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1 Folk Theory of mind: Conceptual Foundations of Human Social Cognition Bertram F. Malle Zusammengefasst und ergänzt von: Stella Damskis ( 0509840), Anna Metzler (0501926), Julia Slaje (0509421) Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der so genannten “Theory of mind”. Baron-Cohen beschreibt diese Fähigkeit folgendermaßen:”[…] that we have the capacity to imagine or represent states of mind that we or others might hold.” (Baron-Cohen, 1995, p.2) Die Fähigkeit zu repräsentieren, begrifflich zu denken und über mentale Zustände nachzudenken ist eine der größten Leistungen der menschlichen Evolution. Das Verständnis der Funktionsweise des Geistes ist Grundvoraussetzung für eine Reihe wichtiger Kompetenzen. Beispiele hierfür wären der Spracherwerb, die strategische soziale Interaktion, das reflexive Denken oder die moralische Entwicklung (Malle, 2005). Was waren die Anfänge der Forschung bezüglich Repräsentationen mentaler Zustände? Erste Studien wurden durch die Hypothese ausgelöst, dass auch Affen eine „Theory of mind“ besäßen (Malle, 2005). „Does the chimpanzee have a theory of mind?” Premack und Woodruff (1978) beschreiben in ihrem Artikel verschiedene Tests, die sie mit der Schimpansin Sarah durchgeführt haben. Sarah wurden Szenen auf Video gezeigt, in denen ein menschlicher Schauspieler mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert war. Die Autoren testeten mehrere Bedingungen. Wichtig ist zu erwähnen, dass es einen Durchgang mit einfachen Problemen gab, und einen Durchgang mit komplexen Problemen. In dem Durchgang mit einfachen Problemstellungen wurden 4 Videos vorgezeigt. Im ersten hing die Banane zu weit oben, so dass der Schauspieler sie

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Folk Theory of mind: Conceptual Foundations of

Human Social Cognition

Bertram F. Malle

Zusammengefasst und ergänzt von:

Stella Damskis ( 0509840), Anna Metzler (0501926), Julia Slaje (0509421)

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der so genannten “Theory of mind”. Baron-Cohen

beschreibt diese Fähigkeit folgendermaßen:”[…] that we have the capacity to imagine

or represent states of mind that we or others might hold.” (Baron-Cohen, 1995, p.2)

Die Fähigkeit zu repräsentieren, begrifflich zu denken und über mentale Zustände

nachzudenken ist eine der größten Leistungen der menschlichen Evolution. Das

Verständnis der Funktionsweise des Geistes ist Grundvoraussetzung für eine Reihe

wichtiger Kompetenzen. Beispiele hierfür wären der Spracherwerb, die strategische

soziale Interaktion, das reflexive Denken oder die moralische Entwicklung (Malle,

2005).

Was waren die Anfänge der Forschung bezüglich Repräsentationen mentaler Zustände?

Erste Studien wurden durch die Hypothese ausgelöst, dass auch Affen eine „Theory of

mind“ besäßen (Malle, 2005).

„Does the chimpanzee have a theory of mind?”

Premack und Woodruff (1978) beschreiben in ihrem Artikel verschiedene Tests, die sie

mit der Schimpansin Sarah durchgeführt haben. Sarah wurden Szenen auf Video

gezeigt, in denen ein menschlicher Schauspieler mit unterschiedlichen Problemen

konfrontiert war. Die Autoren testeten mehrere Bedingungen. Wichtig ist zu erwähnen,

dass es einen Durchgang mit einfachen Problemen gab, und einen Durchgang mit

komplexen Problemen. In dem Durchgang mit einfachen Problemstellungen wurden 4

Videos vorgezeigt. Im ersten hing die Banane zu weit oben, so dass der Schauspieler sie

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nicht erreichen konnte. Das zweite Video zeigte, dass die Banane außerhalb des Käfigs

lag und so unerreichbar war. Die nächste Problemstellung war wiederum eine Banane

außerhalb des Käfigs, doch diesmal verhinderte eine Box zwischen dem Schauspieler

und der Banane den Zugang. Und schließlich war in der vierten Version diese Box auch

noch mit Zementblöcken beladen. Die komplexen Problemstellungen waren

schwieriger. Die Autoren nutzten folgende Szenarien: 1.: Der Schauspieler versuchte

aus dem Käfig zu entkommen, doch dieser war verschlossen. 2.: Ein Ofen, der im Käfig

stand, war nicht funktionsbereit. Der Schauspieler deutete dabei an, dass er fror. 3.: Der

Darsteller versuchte einen Phonographen spielen zu lassen, doch dieser war nicht

angeschlossen. 4.: Die agierende Person war nicht in der Lage den Boden zu säubern, da

der Schlauch nicht am Hahn befestigt war. Das Video wurde jeweils gestoppt und der

Schimpansin wurden Fotos gezeigt, wie in Abbildung 1 zu sehen ist.

Abb.1 Ausschnitte aus den Fotos und Videos (Premack & Woodruff, 1978)

Die Abbildung zeigt jeweils das gestoppte Video und die richtige Handlungsweise.

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So musste der Schauspieler, um die Banane zu erreichen, auf eine Kiste steigen, oder,

um die Banane zu bekommen, die außerhalb des Käfigs lag, einen Stock nutzen.

Die Schimpansin wählte meist das richtige Bild. Sie konnte sowohl einfache, als auch

komplexe Probleme lösen. So wusste sie, obwohl sie selbst die Erfahrungen nie

gemacht hatte, dass der Schauspieler den Schlauch an dem Hahn anbringen muss, oder

dass er einen Schlüssel nehmen muss, um aus dem Käfig zu kommen. Damit schlossen

die Autoren aus, dass Sarah nur aufgrund eigener Vorerfahrung die richtige Handlung

wählen konnte. Die Autoren untersuchten auch, ob Sarah für verschiedene Schauspieler

unterschiedliche Lösungen wählt. Tatsächlich suchte Sarah für den ihr bekannten Mann

die „gute“ Lösung und für den anderen Schauspieler die falsche Lösung aus. So konnte

auch die Vermutung ausgeschlossen werden, dass Sarahs Entscheidung auf Empathie

beruhte. Sie versetzte sich also nicht einfach in die Situation des Schauspielers und

überlegte, was sie tun würde, sondern unterschied nach Sympathie, was passieren sollte.

Wenn die Schimpansin die gesamte Situation beobachtete, also sie selbst beurteilen

musste, welche Alternative ein Beobachter wählen würde, traf sie auch unterschiedliche

Entscheidungen. Sie schien zu unterscheiden, ob der Beobachter den Handelnden mag

oder nicht. Sie implizierte also mentale Zustände in andere Personen. Premack und

Woodruff (1978) untersuchten weitere Fähigkeiten und variierten weitere Bedingungen,

auf die hier nicht weiter eingegangen wird. Die Schimpansin konnte nicht alle Aufgaben

lösen, zum Beispiel vermochte sie nicht zwischen verschiedenen Wissenszuständen zu

unterscheiden.

Die Autoren zogen aber aus ihrer gesamten Untersuchung den Schluss, dass das Tier

das Video als Problemstellung verstand und die Absicht des Schauspielers erkannte und

so die Alternative suchte, die zu dieser Absicht passt (Premack & Woodruff, 1978).

Die jüngere Forschung tendiert aber zu der Annahme, dass eine echte „Theory of mind“

nur bei Menschen existiert (Malle, 2005).

Theory of mind

Die „Theory of mind“ hat Ähnlichkeit mit wissenschaftlichen Theorien. Auch sie

postuliert nicht beobachtbare Variablen, sagt diese durch beobachtbare voraus und nutzt

sie zur Erklärung weiterer beobachtbarer Variablen.

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Der Autor beschreibt die „Theory of mind“ als ein „conceptual framework“, also als ein

begriffliches Gerüst von Geist und Verhalten. Dabei spielen verschiedene kognitive

Prozesse eine Rolle, zum Beispiel die Simulation mentaler Zustände oder

Schlussfolgerungen. In der Sozialpsychologie werden die Überlegungen über mentale

Zustände anderer oft als Spezialfall des „veranlagten Schlusses“ angesehen. Dieser Fall

wird häufig gleichgesetzt mit dem Verhalten, anderen bestimmte Eigenschaften

zuzuschreiben. Man muss aber erwähnen, dass es einige Unterschiede gibt. Beobachter

denken, dass mentale Zustände anderer den eigenen entsprechen. Folglich nehmen sie

ihre eigenen, um die der anderen zu simulieren. Sie nutzen aber nicht ihre eigenen

Eigenschaften, um die der anderen zu simulieren. Der Autor meint, dass das

Nachdenken über Geisteszustände Teil eines einzigartigen und kultivierten Gerüstes ist,

das verschiedene mentale Zustände miteinander in Verbindung setzt und mit dem

Verhalten verknüpft (Malle, 2005).

„Theory of mind“ als begriffliches Gerüst

Ein begriffliches Gerüst kann man als eine kognitive Kapazität erklären, die vor

Kognitionen operiert und die Interpretation dieser Kognitionen ermöglicht. Dieses

Gerüst ist die Voraussetzung für bewusste und unbewusste Prozesse. Ein Beispiel

hierfür ist die Beobachtung eines zahlenden Menschen. Er kramt in seiner Tasche, holt

einen kleinen Gegenstand hervor und gibt etwas daraus einem anderen Menschen. Diese

Szene würden wir ohne die begriffliche Struktur nicht verstehen. Durch das Gerüst

können wir die Szene in wichtige Teile zerlegen, sie dadurch verstehen und

vorhersagen. Wenn das System vollkommen ausgereift ist, haben wir ein Skript des

Bezahlens gebildet.

Die „Theory of mind“ interpretiert das Verhalten anderer Menschen auf eine besondere

Art und Weise. Wir sehen andere Personen als Agenten, die intentional handeln können.

Wir sprechen ihnen Gefühle, Wünsche und Überzeugungen zu. Würde diese Fähigkeit

fehlen, wäre unsere soziale Wahrnehmung vollkommen mechanisch und rau. Dies

können wir an einem Beispiel festmachen: dem Autismus (Malle, 2005).

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„Does the autistic child have a theory of mind?“

Abb.2 Paradigma des falschen Glaubens (http://www.holah.karoo.net/sallyanne.gif 19.11. 20:45)

Die Autoren dieses Artikels, Simon Baron-Cohen, Alan. M. Leslie und Uta Frith

(1985), beschäftigten sich mit der Vermutung, dass autistischen Kinder die „Theory of

mind“ fehlt. Wäre dies der Fall, könnten die Kinder anderen Menschen keine

Überzeugungen zuschreiben oder deren Verhalten vorhersagen. Getestet wurde diese

Vermutung durch das Wimmer & Perner Paradigma von 1983. Es trägt den Namen

„Verständnis des falschen Glaubens“. In Abbildung 2 ist eine Version des Paradigmas

zu sehen.

Es wurden Kinder ohne Behinderung, Kinder mit Down-Syndrom und autistische

Kinder getestet. Ihnen wurden auch Kontrollfragen gestellt, um zu überprüfen, ob sie

die Aufgabe verstanden haben und wissen, wo die Puppe war (Gedächtnis) und wo sie

wirklich ist. Erst dann kann man testen, ob die Kinder wirklich an der Aufgabe

scheitern, die Überzeugung anderer Menschen zu verstehen und zwischen wahren

Umständen und Überzeugungen zu unterscheiden.

Alle Kinder konnten die Kontrollfragen richtig beantworten. Die Kinder ohne

Behinderung und die Kinder mit Down-Syndrom konnten fast alle die Frage „Where

will Sally look for her ball?“ lösen. Doch von den autistischen Kindern beantworteten

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16 von 20 Kindern die Frage falsch. Zu erwähnen ist noch, dass dieses scheinbare

Fehlen der „Theory of mind“ ein spezifisches Defizit ist und nicht mit einer allgemeinen

Behinderung einhergeht. Schließlich konnten die Kinder mit Down-Syndrom die

Aufgabe ohne Schwierigkeiten lösen (Baron- Cohen, Leslie & Frith, 1985).

Die automatische Verarbeitung sozialer Informationen fehlt also und es kommt so zu

einer mechanischen und analytischen Verarbeitung, die sehr langsam vor sich geht

(Malle, 2005).

Malle erwähnt hier ein Zitat aus Blackburn et al. (2000): „Given time I may be able to

analyze someone in various ways, and seem to get good results, but may not pick up on

certain aspects of an interaction until I am obsessing over it hours or days later.”

Die menschliche Kognition ist angewiesen auf assoziative Strukturen, wie zum Beispiel

Schemata und Skripte. Diese vereinfachen jegliche Begegnung mit komplexen Stimuli.

Die Strukturen sind Prozesse von Repräsentationen, die nicht die Inhalte an sich

kodieren.

Die soziale Kognition ist die Kognition sozialer Objekte (Menschen, Gruppen,

Beziehungen). Auch diese Objekte sind selbst inhaltsfrei, demnach müsste es eigentlich

schwer sein, soziale und nicht soziale Objekte zu unterscheiden. Wie „weiß“ nun ein

kognitiver Prozess, dass er sich mit einem Menschen beschäftigt? Um hier eine schnelle

Diskrimination durchführen zu können, nutzt der Mensch dieses begriffliche Gerüst. Es

klassifiziert alle Stimuli in soziale Kategorien. Dieses System entwickelt sich sehr früh

im Leben. Wenn es ausgereift ist, kann es sehr schnell aktiviert werden und bildet eine

Voraussetzung für die Kognitionen des menschlichen Verhaltens.

Das Gerüst ähnelt Kants Kategorien der (sozialen) Wahrnehmung. Er stellte Kategorien

auf, von denen er annahm, dass sie vom menschlichen Geist zur Wahrnehmung von

Objekten genutzt werden, z.B. Raum, Zeit, Kausalität. Sie stellen die Bedingungen der

Möglichkeit der Wahrnehmung dar. Und so könnten die Konzepte der „Theory of

mind“ die Bedingungen für die Möglichkeit der sozialen Kognition sein. Zur

Verdeutlichung: Das Gerüst stellt also Konzepte zur Verfügung, mit Hilfe derer die

soziale Kognition und Interpretation zum Umgang mit anderen Menschen effektiv sind.

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Die „Theory of mind“ ist wie schon erwähnt eine spezifische Struktur. Das bedeutet

aber nicht, dass sie isoliert ist.

Die heutige Forschung beschäftigt sich meist nur mit dem Fehlen der „Theory of mind“.

Überlegungen über die grundsätzliche Annahme, dass andere auf der Basis mentaler

Zustände handeln, sind kein zentrales Gebiet der heutigen Sozialpsychologie. Auch sind

Untersuchungen über die soziale Wahrnehmung von Geisteszuständen selten zu finden.

Der Autor hoffen, dass sich das bei der Erkenntnis, dass dies ein fundamentales

Werkzeug für soziale Kognitionen ist, ändert (Malle, 2005).

Geist und Verhalten

Die sozial-kognitive Funktion der „Theory of mind“ ist die Unterstützung des

Verstehens von und der Koordination mit dem Verhalten anderer Personen. Dies wird

erreicht durch die Verbindung von Geist und Verhalten. Die Inbetrachtnahme der

Geisteszustände anderer hilft früheres Verhalten zu verstehen, derzeitiges Verhalten zu

beeinflussen und zukünftiges vorherzusagen. Außerdem unterstützt dies auch die

Aufrechterhaltung der Reliabilität und den intersubjektiven Diskurs über mentale

Zustände. Ohne diesen Diskurs wäre das Schlussfolgern über Geisteszustände eine

private, planlose Anstrengung.

Die Verbindung mentaler Zustände mit dem Verhalten kann auf zwei Arten geschehen.

Der mentale Zustand kann sich im Verhalten ausdrücken, zum Beispiel der Ärger, den

man im Gesicht sehen kann. Oder der Geisteszustand beeinflusst oder leitet das

Verhalten, beispielsweise wenn man eine Intention hat zu handeln.

Auch das Verhalten lässt sich wiederum in zwei Kategorien unterteilen: Das

intentionale und das nicht-intentionale Handeln. Dies ist eines der aufschlussreichsten

Konzepte der „Theory of mind“ (Malle, 2005).

Intentionalität

Die Intentionalität ist ein Konzept, das spezifiziert, unter welchen Umständen Menschen

Verhalten als intentional ansehen. Das Urteil beruht auf fünf Bedingungen:

1.: Der Agent muss den Wunsch haben, dass das bestimmte Ergebnis eintritt.

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2.: Er muss der Überzeugung sein, dass die Handlung zu dem bestimmten Ergebnis

führt.

3.: Die Intention muss vorhanden sein, die Handlung durchzuführen.

4.: Der Agent muss die Fähigkeit besitzen, die Handlung auszuführen.

5.: Er muss das Bewusstsein der Erfüllung der Intention während der Handlung haben.

In der Realität wird das Urteil allerdings meistens aufgrund von Hinweisen gefällt.

Auch manche individuellen Komponenten des Intentionalitätskonzeptes stellen starke

Hilfsmittel zur Sinngebung von Verhalten dar. Menschen unterscheiden zum Beispiel

zwischen zwei motivationalen Zuständen, dem Wunsch und der Intention. Diese

differieren in mindestens drei Aspekten: Intentionen repräsentieren eine Handlung,

Wünsche können Verschiedenes repräsentieren. Außerdem basieren Intentionen auf

logischem Denken, Wünsche hingegen sind meist der Ausgangspunkt dafür. Ferner

gehen Intentionen mit der Bindung einher, die Handlung auch auszuführen, Wünsche

nicht. Diese Unterscheidung ist wichtig für die soziale Koordination, die

Selbstregulierung und die interpersonelle Wahrnehmung.

Eine weitere wichtige Unterscheidung bei Laien ist die zwischen Wünschen und

Überzeugungen. Wünsche beruhen auf einer Wissensbasis und sind meist die primitiven

Motive einer Handlung. Sie repräsentieren außerdem das Ziel der Handlung und Kinder

lernen früher, diese anderen zuzuschreiben. Überzeugungen hingegen repräsentieren

eher die Aspekte des Weges zum Ziel und Kinder können sie erst später zuschreiben.

Beide haben unterschiedliche Funktionen bei der Erklärung von Handlungen.

Das Konzept der Intentionalität spielt eine wichtige Rolle in sozial-kognitiven

Phänomenen. Es hat Einfluss auf die Zuteilung von Verantwortlichkeit und Schuld für

Handlungen. Ein Mensch wird eher für eine Handlung verantwortlich gemacht, wenn er

intentional gehandelt hat. Die Verantwortlichkeit wird ihm aber auch zugesprochen,

wenn er das Ergebnis hätte kontrollieren können und das auch seine Pflicht gewesen

wäre. Dies ist vielleicht das wichtigste Konzept der Intentionalität: Alle

Verhaltensweisen werden in zwei Domänen geteilt, die dann anschließend

unterschiedlich manipuliert werden.

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Beobachtbarkeit

Dies ist eine weitere Unterscheidung unter Laien: Die Differenzierung von öffentlich

beobachtbaren und öffentlich nicht beobachtbaren Ereignissen. In Wirklichkeit ist dies

die Unterscheidung zwischen Geist und Verhalten.

Die Konzepte von Intentionalität und Beobachtbarkeit bilden dann die „mentale Karte“

der Verhaltensweisen, die für die soziale Kognition relevant sind. Dies sind die

Ereignisse, die Menschen erklären, vorhersagen und einschätzen wollen (Malle, 2005).

Kategorisierung von Verhalten

Die Funktion der „Theory of mind“ ist es, die Vielfalt des menschlichen Verhaltens und

psychologischer Anreize in Kategorien zu gliedern, die kognitive

Verarbeitungsprozesse erleichtern. Diese Kategorisierungen mit entsprechenden

Annahmen über die Weiterverarbeitung sind unbewusst ablaufende Prozesse, die

jeglichen spezielleren Prozessen wie Aufmerksamkeit und Erklärung vorangehen

(Malle, 2005).

Malle und Knobe (1997) nehmen vier Kategorien für die Erklärung von menschlichen

Verhaltensabläufen an. Als erste Kategorie ist die beobachtbare und beabsichtigte

Handlung zu nennen. Darauf folgt das zwar beobachtbare, aber nicht beabsichtigte

Verhalten als zweite Kategorie. Dem gegenüber stehen die intendierten Gedanken,

welche selbstverständlich nicht beobachtet werden können, und Erfahrungen, die

sowohl unbeabsichtigt ablaufen, als auch unbeobachtbar sind. Bedeutungshaltig sind bei

diesen vier Kategorien vor allem die Kombinationen von Absichtlichkeit /

Unabsichtlichkeit und Beobachtbarkeit / Nicht-Beobachtbarkeit, die damit vier

verschiedene Arten von Ereignissen definieren. Denn diese Kombinationen als

Voraussetzungen lassen uns die Muster von menschlicher Aufmerksamkeit und

Erklärungsversuchen von Verhaltensabläufen unter verschiedenen Bedingungen

voraussagen. Diese Voraussagen können sowohl für den Agenten, als auch für den

Beobachter getroffen werden, jeweils entweder in einer Diskussion stattfindend oder

auch nur in den eigenen Gedanken (Malle & Knobe, 1997).

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Selektive Aufmerksamkeitsfokussierung auf Verhalten

Es wurde herausgefunden, dass zwei Faktoren bei sozialen Interaktionen eine wichtige

Rolle spielen: der erkenntnistheoretische Zugang und die motivationale Bedeutsamkeit.

Dank dieser beiden determinierenden Faktoren gelingt die Voraussage der Zuteilung

von Aufmerksamkeit auf die vier Verhaltensabläufe in interaktionalen Prozessen. Die

Grundvoraussetzung ist, dass man einen bestimmten Verhaltensablauf überhaupt

bemerkt d.h. Zugang zu ihm hat. Dies passiert durch einfache Wahrnehmung,

Selbstbeobachtung und/oder simple Schlussfolgerungen. Der zweite Faktor beinhaltet

die These, dass erhöhte Aufmerksamkeit vor allem bei Ereignissen auftritt, die für die

Person relevant und nützlich sind oder die die gegenwärtige Interaktion regeln.

Letztendlich kann man sagen, dass sich die Aufmerksamkeit, nachdem man ein Ereignis

wahrgenommen hat, danach richtet, wie wichtig es für die jeweilige Person und die

Interaktion ist. Für den Agenten ist der Zugang zu seinen eigenen Gedanken einfacher,

als zu seinem von außen beobachtbaren Verhalten, denn die eigenen Gedanken sind ihm

dauerhaft gegenwärtig, den eigenen Gesichtsausdruck, die Gestik und Körperhaltung

kann er jedoch nicht so leicht kontrollieren. Im Gegensatz dazu ist der Zugang zu von

außen sichtbarem Verhalten für den Beobachter leichter, als zu den nicht

beobachtbaren, mentalen Gedanken der anderen Person. Daraus folgt die erste

Hypothese aufgrund derer Voraussagen getroffen werden: In sozialen Interaktionen

richtet der Empfänger seine Aufmerksamkeit mehr auf beobachtbare Ereignisse als der

Agent, während dieser mehr auf unbeobachtbare Ereignisse (Gedanken/Erfahrungen)

achtet, als der Empfänger. Bei menschlichen Begegnungen dominiert absichtliches

Verhalten. Eine Person agiert und die andere Person reagiert entsprechend darauf mit

einem Verhalten und/oder einer Emotion. Deshalb sind absichtliche Handlungen, die

häufig automatischen Prozessen unterliegen, für den Empfänger auch relevanter, als

unabsichtliche. Für den Agenten ist es genau umgekehrt. Für ihn sind die

unabsichtlichen Ereignisse interessanter, da sie unkontrolliert ablaufen und sie deshalb

erst verstanden werden müssen. Aus diesen Erkenntnissen folgt die zweite Hypothese:

In einer sozialen Interaktion richtet der Empfänger seine Aufmerksamkeit eher auf

beabsichtigtes Verhalten als der Agent. Dieser schenkt den unabsichtlichen Ereignissen

mehr Aufmerksamkeit als der Empfänger. Diese zwei Hypothesen wurden getestet und

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bestätigt: Jeweils zwei Teilnehmer des Experiments führten eine Diskussion und

wurden direkt anschließend aufgefordert, auf einem Blatt von dem Gespräch mit dem

Partner und auf einem zweiten Blatt von ihren eigenen Gedanken während des

Gesprächs zu berichten. Die Berichte dienten der Reproduktion der Verhaltensabläufe,

die jeweils nach den Kriterien (Un-)Absichtlichkeit und (Nicht-)Beobachtbarkeit

kategorisiert wurden. Die Ergebnisse von drei Studien bestätigten die Erwartungen. Den

zwei Hypothesen entsprechend, berichteten Empfänger und Agent gemäß der Richtung

ihrer Aufmerksamkeit mehr oder weniger von (un-)absichtlichen und (un-)

beobachtbaren Ereignissen des Gesprächs. Die Aufmerksamkeit jedes Menschen wird

demnach „systematically influenced by the intentionality and observability of those

events“ (Malle, 2005, p.233) und durch die psychologischen Prozesse der

Zugänglichkeit und der persönlichen Bedeutsamkeit gesteuert (Malle, 2005).

Selektive Verwunderung über und Erklärung von Verhalten

Aus den zwei beschriebenen Hypothesen sind die Ereignisse abzuleiten, über die sich

Menschen wundern und die sie erklären (Malle & Knobe, 1997). Drei Bedingungen

müssen gegeben sein, um Verwunderung und Erklärungsversuche auszulösen:

Zugänglichkeit des Ereignisses, sein derzeitiges Unverständnis und seine persönliche

Bedeutsamkeit. Folglich kann man Vorhersagen über Muster der Verwunderung treffen.

Aufgrund unterschiedlicher Zugänglichkeit wundert sich der Agent öfter über

unbeobachtbares Verhalten als über beobachtbares, während das beim Empfänger

andersherum ist. Gemäß dem unterschiedlichen Unverständnis wundert sich der Agent

mehr über unabsichtliches als über absichtliches Verhalten. Aufgrund der

Bedeutsamkeit wundert sich der Empfänger eher über absichtliches als über

unabsichtliches Verhalten. Diese Vorhersagen wurden in zwei Studien von Malle und

Knobe (1997) überprüft und bestätigt. Auf die Verwunderung folgen die

Erklärungsversuche. Um Vorhersagen über Erklärungsmuster zu machen, muss zuvor

zwischen Erklärungen, die an einen selbst gerichtet sind, und Erklärungen, die in

Kommunikation direkt an den Partner gerichtet werden, unterschieden werden. Daten

von Erinnerungsprotokollen und Tagebüchern bekräftigten die Annahme, dass bei

Erklärungen an die eigene Person als Folge von Verwunderung die gleichen

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Unterschiede zwischen Agent und Empfänger auftreten. In einem Gespräch hingegen

werden der anderen Person Erklärungen entsprechend ihren Verwunderungen gegeben.

Das heißt, der Agent erklärt absichtliche und beobachtbare Verhaltensabläufe über die

sich der Empfänger wundert. In einem Gespräch erklären folglich sowohl der Agent, als

auch der Empfänger ihre eigenen Verwunderungen, ebenso wie die des anderen (Malle

& Knobe, 1997).

Erklärungsmodell von Verhalten

Nachdem das Verhalten in vier Kategorien geteilt wurde, widmet man sich nun der

Frage, wie und weshalb Menschen Verhalten erklären. Da diese Erklärungen oft in

verbaler Form wiedergegeben werden, können sie gut in Untersuchungen im Hinblick

auf zugrunde liegende Prozesse und ihre Rolle in sozialen Interaktionen analysiert

werden (Malle, 2005).

Erklärungen und die Theorie des Verstands

Zu Beginn soll die funktionale Beziehung zwischen Verhaltenserklärungen und der

„Theory of mind“ geklärt werden. Die meisten Wissenschaftler sind der Ansicht, dass

es der Zweck der „Theory of mind“ ist, Verhalten zu erklären. Gopnik (1998) ist

hingegen der Meinung, dass es der Sinn von Erklärungen ist, gerade diese zu

bereichern. Zusammengefasst kann man sagen, dass auf der einen Seite die Funktion der

„Theory of mind“ nicht nur darin liegt, Verhalten zu erklären, sondern auch soziale

Kognition und Interaktion zu regeln. Auf der anderen Seite besteht der Sinn von

Erklärungen darin, die Bewältigung von sozialen Anforderungen (Verständnis,

Koordination) zu erleichtern (Malle, 2005).

Manche Entwicklungsforscher vertreten die Ansicht, dass Verhalten durch die

Erkenntnis ihrer zugrunde liegenden psychischen Prozesse erklärt und verstanden

werden kann. Sie untersuchten die Herkunft und den Fortschritt von Erklärungen im

Laufe des Vorschulalters und fanden heraus, dass Kinder im Alter von drei Jahren

systematisch psychologische Erklärungen für menschliches Verhalten verwenden.

Jedoch muss betont werden, dass Menschen zwischen zwei Arten von Ursachen

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unterscheiden: absichtlicher Grund und ungewollte Ursache. Der erste Typus weist auf

den psychischen Zustand hin, der bei einer absichtlichen Handlung auftritt. Der zweite

Typus thematisiert die aufgrund eines unabsichtlichen Verhaltens auftretenden

verschiedenen Faktoren u. a. auch psychische Zustände. Gegenwärtige Entwicklungs-

studien sind nicht in der Lage die Frage, ob Dreijährige zwischen psychischen

Zuständen als Grund für absichtliches und für unabsichtliches Verhalten unterscheiden

können, zu klären. Es ist möglich, dass Kinder zu diesen Differenzierungen erst im

Alter von fünf Jahren durch Erwerb des vollständigen Konzepts der Intentionalität fähig

sind. Dieses Konzept beinhaltet die Aufteilung von handlungsrelevanten psychischen

Zuständen in drei Glieder: die Überzeugung, den Wunsch und die Absicht.

Überzeugungen und Wünsche führen kombiniert zu einer erhöhten Intention, welche

eine direkte Handlung nach sich zieht. Im Erwachsenenalter kann aufgrund von

vorausgehenden Entwicklungsprozessen ein ausgereiftes System von

Verhaltenserklärungen festgestellt werden, welches in der „Theory of mind“ seine

Grundlage findet. Erklärungen können nun aufgrund der bewältigten Unterscheidung

zwischen absichtlichen und unabsichtlichen Verhalten gefunden werden (Malle, 1999,

2005).

Vier Arten von Verhaltenserklärungen

Der Autor stellt ein Modell vor, nachdem es vier Arten von Erklärungen entsprechend

der Unterscheidung zwischen absichtlichem und unabsichtlichem Verhalten und seinen

besonderen Aspekten gibt. Unabsichtliches Verhalten wird auf Faktoren wie der

psychische oder physische Zustand, Charakterzüge und Reaktionen auf das Verhalten

anderer zurückgeführt. Menschen erklären Verhalten meist allein durch Kausalität und

lassen das Bewusstsein und die Absicht einer Handlung außer Acht. Die Ursache für

absichtliches Verhalten zu finden ist eine weit komplexere Aufgabe (siehe dazu

Abbildung 3).

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Der Unterschied zwischen unabsichtlichem und absichtlichem Verhalten liegt darin,

dass bei Letzterem die Vorgänge bewusst ablaufen. Der Absicht, ein bestimmtes

Verhalten auszuführen, gehen Überzeugungen und Wünsche voraus. Die direkte Folge

der Absicht ist absichtliches Verhalten. Es gibt drei verschiedene Arten, absichtliches

Verhalten zu erklären: aufgrund von Gründen für Verhalten, ihnen zugrunde liegenden

Hintergrundinformationen und ermöglichenden Faktoren (Malle, 2005).

Die wichtigsten Faktoren der Erklärung sind die Gründe des Agenten, ein bestimmtes

absichtliches Verhalten zu zeigen. Gründe können als „beliefs or desires that both

motivate and rationally support intentional action” verstanden werden und “they

describe intentions as mediating between reasons and action” (Malle, 1999, p.25). Das

Konzept der Intentionalität unterscheidet zwei Arten von Ursachen: „the agent’s desire

for an outcome and a belief that the intended action leads to that outcome“ (Malle,

2005, p.238). Zum Beispiel ist es der Wunsch einer Person, durch Forschungsergebnisse

berühmt zu werden. Diese Person wird viel Zeit im Labor verbringen (absichtliches

Verhalten), weil sie der Überzeugung ist, sich so ihrem Ziel zu nähern. Neben den zwei

genannten Arten gibt es noch weitere Gründe für absichtliches Verhalten: der Wunsch,

alternative Ergebnisse zu vermeiden, Einstellung zu Kontext und Konsequenzen und der

Wert der Handlung selbst. Subjektivität und Rationalität sind zwei charakteristische

Merkmale von Gründen. Erklärungen basieren immer auf der Überzeugung des

Erklärers, was die subjektiven Gründe der agierenden Person sind. Dies sind meist von

Unabsichtliches VerhaltenUrsache

Hintergrund Grund AbsichtAbsichtlichesVerhalten

Ermöglichende Faktoren

Abb.3: Vier Arten von Erklärungen für unabsichtliches und absichtliches Verhalten (Malle, 2005)

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der erklärenden Person angestellte Vermutungen. Sie versucht, sich in die Rolle des

Agenten zu versetzen und seine subjektiven, oft nicht mit der objektiven Realität

übereinstimmenden, Überlegungen zu rekonstruieren. Ein Beispiel soll dies erläutern.

„Warum beeilt Lucy sich?“ Als Antwort wird gegeben: „Sie denkt, sie ist spät dran“

(Malle, 2005). Die Erklärung impliziert Lucys subjektive Annahme, dass sie zu spät ist,

was in Wirklichkeit vielleicht gar nicht der Fall ist.

Rationalität als Merkmal von Gründen weist auf die Tatsache hin, dass der Inhalt von

Überzeugungen, Wünschen und Wertvorstellungen harmonieren muss, um in

vernünftigen Absichten und Handlungen zu resultieren. Das Verhalten im oben

angeführten Beispiel wurde rational durch die Annahme erklärt, dass Lucy dachte, spät

dran zu sein. Außerdem kann vernunftsgemäß impliziert werden, dass Lucy den

Wunsch hat, pünktlich zu sein, und dass sie denkt, ihr Eilen führe zu einer pünktlichen

Ankunft. Ihre Überzeugung, ihr Wunsch, ihre Intention und ihr Verhalten stimmen

rational überein. Aufgrund der Annahme von Subjektivität und Rationalität bei der

Erklärung von Gründen eines Verhaltens zeigt sich ein erstaunliches Phänomen. Wenn

Menschen ein Grund für ein aufgetretenes Verhalten angegeben wird, schließen sie

automatisch auf die übrigen implizierten Gründe. Zum Beispiel auf die Tatsache, dass

Lucy pünktlich sein möchte (Malle, 2005).

Die zweite Art von Erklärungen betrifft den Bereich, der zeitlich vor den eigentlichen

Gründen liegt: der geschichtliche Hintergrund von Gründen. Zur Verdeutlichung ein

Beispiel: „Anna lud Ben zum Essen ein, weil sie freundlich ist“ (Malle, 2005). Anna lud

Ben nicht ein, weil sie sich selbst für freundlich hält. Die Erklärung weist eher auf eine

hier positive Vorerfahrung des Erklärenden mit dem Agenten hin. Die Erklärung enthält

nicht den tatsächlichen Grund des Agenten, sondern eher eine Hintergrundinformation

über den Agenten. Aufgrund dieser Voraussetzung kann der Agent verschiedene

Gründe für sein Verhalten haben. Etwa 20% der hintergründlichen Informationen für

Erklärungen betreffen Charaktereigenschaften des Agenten. Außerdem wird Bezug auf

Kindheitserfahrungen, Kultur, früheres Verhalten, den gegenwärtigen physischen

Zustand und bestimmte Überzeugungen und Wünsche genommen (Malle, 1999).

Erklärungen, die auf Vorgeschichten basieren, unterliegen nicht der Beschränkung von

Subjektivität und Rationalität, wie es bei Gründen der Fall ist. Die im Beispiel als

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Grund angesprochene Freundlichkeit muss dem Agenten nicht einmal bewusst sein

(Malle, Knobe, O’Laughlin, Pearce & Nelson, 2000).

Der dritte Bereich, durch den absichtliches Verhalten erklärt werden kann, sind die

ermöglichenden Faktoren (Malle, 1999). Mit ermöglichenden Faktoren sind sowohl die

Fertigkeiten und Anstrengungen des Agenten, als auch günstige Gelegenheiten und

Umstände gemeint. In dieser Art von Erklärungen geht es allein um die Art und Weise,

wie die beabsichtigte Ausführung eines Verhaltens möglich ist. Die Motivation, der

Grund und die Intention des Agenten werden als gegeben vorausgesetzt. „Sie

schummelte im Test, weil kein Aufseher hersah“, ist eine Erklärung, die allein auf

ermöglichenden Faktoren als Grund basiert. Der Hauptgrund, wieso sie schummelt z.B.

weil sie nicht gelernt hat, oder Hintergründe z.B., dass sie aus Gewohnheit schummelt,

werden außer Acht gelassen. Letztendlich umfasst das Konzept der Intentionalität vier

Arten von Erklärungen. Diese stellen ein umfassendes Modell dar, entsprechend dem

die Menschen Verhalten erklären können (Malle, 2005).

Sozial-kognitive Bedingungen für Erklärungsformen

Wann und zu welchem Zweck ein bestimmter Erklärungstyp in einer sozialen

Interaktion verwendet wird, hängt von bestimmten Bedingungen ab. Der Prozess der

Erklärungswahl kann sowohl bewusste als auch unbewusste Aspekte enthalten. Die

Verhaltenserklärungen selbst können kognitive oder interpersonelle (motivationale)

Funktionen haben (Malle, 2005).

Ob eine Ursachenerklärung oder eine der anderen Erklärungsformen gewählt wird,

hängt primär von der wahrgenommenen Intentionalität einer Verhaltensweise ab.

Unabsichtliche Handlungen werden durch Ursachen erklärt. Das Urteil über die

Intentionalität selbst ist nicht immer leicht zu fällen und kann die Suche nach

zusätzlichen Informationen erfordern. Kommt der Beobachter jedoch zu dem Schluss,

dass die Verhaltensweise unbeabsichtigt war, wird automatisch und weitgehend

unbewusst eine Ursache zur Erklärung herangezogen (Malle, 2005).

Eine zweite Bedingung, die Ursachenerklärungen hervorruft, ist motivationaler Natur.

Dabei geht es um die Regulierung von Schuld an sozial unerwünschtem Verhalten. Übt

eine Person eine Verhaltensweise aus, deren Intentionalität nicht eindeutig beurteilt

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werden kann, wird diese Person eine Ursache als Erklärung wählen, um die

Unabsichtlichkeit ihrer Handlung hervorzuheben und damit den Anschein der eigenen

Schuld zu minimieren. Ein Beispiel hierfür wäre ein Sportler, der mit einem

gegnerischen Spieler zusammenstößt und erklärt, dass er ihn nicht gesehen habe. Dieser

Prozess kann sowohl bewusst ablaufen, wenn die Person einen guten Eindruck machen

möchte, als auch unbewusst, wenn die Person glaubt, dass die Handlung tatsächlich

unabsichtlich war (Malle, 2005).

Etwas komplexer sind die Bedingungen, die ausschlaggebend dafür sind, ob ein Grund,

eine Hintergrundinformation oder ermöglichende Faktoren zur Erklärung einer

beabsichtigten Verhaltensweise herangezogen werden. Die Forschung zeigt, dass dabei

sowohl kognitive als auch motivationale Bedingungen von Bedeutung sind (Malle,

2005).

Kognitive Bedingungen

Die erste Bedingung ist die Art der Verwunderung, die von der Person, die eine

Erklärung sucht, wahrgenommen wird, bzw. die spezielle Frage, die sie sich im

Hinblick auf die Verhaltensweise stellt. Gilt ihr Interesse dem motivationalen bzw.

intentionalen Hintergrund einer Handlung, wird sie sich fragen „Wofür?“, was am

besten durch die Angabe eines Grundes erklärt werden kann. Die etwas allgemeinere

Frage „Warum?“ kann hingegen besser durch Hintergrundinformation beantwortet

werden. Wenn sich eine Person jedoch fragt, wie eine bestimmte intentionale Handlung

überhaupt erfolgreich ausgeführt werden konnte, wird sie sich die Frage „Wie war das

möglich?“ stellen, die vom Autor kurz „Wie möglich?“ genannt wird (Malle, 2005). Die

beste Antwort auf diese Frage sind ermöglichende Faktoren als Erklärung. In

Untersuchungen zeigte sich, dass „Wie möglich?“-Fragen vor allem bei sehr

schwierigen Handlungen, wie beispielsweise bei artistischen Leistungen auftreten

(Malle, 2005).

Malle et al. (2000) verwendeten in einer Studie die beiden extremen Fälle: schwierige,

Handlungen, deren Motive offensichtlich waren: z.B. „Mary, die arm ist, kaufte sich ein

neues Auto“; und einfache Handlungen, deren Motive nicht offensichtlich waren: z.B.

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„Cynthia gab ihrem Boss einen Scheck“. Die Fragen („Warum?“, „Wie kam das?“,

„Aus welchem Grund?“ und „Wie war das möglich?“) variierten zwischen den

Versuchspersonen. Die häufigsten Nennungen von Begründungen wurden im

Zusammenhang mit einfachen, nicht offensichtlichen Handlungen und der Frage „Aus

welchem Grund?“ erwartet. Es wurde angenommen, dass ermöglichende Faktoren am

häufigsten im Zusammenhang mit schwierigen, offensichtlichen Handlungen und der

Frage „Wie war das möglich?“ genannt werden. Eine weitere Hypothese besagte, dass

Begründungen generell am häufigsten zur Erklärung herangezogen werden, auch bei

den Fragen „Warum?“ und „Wie kam das?“. Die Versuchspersonen mussten für kurze

Verhaltensbeschreibungen schriftlich eine Erklärung finden. Die Ergebnisse

entsprechen den Hypothesen. Es zeigte sich, dass Begründungen die häufigste

Erklärungsform sind, ganz besonders bei einfachen, nicht offensichtlichen Handlungen

und auf die Frage „Aus welchem Grund?“, aber auch auf die allgemeineren Fragen

„Warum?“ und „Wie kam das?“. Weiters erhöht die Frage „Wie war das möglich?“ die

Nennung von ermöglichenden Faktoren, besonders wenn es sich um schwierige,

offensichtliche Handlungen handelt. Nur auf die Frage „Aus welchem Grund?“ werden

selbst bei schwierigen, offensichtlichen Handlungen keine ermöglichenden Faktoren,

sondern Gründe genannt. Diese Ergebnisse lassen sich dadurch erklären, dass die

meisten sozialen Verhaltensweisen leicht auszuführen sind und daher nur die Motive

dahinter unbekannt sind. Wenn ein Beobachter die Gründe bzw. Intentionen, die einer

Handlung zugrunde liegen, nicht eindeutig versteht, wird er eher die Frage „Wofür?“

oder „Warum?“ stellen, welche am besten durch eine Begründung erklärt werden. Ist

eine Verhaltensweise jedoch schwierig, besteht eher im Bezug auf die erfolgreiche

Ausführung Erklärungsbedarf. In diesem Fall tritt die Frage „Wie war das möglich?“

auf, welche am besten durch ermöglichende Faktoren beantwortet wird (Malle et al.,

2000).

Eine weitere bedeutsame kognitive Bedingung für die Wahl einer Erklärungsform ist

die Information, die der nach einer Erklärung suchenden Person über den Handelnden

und die Handlung zur Verfügung steht. Eine Begründung enthält spezifische

Informationen über den Wunsch, die Überzeugung oder die Einschätzung, die einer

intentionalen Handlung zugrunde liegen und die der Handelnde mental repräsentiert.

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Verfügt man nicht über diese speziellen Informationen, zieht man allgemeine

Informationen zur Erklärung heran, die über diesen Typ von Handelnden oder diesen

Typ von Handlungen zur Verfügung stehen. Dies können beispielsweise Eigenschaften

des Handelnden oder historische Hintergründe der Handlung sein und führen zu einer

Erklärung durch Hintergrundinformation. Beispielsweise könnte die Antwort auf die

Frage „Warum hat Phil nach der Party das Geschirr abgewaschen?“ eine Begründung

sein, die spezifische Informationen enthält: „Weil er wollte, dass die Küche morgens

sauber ist“. Ist Phils Intention jedoch nicht bekannt, könnte Hintergrundinformation als

Erklärung herangezogen werden: „Weil er einen neurotischen Sauberkeitsfimmel hat“.

In diesem Fall konstruiert die Person, die nach einer Erklärung sucht, mangels

spezifischer Informationen aus allgemeinen Informationen eine Erklärung aus

Hintergrundinformation. Es zeigte sich, dass Menschen diese Erklärungsform häufiger

zur Erklärung von Handlungen anderer Personen verwenden und weniger, um ihr

eigenes Verhalten zu erklären, weil sie kaum Zugang zu den Gründen haben, die der

Handlung einer anderen Person zugrunde liegen. Weiters ziehen Menschen häufiger

Hintergrundinformationen zur Erklärung von Gruppenaktivitäten heran und weniger,

um individuelle Handlungen zu erklären, weil über Gruppen meist mehr allgemeine als

spezifische Informationen verfügbar sind (Malle, 2005).

Beide kognitiven Bedingungen, die Art der Fragestellung und die verfügbare

Information, rufen sowohl bewusste als auch unbewusste Prozesse hervor. Die

Einschätzung der Verfügbarkeit von Informationen und des speziellen Kontextes, in

dem eine Verhaltensweise auftritt, läuft weitgehend bewusst ab und ruft dann

unbewusst sofort einen Grund, Hintergrundinformation oder ermöglichende Faktoren

als Erklärung hervor (Malle, 2005).

Motivationale Bedingungen

Die dominierende motivationale Bedingung für die Wahl einer Erklärungsform ist das

so genannte „Eindrucksmanagement“. Durch geschickte Anwendung von verschiedenen

Erklärungstypen können Menschen sowohl sich selbst, als auch andere auf eine

bestimmte Weise darstellen. Zur Erklärung von beabsichtigten Verhaltensweisen

verwenden Menschen hauptsächlich Begründungen, wenn sie wollen, dass die

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handelnde Person – sie selbst oder jemand anderes – rational erscheint. Besonders

häufig sind Begründungen, die ausdrücken, dass die handelnde Person

glaubte/dachte/erwartete, dass eine bestimmte Handlung zu einem bestimmten Ergebnis

führen würde. Hintergrundinformationen werden hingegen zur Erklärung herangezogen,

um den Anschein einer reifen Überlegung und Verantwortung des Handelnden zu

reduzieren. Zur Erklärung von Gruppenaktivitäten werden Gründe verwendet, um die

Gruppe als gemeinsam handelnd darzustellen und sie eventuell bedrohlicher erscheinen

zu lassen. Einige Philosophen deuten darauf hin, dass Begründungen den moralischen

Wert einer Handlung kennzeichnen, während ermöglichende Faktoren, wie

beispielsweise die Intelligenz oder Fähigkeiten, dies nicht tun. Daraus lässt sich die

Vermutung ableiten, dass Menschen, die die handelnde Person als moralisch lobenswert

darstellen wollen, Begründungen zur Verhaltenserklärung heranziehen. Möchte man

hingegen die Kompetenz oder Fähigkeit einer Person betonen, wird man ihr Verhalten

eher durch ermöglichende Faktoren erklären. Beispielsweise lassen sich verschiedene

Erklärungen dafür finden, dass ein Professor den Inhalt einer Vorlesung besonders klar

und verständlich vorträgt: Die Begründung „weil er möchte, dass die Studenten den

Inhalt wirklich verstehen“ betont eher den moralischen Aspekt seines Verhaltens,

während eine Erklärung durch ermöglichende Faktoren, wie beispielsweise „weil er

sehr intelligent ist“, zwar positiv auf seine Kompetenz hinweist, aber keine Aussage

über den moralischen Wert enthält (Malle, 2005).

Da Verhaltenserklärungen oft in Konversationen eingebettet sind, gibt es noch eine

weitere wichtige motivationale Bedingung, die die Wahl der Erklärungsform bestimmt.

Der Autor spricht in diesem Zusammenhang von einem so genannten

„Publikumsdesign“, womit die Einstellung der nach einer Erklärung suchenden Person

zu dem Interesse, dem Wissen und den Erwartungen des Publikums gemeint ist.

Zuhörer können verschiedene Arten der Verwunderung („Warum?“, „Aus welchem

Grund?“, „Wie ist das möglich?“) empfinden und so liegt es an der erklärenden Person

die richtige Erklärungsform zu wählen, um die speziellen Fragen, die die Zuhörer sich

stellen, zu beantworten (Malle, 2005).

Die Entscheidung zwischen verschiedenen Erklärungsformen wird nicht bewusst

getroffen, da Menschen keine explizite Vorstellung von den verschiedenen

Erklärungsmöglichkeiten haben. Bewusste Gedanken wie „Ich sollte eher eine

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Begründung und keine ermöglichenden Faktoren nennen“ kommen also nicht vor. Nur

die Abschätzung der Anforderungen der Situation und die Ziele im Umgang damit sind

einem bewusst und erfordern kognitiven Aufwand. Beispielsweise könnte einer Person

in einer bestimmten Situation der Gedanke kommen, dass sie ihren Gesprächspartner

besänftigen sollte und basierend auf dieser bewussten Überlegung wird unbewusst die

adäquate Erklärungsform gewählt und sprachlich formuliert (Malle, 2005).

Diskussion und Schlussfolgerung

Der erste Diskussionspunkt bezieht sich auf die Annahme, dass Verhaltenserklärungen

auf begrifflichen Schlüsselkomponenten der „Theory of mind“ beruhen, wie

beispielsweise das Konzept der Intentionalität oder die Unterscheidung zwischen

Überzeugungen und Wünschen. Daraus lässt sich ableiten, dass die Wahl des

Erklärungstyps bei Personen, bei denen diese Konzepte fehlen, auf eine simple,

mechanische Erklärungsform reduziert ist. Um diese Hypothese zu bestätigen (bzw. zu

widerlegen), bedarf es allerdings an diesbezüglichen Untersuchungen an Autisten

(Malle, 2005).

Ein weiterer Diskussionspunkt ist, dass die Bedingungen der Erklärungswahl sowohl

kognitiver Natur (z.B. Antworten auf die eigene Verwunderung) als auch sozialer Art

(z.B. einen bestimmten Eindruck vermitteln) sein können. Dieser Funktionsdualismus

existiert auch auf analytischer Ebene. Eine Begründung hat beispielsweise mehrere

spezifische Merkmale: den Begründungstyp (Wunsch oder Überzeugung) und dessen

sprachliche Betonung durch ein Verb, das den mentalen Zustand beschreibt („ich

dachte…“, „sie wollte…“). Weiß der Beobachter in einer sozialen Situation über den

spezifischen Begründungstyp der handelnden Person Bescheid, kann er das Verhalten

dieser Person leichter verstehen und vorhersagen, indem er die Erklärung, also die

Begründung, als kognitives Hilfsmittel verwendet. Ebenso bedienen sich handelnde

Personen verschiedener Begründungstypen für die Erklärung ihrer eigenen

Verhaltensweisen, um die Art und Weise zu beeinflussen, wie das Publikum ihre

Rationalität und Verantwortung wahrnimmt. Darüber hinaus verwenden Menschen zur

Erklärung von Handlungen andere Verben, die einen mentalen Zustand beschreiben, um

hervorzuheben, dass diese Begründung speziell den Handelnden betrifft und keinen

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allgemein akzeptierten Grund darstellt. Dadurch distanziert sich die erklärende Person

von der Begründung. Ein konkretes Beispiel dafür wäre die Frage „Warum isst sie

keinen Nachtisch?“ und die Antwort „Sie denkt, sie würde zunehmen“ (Malle, 2005).

Die Dualität von kognitiven und sozialen Funktionen charakterisiert nicht nur die

Merkmale von Verhaltenserklärungen, sondern auch die „Theory of mind“ als Ganzes,

die Menschen hilft sowohl kognitive als auch soziale Aufgaben zu lösen. Zu den

kognitiven Aufgaben zählen die Klassifikation einer Verhaltensweise als beabsichtigt

oder unbeabsichtigt, die Fokussierung der Aufmerksamkeit auf eine bestimmte

Verhaltensweise sowie Erklärungen und Vorhersagen. Zu den sozialen Aufgaben

gehören hingegen interpersonelle Beeinflussung oder Überzeugung,

„Eindrucksmanagement“ im Bezug auf sich selbst oder auf andere und kommunikative

Entwürfe (Malle, 2005).

Abschließend weist der Autor auf das Einzigartige der „Theory of mind“ hin: „a

mentalistic conceptual framework of human behavior that can evolve and develop only

within a social environment whose primary function is to improve social coordination

and whose reliable trigger is ongoing social interaction“ (Malle, 2005, p. 246).

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