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82 profile 22 · 11 ...................................................................................................................... Wolfgang G. Weber For global social change: Let’s work together Als jemand, der die akademisch etablierte Arbeits- und Organisations- psychologie (A&O-Psychologie) zu vertreten hat und dabei versucht, auf wissenschaftlich-humanistischer Basis zu forschen, lehren und – mitunter – zu gestalten, ist es für mich eine Freude, ein paar Gedanken zum Werk und Netzwerk meines geschätzten Kollegen Dr. Gerhard Fatzer beitragen zu können. Gerhard ist mir noch aus meiner Zeit als Privatdozent an der ETH Zürich bekannt, wo ich erstmals im Rahmen eines Workshops am damaligen Institut für Arbeitspsychologie, den er zusammen mit Sabina Schoefer moderierte, mit dem durch ihn reprä- sentierten Ansatz der Organisationsentwicklung praktisch konfrontiert wurde. Das dahinter stehende Menschenbild, die Vorstellungen von nicht-technokratischem (Habermas würde sagen: verständigungsori- entiertem statt szientistischem) Wandel und ein Teil der eingesetzten Methoden erschienen mir schließlich so relevant, dass ich, nachdem ich in Innsbruck den Lehrstuhl für Angewandte Psychologie angetreten hatte, Gerhard Fatzer bat, Vorlesungen, Seminare und Übungen bei uns durchzuführen. Seit einem Jahrzehnt lehrt er, auch als Gastprofes- sor, im Rahmen unseres Psychologiestudiums. Er gehört zu den – m. E. immer noch viel zu raren – universitären Psychologiedozenten, die gleichermaßen mit praxisbezogenen Phänomenen und darauf bezo- genen wissenschaftlichen Theorien befasst sind und über die Vielfalt der praxisbezogenen Probleme weder die zu ihrer Lösung nützliche Theorie missachten, noch über die akademischen Verlockungen der Theoriearbeit vergessen, dass wissenschaftliche Konzepte vorwiegend dann einen Sinn haben, wenn sie in unserem Kontext direkt oder mit- telbar zur Verbesserung der psychosozialen und psychophysiologischen Situation der Arbeitenden beizutragen vermögen (einem gemeinsamen Ahnherrn von OE und A&O-Psychologie, Kurt Lewin, sei Dank!). Ein großes Verdienst von Personen wie Gerhard Fatzer ist es, die OE in den deutschsprachigen Raum geholt zu haben. Seine Fachbeiträge in Gestalt vieler Herausgeberwerke und Artikel, manche davon Stan- dardwerke der OE, haben dazu beigetragen, dass wir es hier mit einer OE zu tun haben, die ihren humanistischen Gründungsimpetus nicht aufgegeben hat. Vielmehr ist sie sich bewusst, dass die Humanisierung der Arbeit, die Persönlichkeitsförderung der Arbeitenden (Bildung im zeitlosen Sinne!) und die Förderung von organisationaler (damals: industrieller) Demokratie ein eigenständiges und gleichberechtigtes Ziel gegenüber der effizienten und effektiven Organisationsgestaltung bilden sollen. Die herausgeberische Arbeit von Gerhard Fatzer trägt auch dazu bei, dass, ganz im Sinne des Grundprinzips der OE, auch Theorien und Methoden der OE immer wieder kritisch hinterfragt werden bzw. Theoriedesiderate sichtbar gemacht werden. Um ein Beispiel anzu- sprechen: So bilden unterschiedliche Modelle von sozialen Systemen inklusive systemische Beratung zwar einen zentralen Bestandteil von OE. In welchem (politisch-wirtschaftlich-kulturellen) System sich OE und die sozialen Systeme bewegen, auf deren Neuerung systemische OE-Interventionen abzielen und wie man dieses umgebende Mak- rosystem durch langfristig angelegte Interventionen lebensdienlicher WOLFGANG G. WEBER, Univ.- Prof. Dr.; seit 2000 Professor für Angewandte Psychologie an der Universität Innsbruck; Mitbegründer des Organizational Participation in Europe Network (OPEN, seit 2007), der interuni- versitären Plattform Arbeits-, Or- ganisations- und Wirtschaftspsy- chologie in der Österreichischen Gesellschaft für Psychologie sowie des ForscherInnen-Netz- werks für Humanisierung der Arbeit; Forschungsschwerpunk- te: Tätigkeitspsychologie des Alltagshandelns, organisationale Partizipation und demokrati- sche Unternehmen, ethisches Unternehmensklima, Soziali- sation sozialer und moralischer Kompetenz, soziale Entfremdung in der Arbeit, psychologische Arbeitsanalyse und -gestaltung; Mitherausgeber von Profile; [email protected] features Profile22.indd Abs1:82 Profile22.indd Abs1:82 03.02.2012 5:53:51 Uhr 03.02.2012 5:53:51 Uhr

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Wolfgang G. Weber

For global social change: Let’s work togetherAls jemand, der die akademisch etablierte Arbeits- und Organisations-psychologie (A&O-Psychologie) zu vertreten hat und dabei versucht, auf wissenschaftlich-humanistischer Basis zu forschen, lehren und – mitunter – zu gestalten, ist es für mich eine Freude, ein paar Gedanken zum Werk und Netzwerk meines geschätzten Kollegen Dr. Gerhard Fatzer beitragen zu können. Gerhard ist mir noch aus meiner Zeit als Privatdozent an der ETH Zürich bekannt, wo ich erstmals im Rahmen eines Workshops am damaligen Institut für Arbeitspsychologie, den er zusammen mit Sabina Schoefer moderierte, mit dem durch ihn reprä-sentierten Ansatz der Organisationsentwicklung praktisch konfrontiert wurde. Das dahinter stehende Menschenbild, die Vorstellungen von nicht-technokratischem (Habermas würde sagen: verständigungsori-entiertem statt szientistischem) Wandel und ein Teil der eingesetzten Methoden erschienen mir schließlich so relevant, dass ich, nachdem ich in Innsbruck den Lehrstuhl für Angewandte Psychologie angetreten hatte, Gerhard Fatzer bat, Vorlesungen, Seminare und Übungen bei uns durchzuführen. Seit einem Jahrzehnt lehrt er, auch als Gastprofes-sor, im Rahmen unseres Psychologiestudiums. Er gehört zu den – m. E. immer noch viel zu raren – universitären Psychologiedozenten, die gleichermaßen mit praxisbezogenen Phänomenen und darauf bezo-genen wissenschaftlichen Theorien befasst sind und über die Vielfalt der praxisbezogenen Probleme weder die zu ihrer Lösung nützliche Theorie missachten, noch über die akademischen Verlockungen der Theoriearbeit vergessen, dass wissenschaftliche Konzepte vorwiegend dann einen Sinn haben, wenn sie in unserem Kontext direkt oder mit-telbar zur Verbesserung der psychosozialen und psychophysiologischen Situation der Arbeitenden beizutragen vermögen (einem gemeinsamen Ahnherrn von OE und A&O-Psychologie, Kurt Lewin, sei Dank!).

Ein großes Verdienst von Personen wie Gerhard Fatzer ist es, die OE in den deutschsprachigen Raum geholt zu haben. Seine Fachbeiträge in Gestalt vieler Herausgeberwerke und Artikel, manche davon Stan-dardwerke der OE, haben dazu beigetragen, dass wir es hier mit einer OE zu tun haben, die ihren humanistischen Gründungsimpetus nicht aufgegeben hat. Vielmehr ist sie sich bewusst, dass die Humanisierung der Arbeit, die Persönlichkeitsförderung der Arbeitenden (Bildung im zeitlosen Sinne!) und die Förderung von organisationaler (damals: industrieller) Demokratie ein eigenständiges und gleichberechtigtes Ziel gegenüber der effi zienten und effektiven Organisationsgestaltung bilden sollen.

Die herausgeberische Arbeit von Gerhard Fatzer trägt auch dazu bei, dass, ganz im Sinne des Grundprinzips der OE, auch Theorien und Methoden der OE immer wieder kritisch hinterfragt werden bzw. Theoriedesiderate sichtbar gemacht werden. Um ein Beispiel anzu-sprechen: So bilden unterschiedliche Modelle von sozialen Systemen inklusive systemische Beratung zwar einen zentralen Bestandteil von OE. In welchem (politisch-wirtschaftlich-kulturellen) System sich OE und die sozialen Systeme bewegen, auf deren Neuerung systemische OE-Interventionen abzielen und wie man dieses umgebende Mak-rosystem durch langfristig angelegte Interventionen lebensdienlicher

WOLFGANG G. WEBER, Univ.-Prof. Dr.; seit 2000 Professor für Angewandte Psychologie an der Universität Innsbruck; Mitbegründer des Organizational Participation in Europe Network (OPEN, seit 2007), der interuni-versitären Plattform Arbeits-, Or-ganisations- und Wirtschaftspsy-chologie in der Österreichischen Gesellschaft für Psychologie sowie des ForscherInnen-Netz-werks für Humanisierung der Arbeit; Forschungsschwerpunk-te: Tätigkeitspsychologie des Alltagshandelns, organisationale Partizipation und demokrati-sche Unternehmen, ethisches Unternehmensklima, Soziali-sation sozialer und moralischer Kompetenz, soziale Entfremdung in der Arbeit, psychologische Arbeitsanalyse und -gestaltung; Mitherausgeber von Profi le; [email protected]

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machen könnte, ist, soweit ich es überblicke, aktuell weniger ein Gegenstand von fundierten Recherchen, Konzeptualisierung und (unvermeidbarem) Diskurs. Mitunter verschwindet die Gesellschaft sogar im abstrakten »System« und Menschen in abstakten »Funktionen«, reale Entfremdungsprozesse der Arbeitenden von ihren Produkten, Tätigkeiten und (weltweit angesiedelten!) Mitmenschen vornehm nachzeichnend und virtuell entschärfend. Dies, ob-wohl die Beschäftigung mit »desirable futures« insbe-sondere von Fred und Merrilyn Emery, Russell Ackoff oder Frank Heller immer wieder angeregt wurde. Dabei setzte man sich – m.E. unvermeidlicherweise – auch mit radikalhumanistischer Gesellschafts- und Kulturkritik auseinander und ließ sich durch außer-wissenschaftlich motivierte Ausgrenzungsversuche und mikropolitische Forschungsbehinderungen, die auf etablierte damalige Kurienrepräsentanten der an-gloamerikanischen A&O-Psychologie zurückgingen, wenig beeindrucken.

Mein eigenes Fach, die Psychologie, delegiert sol-che Grundlagenfragen der wissenschaftlich gestütz-ten Analyse und Humanisierung gesellschaftlicher

Systeme gerne an die Soziologie und die Politikwis-senschaft. Diese übergeben sie wiederum gerne den politischen Verantwortungsträgern – welche allzu oft in resignativer Selbstzufriedenheit verkünden, »es gibt keine Alternative«, weil beispielsweise »die Märkte« es nicht erlaubten. Auch wenn ich persönlich mir in der Profi le noch mehr konzeptuell hochwertige Arti-kel zur Auseinandersetzung mit makrosystemischen Einfl üssen auf die OE und solche OE-Interventionen, die auf die Humanisierung der Wirtschaft abzielen, wünschen würde – Gerhard Fatzer und die Profi le-MacherInnen haben mit einigen AutorInnen und ihren Artikeln (z.B. Profi le 15.2008 über »Gesellschaft, Politik und Beratung« oder Profi le 20 zu Systems Thinking / System Dynamics) hier Zeichen gesetzt, die auf unsere beiden (Inter-)Disziplinen ausstrahlen mögen. Wenn uns die OE (und hier eingeschlossen, Profi le) eines lehren: Es gibt in demokratischen Sys-temen immer eine Alternative, solange noch Prakti-kerInnen und WissenschaftlerInnen unter dem Schutz der Freiheit von Forschung und Lehre existieren, die Kompetenzen und Motivation für kooperatives, refl ektierendes Handeln besitzen.

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Im Rahmen seiner Arbeiten veranschaulicht Gerhard Fatzer immer wieder die Bedeutung des So-ziotechnischen Ansatzes der Arbeitssystemgestaltung für die OE. Dieser plurale, transdisziplinäre Approach, ohne den es wissenschafts- und wirtschaftsgeschicht-lich betrachtet möglicherweise keine Bewegung für die Humanisierung des Arbeitslebens gegeben hätte, ist es, was unsere beiden (Inter-)Disziplinen, die OE und die A&O-Psychologie, von Anfang an konzep-tuell verbindet. Dies gilt, obwohl diese Verbindung eines »Social Engagement of Social Science« (Trist & Murray, 1993), ihre Früchte und ihr potenzieller Nutzen während ihrer nun 60-jährigen Geschichte auf sehr unterschiedliche Weise wahrgenommen (oder verdrängt) worden sind. In Profi le fi nden sich in einigen Artikel erfreulicher- und notwendigerweise Spuren und sogar Weiterentwicklungen der großen humanistischen soziotechnischen Ideen der 60er- bis 80-er-Jahre des vergangenen Milleniums, nämlich z.B. der »purposeful systems« (Ackoff & Emery, 1972), der »global social change organizations« (Cooper-rider & Pasmore, 1991) oder der skandinavischen Work-Development-Programme (Gustavsen, 2007). Zukunftsrelevante Resonanzen dieser soziotechni-schen Konzepte fi nden sich etwa in Profi le-Beiträgen über Dialog, Zukunftskonferenzen, Town Meeting. In diesen Jahren, in denen ich fachlich sozialisiert wurde, war (nicht nur) in Kontinentaleuropa soviel Hoffnung, dass eine menschenwürdige und -gerechte sowie demokratische Arbeitswelt jenseits des gerne angeführten, »alternativlosen« Wirtschaftlichkeits-diktats verwirklichbar sei, in den Köpfen und Herzen von AktivistInnen in Arbeiterbewegung, Bildungsin-stitutionen, Beratungsunternehmen, Forschungsins-titutionen und mitunter sogar in politischen Parteien und Organen spürbar. Manche Unternehmen, wie z.B. Opel Hoppmann in Deutschland oder der Ge-nossenschaftskonzern Mondragon im spanischen Baskenland leben sie vor.

»It lives in our hearts!«, sagte mir über den soziotechnischen Ansatz neulich Denise Rousseau (Fachkollegin, Organisationskulturforscherin und ehe-malige Präsidentin der nordamerikanischen Academy

of Management) auf einer Tagung der deutschspra-chigen A&O-PsychologInnen. Ich habe Hoffnung, dass Profi le und möglichst viele der sie tragenden Kolleginnen und Kollegen in Zukunft wieder stärker dafür sorgen, dass sich unsere Herzen solcher Art auch in unseren Werken, nämlich der menschengerechten Gestaltung von Arbeit, Organisation und Wirtschaft verkörpern werden. In einem Beitrag für Profile (8.2004) habe ich versucht aufzuzeigen, dass die Ar-beitspsychologie einige Erkenntnisse und Methoden anbietet, welche im Rahmen von OE-Projekten und für die Theoriebildung zur OE stärker genutzt wer-den könnten, um das große gemeinsame Vorhaben einer menschenwürdigen Ökonomie und Arbeitswelt voranzutreiben. Die A&O-Psychologie stellt z.B. zahlreiche gut validierte Arbeitsanalyse- und Organi-sationsdiagnosemethoden bereit, die auch in der Pro-zessberatung und zur Ermittlung von Hemmnissen des organisationalem Lernens eingesetzt werden können. Weiterhin wurden Leitfäden entwickelt, die Hinweise für die persönlichkeits- und gesundheitsförderliche Gestaltung der Arbeit von Individuen, Gruppen und ganzen Organisationen geben. Die stärker struktur-, bedingungs- und expertenbezogene Ausrichtung der A&O-Psychologie steht dabei nicht im Gegen-satz zum Partizipations- und Prozessparadigma der OE. Die besagten Methoden können partizipativ im Rahmen von Survey-Feedback-Projekten verwendet werden, denn sie bieten Hinweise, Anregungen und Optionen an Stelle von technokratischen Vorgaben.

Gerhard Fatzer und ich haben bei manchem Gläs-chen vortreffl ichen Weins auch unsere gemeinsame Freude an der Musik gepfl egt (in der ja, wie in der Kunst allgemein, nach Adorno am ehesten positive Gesellschafts- und Kulturentwürfe sich ausdrücken, solange wir sie noch nicht weltweit verwirklicht ha-ben). Deshalb möchte ich meinen Dialogkommentar mit dem Motto einer unserer Lieblingsbands schlie-ßen, auch wenn dieses nachhaltige Motto – schwei-zerdeutsch mit Urban Gwerder und Stiller Has ausge-drückt – manchem Zeitgeistigen nur »B-postmodern« erscheinen mag: »Together we stand, divided we fall … let’s get on the ball and work together!«

LiteraturAckoff, R. L. & Emery, F. (1972). On Purposeful Systems. New York: Aldine, Atherton.Cooperrider, D. L. & Pasmore, W. A. (1991). Global social change: A new

agenda for social science? Human Relations, 44 (10), 1037-1055.Gustavsen, B. (2007). Work organi-zation and the ›Scandinavian Model‹. Economic and Industrial Democracy, 28 (4), 650-671.

Trist, E. & Murray, H. (Eds.) (1993). The Social Engagement of Social Science (Vol. II: The Socio-Technical Perspective). Philadelphia: University of Pennsylvania Press.

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