprofil. Nach Newton verhält sich die Tangentialkraft F proportional zurGeschwindigkeit c und Fläche A, umgekehrt proportional zum Abstand s.

F ∼ c ⋅ A/s (1.11)

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1.6 Viskosität 11

Abb. 1.4 Fluidschicht zwi-schen bewegtem Band undruhender Platte

ortsfeste Platte

x

x

yc (y)

c

Fluid

Band

F

Der Proportionalitätsfaktorwird vomverwendeten Fluid unddessenZustand bestimmtund dynamische Viskosität η genannt.

F = η ⋅ A ⋅cs

(1.12)

Die pro Flächeneinheit wirkende Tangentialkraft wird als Schubspannung τ bezeichnet.Mit ihr kann derNewton’sche Schubspannungsansatz unabhängig von derGröße der FlächeA angegeben werden:

τ = η ⋅cs

(1.13)

Die für die gesamte Strömung zwischen der Platte und dem Band formulierte Aussagegilt auch für einen differentiellen kleinen Bereich im Strömungsraum. An Stelle des Quo-tienten aus der Geschwindigkeit c und dem Plattenabstand s tritt nun die Ableitung derGeschwindigkeit in der x-Richtung nach dem Weg in y-Richtung. Damit wird die Schub-spannung:

τx y = −η ⋅dcxdy

(1.14)

Gleichung 1.14 gilt natürlich für alle Geschwindigkeits- und Schubspannungskompo-nenten.

DieEinheit der dynamischenViskosität istPa ⋅ s oder kg/(m ⋅ s). Die früher üblichen Ein-heiten Poise (P) oder Centipoise (cP) sind seit Einführung der SI-Einheiten vom 1.1.1978nicht mehr zulässig.

Die kinematische Viskosität ν wird nachMaxwell als Quotient aus dynamischer Visko-sität η und Dichte ρ definiert.

ν =ηρ

(1.15)

Die Einheit der kinematischen Viskosität istm2/s. Die früher gebrauchte Einheit Stokesist seit Einführung der SI-Einheiten nicht mehr erlaubt.

Die Viskositäten einiger Fluide sind im Anhang A.2, A.5 und A.7 bis A.10 angegebenoder können mit dem Programm FMA0101 berechnet werden.

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12 1 Einleitung und Grundlagen

Bei Newton’schen Fluiden ist die Schubspannung in Richtung der Geschwindigkeits-komponenten proportional zum senkrechten Gradienten der Geschwindigkeit. Der Pro-portionalitätsfaktor ist die dynamische Viskosität. Sie ist abhängig von der Temperatur undvom Druck.

Bei Flüssigkeiten und Gasen ist die Temperaturabhängigkeit der dynamischen Viskosi-tät unterschiedlich. Bei Flüssigkeiten nimmt sie wegenAbnahme der zwischenmolekularenAdhäsionskräfte mit zunehmender Temperatur ab. Bei Gasen dagegen steigt sie wegenzunehmenderGeschwindigkeit derMoleküle unddemdamit verbundenen verstärkten Im-pulsaustausch bei Zunahme der Temperatur an. Die Druckabhängigkeit der dynamischenViskosität macht sich erst bei hohen Drücken bemerkbar. Ihre starke Temperaturabhän-gigkeit verursacht in der Regel auch eine verstärkte Druckabhängigkeit. Bei Gasen ist dieDichte beinahe proportional zumDruck und die kinematische Viskosität ändert sich somitentsprechend.

Beispiel 1.2: Bestimmung der Viskosität eines Fluids aus der GleitgeschwindigkeitAuf einer schiefen Ebene mit der Neigung von 20° gleitet eine quadratische Stahl-platte mit einer Kantenlänge von 0,4m auf einem Ölfilm mit der Geschwindigkeitvon c= 0,1m/s herunter. Die Dicke des Ölfilms ist 1mm. Die Platte wiegt 1,28 kg.Bestimmen Sie die dynamische Viskosität des Öls.

Lösung

• Schema

400 mm

20°

C

1 mm

• Annahmen– Der Newton’sche Schubspannungsansatz ist gültig.– Effekte am Rand der Platte können vernachlässigt werden.

• AnalyseDie Gl. 1.13 umgeformt, ergibt:

η =τ ⋅ sc

Die Schubspannung τ ist die Komponente der Gewichtskraft parallel zur schiefenEbene, geteilt durch die Fläche der Platte.

τ =m ⋅ g ⋅ sin α

a=

, ⋅ kg ⋅ , ⋅m/s ⋅ sin(○), ⋅m = ,

Nm

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1.6 Viskosität 13

Damit ist die dynamische Viskosität:

η =τ ⋅ sc=

, ⋅N/m⋅ , ⋅m

, ⋅m/s= ,

km ⋅ s

• DiskussionAus dem Gleitverhalten einer Masse bei bekannter Kraft kann die Viskositätunter Vernachlässigung von Randeffekten und unter der Annahme des New-ton’schen Schubspannungsansatzes einfach bestimmt werden. In Viskosimeternwerden Sinkgeschwindigkeiten von Körpern zur Bestimmung der Viskositätverwendet.

1.6.2 Fließverhalten nicht Newton’scher Fluide

Fluide, deren Fließverhalten nichtmit demNewton’schen Schubspannungsansatz beschrie-ben werden können, sind nicht Newton’sche Fluide. Diese fangen erst nach Anwendungeiner bestimmten großen Kraft an zu fließen und/oder die Viskosität des Fluids verändertsich mit den Geschwindigkeitsgradienten. Gase sind immer Newton’sche Fluide. Bei Flüs-sigkeiten wird nach drei Klassen nicht Newton’scher Fluide unterschieden (DIN 13342):

• Nicht linear-reinviskose Flüssigkeiten fangen zwar bei kleinster einwirkender Kraft an zufließen, aber die Viskosität der Flüssigkeit verändert sich mit der Schubspannung bzw.dem Geschwindigkeitsgradienten.

• Linear-viskoelastische Flüssigkeiten verhalten sich bei kleinen Schubspannungen wieelastische Körper und fangen erst beim Erreichen einer bestimmten Schubspannung(Fließgrenze) an zu fließen. Nach Erreichen der Fließgrenze bleibt die Viskosität derFlüssigkeit konstant. Diese Flüssigkeiten werden Bingham-Körper genannt.

• Nicht linear-viskoelastische Flüssigkeiten verhalten sich bei kleinen Schubspannungenwie elastischeKörper und fangen erst beim Erreichen einer bestimmten Schubspannung(Fließgrenze) an zu fließen. Nach Erreichen der Fließgrenze verändert sich die Viskositätder Flüssigkeit mit der Schubspannung bzw. mit dem Geschwindigkeitsgradienten.

Beim Abweichen vom Newton’schen Fließverhalten spricht man von Fließanomalien.ZumVergleich ist inAbb. 1.5 das Fließverhalten von Flüssigkeiten zuNewton’schen Fluidendargestellt.

Page 14: Fluidmechanik || Einleitung und Grundlagen

14 1 Einleitung und Grundlagen

Abb. 1.5 Fließverhalten vonFlüssigkeiten

Geschwindigkeitsgradient

Bingham-Körper

Newton'sches Fluidnicht lin

ear reinviskose Flüssigkeit

nicht

linea

r visk

oelas

tisch

e Flüs

sigke

it

Sch

ubsp

annu

ng

1.7 Oberflächenspannung

In einer ruhenden, homogenen Flüssigkeit ziehen sich benachbarte Teilchen mit gleichstarker Anziehungskraft (Kohäsionskraft) an. Diese Kräfte halten sich im Gleichgewichtund zeigen nach außen keine Wirkung. Flüssigkeitsteilchen, die an der Grenzfläche miteinem anderen Fluid oder Festkörper in Kontakt sind, erfahren unterschiedlich große An-ziehungskräfte. Dies wird besonders an der Grenzfläche zwischen einer Flüssigkeit undeinemGas deutlich. Die sich an derGrenzfläche der Flüssigkeit befindendenMoleküle wer-den von jenen im Inneren angezogen, die Gasmoleküle üben dagegen fast keine Kraft aus.Wirkt keine andere Kraft auf die Flüssigkeit, versuchen diese nach innen gerichteten Kräfte(Kohäsionskräfte) die Oberfläche möglichst klein zu halten. Die kleinste Oberfläche wirddurch eine Kugel realisiert. Dies kann an Tropfen- oder Blasenbildung sehr schön beob-achtet werden. Die Spannung an der Oberfläche, verursacht durch nach innen wirkendeKräfte, wird Oberflächenspannung genannt.

Sie ist klein und nimmt mit steigender Temperatur der Flüssigkeit ab. Minimalste Ver-unreinigungen der Flüssigkeit können eine sehr starke Veränderung der Oberflächenspan-nung verursachen.

Die Oberflächenspannung σ lässt sich am Beispiel einer gespannten Flüssigkeitshauteinfach herleiten. Aus Erfahrung ist bekannt, dass an einem kleinen Ring, der ins Wassereingetaucht und dann vorsichtig herausgezogen wird, eine dünneWasserhaut entsteht. ZurMessung der Oberflächenspannung kann nun ein U-förmiger Drahtbügel (Abb. 1.6), andessen beiden Schenkeln ein beweglicher Draht angebracht ist, verwendet werden. Wirdder Bügel in Flüssigkeit getaucht, entsteht beim Herausnehmen ein Flüssigkeitsfilm. Übtman die Kraft F auf den beweglichen Draht aus, dehnt sich der Film um die Länge ds. Der

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1.7 Oberflächenspannung 15

Abb. 1.6 Oberflächenspan-nung eines Flüssigkeitsfilms

F

b

ds

s

Abstand der Schenkel beträgt b. Die Arbeit, die zur Vergrößerung der Oberfläche benötigtwird, ist:

dW = σ ⋅ dO = σ ⋅ ⋅ b ⋅ ds = F ⋅ ds (1.16)

Da wir auf beiden Seiten des Flüssigkeitsfilms eine Oberfläche haben, muss das entspre-chend berücksichtigt werden. Für die Oberflächenspannung ergibt das:

σ =dWdO=

F ⋅ b

(1.17)

Die Einheit der Oberflächenspannung ist N/m.Wie schon erwähnt, ist die Oberflächenspannung an der Grenze zwischen Flüssigkei-

ten und Gasen besonders ausgeprägt. Bei nicht allzu hohenDrücken hat das Gas nur einenvernachlässigbaren Einfluss auf die Oberflächenspannung. Bei sehr hohen Drücken befin-den sich beinahe so viele Gas- wie Flüssigkeitsmoleküle pro Volumeneinheit und das Gasbeeinflusst dadurch auch die Oberflächenspannung. Sie ist am kritischen Punkt zwischenFlüssigkeit und Dampf gleich null. In Tab. 1.3 sind die Oberflächenspannungen einigerFlüssigkeiten aufgelistet.

1.7.1 Haftspannungen

An den Berührungsstellen der Fluide mit festen Wänden entstehen Haftspannungen, anjenen nicht mischbarer Fluide Grenzflächenspannungen. Abhängig von der Größe dieserSpannungen bilden sich verschiedene Formen der Oberfläche.

An den Grenzflächen treten folgende Oberflächenspannungen auf:

σ12 Oberflächenspannung zwischen Flüssigkeit und Gasσ13 Oberflächenspannung zwischen Gas und Wandσ23 Oberflächenspannung zwischen Flüssigkeit und Wand.

Page 16: Fluidmechanik || Einleitung und Grundlagen

16 1 Einleitung und Grundlagen

Tab. 1.3 Oberflächenspannung einiger Flüssigkeiten

Flüssigkeit Oberflächenspannung σ Temperatur ϑN/m °C

Wasser

0,0728 200,0679 500,0588 1000,0378 2000,0144 300

Alkohol 0,0280 20Speiseöl 0,025 bis 0,03 20Quecksilber 0,4700 bis 0,4900 20Ammoniak 0,0420 –29Blei 0,4420 350

sa12

23s

Flüssigkeit

Gas

13s

s23

aFlüssigkeit

s13

s12Gas

Abb. 1.7 Bildung des Benetzungswinkels

Abbildung 1.7 zeigt verschiedene Formen der Benetzung. Die Flüssigkeitsoberflächebildet mit der festen Wand einen Winkel α, der Benetzungswinkel(Randwinkel, Kontakt-winkel) genannt wird. Am Berührungspunkt herrscht das folgende Spannungsgleichge-wicht:

σ − σ = σ ⋅ cos α (1.18)

Damit ist der Winkel α:cos α =

σ − σσ

(1.19)

Nach der Größe des Benetzungswinkels kann zwischen zwei Bereichen unterschiedenwerden: Steigt die Flüssigkeit an den Randzonen an, spricht man von einem benetzenden(hydrophilen) Verhalten. In diesem Fall ist σ13 > σ23, der Benetzungswinkel ist kleiner als90°. Sinkt die Flüssigkeit an den Randzonen, besteht ein nicht benetzendes (hydrophobes)Verhalten. In diesem Fall ist σ13 < σ23, der Benetzungswinkel ist größer als 90°.

Page 17: Fluidmechanik || Einleitung und Grundlagen

1.8 Kapillardruck 17

a

a

Quecksilber Wasser Petroleum

Abb. 1.8 Tropfenbildung auf einer sauberen Glasplatte

Tab. 1.4 Oberflächenspannung und Benetzungswinkel

Flüssigkeit Festkörper Oberflächenspannung Benetzungswinkelin N/m in Grad

WasserGlas < 0,073 ~ 8Graphit 0,005 86Kupfer > 0,073 ~ 0

QuecksilberGlas 0,350 135 bis 140Stahl 0,430 154

Die Differenz der Spannungen σ13 und σ23 heißt Haftspannung.Wird sie größer als dieOberflächenspannung σ12, entsteht ein Benetzungswinkel von α= 0°, die ganzeOberflächewird benetzt. Bei diesen Betrachtungen ist der Einfluss der Schwerkraft, die auch bei derAusbildung der Oberfläche eine Rolle spielt, unberücksichtigt. Eine senkrechte Wand kannvon einer Flüssigkeit nicht beliebig hoch benetzt werden.

Die Grenzflächenspannungen bestimmen Form und Art der Bildung von Tröpfchenund Blasen. Abbildung 1.8 zeigt die Tropfenbildung einiger Flüssigkeiten auf einer sau-beren Glasplatte. Quecksilber bildet einen ovalen Tropfen mit einem Benetzungswinkelvon ca. 140°, Wasser einen halblinsenförmigen mit dem Benetzungswinkel von ca. 8°, Pe-troleum benetzt die gesamte Platte bei einem Winkel von 0°. In Tab. 1.4 sind die Ober-flächenspannungen und die Benetzungswinkel von Wasser und Quecksilber zu einigenFestkörpern angegeben.

1.8 Kapillardruck

An ebenen Grenzflächen treten keine senkrecht auf die Oberfläche wirkenden Oberflä-chenkräfte auf, weil die Oberflächenspannungen auf einer Ebene liegen. Bei gekrümmtenGrenzflächen, z. B. am Gefäßrand oder bei Blasen und Tropfen, tritt eine senkrecht zurOberfläche wirkendeNormalkomponente auf, die eineDruckkraft auf die Grenzfläche aus-übt. Diese Druckkraft wird Grenzflächen- oder Kapillardruck genannt.

AmBeispiel einer Gasblase in einer Flüssigkeit kann dieser Druck sehr einfach verdeut-licht werden. Der Druck in der Blase ist pg , der Druck in der Flüssigkeit pl. Die Oberflä-chenspannung versucht, die Blase zusammenzuziehen (Abb. 1.9). Gegen diese Kraft wirkt

Page 18: Fluidmechanik || Einleitung und Grundlagen

18 1 Einleitung und Grundlagen

Abb. 1.9 Grenzflächendruck Flüssigkeit

Gas

s pl

pg

s

R

der Druck in der Blase. Die von der Oberflächenspannung erzeugte Kraft auf die Oberflä-che ist FO:

FO = ⋅ σ ⋅ π ⋅ R (1.20)

Durch den Druckunterschied wirkt die Kraft Fp entgegen der Oberflächenkraft.

Fp = π ⋅ R⋅ (pg − pl) = π ⋅ R

⋅ Δp (1.21)

Beide Kräfte sind im Gleichgewicht. Damit erhält man für die Druckdifferenz:

Δp = ⋅ σR

(1.22)

Der Druck in der Blase ist größer als der Druck in der Flüssigkeit. Das Gleiche giltauch für Tropfen. Bei Blasen, die aus einem Flüssigkeitsfilm bestehen und innen und au-ßen von einemGas umgeben sind (Seifenblase), sind zwei Oberflächen vorhanden, so dassdie Oberflächenkraft innen und außen berücksichtigt werden muss. Ist die Filmdicke sehrviel kleiner als der Blasendurchmesser, kann die Kraft einfach verdoppelt werden undmanerhält für die Druckdifferenz:

Δp = ⋅ σR

(1.23)

Ist die erwähnte Bedingung nicht erfüllt und sind die Gase im Inneren und Äußerender Blase nicht gleich, müssen zusätzlich der Unterschied im Blasendurchmesser innenund außen sowie die unterschiedliche Oberflächenspannung berücksichtigt werden.

1.8.1 Kapillarität

Wird ein enges Röhrchen (Abb. 1.10) in eine Flüssigkeit getaucht, ist bei benetzenden Flüs-sigkeiten (z. B. Wasser gegenüber Glas) ein Ansteigen und bei nicht benetzenden Flüssig-

Page 19: Fluidmechanik || Einleitung und Grundlagen

1.8 Kapillardruck 19

Abb. 1.10 Kapillaraszensionund Kapillardepression

m

R

mz

ad

z

d

keiten (z. B. Quecksilber gegenüber Glas) ein Absinken des Flüssigkeitsmeniskus im Röhr-chen gegenüber dem Flüssigkeitsniveau der freien Oberfläche zu beobachten. Das Anstei-gen desMeniskuswird alsKapillaraszension, die Absenkung alsKapillardepressionbezeich-net. Die mittlere Anhebung bzw. Absenkung zm lässt sich aus dem Kapillardruck herleiten.Der Meniskus der Flüssigkeitssäule mit dem Krümmungsradius R hat einen der Gl. 1.22entsprechenden Kapillardruck.

Dieser Druck erzeugt bei benetzenden Flüssigkeiten eine nach oben, bei nicht benet-zenden Flüssigkeiten eine nach unten gerichtete Kraft. Der Radius der Krümmung ist:

R =d

⋅ cos α(1.24)

Damit erhält man für den Kapillardruck:

ΔpK = ⋅ σR=

⋅ σ ⋅ cos αd

(1.25)

Die nach oben oder unten gerichtete Druckkraft ist:

Fp =π⋅ d⋅ ΔpK = σ ⋅ π ⋅ d ⋅ cos α (1.26)

DieGewichtskraft der Flüssigkeitssäule, vermindert umdieAuftriebskraft derGassäule,ist im Gleichgewicht mit der Druckkraft.

FG =π⋅ d⋅ g ⋅ zm ⋅ (ρl − ρg) (1.27)

Die Anhebung oder Absenkung des Meniskus ist damit:

zm =σ ⋅ ⋅ cos α

d ⋅ g ⋅ (ρl − ρg)(1.28)

Nimmtman an, dass derMeniskus die Form einer Halbkugel hat und vernachlässigt dieGasdichte, erhält man eine vereinfachte Gleichung:

zm =σ ⋅ d ⋅ g ⋅ ρl

(1.29)

Page 20: Fluidmechanik || Einleitung und Grundlagen

20 1 Einleitung und Grundlagen

Das Diagramm in Abb. 1.11 zeigt die Höhe der Absenkung bzw. Anhebung für Was-ser, Alkohol und Quecksilber in Abhängigkeit des Innendurchmessers eines eingetauchtenGlasrohres.

Für nicht kreisförmige Querschnitte sind Anhebung und Absenkung nicht über derganzen Wand gleich. Bei zwei parallelen Platten z. B. ist wegen der fehlenden seitlichenWände die Anhebung und Absenkung um den Faktor 2 geringer.

Beispiel 1.3: Ablesegenauigkeit eines QuecksilberbarometersEin Quecksilberbarometer besteht aus einemGlasreservoir mit 50mm Innendurch-messer und einem Glasrohr, das 5mm Innendurchmesser aufweist. Die Quecksil-bersäule hat die Höhe von 756mm.

Bestimmen Sie die Depressionshöhe.Lösung

• Schema75

6 m

m

• Annahmen– Gleichung Einfügeposition für Formelverweis kann angewendet werden.– Die Depressionshöhe im Behälter ist vernachlässigbar.

• AnalyseNach Tab. 1.3 ist die Oberflächenspannung 0,48N/m. Die Depressionshöhe imRohr beträgt nach Gl. 1.28:

zm =σ ⋅ ⋅ cos αd ⋅ g ⋅ ρl

=

⋅ cos(○) ⋅ , ⋅N/m, ⋅m ⋅ , ⋅m/s ⋅ . ⋅ kg/m = −,mm

Page 21: Fluidmechanik || Einleitung und Grundlagen

1.9 Problemlösungsmethodik 21

Abb. 1.11 KapillareAszensions- und Depressi-onshöhe einiger Flüssigkeitenin einem Rohr

Quecksilber

Innendurchmesser in mm

Alkohol

Anh

ebun

g/A

bsen

kung

in m

m

0

-10

1

0

32 4

10

20

30

Wasser

65 7 8 109

• DiskussionBei kleinen Innenrohrdurchmessern ist die kapillare Depression oder Aszensionnicht vernachlässigbar.

1.9 Problemlösungsmethodik

Zur Lösung strömungstechnischer Probleme (übernommen aus [1]) sind meistens, direktoder indirekt, folgende Grundgesetze erforderlich:

Massenerhaltungssatz (conservation of mass principle)Energieerhaltungssatz,erster Hauptsatz derThermodynamik

(conservation of energy principle,first law of thermodynamics)

Zweiter Hauptsatz derThermodynamik (second law of thermodynamics)Zweites Newton’sches Gesetz (Newton’s second law of motion)Impulssatz (momentum equation)Drallsatz (bei Strömungsmaschinen) (moment of momentum equation)Ähnlichkeitsgesetze (similarity laws)Reibungsgesetze (laws of friction)

Für den Ingenieur in der Praxis geht es neben der Beherrschung der Grundlagen auchum die Frage der Methodik (methodology), wie diese Grundlagen und insbesondere dieoben genanntenGrundgesetze bei konkreten Problemstellungen angewendetwerden. Es istwichtig, dass man sich eine systematische Arbeitsweise aneignet. Diese besteht imWesent-lichen stets aus den nachfolgend angegebenen 6 Schritten, die sich in der Praxis bewährthaben und deshalb sehr empfohlen werden.

Page 22: Fluidmechanik || Einleitung und Grundlagen

22 1 Einleitung und Grundlagen

1. Was ist gegeben? Analysieren Sie, was von der Problemstellung bekannt ist. Legen Siealle Größen, die gegeben oder für weitere Überlegungen notwendig sind, fest.

2. Was wird gesucht? Zusammen mit Schritt 1 überlegen Sie, welche Größen zu bestim-men und welche Fragen zu beantworten sind.

3.Wie ist das System definiert? Zeichnen Sie das System in Form eines Schemas auf undentscheiden Sie, welche Systemgrenze für die Analyse geeignet ist.

• Systemgrenze(n) klar festlegen!Identifizieren Sie dieWechselwirkungen zwischen Systemen und Umgebung.Stellen Sie fest, welche Zustandsänderungen oder Prozesse das System durchlaufen bzw.in ihm ablaufen.

• Erstellen Sie klare Systemschemata und Zustandsdiagramme!

4. Annahmen Überlegen Sie, wie das System möglichst einfach modelliertwerden kann;machen Sie vereinfachende Annahmen (simplifying assumptions). Stellen Sie Randbedin-gungen und Voraussetzungen fest.

Überlegen Sie, ob Idealisierungen zulässig sind: z. B. ideales Gas statt reales Gas, voll-ständige Wärmeisolierung statt Wärmeverluste und reibungsfrei statt reibungsbehaftet.

5. Analyse Beschaffen Sie die erforderlichen Stoffdaten. Die Stoffwerte finden Sie imAnhang. Falls dort nicht vorhanden, muss in der Literatur gesucht werden (z. B. VDI-Wärmeatlas [4]).

Unter Berücksichtigung der Idealisierungen und Vereinfachungen formulieren Sie dieBilanz- und kinetischen Kopplungsgleichungen.

Empfehlung: Arbeiten Sie so lange wie möglich mit funktionalen Größen, bevor SieZahlenwerte einführen.

Prüfen Sie die Beziehungen und Daten aufDimensionsrichtigkeit, bevor Sie numerischeBerechnungen durchführen.

Prüfen Sie die Ergebnisse auf größenordnungs- und vorzeichenmäßige Richtigkeit.

6. Diskussion Diskutieren Sie die Resultate/Schlüsselaspekte, halten Sie Hauptergebnisseund Zusammenhänge fest.

Von besonderer Bedeutung sind die Schritte 3 und 4. Schritt 3 trägt grundlegend zurKlarheit des Vorgehens insgesamt bei, Schritt 4 legt weitgehend die Qualität und den Gül-tigkeitsbereich der Ergebnisse fest.

Die Lösung der behandelten MusterBeispiele erfolgt nach obiger Methodik. Die Auf-gabenstellungen sind jeweils derart formuliert, dass die Punkte 1 und 2 eindeutig gegebensind und daher sofort mit Punkt 3 begonnen werden kann.

Page 23: Fluidmechanik || Einleitung und Grundlagen

Literatur 23

1.10 Benutzung der Programme

ZumBuch gibt es inMathcad2001 erstellte Programme. Sie können im Internet unter www.waermeuebertragung-online.de abgerufen werden.

Die Programme sind in zwei Gruppen aufgeteilt:

• In Übungsbeispielen aus dem Buch. Sie sind pro Kapitel in einem Block zusammenge-fasst und unter denNamen FMB01 bis FMB12 abrufbar. Die Zahl bedeutet die Nummerdes Kapitels.

• In Programmen, die als Arbeitsmittel zum Berechnen von Problemen wie z. B. Stoff-werte, Widerstandszahlen, Druckverluste etc. verwendet werden können. Sie sind unterFMAnnnn abrufbar. nnnn ist die laufende Nummer des Programms. Im Anhang desBuches finden Sie eine Liste mit den Titeln der vorhandenen Programme.

Literatur

[1] Böckh P von, Cizmar J., SchlachterW (1999) Grundlagen der technischenThermodynamik, Bil-dung Sauerländer Aarau, Bern, Fortis FH, Mainz, Köln, Wien[2] Bohl W (1991) Technische Strömungslehre, 9. Auflage, Vogel Verlag, Würzburg[3] Wagner W und Kruse A (1998) Zustandsgrößen von Wasser und Wasserdampf, IAPWS-IF97,Springer Verlag, Berlin[4] VDI-Wärmeatlas (2002) 9. Auflage, VDI Verlag, Berlin, Heidelberg, New York[5] Tuckenbrodt E (1989) Fluidmechanik, Band 1, 3. Auflage, Springer Verlag, Berlin[6] Pàlffy S (1977) Fluidmechanik I, Birkhäuser Verlag, Basel und Stuttgart[7] Roberson J A, Crowe C T (1997) Engineering Fluid Mechanics, 6. Edition, John Wiley & Sons,Inc., New York[8] Fox RW, McDonald A T (1994) Introduction to Fluid Mechanics, 4. Edition, John Wiley & Sons,Inc., New York[9] Böswirth L (1993) Technische Strömungslehre. Vieweg & Sohn, Braunschweig[10] KSB Kreiselpumpenlexikon (1989) 3. Auflage